Basils Suchen - Billy Remie - E-Book

Basils Suchen E-Book

Billy Remie

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Beschreibung

Amerika. Das Land der Freiheit und großen Träume. Als ich zur Zeit des "New Deals" den weiten Weg von England bis in die neue Welt auf mich nahm, um meinen Vater zu besuchen, wusste ich nicht, wonach ich suchte. Zuerst dachte ich, dass es Zerstreuung war, die ich auch schnell in dem jungen und schönen Duo Richard und Iseulte fand. Ihr Leben war bestimmt von Ruchlosigkeit und wilden Partys, die mich zunächst anzogen wie die Motten das Licht. Doch eine Begegnung mit dem stillen Farmer Theo änderte einfach alles. Meine Gefühle, meine Gedanken, meine Prioritäten... Doch was wir fühlten, durfte nicht sein.

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Seitenzahl: 390

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Billy Remie

Basils Suchen

Eine Chance auf Für Immer

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

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Impressum neobooks

Vorwort

Liebe Leser, liebe Leserinnen,

ich übe mich hin und wieder darin, kürzere Romane zu schreiben. Diese Geschichte ist nichts wirklich Anspruchsvolles, nur etwas Unterhaltung, ein bisschen kitschig, ein wenig Romantik, ohne irgendwelche versteckten Botschaften. Alles, was dieses Buch möchte, ist euch ein wenig zu unterhalten – und ich hoffe sehr, dass es das tun wird.

In diesem Sinne wünsche ich viel Spaß

1

Mit einem lauten Kreischen schliffen die Räder über die Schienen. Wie eine Bestie aus einer Fabel zerriss der Schrei die Stille. Der Zug stoppte mit einem heftigen Ruck und riss mich aus meinem tiefen Schlaf. Benommen versuchte ich im ersten Moment, mich daran zu erinnern, wo ich war, weil ich nicht in meinem vertrauten Zimmer aufwachte. Das geschah mir auf dieser Reise nur allzu oft.

Tageslicht sickerte durch die Fenster, doch als ich benommen hinausblickte und etwas zu erkennen erhoffte, erkannte ich nur dichten Staub.

»Was war das?«, fragte eine weibliche Stimme, die aus dem kleinen und hübschen Mund der jungen Dame kam, die mir gegenübersaß und ihr Buch gesenkt hatte.

»Wir haben gehalten«, antwortete mein großer Bruder unserer jüngeren Schwester, während er mit mir gemeinsam aus dem Fenster spähte.

»Aber wieso?«, wollte sie wissen und legte ihre zierliche Hand mit den peniblen sauberen Nägel um Roberts kräftigen Oberarm, um sich an ihm vorbeizulehnen und etwas zu erkennen. »Ich kann noch keinen Bahnsteig sehen.«

Mein Bruder – Robert – zuckte mit den Schultern, während er den Kopf verdrehte.

Ich ließ mich nach einem Moment wieder zurück gegen die Lehne sinken und grub meine Finger in das lange und dichte Fell, das aus James` Nacken spross, meinem Bobtail, der neben mir auf dem Sitz lag und die Schlappohren nach vorne gerichtet hatte, um zu lauschen. Als ich ihn streichelte, legte er den Kopf zurück auf meinen Schoß und atmete entspannt aus.

»Wohl nur ein Tier, das auf die Fahrbahn lief«, mischte ich mich ein.

Beryl und Robert beobachteten, wie sich der Staub langsam verzog und dahinter nichts als Weite und Landschaft zum Vorschein kamen. Steppe, hinter jener dunkle Waldränder vor riesigen Bergen lagen. Wann immer wir einschliefen und erwachten, hatte sich das Landschaftsbild verändert.

Dieses Land war so vielseitig, dass einem der Atem stocken konnte. Kein Schriftsteller, kein Dichter hätten mit Worten diesem Ausmaß an Schönheit umschreiben können.

»Hoffentlich haben sie nichts überfahren«, kommentierte meine tierliebende kleine Schwester meine Vermutung und hielt Ausschau nach einem fortlaufendem Hirschbock – oder keine Ahnung, was hier sonst so zu finden war.

Ich war kein Naturforscher und ich war nicht in die Neue Welt gereist, weil ich sie unbedingt erleben wollte, oder wie mein Vater einem Traum nachjagte. Was genau dieser Traum war, hatte ich mit zehn Jahren nicht verstanden und mit Mitte Zwanzig auch nicht. Dabei hatte ich gerade meinen Abschluss in Philosophie in der Tasche.

Nicht, dass ich damit bisher etwas anzufangen wusste, außer sich klug und kultiviert genug zu verstellen, um unter zahlreiche Damenröcke zu gelangen. Was irgendwann seinen Reiz verlor, egal, was alle anderen behaupteten.

Mir stünde vielleicht der Weg in die Politik offen, aber wollte ich ein stinklangweiliger Politiker werden und mich mit alten Säcken rumschlagen, die ohnehin nicht zuhörten, und bei einem Essen nach dem anderen, Tag für Tag, über die Weltlage debattieren?

Das Studium hatte mir schon mehr als gereicht, vielleicht war ich einfach kein Philosoph. Die anderen Studienfächer hatten mich nur noch weniger interessiert. Und irgendetwas musste man ja tun, wenn man nicht verarmen wollte.

Vielleicht würde ich ins Lehramt gehen, ich würde genüg erben, um mich damit über Wasser zu halten.

Ich griff zu meiner Reiselektüre und schlug das Buch auf. James nahm den Kopf von meinem Schoß und legte ihn brummend auf seine Pfoten.

Als wir in New York vom Schiff gestiegen waren, hatte Beryl ihn waschen und schneiden lassen, sodass er jetzt sauber war wie ein frisch gereinigter Teppich. Die Prozedur hatte ihm wie immer gar nicht gefallen, aber welcher Hund bekam schon gern mit einer Schere im Gesicht rumgefummelt, oder wurde in einer Wanne mit kaltem Wasser gewaschen. James wusste gar nicht, was für einen Luxus er lebte – aber ich glaube, darauf hätte er gern verzichtet. Seitdem hielt er sich beleidigt von meiner Schwester fern.

»Vielleicht wurde der Zug ja zum Stoppen gezwungen«, mutmaßte Robert mit einer lauernden Stimme, die ich zu gut kannte. Ich schielte über die Buchkante zu meinem schwarzhaarigen Bruder hinüber, der noch aus dem Fenster starrte und so tat, als spräche er in Gedanken nur mit sich. »Vielleicht werden wir von einer Bande ausgeraubt. Du solltest deine Halskette besser schlucken, kleine Schwester.«

Beryl durchschaute ihn genau wie ich, sie presste die Lippen zusammen und schlug mit der Hand, mit dem sie ihn festgehalten hatte, auf den Arm. »Hör auf, mir Angst zu machen.«

»Oder«, begann er und drehte sich zu ihr um, »vielleicht liegt ja jemand gefesselt auf den Gleisen.«

»Rob!« Sie schlug ihn abermals und lehnte sich dann mit beleidigter Miene zurück. »Du bist so ein Schuft!«

Er lachte, wie er immer über sie lachte. In sich hinein und in vollkommener Zufriedenheit, wie ein Lausbube, der sich köstlich darüber amüsierte, wenn Mädchen schreiend davonliefen, weil er ihnen eine tote Kröte unter die Nase hielt.

Er war älter als ich und wir unterschieden uns gänzlich, und das nicht nur äußerlich. Ich war einen Tick zu still und nachdenklich, er war einen Tick zu laut und unbeschwert.

»Vielleicht verschleppen sie dich ja in ihr Bandenversteck und zwingen dich für sie zu arbeiten. Das macht man mit hübschen, unverheirateten Frauen, weißt du?« Er zog seine Stimme provokativ in die Länge und sah sie mit einem herausforderndem Blitzen in den dunklen Augen an.

Schweigend sah ich zwischen ihnen hin und her.

Beryl schnitt ihm mit einem giftigen Blick aus ihren grauen Augen. »Hör auf! Ich werde Mutter schreiben, dass du mir Angst gemacht hast! Dann zieht sie dir die Ohren lang, wenn wir sie besuchen.«

Rob schnaubte und wirkte ziemlich gelassen. »Ja, mach das nur.«

Als Söhne unserer Mutter mussten wir uns nun wirklich keine Sorgen um Standpauken machen. Sie liebte und vergötterte uns, egal, was wir anstellten. So war das mit Müttern und Söhnen, vermutlich hätte unsere Mutter es so gedreht, dass am Ende Rob in Schutz genommen werden musste. Nach dem Motto, der arme Junge hatte doch bloß humorvoll sein wollen.

Ich wusste jedoch ohnehin, dass Beryl Rob niemals verpetzen würde. Die beiden lagen von uns fünf Geschwistern am weitesten an Jahren auseinander, aber sie waren wie Zwillinge miteinander.

Etwas, worüber ich als Kind eifersüchtig gewesen war, aber heute nicht mehr.

Der Zug setzte sich wieder in Bewegung, ich richtete meinen Blick auf die Buchseiten, mit der anderen Hand kraulte ich James.

»Ah«, meinte Robert, »Glück gehabt, doch keine schießwütigen Banditen, die unter dein Kleid wollen.« Robs Knöchel streifte zaghaft ihr schlankes Knie, das unter dem Kleid hervorlugte.

Mit zusammengepressten Lippen zog Beryl den Saum ihres Rocks hinunter. Das Kleid war blassgelb und gemäß dem Standard unserer Mutter züchtig hochgeschlossen. Aber Beryl hatte sich gelangweilt und sich beim Lesen auf dem Sitz tiefer gleiten lassen, sodass das Kleid nach oben gerutscht war.

Mir war es nicht aufgefallen.

»Die Zeit der Outlaws und Banden ist längst vorüber, für diese Kriminellen gibt es keinen Platz mehr in der Welt, selbst hier nicht. Du hast zu viele Abenteuergeschichten gelesen«, mischte ich mich wieder ein, weil ich es nicht mehr aushielt, meinen Mund zu halten. »Du erzählst ihr Unsinn.«

Er sah mich gelangweilt an. »Es macht so überhaupt keine Freude, mit jemandem wie dir zu reisen, Basil. Nur Fakten, Fakten, Fakten...« Er untermalte das mit einem Würgegeräusch.

Ich liebte ihn einfach.

Mit einem Zungeschnalzen stieß Beryl ihm den Ellenbogen in die Rippen. »Benimm dich mal wie ein Erwachsener, Bildung täte dir gut.«

»Ich habe studiert!«

»Die Narrheit?«

Wir lachten – auch Rob, bevor er sich wieder an mich wandte.

»Wir fahren doch weit raus, oder nicht? Und bedenke die Wirtschaftskriese der letzten Jahre!« Er wollte mit mir debattieren und richtete sein Jackett über der Weste, wie er es immer tat, wenn er klug wirken wollte. »Mehr denn je lohnt sich ein Leben außerhalb des Gesetzes. Glaub mir, fern der Städte gibt es sie noch, kleiner Bruder, die ganzen Outlaws und Banditen, die nur darauf warten, Postkutschen zu überfallen.«

Ich klappte betont langsam mein Buch zu und legte es über meine überschlagenen Beinen, einen Finger als Lesezeichen zwischen die Seiten geklemmt. »Welche Postkutschen? In welchem Jahr lebst du eigentlich?«

Ich glaube, er hatte eine völlig falsche Erwartung an die Vereinigten Staaten. Abenteuer – von Wegen. Hungersnot und Armenviertel in den Städten.

»Langweiler«, neckte Rob mich und grinste auf seine typische Lausbubenart. »Glaub du nur, was du willst. Während du in Vaters Sessel sitzt und vom Brandy und den Zigarren beim Lesen deiner staubigen Bücher rumfurzt, werden Beryl und ich atemberaubende Abenteuer erleben und in die Geschichte eingehen als zwei der letzten freiheitsliebenden Outlaws!«

Damit lehnte er sich zufrieden zurück, die Arme verschränkt und die Beine wie ein Cowboy auseinandergestellt, sodass die strammen Schenkel aufklafften.

Ich zog eine Augenbraue hoch und tauschte einen Blick mit meiner Schwester, die über Rob nur grinste, was diesem sichtlich gefiel.

Ich sah uns eher in Pferdemist stehen.

Im Gegensatz zu Rob, sah Beryl mir ähnlich. Kühles blond, graue Augen, helle Haut und – wie ich finde – unauffällige, aber doch attraktive Gesichtszüge, hohe Wangenknochen, gerade Nasen, hohe Stirn, schneidiges Kinn. Sie hatte zudem diesen ovalen und weiblichen Zug, der mir natürlich fehlte. Rob hingegen war irgendwie rau, ganz gleich wie schick Mutter ihn einkleidete. Er hatte etwas von einem Holzfäller, war muskulös wie ein Arbeiter, breite und kantige Züge zeichneten sein Gesicht aus, dunkle Augen und fast schwarzes Haar. Die Frauen mochten ihn, das wusste ich, zumindest bis er den Mund aufmachte. Charisma gehörte nicht zu seinen Stärken.

Aber, dass er noch nicht verheiratet war, lag an den Frauen, meinte zumindest unsere Mutter, und niemals an ihm. Er war ihr Goldjunge.

Na ja, und ich natürlich auch.

Es war ihr sehr schwergefallen, uns in die weite Welt zu entlassen, doch eigentlich hatte sie den Stein erst ins Rollen gebracht. Vermutlich in der naiven Hoffnung, wir würden dort endlich heiraten.

Unsere Mutter war mit unseren zwei anderen Schwestern – Dorothy und June – in London geblieben. Sie sagte, die lange Reise nach Amerika wäre nichts für sie. Außerdem fürchtete sie Schiffe seit dem Unglück der Titanic. Sie sagte, wenn der Ocean sogar jungfräuliche Schiffe verschlinge, würde er vor ihr keinen Halt machen. Dorothy blieb in England, weil sie schon verheiratet war, June war verlobt und erwartete ein Kind, was niemand wissen durfte. Jedenfalls musste die Hochzeit schnell arrangiert werden. Sie waren mit mir zusammen die mittleren Kinder, Robert war der Älteste, Dorothy die Zweitgeborene, dann waren ich, June und zuletzt Beryl, mit ihren gerade süßen siebzehn Jahren, auf die Welt gekommen.

Siebzehn Jahre – vor genauso vielen Jahren war unser Vater in die Neue Welt aufgebrochen. Er hatte unerwartet Land von unserem Großvater geerbt, das wohl einiges an Gewinn abwarf. Seit dem schrieb er alle paar Monate einen Brief an uns alle und war vielleicht fünf oder sechs Mal nach England gereist, um uns zu besuchen. Er war immer ein Träumer gewesen, ein ruheloser Mann mit einem dicken, schwarzen Schnurbart, der uns den Kopf tätschelte, aber niemals küsste.

An mehr erinnere ich mich ehrlich gesagt nicht. Doch er muss mit seiner Ranch irgendwie erfolgreich sein, immerhin hatte die Wirtschaftskrise ihn kaum betroffen, im Gegenteil, er hatte davon sogar profitiert und für Spottpreise das Land der Nachbarn und ihre Ranches aufgekauft. Das Geld der Familie meiner Mutter war gewiss eine Hilfe gewesen. Ansonsten hätten unsere Eltern Rob und mir wohl kaum das Studium finanzieren können. Oder die Hochzeiten meiner Schwestern und das kleine Haus für Mutter.

Doch irgendetwas sagte mir, dass ich nicht zu viel erwarten sollte. Von dem Haus und dem Geschäft meines Vaters – oder seinen keine Ahnung wie vielen Hektar Land. Er war ein Spieler, in vielerlei Hinsicht, das wusste ich. Er hatte Zuchthengste bei Wetten gewonnen, wie verloren.

Wie dem auch sei, wir drei waren zum allerersten Mal in den Staaten und auf dem Weg zu unserem Vater, den Beryl in ihrem ganzen Leben gerade mal fünf- oder sechsmal gesehen hatte. Eigentlich kannte sie nur seine Handschrift von den Briefen, die er zu Geburtstagen und Weihnachten schickte, und in denen er uns von seinem Land und Haus und Tieren vorschwärmte. Angeblich veranstaltete er ständig irgendwelche Rennen und verdiente mit Wetten ein Vermögen. Ich konnte mir vorstellen, was für einen Lebensstil er in den Vereinigten Staaten führte, und wollte nicht zu sehr darüber nachdenken. Um meiner Mutter willen, die ich liebte und beschützen wollte. Aber vor manchen Dingen konnte ein Sohn die Mutter nicht bewahren.

Kurz um, ich war gespannt auf das, was meinen Vater von seiner Ehegattin fernhielt.

Ständig lud er meinen Bruder und mich ein, seit wir alt genug waren, um interessant für ihn zu werden. Er wollte einen Erben, der sein Geschäft übernahm. Er wollte mit uns trinken und in Clubs gehen und uns Frauen vorstellen. Frauen, die es niemals in London geben werde, schrieb er oft, um uns zu verlocken.

Immer hatten wir eine Ausrede gehabt. Studium, Mutter, Schwestern – die wir nicht, so wie er einfach, allein lassen wollten – oder sogar lukrative Liebeleien mit wohlhabenden Töchtern.

Doch dann kam an Weihnachten wieder ein Brief von ihm und alles war dieses Mal anders. Denn unsere Mutter hatte es für eine gute Gelegenheit für Beryl gehalten, sich einen Ehemann zu suchen. Oder sie wollte sie vor der Ehe bewahren, oder anderen Dummheiten, nach dem June schwanger wurde. Ich wusste ehrlich gesagt nicht so genau, was ihre Absichten gewesen waren, als sie zu ihr sagte, sie solle fahren, doch es musste ihr klar gewesen sein, dass Rob unsere kleine Schwester nicht allein gehen lassen würde – und dass ich die Gelegenheit zur Flucht vor den Gerüchten und dem Getuschel ebenso ergreifen würde.

Und da ich gerade überhaupt keine Ahnung hatte, was ich nach meinem Studium mit mir anfangen sollte und nicht zugeben wollte, dass das Geld rausgeschmissen gewesen war, hatte ich mich entschlossen, dass ich ebenso gut unseren Vater für eine Weile besuchen könnte.

Es musste ja nicht für immer sein, dachte ich, und hoffte, dass mir einfallen würde, was ich aus meiner Zukunft machen wollte.

Denn ich starb vor Langeweile, wenn ich in sie hineinblickte.

2

Wir hatten noch ein paar Stunden Zugfahrt vor uns und aßen im Speisewaggon der ersten Klasse alle gemeinsam. Ich ließ ein paar Stücke des blutigen Steaks für James übrig, der aufmerksam neben mir saß, und fütterte ihn mit dem Besteck, trotzdem klebte später roter Saft in seinem frisch gestutzten, weißen Bart, sodass er sich unentwegt die Schnute leckte.

Eine Dame mit einem großen Hut betrachtete meinen Hund missbilligend. Ich ignorierte sie ebenso gekonnt wie James. Rob und ich tranken Brandy zum Essen, Beryl verdünnten Wein. Unsere Schwester schaute meistens verträumt aus dem Fenster und es zog mir den Magen zusammen. Aus einem mir unbekannten Grund wollte ich nicht, dass sie dieses Land mochte. Ich wollte nicht, dass aus ihr eine Amerikanerin wurde.

Aber ich sagte nichts, wie so oft. Es lag mir fern, anderen ihre Gefühle madig zu sprechen. Deshalb hatte ich auch nie unserem Vater gesagt, dass ich seine Abwesenheit uns und unserer Mutter gegenüber als Verrat an der eigenen Familie ansah.

Nach dem Essen schliefen wir in unserem Abteil auf unseren Sitzen ein, James schnarchte zufrieden mit dem Kopf auf meinem Schoß, und ich streichelte ihn, bis sich wegdämmerte.

Es war bereits dunkel, als wir endlich den Zug verlassen konnten, und ich freute mich auf die Nacht im Hotel. Rob wäre gerne sofort weitergefahren, doch Vater schickte uns erst am Morgen einen Fahrer, der uns abholte. Ich hatte das so gewollt, eine letzte erholsame Nacht in der Stadt, für unsere müden Knochen. Noch immer rechnete ich damit, dass mein Vater in seinen Briefen seine Lage zu sehr beschönigte und er uns nur einlud, weil auch er seine Arbeiter nicht mehr hatte bezahlen können und sie entlassen hatte, weshalb er nun seine Kinder brauchte, um die Ranch zu bewirtschaften.

Ich hatte kein Problem damit, mir die Hände schmutzig zu machen, Rob und ich waren gern zu unserem Onkel – den Bruder unseres Vaters – nach Irland gereist und hatten seinen Pächtern mit den Schafen geholfen. Nun gut, ich tat es vor allem wegen der rothaarigen Mädchen, die uns Essen und Whisky brachten und unsere Männlichkeit bewunderten. Dort hatte ich das erste Mal ein Mädchen geküsst und einem Mädchen die Unschuld genommen. Ich konnte mir die Hände schmutzig machen und faul war ich auch nicht. Aber ich wollte mich nicht von unserem stetig abwesendem Vater, der sich einen Scheiß um uns gekümmert hatte, ausnutzen lassen.

Er durfte ruhig auf uns warten, während wir den Luxus der Stadt genossen.

Das Hotel wirkte für eine Kleinstadt ausgenommen luxuriös und die Männer und Frauen, die im großen und schimmernden Foyer unter den prunkvollen Kronleuchtern in den Sesseln saßen, waren alle schick gekleidet. Regierungsbeamte, Geschäftsmänner und ihre Ehefrauen – oder Affären.

Wir buchten ein Doppelzimmer, sodass unsere Schwester von unserer Suite nur durch eine Tür getrennt war. Sie hatte ihre Privatsphäre, trotzdem war sie bei uns. Das war Rob wichtig, der sie bewachte, als wäre sie unser Familienschatz. Dabei waren Dorothy und June mit ihren dunklen und dichten Haarwellen und den vollen Lippen deutlich attraktiver. Aber auch ich hatte die neugierigen Blicke der Männer im Foyer bemerkt, als wir einkehrten.

Wir aßen noch zu Abend, direkt im Hotel. Es war gut besucht und ein Kellner verriet uns, dass ein Kongress in der Stadt stattfand – und sie auch wegen des anschließenden Derbys hier seien.

Keiner von uns hatte den Wunsch zu erwähnen, dass unser Vater der Gastgeber sein würde, wir wollten kein Aufsehen erregen. Zumindest ich nicht.

Beryl stocherte in ihrer Pastete und sah sich im Raum um, ihr Blick blieb oft an den schicken Damen und Herren ein paar Tische weiter kleben. Irgendwann wandte sie den Kopf zu Rob um. »Vater wird dir bestimmt Frauen vorstellen.«

Rob verschluckte sich beinahe. »Warum mir?« Er tupfte sich mit der Serviette den Mund ab und griff zu seinem Brandyglas, deutete damit auf mich. »Basil ist die viel bessere Partie.«

»Aber du bist älter«, warf Beryl ein.

»Und im Lehramt verdienst du so wenig, dass du eine reiche Frau brauchen wirst«, stimmte ich ihr zu, nur um ihn zu ärgern. »Er wird dir bestimmt eine wohlhabende Witwe aussuchen.«

Rob schnitt mich mit einem Blick, er trank und stellte den Brandy ab. »Ich heirate nicht.«

»Ihr werdet beide irgendwann heiraten«, mutmaßte Beryl und schaute appetitlos auf ihren Teller, »und dann zieht ihr aus und lasst mich allein zurück.«

»Ich werde nie ausziehen«, versprach Rob und strich ihr über die zarte Wange. »Doch nicht ohne dich.«

»Du wirst dich in eine dieser amerikanischen Frauen verlieben«, prophezeite unsere Schwester ihm schwermütig. »Mit ihren rauchigen Stimmen und dickgemalten, roten Lippen. Du wirst einer verfallen, wie jeder Mann, und sie wird mich nicht bei euch haben wollen. Ehefrauen wollen keine Schwägerinnen im Haus, sie wollen ihren Mann für sich.«

Sie beobachtete die Geschäftsmännern ein paar Tische weiter, die neben aufreizend gekleideten Frauen saßen, die sich an sie drückten und Zigaretten rauchten und verführerisch lachten.

Rob war ihrem Blick gefolgt, und ich registrierte, wie seine Augen einen Moment zu lang auf einem Mädchen lagen. Die Fremde bemerkte es, lächelte ertötend und zwinkerte ihm dann keck zu.

Er wandte sich an Beryl, völlig ungerührt. »Unsinn. Ich würde nie eine so sehr wie dich lieben.«

Unsere Schwester lächelte, doch es erreichte ihre Augen nicht.

»Wenn ich ausziehe, nehme ich dich mit«, versprach Rob ihr. »Du wirst immer bei mir wohnen. Immer.«

Ich sagte nichts dazu, griff zu meinem Brandy und nippte daran.

Beryl wandte sich an mich. »Und du, Basil? Wirst du auch immer bei uns bleiben?«

»Vorerst werde ich jedenfalls nicht so schnell die Absicht hegen, mich zu verloben.«

Sie lächelten mitleidig, das konnte ich nicht ertragen und wandte meinen Blick. »Aber irgendwann kauf ich ein Haus und dann könnt ihr bei mir wohnen. Ihr alle.«

Ich meinte das nicht einmal als Scherz, wir standen uns alle sehr nahe.

Nach dem Essen zog Beryl sich auf ihr Zimmer mit einem Buch zurück. Es war ihre erste lange Reise und ich sah ihr an, dass sie ermüdet war. Sie war auf dem Schiff wochenlang seekrank gewesen, die Ärmste.

James wollte nicht mit ihr gehen, er hatte ihr noch nicht verziehen, also ging ich unter dem klaren Sternenhimmel mit ihm durch die Hotelanlagen spazieren und lauschte dem Gelächter und der Partystimmung aus den Suiten.

Dort sah ich sie das erste Mal. Das Pärchen, das sich stürmisch im Schatten eines Baumes mitten auf einer Wiese hinter dem Gebäude küsste, fern der Straße. Der Mann trug einen verdammt schicken Anzug, soweit ich das an seinem Rücke erkennen konnte. Lange Fingernägel gruben sich durch sein dichtes und gestyltes Haar, während er eine schlanke Frau, die provokant knapp bekleidet war, gegen den Baumstamm drängte. Ich sah, dass ihr roter Lippenstift seinen Hals bedeckte und seinen Mund verfärbt hatte. Sie hatte die andere Hand in seine offene Hose gesteckt. Und er hatte ihr Bein hochgehoben und ihr Kleid war hochgerutscht, sodass ihr blasser und makellosglatter Schenkel im Mondschein strahlte wie Elfenbein. Seine kräftige Hand hatte sie nicht gepackt, er hielt sie zärtlich und streichelte sie lieblich. Immer höher und höher.

Ich stand einen Moment länger da, als ich vermutlich sollte. Natürlich hatten wir als Studenten auf der Universität auch unsere leidenschaftlichen Affären gehabt, und das Bild, wie ein Mann eine Frau so stürmisch eroberte, war mir nicht fremd. Nein, es war etwas anderes, das mich an den beiden faszinierte.

Obwohl sie halb vom Schatten verborgen lagen, erstaunte mich ihre Schönheit. Ihre und seine. Und die Leidenschaft, mit der sie sich küssten, hatte etwas Animalisches. Ganz betört sah ich zu, wie er seine Zunge in ihren Mund gleiten ließ, er eroberte sie, aber er drängte sich nicht auf.

Meine Kopfhaut prickelte beim Zusehen.

Ich riss mich los und wählte einen anderen Weg, um sie nicht zu stören. Trotzdem sah ich noch einmal angezogen von ihnen über die Schulter. Da bemerkte ich, dass die Frau die Augen geöffnete hatte und mich im Kuss mit dem Mann ansah. Dunkle Flecken legten sich auf ihre hohen Wangen, sie errötete, doch ihr sinnlicher Mund verformte sich zu seinem Lächeln. Sie löste sich und sagte etwas zu dem Mann, der sich verdutzt umdrehte.

Ich wäre beinahe über eine Kante gestolpert und war einen Moment damit beschäftigt, nicht hinzufallen. James bellte mich tadelnd an, als wollte er sagen, ich solle gefälligst aufpassen.

»Sei still«, zischte leise, mein Herz setzte aus.

Als ich mich wieder umdrehte, standen sie noch genauso da, wie ich sie vorgefunden hatte, die Lippen rot vom Lippenstift, Haare zerzaust – und blickten zu mir rüber. Der Mann, etwa in Robs Alter, grinste mich auf eine einnehmend, charmant-überlegene Art an und nickte, als wollte er mich einladen, zu ihnen zu kommen.

Ohne eine Miene zu verziehen, wandte ich mich ab, doch in meiner Brust pochte mein Herz so wild wie selten in meinem Leben. Mir war etwas schwummrig im Kopf, vermutlich vom vielen Alkohol.

Ich musste danach noch eine Runde an der frischen Luft gehen, bevor ich im Hotel wieder zu meinem Bruder stieß. Ich sagte ihm nichts von dem, was ich verbotenerweise beobachtet hatte. Irgendwie wollte ich es für mich behalten, ich wusste nur nicht, warum.

Ich ging mit Rob, nachdem wir uns ein wenig frisch gemacht hatten und nicht mehr so sehr nach Zugreise aussahen, in die große Hotelbar. Wir setzten uns in eine Nische mit gepolsterten Sesseln und Bänken und bestellten uns Whisky. Ich paffte eine Zigarre, James zu meinen Füßen.

Mein Bruder lehnte sich zurück und sein Jackett klaffte auf, er schüttelte seinen Arm und blickte auf die Uhr. »Was meinst du«, fragte er mich ungewohnt ernsthaft, »läuft der Club oder läuft er nicht?«

Während er auf meine Antwort wartete, trank er aus seinem Glas und beobachtete, wie ich über seine Frage grübelte.

»Sei ehrlich«, betonte er dann.

Ich zuckte mit den Achseln, strich über meinen grauen Anzug. Ich trug gerne Grau, es passte zu meinem kühlen Haar und Augen. »Ich denke, dass die Chancen hochstehen, dass auch ihn die Wirtschaftskriese getroffen hat. Viele haben ihr Vermögen verloren.«

Mein Bruder schwenkte sein Glas und nippte an der goldenen Flüssigkeit, die einen feuchten Schimmer auf seinen vollen Lippen hinterließ. Er dachte über meine Worte nach.

»Du hast ein Talent dafür, etwas zu sagen, ohne etwas zu sagen«, meinte er dann.

Ich musste Lächeln. »Ich mag es nicht, falsch zu liegen.«

Er schielte mich an und wir mussten grinsen.

»Es lag nicht an dir, weißt du?« Wieder war er ungewohnt ernst, als er mich durchdringend ansah. »Was in London passiert ist.«

Ich senkte automatisch den Blick und umfasste mein Glas mit beiden Händen. Was hätte ich sagen sollen? Ich wollte nicht an London denken.

»Es kann nicht an dir gelegen haben«, fuhr Rob fort, stellte sein Glas ab und beugte sich zu mir, um mir den Schenkel zu tätscheln. »Du hast nichts falschgemacht.«

»Mutter sieht das anders.« Ich trank mein Glas aus und stellte es ab. »Ich habe sie enttäuscht.«

»Sie ist von den Menschen enttäuscht«, widersprach er und drückte noch einmal mein Bein. »Weil sie ihren Sohnemann schlecht reden.«

Ich schnaubte und schüttelte den Kopf. »Egal, wir sind jetzt hier. Und werden vermutlich für die nächsten Monate Vaters Schuldenberge durchsehen müssen.«

Er grinste. »Jetzt hast du ja doch gesagt, was du wirklich glaubst.«

Verdammt.

Rob ließ mein Bein los, griff zu seinem Glas und trank es aus. Dann hob er einen Arm und bestellte noch zwei Whisky für uns. Amerikaner tranken ihn mit Eis, die irische Seite der Familie meines Vaters hätte das Hotel vermutlich unverzüglich verlassen.

Wir tranken noch ein, zwei Gläser und spekulierten über Mutters und Vaters Absichten. Ob sie sich abgesprochen hatten? Ob Vaters Club und die Ranch noch zu retten wären, sollten sich meine Befürchtungen bewahrheiten? Wie lange ich wohl bleiben würde?

Ein paar Monate, es zog mich nicht sofort wieder aufs Schiffs, und im Grunde hatte ich nichts gegen Amerika per se. Ich hatte nur etwas dagegen, dass unser Vater dieses Land uns vorgezogen hatte.

Aber ein Teil von mir war auch ebenso neugierig, was es eigentlich war, was ihn so sehr fesselte und, trotz der Kriese, hier gehalten hatte.

Was gewettet, dass dieses Etwas atemberaubende Kurven besaß und wusste, wie man einen Mann um den Finger wickelte?

Rob war ähnlicher Meinung.

Als wir uns erhoben und zu den Fahrstühlen gingen, bemerkte ich, dass ich beobachtet wurde. Es war ein Kitzeln im Nacken, wie der warme Atem einer Geliebten am Morgen im Bett. Ich verspürte eine leichte Gänsehaut und blickte mich noch einmal um.

Am Tresen saß der Mann mit dem maßgeschneiderten Anzug, ein Cocktailglas vor sich. Er hatte den Lippenstift aus dem Gesicht gewaschen und seine Haare gerichtet. Im Schein des Barlichts konnte ich nun erkennen, dass sie wie lackiertes Kirschholz schimmerten. Er sah mich mit seinen dunkelblauen Augen an und hatte ein verschmitztes Lächeln auf den schmale Lippen. Unverhohlen prostete er mir zu, als wären wir alte Bekannte.

Ich drehte mich wie zuvor, als er mich draußen hinter dem Hotel erblickte, wortlos um und ging Rob nach zu den Aufzügen.

3

Sie waren vor mir auf. Die Reise und der Alkohol hatten mich doch mehr ausgelaugt, als ich vermutet hättet.

Ich ließ das Frühstück ausfallen und ging mit James spazieren, bevor der Fahrer kam und uns abholte, um uns auf das Privatgrundstück unseres Vaters zu bringen.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel und brannte auf meiner weißen, englischen Haut. Es würde ein heißer Tag werden.

Im Foyer des Hotels wedelten sich Frauen Luft zu, ich spürte ihre Blicke als ich vorüberging und ich musste mich erst wieder daran gewöhnen, dass sie mich nicht abschätzig bewerteten.

Ich fand meine Geschwister bei einer Sitzgruppe im hinteren Bereich, wo ein stetiger Strom von Gästen aus den Fahrstühlen traten oder dorthin pilgerten.

Ich stockte für einen winzigen Augenblick, als ich sah, dass sie nicht allein waren. Sie lachten über etwas, dass das gutaussehende Pärchen ihnen erzählt hatte.

Es war meiner englischen Herkunft zu verdanken, dass ich mit kühlem und unbeteiligten Blick auf die Gruppe zugehen und so tun konnte, als hätte ich sie noch nie zuvor gesehen.

Die Frau sah bei Tageslicht noch umwerfender aus als bei Nacht. Sie trug eine dieser weiten Hosen, die wie ein Rock aussahen, und ein knappes Oberteil in weiß mit roten Blumen darauf, das einen sehr weiten und provokanten Ausschnitt besaß. Ihr rotes Haar schimmerte wie flüssiger Rubin, war glatt wie Seide und zu einem makellosen Bob geschnitten, der ihr ovales und atemberaubend schönes Gesicht unterstrich. Lange Wimpern, riesige Rehaugen, Stupsnase und ein voller Mund, der einladend rot geschminkt war. Sie war groß, schlank und so grazil wie eine Antilope. Sie war wie eine lebendige Porzellanpuppe.

Der Mann, der auf dem Sessel saß, auf dessen Armlehne sie sich gesetzt hatte, passte perfekt zu ihr, und hätte ich nicht gewusst, dass sie sich leidenschaftlich geküsst hatten, hätte ich sie für verwandt gehalten. Er war schneidig, er war gutaussehend, der dunkle Anzug saß wie angegossen, und er hatte dieses souveräne und leicht arrogante Auftreten, das Amerikanern eigen war. Als gehöre ihm die Welt, als könnte er alles haben, nur mit einem spöttischen Lächeln, das ihm niemand übelnehmen konnte.

Er war der Typ Mann, den alle Männer beneideten, dem alles gelang, und den alle Frauen wollten.

Zumindest drückte seine ganze lässige Körpersprache genau das aus.

Aber er war auch charmant und schmeichelnd, kein Schuft auf den ersten Blick, sonst hätte Rob nicht mit ihm gelacht – oder auch nur zugelassen, dass er Beryl ansah.

Ich konnte seinen amerikanischen Akzent durch das ganze Foyer hören, dabei war seine Stimme nicht dröhnend, sondern einfach präsent. Sie war samten und einnehmend.

Der Amerikaner entdeckte mich zuerst und hatte dieses dunkle Funkeln in den blauen Augen, als sich sein Blick fixierte.

Ich ging direkt auf alle zu, ließ mir nichts anmerken.

Die Frau verstummte, führte ihre qualmende Zigarette zum Mund und schloss die Lippen um das Ende, während sie mich in Augenschein nahm.

Beryl drehte sich in ihrem Sitz um und sprang auf. Ihre langen Haare hatte sie zu einem Dutt aufgesteckt und sie trug im Vergleich mit der Fremden eine langweilige, weiße Bluse mit hohen Kragen und einen züchtig langen Rock. Mutter hätte es gefallen.

»Da bist du ja!«, sagte sie zu mir und hakte sich bei mir unter, um mich näher heranzuziehen.

»Das sind Mr -«

»Oh nennen Sie mich Richard!«, unterbrach er sie, stand auf und reichte mir die Hand. »Sie müssen der Bruder sein.«

»Basil Clark.« Ich schüttelte ihm die Hand.

Er grinste erfreut und seine Augen sprachen mit mir. Hat dir die Show gestern gefallen?

»Was für hübsche Söhne Mr. Clark doch hat.« Die Frau sprach mit einem französischen Akzent und schob mit ihrer Hand Richard zur Seite, um aufzustehen und sich mir ebenfalls vorzustellen. »Iseulte.«

»Ein hübscher Name.« Einer Frau wie ihr küsste man die Hand. Doch Richard nahm ihren Arm, als sie mir ihren schlanken Handrücken entgegenstreckte, drückte seine eigenen Lippen darauf und zog sie mit einem Lachen an sich.

Ich richtete mich wieder auf, sah ihm in sein amüsiertes Gesicht. »Sie würde sich kopflos in Sie verlieben, Basil, wenn Sie sie mit diesen Lippen berühren.«

»Ich will ja nicht schon an meinem ersten Tag eine Ehe zerstören«, gab ich zurück.

Richard lachte herzhaft und ungezwungen. Iseulte schmunzelte geheimnisvoll, während sie an ihrer Zigarette zog und nicht die Augen von mir lassen konnte.

»Schlagfertig und gutaussehend«, meinte Richard.

»Du bekommst Konkurrenz, Darling.«

Er griff sich ans Herz und sah Iseulte mit gespielter Empörung an. Sie zwinkerte ihm keck zu.

»Und wer ist dieses liebreizende Geschöpf?«, fragte Iseulte dann mit rauchiger Stimme und purer Entzückung. Sie löste sich von Richards Arm und beugte sich hinab zu James, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu geben und ihn zu kraulen. Meinem Hund hing die Zunge raus und er genoss die Aufmerksamkeit. Auf seiner weißen Stirn klebte roter Lippenstift.

»Das ist James«, stellte ich ihn vor. »James, gib der Frau die Hand.«

Und er gab ihr die Pfote, was sie vor Entzückung grinsen ließ. »Bezaubernd«, sagte sie zu mir, als wäre James mein Verdienst.

Meine Schwester lehnte sich gegen meinen Arm. »Richard hat uns auf sein Haus eingeladen, die beiden wollen uns die Gegend zeigen.«

»Wann immer es euch passt!«, sagte Richard nun zu uns allen, wobei sein Blick doch wieder an mir hängen blieb. »Ich bin sicher, wir werden eine Menge Spaß haben.«

Mein Magen flatterte, ich wusste nicht, warum, und Bilder der letzten Nacht zuckten mir durch die Gedanken. Meine Augen wanderten zu Iseulte, die schmunzelnd Rauch ausblies.

»Dann wohnen Sie in der Gegend?«

»Oh ja«, stimmte er zu, »Wir sind fast Nachbarn. Ihr Vater weiß, wie er mich findet, fragen Sie ihn einfach.«

Rob stand auf und schob die Hände in die Hosentaschen. »Kommen sie beide zum Derby?«

»Natürlich. Richards Pferd tritt an.« Iseulte verdrehte die Augen.

Richard grinste über sie. »Sie hasst Pferderennen, aber sie liebt die Partys.«

»Ich hasse nicht das Rennen, ich hasse nur die Tierquälerei.« Sie sah meine Schwester an, die höflich nickte.

»Dann reiten Sie?«, fragte ich Richard.

»Ja, aber nicht beim Rennen.« Er lachte und ich wusste nicht, ob er über mich lachte oder ob es einfach seine Art war. »Ich bin nur der Besitzer. Euer Vater verlor den Hengst beim Pokern.«

Ja, so etwas passte zu meinem Vater.

»Von Rennpferden haben wir noch nicht viel Ahnung«, gab Rob unumwunden zu. »Aber es ist schön, wenn wir hier schon jemanden kennen, der uns einweihen kann.«

»Ich bin sicher, sie werden sich schnell einleben«, sagte Iseulte und sah von Rob wieder zu mir.

»Das hoffen wir«, erwiderte ich höflich. »Aber leider wartet bereits unserer Fahrer.« Ich sah auffordernd meinen Bruder an, der Trinkgeld auf den Tisch legte.

»Oh macht nichts, es war schön, endlich ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte Richard provokant.

Ich blickte ihn an.

Er zwinkerte mir zu. »Ihr Vater redet seit Wochen nur davon, dass sie alle zu Besuch kommen.«

Einen Moment lang hielten sich unsere Blicke fest, er schmunzelte noch immer.

»Dann sehen wir uns hoffentlich beim Derby«, sagte Iseulte und hakte sich bei Richard unter. »Es würde mich sehr freuen, wenn sie uns etwas über London erzählen könnten. Ich war noch nie dort.«

Sie sprach nur zu mir und ich konnte plötzlich gar nicht abwarten, sie wieder zu sehen.

Wir verabschiedeten uns von ihnen und verließen das Hotel. Unsere Koffer wurden gerade in den Wagen geladen, als wir in die Sonne traten.

Vater schickte uns einen seiner Angestellten, er kam natürlich nicht selbst. Der Fahrer begrüßte uns freundlich, war ansonsten aber sehr schweigsam.

»Nettes Ehepaar«, meinte Beryl, als wir im Wagen saßen. »So erfrischend, irgendwie. Wisst ihr, was ich meine?«

Rob brummte schläfrig neben ihr. Ich saß vorne und tat so, als hätte ich sie nicht gehört, während mir der Fahrtwind durch die Haare kämmte und im Seitenspiegel die Stadt immer weiter in die Ferne rückte.

James saß zwischen Beryl und Rob und auf seiner Stirn leuchtete noch die rote Farbe voller Lippen, die mir im Kopf rumspukten.

*

Der Besitz meines Vaters befand sich in West Virginia. Wir hatten so allerlei über das Leben und die Politik dort gehört, es wurde gerade im März diesen Jahres ein neuer Gouverneur gewählt und alle waren gespannt, wie sich das Land – nicht nur West Virginia – durch die Reformen ändern sollte.

Aber ich wollte mich eigentlich nicht mehr mit Politik befassen, zumindest nicht, solange ich hier war. Während meines Studiums hatte ich mehr als genug Denken und Debattieren müssen, ich war ein vielversprechender Redner, was mir die Aufmerksamkeit einiger Parteien einbrachte, die mich für ihre Sache gewinnen wollten. Das war der zweite Grund, warum ich aus London floh. Politik war verlogen und es ging nicht um das Volk, sondern nur noch darum, den Staat zu stärken. Gerade waren heftige Debatten über Afrika im Gange, an denen ich mich nur wirklich nicht beteiligen wollte. Meines Erachtens gehörte Afrika ihren Einheimischen, so wie Amerika ihren Einheimischen hätte gehören sollen. Aber das offen auszusprechen, konnte einen Mann viel kosten, wie ich am eigenen Leib erfahren hatte.

Seitdem bevorzugte ich es, meine Meinung für mich zu behalten und die Politik einfach Politik sein zu lassen. Vielleicht sollte ich Bücher schreiben oder an der Universität lehren. Letzteres kam mir trotz des wenig verlockendem Gehaltes am Sinnvollsten vor.

Ich sah aus dem Fenster und die Landschaft ließ mich aufatmen. So viele Wälder, Felder und im Hintergrund gewaltige Berge, die so nah schienen und doch so fern waren.

Wir fuhren durch ein Tor, obwohl noch weit und breit keine Gebäuden in Sicht waren. Zäune erstreckten sich über eine Weite, die mein Auge nicht ermessen konnte. Der Himmel wirkte hier viel klarer und freier, als läge der Horizont weiter entfernt als sonst.

Zum ersten Mal begriff ich, wie weit wir von London und unserer Mutter entfernt waren, es kam mir einen Moment beinahe unwirklich vor, dann spürte ich mein Herz vor freudiger Aufregung pochen.

Ich kam nicht umhin, festzustellen, dass ich das Gefühl hatte, aufzuatmen.

Wunderschöne Pferde grasten vor der Kulisse dichter Wälder hinter den Zäunen, badeten ihre langen Beine in kleinen plätschernden Bächen, die über die Weiden flossen.

Das Privathaus meines Vaters kam hinter einer langen Auffahrt in Sicht. Ich kannte es von uralten Bildern, doch als ich es vor mir aus einem üppigen Gartengeflecht aufragen sah, war ich über seine Größe doch erstaunt. Es war eine typische Kolonialvilla, zweistöckig, mit einer weißen Veranda, die es umringte. Es wirkte frisch gestrichen und es roch nach Farbe, als wir ausstiegen. Mein Großvater hatte es bauen lassen, Achtzehnhundert-Irgendwas. Man sah noch die anliegenden Ställe, doch mein Vater hatte sie zu so etwas wie Party-Hütten im Garten umgestaltet. Die Stallanlagen mussten heute weiter draußen liegen, zumindest konnte ich kein Schnauben hören, noch Heu oder Pferde riechen. Nein, es roch nach den schweren Blumen, die um die Veranda herum gepflanzt waren und von Angestellten gerade geschnitten wurden.

Große Windhunde liefen uns entgegen und bellten James an, der sich sofort wieder in den Wagen zurückzog und den Schwanz einzog. Ich hatte ihn nicht kopieren lassen, da er nicht wie seine Geschwister Schafe hüten musste.

Beryl lachte und schimpfte liebevoll: »Du bist ja so ein Angsthase, James. Komm raus, komm raus, das sind doch bloß neue Freunde.«

Die Flügel der Tür wurden geöffnet, als der Fahrer unsere Koffer aus dem Wagen hievte, und unser Vater kam mit ausgebreiteten Armen heraus, ein strahlendes Lächeln auf den Gesicht.

»Meine Kinder!«, rief er aus, »endlich!«

Lachend kam er uns entgegen und ich ließ mich in seine Arme ziehen, während seine drei Windhunde um uns herumrannten, bellten, aber sich nicht näher trauten. Er drückte mich herzlich und klopfte mir auf den Rücken.

Er war nicht so sehr gealtert, wie ich erwartet hätte. Sein Schnurbart war dicht und schwarz, nur durch sein dunkles Kopfhaar zogen sich ein paar silberne Flüsse; und seine Koteletten waren angegraut. Ich spürte seinen erstaunlich kräftigen Köper an meinem, er roch nach Zigarren und Pomade – und einem schweren Parfüm, das nicht das seine war.

Hinter ihm folgte eine gertenschlanke Frau, die einen Haarreif in ihr kinnlanges Haar gesteckt hatte und ein Cocktailglas in der Hand hielt. Während ich ihn älter erwartet hätte, hätte ich sie jünger erwartet, doch ihr einst blondes Haar zeigte einen weißen Stich, ich erkannte den Schatten eines Damenbarts unter ihrer Nase und Krähenfüße in den Winkeln ihrer schmalen, blauen Augen. Trotzdem war sie hübsch, die Hose hing auf ihrer schmalen Taille und ihre locker sitzende Bluse umspielte ihren zierlichen Oberkörper. Sie war sehr klein und besaß ein herzliches Lächeln.

Mein Vater packte mich an den Schultern und rüttelte mich lachend. »Basil, schau dich an! Deine Mutter hat noch untertrieben, als sie sagte, das ein Mann aus dir geworden ist.«

»Du weißt also noch, wer ich bin?«

Er lachte nur wieder und klopfte mir auf die Schulter. »Aber sicher. Sicher!« Dann wandte er sich ab, denn Rob trat neben mich, und ihn umarmte er herzlich.

»Vater«, sagte Rob nur kurz angebunden und tätschelte ihm ungelenk den Arm, als sie sich losließen.

»Kräftig wie ein Ire, alle werden dich hassen«, mutmaßte mein Vater.

»Ein Umstand, den er gewöhnt ist.«

Rob stieß mir den Ellenbogen in die Rippen, sein Blick streifte die Frau, die noch im Hintergrund blieb und uns herzlich anlächelte.

Wir lächelten nicht zurück.

»Und du musst Beryl sein!« Unser Vater legte den Kopf schief und breitete wieder die Arme aus. »Komm her, meine Tochter!«

Beryls graue Augen zuckten zu Rob, dann senkte sie den Blick und lächelte schüchtern. »Vater.«

Er zog sie gut gelaunt an seine Brust und strich ihr über den Hinterkopf, dann nahm er sie an den Schultern und begutachtete sie, wie er mich begutachtet hatte. »Schau dich an! Was für eine Schönheit, du siehst aus wie deine Mutter.«

Sie errötete leicht und strich sich über die Wange, wusste offensichtlich nicht, was sie sagen sollte, und sah hilfesuchend zu uns.

Vater legte den Arm um sie und führte sie auf das Haus zu. »Charles, bring die Koffer auf die Zimmer«, trug er seinem Fahrer auf. Dann sprach er wieder zu uns, während er Beryl zur Veranda führte und wir folgten. »Ihr müsst ja völlig erledigt sein! Wie war die Nacht im Hotel? Ich kenne den Besitzer und habe ihn angewiesen, euch gut zu behandeln, wie Lords und Ladys! Hat euch das Essen geschmeckt? Möchtet Ihr etwas trinken?«

Er ließ uns nicht zu Wort kommen und für einen Moment berührte mich seine Freude. Ich fühlte mich sogar ein wenig schlecht, weil ich immer nur negativ von ihm gedacht hatte, doch wir spürten bei diesem Wiedersehen alle drei, dass er uns vermisst hatte und überglücklich war, dass wir endlich hier bei ihm waren.

Vielleicht war nicht nur die Frage, warum er lieber in den Staaten geblieben war, statt bei uns in London zu sein, sondern vielleicht war auch die Frage, warum wir lieber bei Mutter in London geblieben waren, statt bei ihm in den Staaten zu sein…

Die Frau auf der Veranda lachte über ihn. »So lass sie doch alle erst einmal ankommen! Siehst du nicht, dass du sie überforderst, mein Lieber?«

Mein Vater lachte, ließ Beryl los und beugte sich hinunter, um der Frau die Wange zu küssen. »Du hast Recht, wie immer.« Dann drehte er sich zu uns um. »Martha, das sind meine Kinder. Robert, Basil, und meine Jüngste, Beryl. Kinder, das ist Martha!«

Martha. Einfach nur Martha. Er sagte nicht, wer sie war, wie ihr Familienname lautete, ob sie die Nachbarin war, die Haushälterin. Nichts. Sie war einfach Martha und offensichtlich mehr als nur ein Gast, denn sie begrüßte uns und lud uns nach drinnen ein, als gehöre ihr das Haus und nicht uns.

Wir begrüßten sie, Beryl und ich mit kühler, aber höflicher englischer Art, Rob mit einem irischen Brummen, dann ließen wir uns nach drinnen führen, wo es nach Politur und altem Holz roch.

Drinnen setzte sich der Kolonialstil der Fassade in Verkleidung, Boden und Möbeln fort. Wir durchquerten die Villa einmal, gingen an gewundenen Treppenaufgängen und einem Salon vorbei, in dem die Fenster offenstanden und Bücher auf einem Tisch bereitlagen, und traten hinten wieder auf die Veranda, wo ein Tisch stand, auf den ein Bediensteter gerade eine Karaffe Cocktails abstellte.

»Oh ich glaube, ich hätte lieber etwas Tee«, sagte Beryl.

»Aber sicher, Liebes!« Martha drückte ihr den Arm und eilte dann dem Bediensteten nach.

Rob zog für Beryl einen Stuhl zurück, sie setzte sich. Ich blickte unserer Schwester ins Gesicht und konnte ihre Verwirrung und die Fragen in ihrer Mimik arbeiten sehen.

Mit einem zufriedenem Seufzen setzte Vater sich und ich nahm neben ihm Platz. Rob rückte seinen Stuhl neben Beryls zurecht und James verkroch sich unter dem Tisch und legte die Schnauze auf meine Füße.

»Es ist so schön, dass ihr hier seid«, sagte unser Vater, der ehrenwerte Mr. Clark.

Ich betrachtete den Garten. Es gab einen Pool, Pavillons, die Hecken waren zu Figuren geschnitten und zu einer Art Irrweg angelegt. Genug Platz für ein paar hundert Gäste.

»June wollte nicht mit?«, erkundigte sich unser Vater und kappte eine Zigarre, bevor er ein Streichholz zündete. »Sie hätte hier eine wunderschöne Hochzeit feiern können.«

»Sie ist inzwischen verheiratet«, sagte Beryl, »in New York erhielt ich einen Brief von ihr, sie bekommt bald ein Kind.«

Vater wusste nicht, dass sie schon vor der Verlobung schwanger geworden war, Beryl wusste es auch nicht, June hatte sich nur mir und Rob anvertraut, und ich erinnerte mich daran, wie wir bei einer Nacht- und Nebelaktion dem Grünschnabel, auf den sie reingefallen war, Angst gemacht hatten.

Noch immer war eine schwangere, unverheiratete Frau ein Skandal. Natürlich gab es Gerüchte, aber verheiratet war verheiratet. Und wohlhabend war er auch, zudem glaubte June, ihn zu lieben, und wir wollten ihr nicht die Illusion rauben.

Sie konnte sich immer noch scheiden lassen, wenn sie wollte.

Ich tauschte einen Blick mit Rob und ich wusste, dass er auch an diese Nacht dachte, er verkniff sich nur schwer ein Lächeln. Junes Liebhaber hatte sich in die Hose gepisst, als Rob ihn gepackt hatte, und ich ihm erklärte, warum es ihm überhaupt nichts bringen würde, uns anzuzeigen.

Am nächsten Tag hatte er June brav von zuhause abgeholt und zum Essen ausgeführt und um ihre Hand angehalten. Wir haben danach mit Champagner angestoßen und ihm brüderlich noch einmal erklärt, was wir mit ihm machen würde, wenn er ihr das Herz brach.

»Ah«, sagte Vater und klang enttäuscht. »Wie schade.« Er blickte in seinen Garten. »Dieses Haus hätte zu gerne eine Hochzeit gesehen.«

Das letzte, was ich wollte, war über Hochzeiten zu sprechen, und ich spürte schon seinen Blick im Nacken, also drehte ich mich um und brachte ihn auf andere Gedanken. »Wir haben ein paar deiner Pferde gesehen. Wunderschöne Tiere.«

Seine Brust schwoll vor Stolz an und er begann von seinen edlen Rössern zu erzählen und nannte uns Namen, die uns nichts sagten, erzählte von Hengsten, die ihm große Summen einbrachten, von Siegen, von Derbys, von tragischen Unfällen. Martha brachte Wein für Beryl und setzte sich neben unseren Vater, während er uns begeistert erzählte und seine dunklen Augen leuchteten, als spräche er von den Erfolgen seiner Söhne.

Martha ließ ihn gutmütig reden, griff zu einem Zigarettenetui und ließ sich von Vater Feuer geben, sie saß nah bei ihm und sie nahm irgendwann selbstverständlich seine Hand.