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Der Wettlauf gegen den Untergang hat begonnen… Die Erben der Häuser M`Shier und Airynn taten sich zusammen, um den Frieden zwischen ihren Familien zu wahren. Lord Maith will das Knie vor einem neuen König beugen, seine Schwester Ivex willigte der Ehe mit Kronprinz Corvis ein. Doch den Preis, den ihr Frieden verlangt, zahlen nicht sie, sondern die Liebenden Maerveth und Cybras. Getrennt durch Pflicht und Vernunft ergeben sie sich ihrem Schicksal, doch das Schicksal selbst ist ein launischer Gegner. In den Tiefen Wäldern lauert etwas Dunkles, Monster kreuzen ihren Weg und Geheimnisse kommen ans Licht, die die Grenzen zwischen Freunden und Feinden zu verwischen drohen. Und am Ende entbrennt ein Kampf um das, was sie lieben, und um das, wofür sie sterben würden… Denn nimmst du einem Drachen seinen Gefährten, so nimmt er dir deine ganze Welt.
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Seitenzahl: 1639
Veröffentlichungsjahr: 2024
Billy Remie
Mythen aus Nohva 2
Das Erbe des Krieges
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Personen Glossar
Prolog
Band 2: Gebunden
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Epilog
Impressum neobooks
Für eine kleine Auffrischung die Eckdaten
Das Haus M`Shier
Balthasar M`Shier (Balt-hasar)
Vater: Der Blutdrache (Lugrain M`Shier)
Mutter: Die Airynn-Hexe
Geschwister: Lugrain Airynn, der König- sein Halbbruder mütterlicherseits
Geschichte: Kriegsheld aus dem Dämonenkrieg; verzichtete auf die Krone, um den Norden zu erobern
Cybras M`Shier (gesprochen Zübras)
Vater: Balthasar M`Shier
Mutter: Eine reinrassige Luzianerin
Geschwister: Maith und Ivex – Halbgeschwister
Geschichte: Vermeintlicher Bastard, Balthasars Erstgeborener, im Krieg geboren und aufgewachsen, verlor Mutter und erste Liebe an die Dämonen – mehr steht in der folgenden Geschichte ;)
Maith M`Shier (Mäiff)
Vater: Balthasar M`Shier
Mutter: Balthasars 2. Frau und Lady des Toten Waldes, gestorben durch ihre Depressionen bzw Wein
Geschwister: Ivex – Schwester; und Cybras – Halbbruder.
Geschichte: Lord des Toten Waldes, verheiratet mit der Luzianerin Mimmin, die Tochter des Lords der Violetten Küste; zwei Söhne aus dieser Eher und einen Ziehsohn – ein Waise
Ivex M`Shier (Eifex)
Vater: Balthasar M`Shier
Mutter: Balthasars 2. Frau und Lady des Toten Waldes
Geschwister: Maith – Bruder; und Cybras – Halbbruder
Geschichte: Bis zum Eintreffen der Airynns eine vermeintlich alte Jungfer, unverheiratet und ein Verhältnis mit ihrer Blutdienerin, sehr ernste und kühle Frau, mag keine Männer
Das Haus Airynn
Lugrain Airynn (Lu-kräin)
Vater: Garim Airynn (Krieger und bester Freund des Blutdrachen Lugrain)
Mutter: Die Airynn-Hexe (Schwester von Garim)
Geschwister: Balthasar, sein Halbbruder (Wichtig: somit ist Balthasar zwar mit den Airynns verwandt, aber Lugrain ist nicht mit den M`Shiers verwandt!)
Geschichte: Benannt nach dem Blutdrachen, aber nicht sein Erbe (den Namen bekam er, weil sein Vater den Blutdrachen wie einen Bruder liebte und ihn dadurch ehren wollte) Inzestkind, vermählte sich mit Menschen und zeugte Mischlinge, König von Nohva, weil Balthasar ablehnte, besitzt die Gunst der Götter als „Friedesnstifter
Corvis Airynn (Wie man es liest)
Vater: Lugrain Airynn
Mutter: eine verbannte Menschenfrau
Geschwister: Fliss und Maerveth
Geschichte: Kronprinz, der um seinen Titel kämpfen muss und deshalb eine Heirat mit Ivex anstrebt, wodurch er die Zustimmung des luzianischen Adels gewinnen will
Maerveth Airynn (Märfeff alias Märf)
Vater: Lugrain Airynn
Mutter: eine verbannte Menschenfrau
Geschwister: Fliss und Corvis
Geschichte: Er ist das Juwel der Krone, Zweitgeborener, Lieblingssohn. Versuchte vor seinem Vater zu fliehen, verliebte sich dabei in Cybras, dann fanden ihn seine Brüder und er musste ihn verlassen, um ihre Leben zu beschützen. (Zuletzt reiste er mit ihnen ab und ließ Cybras zurück, ungewiss, ob sie sich wieder sehen.)
Filiph „Fliss“ Airynn (Fie-lisf)
Vater: Lugrain Airynn
Mutter: eine verbannte Menschenfrau
Geschwister: Corvis und Maerveth
Geschichte: jüngster Prinz der Airynns, etwas zwielichtig, treibt sich lieber herum, als am Hof zu residieren
Nebencharaktere
Die Blutdiener
Kallyda: Ivex` Blutdienerin, getarnt als Zofe und heimliche Affäre der Herrin Ivex
Mirmi: Blutdiener von Maith und Cybras, ehemals von Balthasar
Mimmin: Maiths luzianische Frau
Lamyhr: ein Ritter des Königs, Mensch
Bellzazar: Gefallenes Gottkind, einst Schützling des Blutdrachen, Halbdämon und Halbgott; Sarkasmus-Spezialist (magisch begabt)
Skraemd „Skrae“ (Skrämd alias Skrä): Balthasars Gefährte im Norden, Bastard des Lord Youri aus Nohva
Mythos: Balthasars weißer Drache
Sage (Wie eine Heldensage): Balthasars gelber Drache
Bahne: Anwärter und Spion der Götter
Und wer sonst noch so vorkommt (vor allem neue Gesichter) wird noch in aller Ausführlichkeit vorgestellt ;)
Was zuletzt am Ende von Band 1 geschehen ist:
Nachdem Cybras´ Entführung von Maerveth in eine starke Begierde ungeschlagen war, standen plötzlich Maerveths Brüder Corvis und Fliss auf der Türschwelle der M`Shiers und brachten noch mehr Probleme mit. Denn der König wollte nicht bloß sein Juwel zurück, er schmiedete auch Pläne, wie er das Haus M`Shier zerschlagen konnte. Doch nicht nur die M`Shiers waren durch den König in Gefahr, Maerveth erfuhr, dass sein Vater auch plante, seinen Bruder Corvis durch einen neuen Erben zu ersetzen. Um ihnen allen zu helfen, schlug Corvis eine Bündnisehe zwischen ihm und Ivex vor, damit der luzianische Adel ihnen wohlgesinnt sein würde. Desweiteren sollten Maith und Maerveth gemeinsam von Corvis zur Festung geleitet werden, um vor den Augen des gesamten Adels zu bezeugen, dass Maerveth von den M`Shiers Hilfe erhalten hatte und nicht (wie es der Wahrheit entsprach) böswillig von ihnen entführt worden war; oder ähnliches. Um dem König daran zu hindern, dem Haus M`Shier weiteren Verrat anzuhängen, wollten Maith und Ivex vor den Augen am Hofe das Knie vor dem König beugen und ihre Treue schwören, indem sie sich von Balthasar lossagten. Dabei ging es ihnen nur darum, ihr Haus und insbesondere ihre Leute zu retten.
Da Cybras seine Gefühle für Maerveth jedoch nicht verbergen konnte, mussten die beide auf unbestimmte Zeit getrennt werden. Ihre Liebe gefährdete den Frieden, denn der König würde sie nur dazu ausnutzen, Maerveth zu manipulieren. Denn um Cybras´ Leben zu schützen, hätte Maerveth alles getan, selbst wenn er mit Lügen das Haus M`Shier hätte stürzen sollen, er hätte es getan, wenn Cybras` Leben dadurch sicher gewesen wäre.
Doch bevor sie abreisen konnten, brannte jemand Unbekanntes ihre Schiffe nieder und zwang sie so, die Reise durch das Land anzutreten…
Derweil erreichte Balthasar im Norden, nachdem er über die Elkanasai einen großen Sieg errungen und ein Portal gefunden hatte, die Nachricht vom Verrat seiner Kinder…
Ich hoffe, diese kleinen Stichpunkte waren eine kleine Auffrischung, das ganze erste Buch wollte ich nicht noch einmal zusammenfassen, aber ich hoffe sehr, dass man trotzdem schnell wieder in die Geschichte hineinfindet, ich gab mir wie immer Mühe, alles Wichtige noch einmal kurz in der Story selbst zu erwähnen.
So, aber jetzt viel Freude beim Lesen :) Es ist wieder ein sehr langes Buch, ich weiß, deshalb dauerte es auch etwas länger, es zu schreiben, aber dafür ist es in sich abgeschlossen und somit ist die Reihe auch beendet.
Natürlich besteht noch Potential für mehr Geschichten, aber tut es das nicht immer? ;P
Viel Vergnügen in Nohva, meine Lieben.
Viele Grüße
Billy
1. Zeitalter nach Aufzeichnung der Kirche,
nach dem ersten Dämonenkrieg
Land des Eises
Sie kamen kurz vor dem ersten fahlen Licht des Tages, als die Schatten lang und der weiße Nebel so dicht wie Rauch waren. Wie Dämonen tauchten sie aus dem Nichts in den kalten Schwaden auf, die über das Land und durch die Wälder zogen. Geister, gesandt aus der blutrünstigsten Hölle, die man sich vorstellen konnte. Lediglich angekündigt von einem Knirschen im gefrorenen Schnee. Wenn man dies hörte, wusste man, dass es bereits zu spät war.
Der Tod war gekommen – und er brachte Feuer und scharfen Stahl.
Mit dem ersten schweren Flügelschlag kam auch die Flammenspucke über die Dächer und Mauern. Heißes Glühen vertrieb das kalte blaue Licht der einsetzenden Morgendämmung. Von dem einen auf den nächsten Augenblick wandelte sich die tiefe Stille des blutjungen Tages in Geschrei aus entsetzlicher Angst und Leid. In Rauch und das Knistern fressenden Feuers.
Brennende Leiber rannten zwischen den Gebäuden umher und suchten ihr Heil in der Flucht. Doch es gab keine Zuflucht mehr, kein Entkommen. Das Tor barst unter der Wucht einer neuartigen Maschine, der Kopf eines Drachen, geschnitzt aus einem Baumstamm, brach durch das Haupttor. Äxte fraßen sich durch das gesplitterte Holz und die Dämonen drängten siegesheischend in den Hof. Am Himmel brüllten und spien gezähmte Drachen, Feuer explodierten auf den Wällen, Soldaten wurden erfasst und zu Asche verwandelt oder zu Boden geschleudert.
Innerhalb weniger Herzschläge stand alles in Brand, Flammen schlugen nach allem und jedem. Der Rauch vermischte sich mit dem dichten Nebel, der Geruch von Feuer und Blut hing in der Luft.
Magier reihten sich auf den intakten Mauern auf und beschworen gleisende Geschosse und magische Schilde. Das hoffnungsvolle Knistern der vertrauten Zauber erweckte den Kampfgeist der Soldaten.
Bis die Magie an den Drachen und an den runden Schilden der Dämonen abprallten und die erschrockenen Magier von den Klauen der Drachen von den Wällen gefegt wurden, wie Strohpuppen, die vom Sturm davongetragen wurden.
Der einzige Grund, warum Sliding an jenem Tag nicht mit seinen Magierkameraden starb, verdankte er seinem großen Durst auf Wein. Und einer hübschen Sklavin, die ihm schöne Augen gemacht hatte.
Als die Heiden den Wall angriffen, lag er nicht in seinem Bett in der Kaserne neben seinen Brüdern, sondern schlief seinen Rausch auf einem Paar nackter Titten unter einer Decke im Stroh hinter dem Weinlager des Feldherrn aus. Er erwachte erst, als er den Lärm hörte und sein weiches Bett anfing zu schreien und ihn von sich zu stoßen.
Die Kleine rannte halbnackt und besinnungslos vor Angst aus dem Lagerraum, der sich mit Rauch gefüllt hatte, und direkt in ihr Verderben, bevor Sliding auch nur blinzeln konnte. In dem einem Moment lag er noch unter der stickigen Decke, im Nächsten blendete ihn heißes Licht, als sie aus der Tür rannte und etwas von Dämonen rief.
Es war ein Soldat der eigenen Reihen, der sie aus dem Weg stieß – direkt in den heißen Strahl eines Drachen.
Sie starben beide.
Sliding blinzelte so lange, bis er begriff, dass er nicht träumte. Eilig rappelte er sich auf, zog sich stolpernd seine Robe über und hastete verwirrt zur Tür.
Er sah nur Rauch und Flammen, kämpfende Schemen in den Schwaden. Kopfschüttelnd wankte er in das Chaos, spürte die Magie knistern und drehte sich um, um zuzusehen, wie seine Kameraden von einem Drachen niedergemäht wurden.
Erst in diesem Augenblick drang die Wahrhaftigkeit des Angriffes zu ihm durch – und doch war er zu gelähmt, um etwas Sinnvolles zu tun. Sein Blick schweifte umher, die Hitze der Flammen griff nach ihm, der Rauch kratzte in seinem Rachen, das Geschrei und Gebrüll machte ihn taub für den eigenen schweren Atem.
Wochenlang wurden sie gewarnt, wochenlang darauf vorbereitet, dass die Heiden kommen würden. Wochenlang hatten sie über die Garnisonen gelacht, die von einer Handvoll Ungläubiger übermannt worden waren. Sie hatten die verspottet, die an die Geschichten von Dämonen und Drachen glaubten, die über sie kommen würden.
Und plötzlich stand er mitten in diesem Alptraum und spürte, wie ihm beim Anblick des riesigen Drachen des Erben die warme Pisse am Bein hinabrann.
Er stolperte rückwärts, als sich die Flügel im Rauch ausbreiteten und direkt auf ihn zuzukommen schienen. Nicht einmal ein Wimmern drang aus seiner Kehle, als seine Knie nachgaben und er in den vom geschmolzenen Schnee aufgeweichten Boden krachte. Der Luftzug des Drachen, der über ihn hinwegsegelte, riss ihm fast die Robe vom Leib und peitschte ihm das strohblonde Haar um die spitzen Ohren.
Und dann sah er ihn. Den Erben, den Eroberer, den Ungläubigen. Er stand inmitten der Zerstörung, in Rauch und umgeben von hellglühenden Funken, die grünen Augen leuchteten bedrohlicher als die Flammen um ihn herum. Das schwarze Haar wie flüssiges Pech, in dem sich das Chaos spiegelte. Zufriedenheit im Blick, das dämonische Schwert gezogen, der Zeigefinger streichelte das Lied des blinzelnden Auges. Der andere Arm hielt einen runden Schild, mit Silber und Runen verziert. Eine Erscheinung, erhaben, bedrohlich und hungrig auf Blut.
Tapfere Elkanasai stürmten auf ihn zu, doch der Ungläubige duckte sich unter dem ersten geführten Hieb hindurch und fegte dem Angreifer mit dem Schild die Beine weg, drehte sich einmal und schlitzte dabei die anderen beiden auf, während Pfeile den Elkanasai spickten, der zu Boden gegangen war.
Der Ungläubige stieg einfach über die Leichen und gab das Zeichen, weiter vorzudringen. Der Heide neben ihm war groß wie ein Baum und stark wie ein Ochse, er warf zwei Äxte auf einen Elkanasai und riss sie heraus, bevor der Sterbende auf dem Boden aufkam. Pfeile und Schwerter, die die Heiden trafen, schienen diese kaum zu kümmern, obwohl sie nur in Leder und Stoff gehüllt waren. Nichts schien sie aufhalten zu können.
Sliding kniete noch immer wie erstarrt in seiner eigenen Pisse, unfähig, sich zu konzentrieren und einen Zauber zu wirken, er konnte ja nicht einmal seine eigene Blase kontrollieren.
Die Heiden kamen mit Drachen, mit Trollen, mit Feen, mit Raben, Wölfen und Pferden ohne Zaumzeug und Sättel über sie, als ob sie Gesandte dieses besetzten Landes waren.
Als ob die Natur sich mit ihnen verbrüdert hätte, dachte Sliding.
»Haltet ihn auf!«, brüllten die Elkanasai. Der Feldherr tauchte im Rauch auf und brüllte Befehle, die Federn an seinem Hut standen im Flammen, aber er nahm ihn nicht ab. Er schwenkte seinen bronzenen Speer, um die restlichen Soldaten zu sammeln. »Er darf den Wall nicht einnehmen!«
Zu spät, dachte Sliding.
»Schließt euch zusammen! Haltet stand!« Ihr Feldheer winkte zu den Käfigen. »Lasst die Bestien frei! Lasst sie frei!«
Der Ungläubige kam unaufhaltsam näher und mit ihm seine Flut aus Kämpfern. Die Elkanasai, die der Feldherr zu sich rief, schafften es nicht, sich zu formieren. Trolle fegten mit ihren Keulen durch sie, Flammen stießen aus dem Himmel herab, Pferde trampelten sie nieder.
Trommeln erhob sich über das Geschrei der Schlacht und das schrille Gebrüll der eingesperrten Pferde. Die Kriegshunde bellten in ihren brennenden Käfigen, die Hundemeister lagen niedergestreckt verstreut im Hof. Der Eisbär warf sich gegen seinen Zwinger.
Fluchend wirbelte der Fledherr herum und rannte auf die Käfige zu, während der Ungläubige ihm gemächlich auf den Fersen war.
Sliding stand auf, wusste nicht, warum sich seine Beine plötzlich entschlossen, ihm zu gehorchen. Doch statt wegzulaufen – oder es zumindest zu versuchen – wich er bloß vor dem Ungläubigen und den Kriegern zurück, die nur ein Ziel hatten: den Feldherrn der Elkanasai.
Die wenigen, die sich ihnen noch in den Weg stellten, streckten sie ohne weiteres nieder. Fünf Drachen landeten auf den zerstörten Wällen und schnatterten zufrieden. Aus einigen ragten Pfeile wie Dornen, die sie nicht umgebracht hatten.
Der Feldherr riss sich den brennenden Hut vom Kopf und warf sich auf den Verschluss des Käfigs, gegen dessen Gitter der eingefangene Eisbär aufbegehrte. Sliding erinnerte sich daran, wie viele Männer zum Vergnügen gegen diesen absurd riesigen Bären gekämpft hatten. Zahlreiche Narben zierten das wütende Tier, es war wahnsinnig geworden durch die Kämpfe.
Der Feldherr riss immer panischer an dem Mechanismus des Käfigs und warf Blicke hinter sich, wo die Ungläubigen sich zu ihm vorkämpften.
Sliding hatte noch den Gedanken, sich auf ein Dach zu retten, aber alle Dächer brannten und er war bereits so weit zurückgewichen, dass die Flammen schon nach ihm griffen wie die Hände hungriger Waisenkinder in den Straßen der großen Hauptstadt Elkanasais.
Der Feldherr bleckte die Zähne, Schmutz klebte in seinem Gesicht, als endlich die Tür des Käfigs aufsprang. Der Eisbär warf sich gerade dagegen und schleuderte den Elkanasai gegen die Gitter der bellenden Kriegshunde, die sofort nach ihm schnappten, aber ihn nicht erreichten.
Brüllend, dass der zähe Speichel nur so spritzte, stürmte der Eisbär aus dem Käfig, kannte weder Freund noch Feind. Wobei für ihn jedes auf zwei Beinen aufrechtgehende Wesen einen Feind darstellen sollte. Entsprechend hemmungslos schlug er sogleich zwei Elkanasai mit den Tatzen aus dem Weg und brüllte erneut seinen Zorn heraus.
Selbst die Trolle und Wölfe, sowie die Heiden hielten inne, wichen ein Stück zurück. Alle, bis auf einer.
Der Ungläubige sah den Bären ungerührt an. Das brachte das weiße Monster noch mehr auf, es nahm Anlauf und stürzte sich auf den Mann, der durch seine bloße Haltung alles und jeden zu bedrohen schien.
Sliding sah dem Bären mit angehaltenem Atem nach, sein großer Körper versperrte die Sicht auf den Ungläubigen. Er galoppierte auf den Zweibeiner zu und bäumte sich vor ihm auf, um sich mit den vorderen Pranken auf ihn zu werfen.
Sein ganzes Fell und die dicke Haut darunter warfen Wellen, als dieses massige Tier wieder aufschlug. Doch statt wie erwartet den Kopf wild hin und her zu reißen und den Körper des Ungläubigen auf dem Boden in Stücke zu zerfetzen, trat der Bär zur die Seite.
Da sah Sliding, dass der Ungläubige seine Hand auf der Stirn des Monstrums liegen hatte, und das einstige Monster ihn gewähren ließ, wie ein gebannter Dämon. Das Tier schüttelte sein weißes, vernarbtes Fell und schnaubte, als erwachte es gerade aus einem unschönen Traum.
Die Krieger begangen mit den Äxten auf ihre Schilde zu trommeln und einer der Drachen – der Größte – breitete die Flügel aus und brüllte.
Der Ungläubige drehte sich um und ließ die Hand von dem Bären fallen, sein grünäugiger Blick fluorisierte, als er sich auf den Feldherrn richtete, der blass vor Entsetzen war.
Als der Ungläubige auf ihn zutrat, hob er den Speer, griff aber nicht an. Er wartete, wie er immer wartete, doch zum ersten Mal sah Sliding Angst in den Augen eines Mannes, der normalerweise Angst in die Gesichter seiner Untergebenen zauberte.
Der Kampf dauerte genau drei Streiche lang an, mehr brauchte der Ungläubige nicht, um den Elkanasai auf die Knie zu bringen und ihm den Kopf abzuschlagen.
Sliding blickte dem abgetrennten Haupt nach, als es im hohen Bogen durch die Luft flog, und das Bild der Flammen, die sich in einer Pfütze spiegelten, zerstörte, als es im Matsch landete.
So schnell fallen die Großen, dachte Sliding.
Und plötzlich war er der einzig noch stehende Elkanasai, der den Nordwall schützte. Und er konnte sich noch immer nicht bewegen. Als er aufblickte, schienen die Augen aller Kreaturen allein auf ihm zu liegen. Zuvor gänzlich unbedacht, war er nun Mittelpunkt des Geschehens, als der Ungläubige mit seinem mattschwarzen Schwert auf ihn zukam. Ein Schwert mit einem Auge, das ihm direkt in die Seele zu blicken schien.
Sliding wich nicht zurück, als Balthasar, Erbe des Blutdrachen, Herr der Drachen, auf ihn zukam – er ließ sich mit den Knien wieder in den Matsch fallen und starrte kalkweiß hinauf in die grünen Augen. Er zitterte, zu mehr war er nicht fähig.
»Und du willst nicht fliehen, kleiner Sklave?«, fragte die rauchige Stimme mit einer Spur Hohn und legte ihm die Spitze der schwarzen Klinge auf das runenverzierte Halsband. Der eiskalte Stahl kratzte über Slidings Sklavenband und das Silber schien unter der Berührung zu gefrieren.
Er versuchte zu schlucken. »Nein«, brachte er so leise hervor, dass das Knistern des Feuers, das sich an den Überresten der Befestigungen gütlich tat, seine Stimme verschluckte.
Der Ungläubige verengte die Augen und legte den Kopf neugierig schief. »Und wieso nicht?«
Slidings Herz zerbarst beinahe, seine Stimme war schwach. »Weil ich ein Magier bin und klug genug, um zu wissen, wann ich vor einem Gott stehe.«
Ein schiefes Schmunzeln trat auf die scharfkantigen Züge des Eroberers. »Was für ein Glück für dich, dass ich auf der Suche nach einem Magier bin.« Er ging in die Hocke und blickte Sliding in die Augen. »Aber wehe dir, Spitzohr, du enttäuschst mich.«
Sie konnten uns verachten,
sie konnten uns verwünschen
und aus ihrem Reich verbannen.
Aber sie vermögen es nicht,
unsere Liebe zu ersticken.
Und so gebe ich mein Blut und meine Seele
gemeinsam mit deinem Blut und deiner Seele
in ein gläsernes Gefäß,
auf dass wir als freie Männer widerkehren,
und uns im nächsten Leben genauso lieben.
Allen Widerständen zum Trotz.
Jemand war in seiner kurzen Abwesenheit in seine Höhle gekommen. Er konnte es ebenso riechen wie er es spüren konnte. Seine Nackenhaare stellten sich plötzlich auf und das Aroma reiner Luft schlug ihm ins Gesicht, als er sich unter dem schmalen Durchgang durchbückte. Der Duft übertünchte den wunderbaren Geruch der rauchgeschwängerten Feuer, die dabei waren, all die nutzlosen Aufzeichnungen der letzten Jahre zu zerfressen, die er in einem Anfall unbändiger Wut in die Glut befördert hatte.
Sein ungebetener Besucher stand mit einer beinahe naiven Vertrauenswürdigkeit mit dem Rücken zu ihm an der gegenüberliegenden Höhlenwand und goss aus einem tönernen Krug blutroten Wein in zwei Tonbecher. »Dein Lieblingswein, aus den Kellern des Königs«, sagte der Mann mit einer absurd melodischen Stimme, die wie der Gesang junger Burschen klang, bevor sie in den Stimmbruch kamen. Eine Stimme von den Göttern verliehen für einen vielversprechenden Anwärter.
Bellzazar blieb stehen, die drei Steintafeln, die er aus der unterirdischen Ruinenstadt der Elkanasai entwendet hatte, drückte er fest an seine Brust. »Ich kotze.«
Bahne drehte sich um und das Feuer gab seine Sommersprossen preis, die die Götter wohl noch nicht korrigiert hatten, obwohl er sie so sehr hasste. »Ich dachte, du magst Wein.«
»Oh ich liebe Wein, es ist eher dein Geruch. Und dein Gesicht. Und überhaupt, einfach du, was mir Übelkeit bereitet.«
Bahne zeigte ein leichtes Lächeln, das all seine Arroganz ausdrückte und davon zeugte, wie viel höher gestellt er sich über Bellzazar sah. »Lass uns diese Unterhaltung doch angenehm gestalten, du musst doch nicht immer einen Feind in allem und jedem sehen.«
»Bahne«, betonte Bellzazar und ging mit den Tafeln hinüber zu seiner Bettstatt, »deine Gesellschaft ist so angenehm wie Brennnesseln auf der Haut.«
Im Augenwinkel konnte er sehen, wie der unerwünschte Gast die vollen Lippen zu einem dünnen und verkniffenen Strich zusammenzog. »Pass auf, was du sagt, du bist nicht mehr als ein Gefallener, während ich auf einem guten Weg bin, ein Gott zu werden. Und wenn du klug wärst, würdest du dir meine Gunst verdienen, du aufmüpfiger Knirps.« Er grinste triumphal. »Vielleicht helfe ich dir dann, dich im Reich der Götter wieder mit deinem Blutdrachen zu vereinen.«
Er wusste genau, wo Bellzazars wunder Punkt lag, und er wusste, dass die Götter ihn an diesem Ort nicht beobachten konnten, da Bellzazar sich abschirmte.
Und Bellzazar wäre wohl kaum der, der er war, hätte er sich wegen ein paar spitzen Worten erschüttert gezeigt.
»Nenn mich nicht Knirps, nur weil ich nicht so schnell altere wie du, Halbsterblicher.« Und das war wiederrum Bahnes wunder Punkt. Als Bellzazar sich zu ihm umdrehte, waren die Lippen noch schmäler und die Nasenlöcher gebläht. »Und dass du älter wirkst, obwohl ich lange vor dir existierte, liegt einzig und allein an der unumstößlichen Tatsache, dass du eben noch kein Gott bist und es noch in den Sternen steht, ob du je zu einem aufsteigst.«
Bahne sagte nichts.
»Du bringst mir Wein«, führte Bellzazar gelangweilt aus und warf sich gemächlich auf die Felle, »und du hast deinen Schwanz noch nicht rausgeholt, um zu beweisen, dass du weiter pissen kannst als ich. Also gehe ich davon aus, dass du gekommen bist, weil du etwas von mir brauchst.«
Demonstrativ griff er zu einer der Steintafeln und begann, die Sprache und die Schrift der alten Elkanasai zu studieren, in der Hoffnung, endlich einen Zauber zu finden, der fähig war, einen Unsterblichen zu töten, der sich nur danach sehnte, bei den Seelen zu verweilen, die die sterbliche Welt bereits verlassen hatten.
Alles, was er noch begehrte, war das Wiedersehen mit Lugrain. Dem ersten und einzigwahren Lugrain, der sein Leben für diese Welt geopfert hatte, um das Tor der Unterwelt zu schließen und die Dämonen zu verbannen. Lugrain, der einzige Sterbliche, der es gewagt hatte, einen von den Göttern verstoßenen Jungen aufzunehmen und wie einen Bruder zu behandeln. Lugrain, der Bellzazars ganze Welt gewesen war.
Aber das war eine vergangene Geschichte und nun zählte nur noch die Zukunft. Eine Zukunft, die ihm hoffentlich den Tod brächte. Einen anhaltenden Tod.
Bahne schlich um das Feuer herum, er hatte den Wein stehen lassen und knetete seine Hände, als sei er ein wenig nervös.
Darüber schmunzelte Bellzazar schief und genoss den Hauch von Unsicherheit, der plötzlich in der Luft hing.
»Es geht um Balthasar, den Erben des Blutdrachen«, gestand er schließlich und blieb hinter dem Feuer stehen.
Bellzazar lachte trocken auf, nahm jedoch nicht den Blick von der Steintafel. »Ich glaube, ich entsinne mich. Vage.«
Bahne ließ die Schultern hängen. »Du standest seinem Vater Lugrain sehr nahe.«
»Kann man so sagen, immerhin machte ich ihn zum Blutdrachen«, erinnerte er Bahne stolz und rieb ihm seine Macht unter die Nase.
»Ohne zu wissen, was du damit anrichtest«, hielt dieser ihm vor, »ohne zu wissen, dass er diese Magie an seine Nachfahren vererben kann! Blutdrachen sind zu mächtig, in ihnen weilt die Seele von Drachenältesten, und ihre pure Macht bedroht das normale Leben!«
»Nun, die Götter schienen damit kein Problem zu haben, als sie Lugrain als Werkzeug in ihrem Krieg gegen die Dämonen benutzten.« Bellzazar schnaubte. »Ist das Neid, der in deinen Augen funkelt, Halbsterblicher, weil dir nicht so eine Macht zu eigen ist?«
»Du bist nichts weiter als der Emporkömmling eines Dämonenfürsten und einer Hure von einer Göttin«, giftete Bahne, »und die Götter verbannten dich zurecht für alle Zeit aus ihrem Reich.«
»Sie verbannten mich und bestraften mich mit der Unsterblichkeit, bevor ich meine Magie einsetzte, allein meiner Existenz wegen«, wandte er überheblich ein. »Wer will schon einen Halbdämon in seinen Reihen, ich verstehe schon. Aber für jemanden, der etwas von mir erbitten möchte, bist du wirklich unhöflich.«
Bahne erinnerte sich, dass er etwas von Bellzazar brauchte und zwang mit sichtlicher Mühe seine Arroganz zurück, um betont liebreizend zu blinzeln. »Wir sind beide Halbgötter«, lenkte er ein, »jeder von uns trägt eine Schande in sich herum, die er gerne tilgen würde, also sollten wir vor den Hehren zusammenhalten. Und uns gegenseitig helfen.«
Bellzazar schnaubte abschätzig, er glaubte dieser Heuchelei keinen Herzschlang lang und wandte sich wieder seiner Tafel zu.
»Balthasar nennt dich einen Onkel.« Bahne breitete die Hände in flehender Geste aus. »Er schätzt dich und er vertraut dir. Du kennst ihn, als wäre er dein eigenes Fleisch und Blut. Sicherleich bist du der einzige Mann, dem er seine Pläne anvertrauen würde.«
»Das ist korrekt und gleichzeitig nicht wahr, denn jemand wie Balthasar M`Shier behält sich das Recht vor, seine Pläne niemandem zu verraten. Und täte er es doch, dann verriete er sie wohl kaum jemandem, der sie dir einfach so offenbaren würde.« Er sah kurz auf. »Nicht mal dann, würdest du mir anbieten, mir einen Monatelang den Arsch mit deiner heuchlerischen Zunge zu putzen.«
»Er bedroht den Frieden, Zazar.« Bahnes Stimme klang so, als ob das Bellzazar interessieren sollte. »Du weißt, dass die Götter keinen Krieg zulassen werden, es ist also auch in deinem Interesse, mir zu helfen, ihn aufzuhalten, bevor er etwas Unverzeihliches wagt.«
»Er ist im Norden und ich dachte, sie wollten, dass er auch weiterhin dort bleibt«, wandte Bellzazar gelangweilt ein. »Aber wenn die Götter wirklich Anstoß an ihm nehmen, warum schicken sie dann dich zu mir, statt ihn ihren Zorn spüren zu lassen, dass er es mit der Angst zu tun bekommt?«
Bahne schwieg unbehaglich.
Bellzazar schielte zu ihm auf und forschte in seinem verkniffenen Gesicht. »Es sei denn», sagte er mit wachsendem Amüsement, »es ist ihm gelungen, sich ihrem Einfluss zu entziehen.«
»Wir ließen die Elkanasai über ihn kommen«, berichtete Bahne ihm düster und sah ihn über das Feuer hinweg in die Augen. »Er überlebte den Schlag und kam erstarkt daraus hervor. Er hat seine Seele an den Flüsternden Thron gebunden und sie so dem Reich der Götter entzogen. Und gleiches tat er mit dem Blut seines Drachen. Mythos. Wir können nur spekulieren, mit welchen Zaubern er noch experimentierte, doch wir spürten eine uralte und ursprüngliche Präsenz, die ihn… schütz.«
Neugierig lauschte Bellzazar den Worten, ließ sie regelrecht im Kopf zergehen. »Etwas Ursprüngliches. Deshalb hatten die Götter nicht gewollt, dass er den Norden erobert, sie hatten dort noch nicht alles von den Ursprünglichen gesäubert«, erkannte er für sich selbst. »Und jetzt soll er dortbleiben, damit die Gläubigen in Nohva nichts von dieser Macht mitbekommen.«
Das Ursprüngliche war alles, was nicht sterblich war und vor der Ankunft der Götter diese Welt bewohnt hatte. Um die Welt zu säubern und ihre eigenen Schöpfungen zu schützen, erschuf man die Unterwelt, um alles Ursprüngliche dorthin zu verbannen, damit Licht über eine dunkle Welt kam.
Doch im Norden gab es wenig Licht, nur Dunkelheit und Kälte. Und etwas, das wohl zu stark gewesen war, um es wie die anderen Kreaturen in die Unterwelt zu verbannen.
Bellzazars Verstand begann zu rasen. »Wie überaus faszinierend.«
»Er hat sich von den Göttern abgewandt, Bellzazar«, berichtete Bahne, »und seine Anhänger ebenso. Der Glaube ist erschüttert und die Götter spüren es wie tiefe Wunden.«
Weil der Glaube der Sterblichen das Lebenselixier der Götter war. Jeder Sterbliche, der den Glauben an einen Gott verlor, riss eine klaffende Wunde.
Bellzazar sah Bahne an. »Inwiefern sollte mich das kümmern? Balthasar hat sich befreit und muss nicht wie sein Vater für die Götter sterben. Ich sehe das als Gewinn für sein Haus.« Und Balthasars Seele würde frei sein.
»Auch du entstammst den Göttern«, appellierte Bahne an sein Ehrgefühl, »und ich weiß, dass du zumindest unseren Schöpfer liebst und ihn niemals enttäuschen willst. Denn ohne ihn, siehst du deinen Blutdrachen nie wieder.«
Der dunkle Hass in Bellzazars Herz fraß sich aus ihm heraus, als er Bahne finster ansah.
»Die Götter haben die Airynns erwählt, über das heilige Reich Nohva zu herrschen und das Tor zur Unterwelt zu bewachen, und sie erwarten von dir, dass du deine Loyalität beweist und ihr Werkzeug hier in der sterblichen Welt bist.«
Noch immer starrte Bellzazar ihn an, als wollte er ihm das Herz rausreißen. »Wenn sie verlangen, dass ich Lugrains wahren Erben töte, dann sollen sie mich noch zehnmal härter bestrafen.« Er stand auf und drehte ihm den Rücken zu. »Ich töte niemanden, durch dessen Adern sein Blut fließt.«
»Sie sind nicht grausam, Zazar.« Bahne klang mit einem Mal beinahe sanft, fast entschuldigend.
Bellzazar wollte auflachen. Seit er existierte, waren die Götter grausam.
»Sie wollen bloß deine Hilfe, dein Wissen«, führte Bahne aus.
»Sie können alles haben, was sie wollen«, unterbrach Bellzazar ihn, »sie wissen, was ich als einziges begehre und nur sie sind in der Lage, es mir zu gewähren. Sie müssen es mir nur geben.«
»Wenn sie dir den Tod gewährend, bist du nutzlos.«
Bellzazar starrte die Höhlenwand an und spürte, wie ihm ein frustriertes Brüllen in die Kehle stieg, dass er jedoch runterschluckte. Natürlich brauchten sie ihre Werkzeuge auf Erden – und mehr als das war er nicht.
Bahne spürte, dass die Luft in der Höhle kälter und die Schatten dichter wurden, womit der Zeitpunkt für ihn gekommen war, zu gehen. Er bewegte sich in Richtung Ausgang, während er sprach. »Sie sind gewillt, dir mehr Vertrauen zu schenken, obwohl du zur Hälfte ein Dämon bist, wenn du ihnen mit Balthasar hilfst.« Er blieb stehen und seine Hoffnung auf Erwiderung hing schwer im Raum.
Doch er hoffte vergeblich, Bellzazar blieb stur und schwieg.
»Balthasar offenbarte mir, dass es einen Verräter gibt, der längst unter uns in Nohva weilt«, erklärte Bahne seinem Rücken. »Die Götter glauben, dass du weißt, wer es ist, und bitten dich nur darum, ihn zu offenbaren.«
Bellzazar runzelte die Stirn, drehte sich aber nicht um.
»Wenn du mehr Gott als Dämon bist, dann bist du auf der Seite des Lebens und des Friedens, Zazar, und handelst in deren Sinne. Denk darüber nach.«
Damit zog er sich die Kapuze über und ging.
Noch immer mit gerunzelter Stirn tasteten Bellzazars schwarze Augen die schimmernde Höhlenwand ab. Er drehte sich zum Ausgang um, aber nicht um Bahne aufzuhalten, sondern um sicher zu gehen, dass er fort war.
»Einen Verräter?«, flüsterte er der verlassenen Höhle zu. »Verräter…« Das Wort rüttelte an seinen Erinnerungen, die in den letzten Jahren eingerostet waren, weil er seinen Kopf nur dazu nutzte, einen Ausweg aus der Unsterblichkeit zu finden. Aber dieses eine Wort ließ eine Glocke in ihm bimmeln. Und er musste nicht lange in seinem Kopf wühlen, bis sich zu dem Gefühl der Gänsehaut auch eine Erinnerung gesellte.
»Balt«, sagte er kopfschüttelnd, »du grausamer Sohn einer Hure…«
Seit Wochen reisten sie nun schon durch die Tiefen Wälder, vom Toten Wald in Richtung Schwarzfelsgebirge. Von Norden nach Süden, um von dort auf einer halbwegs sicheren Route über die Bergpässe zurück zur Festung des Königs zu gelangen.
Es fühlte sich an, als wären sie schon Jahre unterwegs, dabei hatten sie den Wald noch nicht verlassen. Und das nicht nur, weil sie mit all dem Gefolge aus Rittern und dem ständigen Auf- und Abbauen der Zelte langsam vorankamen, nicht nur weil es in diesen Gebieten noch immer kaum Straßen gab, nicht einmal Trampelpfade, die breit genug für einen einzelnen Reiter gewesen wären, und auch nicht nur weil der schicke und schwarze Wagen, den sie mit sich führten, ständig stecken blieb, und auch nicht einmal wegen der ständigen Kämpfe gegen Räuberbanden und Bestien.
Nein, das war nicht einmal der Grund, weshalb sich diese Reise hinzog und doch viel zu schnell vorüberging. Maerveth fühlte sich wie ein Schwein, das an einem Strick zur Schlachtbank gezogen wurde, gleichzeitig erschien ihm jeder Augenblick, den er atmete, als wäre er schon Jahrzehnte von dem einzigen getrennt, wonach er sich wirklich sehnte.
Cybras` warme Berührung.
Verdammt, oder sei es nur seine undurchdringlich harte Miene. Er hätte selbst den unnahbaren, diskrepanten Mistkerl genommen, der ihn vor einer gefühlten Ewigkeit in sein buchstäblich verfluchtes Gemach eingesperrt hatte, um ihm seinem Vater auszuliefern. Womit er ihm auch versehentlich zur Zielscheibe seines eifersüchtigen ehemaligen Gefährten gemacht hatte, der Cybras schon seit Jahren als Geist heimsuchte. Selbst Nerwitt hätte Maerveth in Kauf genommen.
Alles war besser, als ohne ihn zu sein. Selbst wenn man meistens gar nicht wusste, woran man bei ihm war.
Bis zuletzt, dachte Maerveth sehnsüchtig und rollte sich von der Seite auf den Rücken, um die langen Schatten an der Zeltdecke anzustarren, die von einer schwachflimmernden Kerze auf die Planen geworfen wurden. Noch immer flatterte sein Herz, wenn er an ihre letzte Nacht dachte. Oder an ihre erste. Es war gleich, wann immer sie aufhörten zu reden und sich nur küssten und liebten, wusste Maerveth sehr genau, woran er bei Cybras war. Denn Cybras zeigte es mit jeder zärtlichen Berührung, jedem warmen Blick, jedem dunklen Laut, sobald sie verschmolzen wie zwei Seiten einer Münze.
Er hat sich an mich gebunden, dachte Maerveth und biss sich auf die Lippe, bis seine Fänge tiefe Kerben darin hinterließen. Gebunden. An ihn. Der Bastard des Verräters, sein gezüchteter Soldat, sein loyalster Diener. Balthasars Sohn, hatte sich an ihn, Maerveth, Zweitgeborener Sohn des Königs, gebunden.
Wie tragisch für ihn, dass er dieses Begehren mit gleicher Inbrunst erwiderte und sie beide so sehr außer Stande waren, es vor anderen zu verheimlichen, weil Mächte am Werk waren, die über jede Vernunft siegten, dass man sie unter allen Umständen trennen musste, damit man aus ihrer Liebe keinen Strick drehen konnte, der sich auch um die Hälse ihrer Geschwister legen würde.
Bei Männern zu liegen war eine Sünde, aber davon abgesehen standen die M`Shiers immer noch unter dem Verdacht des Hochverrats. Es wäre dem König ein Leichtes, dem Bastard seines Feindes vorzuwerfen, er habe seinen Lieblingssohn geschändet. Und Maerveth kannte seinen Vater gut genug, um ihm zuzutrauen, dass er seine Liebe zu Cybras ausnutzen würde, um diesen und seine Familie ihrer Burg und Titel zu berauben, damit er sie an loyale Verbündete verpachten konnte. Er würde ihm anbieten, Cybras` Leben zu verschonen, wenn er hingegen für seinen Vater log. Auf ähnliche Weise war der König Maerveths Liebhaber immer losgeworden.
Entweder, du sagst, er habe gestohlen und muss unehrenhaft aus dem Dienst der Krone entlassen werden, oder ich sorge dafür, dass er seinen Kopf verliert. Deine Entscheidung, mein kleines Juwel, deine eigene Entscheidung.
Was hätte Maerveth denn tun sollen, sein Wort gegen das Wort des Königs, der von den Göttern gesegnet war, war so viel wert wie Fliegenscheiße.
Bei Cybras war alles nur noch schlimmer, weil Cybras und seine Halbgeschwister die Kinder von Balthasar waren. Einem Mann, dem vorgeworfenen wurde, dem König Meuchler geschickt zu haben. Ein Hochverräter. Ob Balthasar nun schuldig war oder nicht, spielte dabei keine Rolle mehr, selbst wenn alles nur eine Lüge des Königs war, offensichtlich wollte Maerveths Vater die M`Shiers loswerden.
Und deshalb waren sie nun auf dem Weg nach Hause. Mit Lord Maith M`Shier und seiner Schwester Ivex, die den Kronprinzen heiraten sollte. Maerveths Bruder Corvis setzte alles daran, die M`Shiers – und sich selbst – zu retten. Also wollte er ihrer beider zerstrittenen Häuser vereinigen, seine eigene Macht vor dem eigenen Vater stärker, während Lord Maith, um sein Haus zu retten vor den Airynns knien und seine Treue schwören würde.
Und Maerveth war, wie so oft, ein Mittel zum Zweck. Der Lieblingssohn, der aus seinem Käfig ausgebrochen war und netterweise wohlbehütet von seinen Brüdern und den M`Shiers zu seinem goldenen Gefängnis zurück eskortiert wurde.
Ja, es fühlte sich an wie der Weg zum eigenen Grab. Seine einzigen Optionen waren ein Zimmer im Turm, aus dem er nie wieder hinauskäme, wo sein einziger Besuch sein von ihm besessener Vater wäre, der ihm die Haare kämmen wollte wie einer Puppe, - oder der Eintritt in die menschliche Kirche und ein strenges Zölibat, das natürlich ständig überwacht wurde, da man in einem verdammten Tempel mit fünfzig weiteren Enthaltsamen zusammen in einem Raum schlief.
Letztlich war es egal, ob er in den Fängen des besessenen Vaters oder der fantastischen Kirche steckte, sein Herz war bei Cybras zurückgeblieben und mit ihm seine Fähigkeit, Glück zu empfinden.
Er war nicht einmal traurig, er war nicht wütend, er resignierte.
Aber schlafen konnte er trotzdem nicht, er wälzte sich jede Nacht lediglich umher, dämmert ein bis drei Stunden und stand dann vor dem ersten Licht des Tages auf, um Trost bei seinem neuen Pferd zu finden. Dem schneeweißen Wüstenrenner, den Lord Maith ihm geschenkt hatte.
Auch in dieser Nacht schälte er sich aus dem Bett und wickelte sich in einen schwarzen Morgenrock, bevor er das Zelt verließ. Der Wind war frischer unter dem klaren Sternenhimmel, die Luft kalt wie in jeder grellen Vollmondnacht, doch der Sommer hatte sich noch nicht gänzlich verabschiedet.
Maerveth hörte das Schnarchen einiger Wachen, das sich mit dem Knurren und Rascheln aus dem dunklen Wald vermischte.
Je tiefer sie in diese regelrecht verlassene Wildnis eindrangen, je bedrohlicher wurden die Geräusche in den Schatten bei Nacht. Manche Schreie konnte Maerveth nicht einmal einordnen, sie schienen direkt aus einem düsteren Märchen zu stammen. Von Monstern, die kleine Kinder in den Wald lockten und mit einem Happs verspeisten.
Es war dumm und schwach von ihm, dass er sich ohne Cybras plötzlich verletzlicher und angreifbarer fühlte als je zuvor in seinem Leben. Dabei war er wirklich kein Mann, der von einem anderen abhängig sein wollte. Oder von einer Frau. Schon gar nicht von einem Liebhaber. Immerhin war er allein durch ganz Nohva gereist und hatte nie auch nur ein einziges Mal an sich gezweifelt, er hatte nie Angst gehabt, allein zu kämpfen. Doch nachdem er nicht nur in den Genuss echter Leidenschaft und echter Empfindungen gekommen war, sondern auch in den Genuss eines Gefährten, der ihm den Rücken freihielt, während er ihm den Rücken freihielt, fühlte er sich, als ob ihm sein Schwertarm fehlte, weil er plötzlich wieder allein war.
Und hinzukam, dass er sich gleichzeitig um Cybras sorgte, als sei nur er würdig und fähig, Cybras jetzt zu beschützen.
Bedeutete es das, der Gefährte eines Blutdrachen zu sein? Bedeutete es das, von einem Blutdrachen erwählt worden zu sein? Das unbändige Bedürfnis, einander zu beschützen?
Sie wussten ja nicht einmal, was Cybras jetzt vorhatte. Selbst dessen Bruder Maith konnte ihnen darauf keine Antwort geben, aber so besorgt wie er jedes Mal Blicke nach hinten warf, schien selbst er in Erwägung zu ziehen, dass Cybras weiterhin Balthasar treu blieb.
Deshalb durfte Cybras nicht mit ihnen reisen, er war ein Risiko, nicht nur weil der Drache in ihm jeden töten wollte, der sich anschickte, ihn von Maerveth fernzuhalten. Nicht nur, weil sie sich kaum ansehen konnten, ohne dass es zwischen ihnen ein Inferno gab. Auch, weil er jederzeit zum Verräter werden könnte, sollte Balthasar eine entsprechende Botschaft schicken.
Vatis kleiner Lakai. Maerveth wurde übel und er schlang die Arme fest um seinen Körper. Er sehnte sich nach Cybras mit jeder Faser seines Seins, stofflich und geistlich. Aber selbst er wusste nicht, ob er Cybras überhaupt vertrauen konnte, sollte Balthasar ihn wieder führen wie eine Waffe.
Würde Cybras` trotz der Bindung auch fähig sein, Maerveth als Feind zu betrachten?
Daran durfte er gar nicht denken, denn er stand jede Nacht kurz davor, umzudrehen und wieder wegzulaufen, auch wenn sein Vater den M`Shiers die Schuld geben würde, wenn sie ihn wieder verlieren würden.
Aber damit beide Häuser überleben konnten und der Frieden gewahrt blieb, mussten Corvis und Ivex es bis zur Festung schaffen und ihre Vermählung vor dem Volk feiern, dazu brauchte es die Gunst des Königs. Und diese erkauften sie sich mit Maerveths Freiheit. Nur diese Verbindung machte sie alle stark und niemand konnte mehr an der Treue der M`Shiers zweifeln. Wenn Maith kniete und Ivex in das Haus Airynn einheiratete, lösten sie sich von Balthasar. Und der König schuldete ihnen seinen Segen, wenn sie ihm seinen Lieblingssohn brachten.
Nur Cybras war ein Problem, und selbst Maerveth gestand sich ein, dass er den Eindruck gehabt hatte, dass es diesem nicht Recht war, dass sein Bruder Maith vor Maerveths Vater das Knie beugen wollte.
Die Gedanken verscheuchend schlich Maerveth sich von den Vorräten zu den Pferden, der Wachposten nickte ihm schweigend zu und kaute dann weiter auf einem Strohhalm herum. Der Soldat war er schon gewohnt, dass Maerveth noch vor dem Morgengrauen auftauchte, und Maerveth versuchte gar nicht, sich zu verstecken, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass er wieder davonlaufen wollte.
Was sinnlos gewesen wäre, seine Brüder wussten, wo sie ihn wiederfinden würden: In Cybras` Armen.
Schneetänzer schnaubte und senkte den weißen Kopf, als Maerveth zu ihm trat und ihm die mitgebrachte Karotte anbot. Die starken Kiefer zermalmten das lasche Gemüse in Windeseile und Maerveth fand Trost in dem mahlenden Geräusch, ebenso wie in der Nähe und Wärme des Hengstes. Zärtlich strich er unter die weiße Mähne und kraulte die samtene Stirn.
»Warum tut es so weh, das Richtige zu tun?«, fragte er sein treues Ross, aber er erhielt nur ein nach Karotten duftendes Schnaufen.
Ein Held zu sein bedeutete, alle zu retten, nicht bloß sich selbst, und alles zu opfern, zum Wohle aller anderen. Das war das, was Maerveth anfing zu verstehen.
Wenn er einfach mit Cybras weglaufen würde, würden ihre Geschwister die Konsequenzen tragen. Die Heirat wäre zunichte, sein Vater würde Maerveths Verschwinden den M`Shiers anhängen, Corvis müsste in ein anderes Haus einheiraten und vielleicht sogar die M`Shiers vernichten, wenn der König ihn nicht sogar einfach durch das Kind ersetzte, dass seine neue Frau im Leib trug, und vor die Tür setzte.
So oder so, sie saßen alle irgendwie in der Scheiße und waren alle irgendwie davon abhängig, dass sie zusammenhielten.
»Ich hasse mein Leben«, gestand er seinem Pferd und fühlte diesen Hass aus tiefstem Herzen, während er die weichen und warmen Nüstern streichelte. »Ich hasse es so sehr.«
Dann seufzte er, denn er konnte es ohnehin nicht ändern. Wenn Corvis und Ivex erst verheiratet waren und der luzianische Adel hinter ihnen stünde, könnte Maerveth seiner eigenen Wege gehen.
Aber er wusste nicht, ob er es dann noch konnte – oder ob er in Ketten lag.
Noch einmal streichelte er seinen weißen Hengst, dann blickte er über die Schulter zum Lager. Es war noch immer still, bis auf das Schnarchen. Es reizte ihn nicht, zurück in sein Zelt zu gehen und weiter unnötig zu grübeln, also beschloss er, zu dem See zu spazieren, neben dem sie lagerten.
Es war nicht weit und in Rufweite, weshalb er ohne Waffen ging. Beinahe sah er Cybras darüber die Lippen aufeinanderpressen. Oder die grünen Augen verdrehen.
Würde er ihn je weniger vermissen können?
Das Mondlicht glitzerte auf dem Wasser und der klare Sternenhimmel spiegelte sich überall dort, wo die sanfte Brise nicht die Oberfläche streichelte und das Bild zerriss. Weißer Nebel kroch wie ein lebendiges Wesen heran, kitzelte seine Knöchel, als er sich um seine Beine schmiegte, feucht und kühl, und verwandelte die nächtliche Umgebung in ein Traumgebilde. Der Mond küsste die Silhouetten der Bäume am gegenüberliegenden Ufer – und beschien den Umriss eines Mannes, der zwischen ihnen stand und herüberstarrte.
Maerveth versteinerte, als er ihn bemerkte. Er war nicht mehr als ein gesichtsloser Schatten, groß, tödlich definierte Statur, ein Raubtier auf zwei Beinen. Maerveth verspürte eine Gänsehaut, die in seinem Nacken begann und über seine Schultern und Arme rieselten wie der sanfte Nieselregel, bevor man unter einen Wasserfall trat.
Drei, vier Herzschläge starrte er den Schatten an, der nur aus Dunkelheit und grünen Augen zu bestehen schien.
Maerveths Herz überschlug sich. Selbst wenn diese Augen nicht gewesen wären, hätte sein Geist längst gewusst, wer der Schatten war.
Du solltest nicht hier sein, wollte er sagen. Doch sein Mund machte sich selbstständig: »Ich wusste, dass du mir folgen wirst.« Die Worte waren gesprochen, bevor er sie überhaupt denken konnte, als ob jemand anderes die Kontrolle über seinen Verstand hätte.
Cybras sagte nichts, schweigend trat er einen Schritt auf den See zu. Dann noch einen. Und noch einen. Je näher er kam, er mehr schien er den Nebel und Tau zu vertreiben, die den Morgen ankündigen wollten, und brachte die Nacht mit sich.
Maerveth konnte sich nicht rühren, während Cybras wortlos einen Fuß ins Wasser setzte und sich nicht von der Nässe aufhalten ließ. Das kalte Mondlicht schimmerte auf seinem pechschwarzen Haar und stand im Widerstreit mit dem grünen und heißen Feuer, das in seinen Augen loderte.
Maerveth konnte sich eben jenem Grün nicht entziehen, es zog ihn an wie Licht eine verlorene Seele. Und genauso fühlte er sich, seit sie den Toten Wald und Cybras verlassen hatten. Verloren.
Er ging auf den See zu, lief ebenso wie Cybras vollbekleidet in das Wasser und ließ sich nicht von Kälte, Nässe oder Nebel aufhalten, zu ihm zu gelangen.
Maerveth spürte das Wasser nicht, es trug ihn lediglich zu Cybras, der bis zu den Augen in die dunkle und nasse Masse eintauchte, sodass sein leuchtender Blick wie der eines Seemonsters in der Nacht über der Oberfläche des Wassers schwebte. Maerveth spürte nichts, weil er nur eines begehrte: zu ihm zu gelangen.
Er musste schwimmen, und im schwerelosen See stießen seine Finger auf Cybras`, die sich zwischen seine schoben und ihn an sich heranzogen. Das Wasser schwappte über ihre Lippen, die sich beinahe trafen, als ihre Körper sich warm aneinanderschmiegten.
»Du darfst dich nicht davonschleichen«, hauchte Cybras tadelnd, doch in seiner dunklen Stimme schwang deutliche Erregung mit. So rau, so männlich. »Das ist gefährlich.«
Und du darfst gar nicht hier sein, du musst wieder gehen… Doch die Worte wollten nicht über seine Lippen, als ob ihm jemand den Mund zuhielt.
Maerveths nasse Kleider wollten ihn nach unten ziehen, aber Cybras hielt ihn oben, indem er ihn sanft an sich presste und ihre Muskeln sich aneinanderschmiegten. Maerveth konnte nur auf seinen einladenden, dünnen und verheißungsvollen Mund starren, wollte ihn auf sich spüren und bebte allein dadurch, dass er so nahe über seinen Lippen schwebte, wie ein nicht eingelöstes Versprechen.
»Ich kann kämpfen«, sagte Maerveth, wobei er die Worte wieder nicht dachte, sie kamen einfach aus seinem Mund.
Wassertropfen benetzten sein Gesicht, als Cybras die Hand aus dem See hob und mit den feuchten Fingerspitzen über Maerveths Lippen strich. »Ich weiß, aber du gingst ohne Waffen.«
»Du bist die Waffe, die mich beschützt.« Seine Stimme klang neckisch, obwohl er sich nicht belustigt fühlte. Er ertrank in Cybras` plötzlicher Nähe und wollte nichts lieber, als ihn noch näher zu spüren. Beinahe überwältigten ihn seine Gefühle und er wollte schier weinen, weil Cybras so unvorhergesehen wieder da war, vor ihm, bei ihm, so stark und so düster wie eh und je.
»Bin ich nur das für dich? Deine Waffe?«, feixte Cybras zurück.
Ihre Beine tanzten im Wasser umeinander, Maerveths Hände wanderten auf Cybras` Rücken und genossen das Spiel seiner Muskeln unter dem nassen Hemd, während er sich an ihm festhielt. Und er war wie hypnotisiert von Cybras` foppender Art.
»Vielleicht«, fuhr der Bastard unheildrohend fort, »bin ich ja auch dein Feind.«
Maerveth spürte so etwas wie einen heißen Stich im Bauch, als er das sagte. Denn es war das, was ihn in den letzten Nächten gequält hatte: Die Ungewissheit, ob Cybras sich als Feind offenbarte. Denn trotz aller Begierde – kannten sie sich doch noch immer nicht. Und er könnte es nicht ertragen, würden seine Brüder Cybras jagen wie einen Vogelfreien, nur weil er zu Balthasar hielt.
Bevor Maerveth reagieren konnte, grinste Cybras mit einem Mal und tauchte unter. Sein nasser Körper glitt wie Nebel aus Maerveths Umarmung und verschwand in der tiefen Dunkelheit des Sees.
Maerveth schwamm auf der Stelle und versuchte, die dunkle Masse mit Blicken zu durchdringen, aber es stiegen nicht einmal Luftbläschen auf. Da packte ihn auch schon etwas am Bein und zog ihn mit einem starken Ruck in die Tiefe.
Das Wasser verschluckte ihn und Bläschen wirbelten auf, die ihm die Sicht versperrten. Cybras zog ihn fast bis auf den Grund des Sees, dann strich seine Hand zärtlich über Maerveths Schenkel, die weiche Innenseite hinauf. Wasser stieg ihm in die Ohren und brannte in seinen Augen, aber die Berührung besänftigte ihn.
Er wollte mehr, als Cybras` Hand von ihm abglitt, und suchte mit Händen und Füßen nach ihm, allerdings konnte er ihn nicht finden. Suchend drehte er sich im Kreis, der Vorhang aus Luftblasen lichtete sich langsam und ihn umhüllte eine tiefe Schwärze, aus der ein grünes Augenpaar auftauchte und auf ihn zu schwamm. Cybras tauchte an ihm vorbei, legte den Arm um ihn und drehte ihn mit sich wie im Tanz. Ein leichtes Lächeln lag auf seinem Gesicht und seine Lippen fühlten sich auf Maerveths Mund weicher als Samt an. Die Berührung war im Gegensatz zum kalten Wasser herrlich warm und der Kuss schien zu glühen. Cybras teilte Maerveths Lippen und flößte ihm Luft ein, eine Hand wanderte in sein Haar und legte sich sanft um seinen Hinterkopf, um ihn an sich zu drücken. Dann fanden sich ihre Zungen und sie küssten sich, bis ihnen die Luft ausging.
Cybras stieß mit den Beinen ins Wasser, um ihnen Auftrieb zu geben, und paddelte zurück zur Oberfläche, zog Maerveth mit sich.
Als sie das Wasser durchbrachen, klebten ihnen die Haare im Gesicht wie vergossene Farbe. »Du Mistkerl«, schimpfte Maerveth, obwohl er gar nicht schimpfen wollte, und spritzte Cybras Wasser ins Gesicht.
Dieser wich lachend zurück, aber kam sofort wieder herangeschwommen, um ihm zu umschlingen und an sich zu drücken. Bevor Maerveth protestieren oder vernünftig sein konnte, küsste Cybras ihn wieder mit feuchten Lippen.
Wir könnten erwischt werden, wollte er ihn warnen, sie dürfen uns nicht sehen, nicht so.
Stattdessen packte er in Cybras dunkles, nasses Haar und schlang die Beine wie eine Schlange um ihn, während er zwischen heißen Küssen raunte: »Hör nicht auf.«
Cybras brummte genüsslich im Kuss, seine Härte drückte in Maerveths Leiste und seine rauen Hände strichen hungrig über seinen Rücken, während er ihn an sich presste.
Er wusste nicht, wie sie es aus dem See schafften, Cybras musste ihn getragen haben, denn plötzlich stolperten sie tropfnass über das Ufer zu einer grasbewachsenen Stelle. Mühelos hob Cybras ihn hoch und bettete ihn unter sich auf die weiche Stelle, die nach feuchter Erde und Natur roch.
Wieder wollte Maerveth protestieren – zumindest seine Vernunft riet ihm dazu. Doch er hauchte nur Cybras` Namen, der sich auf die Knie richtete und die nassen Kleider abstreifte. Maerveths Fingerspitzen begrüßten jeden Zoll nackter und kalter Haut mit den Fingerspitzen. Dann war er an der Reihe, Cybras kam wieder über ihn und sie schälten sich aus den Kleidern, warme Hände fuhren unter den nassen Stoff und befreiten ihre Körper, bis sie sich nackt aufeinander schmiegten, im Kuss vereint. Maerveth konnte und wollte sich nicht wehren, er verspürte nicht einmal Angst, dass man sie erwischen könnte.
Cybras erstickte sein Stöhnen mit zärtlichen und ebenso genüsslichen Küssen, während er ihn für sich vorbereitete. Erst als er Maerveths Bein hochstemmte und geschmeidig in ihn eindrang, gab er seine Lippen frei, um den lieblichen Laut zu hören, den Maerveth ausstieß, sobald er fühlte, wie Cybras` Härte sein Innerstes ausfüllte.
Ihn so zu spüren, so rein und so echt, so gänzlich unverfälscht, ließ ihn beben. Er krallte sich in Cybras` Schultern und bog sich ihm entgegen. Cybras beugte den Kopf und ließ die spitzen Fänge über Maerveths dargebotene Kehle streifen. Als er anfing, sich zu bewegen, war das Gefühl Erleichterung und Qual pur. Ein bittersüßes Sehnen, das eine Begierde stillte und eine neue entfachte. Endlich spürte er ihn wieder, so hart, so tief, dass er genießen und gleichsam auf der Stelle kommen wollte.
Cybras` dunkles Stöhnen im Ohr war wie flüssiges Pech, das über Feuer ausgegossen wurde, es stieß ein heißes Inferno in Maerveths Leib und riss ihn mit.
So liebten sie sich, es mochten nur Augenblicke oder Jahre sein, Maerveth war nicht im Stande, die Zeit noch zu messen, vielleicht stand sie einfach still. Er wünschte es sich, er wünschte es so sehr, dass dieses Gefühl niemals enden würde. Die Geborgenheit, das Prickeln, das Hochgefühl und die Hitze. Cybras nahm ihn langsam, ließ ihn nur spüren, wie er in ihm war, wie er sich in ihm bewegte, küsste und leckte seinen Hals, seine Brust, und hielt ihn fest im Arm, als könnte er ihm weglaufen.
Und als Cybras` Höhepunkt ihn übermannte, war Maerveth ihm nicht böse, er hielt ihn im Kuss, stemmte sich gegen ihn und genoss die Zuckungen in seinem Leib, den heißen Schwall, der ihn füllte und etwas von Cybras in ihm hinterließ.
Fast verzweifelt presste Cybras ihm den Mund auf, um nicht den Wald mit seinen Lustschreien zu wecken, wiegte das Becken so lange, bis seine Härte sich beruhigt hatte. Erst dann glitt sein Mund von Maerveths geschwollenen Lippen und seine Stirn fiel auf dessen Brust. So verharrte er und kam zu Atem.
»Tut mir leid«, flüsterte Cybras nach einer Weile. »Warte kurz… nur kurz…«
Maerveth gluckste, obwohl sein Herz erfüllt war von einem warmen und friedlichen Gefühl, und er alles andere als Belustigung empfand. Nur Dankbarkeit.
Geh nicht wieder weg, wollte er lieber sagen, doch es war noch immer so, als ob ein Dämon ihn kontrollierte und seine Worte formte. »Ich wusste, du hältst nicht lange durch, mein Drache«, sagte er, ohne es zu wollen, in einem Tonfall, der nicht der seine war.
Mein Drache? Er hatte Cybras nie so genannt.
Cybras hob den Kopf und sah ihn an.
In diesem Moment bemerkte Maerveth etwas. Stirnrunzelnd hob er eine Hand und wollte über Cybras` Auge streichen, wo vor einigen Wochen noch eine Narbe sein Gesicht geziert hatte. Doch weder war eine Narbe zu finden, noch war er in der Lage, seine Hände zu kontrollieren. Stattdessen berührte er Cybras` Mund. »Mach dir keine Sorgen, du kannst dich nachher revanchieren.«
»Ich verschaffe dir noch Erlösung«, Cybras streckte sich zu seinem Mund und zog seine Lippe durch die Fänge, auf dass Maerveth lüstern erbebte. »Lass mich dich schmecken und du wirst schnell und hart in meinem Rachen kommen.«
Aus Maerveths Kehle drang ein arrogantes Lachen und er drückte ihn zurück, obwohl er es nicht wollte. »Da bin ich sicher, aber wenn ich nicht zum Morgenappell erscheine, lässt Vater mich auspeitschen – und deiner schlägt mir den Kopf ab, wenn ich dich noch einmal ablenke.« Seine Stimme wurde ernst. »Lass uns gehen, die Sonne zeigt sich schon.«
Cybras rollte von ihm runter und ließ sich mit einem Plumpsen ins Gras fallen. Er stöhnte frustriert wie ein ungezähmter Bursche.
»Heute Nacht gehörst du ganz mir«, versprach Maerveth, doch die Worte kamen noch immer, als würde er einem anderen zuhören. Es waren nicht seine.
Er drehte sich weg und stand auf, um nackt zum Ufer zurückzugehen, in der Absicht, sich zu waschen. Und als er sich hinkniete und über das Wasser beugte, blickte er in ein Gesicht, dass nicht das seine war. Aber es kam ihm bekannt vor. Ein Gesicht, dass er aus Träumen kannte.
Aus Alpträumen.
Erschrocken sprang Maerveth auf und wich vor dem See zurück. Er griff sich selbst an die Wange, als könnte er sich damit davon überzeugen, dass er noch er war.
Er drehte sich zu Cybras um, doch er war fort, nur eine Delle im Gras zeugte davon, dass zumindest Maerveth an dieser Stelle gelegen hatte.
Unbehagen kroch ihm über den Rücken, so wie der Nebel im Wald dichter wurde. Maerveth suchte die Schatten im zwischen den Bäumen ab und hauchte hoffnungsvoll: »Bras?«
Das konnte doch kein Traum gewesen sein, er fühlte alles. Einfach alles. Aber während er noch auf Antwort lauschte, wusste er, dass er keine erhalten würde.
Stattdessen wehte ein hämisches Lachen zu ihm heran.
Maerveth wirbelte zu der Richtung herum und sah ihn zwischen den Bäumen stehen, mit irren Augen und einem irren Grinsen im Gesicht. Nerwitt.
Die Wut darüber, dass dieser verdammte Geist ihn erneut heimsuchte, verscheuchte jegliche Furcht. »Verdammt, nein!«, stieß Maerveth aus und stampfte auf den Mistkerl zu.
Nerwitt huschte hinter den Baumstamm und verschwand, aber sein Glucksen flüsterte noch durch den Wald.
Maerveth versuchte, dem Gelächter zu folgen.
»Bleib hier und stell dich mir, du nervige kleine Kröte!« Maerveth fing an zu rennen, stolperte aber über Wurzeln und hüpfte fluchend auf einem Bein, als er sich den Zeh anstieß. »Zeig dich, verdammt!«
Das Lachen klang dicht hinter ihm und er fuhr so schnell herum, dass er schwankte, um dann nichts weiter als Nebel und Schatten zu sehen.
»Was willst du von mir?«, brüllte er wütend. Sein ganzer Frust brach wie ein Gewitter über den Geist herein, denn er war der Tropfen, der alles zum Überlaufen brachte. »Was willst du denn noch von mir, er ist doch gar nicht mehr bei mir!«, rief er in den Wald, erhielt aber keine Antwort.
Es war auf einmal sehr still, bis auf seinen eigenen schweren Atem. Eine heiße Träne rollte ihm über die Wange und er wischt sie weg.
»Du hast ihn doch wieder für dich allein«, flüsterte er bitter.
Allerdings schien seine fehlende Angst und die überschäumende Wut den Geist längst vertrieben zu haben. Und aus irgendeinem Grund bedauerte er das. Denn für einen Moment war er durch Nerwitt Cybras wieder ganz nah gewesen. Nicht nur durch den Traum, die Illusion oder Erinnerung, oder was auch immer es gewesen war, sondern einfach, weil Nerwitt ein Teil von Cybras` Geschichte war.
»Was machst du da?«
Er fuhr zusammen wie ein Reh, hinter dem plötzlich ein Wolf auftauchte, und wirbelte kampfbereit herum. Aber es war nicht Nerwitt, der entschieden hatte, ihn doch noch einmal zu überraschen. Sondern bloß Fliss, der ihn verwirrt betrachtete.
Maerveth ließ seufzend die Schultern hängen. »Ich… ich wollte bloß… spazieren.«
Sein kleiner Bruder starrte ihn noch eine Weile an, hob dann eine blonde Braue und musterte ihn. »Nackt?«
Erst da fiel Maerveth auf, dass er sich wohl während der Illusion wirklich ausgezogen hatte und noch immer nichts trug.
»Ich… ich war schwimmen.«
»Willst du dich umbringen?«
»Was?« Maerveth verstand wirklich nicht, was Fliss meinte.
Ungeduldig öffnete dieser seinen Umhang und trat auf Maerveth zu, um ihn den warmen Stoff um die Schultern zu legen. »Du bist doch toll«, sagte er tadelnd und zog den Stoff um ihn zusammen. »Es ist arschkalt! Komm, ich bring dich an ein Feuer.«
Es war kalt, allerdings wurde Maerveth die Kälte erst bewusst, als Fliss sie ansprach und damit den Traum gänzlich vertrieb. Plötzlich spürte Maerveth, dass der Sommer zumindest in den Nächten vorüber war. Der Nebel brachte Tau mit sich und Maerveths Haut war von dem Bad im kalten See so rot und kalt, dass der Stoff ihn kratzte.
Da fragte er sich, ob Nerwitt ihn schon an der Nase herumgeführt hatte, seit der aus dem Zelt getreten war. Oder ob gar er Schuld an seiner Unruhe trug.
»Hast du versucht, dich umzubringen?« Fliss` Frage klang nicht ironisch und war so auch nicht gemeint.
»Nein«, sagte Maerveth matt.
Aber Nerwitt hatte versucht, ihn dazu zu bringen.