Bergets Sånger Collection - Jona Dreyer - E-Book

Bergets Sånger Collection E-Book

Jona Dreyer

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Beschreibung

Band 1 »Vielleicht ist dieses kleine Dorf hier am Polarkreis wirklich meine Rettung.« Oscar Berg ist auf der Flucht – vor seinem alten Leben. Kopflos macht er sich auf den Weg nach Norden, bis eine Autopanne ihn zum Anhalten zwingt. Verloren und verzweifelt steht er in der Kälte Schwedisch Lapplands, doch dann naht unerwartet Hilfe in Form eines freundlichen Einheimischen. Ingmar Lindström sieht sich als Polizist in der Pflicht, sich des seltsamen, gehetzt wirkenden Fremden anzunehmen, den er am Straßenrand aufgelesen hat. Er bringt ihn in sein kleines Dorf Bergetssånger, wo der verängstigte junge Mann sich langsam öffnet und Gefühle in ihm weckt, die er nie für möglich gehalten hätte. Aber Oscar fühlt sich von jemandem verfolgt, und bald muss Ingmar erkennen, dass die Gefahr, die ihnen droht, durchaus real werden und ihre friedliche Idylle zutiefst erschüttern könnte … Band 2 »Ich glaube, die Elchkuh wollte uns verkuppeln.« Als Juhán nach einem Beinahe-Unfall dem mysteriösen Peter begegnet, ist er sofort fasziniert. Peter ist anders - und verlässt das Haus nur, wenn es dunkel wird. Juhán will ihn wiedersehen, doch während der Frühling im Norden einzieht, bleibt Peter verschwunden und niemand scheint ihn zu kennen. Als Juhán bereits beginnt, an seinem Verstand zu zweifeln, findet er den Mann seiner Tagträume doch noch. Aber leider ist alles nicht so einfach, wie von ihm erhofft. Denn Peter ist tief traumatisiert und fürchtet sich vor den Blicken anderer Menschen. Während die Natur um sie erwacht und die Tage länger werden, wünscht sich Juhán nur eins: Peter aus seinem Schneckenhaus zu locken - und sein verletztes Herz zu erobern ... Band 3 »Je größer der Dachschaden, desto freier der Blick auf die Sterne!« Stellan ist ein griesgrämiger Kerl, wie er im Buche steht. In einer dreimonatigen Auszeit im sommerlichen Nordschweden möchte er sein Leben neu ordnen. Doch schon am ersten Tag sinkt seine Laune gewaltig in den Keller, als durch einen Buchungsfehler ein junger Kerl namens Kristian in seinem Ferienhaus auftaucht. Kristian ist eine erklärte Frohnatur und macht es sich rasch zu seiner Aufgabe, Stellan mit Humor und kleinen Wortgefechten aus der Reserve zu locken. Allerdings ist der Kerl ein harter Brocken und blockt zunächst jeden Versuch rigoros ab. Mit der Zeit beginnt Stellans zynische Fassade jedoch zu bröckeln und offenbart mehr und mehr ein einsames, trauerndes Herz – eine Sache, mit der sich Kristian leider allzu gut auskennt …

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort - Wenn die Berge singen

Prolog

1 - Vintervinden

2 - Räddningen

3 - Nyfikenheten

4 - Tvångsuppehåll

5 - Isen sjunger

6 - Säkerheten

7 - Snöstormen

8 - Bildgalleriet

9 - Närheten

10 - Sanningen

11 - Ett hem

12 - Kontakterna

13 - Minnena

14 - Fika

15 - Självförsvaret

16 - Övernattningen

17 - Kallandet

18 - Svartsjuka

19 - Körtjänsten

20 - Luciafestivalen

21 - Bergets Sånger

22 - Förhandsvarningen

23 - Säkerhetsåtgärderna

24 - Återmötet

25 - Mardrömmen

26 - Efterdyningarna

27 - Friheten

Epilog

Rezept - Ingmars Glögg

Nachwort

Vorwort - Wenn die Wälder rauschen

Prolog

1 - Chockens ögonblick

2 - Drömvärlden

3 - Gömman

4 - Försvinnandet

5 - Hoppet

6 - Ankdammen

7 - Lär känna

8 - Renbetet

9 - Familjebanden

10 - Förståelsen

11 - Isbad

12 - Känslornas kaos

13 - Livets trötthet

14 - Kattungarna

15 - Föräldrarnas lycka

16 - Vårblommorna

17 - Ångern

18 - Oskulden

19 - Överaskningen

20 - Renarna kalva

21 - Oskulderna

22 - Konspirationen

23 - Felet

24 - Katastrofen

25 - Förklaringarna

26 - Släktträffen

27 - Bergets sånger

Epilog

Rezept - Anitas Zuckerkuchen

Nachwort

Vorwort - Wenn die Tage länger werden

Prolog

1 - Överbokningen

2 - Växtätare

3 - Vänlighet

4 - Obeslutsamheten

5 - Gumman

6 - Diskussionerna

7 - Överlevarna

8 - Matlagningen

9 - Vänskap

10 - Aktsamhet

11 - Sirap

12 - Nya vänner

13 - Klagomålen

14 - Delen

15 - Längtan

16 - Universum

17 - Familjefrukost

18 - Bergets sånger

19 - Mördarens hus

20 - Misstanken

21 - Inbjudningarna

22 - Upplösningen

23 - Nytt hus

24 - Rumskamraten

Epilog

Rezept - Stellans Bohnenchili

Nachwort

Leseprobe - An deinen rauen Klippen

Wenn die Berge singen

Gay Romance

© Urheberrecht 2024 Jona Dreyer

Impressum:

Tschök & Tschök GbR

Alexander-Lincke-Straße 2c

08412 Werdau

Text: Jona Dreyer

Coverdesign: Jona Dreyer

Coverbilder: depositphotos.com

Lektorat/Korrektorat: Kelly Krause & Shannon O’Neall

Kurzbeschreibung:

»Vielleicht ist dieses kleine Dorf hier am Polarkreis wirklich meine Rettung.«

Oscar Berg ist auf der Flucht – vor seinem alten Leben. Kopflos macht er sich auf den Weg nach Norden, bis eine Autopanne ihn zum Anhalten zwingt. Verloren und verzweifelt steht er in der Kälte Schwedisch Lapplands, doch dann naht unerwartet Hilfe in Form eines freundlichen Einheimischen.

Ingmar Lindström sieht sich als Polizist in der Pflicht, sich des seltsamen, gehetzt wirkenden Fremden anzunehmen, den er am Straßenrand aufgelesen hat. Er bringt ihn in sein kleines Dorf Bergetssånger, wo der verängstigte junge Mann sich langsam öffnet und Gefühle in ihm weckt, die er nie für möglich gehalten hätte.

Aber Oscar fühlt sich von jemandem verfolgt, und bald muss Ingmar erkennen, dass die Gefahr, die ihnen droht, durchaus real werden und ihre friedliche Idylle zutiefst erschüttern könnte …

Über die Autorin

»Fantasie ist wie ein Buffet. Man muss sich nicht entscheiden – man kann von allem nehmen, was einem schmeckt.«

Getreu diesem Motto ist Jona Dreyer in vielen Bereichen von Drama über Fantasy bis Humor zu Hause. Alle ihre Geschichten haben jedoch eine Gemeinsamkeit: Die Hauptfiguren sind schwul, bi, pan oder trans. Das macht sie zu einer der vielseitigsten Autorinnen des queeren Genres.

Vorwort

Schweden – ein Sehnsuchtsort für viele von uns, und nicht nur, weil es dort die besten Möbel und Zimtschnecken gibt.

Mit Schweden verbinden wir rot bemalte Häuser, Seen, lange Winter, Midsommar, traumhafte Natur und Geschichten von abenteuerlustigen Kindern.

Über Kinder schreibe ich in meiner neuen Reihe »Bergets Sånger« (zu Deutsch so viel wie »Die Lieder des Berges«) zwar nicht, aber über durchaus abenteuerlustige Männer, die in einem kleinen Dorf im Norden Schwedens ihr Glück finden. Den Anfang machen, in diesem ersten Band, Oscar und Ingmar.

Wir werden im Laufe der Reihe den langen, dunklen Winter mit seinen herrlichen Polarlichtern erleben, aber auch den erwachenden Frühling und einen Sommer, in dem die Sonne nie untergeht.

Ich wünsche ganz viel Freude beim Lesen!

Prolog

Es musste ja schiefgehen. Ja, es hätte doch an ein Wunder gegrenzt, wenn sein Plan aufgegangen wäre. Aber so viel Glück hatte Oscar nicht.

So viel Glück habe ich niemals.

Dabei wollte er doch nur anhalten, um zu pinkeln. Kurz am Straßenrand stehen bleiben und sich erleichtern. Jetzt sprang das Auto nicht mehr an. Wieso, wusste Oscar nicht, dazu kannte er sich mit Autos zu wenig aus. Vielleicht, weil es so kalt war. Weil ihm eisiger Wind und Schneeflocken ins Gesicht peitschten, obwohl es erst Ende Oktober war.

Ich hätte daran denken müssen, dass der Winter hier oben deutlich zeitiger beginnt.

Er wusste nicht einmal, wo genau er sich überhaupt befand. Wie lange und wie weit er schon gefahren war. Ein- oder zweimal hatte er angehalten, um zu tanken, aber nie wirklich darauf geachtet, an welchem Ort er war. Es gab ohnehin nur eine Richtung: nordwärts, immer weiter, Richtung Ende der Welt. Und gerade kam es ihm so vor, als hätte er es tatsächlich erreicht. Keine Menschenseele war zu sehen, keine anderen Autos, nichts. Nur die schmale Straße und der Schnee, der in eisigen Böen darüberwehte und ihre Konturen immer weiter verschwinden ließ.

»Was mache ich denn jetzt?«, fragte er sich selbst.

Einen Pannendienst rufen. Das wäre das einzig Vernünftige. Einen Pannendienst rufen und hoffen, dass der kam, bevor er eingeholt wurde. Bevor sich der Abstand zwischen ihm und seinem Verfolger weiter verkleinerte, falls der ihm bereits auf der Spur war.

Aber ich kann doch nicht ewig nur fahren. Fahren und fahren, bis das Polarmeer mich zum Umkehren zwingt. Ich darf nicht umkehren. Niemals.

Mit zitternden Händen holte er sein Handy aus der Jackentasche. Für einen Moment setzte sein Gehirn aus, war wie eingefroren, und er wusste nicht mehr, was er eigentlich hatte tun wollen.

Den Pannendienst rufen. Du wolltest einen Pannendienst rufen.

Dazu musste er aber überhaupt erst einmal wissen, wo er war. Also Maps aufrufen. Maps aufrufen und–

Das Geräusch eines tief brummenden Motors kam näher. Das Licht von Scheinwerfern blendete in das Schneegestöber.

O nein. O nein, es ist zu spät. Er hat mich gefunden. Er hat mich eingeholt. Ich kann einfach nichts richtig machen. Bei allen Plänen habe ich zu wenig über die Zeit danach nachgedacht.

Was war eine Flucht wert, wenn man sie nicht bis zum Ende gedacht hatte? Was eine offene Tür, wenn man nicht wusste, was man tun sollte, sobald man sie hinter sich schloss?

Seine Hände verloren jede Kraft, ließen das Telefon in den Schnee fallen. Er hob es nicht auf, weil er vergessen hatte, wie man sich bewegte. Nur sein Herz wusste es noch, und es schlug umso heftiger.

Das war’s also. Alles war umsonst. All das Planen, all das Hoffen. Wie dumm von mir, es überhaupt zu versuchen.

Das Auto wurde langsamer. Immer langsamer. Direkt neben ihm hielt es an.

1

Vintervinden

Ingmar konnte nicht anders, als zu lächeln. Die Wettervorhersage hatte richtig gelegen: Es schneite. Es schneite heftig. Der Winter zog ein. Und damit Ingmars liebste Jahreszeit.

Vorhin war er im dreißig Kilometer entfernten Kiruna gewesen, um seinen Wocheneinkauf zu erledigen; nun war er auf dem Heimweg. Die Dunkelheit brach bereits herein und versprach einen gemütlichen Abend bei Feuerknistern.

Ingmar würde nie die Menschen verstehen, die den Winter nicht mochten. Gewiss, er brachte mehr Arbeit mit sich, vor allem, wenn man in einem altmodischen Haus wohnte wie er. Da gab es eine Menge Holz zu hacken und das Feuer im Ofen musste den ganzen Tag am Brennen gehalten werden, sonst kühlte das Haus rasch aus. Nicht selten kam er von der Arbeit in eisige Zimmer, weil das Feuer zu zeitig ausgegangen war. Aber er mochte auch das Gefühl, wenn sich langsam alles aufwärmte, wenn die Gemütlichkeit einkehrte und er einfach entspannen konnte.

Konzentriert hielt er seinen Blick auf die Straße gerichtet, weil der Schneesturm die Sicht erschwerte und weil er immer damit rechnen musste, dass Rentiere oder ein Elch seinen Weg kreuzten. Doch was er plötzlich keine hundert Meter vor sich am Straßenrand entdeckte, war kein Tier, sondern ein offenbar liegen gebliebenes Auto. Und eine schmale Gestalt, die wie angewurzelt danebenstand.

Misstrauisch drosselte Ingmar sein Tempo. Das konnte ein Trick sein; andererseits wäre dies hier wohl ein denkbar unpassender Ort, um jemanden zu überfallen – weil einfach so gut wie niemand vorbeikam. Wahrscheinlicher war, dass diese Person wirklich Hilfe brauchte. Und notfalls konnte Ingmar sie überwältigen. Er war Polizist. Er hatte eine Waffe im Handschuhfach.

Direkt auf Höhe der Person neben dem Auto hielt er an und nahm sie durch das Beifahrerfenster in Augenschein. Es handelte sich um einen Mann, mittelgroß, dünn. In seiner Stirn, unter seiner Mütze, ringelte sich blondes Haar und wurde vom Wind zerzaust. Er wirkte ängstlich und erschrocken, das zeigten seine weit aufgerissenen Augen. Dass es sich um einen Trickverbrecher handelte, war eher unwahrscheinlich. Ingmar stellte den Motor aus, steckte vorsichtshalber seine 9mm Sig-Sauer ein und stieg aus.

»Hej!«, sprach er den Kerl an. »Panne?«

Der junge Mann schien sich ein wenig zu entspannen.

»M-mein ... mein Auto springt nicht mehr an und ich weiß nicht, wieso.«

»Ist es mitten in der Fahrt ausgegangen?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe angehalten, um zu pinkeln ... und dummerweise den Motor ausgemacht. Kennst du vielleicht die Nummer eines Pannendienstes hier in der Nähe, der mir helfen könnte?«

Ingmar winkte ab. »Da kommt jetzt hier keiner. Lass mich mal schauen, wahrscheinlich brauchst du nur Starthilfe. Kann ich dir geben.«

Dem anderen gelang ein zitterndes Lächeln. »Das wäre echt nett.«

Ingmar stieg wieder in sein Auto und parkte es so, dass es dem Wagen des Fremden direkt gegenüberstand. Dann stieg er wieder aus und holte die Starthilfekabel aus seinem Kofferraum.

»Das haben wir gleich.«

Er öffnete seine Motorhaube und die des anderen Autos, koppelte die Kabel mit den Batterien und ließ seinen Motor an.

»Jetzt versuch du, deinen Wagen zu starten!«, rief er dem Fremden durch die geöffnete Seitenscheibe zu.

Der junge Mann setzte sich in seinen in die Jahre gekommenen Renault und versuchte, den Motor zu starten. Nichts geschah und er hob verzweifelt die Hände.

»Versuch’s noch mal!«

Wieder nichts. Noch ein Versuch. Nein.

»Liegt wohl nicht an der Batterie.« Ingmar stellte seinen Motor wieder aus, verließ sein Auto und entfernte die Kabel. »Vielleicht sind es die Zündkerzen.«

»Was mache ich denn jetzt?«, fragte der Kerl verzweifelt.

Was weiß denn ich?

»Wo bin ich überhaupt?«, setzte er nach. »Ich weiß das nicht mal. Und ich hab noch Sommerreifen.«

»Du liebe Güte.« Ingmar runzelte die Stirn. »Du fährst mit Sommerreifen Ende Oktober in den schwedischen Norden? Das ist ... mutig.«

»Du meinst dumm.«

»Das wollte ich so nicht formulieren. Wo kommst du denn her?«

Der andere sah Ingmar zunächst prüfend an, ehe er antwortete. »Aus Göteborg.«

»Oha!«

»Oha?«

»Das ist verdammt weit weg. Du bist hier in der Nähe von Kiruna. In etwa 1600km von Göteborg entfernt.«

Im Gesicht des jungen Mannes machte sich so etwas wie Erstaunen breit. »Ich bin so weit von dort weg?«, sagte er mehr zu sich selbst.

Irgendetwas an ihm kam Ingmar ziemlich seltsam vor. »Warum fährst du denn irgendwohin, wenn du gar nicht weißt, wo du dann bist?«

»Ich – ich hatte kein direktes Ziel«, gab er zurück und wich einen winzigen Schritt nach hinten aus, was Ingmars Misstrauen nur noch verstärkte. »Bin einfach los.«

»Wann?«

Der andere überlegte kurz. »Vor zwei Tagen.«

Ingmar beschloss, sich dieser Sache in der einen oder anderen Form anzunehmen. Der Mann kam ihm irgendwie verwirrt vor. Ihn mit seinem kaputten Auto hier draußen stehenlassen konnte er jedenfalls nicht. »Wie ist dein Name?«

»Oscar«, kam nach kurzem Zögern zurück.

»Oscar.« Er streckte ihm die Hand hin. »Ich bin Ingmar Lindström. Und ich würde sagen, wir schleppen dein Auto auf meinen Hof ab. Morgen kann ich dann bei Tageslicht in Ruhe schauen, wo das Problem liegt und es gegebenenfalls reparieren.« Und bis dahin vielleicht auch herausfinden, was du im Schilde führst.

»Ich weiß nicht«, kam zögerlich zurück. »Kann-kannst du das denn? So was reparieren?«

»Hier oben muss man so was können«, versetzte Ingmar wider Willen amüsiert. »Da gibt es nicht an jeder Ecke eine Werkstatt. Und bis der Pannendienst kommt, ist man erfroren.« Er öffnete erneut den Kofferraum und holte das Abschleppseil heraus. »Du siehst auch schon halb erfroren aus.«

»Weißt du, wo ich übernachten könnte?«, erkundigte sich Oscar zögerlich. »Ich hab Bargeld dabei.«

»Du meinst eine Pension oder so was? Da müsstest du zurück nach Kiruna. Von dort komme ich gerade. Bis zu meinem Haus sind es nur noch vier Kilometer. Ich biete dir meine Couch an. Die ist bequem.«

Oscar warf einen seltsamen Blick zurück auf die Straße und blinzelte gegen den Schnee. »Okay«, sagte er schließlich. Es schien ihn Überwindung zu kosten.

Ingmar konnte das durchaus verstehen, schließlich waren sie Fremde. Und besonders glücklich darüber, sich einen Fremden ins Haus zu holen, war er auch nicht. Aber wie er bereits festgestellt hatte, war irgendetwas an dieser Situation, irgendetwas an Oscar seltsam. Und er gedachte, herauszufinden, was es damit auf sich hatte. Hier oben passierten wirklich selten aufregende Dinge. Vielleicht änderte sich das ja heute.

»Steig schon mal ein«, forderte er Oscar auf. »Ich befestige das Abschleppseil.«

Angestrengt machte er sich an die Arbeit. Es wurde Zeit, von hier wegzukommen, denn das Wetter wurde immer unwirtlicher und die Straße verwehte jede Minute etwas mehr. Die Dunkelheit, nur unterbrochen vom Scheinwerferlicht seines Jeep Compass, war auch nicht eben hilfreich. Als endlich alles befestigt war, atmete er erleichtert auf, gab Oscar ein Handzeichen und setzte sich wieder in seinen Wagen.

»Auf nach Hause«, sagte er zu sich und stellte den Motor an. »Ich glaube, das wird noch ein spannender Abend.«

2

Räddningen

»Willkommen in Bergetssånger«, verkündete Ingmar, als er Oscar über die Türschwelle in sein kleines, rot gestrichenes Holzhaus schob. »Wir haben sagenhafte einundvierzig Einwohner. Nein, Halt – es sind zweiundvierzig. Kari und Sven Ahlgren haben vor einer Woche ein Baby bekommen.«

Im Windfang zogen sie ihre Schuhe aus. Ingmar schob Oscar weiter ins Wohnzimmer, einen kleinen, gemütlichen Raum mit einer altmodischen, gemusterten Couch und Schränken aus Fichtenholz. Die Dielen unter den bunten, gewebten Läufern knarrten bei jedem Schritt, den Oscar machte. Der Raum war kalt. Natürlich deutlich wärmer als draußen, aber die erhoffte, einhüllende Gemütlichkeit, die seine Wangen rot färbte, blieb aus.

»Verdammt, das Feuer ist ausgegangen«, fluchte Ingmar, als hätte er seine Gedanken gelesen. »Aber keine Panik. Ich heize ein, gleich wird es warm. Und währenddessen trinken wir einen schönen, heißen Kaffee.«

»Das klingt sehr gut.«

Ingmar ging hinüber in die Küche, wo sich vermutlich auch der zentrale Heizofen befand, und ließ Oscar allein im Wohnzimmer zurück.

Ich bin mit einem fremden Mann in sein Haus gegangen. In sein Haus in einem abgelegenen Dorf.

Dabei hatte er sich doch fest vorgenommen, möglichst niemanden um Hilfe zu bitten. Und wenn, dann nur Frauen. Am besten Frauen mit Kindern. Von denen ging die geringste Gefahr aus.

Andererseits sind es nie fremde Menschen gewesen, die mir Böses getan haben. Am gefährlichsten sind doch die, die man zu kennen glaubt.

Er versuchte, die aufkeimende Panik mit rationalen Gedanken niederzukämpfen. Wenn dieser Ingmar Böses im Sinn gehabt hätte, dann hätte er ihm wohl keine Starthilfe gegeben. Es hätte schließlich funktionieren und Oscar einfach davonfahren können. Nein, er war schlicht und ergreifend hilfsbereit. Ganz sicher. Und welche Wahl hatte Oscar denn auch gehabt? Dass eine hilfsbereite Frau mit Kind vorbeigekommen wäre und sein Auto abgeschleppt hätte, war wohl eher unwahrscheinlich.

Der Duft von Kaffee zog durch das Haus, karamellig und beruhigend. Kaffeeduft erinnerte ihn immer an seine Mormor, an ihre Stube, in der die Dielen genauso geknarrt hatten wie hier, und ihr köstliches Gebäck.

»Milch und Zucker?«, rief Ingmar aus der Küche.

»Ja ... gerne. Viel Milch und zwei Stück Zucker, bitte.«

Kurz darauf kehrte sein mutmaßlicher Retter mit zwei dampfenden Tassen zurück. Seine Jacke hatte er inzwischen abgelegt; Oscar trug seine noch.

»Es wird gleich warm werden. Ich habe noch Hagebuttensuppe und Zimtbrötchen da, für nachher zum Essen.«

»Oh, das klingt lecker. Aber mach dir meinetwegen nicht so viele Umstände.«

»Das macht keine Umstände. Ich muss mir ja so oder so etwas zu essen machen, eine Person mehr macht den Kohl nicht fett.«

»Danke.« Oscar nahm seine Kaffeetasse entgegen und trank vorsichtig einen Schluck. Ingmar hatte recht, es wurde warm. Zögerlich zog Oscar seine Jacke aus.

»Du bist also einfach Richtung Norden losgefahren?«, begann Ingmar unvermittelt. Er klang etwas misstrauisch.

»Ja.«

»Warum?«

Oscar sah ihn an, während er nach einer Antwort suchte. Ingmar war ein hochgewachsener, drahtig-sportlicher Kerl, der kurze Vollbart fast schwarz, das bis auf wenige Millimeter geschorene Haar am Oberkopf sehr licht. In seinen grünlich-braunen Augen lag Wärme, aber das mochte täuschen. Oscar traute seiner eigenen Wahrnehmung schon lange nicht mehr.

»Wolltest du einfach mal dem Großstadttrubel entkommen?«, hakte Ingmar nach und lieferte ihm damit die passende Antwort.

»Ja, das kann man wohl so sagen. Einfach weg ... weg von allem.«

»Kann ich durchaus verstehen. Du bist allerdings mitten in den Winter gefahren.« Ingmar lachte leise. Irgendwie war dieses Lachen ansteckend.

»Ich hatte leider keine Zeit, noch Winterreifen aufzuziehen.«

»Die Zeit muss man sich unbedingt nehmen«, erwiderte Ingmar tadelnd. »Wir müssen dir welche besorgen. Egal, was nun mit dem Auto ist – so kannst du keinesfalls weiterfahren.«

Da hat er wohl recht.

»Wie ist es so, hier oben zu leben?«, erkundigte sich Oscar, weil das die Frage war, die ihn eigentlich beschäftigte.

»Extrem«, gab Ingmar nüchtern zur Antwort. »Zwanzig Tage im Jahr geht die Sonne gar nicht auf, fünfzig Tage lang geht sie im Sommer nicht unter. Die Temperaturen fallen im Winter gern unter die minus dreißig Grad. Zum Großeinkauf muss ich dreißig Kilometer fahren, zum Arzt und in die Apotheke auch. Im Sommer muss ich unzählige Kubikmeter Holz für den Winter zum Heizen vorbereiten, im Winter mich oft morgens erst mal aus dem Haus schaufeln. Der Alltag hier will gut durchgeplant sein. Aber versteh mich nicht falsch: Ich würde nirgendwo anders leben wollen. Ich mag die Abgeschiedenheit. Die Polarlichter, die wir hier im Winter fast täglich sehen. Die raue Natur und ihre Tierwelt. Die Kultur der Sámi in der Umgebung. So etwas bekomme ich in einer Großstadt im Süden nicht.«

Es war vor allem dieses eine Wort, das bei Oscar hängen blieb: Abgeschiedenheit. Einfach untertauchen, von der Bildfläche verschwinden, und ein unentdecktes Leben führen.

»Was arbeitest du hier in der Abgeschiedenheit? Wenn ich fragen darf ...«

»Ich bin Polizist.«

Oscars Muskeln reagierten auf diese Offenbarung mit vollkommener Starre. »Polizist«, wiederholte er tonlos.

»Genau. Wir haben zwei Ortschaften weiter eine kleine Polizeistation und sind für die umliegenden Dörfer zuständig. Ich kann nicht behaupten, dass wir allzu viel zu tun hätten. Es geht eher mal um Hausfriedensbruch, oder darum, dabei zu helfen, ein entlaufenes Tier einzufangen. Das Schlimmste, was hier in den letzten Jahren passiert ist, war ein dreijähriges Mädchen, das aus ihrem Elternhaus gelaufen und verschwunden war. Wir fanden sie glücklicherweise nach einer Stunde, unterkühlt, aber ansonsten wohlauf.«

Dass Ingmar Polizist war, machte die Situation für Oscar nicht eben einfacher. Er hatte triftige Gründe, Polizisten kein großes Vertrauen zu schenken. Gründe, für die Ingmar zwar nichts konnte, aber das änderte für den Moment nichts.

»Ich mach dann mal die Suppe warm.« Entschlossen schlug sich Ingmar auf die Schenkel, stand auf und verschwand wieder in der Küche. Wahrscheinlich wollte er ihrem schleppenden Gespräch entkommen.

Es tat Oscar leid, ihn zu behelligen. Nutzlos in seinem Haus herumzusitzen und seine Zeit, seinen Kaffee und sein Essen zu stehlen. Aber Ingmar hatte es ihm ja angeboten.

»Ich kann auch im Auto schlafen«, schlug Oscar vor, als Ingmar mit einem Tablett mit zwei dampfenden Schüsseln und einem Teller mit Zimtbrötchen zurückkehrte.

»Du möchtest wohl gern erfrieren? Du bist ja ein lustiger Kerl.« Ingmar stellte das Tablett ab.

Ein köstlich süßer Duft stieg in Oscars Nase. Dieses alte Haus mit all seinen Gerüchen und Geräuschen strahlte eine gewisse Geborgenheit aus. Als ob hier nie etwas Schlimmes passieren könnte. Weil alles Schlimme gar nicht erst hierher fand.

»Ich möchte nicht erfrieren, aber auch nicht einfach deine Couch belegen.«

»Ich habe sie dir angeboten. Wenn ich du wäre, würde ich das Angebot annehmen. Heute Nacht soll es kalt und stürmisch bleiben. Guten Appetit!«

Oscar nahm einen Löffel von der dicken, rotbraunen Suppe, pustete und kostete davon. Ließ die weiche, cremige Textur auf seiner Zunge zergehen, genoss das süßlich-herbe Aroma der zu Mus zerkochten Hagebutten. Dann ein herzhafter Biss in ein Zimtbrötchen. Es war eine Wohltat.

Wann habe ich zuletzt gegessen?

Er überlegte.

Es musste irgendwann gestern Mittag gewesen sein. Und wann er zuletzt etwas getrunken hatte, fiel ihm überhaupt nicht ein. Geschlafen hatte er auch zu wenig. Er war einfach gefahren. Fahren, tanken, wieder einsteigen, weiter Gas geben in Richtung Norden. Jetzt saß er hier, in diesem stillen, warmen Haus mit den knarrenden Dielen und verspürte mit einem Mal eine lähmende Müdigkeit.

»Darf ich dein Bad benutzen?«, fragte er nach dem Essen. »Ich würde mich gern waschen.«

»Aber natürlich. Über den Flur, die erste Tür gleich neben dem Windfang.«

»Danke. Ich bin schon sehr müde ... stört es dich, wenn ich mich dann gleich hinlege?«

»Natürlich nicht. Ich verräume noch meine Einkäufe, dann gehe ich nach oben in mein Schlafzimmer und sehe ein wenig fern. Morgen früh, sobald es hell wird, schaue ich mir dein Auto an.«

»Danke für deine Hilfe«, erwiderte Oscar, suchte seinen Schlafanzug aus seiner Tasche und ging hinüber ins Badezimmer.

Für heute Nacht sah es erst einmal so aus, als sei er sicher. Als könnte er Schlaf nachholen. Aber ab morgen brauchte er einen Plan. Einen neuen Plan.

3

Nyfikenheten

Sobald Ingmar sicher sein konnte, dass Oscar im Badezimmer beschäftigt war, durchsuchte er dessen Rucksack nach Dokumenten. Er fand sein Portemonnaie in einem Seitenfach, darin Oscars Identitetskort und Führerschein.

Oscar Filip Berg, geboren am 22.06.1994.

Er notierte sich eilig Oscars Personennummer und steckte alles wieder zurück an seinen Platz. Diese Informationen würden ihm nachher nützlich sein. Zwar gehörte es sich nicht, in fremder Leute Sachen zu schnüffeln, aber er musste wissen, wen er sich hier ins Haus geholt hatte, denn irgendetwas stimmte mit diesem Oscar gewaltig nicht. Ingmar spürte es. Und er sah es an Oscars nervösen Blicken, seiner Schreckhaftigkeit, seiner angespannten Körperhaltung.

Während sich Oscar wusch, räumte Ingmar wie angekündigt seine Einkäufe weg und holte Kissen und Decken. Er war gerade fertig, als sein ungeplanter Gast, in einen dunkelblauen Schlafanzug gekleidet und nach Seife duftend, zurückkehrte. Er war ein hübscher, gepflegter Kerl; das blonde Haar wirkte weich, wenn auch länger nicht geschnitten, die Haut rein, und die blauen Augen waren von langen Wimpern umrandet.

»Kann ich dir noch irgendwie helfen?«, erkundigte er sich.

»Danke, ich bin so weit fertig. Wenn du Hunger oder Durst hast, darfst du dich in der Küche gern bedienen. Ich ziehe mich dann zurück. Oben die vorletzte Tür im Gang, falls was ist.«

»Okay. Vielen Dank fürs Retten ...« Oscar richtete den Blick auf seine Füße. »Ich hätte echt nicht gewusst, was ich sonst machen soll.«

»Kein Thema. Ich wünsche dir eine gute Nacht. Und, wie gesagt, wenn was ist, klopf einfach an.«

Ingmar wandte sich ab und ging nach oben in sein Schlafzimmer. Er schloss die Tür hinter sich, setzte sich aufs Bett und atmete einmal tief durch. Was für ein seltsamer Abend, und so gar nicht, wie von ihm geplant.

Sei’s drum.

Er griff nach seinem Handy und wählte den Kontakt eines Kollegen von der Kriminalpolizei an.

»Hej, Ingmar«, begrüßte der ihn, »was gibt’s?«

»Hej, Hans. Kannst du jemanden für mich checken?«

»Ich hab schon Feierabend.«

»Hast du morgen früh Dienst?«

»Ja. Dann könnte ich es machen, wenn du mir einen guten Grund gibst.«

»Ich hab jemanden auf der Straße aufgelesen, der eine Panne hat, aber irgendwie kommt er mir seltsam vor. Ich habe den Eindruck, er ist auf der Flucht – möglicherweise aus einer Einrichtung ausgebrochen oder versucht, sich dem Zugriff er Justiz zu entziehen, etwas in der Art.«

»Na schön, das kann ich rechtfertigen. Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung.«

»Gut. Schreib mir dann einfach, was du rausgefunden hast, oder ruf an, wenn’s viel und kompliziert ist. Es handelt sich um Oscar Filip Berg, geboren am 22.06.1994. Ich gebe dir seine Personennummer durch.« Er sagte Hans die Nummer an.

»Alles klar. Sei auf der Hut, Ingmar. Wenn das wirklich ein fauler Apfel ist und du allein mit ihm im Haus bist ...«

»Ich bitte dich. Ich bin kein Kindergärtner, ich weiß mich schon zu verteidigen.«

»Klar. Dann erst mal eine gute Nacht. Ich melde mich.«

»Gute Nacht.«

Ingmar legte das Handy beiseite und dachte nach. Falls Oscar wirklich ein flüchtiger Krimineller oder psychisch Kranker war, mochte er die Gefahr wittern, die von Ingmar als Polizist ausging, und vielleicht schon in der Nacht verschwinden. Er beschloss, nachher noch einmal hinauszuschleichen und sich das Autokennzeichen zu notieren – für den Fall, dass es sich um ein gestohlenes Fahrzeug handelte.

Nicht sicher war er allerdings, ob er Vorkehrungen zur Verhinderung einer möglichen Flucht treffen sollte. Schließlich bestand immer noch die Möglichkeit, dass Oscar vollkommen harmlos war – und sich Ingmar damit der Freiheitsberaubung schuldig machen würde.

Er beschloss, Oscar nicht einzusperren, aber wachsam zu bleiben. Allein schon aus Selbstschutz. Denn er war zwar hilfsbereit, aber nicht naiv. Und sein Gefühl trog ihn nur selten.

Das Ticken der Uhr im Wohnzimmer hielt Oscar wach. Er starrte an die Decke, das kleine Nachtlicht in der Steckdose neben der Tür beleuchtete die Möbel nur schemenhaft.

Es wäre vernünftig, zu schlafen. Er war müde, er war erschöpft von zwei Tagen fast ununterbrochener Fahrt und zu wenig Trinken und Essen. Aber sein Körper schaffte es nicht, sich aus dem Überlebensmodus zu befreien.

Er war im Haus eines Fremden. Eines Polizisten. Sein Auto stand draußen. Wenn er sicher sein könnte, dass er nicht verfolgt wurde, könnte er vielleicht trotzdem ein wenig aufatmen.

Eintausendsechshundert Kilometer. Es liegen eintausendsechshundert Kilometer zwischen mir und Göteborg.

Allzu gern würde er seine Eltern anrufen, mit denen er seit langer Zeit nicht gesprochen hatte. Aber das schien ihm zu riskant. Noch wollte er nicht, dass irgendjemand wusste, wo er war. Würde es je einen Ort geben und eine Zeit, in der er sich sicher fühlte – zumindest einigermaßen? Sicher genug, um zu schlafen und irgendwie zur Ruhe zu kommen? Waren eintausendsechshundert Kilometer genug, und wenn nicht, wie viele waren es dann?

Er hatte seine Flucht geplant, aber nicht, für immer und ewig auf der Flucht zu sein. Für einen Augenblick verspürte er den irrsinnigen Wunsch, sich Ingmar anzuvertrauen. Ihm einfach zu sagen, warum er hier oben war, warum er sich wirklich einfach ins Auto gesetzt und ziellos Richtung Norden auf den Weg gemacht hatte.

Aber so freundlich ihm Ingmar bisher auch begegnet war – sie kannten sich nicht. Und Oscar hatte die seltsamen, stirnrunzelnden Blicke bemerkt, mit denen Ingmar ihn in scheinbar unbeobachteten Momenten bedachte.

Er traut mir vermutlich genauso wenig, wie ich ihm.

Wahrscheinlich lag er da oben auch wach im Bett, nicht sicher, ob er sich einen Serienkiller ins Haus geholt hatte. Es war eine absurde Situation. Aber er musste sich damit arrangieren, bis sein Auto wieder funktionierte und er weiterfahren konnte ... wohin auch immer.

Hoffentlich kann Ingmar es reparieren.

Und dann war da ja noch die Sache mit den Sommerreifen. Vielleicht gab es in Kiruna Winterreifen. Ganz bestimmt. Und Schneeketten, die waren hier sicher auch nützlich. Der schwedische Winter im Süden war kein Vergleich zu dem, was ihn hier erwarten würde.

Schnee, der meine Spuren verwischt. Viel davon.

Der Winter gab ihm eine gewisse Sicherheit, als ob die Wehen hinter ihm aufräumten, die Straßen jungfräulich erscheinen ließen, als hätte er sie nie befahren.

Oscar verspürte den Drang, noch einmal zur Toilette zu gehen, und stand auf. Er eilte über den Flur und blieb mit seinem Blick spontan an einem der Bilder hängen, die die Wände zierten. Im schummerigen Nachtlicht erkannte er Ingmar, daneben einen anderen Mann, mit dem er gemeinsam einen ziemlich großen Fisch in die Kamera hielt.

War wohl ein erfolgreicher Angelausflug.

So ein unbeschwertes Leben wünschte er sich auch. Mit jemandem angeln gehen und ein Foto davon machen. Einen ruhigen Tag am See verbringen, solange er wollte. Heimgehen, wann der Sinn ihm danach stand. Auf dem Heimweg spontan irgendwo anhalten und etwas essen, sich vor keinem fürs Zuspätkommen rechtfertigen müssen. Was für eine herrliche Vorstellung.

Irgendwann komme auch ich an diesen Punkt. Das verspreche ich mir selbst.

Er betrat das Bad und schloss die Tür hinter sich ab. Und fühlte sich, trotz allem, für einen Moment sicher.

4

Tvångsuppehåll

Mit klopfendem Herzen schreckte Oscar hoch und setzte sich auf. Sein Atem fühlte sich rau an, als wäre er eine lange Strecke gerannt. Für einen Moment wusste er nicht, wo er war, wie spät es war und wie er hierhergekommen war.

Als er die tickende Uhr wahrnahm, fiel es ihm wieder ein: das fremde Wohnzimmer. Bergetssånger, die Panne. Ingmar. Er versuchte, sich zu beruhigen, presste den Atem aus seiner Lunge wie durch einen viel zu engen Spalt.

»Ingmar?«, rief er vorsichtig.

Keine Antwort. War er etwa allein im Haus? Und wann war er überhaupt eingeschlafen?

Noch immer ziemlich schlaftrunken stand er auf und wankte hinüber ins Bad. Nachdem er sich erleichtert und sein Gesicht mit kaltem Wasser gewaschen hatte, fühlte er sich schon deutlich besser.

Blieb noch die Frage, wo Ingmar war. War er vielleicht zur Arbeit gefahren? Aber würde er ihn, einen Fremden, allen Ernstes allein in seinem Haus lassen? Das bezweifelte Oscar stark, zumal Ingmar Polizist war.

Er ging hinüber in die Küche und warf einen eher beiläufigen Blick aus dem Fenster. Dort entdeckte er ihn: Ingmar, der im Hof sein Auto in Augenschein nahm.

Eilig zog sich Oscar an und ging hinaus, obwohl er Durst hatte und sein Magen knurrte. »Guten Morgen«, begrüßte er Ingmar schüchtern.

Der hielt inne und drehte sich zu ihm um. »Guten Morgen! Na, wieder unter den Lebenden?«

»Es tut mir leid, ich wollte gar nicht so lange schlafen.«

»Oh, kein Problem. Du hast den Schlaf ja offensichtlich gebraucht.« Ingmar blinzelte ihn seltsam an. Er trug seine Mütze tief in die Stirn gezogen, was ihn wohl ein wenig finster aussehen ließe, wäre die Mütze nicht mit Rentieren gemustert. »Dein Auto schnurrt übrigens wieder.«

»W-was?«, erwiderte Oscar verdutzt. »Du hast es schon repariert?«

»Da gab’s nichts zu reparieren.«

»Wie jetzt?«

»Ein Schluck Benzin aus dem Kanister hat gereicht. Dein Auto ist nicht kaputt. Es hatte einfach nur einen komplett leeren Tank.«

»Oh ...« Am liebsten wäre Oscar im Boden versunken. Er wusste nichts zu sagen. War ihm das wirklich entgangen?

»Ist dir das wirklich nicht aufgefallen?«, hakte Ingmar stirnrunzelnd nach. »Da leuchtet doch die Lampe auf und meistens piept es auch ...«

»Das ist mir wohl irgendwie durchgerutscht.« Oscar schluckte trocken, beschämt, aber gleichzeitig erleichtert, dass sein Auto, das er sich erst vor zwei Wochen gekauft hatte, in Ordnung war. »Danke dir, Ingmar. Dann kann ich ja nachher weiterfahren.« Wohin auch immer.

»Ah-ah!« Tadelnd hob Ingmar den Zeigefinger. »Du hast immer noch Sommerreifen. Damit kann ich dich leider nicht fahren lassen – da kommt nun mal der Polizist in mir durch. Morgen früh muss ich zur Arbeit, aber am Abend kann ich dir in Kiruna Winterreifen besorgen und mitbringen.«

»Warum nicht heute?«, entfuhr es Oscar.

»Heute ist Sonntag.«

»Oh ... ach so.«

Ingmar hob eine Braue. »Oscar, ich möchte dich etwas fragen. Und ich will, dass du mir ehrlich antwortest – deshalb verspreche ich dir auch im Vorfeld, dass ich dir, egal, wie die Antwort lautet, keinen Ärger machen werde.«

»Okay ...?«

»Also ... du bist über Eineinhalbtausend Kilometer gefahren, hast kaum gegessen, getrunken und geschlafen, du wusstest nicht, wo du bist, hast nicht gemerkt, dass dein Tank leer ist, und welcher Wochentag ist, weißt du offensichtlich auch nicht. Oscar – hast du Drogen genommen?«

»Nein!«, rief er entsetzt. »Ich habe im ganzen Leben noch nie Drogen genommen!«

»Und Alkohol getrunken?«

»Das letzte Mal ist Jahre her. Ich bin nicht der Typ für so was. Ich weiß, dir kommt das alles komisch vor und ich kann das verstehen, aber ich schwöre dir, ich bin Herr meiner Sinne. Ich war nur offensichtlich gedanklich etwas abgedriftet.«

»Etwas sehr, wenn du mich fragst.«

»Ich weiß. Ich hatte nur schwierige Zeiten hinter mir und war einfach erleichtert, ihnen zu entkommen.«

Für eine gefühlte Ewigkeit sah Ingmar ihn prüfend an. »Na gut. Aber du solltest deine Gedanken wieder etwas ordnen, ehe du wieder am Straßenverkehr teilnimmst. Hier oben ist zwar nicht viel los, aber einen Elch zu rammen, kann tödlich ausgehen. Für dich, nicht für den Elch.«

Wider Willen musste Oscar lachen. »Wird gemacht.«

Ingmar warf einen Blick in den Himmel, wo gelblich graue Wolken neuen Schnee ankündigten. »Lass uns reingehen und frühstücken. Bis wir deine Winterreifen haben, bist du mein Gast.«

›Der Kerl ist sauber.‹

Das war die erste Nachricht gewesen, die Ingmar nach dem Aufwachen gelesen hatte. Hans hatte nichts zu Oscar finden können, keine Einträge im Strafregister, keine Haftbefehle, keine Vermisstenmeldungen, nichts.

Ingmar musste sich eingestehen, dass ihn das ein wenig verwunderte. Er war sich absolut sicher gewesen, dass er irgendeiner seltsamen Sache auf der Spur war. Seine Fragen nach Drogen und Alkohol hatte Oscar jedoch ebenfalls glaubhaft verneint.

Dann ist er wohl einfach so ein Typ Mensch, der den Kopf in den Wolken hat.

So recht wollte es Ingmar immer noch nicht glauben, aber die Indizien sprachen vorerst gegen seinen Instinkt. Bis mindestens übermorgen früh hatte er den Kerl noch am Hals; vielleicht kamen sie bis dahin ins Gespräch und er ließ sich doch noch etwas entlocken.

»Weißt du zufällig, ob es hier im Umkreis Wohnungen zu vermieten gibt – oder kleine Häuser?«, erkundigte sich Oscar unvermittelt beim Frühstück.

»Hier?« Ingmar kratzte sich am Kopf. »In Kiruna möglicherweise. Allerdings musst du da aufpassen – die Stadt wird in den nächsten zwanzig Jahren um fünf Kilometer nach Osten verlegt, um das darunterliegende Eisenerz abbauen zu können.«

»Kiruna nicht, das ist mir schon zu groß«, gab Oscar zurück. »Ich meine etwas Abgelegenes, so wie hier.«

»Spontan weiß ich nichts, aber ich bin auch kein Immobilienmakler. Abgesehen davon würde ich dir als unerfahrenem Städter aus dem Süden nicht empfehlen, gleich in die Abgeschiedenheit Lapplands zu ziehen. Das ist nicht halb so romantisch, wie du vielleicht denkst.«

»Mir geht es nicht um Romantik. Ich will nur ... ich will meine Ruhe.«

»Und wovon willst du leben? Arbeitsstellen gibt es hier nicht wie Sand am Meer.«

»Heutzutage geht doch viel über das Internet.«

»Was bist du denn von Beruf?«

»Ich orientiere mich gerade um.«

Wie sollte Ingmar bei all diesen seltsamen Wünschen und ausweichenden Antworten denn nicht misstrauisch werden? Es mochte keine strafrechtliche Verfolgung sein, vor der er flüchtete, aber vor irgendetwas rannte er weg.

Oder er hat ein Verbrechen begangen, von dem noch keiner weiß.

Die psychische Belastung könnte auch seine offensichtlichen Aussetzer erklären. Auch wenn seine Akte sauber war – Ingmar würde weiterhin achtsam bleiben.

»Na ja, jedenfalls schätze ich, du wirst online schauen müssen, ob irgendwo jemand eine Wohnung oder ein Haus inseriert hat. Hier im Ort ist mir nichts bekannt.«

»Okay. Danke. Ich werde schauen.«

»Mach das. Ich gehe nachher eine Runde joggen. Willst du mitkommen?«

»Ich bin schon Ewigkeiten nicht gejoggt«, gab Oscar zögerlich zurück.

»Dann wird es Zeit, wieder damit anzufangen. Vielleicht wird dein Kopf dann auch wieder etwas klarer.«

Und ich muss dich nicht allein in meinem Haus lassen. Das wird morgen schon schlimm genug.

»Und wenn ich langsam bin?«

»Das macht nichts«, erwiderte Ingmar mit einer gewissen Doppeldeutigkeit. »Wir sind nicht auf der Flucht.«

5

Isen sjunger

Obwohl es zu erwarten gewesen war, entsetzte es Oscar, wie wenig Kondition er noch hatte. Nicht einmal ein halber Kilometer und er kam schon aus der Puste. Die kalte Luft – es mussten Temperaturen deutlich unter dem Gefrierpunkt sein – tat ihr Übriges und ließ seine Bronchien verkrampfen.

Ingmar drosselte freundlicherweise immer wieder sein Tempo und wartete, bis Oscar zu ihm aufschloss.

»Wir können auch einfach nur straff gehen, wenn dir das Laufen zu viel ist«, schlug er vor. »Es sollte immer nur so anstrengend sein, dass man sich dabei noch unterhalten kann.«

»Unterhalten ... kann ich mich eher nicht ...«, erwiderte Oscar keuchend. »Aber ich will dir ... ich will dir nicht deine morgendliche ... deine morgendliche Joggingrunde versauen.«

»Ist schon gut.«

Sie verlangsamten ihr Tempo, bis sie beide nur noch gingen. Es war ein klarer Morgen, knackig kalt, der Schnee in der tief stehenden Sonne glitzernd. Sie liefen eine lange Straße entlang, Häuser gab es nur hin und wieder mit ordentlich Abstand. Rechts von ihnen erstreckte sich ein ausgiebiger Nadelwald, die Äste schwer unter dem Schnee. Kaum zu glauben, dass in wenigen Tagen erst der November begann. In Göteborg hatte noch schmuddeliges Herbstwetter geherrscht.

Aus der Ferne näherte sich jemand; zu schnell, um zu Fuß unterwegs zu sein, und bald erkannte Oscar, dass es sich um einen Mann auf einem Laufschlitten handelte, der sich kraftvoll über die schneebedeckte Straße voranschob. Er trug Thermokleidung wie sie beide auch, auf dem Kopf jedoch eine buntverzierte Mütze mit blauen Zipfeln, die ihn als Angehörigen des samischen Volkes auswies.

»Guten Morgen, Ingmar!«, rief er, sobald er in Hörweite war.

»Guten Morgen, Aksel.«

Der Mann hielt an und nahm Oscar mit einem freundlichen Blick in Augenschein. Er mochte Mitte fünfzig sein, aber vielleicht hatte auch einfach nur das raue Wetter sein Gesicht gegerbt. »Hast du Besuch, Ingmar?«

»Unverhofft, ja. Der arme Kerl ist hier mit seinen Sommerreifen gestrandet und ich kann erst heute Abend nach Dienstschluss Winterreifen in Kiruna besorgen.« Ingmar lachte amüsiert; Oscar war das Ganze eher peinlich.

Diese Menschen mussten ihn für vollkommen dumm halten, aber ihnen erklären, warum er so durch den Wind gewesen war, konnte er auch nicht.

»Ihr Städter, he?« Aksel zwinkerte ihm zu und streckte ihm eine Hand hin. »Aksel.«

»Oscar«, erwiderte er und nahm die Hand entgegen, die die seine fest drückte.

»Wegen neulich«, fuhr Aksel fort und wandte sich wieder an Ingmar, »danke noch mal. Wir hätten den pelzigen Ausreißer ohne dich wohl nicht wieder eingefangen. Ich ruf dich die Tage mal an oder komme vorbei.«

Ingmar nickte ernst. »Kein Thema.«

»Gut, dann joggt ihr beide mal weiter.« Aksel hob noch einmal die Hand zum Gruß, stieß sich mit einem kräftigen Tritt ab und glitt auf seinem Schlitten davon.

»Aksel und seine Familie gehören zu den wenigen Verbliebenen unter dem Sámi, die noch in der traditionellen Rentierzucht tätig sind«, wusste Ingmar zu berichten. »Aber es werden ihnen immer mehr Stolpersteine in den Weg gelegt. Ich versuche, sie zu unterstützen, wo es geht. Denn ich will nicht, dass die indigene Kultur hier ausstirbt.«

»Das ist gut von dir«, erwiderte Oscar und schämte sich innerlich ein wenig, dass er noch nie wirklich über diese Leute nachgedacht hatte. Sie hatten dieses Land schon viel früher besiedelt als seine eigenen Vorfahren.

Aber die Begegnung mit Aksel brachte ihn auch noch auf einen anderen Gedanken: das Dorfleben. Hier kannte offenbar jeder jeden, und wenn ein Fremder im Ort war, fiel das sofort auf. Oder wenn beim Nachbarn etwas seltsam war. Das konnte ein Vorteil sein. Der Nachteil war dann wohl wiederum, dass man nur wenig für sich behalten konnte. Dass man übereinander Bescheid wissen wollte.

»Lass uns runter Richtung See laufen«, schlug Ingmar an einem Abzweig vor und Oscar folgte ihm.

Der See offenbarte sich als fast vollkommen zugefroren, eine große, bläuliche, von Rissen durchzogene Fläche, am gegenüberliegenden Ufer gesäumt von dichtem, dunklem Wald.

Äußerst seltsame Geräusche drangen an Oscars Ohren. Etwas Tiefes, Profundes, begleitet von einem seltsam hohen Ton, der an den Schuss einer Laserpistole in einem Science-Fiction-Film erinnerte. Oder das Rufen einer Kreatur aus den dunklen Tiefen. Es war unheimlich, aber gleichzeitig zog es Oscar magisch an. Er verlangsamte seinen Schritt und lauschte.

»Hörst du das auch?«, fragte er Ingmar zaghaft, weil er Angst hatte, sich diese Geräusche nur einzubilden.

»Du meinst das Eis?«

»Das Eis?«

»Diese Geräusche, die gerade die Luft erfüllen. Sie kommen vom zufrierenden See. Wenn die Eisdecke zu Beginn des Winters dicker wird und Risse entstehen, setzt sie diese Töne frei. Wir sagen hier, dass das Eis singt.«

Sie traten ans Ufer, der harsche Schnee knirschte unter Oscars Stiefeln und sein Atem kondensierte zu weißen Wolken. Er hielt die Luft an. Und lauschte.

Die Geister des Winters brechen sich frei.

Unsichtbare Wesen, die Geräusche von sich gaben, die nicht dieser Welt entstammten. Rufe aus anderen Sphären, in einer Sprache, die kein Mensch beherrschte. Es war, als brachten diese Töne und der Boden unter seinen Füßen seinen gesamten Körper zum Vibrieren. Gäbe es im Vakuum des Universums Töne, dann würden sie sich mit Sicherheit so anhören. Alt. Sphärisch. Außerirdisch.

»Manchmal komme ich nachts hierher, wenn der Winter beginnt«, erklärte Ingmar leise. »Wenn du diese Gesänge hörst und den Sternenhimmel und die Polarlichter über dir hast, ist das gespenstisch und wunderschön zugleich. Dann weißt du tief in deinem Inneren, dass die Natur beseelt ist.«

Oscar schluckte trocken und fühlte ein Stechen hinter den Augen. Er schlug die Hand vor den Mund und versuchte, sein verkrampftes Gesicht zu entspannen. Aber es gelang nicht. Überhaupt nicht.

»Weinst du etwa?«, fragte Ingmar und seine Miene nahm sofort einen besorgten Ausdruck an. »Ist alles in Ordnung?«

»Sch-schon gut«, stammelte Oscar, schniefte geräuschvoll und atmete tief durch. »Ich denke, ich bin gerade ein bisschen überwältigt. Das singende Eis. Die Natur, die frische Luft, die Freiheit.«

»Du redest wie jemand, der eingesperrt war«, bemerkte Ingmar und Oscar zuckte unwillkürlich zusammen.

»In so einer kleinen Stadtwohnung kann man sich wirklich sehr eingesperrt fühlen«, gab er zurück und hoffte, dass das Ingmar als Erklärung reichte.

»Das verstehe ich. Ich bin in Stockholm zur Polizeischule gegangen und hätte die Ausbildung vor lauter Heimweh fast abgebrochen. Ich bin so oft wie möglich nach Bergetssånger gereist – damals wohnten meine Eltern noch mit im Haus, mein jetziges Büro war mal mein Kinderzimmer. Inzwischen leben sie in einem Seniorenwohnsitz in Kiruna, weil es ihnen hier verständlicherweise zu beschwerlich wurde. Sie sind jetzt über siebzig und nicht mehr die Fittesten.«

»Die Leute hier kennen sich ... und man hat trotzdem irgendwie seine Ruhe ... oder?«

»So ist es. Dein Nachbar rückt dir nicht auf die Pelle, aber wenn etwas ist, sind alle füreinander da. Anders kann man in so einer Gegend auch nicht überleben, vor allem im Winter. Das Feuer im Ofen muss brennen, der Schnee muss geschaufelt werden. Aber die Belohnung ...«, er hielt einen Moment inne und ließ das Singen des Eises auf sie beide wirken, »die Belohnung ist das hier. Und noch viel mehr.«

»Ich beneide dich gerade ein bisschen.«

»Ich dich auch.«

»Warum?«, fragte Oscar verdutzt.

»Weil du das singende Eis gerade zum ersten Mal hören darfst. Ich glaube, das ist so, wie sein Lieblingsbuch zum ersten Mal zu lesen. Es ist auch beim zwanzigsten Mal noch wunderschön, aber das erste Mal bleibt etwas ganz Besonderes. Ich erinnere mich noch, wie ich diese Geräusche als Kind zum ersten Mal bewusst wahrgenommen habe. Ich war fünf oder sechs Jahre alt. Mein Vater ging mit mir zum See. Ich habe mich ein wenig gefürchtet, weil ich dachte, dass Geister um uns spuken, aber gleichzeitig wollte ich gar nicht mehr aufhören, ihnen zu lauschen. An diesem Abend war ich so aufgeregt, dass ich gar nicht richtig einschlafen konnte.«

»Ich schätze, so wird es mir heute auch gehen«, bekannte Oscar und zog seine Mütze weiter herunter, weil ihm die Kälte in die Ohrläppchen zwickte. Die eisige Luft stach ein wenig in seinen Lungen. Er wollte weiter den Wintergeistern zuhören, sehnte sich aber gleichzeitig nach einer warmen Stube.

Ingmar schien das zu erkennen. »Machen wir uns auf den Heimweg«, schlug er vor. »Ich muss noch Holz ins Haus holen.«

6

Säkerheten

Oscar half Ingmar mit dem Holz, und Ingmar war froh darüber. Vier Hände erledigten die Arbeit schneller als zwei und sie mussten nicht ewig in der Kälte bleiben.

»Hast du schon eine Idee, wo du hinwillst, wenn dein Auto startklar ist?«, erkundigte sich Ingmar.

Oscar, der gerade auf seinem Handy herumgescrollt hatte, blickte auf und schien einen Moment zu brauchen, um die Frage zu verarbeiten. »Ich weiß noch nicht genau. Ich ... ich schaue gerade, was es hier so für Möglichkeiten für mich gibt. Viele finde ich bisher allerdings nicht.«

»Du spielst also immer noch mit dem Gedanken, hierherzuziehen?«

»Ja«, erwiderte Oscar. »Ich kann doch jetzt nicht mehr zurück in die Stadt, nachdem ich das singende Eis gehört habe.« Er lächelte. Es erhellte sein gehetztes, junges Gesicht für einen Moment.

Du bist hübsch.

Er war an sich nicht der Typ Mann, den Ingmar bevorzugte – er mochte kräftige, gern bärtige Männer mit Bauchansatz – und doch hatte Oscar mit seinem schlanken Wuchs und dem bubenhaften Gesicht etwas an sich, das ihm gefiel. Allerdings spielte das keine Rolle. Er war nicht seinetwegen hier, sondern aus der Not heraus.

»Möchtest du fernsehen?«, erkundigte er sich. »Ich muss noch ein bisschen Papierkram erledigen.«

»Ja, gerne.«

Ingmar reichte ihm die Fernbedienung und ging hinauf in sein Bürozimmer, wo sein PC und sein Aktenschrank standen. Er fuhr den PC hoch, aber obwohl er eigentlich vorgehabt hatte, ein paar steuerliche Unterlagen zu ordnen, durchsuchte er stattdessen die Social Media nach einem Profil von Oscar. Er fand nichts. Entweder hielt sich Oscar aus diesen Plattformen heraus oder benutzte einen anderen Namen.

Vielleicht sollte ich auch einfach aufhören, ihm hinterherzuspionieren.

Wahrscheinlich war es sein unbedingter Wille, dass hier mal etwas Spannendes passierte, der ihn die Sache gedanklich nicht loslassen ließ. Aber war die Tatsache, einen fremden Kerl aus Göteborg bei sich im Haus zu haben, nicht schon spannend genug?

Seufzend widmete er sich doch seinem Papierkram. Gegen Mittag ging er wieder hinunter und machte ihnen Pytt i panna – ein Pfannengericht aus Kartoffeln, Zwiebeln, Roter Bete, Speck und Eiern. Oscar aß mit Appetit und übernahm wortlos den Abwasch.

Der Nachmittag zog sich hin. Von selbst fing Oscar kein Gespräch an und Ingmar wusste nicht so recht, wie er unverfänglich wirken und trotzdem ein paar Antworten auf die Fragen erhalten konnte, die ihn beschäftigten. Also sahen sie sich schweigend Tierdokus im Fernsehen an, bis es Zeit fürs Abendessen wurde.

Ingmar hatte gestern kräftiges, dunkles Brot gekauft und sie aßen es mit Butter, Käse, Wurst und eingelegtem Gemüse. Dazu gab es Hagebuttentee.

»Sag mir, was du für das Essen bekommst«, bat Oscar.

»Wie meinst du das?«

»Ich meine Geld. Ich erwarte nicht, dass du mich hier gratis verköstigst.«

»Ach.« Ingmar winkte ab. »Das treibt mich nun nicht in den Ruin. Du kannst allerdings gerne wieder den Abwasch übernehmen.«

Oscar lächelte verlegen und wandte den Blick ab. »Geht klar.«

An diesem Abend wurde Oscar zeitig müde, wahrscheinlich durch die frische Luft am Morgen. Und noch etwas war anders als am Abend zuvor: Er fühlte sich einigermaßen sicher. Dieses Gefühl mochte trügerisch sein, aber dieses Haus, das ihn mit seinen knarrenden Dielen und dem rustikalen Geruch nach Holzfeuer so an das seiner Mormor erinnerte, war wie eine Burg.

Nicht zuletzt durch Ingmars Anwesenheit. Hätte Ingmar Böses im Schilde geführt, wäre er sicher längst zur Tat geschritten. Aber er war einfach nur freundlich. Er machte ihm Essen, gab ihm eine warme Couch zum Schlafen und wollte morgen Winterreifen für ihn besorgen.

Natürlich konnte auch Nettigkeit eine Taktik sein. Love bombing. Aber Ingmar wollte ja nichts von ihm. Sie hatten sich nur durch Zufall getroffen. Das war etwas völlig anderes, als wenn ein Mann sich bewusst mit ihm traf und ihn manipulierte. Und dass Ingmar überhaupt schwul war, war statistisch ebenso unwahrscheinlich. Übermorgen früh trennten sich ihre Wege und Oscar war wieder auf sich allein gestellt. Aber bis dahin genoss er die Vorstellung, dass ihn hier keiner finden würde. Dass die Geister unter dem singenden Eis über ihn wachten. Und vielleicht auch ein bisschen Ingmar.

Er kuschelte sich in die weiche Wolldecke und zog sie bis zur Nase hoch. Im Haus war es still; Ingmar hatte sich nach oben in sein Schlafzimmer zurückgezogen.

Oscar stellte sich vor, wie es wäre, in einem solchen Haus zu leben. An einem solchen Ort. Umgeben von Wärme und Gemütlichkeit; der Tag ausgefüllt mit körperlich anstrengender Arbeit, die von zwanghaften Gedanken ablenkte. Eigentlich mochte er die Kälte nicht. Und doch schien sie ihm gerade perfekt. Wie ein schützender Wall. Schneewehen, hinter denen er sich verbergen konnte.

Begleitet von diesen tröstlichen Gedanken fiel er in einen tiefen Schlaf und erwachte erst wieder, als ein schwacher Lichtschein zur Tür hereinfiel und er Ingmar leise in der Küche hantieren hörte.

Gähnend setzte er sich auf und brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Blitzartig traf ihn ein Gedanke: Was, wenn es gar nicht Ingmar war, der hier durchs Haus schlich? Was, wenn ...

»Ingmar?«, rief er leise, auch wenn es vielleicht keine gute Idee war, auf sich aufmerksam zu machen.

Zu seiner grenzenlosen Erleichterung war es jedoch tatsächlich Ingmar, der den Kopf zur Tür hereinstreckte.

»Oscar, guten Morgen! Willst du frühstücken? Ich habe Brot, Gröt und Kaffee.«

»Gröt?« Oscars Herz schlug einen Takt höher. »Mit Milch und Preiselbeeren?«

»Natürlich.«

Oscar brauchte keine weitere Motivation, um aufzustehen und hinüber in die Küche zum Frühstückstisch zu gehen. Er liebte Gröt zum Frühstück, dicken Haferbrei mit Milch, süß abgeschmeckt mit Zimt und Zucker und dazu Preiselbeerkompott. Er hatte es schon sehr lange nicht mehr gegessen.

»Hier erinnert mich viel an meine Mormor«, gestand er Ingmar, als er sich setzte. »Der Dielenboden, der Holzofen und jetzt die Gröt.«

Ingmar drehte sich kurz um und lächelte. Er war bereits fertig angezogen und roch frisch geduscht. »Bei Mormor war es immer am schönsten, nicht wahr? Obwohl ich am liebsten bei meiner Oma väterlicherseits war. Ich vermisse meine Farmor sehr, obwohl sie schon mehr als fünfzehn Jahre tot ist. Lebt deine Mormor noch?«

»Nein«, gab Oscar zurück und für einen Moment wollte sich eine erdrückende Welle von Trauer in ihm aufbäumen.

Meine Mormor ist tot. Und ich konnte mich nicht einmal richtig von ihr verabschieden.

Er zwang den dicken Kloß hinunter und nahm einen großen Schluck Kaffee aus der Tasse, die Ingmar ihm reichte.

»Ich werde erst so gegen neunzehn Uhr zurückkehren«, erklärte sein Gastgeber und nahm auch am Tisch Platz, »da ich ja nach dem Dienst noch nach Kiruna fahre und deine Winterreifen besorge. Fühl dich hier wie zu Hause, bedien dich am Kühlschrank, sieh fern, nimm ein Bad – falls du das vorhast, musst du aber ein paar Stunden vorher den Warmwasserboiler einschalten. Ich wäre dir nur dankbar, wenn du die Privatsphäre meines Schlafzimmers und meines Büros respektierst. Und wenn du ab und zu mal Holz im Ofen nachlegst, damit das Haus nicht auskühlt.«

»Selbstverständlich. Tausend Dank für deine Hilfe. Was werden die Reifen kosten? Ich kann dir Bargeld dafür mitgeben.«

»Ich denke, um die 5.500 Kronen sollten reichen.«

Oscar nickte. »In Ordnung.«

»Du kannst es mir auch per PayPal oder so schicken, falls du jetzt nicht dein ganzes Bargeld hergeben willst.«

»Ich habe kein PayPal. Aber Bargeld habe ich dann schon noch übrig.«

Ingmar warf ihm einen seltsamen Blick zu, nickte jedoch. »Na schön.«

Nach dem Frühstück händigte Oscar Ingmar das Geld aus und der machte sich auf den Weg zu seinem Dienst. Oscar blieb allein zurück und obwohl er wachsam bleiben wollte und auch gerade erst einen Kaffee getrunken hatte, überkam ihn schon wieder eine bleierne Müdigkeit.

Die letzten Tage zehrten an ihm. Die letzten Wochen. Monate. Jahre.

Er überprüfte die Haustür, ging sicher, dass sie abgeschlossen war, ebenso der Hinterausgang.

Hier fehlt ein Hund.

Ein großer, treuer Wachhund, der jedem Beine machte, der hier nichts zu suchen hatte. So einen würde Oscar brauchen und so einen würde er zu sich holen, sobald er einen Ort hatte, an dem er bleiben konnte.

Die Müdigkeit zog an seinen Lidern, ließ sie schwer werden. Er legte sich wieder aufs Sofa und schlief ein.

7

Snöstormen

Irgendwann wurde Oscar wach, weil ein tiefes Dröhnen seine Ohren erfüllte. Es schien durch die Wände des Hauses zu kriechen und es regelrecht zu erschüttern.

Erschrocken und verwirrt rappelte er sich auf und ging hinüber zum Fenster. Nachdem er einige Momente brauchte, um aus der Welt der Träume wieder ganz im Diesseits anzukommen, begriff er, was das Dröhnen verursachte.

Es war ein Schneesturm. Und der hatte es in sich. Fast schon waagerecht peitschten die Flocken um das Haus und die Fichte neben der Garage bog sich bedrohlich im Wind. Oscar wusste nicht, wie lange dieser Sturm schon wütete, wie lange er geschlafen hatte, aber er hatte die Schneewehen ums Haus noch einmal deutlich anwachsen lassen.

Oscar warf einen Blick auf die Uhr, deren beruhigendes Ticken ihn vorhin in den Schlaf gelullt hatte. Halb zwei am Nachmittag.

Das Feuer!

Eilig ging er hinüber in die Küche und stellte erleichtert fest, dass der Ofen noch nicht ganz ausgegangen war. Eine Glut glimmte noch und spendete Wärme, und sobald er frisches Holz darauf legte, begannen Flammen darum zu züngeln. Ein Blick auf den Kalender neben der Mikrowelle verriet ihm, dass heute der einunddreißigste Oktober war. Und schon so ein Wetter. Unglaublich. Gewissenhaft kontrollierte Oscar, ob in Küche und Wohnzimmer die Deckenlüfter eingeschaltet waren, um die Wärme gleichmäßig zu verteilen.

Dann trat er wieder ans Fenster. Gegen dieses tobende Inferno da draußen war der Schneesturm, in dem er vorgestern gestrandet war, ein laues Lüftchen. Ingmar hatte nicht übertrieben, als er gesagt hatte, das Leben hier oben sei extrem. Aber das Gute daran war, dass ihn wohl genau deshalb niemand hier oben vermutete.

Ingmar.

Irgendwie machte sich Oscar Sorgen. Es wurde bald schon wieder dunkel und er musste in diesem Unwetter Dienst schieben, wollte sogar noch nach Kiruna fahren, um Winterreifen zu besorgen. Hoffentlich passierte ihm nichts.

Für den Notfall hatte Ingmar ihm seine Handynummer hinterlassen und kurz spielte Oscar mit dem Gedanken, ihn anzurufen und zu fragen, ob alles bei ihm in Ordnung war. Doch dann ließ er von dem Gedanken wieder ab. Es würde komisch wirken; für solche Anrufe standen sie sich nicht nahe genug und Ingmar war ein erwachsener Mann, der vermutlich schon immer hier lebte und wusste, wie man mit solch einem Wetter umging.

Oscar schaltete den Fernseher ein und ließ irgendeine Sendung laufen, die er nicht beachtete. Er wünschte sich nur ein paar Geräusche im Haus. Drüben in der Küche durchsuchte er den Kühlschrank und fand übrig gebliebene, gekochte Kartoffeln, die er sich aufwärmte und mit Salz und Butter aß.

Danach sah er unmotiviert für ein paar Minuten fern und stand dann doch wieder auf, weil seine innere Unruhe ihn dazu antrieb. Er wandelte durchs Haus und mied die Zimmer, von denen Ingmar ihn gebeten hatte, sie nicht zu betreten.

Und da waren sie wieder, die aufdringlichen Gedanken, die ihm die blödesten Ideen in den Kopf setzten. Was verbarg sich wohl hinter diesen Türen? Das Büro und das Schlafzimmer, aber was war darin so privat, dass Oscar es nicht sehen sollte?

Versteckt er da was? Ist er vielleicht doch ein seltsamer Typ?

Obwohl Oscar Ingmars Bitte wirklich respektieren wollte, ließen ihn diese dummen Gedanken nicht los. Er musste sichergehen. Nur einen kurzen Blick hineinwerfen, nichts durchwühlen, einfach nur von der Tür aus schauen.

Er legte seine Hand auf die Türklinke eines der beiden Räume im Obergeschoss. Drückte sie langsam herunter, spürte, wie er zitterte und seine Handflächen feucht wurden. Unwillkürlich musste er an das Märchen vom Ritter Blaubart denken, in dem dessen Frau einen verbotenen Raum betreten und ein blutiger Schlüssel ihren Ungehorsam verraten hatte.

Hier gab es natürlich keinen blutigen Schlüssel. Und hinter der Tür, die er langsam öffnete, verbarg sich nichts als ein kleiner Raum mit einem Schreibtisch und ein paar Regalen, in denen Aktenordner und einige Bücher standen. Völlig harmlos.

Und das Schlafzimmer?

Er versuchte, sich selbst zu überreden, sich den Blick hinein zu sparen, nachdem das Büro schon harmlos gewesen war. Aber er schaffte es nicht. Auch diese Tür öffnete er langsam. Eine Windböe rüttelte an den hölzernen Hauswänden, wie um ihn zu tadeln. Die Dielen knarrten warnend unter seinen Füßen, das Herz schlug ihm bis in die Kehle.

Umsonst. In diesem Zimmer gab es nichts außer einer Kommode, einem Kleiderschrank und einem ungemachten Bett voller flauschiger Decken unter der Dachschräge. Zwischen den zerwühlten Decken lag ein Plüschfuchs.

Oscar entfuhr ein erleichtertes Lachen. Am Ende war es nur das Plüschtier gewesen, das er nicht hatte sehen sollen, weil die meisten erwachsenen Männer sich dafür wohl schämen würden. Aber die Tatsache, dass Ingmar ein Stofftier mit ins Bett nahm, hatte für Oscar etwas Beruhigendes an sich. Jemand, der so etwas tat, konnte doch kein Psychopath sein, oder? Er musste ein Mensch sein, der sich nach etwas Wärme sehnte. Und ein paar Kuscheleinheiten.

Ich würde gern in seiner Nähe bleiben.

Vielleicht musste er mit seinen neuen Winterreifen gar nicht noch hundert Kilometer nordwärts fahren. Irgendwo hier im Umkreis bleiben, das wäre gut. Zu wissen, dass er Ingmar notfalls erreichen konnte, falls ...

Er beschloss, sich erneut auf die Suche nach einem kleinen Haus oder einer Wohnung zu machen. Oder zumindest einem Zimmer, das er mieten konnte. Vielleicht gab es irgendwo ein airbnb, das eigentlich für Touristen gedacht war und das er sich anmieten konnte, bis er etwas Festes gefunden hatte?

Er ging hinunter, um sich sein Handy zu schnappen und danach zu suchen, aber sein Blick blieb im Flur wieder an den Bildern hängen. Diesmal betrachtete er sie im Lampenlicht genauer. Und stellte fest, dass der Mann auf dem Bild mit dem großen Fisch auch noch auf zwei anderen zu sehen war. Einmal mit Ingmar auf einem Rentierschlitten und einmal, ebenfalls mit Ingmar, am Seeufer an einem Lagerfeuer.

Die Bilder schienen einige Jahre alt zu sein, denn Ingmars Haar war auf ihnen noch voller, und die beiden Männer wirkten in etwa gleichalt.

Sein Bruder?

Das könnte sein. Sie hatten die gleiche Haarfarbe, ein dunkles Braun.

Ich würde auch gern mal wieder mit meinem Bruder sprechen. Etwas mit ihm unternehmen. Und mit meiner Schwester. Und mit meinen Eltern ...

Die Versuchung, sie anzurufen, war groß. Aber es war noch zu früh. Zu unsicher. Er musste sich zusammenreißen. Natürlich würde er sie irgendwann kontaktieren, denn all das hier hatte er auch getan, damit er genau das konnte. Er durfte nur nichts überstürzen und damit riskieren, alles zu verderben.

Er setzte sich wieder vor den Fernseher und schaute eine Kochsendung an. Gern würde er Ingmar heute Abend aus Dankbarkeit mit einem Essen überraschen, aber er hatte schon seit Jahren nicht mehr gekocht und deshalb zu viel Angst, das Essen zu verderben und damit Ingmars kostbare Lebensmittel zu verschwenden, die man hier nicht einfach in fünf Minuten im nächsten Laden holen konnte. Also ließ er es bleiben und würde lieber nachher wieder den Abwasch übernehmen.

Es war kurz nach siebzehn Uhr, als Oscar ein Klappern an der Haustür vernahm. Kurz darauf das Trampeln von Stiefeln, die im Windfang abgeklopft wurden. Er lugte um die Ecke und Ingmar kam herein. Er sah aus wie ein Schneemann, mit einer weißen Schicht auf der Mütze, der Jacke und sogar den Augenbrauen. Und das nur vom kurzen Weg von seinem Auto bis zum Haus.

»Oscar.« Schnaufend begann Ingmar, seinen Schal und seine Jacke abzulegen. »Es tut mir leid, aber ich bin nicht nach Kiruna gefahren. Ich habe nur geschaut, dass ich mich bis nach Hause durchkämpfen kann. Ich fahre, sobald das Wetter besser wird. Heute nicht mehr.«

»Schon in Ordnung.« Innerlich war Oscar erleichtert, die Sicherheit von Ingmars Haus doch noch nicht verlassen zu müssen. »Bin ja froh, dass du gut nach Hause durchgekommen bist.«