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»Je größer der Dachschaden, desto freier der Blick auf die Sterne!« Stellan ist ein griesgrämiger Kerl, wie er im Buche steht. In einer dreimonatigen Auszeit im sommerlichen Nordschweden möchte er sein Leben neu ordnen. Doch schon am ersten Tag sinkt seine Laune gewaltig in den Keller, als durch einen Buchungsfehler ein junger Kerl namens Kristian in seinem Ferienhaus auftaucht. Kristian ist eine erklärte Frohnatur und macht es sich rasch zu seiner Aufgabe, Stellan mit Humor und kleinen Wortgefechten aus der Reserve zu locken. Allerdings ist der Kerl ein harter Brocken und blockt zunächst jeden Versuch rigoros ab. Mit der Zeit beginnt Stellans zynische Fassade jedoch zu bröckeln und offenbart mehr und mehr ein einsames, trauerndes Herz – eine Sache, mit der sich Kristian leider allzu gut auskennt … "Wenn die Tage länger werden" ist der 3. und abschließende Roman der "Bergets Sånger"-Reihe. Jede Geschichte ist in sich abgeschlossen und hat jeweils einen anderen Bewohner des Ortes als Hauptfigur.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Gay Romance
© Urheberrecht 2024 Jona Dreyer
Impressum:
Tschök & Tschök GbR
Alexander-Lincke-Straße 2c
08412 Werdau
Text: Jona Dreyer
Coverdesign: Jona Dreyer
Coverbilder: depositphotos.com
Lektorat/Korrektorat: Kelly Krause & Shannon O’Neall
Kurzbeschreibung:
»Je größer der Dachschaden, desto freier der Blick auf die Sterne!«
Stellan ist ein griesgrämiger Kerl, wie er im Buche steht. In einer dreimonatigen Auszeit im sommerlichen Nordschweden möchte er sein Leben neu ordnen. Doch schon am ersten Tag sinkt seine Laune gewaltig in den Keller, als durch einen Buchungsfehler ein junger Kerl namens Kristian in seinem Ferienhaus auftaucht.
Kristian ist eine erklärte Frohnatur und macht es sich rasch zu seiner Aufgabe, Stellan mit Humor und kleinen Wortgefechten aus der Reserve zu locken. Allerdings ist der Kerl ein harter Brocken und blockt zunächst jeden Versuch rigoros ab.
Mit der Zeit beginnt Stellans zynische Fassade jedoch zu bröckeln und offenbart mehr und mehr ein einsames, trauerndes Herz – eine Sache, mit der sich Kristian leider allzu gut auskennt …
Über die Autorin
»Fantasie ist wie ein Buffet. Man muss sich nicht entscheiden – man kann von allem nehmen, was einem schmeckt.«
Getreu diesem Motto ist Jona Dreyer in vielen Bereichen von Drama über Fantasy bis Humor zu Hause. Alle ihre Geschichten haben jedoch eine Gemeinsamkeit: Die Hauptfiguren sind schwul, bi, pan oder trans. Das macht sie zu einer der vielseitigsten Autorinnen des queeren Genres.
Da ist er nun endlich – der dritte und abschließende Band der »Bergets Sånger«-Reihe.
Eigentlich hätte er schon ein paar Wochen früher erscheinen sollen, aber manchmal kommt eben das Leben dazwischen.
Nun ist auch in Nordschweden der Sommer angebrochen und erwartet uns mit endlos langen Nächten, blühender Natur und leider auch ein paar Mückenschwärmen.
Neben unseren zwei liebenswerten Protagonisten, die Bergetssånger zu ihrem Urlaubsort auserkoren haben, sehen wir auch bekannte Gesichter aus den ersten zwei Bänden wieder (oder, wenn ihr die noch nicht kennt, lernt ihr sie eben jetzt kennen!).
Ich wünsche euch ganz viel Freude beim Lesen.
Das magische Licht, das der Sommer in den Norden brachte, faszinierte ihn immer wieder. Ein Tag hatte plötzlich nicht mehr nur vierundzwanzig Stunden, sondern dauerte Wochen an, ohne dass je die Nacht hereinbrach.
Kristian versuchte jedes Jahr, die Zeit um Midsommar herum möglichst nah an der Natur zu verbringen, fernab von Städten und alltäglicher Hektik. Umgeben von viel Stille, viel frischer Luft – und von hervorragenden Fotomotiven.
Diesmal hatte er sich für einen kleinen Ort namens Bergetssånger in Schwedisch Lappland entschieden. Das kleine Häuschen, das er für drei Wochen gemietet hatte, gehörte einem sympathisch wirkenden, schwulen Paar, was die ganze Sache für ihn als homosexuellen Mann gleich noch überzeugender gemacht hatte.
Er freute sich auf diesen Aufenthalt, der ihm hoffentlich eine Menge Inspirationen für seinen Blog und sein Instagram geben würde, wo er mit vielen Followern seine Bilder, Reiseberichte und Gedanken teilte.
Kristian hatte den Vermietern bereits Bescheid gegeben, dass er gleich eintreffen würde, und einer der beiden, Oscar, hatte ihm geantwortet, dass er ihn am Haus erwartete.
Tatsächlich stand Oscar bereits dort, als Kristian ankam, und hob freundlich eine Hand zum Gruß.
»Hej!«, rief er, als Kristian ausstieg. »Willkommen in Bergetssånger.«
»Hej!«, grüßte Kristian zurück. »Ich freu mich sehr.«
Sie führten einen kurzen Small Talk über Kristians weite Anreise aus Linköping und das sonnige Wetter, ehe sich Oscar daran machte, ihm das Haus zu zeigen.
»Es gibt einen Vorder- und einen Hintereingang«, erklärte er, während sie das rot gestrichene Holzgebäude umrundeten. »Da drüben im Schuppen hast du Feuerholz, falls es dir am Abend doch mal zu kalt wird. Ein Fahrrad steht auch dort, es ist nur nicht das neueste Modell, aber es tut seinen Dienst.«
Das Geräusch eines Motors ließ sie aufhorchen.
»Das könnte mein Mann sein«, mutmaßte Oscar und sie gingen um die Ecke wieder zur Vorderseite des Hauses.
Ein grauer Volvo näherte sich und hielt in der Einfahrt. Der Fahrer blickte düster drein. So düster, dass es Kristian kurz schüttelte.
»Dein Mann?«, hakte er nach.
»Nein.« Oscar runzelte die Stirn. »Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wer das ist.«
Der Fremde stieg aus und winkte ihnen zu. Dunkelblondes Haar, kantiges Kinn, müde Augen, der Blick trotzdem scharf und lauernd.
Er schaute, als wäre er gekommen, um sie umzubringen.
Er war verdammt weit weg von Stockholm. Wirklich verdammt weit weg. Wann er zum letzten Mal einem anderen Auto begegnet war, wusste er auf Anhieb nicht.
Perfekt.
Keine nervtötenden Menschen, keine mitleidigen Blicke, keine pseudobesorgten Fragen nach seinem Befinden. Er konnte allein sein mit sich und seinen Gefühlen, obwohl der Gedanke ihm durchaus Angst machte.
Aber danach? Ja, danach könnte er vielleicht endlich wieder ein bisschen mehr er selbst sein. Wissen, wohin er wollte.
Er war die ganze Nacht durchgefahren. Da es Mitte Mai hier im Norden in großen Schritten auf den Polartag zuging, war die Nacht kurz und hell gewesen, was es leicht machte, wach zu bleiben. Allerdings war der Schlaf ohnehin ein treuloser Gefährte, der ihn nur selten und meist nur kurz besuchte.
Drei Monate wollte Stellan hier oben verbringen, in einem kleinen Ort namens Bergetssånger. Drei Monate fernab von seinem Alltag, in der Hoffnung, dass ihn das irgendwie resettete. Denn sein Leben, so, wie es jetzt war, kotzte ihn an. Er war nicht mehr er selbst. Nichts war mehr so, wie es sein sollte. Weil etwas fehlte. Nein, weil jemand fehlte.
Bergetssånger kam in Sicht, ein Dorf an einem See, umgeben von Wald, genau wie auf den Bildern, die er sich im Internet angesehen hatte. Er hatte sich dort ein ganzes Ferienhaus für sich allein gemietet. LGBTQ-freundlich, hatte in der Beschreibung gestanden. Nicht, dass das wirklich relevant wäre, denn er kam allein. Aber die Lage und Ausstattung des Hauses sowie der Preis hatten ihn letztendlich überzeugt.
Vermietet wurde das Haus von einem schwulen Paar. Hoffentlich keine allzu eifrigen Turteltauben. Er hatte nichts gegen Schwule – er war schließlich selbst einer –, aber anderen beim Glücklichsein zuzusehen, war ätzend. Er wollte seine Ruhe haben. Einfach seine Ruhe.
Stellan erkannte das Ferienhäuschen und steuerte darauf zu, entschloss spontan, es kurz selbst in Augenschein zu nehmen, ehe er den Vermietern seine Ankunft meldete. Doch sein Plan wurde jäh durchkreuzt, als er zwei junge Männer, die sich offenbar angeregt miteinander unterhielten, um das Haus gehen sah. Das mussten dann wohl die Vermieter sein.
Ich hoffe, die sind nicht allzu geschwätzig.
Er parkte sein Auto vor dem Haus. Inzwischen wurde er langsam doch müde und sehnte sich nach einer lauwarmen Dusche und einem weichen Bett. Die Schlüsselübergabe würde ja hoffentlich nicht ewig dauern.
Stellan stieg aus und winkte den beiden Männern zu, die ihn neugierig anglotzten. Beide blond, beide vermutlich Anfang dreißig. War der eine im airbnb-Profil nicht dunkelhaarig und älter gewesen?
Verwirrt näherte er sich den beiden und einer sprach ihn an: »Hej! Kann ich dir helfen?«
Ja, rück den Schlüssel raus und lass mich dann in Frieden.
»Hej. Ich bin Stellan Nätterqvist, der Mieter ... Urlauber ... wie du’s nennen willst.«
»Hä?«, sagte der andere der beiden.
»Moment, wieso bist du heute schon hier?«, fragte der Erste verdutzt.
»Weil ich das Haus ab heute gemietet habe?«
»Sollte das nicht erst in drei Wochen sein?«
Willst du mich verarschen?
Stellan zückte sein Handy, suchte die Buchungsbestätigung und zeigte sie dem Kerl. Ganz eindeutig: Er hatte das Haus ab heute gemietet.
Mit fragender Miene drehte sich der Mann zu dem anderen um, der ihm ebenfalls sein Handy hinhielt. Der Kerl wurde ein bisschen blass und sein Adamsapfel wippte, als er nervös schluckte.
»Wir haben ein Problem«, erklärte er. »Ein dickes, fettes Problem.«
»Ach so?« Stellan verschränkte die Arme.
»Ja. Also, erst mal: Ich bin Oscar Berg, der Vermieter des Hauses ... und es gab offenbar einen Buchungsfehler.«
»Und wie konnte der passieren? Auf die Erklärung bin ich nach eintausendzweihundert Kilometern Anreise sehr gespannt, Oscar Berg.«
In ihm brodelte es. Er hasste es, wenn Dinge schiefgingen. Besonders jetzt, wo er sich endlich einmal Zeit für sich nehmen wollte.
»Du hast über airbnb gebucht, Kristian direkt bei mir über E-Mail ... ich habe versäumt, das Haus bei airbnb für die nächsten drei Wochen als belegt zu markieren.« Sein Gesicht wurde vor Scham tiefrot und sein Blick flog nervös zwischen Stellan und diesem Kristian hin und her. »Wir finden eine Lösung. Ähm ... ich rufe kurz meinen Mann an, ja? Kleinen Moment.«
Er verzog sich um die nächste Ecke und telefonierte, während Stellan den Kerl, der sich einfach in sein Ferienhaus eingemietet hatte, feindselig musterte. Der sah mit seiner sportlich-schlanken Figur, dem Zahnpastalächeln und dem lässigen Haarschnitt wie einer dieser Typen aus, die Soja-Latte tranken und Backpack-Touren durch Nordindien unternahmen, ehe sie wieder in ihr angenehmes Stadtleben zurückkehrten und dort bei Edibles über ihr geistiges Wachstum sinnierten.
Furchtbar.
»Das hier ist mein Haus«, raunte Stellan ihm zu, damit er gleich wusste, wie der Hase lief.
»Ja?« Kristian lächelte entnervend freundlich. »Dabei klingt es so, als hätte ich zuerst gebucht.«
»Und wenn schon. Ich habe es über airbnb gebucht und Oscar will sich bestimmt keinen Ärger mit dieser Plattform einhandeln. Schlimmstenfalls wird er gesperrt. Das wäre ja echt bedauerlich.«
»Bist du immer so ein ...« Kristian brach ab. Bestimmt hatte er Arschloch sagen wollen. »So ein zynischer Mensch?«
»Darauf kannst du Gift nehmen.«
Oscar kehrte zurück und lächelte nervös. »Mein Mann kommt gleich. Er muss nur kurz telefonieren, aber wir finden eine Lösung.«
»Wenn die Lösung darin besteht, dass ich das Ferienhaus bekomme, so wie ich es gemietet und bereits bezahlt habe, soll es mir recht sein.« Stellan hob das Kinn und sah Kristian herausfordernd an.
»Bis wann hast du denn gebucht?«, wollte der wissen.
»Bis Mitte August.«
»Oha! Ein ganz schön ausgedehnter Urlaub. Inspiration und Selbstfindung?«
Halt bloß deine Fresse.
Stellan zog zur Antwort eine Grimasse und wenige Momente später näherte sich im Laufschritt ein Mann mit kurz geschorenem, dunklem Haar und Vollbart.
»Hej!«, rief er. »Da bin ich. Ingmar mein Name, mir und Oscar gehört das Ferienhaus. Die kleine Panne tut uns unendlich leid.«
»Kleine Panne?«, murmelte Stellan und hob eine Braue.
Ingmar schien ihn nicht gehört zu haben. »Ich hab einen guten Freund erreicht, der uns dabei hilft, eine Lösung zu finden. Er und seine Familie – samische Rentierhirten übrigens – haben in ihrem Haus zwei schöne Zimmer frei, die einmal ihren Kindern gehört haben. Sie würden für die fraglichen drei Wochen einen von euch beiden aufnehmen, inklusive Verköstigung, wenn gewünscht, aber sie erbitten Zeit bis morgen früh, um alles vorzubereiten. Selbstverständlich werden Oscar und ich einen Teil des Buchungspreises erstatten.«
»Und bis morgen?«, hakte Kristian nach.
»Klingt, als müsstest du die Nacht im Auto verbringen«, stellte Stellan fest und sah ihn herausfordernd an.
»Wer sagt, dass ich derjenige bin, der in die andere Unterkunft geht?«
»Ich habe das Haus für drei Monate gemietet, du nur für drei Wochen. Logisch, dass ich mehr Anrecht darauf habe.«
»Da könnte ich aber genauso argumentieren, dass du das Haus ja dann immer noch für neun Wochen hättest, auch wenn du die ersten drei Wochen darauf verzichten müsstest.«
Ingmar räusperte sich. »Für die eine Nacht würde ich euch beide bitten, im Ferienhaus zu schlafen. Es hat zwei Schlafzimmer. Ich denke, das ist zumutbar, oder?«
Eigentlich nicht, dachte Stellan, aber alle sahen ihn so an, als würden sie ihn direkt als Arschloch abstempeln, wenn er sich jetzt weiter sperrte. Er war sauer. Aber einfach nach Stockholm zurückzufahren, war auch keine Option.
»Meinetwegen«, murrte er. »Und wer geht dann morgen in die andere Unterkunft?«
Kristian seufzte. »Ich gehe. Das mit den samischen Rentierhirten hört sich interessant an.«
»Genau«, pflichtete Stellan bei. »Dann kannst du später allen von deiner Zeit mit den nordischen Ureinwohnern erzählen.«
Gut, damit wäre das dann ja geklärt.
Diese eine Nacht würde er zähneknirschend aushalten – und natürlich einen Rabatt für die unschönen Umstände einfordern. Denn das Letzte, was er wollte, war ein Mitbewohner. Aber das Problem hatte sich ja morgen Gott sei Dank erledigt.
Oscar zückte den Hausschlüssel. »Wem darf ich–«
»Mir.« Stellan hielt ihm die Hand hin und nahm den Schlüssel entgegen.
»Entschuldigt bitte nochmals das Chaos. Ich habe wirklich getrieft bei den Buchungen.«
»Nicht so schlimm«, gab Kristian nervtötend fröhlich zurück. »Ich hatte mich zwar auf das Haus gefreut, aber bei einer samischen Familie zu wohnen, klingt mindestens genauso interessant! Und die eine Nacht kriegen wir auch rum, nicht wahr, Stellan?«
Ausdruckslos sah er ihn an. »Ich dusche zuerst.«
Stellan beeilte sich, das größere der beiden Schlafzimmer in Beschlag zu nehmen. Für den anderen Kerl reichte in der einen Nacht auch das kleine.
Wie angekündigt, duschte er zuerst – falls der andere überhaupt vorhatte, zu duschen. Vielleicht lehnte er es ja auch aus irgendwelchen ökologischen Gründen ab, das konnte man nie wissen. Das warme Wasser tat gut und entspannte seine von der langen Autofahrt eingerosteten Glieder.
Langsam verflog sein Ärger über das Chaos mit der Buchung. Die paar Stunden mit dem komischen Vogel im Haus würde er noch aushalten, dann hatte er es drei Monate ganz für sich allein. Drei Monate, in denen er sich eine Auszeit nicht nur von seiner Arbeit, sondern von seinem ganzen Leben genommen hatte.
Ob es etwas bringen würde? Er hatte keine Ahnung. Aber er musste es versuchen. Irgendetwas musste er versuchen, damit es weiterging, denn alles Bisherige hatte nicht wirklich funktioniert.
Frisch geduscht und umgezogen ging er in die Küche, um sich etwas zu essen zu machen – und traf zu seinem Leidwesen auf Kristian, der am Herd stand und irgendetwas brutzelte.
»Was machst du da?«, entfuhr es Stellan.
Kristian drehte sich kurz zu ihm um und lächelte schon wieder so entnervend freundlich. Blaue Augen, Himmelstern, haben alle Mädchen gern. Wäh, wäh, wäh. »Ich koche etwas zu essen.«
»Das wollte ich auch gerade.«
»Ich bin gleich fertig. Was willst du dir denn Schönes machen?«
Was geht dich das an?
»Nudelsuppe.«
»Oh, die braucht ja ein bisschen Zeit.«
»Nö. Fünf Minuten. Instant-Ramen.«
»Ach so ...«
Bildete sich Stellan das ein, oder hörte er einen Hauch von Verächtlichkeit in dieser Stimme?
»Iss doch lieber bei mir mit«, schlug Kristian vor.
»Warum sollte ich? Was gibt es überhaupt?«
»Gemüsepfanne.«
»Ohne Fleisch?«
»Ohne Fleisch.«
Ein Sojawichtel. Ich wusste es!
»Bist du Veganer?«
Kristian drehte sich wieder zu ihm um und schüttelte bedauernd den Kopf. »Leider nur Vegetarier. Ich komme noch nicht von Käse und Eiern los.«
»Ein Leben ohne Käse ist auch irgendwie nicht erstrebenswert.«
»Darum ist an meiner Gemüsepfanne auch Käse dran.«
»Woher hast du überhaupt die ganzen Zutaten?«
»Ich war vor meiner Ankunft hier noch in Kiruna einkaufen.«
Okay, du Streber. Ich habe nur ein paar Pakete Instant-Ramen in meinen Koffer geschmissen.
»Ich hätte wirklich noch eine Portion übrig, wenn du willst. Gesundes Essen ist wichtig für Leib und Seele.«
Stellan gab ein grunzendes Geräusch von sich. »Wer sagt das? Gandhi?«
»Wieso Gandhi?«, erwiderte Kristian verwirrt.
Stellan winkte ab. »Vergiss es. Iss du dein Grünzeug, ich bin zufrieden mit meiner Nudelsuppe.«
»Wie du meinst. Der Wasserkocher steht hier.«
Als Kristian sich wieder seiner Pfanne zuwandte, zog Stellan eine kleine Grimasse in seine Richtung, stand auf und befüllte den Kocher mit Wasser, ehe er ihn einschaltete. Im Schrank fand er eine passende Schüssel, in die er die mitgebrachten Instantnudeln gab. Das Gerät brauchte eine Ewigkeit, um das Wasser zum Kochen zu bringen, und es war ihm unangenehm, die ganze Zeit neben Kristian zu stehen, der fröhlich in der Pfanne rührte. Sein Essen sah zugegebenermaßen wirklich nicht übel aus, aber Stellan würde sich nicht die Blöße geben, davon zu kosten. Seine Fertigsuppe war gut genug.
Endlich konnte er die Nudeln mit dem Wasser übergießen. Vorsichtig trug er die Schüssel zum Tisch und setzte sich hin, um die fünf Minuten abzuwarten, bis die Nudeln weich waren. Kurz überlegte er, damit in sein Zimmer zu verschwinden, weil dieser Kristian garantiert auch hier essen würde; andererseits sah er es nicht ein, seinetwegen zu weichen.
Kristian schaufelte sein gebratenes Grünzeug auf einen Teller und setzte sich zu ihm, brachte ihm sogar Besteck mit, das er vergessen hatte.
»Danke«, grummelte Stellan widerwillig.
»Braucht deine Suppe noch lange?«
»Nur noch zwei Minuten.«
»Ah, okay. Ich esse so was nicht, daher weiß ich das nicht.«
»Schon klar. Du isst sicher nur Bio-Gemüse und trinkst nur Fairtrade-Kaffee.«
Kristian hob die Schultern. »Was spricht dagegen?«
»Ist teuer und auch nicht anders als das normale Zeug.«
»Wenn du meinst.«
Stellan war fast ein wenig verärgert, dass Kristian das Gespräch nicht weiterführte. Er hätte nicht übel Lust auf einen kleinen Streit gehabt. Einfach so, um Frust abzulassen. Stattdessen rührte er nun schweigend seine Suppe um, während sich Kristian seine unverschämt lecker duftende Gemüsepfanne schmecken ließ.
»Weißt du«, verkündete Kristian irgendwann kauend, »das Haus ist toll, aber eigentlich bin ich jetzt gar nicht mehr so böse, dass es nicht so klappt, wie geplant. Bei einer samischen Familie zu leben, hört sich unglaublich spannend an.«
»Dir ist aber schon klar, dass die wahrscheinlich nicht in einem Zelt aus Tierhäuten wohnen und ganz normale Menschen wie du und ich sind?« Stellan hob eine Braue.
»Sicher, aber wenn sie Rentierhirten sind, bewahren sie ja offenbar doch einige, alte Traditionen. Ich freue mich schon, etwas darüber zu lernen.«
»Wie schön für dich.«
Kannst du jetzt eventuell aufhören, mich vollzusülzen?
»Ja, manchmal weiß es das Universum einfach besser als wir.«
»Das Universum weiß gar nichts.«
»Sei dir da mal nicht so sicher.«
Stellan beeilte sich, seine Suppe zu essen und in sein Zimmer zu verschwinden. Hoffentlich musste er den Kerl nicht noch einmal sehen. Dieses naive Gerede vom Schicksal und dem Universum, die alles richtig machten, war einfach unerträglich. So konnte nur jemand denken, der bisher ausschließlich Glück im Leben gehabt hatte. Den das sogenannte Schicksal nie so richtig auf die Bretter gelegt hatte.
Er war froh, als er die Tür hinter sich schließen und allein sein konnte. Nicht, dass er in den letzten zwei Jahren nicht schon andauernd allein gewesen war, aber dieses Alleinsein hier hatte eine andere Qualität. Es gab hier keine tickende Uhr, die die Sekunden der Leere in seiner Wohnung zählte. Das war nicht einmal seine Wohnung.
Leere fühlte er trotzdem. Aber auch die Hoffnung, dass er hier irgendetwas finden würde, irgendeinen Weg, um damit umzugehen. Sie zu füllen. Kein Universumsquatsch, aber eine neue Art von Perspektive vielleicht.
Eigentlich hatte Stellan keine Ahnung, wonach genau er suchte. Er hatte nur weggewollt. Fort von allem, an einen Ort ohne bittersüße Erinnerungen. Einen, an dem es keine dunklen Nächte gab, im wortwörtlichen Sinne, zumindest für die Zeit, in der er hier war. Er konnte nicht auf die Wendungen irgendeines ominösen Schicksals warten. Lieber nahm er es selbst in die Hand.
Es war noch früh am Morgen, als Kristian das Ferienhaus verließ. Eigentlich ein bisschen zu früh, um sich bei seinen neuen Gastgebern anzumelden, aber er hatte diesem Stellan nicht unbedingt noch einmal begegnen wollen. Der Mann war die personifizierte schlechte Laune. Negative Energie im Überfluss. Er hatte Kristians eigene Laune richtig mit runtergezogen.
Umso mehr freute er sich nun, seine Gastfamilie kennenzulernen. Samische Rentierhirten. Das klang spannend und interessant – und, wenn sie einverstanden waren, nach interessanten Fotomotiven. Vielleicht durfte er die Tiere fotografieren und sogar die Leute bei der Arbeit.
Er machte sich auf den Weg zu dem Haus, das sich wenige hundert Meter entfernt befand. Die Sonne stand nach einer kurzen Nacht bereits wieder hoch am Himmel und bald würde sie gar nicht mehr untergehen, den Sommer in einen einzigen, langen Tag verwandeln.
Das Haus war im gleichen, satten Rotton gestrichen wie die meisten im Ort – der Rest war graublau – und über der Haustür hing das Geweih eines Rentiers. Er drückte den Klingelknopf, auf dem der Name Turi stand, und wartete. Geräusche erklangen aus dem Inneren des Hauses, Schritte. Die Tür wurde geöffnet.
»Ah, guten Morgen!«, begrüßte ihn ein Mann Ende fünfzig mit einem freundlichen Lächeln. Sein Gesicht war wettergegerbt, das braune Haar ordentlich gekämmt. »Unser neuer Gast, nehme ich an?«
»Guten Morgen, mein Name ist Kristian Lundahl. Ich freue mich wirklich sehr, bei euch wohnen zu dürfen.«
»Na, dann komm rein in die gute Stube. Wir frühstücken gerade. Ich bin übrigens Aksel.«
»Oh, störe ich etwa?«, hakte Kristian mit schlechtem Gewissen nach. »Ich kann auch noch eine Runde spazieren gehen, bis ihr fertig seid.«
»Nicht doch!« Aksel öffnete die Tür weiter und machte eine scheuchende Handbewegung. »Rein mit dir.«
Erleichtert trat Kristian ein, legte seinen Rucksack ab und zog seine Schuhe aus. Aksel bat ihn, ihm in die Küche zu folgen, wo zwei Frauen am Esstisch saßen, die neugierig aufblickten.