Bernard - Johann Widmer - E-Book

Bernard E-Book

Johann Widmer

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Beschreibung

Unser Leben ist ein buntes Puzzle aus vielen Teilen Ein Puzzle aus vielen Einzelgeschichten. Es ist eine lange, bunte Perlenkette von Ereignissen, Erfahrungen, Zufällen, Bekanntschaften, bangen Minuten und Stunden der Leere. Von Perle zu Perle ist ein kleiner Zwischenraum, ein unscheinbarer Einschnitt. Das sind die entscheidenden Momente der Wegfindung und der Neuorientierung. Wichtige und weniger wichtige persönliche Entscheidungen, Zufälle, Sachzwänge, spezielle Umstände aber auch Nachlässigkeit oder Feigheit geben der Lebensgeschichte immer wieder neue Wendungen. Zum Beispiel vor dem Traualtar pflegen wir ein JA von uns zu geben, was wäre aber geschehen bei einem klaren NEIN. Das Leben hätte einen ganz anderen Verlauf genommen. Jede Auswahl ist immer eine entscheidende Weichenstelle Wenn ich mein eigenes Leben betrachte und mir vorstelle, ich hätte damals ... ...nun, manchmal habe ich und manchmal nicht und daraus ist dieses Werk entstanden, ein wildes Gemisch von Erlebtem und Erfundenem Ich wünsche dem Leser viel Vergnügen beim Lesen dieser Autobiographie eines Fabulierers.

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Bernard

CORINNEBERNARDROSETTAPIERREFRANCESCAROSEALI

CORINNE

Bei einer Tankstelle in der Nähe von Lausanne nahm mich eine junge Dame aus Genf mit.

Man könnte sie wohl mit dem Begriff „rassige Frau“ bezeichnen, denn ihre Fahrweise war überaus beherrscht aber verdammt schnell, eben „rassig“ und absolut lebensfroh.

Ihr roter Mini Cooper schien sich nur bei Geschwindigkeiten über 120 km/h wohl zu fühlen und die Fahrerin ignorierte prinzipiell jede angegebene Geschwindigkeitsbeschränkung. Sie fuhr wirklich souverän und sicher, nur wenn sie ihre nächste Gauloise anzündete schien es mir, dass ihr die Zigarette wichtiger sei als das was draussen geschah. Nach der Ausfahrt „Rolle“  übernahm ich das Befeuern der Blauen.

Sie stellte sich vor als „Corinne“, Studentin und anscheinend „Tochter des Hauses“.

Als sie von mir erfahren hatte, dass ich Arbeit suche, betrachtete sie mich ausgiebig von der Seite (bei Tempo 120) und meinte dann, ob ich es bei ihnen als Gärtner und Portier versuchen wolle. Ich hätte mein eigenes Häuschen beim Parkeingang. Über Lohn und Arbeitsvertrag müsste ich mit ihrem Vater verhandeln. Für die Pflege des Gartens hätte ich bei Bedarf jederzeit drei Arbeiter zur Verfügung, aber das sollte ich alles mit „Papa“ besprechen.

Ich akzeptierte sofort, denn ich war völlig abgebrannt, hatte keine zwei Franken mehr in der Tasche und keine Ahnung wie es weitergehen sollte.

Sie sagte, dass ihr Vater erst in etwa einer Woche aus  New York zurück sein werde,  aber inzwischen werde sie mich quasi auf Probe einstellen  und ich könnte  mich schon etwas einarbeiten. Ob ich überhaupt etwas von der Sache verstehe, fragte sie lachend.

Ich konnte sie beruhigen, denn ich hatte sogar ein Arbeitszeugnis von einem bekannten Gartenbaubetrieb in der Ostschweiz bei mir.

Mit dem Essen könne ich es halten wie es mir passe, entweder mit den übrigen Angestellten zusammen oder selber haushalten in meinem Häuschen, was bisher alle meine Vorgänger vorgezogen hätten.

Mit dieser Formel war ich einverstanden, denn ich liebe die Autonomie über alles.

Etwas peinlich war mir, dass ich meine neue Arbeitgeberin schon vor Beginn meiner Tätigkeit um einen Vorschuss anbetteln musste, aber sie hatte volles Verständnis für meine prekäre Lage.

An meinem neuen Arbeitsplatz angekommen rieb ich mir erst mal die Augen, denn so gross, so herrschaftlich hatte ich es mir nicht vorgestellt.  Das Gärtnerhaus, etwas zurückgesetzt, gleich neben dem Eingangstor, hatte eine geräumige Dreizimmerwohnung, daran angebaut war eine Werkstatt, Geräteschuppen und gedeckte Stellplätze für den Maschinenpark, ein paar Schritte weiter weg stand ein grosses Gewächshaus. Auf der anderen Strassenseite, ausserhalb des Tores, war das Ufer des Genfer Sees. Etwa 300 Meter weiter oben stand das Herrenhaus, eine riesige Villa und das alles lag in einem weitläufigen Park mit grossen alten Bäumen, Palmen und einem kleinen Bambuswald. Ein Park, über den ich in Zukunft herrschen würde.

Da stand eine Aufgabe vor mir, die nach meinem Geschmack war. Ich musste mich zwar noch fachlich etwas klug machen, denn mir fehlte die entsprechende Grundausbildung, aber meine Devise war immer, was man will, kann man auch erreichen und für alle Probleme gibt es Bücher.

Ausser mir war da noch das Hauspersonal, eine italienische Köchin mit ihrer Tochter (als Hilfskraft), ein echter englischer Butler, ein Dienstmädchen und der Chauffeur des Chefs.

Und das alles für vier Personen, Monsieur S. ein bekannter Genfer Bankier, seine Frau und deren Schwester und natürlich Corinne, die Tochter des Hauses.

Und dann waren da noch die zwei Dobermann Hunde, stattliche und gefährliche Burschen, die man mir anvertrauen wollte, sobald sie sich an mich gewöhnt hätten. Sie bewachten den eingezäunten Park in der Nacht, am Tag lungerten sie um das Gärtnerhaus herum, immer das grosse Eingangstor im Blick, das aber praktisch dauernd verschlossen war. Über eine Gegensprechanlage am Tor konnte man Kontakt aufnehmen mit dem Pförtner oder mit dem Büro des Chefs. Dort arbeiteten manchmal zwei seiner Sekretäre, vornehme, etwas steife Bürohengste, die aber häufig auf der Chefetage der Bank in der Stadt gebraucht wurden.

Mir gefiel es vom ersten Tag an und ich versuchte in meine Rolle hineinzuwachsen.

Ich ahnte zwar  schon, dass es an Arbeit nicht mangeln werde, aber da ich selber zu bestimmen hatte was, wann und wie gemacht werden musste und für die Gartengestaltung ziemlich freie Hand und einen ausreichenden Kredit hatte, machte mir diese Aufgabe grossen Spass.

Meine Arbeit als Pförtner bestand darin, dass ich jedermann, der das Tor passierte namentlich notieren musste mit dem Zeitpunkt des Kommens und des Gehens, Hausbewohner inbegriffen. Wenn der Chef aber wichtigen Besuch erwartete, dann musste ich eine Uniform anziehen samt der dazu passenden Schirmmütze  und neben dem geöffneten Tor stramm Stellung beziehen. Auch diese hohen Gäste hatte ich, mit genauer Uhrzeit versehen, zu notieren.

Lieferanten, also Bäcker, Fleischer und Getränkehändler durften bis zum Haus fahren, wenn sie mir bekannt waren, aber auch bei denen hatte ich immer einen Blick in die Laderäume zu werfen. Fremde oder unangemeldete Personen kamen nicht durch das Tor.

So quasi zur Selbstverteidigung hatte ich neben den Dobermännern noch eine Waffe in erreichbarer Nähe und das war eine alte Schrotflinte, mit der ich übrigens auch Raben und Eichelhäher im Park in Schach hielt, wenn sie allzu grossen Schaden anrichteten.

Als der Chef zurückgekehrt war, rief er mich auf sein Büro. Ich hatte ihm vorher mein Bewerbungsschreiben, meinen Lebenslauf und den Auszug aus dem Strafregister zukommen lassen. Ich erzählte ihm aber auch, dass letzteres vielleicht einen Eintrag erhalten könnte und weshalb. Die Geschichte mit dem Faustkampf, den ich mit dem Schwiegervater in spe ausgefochten hatte, schien ihn zu amüsieren und dass ich über meinen K. O. Sieg nicht besonders stolz war fand er richtig. Er gab mir den Rat, diese Geschichte bald einmal gütlich zu regeln, im Falle von gerichtlichen Konsequenzen könne ich auf juristische Hilfe von Seiten der Bank rechnen, denn als Angestellter der Firma hätte ich ein Recht darauf.

Das hiess im Klartext, dass ich meinen Job erhalten hatte.

Nach der Vertragsunterzeichnung händigte er mir noch 2000 Franken Vorschuss aus, für Einrichtung im Gärtnerhaus, für Arbeitskleidung und für meine persönliche Garderobe, denn der Chef verlangte von allen Angestellten, dass sie „anständig“ gekleidet waren. Dann wollte er noch wissen, in welchem Verhältnis ich zu seiner Tochter stehe und da konnte ich ihm versichern, dass da absolut nichts sei.

Er war scheinbar misstrauisch geworden, weil Corinne von mir geschwärmt hatte, aber, so meinte er, gehe es ihn ja nichts an. Ich sollte aber noch wissen, dass sie schon vergeben sei und ihr Zukünftiger sei ein eifersüchtiger Gockel.

Die  Hausangestellten nahmen mich sofort in ihren Kreis auf, jeder auf seine Art und Weise. Die Köchin Francesca, eine stämmige Frau aus dem Piemont glaubte, mich unter ihre Fittiche nehmen zu müssen, denn dass ich da unten allein haushalten wollte, gefiel ihr gar nicht. Sie sah mich schon als verhungertes Skelett vor dem Eingangstor liegen, denn Männer könnten ja  viel, aber zu sich selber Sorge tragen, das könne keiner von ihnen.  

Sie schickte dann fast täglich ihre Tochter, die sechzehnjährige Rosetta, mit einem Stück Braten oder einem Teller Ravioli zu mir ins Gärtnerhaus um sicher zu sein, dass ich nicht verhungere.

Der Butler „schwebte“ immer irgendwie irgendwo herum, völlig abgehoben und unnahbar in seinen weissen Handschuhen und mit seinem kritischen Blick, der alle und alles zu taxieren und gleichzeitig zu ignorieren schien, was nicht seinen Meister betraf.

Der Chauffeur Ali, ein Tunesier, etwa in meinem Alter, war ein feiner Typ, ein intelligenter Bursche mit dem ich sehr gut auskam.

Das Dienstmädchen Stella, eine junge Frau aus Süditalien hatte vor allem den zwei Frauen im Herrenhaus zu dienen, der Frau des Chefs und deren Schwester Lucie, der Künstlerin des Hauses.

Lucie spielte leidlich gut Klavier, aber sie fühlte sich momentan  ausschliesslich  zur Malerei hingezogen, sie befand sich im grossen „Rausch der Farben“.

In mondhellen Nächten schritt sie manchmal geistesabwesend durch den Park und deklarierte Gedichte, vor allem eigene, die sie „postromantische Elegien“ nannte. Aber sonst war sie eine kluge und umgängliche Person mit einer starken Neigung zur Bohème und allerlei Verrücktheiten, die gerade en „vogue“ waren. In dieser korrekten und formalen Umgebung hier war sie aber absolut nicht das schwarze Schaf, sondern eher ein Lichtschein im Dunkel und wurde auch so wahrgenommen.

Sie war eine vielgereiste Person, kannte Paris, New York und Buenos Aires und die jeweilige aktuelle Kunstszene, sie wusste viel und kannte sich in den schönen Künsten bestens aus, ihr eigenes und grosses Problem war aber der Umstand, dass sie nicht wusste ob sie Komponistin, Malerin oder Lyrikerin war. Sie rang um Gewissheit und verplemperte ihre Zeit im nutzlosen Nachdenken und Überlegen.

Als ich ihr einmal den Rat gab, einfach immer das zu tun, wozu sie im Moment Lust hatte, schaute sie mich ganz verdutzt an.

„Aber ich muss doch endlich wissen, wo meine wahre Berufung liegt“

„Warum nicht in allen drei Sparten,“ gab ich ihr zu bedenken, Multitalente hatte  es schon immer gegeben, denke man nur an Michelangelo oder Leonardo. Der Maler Paul Klee war auch ein guter Musiker und Gottfried Keller war kein schlechter Maler gewesen.

Überlassen wir doch der Nachwelt das Urteil, ob wir richtig gewählt hatten,“ riet ich ihr und wurde dafür stürmisch umarmt.

Zwei Tage später teilte mir Corinne mit, dass ihre Tante Lucie irgendwann in nächster Zukunft in Genf eine Galerie eröffnen wolle, so eine Art  Treffpunkt von Lyrik, Musik und Malerei. So nebenbei erfuhr ich auch, dass die beiden Schwestern die ursprünglichen  Besitzerinnen der Bank waren und auch heute noch die Aktienmehrheit besassen. Die Frau des Chefs war die unsichtbare graue Eminenz der Bank. Sie war die alte  Glucke, die im versteckten Nest auf den goldenen Eiern hockte. Damit das Geld auch zusammenbliebe, musste eine Heirat Lucies mit allen Mitteln verhindert werden, ihre Verschwendungssucht hingegen wurde gefördert, denn immer wenn sie Bares brauchte, verkaufte sie ihrem Schwager einige Bankaktien und so verschoben sich die Mehrheitsverhältnisse in der geplanten Richtung. Die Bank war die Familie und umgekehrt. Die Zukunft der Familie und damit der Fortbestand der Bank war wichtig und Corinne, das einzige Kind der Bank trug dafür die volle Verantwortung. Sie würde einst über die absolute Mehrheit verfügen, zusammen mit ihrem Verlobten, dem Vizedirektor der Bank dann sogar über die  Zweidrittelmehrheit.

Es war abgemacht, dass die Heirat stattfinden werde nach ihrer Promotion an der Uni und um diesen Zeitpunkt etwas hinauszuschieben hielten sich ihre Anstrengungen im Studium in Grenzen. Sie wollte ihre Freiheit noch geniessen so lange wie möglich.

Ich befragte sie manchmal über ihren Zukünftigen, erhielt aber nur ausweichende Antworten, merkte aber, dass hier nicht die grosse Liebe, sondern das grosse Geld im Zentrum stand.

Noch am gleichen Tag machte ich die Bekanntschaft mit dem Herrn Vizedirektor.

Er stand mit seinem Wagen vor dem Tor und verlangte in sehr barschem Ton, dass ich ihm sofort öffne.

Da er sich nicht vorgestellt hatte, kontrollierte ich das Nummernschild und fand es nicht auf der Liste der zugelassenen Fahrzeuge. Ich teilte es ihm via Gegensprechanlage mit und fragte ihn, wer er sei, denn ich hatte ihn noch nie gesehen.

Damit löste ich eine Schimpftirade aus und Verwünschungen, die mich für den Rest meines Lebens krumm und bucklig hätten machen können.

Schliesslich sagte er, wer er sei, ich entschuldigte mich höflichst beim Herrn Vizedirektor und liess ihn passieren, meine rechte Hand zum Gruss an der Mütze, wie es sich gehörte.

Vor der Pförtnerloge hielt er an und befahl mir, in der Zwischenzeit sein Auto zu waschen.

Ich bedauerte sehr, dass ich dafür nicht zuständig sei und zudem nach meinem Arbeitsvertrag nicht das Recht habe für andere Leute Arbeiten auszuführen.

Sein Kopf nahm die Farbe einer reifen Tomate an, die gewaltige Stimme versagte und ich hatte einen Moment lang Angst, der Schlag treffe ihn.

Eine weisse Staubwolke bewegte sich rasch zum Herrenhaus hinauf.

Etwa eine Stunde später wurde ich ins Büro des Chefs zitiert.

Der Chef thronte, wie Gottvater in seinem schweren Ledersessel, seinen Vize neben sich und wollte genau wissen, was da los gewesen sei.

Zuerst entledigte sich der Vize seiner Version, dann durfte ich mich verteidigen.

Statt dessen liess ich mein Tonbandgerät laufen, eine meiner neusten Errungenschaften, und man hörte nun Wort für Wort unserer Unterhaltung am Tor.

Die Tomate  platzte schier und der Chef verfolgte den Diskurs mit einem Grinsen auf den Stockzähnen.

Ohne weiter darauf einzugehen meinte er dann zum Vize, dass man diese neue Technik der Sprachaufzeichnung im Geschäft unbedingt auch einführen müsse bei wichtigen Gesprächen und Verhandlungen.

Mir war aber auch klar, dass ich mir mit dem Stellvertreter des Chefs einen respektablen Feind eingehandelt hatte.

Sollte ich vielleicht als Wiedergutmachung doch sein Auto waschen? (ums Verrecken nicht!)

Meine Einsiedelei gefiel mir immer besser, denn ich konnte für mich allein sein wann es mir passte, war aber andrerseits ein fester Bestandteil des Betriebs.

Mit den anderen Angestellten hatte ich guten Kontakt, ausser mit dem „Unnahbaren“, dem Butler, der irgendwie über unsern Köpfen schwebte. Ein einziges Mal kam er ins Gärtnerhaus weil  eine seiner Topfpflanzen dahinserbelte. Er hatte eine Azalee mit kalkhaltigem Wasser ersäuft und erdrosselt. Umtopfen in die richtige Erde und ein kleiner Kuraufenthalt bei mir brachte die Pflanze wieder in den grünen Bereich und bedankte sich mit üppiger Blütenpracht. Als ich sie ihm zurückbrachte, voller Stolz auf meinen grünen Daumen, bestaunte er sie einen Moment lang, gab sie mir dann zurück mit der Behauptung, das sei nicht seine Pflanze, ich versuchte ihm hier eine andere unterzujubeln, das hätte er selber auch tun können, nämlich einen Ersatz kaufen.

Ich nahm die Pflanze wieder an mich, wortlos, denn es wären Wörter gewesen, die auch der Duden kennt, aber nie erwähnt. Ich brachte dann die Topfpflanze zur Küche hinüber. Die gute Francesca hatte Tränen der Rührung in den dunkeln Augen (und ich verdiente mir ein paar ganz feine Leckerbissen der italienischen Küche in den nächsten Tagen).

Und so kam es auch. Ich ass köstliche Sachen, von denen ich zum Teil bis heute ihre Namen noch nicht kenne.

Einmal, ich erinnere mich noch gut, waren es Gnocchi. Ich liess mir von Rosetta Name und Zubereitung des Gerichts erklären und fragte sie dann nebenbei, ob sie auch Köchin werden wolle wie ihre Mutter. Ja, die Mama bringe ihr jetzt das Kochen bei, damit sie dann nach ihrer Heirat ihre Familie gesund und gut ernähren könne.

Ob sie denn schon einen Verlobten habe, wollte ich wissen. Sie schüttelte ihren hochroten Kopf, nein, das sei noch zu früh, sie müsse zuerst das Kochen lernen.

Ich erklärte ihr, dass  Köchin ein hochangesehener Beruf sei, den man erlernen könne und mit dem man gutes Geld verdiene, aber man müsse vorher eine Lehre absolvieren.

Sie wusste das schon, aber Mama finde, dass heiraten wichtiger sei.

„Gut, mag sein, aber ich würde beim Heiraten einer gelernten Köchin den Vorzug geben“, meinte ich so nebenbei.

Am Abend kam Corinne vorbei und sagte mir, dass in der Küche grosse Aufregung herrsche, weil ich der Tochter  der Köchin einen Heiratsantrag, oder eben keinen Heiratsantrag gemacht habe, weil sie keine gelernte Köchin sei.

Wir mussten beide lachen und ich erklärte ihr den Fall.

„So einfach kommt man zu einer Frau, oder eben nicht“, scherzte ich.

„So einfach, aber noch einfacher kommt die Frau an den Mann“, sagte sie nachdenklich, „als Zugabe zu einem Aktienpaket“.

Ohne Nebenabsicht sagte ich: „Bei einer solchen Zugabe könnte ich auf die Aktien verzichten,“ und wurde im nächsten Moment von ihr auf den Mund geküsst.

Dann sah ich nur noch ihr rotes Kleid, das auf dem Fussweg zur Villa hinauf flatterte.

Mir lag im Moment der Park, das heisst seine Neugestaltung, mit der mich der Chef beauftragt hatte, sehr am Herzen. Ich zeichnete Pläne, machte Skizzen und später Zeichnungen und Aquarelle im Format A3, die einzelne Ausschnitte des Gartens zeigten im Jetztzustand, dann im Zustand nach der Umgestaltung und schliesslich, wie er sich nach einigen Jahren präsentieren würde.

Der Chef war  Feuer und Flamme für meine Ideen, schickte mich auf Reisen, damit ich andere berühmte Gärten besuchen konnte, machte mich mit der Leitung des Botanischen Gartens bekannt, damit ich bei Bedarf an seltene Pflanzen herankommen konnte.

Bei meiner Reise nach Japan hatte sich Corinne mir angeschlossen und machte die Studienfahrt zu einem schönen und nachhaltigen Erlebnis.

Ich wunderte mich zwar, dass der Herr Papa seine verlobte Tochter mit mir reisen liess, aber ich wusste es zu schätzen, denn seine Tochter ist ein sehr liebes und intelligentes Wesen, an dem ich auf dieser Reise ganz neue Seiten kennen lernte.

Im Gegensatz zu mir, war sie schon eine erwachsene Person, die genau wusste was sie wollte. Ich liess mich einfach von der Zeit und den Ereignissen treiben ohne mir allzu viele Sorgen zu machen.

Mit Corinnes Studentenausweis verschaffte ich mir auch Zugang zur Unibibliothek, wo ich bald zu den bekannten Stammgästen gehörte. Ich hatte bald einmal gemerkt, dass mir das bisschen Mittelschulwissen nicht genügte um mit meinem Leben klar zu kommen, aber wohin die Reise am Schluss gehen sollte, war mir nicht klar.

Tante Lucie begann sich lebhaft für meine Zeichnungen zu interessieren, versuchte sie zu kopieren, erfolglos zwar, denn jeder Zeichner hat nun einmal seinen eigenen Stil, seine eigene Dynamik im Strich und den kann man nur schwer imitieren. Schliesslich kam sie fast täglich mit einer ihrer zeichnerischen Missgeburten, damit ich sie korrigiere. Aber wie bringt man einem Trampeltier bei, dass es keine Wasserelfe ist?

Später  begann sie mir Zeichnungen abzuluchsen, die ich aus irgendwelchen Gründen ausgeschieden hatte und brachte mir dafür mal ein Paket besonders schönes Japanpapier, einen luxuriösen Kasten mit Farben und Pinseln für Aquarellmaler oder auch mal ein Kistchen Cigarillos meiner Lieblingssorte. Ihr Verhalten mir gegenüber begann sich zu verändern. Sie machte mir Komplimente, rühmte meine Begabung und schleimte sich auch sonst ein, auf eine Art, die mir verdammt zuwider ist. Sie war eine interessante Person, etwas verdreht und spinnert zwar, eine alte Schachtel, aber mir schien, dass sie in ihrem Inneren irgendwie traurig, oder verloren sein musste. Man liess ihr ihre Künstlerflausen aber niemand nahm sie in Wirklichkeit ernst. So lange sie noch Firmenanteile in ihrem Besitz  hatte musste man sie gewähren lassen, ob das nach ihrem finanziellen Ruin, der leicht vorauszusehen war, so blieb, war fraglich.

Ich war mit der Neugestaltung des Gartens beschäftigt und hatte schon eine Weile keinen Kontakt mehr mit Lucie gepflegt als sie eines Abends zu mir kam mit einer Einladung zur Eröffnung ihrer Galerie. Ihr grosser Lebenstraum war Wirklichkeit geworden. Sie bat mich inständig den wichtigen Anlass ja nicht zu versäumen.

Der erste Aussteller(in) sei übrigens sie selber. Als geladene Gäste erwähnte sie so ziemlich die gesamte Genfer Nomenklatura von Regierung, Bildung und Geld.

Na ja, dachte ich, da beisst sich wieder einmal die Schlange in den eigenen Schwanz, aber ich versprach zu kommen, nach Möglichkeit.

Am Abend der Vernissage kam Corinne mich abzuholen, aber statt nach Genf zu fahren nahm sie die andere, nach Evian.

Sie lud mich ein, mit ihr zusammen in einem Nobelrestaurant zu speisen, wir hätten dann auch Zeit wieder einmal miteinander zu plaudern.

Um mir meinen Appetit nicht zu verderben wartete sie bis zur Nachspeise und teilte mir dann den wahren Grund meiner Entführung mit.

Die gute Tante Lucie hatte eine Ausstellung meiner Arbeiten gemacht, Zeichnungen, Skizzen und Aquarelle aber alles mit ihrem Namen signiert. Corinne hatte das am Nachmittag entdeckt, der Tante bereits eine Ohrfeige verpasst und dann versucht sie zu überzeugen, dass sowas nicht erlaubt sei und dass die Vernissage verschoben werden müsse.

Aber die Alte machte auf Stur und erklärte, dass sie alles mit mir abgesprochen habe und mir sei es recht, Hauptsache die Werke würden verkauft.

Um einen Skandal zu vermeiden hatte Corinne zu dieser Notlösung gegriffen, denn er hätte natürlich rasch um sich greifen und am Ende auch noch die Bank schwer beschädigen können. Das hätte Schlagzeilen gegeben in den Zeitungen. „Bankbesitzerin betrügt armen hungernden Künstler“ oder „hat es die S – Bank nötig mit gefälschten Kunstwerken zu handeln?“ oder „Kunstraub endet in der S – Bank“.

Die Ausstellung war ein grosser Erfolg und meine Arbeiten zierten danach  so manchen Salon in Genf, aber leider unter falscher Flagge. „Leider?“

Ich glaube, nein, ich bin mir sicher, dass kein Blatt verkauft worden wäre, hätte der richtige Künstler signiert.

Die Bank hat dann dafür gesorgt, dass ich den gesamten Erlös der Ausstellung erhielt und dass der Vorfall eine Art von „Bankgeheimnis“ wurde mit meiner Einwilligung.

Geldpflaster heilen seelische Wunden.

Die Tante Lucie wurde dann, einige Zeit später, eines Tages in einer dunklen Limousine in eine Klinik gebracht, wo man ihren schwachen Nerven beste Pflege angedeihen liess. Die Aktien waren scheinbar nun alle in den richtigen Händen.

Corinne und ich besuchten sie einmal, Jahre später, in ihrer Verbannung. Sie bewohnte mit einer anderen Künstlerin zusammen ein kleines Haus in einem grossen Park einer geschlossenen Klinik und schien sich dort sehr wohl zu fühlen.

Ihr Geisteszustand schien mir absolut normal, verrückt waren nur ihre Arbeiten, sie nannte sie „art brut“, aber diese Verrücktheit in der Kunst gilt inzwischen als völlig normale Kunstrichtung.

Sie entschuldigte sich sogar bei mir, für das, was sie mir angetan habe, aber sie hoffe sehr, dass ich daraus eine Lehre gezogen hätte. Hatte ich. Vielleicht.

Zu Corinne sagte sie nur, die Bank sei sicher froh, dass sie die Lucie so elegant losgeworden sei, dann erklärte sie, mit sichtbarer Häme, dass man mich gut bei ihr unterbringen könne, wenn ich mal für den Fortbestand der Familienbank gesorgt haben würde.  Noch nie und nie wieder habe ich Corinne derart wütend erlebt. Ich hatte Angst, sie würde auf ihre Tante losgehen, aber die Selbstbeherrschung siegte.

Aber drehen wir die Uhr nochmals etwas zurück.

Corinne hatte ihr Studium erfolgreich abgeschlossen, der Chef hatte ihr im neuen Verwaltungsgebäude ein luxuriöses Direktorenbüro einrichten lassen und begann seine Tochter auf ihren verantwortungsvollen Posten vorzubereiten.

Mit der geplanten Hochzeit ging es aber nicht voran, weil sie plötzlich erklärte, sie werde nie heiraten, schon gar nicht aus geschäftlichen Motiven.

Wenn der Chef mit mir zusammen im Garten wühlte, pflanzte und säte, was er immer öfter tat, klagte er mir seine Sorgen. Irgendwie war im Götterhimmel auch nicht nur Harmonie und Eintracht. Es schien da oben vieles in Schieflage geraten zu sein. Seine Frau, die ich kaum je gesehen hatte, schien den Ton anzugeben, denn das viele Geld der Familie kam von ihrer Seite und das liess sie die andern fühlen.  Er klagte auch, dass seine Tochter, „verdorben“ worden wäre durch Sartres Existenzialismus, sie hatte Ideen, die sich mit seinen, streng protestantischen Anschauungen nicht deckten und der Compagnon, ein katholischer Tessiner, machte auch so ziemlich was ihm passte, aber er war halt der „protégé“ der Chefin, vorläufig noch. So fühlte sich der Alte am wohlsten im Garten, der allmählich sein neues Gesicht zeigte.

Als ich ihn einmal auf das Verhältnis von Corinne und mir ansprach, meinte er, dass es ihm im Grunde gar nicht passe, aber seine Tochter sei volljährig und könne tun und lassen was sie wolle, aber er sehe, dass sie sehr glücklich sei und das sei die Hauptsache. Auch seine Frau hätte sich damit abgefunden, seltsamerweise.

Corinne kam nun täglich bei mir vorbei und eines Abends zog sie bei mir ein.

Durch sie erfuhr ich auch so allerhand über ihren (Ex ?) Verlobten, der natürlich mit ihrem neuen Wohnsitz nicht einverstanden war und schliesslich drohte, mich umzulegen.

Ich sondierte nun beim Chef, wie ernst man eine solche Drohung nehmen sollte, da meinte er, das sei sehr schwer zu sagen. Der wäre zu allem fähig, dieser „salaud“.

Nun wurde ich aber hellhörig. Der Chef war nicht der Mensch, der andere Leute grundlos mit „Schweinehund“ titulierte, da musste noch etwas anderes dahinter stecken.

Von Corinne erfuhr ich dann noch, dass dieser Mensch durch die Protektion der Mutter ins Geschäft geraten war. Aber weshalb, das sei unklar, auf jeden Fall hasse ihre Mutter den Typen von Herzen, scheine aber andererseits sich vor ihm zu fürchten. Seit einiger Zeit agiere sie  hintenherum massiv  gegen ihn.

Das roch verdächtig nach faulen Eiern.

Dann erschien ein seltsamer Artikel in der wichtigsten Genfer Zeitung, in dem sich ein Journalist  Gedanken machte über den Sittenzerfall in Genf.

Unter anderem ein Beispiel von einer Tochter eines strengen Calvinisten und angesehenen Bankiers, die mit dem Gärtner im Konkubinat lebe … (ja, ja und dann kommt wohl Sodom und Gomorra in der nächsten Ausgabe).

Am selben Abend brachte uns der Chauffeur ins Konzert wo ich mit meiner Dame am Arm, stolz wie ein Pfau, das Foyer durchschritt und man nickte uns von allen Seiten grüssend zu.

(Corinne meinte zwar der Gruss gelte der Bank und nicht uns)

In der Zeitung schienen die strengen Sittenwächter zu verstummen und man ging wieder zur Tagesordnung über. Dafür machten nun Gerüchte die Runde „unsere“ Bank mache krumme Geschäfte mit der italienischen Mafia. Man vermutete Geldwäscherei.

Das war ein dickes Stück, das durfte die Bank nicht ignorieren.

Corinne hatte auch davon gehört und klagte mir, dass ihr Ex sich nicht in die Karten schauen lasse, da müsse etwas faul sein. Man müsste irgendwie an seinen Tresor herankommen um Klarheit zu kriegen. Ihre Mutter hatte bereits einen Detektiv auf ihn angesetzt, aber der hatte bisher auch nichts Belastendes gefunden. Vor allem, weil er mit dem Vizedirektor zusammenarbeitete, wie wir später erfahren hatten, und ihn schützte.

Am folgenden Tag kam Corinne gegen Mittag nach Haus und erklärte mir, dass in der folgenden Nacht ein Anschlag auf mein Leben geplant sei. Ihr Ex wolle mich und sie umbringen, aus Eifersucht oder aus Ärger und verletzter Eitelkeit, weil er zum Gespött von ganz Genf geworden sei.

Er werde so gegen zwei Uhr früh ans Gartentor kommen, das sie ihm vorher geöffnet habe. Er sei mit einer Armeepistole bewaffnet und werde aus dem Dunkel einen Schuss gegen die Tür abfeuern, wenn ich dann in der Türe erscheine, werde er mich abknallen.

Sie plante nun, dass im Haus das Licht brennen sollte bis er geschossen hatte, dann würde sie das Licht löschen, ich öffnete dann die Türe und in diesem Moment würde sie die Scheinwerfer einstellen und ich könnte ihn mit meiner Flinte abknallen.

Dieser Plan kam mir nun aber sehr verdächtig und nicht ganz wasserdicht vor, mir wurde plötzlich klar, dass nicht ich sondern er beseitigt werden musste, aber die absurde Eifersuchtsgeschichte klang seltsamerweise glaubwürdig und ich konnte in Notwehr handeln. Quasi der perfekte Mord. Mir war gar nicht wohl bei der Geschichte. Man verlangte von mir, dass ich einen Menschen kaltblütig ermorde, damit die Bank ein Problem los wurde.

Dafür riskierte ich eine Zukunft hinter Gittern.

Ob der Vize so blöd sein konnte in eine so absurde Falle zu treten?

Oder hatte man ihm eine ganz andere Geschichte aufgetischt, damit es sich lohnte mich abzuknallen? Er riskierte dabei seine Stellung, seinen guten Ruf und sein Leben in Freiheit.

Und was würde für mich herausschauen, wenn ich es tat?

Ich schaute Corinne in die Augen und fragte sie, ob der Plan von ihrer Mutter stamme.

Sie nickte stumm.  

Nach einer Weile sagte sie, dass ich es nie bereuen sollte, nie.

Sie zitterte wie Espenlaub und hatte Tränen in den Augen.

„Ich mache mit,“ erklärte ich.

Kurz vor zwei Uhr näherte sich ein Auto langsam auf der Seestrasse von der Bootswerft her. Etwa zehn Meter vor dem Eingangstor blieb der Wagen stehen und die Lichter gingen aus.

Nach einem Moment absoluter Stille hörte man das Tor leise quietschen. Die Hunde im Zwinger winselten und knurrten, also musste  jemand kommen, den sie bestens kannten.

Nun bewegte Corinne den Schattenriss eines Kopfes hinter dem Fenster vorbei, dann krachten zwei Schüsse, Scheiben klirrten, ich riss die Türe auf, die Jagdflinte im Anschlag und als die Scheinwerfer angingen stand der Ex ein paar Schritte von mir weg, vom Licht geblendet. Aber ich konnte nicht abdrücken, ich war wie gelähmt, ich konnte doch nicht einfach so mitten in dieses bleiche Gesicht hineinschiessen. Corinne packte mich am Arm und beschwor mich, doch endlich zu schiessen. In diesem Augenblick blitzte es vor mir, ein Schlag traf mich an der rechten Schulter, dann ging auch mein Schuss irgendwie los und dann ein zweiter, mitten in dieses weisse Gesicht. Dann ging das Licht wieder aus.

Mit der Taschenlampe bewaffnet begann Corinne dem Toten (wie wir glaubten) die Taschen zu durchsuchen, zog die Brieftasche und einen Schlüsselbund hervor. Sie vergewisserte sich noch, dass der Autoschlüssel nicht dabei war und zog dann los, Richtung Bootswerft, wo sie am Vorabend einen unauffälligen Fiat Panda geparkt hatte und fuhr dann in die Stadt zum Bankhaus.

Ich rief den Notfalldienst und die Polizei an, machte dann wieder Licht und sah, wie sich der Tote bewegte und sich  am Boden krümmte, dabei sah ich einen Moment lang die Stelle, wo früher sein Gesicht gewesen war und dann kotzte ich auf den Weg.

Als der Notarzt kam, fand er mich heulend auf der Treppe liegend, unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Man verarztete meinen Streifschuss, gab mir eine Beruhigungsspritze und legte mich ins Bett. Kurz vor dem Einschlafen sagte ein Polizeibeamter, dass er sich am nächsten Morgen wieder bei mir melden werde.

Mein Opfer war nicht tot, da genügen zwei Patronen mit Taubenschrot nicht, aber sein Gesicht war vollständig zerschmettert. Die Ärzte hofften, wenigstens noch ein Auge retten zu können. Mir war derart elend, dass ich mich den ganzen Tag in der Wohnung eingeschlossen hatte und heulte. Ich war nicht der richtige Mann, wenn es um Krimis ging.

Am Abend kam Corinne mit zwei Polizeibeamten, die ein Protokoll über den Tathergang erstellen mussten. Spurensucher der Polizei hatten schon den ganzen Tag über nach Hinweisen gesucht, die den Ablauf der Tat dokumentierten.

Ich war immer noch ziemlich verwirrt und wenn ich eine Aussage machte, die nicht ganz mit der von Corinne gemachten übereinstimmte, fragte mich der Beamte jeweils, ob ich da sicher sei oder ob es nicht so und so gewesen sei.

Wo zum Beispiel war Corinne nach dem Schusswechsel?

Ich hatte keine Ahnung davon, dass sie heulend und verzweifelt im Park herumgeirrt sei, aber es schien mir absolut plausibel. (Ja, doch, das hatten wir ja vorher alles abgesprochen)

Schliesslich redigierten (frisierten) die Beamten den Bericht noch gemeinsam mit Corinne, dann mussten wir unterschreiben.

Corinne war in jener Nacht im Büro des Ex gewesen und hatte seinen persönlichen Tresor durchsucht, der hochbrisante  Dokumente enthielt. Sie entfernte alles, was die Bank hätte belasten können.

Er musste schon ziemlich tief im Dreck gesteckt haben und wahrscheinlich wären seine unlauteren und kriminellen Machenschaften demnächst aufgeflogen und die Bank wäre moralisch und finanziell ruiniert gewesen.

Ich beschloss diese Gegend zu verlassen, denn ich hatte grosse Mühe mit alledem psychisch fertigzuwerden. Im Weiteren befürchtete ich ein eventuelles Nachspiel für mich, denn es war da so viel schmutzige Wäsche angefallen, dass es leicht war, dass da jemand über das eine oder andere Stück stolpern konnte.

Es fiel mir sehr schwer mich von Corinne zu trennen.

Sie meinte dazu geheimnisvoll, dass wir beide nie heiraten würden, aber dass wir aneinander gebunden seien, für immer. Sie rede aber nicht vom wenig ruhmvollen Schmierenstück, das wir hinter uns hätten. Ich verstand sie nicht, aber das ist mein Problem, dass ich Frauen oft nicht oder  falsch verstehe.

Die letzten Monate hatte ich Rosetta unterrichtet, damit sie die Aufnahmeprüfung an der Hotelfachschule schaffen würde. Und sie hat bestanden, mit „sehr gut“ sogar.

Ich hatte Francesca, ihrer Mutter versprochen, dass ich mich um alles kümmern werde.

Nun bat ich Corinne, dass sie für mein Wort eintrete und sich um die Kleine kümmern werde.

Sie musterte mich mit einem scharfen Seitenblick und meinte dann: „Na ja, „Kleine“ ist da wohl untertrieben, die Dame ist sechzehn, ein verdammt hübsches Weib, das sterblich verliebt ist in den Gärtner.“

Ich musste lachen: „Eifersüchtig? Aber nicht du?“

„Doch, und du solltest stolz sein drauf,“ erwiderte sie ziemlich spitz.

Als ich ihr dann noch erklärte, dass ich mein ganzes Geld dazu verwenden werde, der „Kleinen“ ihre Ausbildung zu finanzieren, das erste Schuljahr hätte ich schon bezahlt, da begann sie zu lachen und umarmte mich und flüsterte mir ins Ohr: „Du bist ein verrückter Kerl, du würdest unsere Bank in einer Woche ruinieren mit deinem Altruismus, aber ich mag dich so wie du bist.“

Sie versprach mir, dass sie dafür sorgen werde, dass Rosetta zu ihrer Ausbildung komme, aber ich musste versprechen mit der „Kleinen“ in Verbindung zu bleiben, „denn sie macht das alles für dich.“

Am nächsten Morgen brachte mir der Postbote ein gelbes Kuvert, ohne Absender, ohne Brief sondern mit einer Gewehrkugel drin. Aber ich war schon am Packen. Morgen in der Frühe würde ich lautlos verschwinden.

Auf diese Weise verpasste mich die Briefbombe, die am übernächsten Morgen unsern Fahrer Ali an der linken Hand verletzte.

Kurz nach Mitternacht sind wir losgefahren. Corinne hatte eine Bekannte irgendwo im „Limousin“, das ist eine gottverlassene Gegend  irgendwo im französischen Zentralgebirge. Dort hinten konnte ich mich verstecken bis sich der Pulverrauch etwas verzogen hatte, denn ich hatte scheinbar eine böse Hundemeute auf meinen Fersen, die ich so abschütteln konnte. Mit Wehmut verliess ich Genf aber schon jenseits der Grenze begann ich mich auf mein neues Leben zu freuen und als wir, nach langer Reise, endlich am Ziel angekommen waren hatte sich mein Blick schon gespannt nach vorne gerichtet.

Der Abschied von Corinne fiel mir dann doch schwerer als ich geglaubt hatte, aber sie versprach mit mir in Kontakt zu bleiben, denn sie hätte noch eine wichtige Mitteilung für mich, eine Weihnachtsbescherung.

Mein Aufenthalt in der Bäckerei dauerte leider nicht sehr lange, immerhin lernte ich alle Geheimnisse der „Baguette“ kennen und das ist für einen Bäckergesellen in Frankreich wichtig.

Ich arbeitete bei einem Bauern in den Bergen, als ich Corinnes Geheimnis erfuhr, nämlich, dass ich am zweiten Weihnachtstag Vater geworden sei, aber eine Rückkehr nach Genf war mir zu riskant, denn dort war mein „Fall“ noch lange nicht abgeschlossen, weder von der Polizei, die immer wieder neue Hinweise erhielt, noch vom dunklen Hintergrund des Ex der offensichtlich meinen Untergang vorantrieb.

Die Rolle der Bank wurde überhaupt nie in Frage gestellt.

Manchmal wünschte ich wirklich ich hätte Saupatronen statt Schrotkugeln verwendet.

Wir hatten uns verabredet im Chalet der Familie irgendwo in den Savoyer Alpen in der dritten Februarwoche, Ich freute mich auf unser Wiedersehen, vor allem war ich gespannt auf meinen Sohn, der war ja bereits zwei Monate alt und ausser einem nichts sagenden Foto konnte ich mir das kleine Wesen nicht vorstellen.

Für Säuglinge habe ich nun mal nichts übrig, das schaut so zerbrechlich aus, man wagt sie kaum anzufassen vor Angst es könnte zwischen den groben Fingern Schaden nehmen. , Die  kleinen Dinger sind meist hässlich, schreien viel und den Rest der Zeit schlafen sie.

Nun, lassen wir das.

Der Empfang in den Bergen stand unter keinem guten Stern. Dicker Nebel, dann Schneegestöber, rutschige Strasse und schliesslich verfehlte ich die richtige Einfahrt und mein Auto versank regelrecht im Tiefschnee.

Zu Fuss und schweissnass erreichte ich schliesslich eine Häusergruppe. Ich wurde nicht besonders freundlich empfangen, aber als ich sagte, wohin ich wolle, wurden die Leute überaus nett und hilfreich. Der junge Bauer fuhr mich dann mit dem Traktor zum Chalet, wo ich, tiefgefroren von Francesca, der Köchin herzlich in Empfang genommen wurde.

Ausser der Bedienung war noch niemand da, man erwartete Corinne erst am nächsten Tag.

Francesca steckte mich erst mal in ein heisses Bad und anschliessend ins Bett. Mir war hundeelend und die Welt drehte sich um mich herum.

Was hatte Francesca erzählt von ihrer Tochter? Sehr fleissig, hübsche junge Frau, sie spreche immer von mir, ob ich sie vergessen werde, Rosetta, Rosetta … wie sah sie eigentlich aus? Ich versuchte sie mir vorzustellen, aber ich sah eine Kugel, die sich mir näherte, Rosetta … Rose?

Nach einem heissen Punsch liessen die Gespenster von mir ab und ich schlief.

Als ich erwachte, sass Corinne an meinem Bett und hielt meine Hand. „Du hast ja recht hohes Fieber mein Schatz,“ hörte ich sie sagen. Ja, es war kein Traumgebilde.

Ich schloss die Augen für einen Moment, dann beugte sich jemand über mich, ich schaute um mich, es war Abend und ein Arzt untersuchte mich.

Er diagnostizierte eine starke Halsentzündung, verschrieb viele Medikamente und empfahl mir warme Milch mit Honig zu trinken. Ausgerechnet Honigmilch! Ich bevorzugte Francescas heissen Punsch, Glühwein mit Zimt und einem rechten Schuss Grappa.

Zwei Tage später war ich wieder auf den (wackeligen) Beinen. Mich fror trotz der Hitze im Raum und trotz all der Decken um mich herum.

Aber da war ja noch mein Sohn, ein wackerer Kerl wie mir schien, munter und interessiert schaute er in die Welt, nein, der war kein hässlicher Schrumpfkopf wie es die meisten Säuglinge sind. Leider konnte ich ihn nur aus der Ferne sehen, denn man wollte wegen meiner Erkältung kein Risiko eingehen, aber die Säuglingsschwester, die ihn betreute gab da schon acht.

Mit  Corinne gab es viel zu besprechen. Sie hatte bei der Geburt mich als Vater angegeben und nun musste ich eine Menge von Papieren und Erklärungen unterschreiben und meine Vaterschaft bestätigen. Ich unterschrieb den ganzen Papierkram ohne ihn zu lesen, zum hellen Entsetzen von Corinne. Man signierte doch kein Papier ohne es vorher genau gelesen zu haben. Das habe mit Vertrauen rein gar nichts zu tun, sondern mit naivem Glauben an das Gute im Menschen, das es aber leider nicht gebe.

Ich vernahm noch, dass sie jetzt  in Genf wohne und dass die Eltern den Landsitz in Corsier verkaufen und nach Südfrankreich ziehen wollten.

Die Leitung der Bank sei zu hundert Prozent in ihren Händen. Sie war dauernd auf Trab. Für den Kleinen hatte sie eine Säuglingsschwester angestellt, eine Haushälterin sorgte fürs allgemeine Wohlbefinden und ein Dienstmädchen für den Rest.

Während sie sprach schaute ich in ihre Augen. Ihr Blick hatte sich verändert.

Ein leises Frösteln überfiel mich.

Mich nahm auch noch wunder, wann die Rachekampagne ihres Ex gegen mich aufhören werde, ich bekam es langsam satt, mich verstecken zu müssen und hinter jeder Ecke einen Mörder mit Pistole zu vermuten.

Sie begriff mich und sagte dann, dass sie alles versucht hätten, Geld, gute Worte, Erpressung und Bedrohung, aber wenn man sein Gesicht sehe, oder was davon noch übrig geblieben sei, begreife man ihn. Aber Mama habe versprochen alles zu regeln.