Die Damaszener-Rose - Johann Widmer - E-Book

Die Damaszener-Rose E-Book

Johann Widmer

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Beschreibung

Der orientalische Märchenerzähler kann auf eine uralte Tradition zurückblicken, aber seine Blütezeit ist leider längst vorbei. Er war einst ein wichtiger Kulturträger und Kulturvermittler. Er war Unterhalter, Clown, Lehrer, Moralprediger, Therapeut, Prophet, Historiker, Vermittler religiöser Legenden, Puppenspieler und Pantomime, Schauspieler, Sänger und Rezitator. Sein Repertoire umfasste historische Erzählungen, Burlesken, Liebesgeschichten, Tragödien, Märchen, erotische Geschichten, Heldengesänge, Gedichte, Gesellschaftskritik und Lobhudeleien für die Mächtigen der Zeit. Was einst die Griots in Westafrika, die Meddah zur Zeit der Kalifenreiche oder die Minnesänger des Mittelalters bedeuteten, ist längst durch modernere Medien ersetzt, aber der Geschichtenerzähler wird bleiben. Es sind leider nur noch wenige Meddah übriggeblieben in Marrakesch, in Tunis oder vielleicht noch in Algier, aber im Moment haben die Menschen im Maghreb ganz andere Sorgen. Der "Maghreb", der "Westen" (arabisch: el maghrib, bedeutet "dort wo die Sonne untergeht"), umfasst im weiteren Sinne alle arabischen Staaten von Nordafrika westlich von Ägypten, enger gefasst sind es Tunesien, Algerien und Marokko.

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Die Damastener-Rose

Die Damaszener RoseVorwortDie Damaszener-RoseHasan der TöpferDer Ring des KalifenNabils GartenFatimaIbn BrahimHungerMoktars PilgerreiseDie Stute des BeySandrosenDer Feigenbaum des Sidi AbdallahDie KnoblauchsuppeDer Ifrit im PalmengartenDie SingdrosselDer Schatz des TarghiTeppicheKormoraneDie MeerschweinchenprinzessinWorterklärungen

Die Damaszener Rose

Arabische Geschichten aus dem Maghreb

Johann Widmer

Band 1

Mein Studium der arabischen Sprache und Kultur haben mich bewogen meinen bescheidenen Beitrag zur Tradition des «Meddah», des Geschichtenerzählers zu leisten, als Dank für meine Lehrer.

Stiftung Augustine und Johann Widmer, Hrsg.

© Stiftung Augustine und Johann Widmer

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Bildungszentrums reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

www.johann-widmer.ch

ISBN: siehe Umschlag

1. Auflage 2020

Vorwort

Der orientalische Märchenerzähler kann auf eine uralte Tradition zurückblicken, aber seine Blütezeit ist leider längst vorbei. Er war einst ein wichtiger Kulturträger und Kulturvermittler.

Er war Unterhalter, Clown, Lehrer, Moralprediger, Therapeut, Prophet, Historiker, Vermittler religiöser Legenden, Puppenspieler und Pantomime, Schauspieler, Sänger und Rezitator.

Sein Repertoire umfasste historische Erzählungen, Burlesken, Liebesgeschichten, Tragödien, Märchen, erotische Geschichten, Heldengesänge, Gedichte, Gesellschaftskritik und Lobhudeleien für die Mächtigen der Zeit.

Was einst die Griots in Westafrika, die Meddah zur Zeit der Kalifenreiche oder die Minnesänger des Mittelalters bedeuteten, ist längst durch modernere Medien ersetzt, aber der Geschichtenerzähler wird bleiben.

Es sind leider nur noch wenige Meddah übriggeblieben in Marrakesch, in Tunis oder vielleicht noch in Algier, aber im Moment haben die Menschen im Maghreb ganz andere Sorgen.

Der «Maghreb», der «Westen» (arabisch: el maghrib, bedeutet «dort wo die Sonne untergeht»), umfasst im weiteren Sinne alle arabischen Staaten von Nordafrika westlich von Ägypten, enger gefasst sind es Tunesien, Algerien und Marokko.

Die Damaszener-Rose

Tag für Tag stand der alte Bettler pflichtbewusst vor der Moschee, damit die Gläubigen dem religiösen Gebot des Almosengebens nachkommen konnten, aber die vielen kleinen und kleinsten Münzen, die er erhielt, ergaben bis am Abend zusammen kaum einen Piaster und hätte ihm der Bäcker nicht hie und da einmal ein Fladenbrot geschenkt, so wäre er bestimmt irgendwann elendiglich verhungert und die Stadt wäre ohne Bettler gewesen. Und das Gebot des Zakkat? Was wäre, wenn da kein Bettler mehr vor dem Haus Allahs stehen würde? Welch schrecklicher Gedanke! Aber soweit denken die geizigen Almosengeber nie.

Wenn die Dunkelheit hereinbrach, schleppte er seine dürren Gebeine unter seinen schmutzigen Lumpen verborgen mühsam in den unteren Stadtteil am Flussufer, dort wo Bettler, Diebe, Leprakranke und Haschischraucher in Armut und Elend lebten. Der Abschaum dieser prächtigen Metropole sozusagen. Im oberen Teil der Stadt, dort wo die braunen Fluten des Frühjahrshochwassers nicht mehr hinkamen, dort lebten und werkten die Handwerker im Souk, dem Markt, dort kauften und verkauften die Händler ihre Waren, die von den grossen Karawanen über das weite Sandmeer gebracht wurden. Am grossen Platz stand die schöne Freitagsmoschee mit ihren blau und golden glänzenden Kuppeln und den vier schlanken zum Himmel hochstrebenden Minaretten. Hinter der Moschee lagen die Häuser, Paläste und die kühlen Gärten der reichen Leute. Die süsse und fette Sahneschicht der Stadt. Und schliesslich war da noch der märchenhaft schöne Sultanspalast, den man durch die Palmkronen schimmern und glitzern sah. Aber alles, was hinter der Moschee lag, war für unsern Bettler so unerreichbar fern, wie das Paradies für einen Ungläubigen.

Eines Tages war grosser Lärm und viel Tumult auf dem staubigen Platz vor der Freitagsmoschee.

Ein vollbepackter Esel, ein altes und schwaches Tier, blieb mitten auf dem Platz stehen und wollte keinen Schritt mehr weitergehen. Alle Versuche, das störrische Tier wieder in Bewegung zu setzen waren vergeblich. Er stand einfach da und plärrte kläglich vor sich hin.

Der Eselstreiber fluchte und schrie, schlug das Tier auf die Hinterschenkel, auf den Kopf, zog es am Schwanz und an seinen langen Ohren, fluchte noch ärger und schrie noch lauter. Der Esel brüllte ebenfalls so laut er konnte, aber er blieb standhaft.

Bald war der Platz voll neugieriger Gaffer, die dem Eselstreiber kluge Ratschläge erteilten, die ihn aber nur noch wütender machten und den Esel noch störrischer, falls das überhaupt noch möglich war.

Der Eselstreiber schrie, die Leute lachten, der Esel bockte, war das eine Belustigung! Schliesslich ergriff der Esel die Initiative, legte sich hin und rollte sich im Staub und, man stelle sich vor, die ganze riesige Last von neuen Tontöpfen und buntem Geschirr...

Wer in der Stadt dieses Theater, diese einmalige Heiterkeit verpasst hatte, bereute es noch lange Zeit, denn Schadenfreude ist halt doch eine der schönsten und ehrlichsten Freuden, die wir kennen.

Schliesslich war der Lärm bis zum Palasttor gedrungen und der Wachoffizier im Dienst sandte sogleich einen Trupp Soldaten ins Unruhegebiet um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen und vor allem, dazu ist die Polizei schliesslich da, um Übeltäter zu verhaften und Bussen zu kassieren.

Als die Soldaten eintrafen, war der Platz augenblicklich von einer dichten und alles verhüllenden Staubwolke erfüllt und als diese sich endlich gelegt hatte, waren da nur noch ein schwitzender Eselstreiber, ein Esel inmitten eines bunten Scherbenhaufens und ein alter, krummer Bettler vor der Moschee, sonst aber war keine Menschenseele mehr übrig geblieben.

Der Truppführer rief über den Platz: «Wem von euch gehört dieses Lasttier?»

Da der Eselführer richtig vermutete, dass der Besitzer eine Strafe zu bezahlen habe, wegen Verkehrshindernis oder so und ihm an diesem alten, bösartigen und störrischen Tier wirklich nichts mehr gelegen war, beeilte er sich zu sagen: «Dort drüben steht der Besitzer, dieser heimtückische Verursacher aller Ärgernisse, ehrwürdiger Gesandte des hohen Sultans. Und dieses alte Gerippe von Esel gehört tatsächlich jenem schmutzigen Lumpenmann, Allah behüte uns davor, zu werden wie er,» und dabei zeigte er auf den ahnungslosen Bettler.

Dass aus jenem aber nichts herauszuholen war, das war offensichtlich und so sagte der Polizist: «Also los, du alte Vogelscheuche, führe deinen Esel sofort weg und zwar augenblicklich, sonst lasse ich dich hier und jetzt auspeitschen, dass deine Knochen nur so rasseln!»

Der Bettler ging gehorsam zum Esel, schaute ihn an und sagte zu ihm: «Also los, Brüderchen, komm, gehen wir.»

Und der Esel erhob sich und trottete friedlich hinter dem Alten her.

Da begann der Eselstreiber, den sein Tier nun doch reute, zu schreien: «Halt, halt, das ist mein Esel, das ist mein Esel!»

«Ach so ist das, Freundchen,» sagte der Polizist, «hast uns, die wir hier den Sultan, Allah gebe ihm ein langes und bequemes Leben, vertreten, also belügen wollen. Tja, mein Lieber, das wird dich in arge Schwierigkeiten bringen.» Und zu seinen Soldaten schrie er, denn mit Untergebenen muss man immer laut schreien, zu ihnen schrie er: «Fasst ihn, diesen gemeinen Lügner und elenden Schurken, legt ihn in Ketten und schleift ihn zum Palast. Mit diesem verderbten Lügenmaul werden wir kurzen Prozess machen!»

Langsam bewegte sich ein trauriger Zug stadtaufwärts zum Palast, wo der arme Eselstreiber in ein finsteres Kerkerloch voller Ungeziefer, Schlangen, Kröten und ekligem Schmutz geworfen wurde, nachdem ihn die Soldaten noch recht tüchtig verprügelt hatten und mit ihren schweren Stiefeln auf ihm herumgetrampelt waren, denn sie wollten schliesslich auch wieder einmal ein kleines Vergnügen haben.

Ebenso langsam trotteten der alte Bettler und sein Esel stadtabwärts zum Flussufer hinunter. Vor seiner Zeriba, der Schilfhütte angekommen, rief der Bettelmann seine Frau herbei, um ihr stolz und freudig seinen Esel zu zeigen.

Sie war aber gar nicht erfreut über das Tier. Sie begann zu schimpfen und zu keifen. Was sie denn mit einem Esel anfangen sollten, der nur noch fressen könne und sonst nichts mehr tauge, und ob er eigentlich verrückt geworden sei, ob er ihn gestohlen habe, ja er habe ihn sicher gestohlen und man würde ihm nun seine rechte Hand abhacken, aber dann geschehe ihm Recht, und überdies sei das ein altes Tier, ob er das denn nicht gesehen habe, das sei so alt, dass man es nicht mal mehr verspeisen könne, das gäbe nicht mal mehr Hundefutter und zudem hätten sie keinen Stall für das Vieh und in ihre Hütte komme es nicht herein, nie und nimmer, und wenn er ihm nicht sofort und auf der Stelle den Laufpass gebe oder es im Fluss ersäufe, so lasse sie auch ihn nicht mehr ins Haus herein und er solle dann selber schauen, wo er nachts seine alten Knochen hinlegen könne.

Zum Zeichen, dass es ihr ernst sei, schob sie ein paar Schilfhalme vor die Eingangsöffnung, das ist soviel, wie wenn ein reicher Oberstädter sein Palasttor verschliesst und verriegelt.

Der Bettler verstand den Wink.

«Komm Brüderchen,» sagte er zu seinem Grautier und verschwand mit ihm in der Abenddämmerung.

Vor der Stadt, dort wo die Wüste beginnt, setzte sich der Alte auf den Esel und nun ging es plötzlich in flottem Trab in die nächtliche Landschaft hinaus. Der Abendritt schien beiden grossen Spass zu machen und der helle Mond stand schon recht hoch, als sie in ein enges Felsental einritten.

Bei einer munter sprudelnden Quelle unter einer Palmengruppe machte der Esel halt. Saftige Disteln und ein paar reife Datteln am Boden sorgten für menschliches und tierisches Wohlergehen und schliesslich versuchte der alte Bettler den Schlaf zu finden, an einen Palmenstamm gelehnt, die gelbe Scheibe des Mondes über sich und, und da war noch etwas, seit sie hier angekommen waren war da ein Duft, so unbeschreiblich fein und zart, fast seidenweich die Luft durchwebend, so süss, wie Lukumi auf der Zunge und doch wieder herb wie ungezuckerter Tee, flaumig wie Pfirsichhaut die Nase schmeichelnd und doch auch rauh wie ein Kamelrücken. Eingehüllt in diesen herrlichen Duft, flogen Träume herbei, Träume von Paradiesgärten und Springbrunnen mit wohlriechenden Wässern, auf der Stirne das kühle Streicheln der hauchzarten Hände der Huris, wie sich die holden Wesen im Garten der Gärten nennen, ein sanftes Lüftchen von Weihrauch, Zimt und Moschus, oder war das...?

Plötzlich war er hellwach.

Das musste der Duft einer Blume sein, einer ihm noch unbekannten Blume.

Er sprang auf und begann im hellen Mondlicht zu suchen, immer mit der Nase voran, versteht sich.

Im Morgengrauen fand er endlich die Quelle des himmlischen Genusses. Eine Rose .

Mitten im wüsten Gerölltal wuchs der dornige Busch, der diese Wonnen verbreitete.

Er brach behutsam eine Blumenknospe und rief dann seinen Esel herbei, der, echt Esel, ihm gleich die Blüte aus der Hand frass und dabei verzückt mit den langen Ohren wackelte.

So war es aber nun nicht gemeint.

Selbdritt, nämlich: Esel, Bettler und Rosenbukett jagten sie zur Stadt zurück.

Es war weitherum bekannt, dass unser Sultan ein grosser Verehrer von Düften war und dass er für besonders wohlriechende Blumen den ärmsten Teufel zum reichsten Mann machen konnte. Dieser Gedanke trieb den Bettler an. Er stellte sich vor...

Vor lauter Aufregung, oder vielleicht, weil er die Gegend nicht kannte, irrte er lange durch die Gärten des Sultans ohne das Palasttor zu finden, ehe er von der Palastwache gefasst wurde. Die machte aber gar kein langes Federlesen mit ihm, dem vermeintlichen Blumendieb.

Sogar der Hauptmann der Wache nahm sich seiner persönlich an und trat ihn tüchtig von vorne und von hinten, schlug ihn auf den Kopf und ins Gesicht ehe er ihn über die hohe Palastmauer in den stinkenden Wassergraben warf. Zum Glück des alten Bettlers war der Kanal voll von Unrat und Kot und so fiel er in die weiche übel riechende Masse, ohne dabei ernstlich Schaden zu nehmen.

In der Wachstube erholte man sich von der Heldentat. Plötzlich sagte der Hauptmann: «Was riecht denn hier so fremdartig, so ungehörig fein?» In Wachstuben hat es bekanntlich nach Leder, Fisch, Schweiss, Angstschweiss , Kohlsuppe und Gewehrfett zu riechen und so wurde der Rosenduft als ungehörig empfunden.

Man fand schliesslich im allgemeinen Schmutz des Bodens eine Rosenblüte, halb zertreten. Der Chef schnupperte daran, sog gierig den ihm unbekannten Duft ein, wurde plötzlich nachdenklich, roch ein weiteres Mal an der Blüte und fragte dann seine Soldaten in ganz normalem Ton, ohne zu fluchen oder zu brüllen, wie es sein Amt und seine Pflicht gewesen wäre, ob sie je Ähnliches gerochen hätten.

Keiner von allen hatte je.

Seine Audienz beim Sultan war ein voller Erfolg. Er kehrte im Generalsrang zu seinen Wächtern zurück und rasselte stolz mit seinem neuen goldenen Säbel und klimperte mit seiner ordensbehängten Brust und brüllte von nun an noch lauter.

Blumen haben ein kurzes Leben, aber noch so wenig Zeit genügte, um den Sultan auf den Duft dieser ihm unbekannten Blume süchtig zu machen. Die Träume, die sein königliches Herz erfreuten, waren unbeschreiblich und unvorstellbar, wenn man bedenkt, welch paradiesische Entrückung selbst ein armer, zerlumpter Bettler erlebt hatte, um wie viel herrlicher müssen die seelischen Höhenflüge des Sultans und Beherrschers aller Gläubigen, Allah möge ihn uns weiterhin erhalten, gewesen sein.

Noch verzückt in seliger Wolke schwebend rief er nach dem General der Palastwache und bat ihn in freundschaftlichem Ton, um eine weitere Blüte dieser königlichen Blume, dieser Zauberin der Seele.

Der General knallte seine Absätze zusammen, das tun sie immer, wenn sie nicht mehr weiter wissen und schrie: «Es soll geschehen, wie der Herrscher aller Gläubigen befiehlt!» und wollte rechts umkehrt und sich selber aus dem Staub machen.

Aber der Sultan war heute leutseliger Stimmung und wollte noch dies und das über die Blume erfahren, wo sie gedeihe, ob sie an einem Strauch wachse und das und jenes, aber schliesslich gab er es auf, denn sein General war offensichtlich nun mal kein Botaniker.

In der Wachstube war die Hölle los. Der General tobte so richtig herum, wie er es mochte, aber schliesslich musste er eingestehen, dass er den alten Bettler eigenhändig ersäuft hatte und von ihm nicht mehr erfahren würde, woher die Blume stammte und somit nur schwer für Nachschub sorgen konnte.

Alle Soldaten, auch die Reservisten, wurden ausgeschickt, um im Palastgarten die gesuchte Pflanze zu finden. Eine Horde Soldaten im Blumengarten macht ungefähr den gleichen Effekt, wie doppelt so viele Wildschweine im Gemüsegarten und die suchen sich ja auch keine Blümchen um daran zu schnuppern.

Und was die tapferen Krieger alles anschleppten!

Die Wachstube glich bald einer Müllhalde nach dem Blumen- und Gemüsemarkt.

Als endlich der Major, der die Blümchensuchaktion geleitet hatte, die totale Verwüstung der einst zauberhaften Gärten meldete, war die gesuchte Blume immer noch nicht gefunden.

In der Zwischenzeit hatte der Sultan schon voller Ungeduld mehrmals nach dem General verlangt, der sich aber jedes mal verleugnen liess. Ein seltsames heisses kitzliges Gefühl in der Halsgegend liess ihn zudem Böses ahnen.

Die Palastwache hatte indessen auch schon sämtliche Lustgärten der reichen Kaufleute heimgesucht und geplündert und war bereits in den stillen Gärtchen der Handwerker eingedrungen, aber von der gesuchten Blume war keine noch so leise Spur gefunden worden.

Schliesslich liess der frischgebackene General voller Verzweiflung in der ganzen Stadt bekanntmachen, dass derjenige, welcher ihm besagten himmlischen Duftspender, er wisse ja schon worum es sich handle, bringe, reich belohnt werde, sollte er die Blume aber weiterhin verbergen, würde man ihn, von oben her gemessen, um eine Fusslänge verkürzen.

Und, er traute seinen Augen kaum, hatte er sich selber schon als kopflose Leiche gesehen, da kam doch der von ihm eigenhändig ersäufte Bettler ... na ja, nun war keine Zeit mehr auf Details einzugehen, denn der Sultan war schon sehr ungeduldig und der Duft, besser gesagt der fürchterliche Gestank, den die Geschwüre oder die Kleider dieses zerlumpten und grindigen Bettelmannes verströmten, war derart ekelhaft und magenumdrehend, dass man sich auf keine langen Gespräche mit ihm einlassen konnte, ohne in Ohnmacht zu fallen.

Der General riss dem zittrigen Alten die Blume aus den Händen, beförderte ihn mit einem wohlgezielten Fusstritt die Treppe hinunter und befahl seinen Soldaten, dieses Stinktier hinter dem Wachhaus zu erledigen und endgültig totzuschlagen und eilte dann, ja, er flog förmlich zu seinem Herrn und Meister, um ihm die Blume, die er vorher selber gar nicht angeschaut hatte, zu bringen.

Als er vor dem Herrscher aller Gläubigen kniete und ihm die Blume überreichte, merkte er plötzlich voller Schreck, dass ihn der Alte ganz bös hereingelegt hatte und dass der grauenhaft fürchterliche Pestillenzgestank von vorhin von eben dieser Blüte stammte.

Über weitere Beförderung und Belohnung des Exoffiziers brauchen wir uns keine Gedanken zu machen und es freute den Scharfrichter natürlich ganz besonders, dass er endlich einmal einen echten General köpfen durfte und nicht nur einen armen Schlucker, wie sonst.

Die Soldaten hatten es aber nicht besonders eilig gehabt den stinkenden Bettler totzuschlagen, um so eiliger ist der auf seinem Esel davongeritten, förmlich davon gesprengt.

Und das Ende der Geschichte?

Nach ein paar Tagen hiess es, der Sultan sei krank.

Gerüchte summten durch die Stadt. Cholera oder Pest sei es, meinten einige, Liebeskummer vermuteten andere. Die berühmtesten Ärzte aus dem gesamten Gebiet des arabischen Halbmondes strömten herbei, bekannte Wundertäter und berüchtigte Hexen folgten und schliesslich kamen Gärtner, Blumenzüchter und Botaniker.

Sie kamen und gingen.

Im Harem begann man zu weinen und nachts drang ein grausiges Heulen aus den Frauengemächern und war bis weit in die Wüste hinaus hörbar und wurde von vielen Leuten fälschlicherweise den Hyänen zugeschrieben.

Die Schneider begannen schwarze Fahnen zu nähen.

Schliesslich kam an einem sonnigen Sommermorgen der alte Bettler eilig auf seinem Esel angeritten. Die Palastwache liess, da blind vor lauter Trauer und Verzweiflungstränen, jeden unbesehen das goldene Palasttor passieren. Ungehindert drang der Alte bis zum Sterbezimmer des Beherrschers aller Gläubigen vor. Mit beiden Händen umklammerte der Bettelmann ein Pflänzchen, das er sorgsam mitsamt den Wurzeln ausgegraben hatte und hielt es dem todkranken Sultan vors Gesicht. Ein einziger Atemzug genügte und der Totgeglaubte sprang von seinem Sterbelager auf und tanzte quicklebendig und vergnügt in seinem seidenen grünen Nachtgewand im Palast herum und liess sogleich ein grosses Volksfest im ganzen Reich verkünden.

Den alten Bettler wollte er mit Gold überschütten, ihn zu seinem Grosswesir machen, zu seinem Freund und Berater, der in seidener Kleidung links von seinem Thron zu sitzen hatte, mit eben dieser wunderbaren Blume in den Händen, die er ihm, dem Vertreter des Propheten, alle paar Minuten vor die Nase zu halten hatte.

Aber der Bettelmann gab ihm zu bedenken, dass er dazu wirklich keine Zeit hätte, denn er müsse jeden Tag pflichtgetreu vor der Moschee stehen. Wenn nämlich der Bettler, der von Allah nun mal zum Betteln bestimmt war, wenn der vor der grossen Moschee fehlen würde, wäre dadurch den Gläubigen die Möglichkeit genommen, ihren täglichen Almosenpflichten nachzukommen und die göttliche Ordnung würde in Gefahr laufen, im Chaos zu versinken.

Diesem überzeugenden Argument konnte sich selbst der Sultan nicht verschliessen.

So war alles wieder wie vorher, mit dem einzigen grossen Unterschied, dass wir seitdem die herrliche Damaszenerrose kennen, die unsere Nasen und unsere feinsten Sinne mit ihrem betörenden Duft erfreuen und beleben kann.

Hasan der Töpfer

Kaum waren seine Beine stark genug, musste der kleine Hasan in Vaters Töpferei Lehm stampfen. Es machte dem Jungen grossen Spass im feuchten Dreck herumzuwaten und sich dabei mit Ton derart zu verschmieren, dass er nach kurzer Zeit aussah, wie eine frisch geformte Statue, wie ein kleines graues Lehmteufelchen.

Besonders angenehm war ihm bei dieser Arbeit, wenn die nasse und geschmeidige Tonerde zwischen den Zehen durchquoll.

Kamen Nachbarsjungen vorbei, so bewarf er sie lachend mit feuchten Lehmklumpen, bis sie laut schreiend Reissaus nahmen und einmal hatte er sogar seine kleine Schwester Fatima, die er wirklich gut mochte, herzlich umarmt und dabei auf ihren schönen Kleidern echt garstige Spuren hinterlassen.

Was ihm aber gar keinen besonderen Spass machte, das war die lästige Wascherei am Abend. Da wurde er in einen Bottich gesteckt, mit viel Wasser übergossen und geschrubbt und gefegt, bis unter der dicken Lehmschicht Hasan, der kleine Junge wieder erschien. Zwar wusste er, dass auch sein Vater sich vor dem Abendgebet reinlichst säuberte, aber wer sagt denn schon, dass Dinge, die für Erwachsene gut sein mögen, auch für Kinder geeignet sind. Und das Unsinnigste schien ihm der Umstand, dass der ganze Reinlichkeitsfimmel seiner Eltern am nächsten Morgen schon nach wenigen Minuten wieder sein Ende finden würde. Aber wozu sich unnötige Gedanken machen, das gehörte nun einmal zum Leben eines Töpfers, auch seine Brüder, die jetzt alle in der Werkstatt arbeiteten, hatten mit Lehmstampfen begonnen und durften heute Teller, Schüsseln und Krüge herstellen, wobei sie freilich schmutzige Hände bekamen. Aber was ist schon Händewaschen im Vergleich zur unangenehmen Wascherei von oben bis unten, die er täglich zu erdulden hatte.

Ihre Keramik war weit herum begehrt und berühmt, nicht etwa, weil sie unzerbrechlich gewesen wäre, nein, denn Töpfer müssen ja auch gelebt haben, sondern die Farben der Glasur dieses Geschirrs waren das Besondere: nicht ockergelb oder umbragrün, wie es hier üblich war, sondern rubinrot oder marineblau.

Und die Herstellung eben dieser prächtigen Glasuren war ihr streng gehütetes Familiengeheimnis.

An den Tagen, wo die grossen Karawanen ankamen oder abreisten, war mit Hasan nicht viel anzufangen. Dann strolchte er mit andern Jungen auf dem grossen staubigen Platz vor dem Stadttor herum, dort wo die vielen Kamele lagerten und wo Händler aus der Stadt mit den Karawanenleuten tagelang feilschten. Manchmal durfte er helfen beim Füttern und Tränken der Dromedare, oder er wurde für Botengänge in die Stadt geschickt, oder ein Kamelführer zeigte ihm, wie man aus Grashalmen die Seile flechten konnte, mit denen man die Lasten festband und einmal durfte er sogar auf einem Kamel reiten, meist aber stand er einfach da und staunte und träumte.

Auch Hasans Vater erwartete jede Karawane voller Ungeduld, denn seine Töpferware musste ja auch verkauft werden. Von dem wenigen Geschirr, das im Oasenstädtchen ersetzt werden musste, hätten sie nicht leben können, daher war es wichtig, dass er den Karawanen, die hier durchzogen, möglichst viel von seiner zerbrechlichen Arbeit mitgeben konnte.

Hatte er einen Käufer gefunden, so musste die Ware bruchsicher verpackt werden. Das ergab jedes Mal riesige Packen, die zur Hauptsache aber aus Palmblättern, Strohhalmen und Grasmatten bestanden, unförmige Bündel, vor denen sich die Lasttiere fürchteten, weil sie annahmen, dass ein Riesenpaket auch riesig schwer sein müsse. Da galt es dann, die schlauen Kamele beim Beladen zu überlisten, weil sie sich brüllend, umsichbeissend und mit allen Vieren umsichtretend wehrten, wenn man ihnen zuviel aufladen wollte. Nun, dann verband man ihnen einfach die Augen, damit sie nichts sehen konnten, lud ihnen die Töpfe auf den Rücken, liess sie aufstehen und ein paar Schritte gehen, damit sie merkten, dass die Last nicht allzuschwer war und nahm ihnen dann die Augenbinde ab. So einfach geht das mit Kamelen.

Wenn die Karawane die Oase verlassen hatte, wurde es wieder ruhig und auf dem grossen Platz scharrten nur noch ein paar streuende Hunde in den Abfällen und machten den Ziegen die wenigen fressbaren Brocken streitig. Hasan stampfte wieder Lehm oder einige Zeit später, als er in die ersten Geheimnisse der Töpferei eingeweiht worden war, sass er an der Töpferscheibe und formte kleine Krüge, Tassen und Teller. Dabei schweiften seine Gedanken manchmal hinaus in die weite Wüste, dort wo die grossen Karawanen ihren langen Weg gleichmütig gingen. Wenn man da mitreisen könnte! Nur ein einziges Mal! Die Welt sehen, die hinter dem Sandmeer lag. Bled es Soudan, das Land der Schwarzen, Agadez, Kano, Gao ... . Träume, unerreichbare Träume. Er würde sein Leben lang Töpfe drehen, brennen und glasieren und wenn eine Karawane kam, hinausgehen und mit den Kaufleuten verhandeln, ihnen Geschirr verkaufen, wie es sein Vater und seine Brüder taten.

Die Karawanen kamen und gingen, die Sehnsucht Hasans wurde grösser und grösser, aber er machte schweigend seine Arbeit.

Es gingen aber Jahre ins Land, in denen die Nachfrage nach Töpferwaren immer kleiner wurde und im Hause Hasans Eltern begann der Hunger aus den dunkeln Ecken zu starren. Zwei seiner Brüder arbeiteten bereits, sehr ungern zwar, bei einem Fellah, einem Gemüsebauern in der Oase, da zu Hause keine Arbeit für sie mehr war und halfen mit ihrem magern Verdienst über die grösste Not hinweg. Die Karawanen wurden aber immer seltener, immer kleiner.

Da kam endlich wieder einmal ein richtig grosser Handelszug in die Stadt. Es mochten über tausend Lasttiere gewesen sein, Esel, Maultiere und Kamele. Und was für herrliche Kamele! Kaufleute in reichen, bunten Gewändern erwarteten mit stolzer Gleichgültigkeit Kundschaft, die vielen Kameltreiber schrien und brüllten herum, wohl um ihre eigene Wichtigkeit zu zeigen und eine grosse Schar von schwarzen Männern beeilte sich die Lasttiere zu entladen, zu füttern und zu tränken.

Die Handwerker hofften alle auf grosse Geschäfte, aber Hasans Vater konnte nur eine allereinzige Kamellast von Geschirr einem befreundeten Kaufmann verkaufen. Die Geschäfte würden nicht mehr so gut gehen wie früher, klagte dieser, der Salzpreis sei niedrig wie noch nie und an den Datteln liesse sich auch nichts mehr verdienen, sogar der Transport von Hirse sei ein Hungerleidergeschäft geworden und Töpfe, das kleine dicke Männchen schnaubte verächtlich durch die Nase, Töpfe und Geschirr nehme er aus purer Freundschaft zu Hasans Vater noch mit auf die Reise. Da jeder zerbrochene Teller auf seine Kosten gehe, könne man sich leicht ausrechnen, was für ihn noch übrig bleibe, lamentierte der recht wohlgenährte Kaufmann weiter. Wenn das so weitergehe, seufzte er, seinen dicken Bauch streichelnd, werde er demnächst verhungern, elendiglich verhungern. Na ja, so sei das nun einmal und nur Allah allein wisse, wozu das gut sein möge. Das Männchen seufzte ein weiteres Mal und sagte traurig, dass er sogar seinen Gehilfen hätte entlassen müssen, weil der zuviel Lohn gefordert habe, aber wer belud nun seine Kamele? Wer hütete seine Waren, wenn er einen dringenden Geschäftsgang zu tun hatte?

Hasan, der diesmal bei den Geschäftsverhandlungen zugegen war, fühlte, dass jetzt der wichtigste Moment seines Lebens da war. Hier bot sich die Möglichkeit, endlich seinen grossen geheimen Wunsch zu erfüllen.

Der Vater, ein Sesshafter, war von der Idee seines Sohnes, ein Reisender und Karawanenhändler zu werden, gar nicht begeistert. Das müsse man noch alles durchdenken, meinte er, aber der Kaufmann hatte eingeschnappt, er hatte ja bereits im Stillen gehofft, Hasans Vater trete ihm einen seiner Söhne ab, um den weggelaufenen Gehilfen zu ersetzen. Arbeit war keine da, das Essen fehlte und auch die Kleider dieser Leute waren offensichtlich nicht die allerneusten. Hier musste man froh sein, einen unnützen Esser loszuwerden. So etwa hatte sich der Händler Omar die Sache vorgestellt, nun kam ihm der junge Bursche noch entgegen.

Hasans Vater äusserte viele Bedenken. Was hatte man nicht alles schon gehört von verirrten und verdursteten Karawanen, von verheerenden Sandstürmen, die in kürzester Zeit den grössten Lastzug unter riesigen Dünen begruben, von wilden Tieren, von Räubern und Sklavenjägern.

Omar meinte dazu, das vom Sandsturm sei ein dummes Märchen, wie so vieles, was man von der Wüste erzähle. Und die Räuber, ja freilich, die gebe es schon, aber die würde er nicht fürchten und mit rollenden Augen blickte er auf seine Pistole mit dem armdicken Kanonenrohr, die er nun aus seinem Gürtel zog. «Pif, paf, pum und selbst die blauen Männer auf ihren Rennkamelen ergreifen die Flucht,» schrie der mutige Omar und fuchtelte dabei wirklich furchterregend mit seinem unförmigen Schiessprügel in der Luft herum.

Hasans Vater war scheinbar wenig beeindruckt von dieser kriegerischen Demonstration und meinte nur, Omar solle das Ding wegstecken, er könnte sich damit noch wehtun.

Schliesslich einigte man sich, dass Hasan mitziehen werde. Vorerst würde die Reise durch einige Oasenstädte der Gegend gehen, wo Datteln eingekauft wurden, dann quer durch die grosse Wüste bis nach Agadez. Dort sollte Hasan mit der nächsten Karawane nach Norden seinen Heimweg antreten, denn Vater wollte nicht, dass er bis zu den Salzoasen mitreiste.

Von der grossen Tenerewüste hatte er schon zu viele Schauergeschichten gehört.

Omar schwor, dass er Hasan behandeln und behüten werde, wie einen eigenen Sohn, Allah solle Zeuge sein, und vielleicht könne er sogar einen tüchtigen Händler aus dem Jungen machen, der später ihre Töpferwaren in der ganzen Welt der Gläubigen vertreiben und verkaufen werde, In schah' Allah!

Als sich die grosse Karawane von der Oase entfernte, ritt Hasan an der Seite seines Meisters auf einem schönen weissen Kamel, das ihm dieser als Reittier zur Verfügung stellte. Omar hatte wirklich Wort gehalten und behandelte Hasan wie einen eigenen Sohn und verlangte auch von den Kamelführern und Sklaven, dass sie ihm respektvoll begegneten und seinen Anweisungen Folge leisteten ohne zu Murren. Hasan staunte schon am ersten Reisetag, wie gross die Welt war. Nach zehnstündigem Ritt und Marsch durch eine eintönige steinübersäte Ebene traf man endlich auf ein Brunnenloch. Der Anführer gab Befehl zum Anhalten und Abladen .

Hasan war von der langen Reise in der Sonnenglut und dem heissen, trockenen Wind wie ausgedörrt. Dass das Reiten auf einem Kamel auch gelernt werden musste, war seine zweite schmerzliche Erfahrung und dass das Gehen neben oder vor dem Reittier in der Felswüste eine sehr harte Angelegenheit war und jeder Schritt im weichen Sand ihn spüren liess, wie schwer seine eigenen Füsse waren. Müde, durstig, hungrig und mit blasenbedeckten und zerschundenen Füssen musste er das Abladen der Kamele überwachen, damit nichts zerbrach und nichts verloren ging.

Als er in seine weiche Decke gehüllt am warmen Feuerchen auf das Essen wartete, fiel er in einen derart tiefen Schlaf, dass ihn der schwarze Koch, der das Abendbrot brachte, mit keinem Mittel wachkriegen konnte. «Lassen wir ihn schlafen,» meinte Omar, der fürsorglich noch eine weitere Wolldecke über den Jungen legte, damit dieser sich in der Kühle der Nacht nicht erkälte.

Frühmorgens, lange bevor der Tag anbrach, noch vor dem Morgengebet, wurden die weidenden Kamele eingefangen, auf die Knie gezwungen und dann mit viel Geschrei, Lärm und Unruhe wieder beladen.

Über dem wiederangefachten Feuerchen hatte der Koch eine dicke Bohnensuppe, den Ful, gekocht und bevor die Sonne aufging, war die lange Karawane schon wieder auf dem Marsch. Hasan sass an diesem Tag schon etwas sicherer auf seinem Reittier und fürchtete sich fast nicht mehr vor dem Hinunterfallen, obschon der Boden immer noch gleich weit entfernt war, nämlich sehr, sehr weit unten. Er versuchte auch, wie er es bei seinem Meister sah, seine Beine über dem Kamelhals zu kreuzen, statt sie an den Seiten herunterbaumeln zu lassen, was nämlich für unwürdig und anfängerhaft gilt. Auch das Gehen fiel ihm heute schon etwas leichter, trotz geschwollener und blutiger Zehen. Kamelreiten heisst nämlich, dass man die eine Hälfte des Weges reiten kann und die andere zu Fuss gehen muss, damit das Dromedar sich nicht allzu sehr ermüdet und geschwächt wird.

Hasan war froh, als der Karawanenführer am späten Nachmittag anhalten liess. Sie waren in ein breites Flusstal hinuntergestiegen, in dem zwar nur alle 50 Jahre einmal Wasser floss, aber da gab es viele grüne Büsche und Bäume, stachelige Hadsträucher, saftiggrüne Tamarisken und dornenbewehrte Akazienbäume; alles wahre Leckerbissen für Kamelgaumen.

Die Kamele und die andern Lasttiere wurden von ihrer Packung befreit, an den Vorderbeinen derart gefesselt, damit sie nicht weit laufen konnten und dann liess man sie auf die grüne Pracht los, der sie sogleich übel zusetzten.

Nach weiteren zwei sehr mühsamen Tagen, quer durch eine glühendheisse, topfebene schwarze Steinwüste ohne Brunnen und ohne Pflanzen, erreichte die Karawane die nächste Oase. Der Lagerplatz war im Schatten alter Palmen an einem kleinen See, unweit des südlichen Stadttores.

Omar besuchte seine Geschäftsfreunde, um Waren zu kaufen und zu verkaufen und machte die Kaufleute mit Hasan bekannt, den er überall als seinen Nachfolger bezeichnete. Omar zeigte seinem Lehrjungen, wie man mit Geschäftspartnern ruhig, überlegt und mit endloser Geduld verhandelte, ohne aber das Ziel der Verhandlung je aus den Augen zu verlieren, wie man zäh am Preis der eigenen Waren festhielt, ohne aber dem Kunden die Hoffnung auf einen Preisnachlass zu nehmen, wie man den Preis einer zu kaufenden Ware drückte, ohne sie aber herabzuwürdigen, wie man dem Kunden schmeichelte, ohne aber plump zu werden. Er lehrte den Jungen auch, dass bei jedem Kauf oder Verkauf beide Teile das Gefühl haben mussten, sie hätten ein vorteilhaftes Geschäft getätigt, dass man mit schlechter Ware und mit Betrug nicht weit kam und andere wichtige Tricks des Handels.

Hasan wurde von Omar in den Souks bekannt gemacht, besuchte mit ihm die Moschee und den Hammam, das Bad, wo im heissen Dampf oft auch noch wichtige Geschäfte ihren Abschluss fanden.

Von hier weg marschierte die Karawane nach Süden. Es war der längste, mühsamste und gefährlichste Teil der Reise, den sie nun in Angriff nahmen. Man hatte noch einige junge Männer mit Gewehren angeheuert als Geleitschutz, denn man konnte ja nie wissen, was oder wer einem auflauerte. Die schwachen und ermüdeten Tiere wurden ersetzt, alle Tragriemen und Seile kontrolliert und die Ladungen so dicht wie möglich gepackt, damit sie weniger Raum einnahmen.

Alle Kamele, auch die Reittiere wurden mit Futter und vor allem mit Wassersäcken, den Guerba