Die Zauberklarinette - Johann Widmer - E-Book

Die Zauberklarinette E-Book

Johann Widmer

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Beschreibung

Diese Kindergeschichten können getrost auch von jung gebliebenen Erwachsenen gelesen werden und auch sie werden bestimmt ihren Spass daran haben. Der Themenkreis dieser fantasievollen Geschichten reicht vom Alltagsgegenstand bis zur Märchenfigur, die Zielgruppe variiert vom kleinen Kind, dem noch vorgelesen wird bis zum Jugendlichen, der gerne liest. Der Autor hat diese Erzählungen in den Neunziger Jahren vor einem jugendlichen Publikum erzählt und anschlies­send aufgeschrieben. In einer Zeit also, wo es weder Facebook noch Smartphones gab und man froh war, wenn da ein Opa war, bei dem man Geschichten downloaden konnte.

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Die Zauberklarinette

Table of ContentsKurzgeschichten für Kinder

Table of Contents

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

HILFE, DIE MEERSCHWEINCHEN KOMMEN

KASIMIR DER BÄRENMANN

NUTELLA

DAS VIOLETTE SCHWEINCHEN

KOMIX

BUBBLEGUM

TARZAN

DES KAISERS NEUE KLEIDER

DAS FRESSOPIANO

DIE MODELLEISENBAHN

DAS BLOCKHAUS

DIE ZAUBERKLARINETTE

DINO

DER SCHIEFE TURM VON PISA

VEILCHENDUFT

DER KARFUNKELSTEIN

GRILLO UND COCCODRILLO

DAS GROSSE GELÄCHTER

NACHWORT

Kurzgeschichten für Kinder

DieZauberklarinette

Kurzgeschichten für Kinder

JohannWidmer

Band 1

Illustrationen

FotosvonWerken(artepovera)desAutorsausdenJahren1970 – 2010

Stiftung Augustine und Johann Widmer, Hrsg.

© Stiftung Augustine und Johann Widmer

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durchFotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche GenehmigungdesBildungszentrumsreproduziertoder unterVerwendungelektronischerSystemegespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

www.johann-widmer.chISBN: siehe Umschlag

1. Auflage 2021

VORWORT

Diese Kindergeschichten können getrost auch von jung gebliebenen Erwachsenen gelesen werden und auch sie werden bestimmt ihren Spass daran haben.

DerThemenkreisdieserfantasievollen Geschichtenreichtvom Alltagsgegenstand bis zur Märchenfigur, die Zielgruppe variiert vom kleinen Kind, dem noch vorgelesen wird bis zum Jugendlichen, der gerne liest.

DerAutorhatdieseErzählungenindenNeunzigerJahrenvor einem jugendlichen Publikum erzählt und anschliessend aufgeschrieben. In einer Zeit also, wo es weder Facebook noch Smartphones gab und man froh war, wenn da ein Opa war, bei dem man Geschichten downloaden konnte.

HILFE, DIE MEERSCHWEINCHENKOMMEN

NelesgrössterWunschwar…

Nein, sie wünschte sich keine Puppe, kein Kinderfahrrad und kein Märchenbuch, sondern ein richtiges, lebendigesMeerschweinchen.

Papa fand, das sei ein guter Wunsch, denn vom erzieherischen Standpunkt aus betrachtet, ist so ein Tierchen sehr geeignet, in einem Kind das Verständnis für die lebendige Kreatur zu wecken, sein Pflichtgefühl zu entwickeln, Ordnungsliebe, Sauberkeit und was man sonst noch alles lernen sollte, um erwachsen zu werden. Mama fand den Wunsch reichlich daneben, denn, so argumentierte sie, wer füttert dieses Tier regelmässig? Wer füllt täglich die Wasserschalenach?WerputztallwöchentlichdenStall?…natürlich die Nele, das ist doch Ehrensache. Na gut, aber wo soll denn das liebe Tierchen leben?

Dieses Problem hatte Nele bereits mit ihrem grossen Bruderbesprochen.EinStallwargeplant,denwirambesten als Meerschweinchenkönigspalast bezeichnen. Aber da war noch etwas, das Mama störte: Meerschweinchen stinken! Dreistimmiger Kinderprotest: «Nee, stinken tun die nicht, höchstens ein bisschen übel riechen, oder sagenwir sie duften stark, oder sie haben ein eigenes Parfüm.» Gut, man überliess schliesslich die Entscheidung dem Weihnachtsmann oder dem Christkind, und die erwiesensich beide als tierliebend, denn an Weihnachten waren sogar zwei echte, lebendige, warme, kuschelweiche Meerschweinchen im Meerschweinchenkönigspalast. Das war ja ein Fest!

Das grössere und frechere erhielt den Namen «BACKY» und zwar, weil es auf seiner linken Backe einen schwarzenFleckhatte.Urshätteesaberlieber«SCHNUFFI»genannt,weil es immer so mit seinem rosa Näschen herumschnüffelte, doch es blieb bei Backy.

Das andere bekam den Namen «DACKY», weshalb, das weiss bis heute niemand. Am ersten Tag gab's fast Streit, wer die beiden füttern dürfe und schliesslich erhielten sie von Nele je ein Salatblatt, von Urs ein Stück hartes Brot und von Nils bekamen sie ein Stück Kuchen. Das Wasser wurde an diesem Tag fünfmal gewechselt und am Abend gabesnocheinezusätzlicheHandvollHobelspänealsEinstreu und zwei Taschentücher als Kopfkissen.

An den folgenden Tagen wurden Dressurversuche unternommen, die aber keinen grossen Erfolg zeitigten.

Nach etwa acht Tagen war man sich plötzlich nicht mehr soganzsicher,werdennheutedieTierefütternmüsseundwenn Mama den Streit nicht geschlichtet hätte und selberden Tieren was gegeben hätte, wären die Meerschweinchen an jenem Tag ohne Futter geblieben.

Auch mit dem Stallausmisten gab es Schwierigkeiten, weiljedes Kind behauptete, es letzte Woche getan zu haben.

Ob nicht vielleicht Mama für dieses und natürlich nur fürdieses einzige Mal das Ausmisten übernehmen könnte?

Mama ist wirklich super!

Nach den Ferien, als wieder Schulzeit war, hatten die beiden Tierchen zwar wieder ruhigere Tage, aber mit dem Füttern ging es einige Tage lang nicht mit rechten Dingenzu, denn Hausaufgaben, Klavierstunde, Judoclub und andere Pflichten liessen bald einmal die Meerschweinchenfütterung in den Hintergrund treten.

Schliesslich übernahm Mama auch dieses Ämtchen, sie hatte ja schliesslich am ehesten Zeit.

Aber …

AbersogegenEndeMonatJanuarverkrochsichDackyimPalast und erschien auch zum Fressen nicht mehr.

Was war da nur los? Krank?

Man verdächtigte zuerst Nils. Er habe den Meerschweinchen Farbstifte gefüttert. Was übrigens gar nicht stimmte,die Farbstifte waren ganz aus Versehen in die Kiste gefallen und es war Backy, der den gelben Stift angeknabbert hatte. Dank der kleinen Fensterchen am Meerschweinchenkönigspalast konnte man reingucken und da sahen sie, dass Dacky aus Haaren ein Nest gebaut hatte und in diesem Nest lagen vier rosafarbene, winzigwunzigkleine Meerschweinchen. In der folgenden Zeit war keine Frage mehr,werdenndieTierchenfütternmüsse,weiljetztwieder alle wollten.

Bald hoppelten die vier Meerschweinchenkönigskinderchen Facky, Gacky, Hacky und Jacky hinter ihren Eltern her und tollten übermütig und verspielt vor ihrem MeerschweinchenkönigsfamiIienpalast herum.

Die Prinzen und die Prinzessinnen wuchsen rasch heran, wie sich das für adelige Meerschweinchen so gehört und konnten nie genug zu fressen haben. Aber es war Februar,Ulm war tief verschneit und nirgendwo wuchs ein Grashälmchen, also musste Salat her.

Die königliche Familie frass pro Tag zwei Biosalatköpfe, ein Pfund Vollkornbrot und hundert Gramm Körner.

Mitte Februar gab es irgendwie Streit im Palast.

(Backy und Jacky gerieten sich in die Wolle und balgten sich um eine ganz bestimmte Ecke im Meerschweinchenkönigspalast. Schliesslich siegte die Vernunft und in jederder vier Ecken entstand ein Nest aus Haaren und Wolle.

Am28.FebruarbestanddieköniglicheFamilieaus:Backy,Dacky, Facky, Gacky, Hacky, Jacky, Kacky, Lacky, Macky,Nacky,Packy,Quacky,Racky,Sacky,Tacky,Vacky,Wackyund Xacky.

Im März schleppte Papa täglich sechs Salatköpfe, anderthalb Kilo Brot und dreihundert Gramm Körner an. Aus reinem Versehen wurden auch noch zwei Bilderbücher, zwölf Filzstifte, acht Farbstifte und vier Plastiktüten von den königlichen Herrschaften verzehrt.

Die Kiste war natürlich zu eng geworden und so beschlossdie Familie, den Meerschweinchen vorübergehend ein Zimmer zu überlassen, damit sie auch genügend Auslauf hatten und bei Bedarf mal die Beine vertreten konnten. Aber schon im nächsten Monat wurde schliesslich fraglich, ob sich die Tierchen auch wohlfühlten, denn inzwischen waren sie zu einer königlichen Sippe von stolzen 54Mitgliedern angewachsen.

Als sie sich durch sämtliche Türen durchgenagt hatten, machten sie sich's allmählich in allen Räumen der Wohnung bequem und konnten zudem jetzt den Menschen immer und zu jeder Tages oder Nachtzeit mitteilen, wannsie Hunger verspürten und gefüttert werden wollten.

Zu den 18 Salatköpfen kamen nun bereits 5 kg Brot und über1kgKörnerproTag.FilzstifteoderHausschuhegab'sin diesem Haus schon längst keine mehr, auch alle Dinge, die aus Papier oder Weichplastik hergestellt worden waren, hatten ausnahmslos die meerschweinchenköniglichen Mägen passiert. Bücher, Zeitungen, Wanderschuhe,Schaumgummimatten, Schulranzen und Gummistiefel waren so nach und nach verschwunden.

Im April grünten endlich die Wiesen und die Hoffnung keimte, dass man die Ausgaben für Kopfsalat etwas vermindern könnte, denn Ende April frassen die 162 ewig-hungrigen Meerschweinchen täglich kistenweise SalatundeinBäckervonUlmmussteeineExtraschichtbeimBacken einlegen, damit die königlichen Exzellenzen nichtverhungerten.

Die486-köpfigeFamiliebesetzteEndeJunischliesslichdasganzeHausundPapa,MamaunddiedreiKinderzogenzuBekannten, die sie freundlicherweise bei sich aufnahmen,bis das Meerschweinchenproblem gelöst sei.

Alsdie1458MeerschweinchenimJulialleNachbarsgärtenkahlfrassen, wollten die Nachbarn reklamieren und riefenPapaan,aber dadie kleinen,niedlichen KuscheltiereauchdasTelefonundsämtlicheKabellängstgefressenundverdaut hatten, erfuhr Papa nie etwas von den wohl, wie unsscheint, berechtigten Klagen.

ImSeptemberhattendie13'122Schmusetierchendiestädtischen Grünanlagen kahlgefressen und im Oktober, es waren nun bereits 39'366 Stück, machten sie sich auch an die Bäume.

Als im November der erste Schnee fiel, hatten die 118'098Meerschweinchen den Grossteil der Bäume mit Stumpf und Stiel aufgefressen.

Im Dezember trat die Stadtregierung zu einer dringlichenBeratung zusammen. Die Vertreter der SPD warfen der Stadtverwaltung Schlamperei vor und verlangten, dass man sofort einen wirksamen Vernichtungsfeldzug gegen die drohende Meerschweinchenplage unternehmen müsse,imNotfallekönntemansogardieBundeswehrunddenBundesgrenzschutzanfordernaufjedenFallaberHilfsgelderausStuttgart,vielleichtsogarausderBundeskasse,fallsda mal etwas drin sein sollte.

CDU/CSU und FdP fanden die Forderung lächerlich undübertrieben und meinten, die Stadtverwaltung hätte alles im Griff. Jetzt komme der Winter und da würden diese Viecher eh alle jämmerlich erfrieren.

No Problem.

Aber schliesslich setzten die Grünen/Bündnis 90 durch, dass man aus humanitären und tierschützerischen Gründen und der Umwelt zuliebe, während der kalten Jahreszeit Futterstellen einrichtete.

Übrigens unterstützten auch der DBFTUN (DeutscherBundfürTierundNaturschutz),derRTALe.V.(RechtderTiere auf artgerechtes Leben), sowie der VDKTH (Verein derdeutschenKuscheltierhalter)vehementdiegrüneForderung.Man kam überein, dass man einen Krisenstab bilden würde, der sich mit dem Meerschweinchenproblem befassen musste und der somit und fortan für Fütterung und für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig sei.

… Ja, so kompliziert wird es halt nun mal, wenn eine Sache politisch wird.

Nach der denkwürdigen Sitzung waren es schon 354'294 Meerschweinchen, die auf die städtische Fütterung wartetenund die allermeisten Einwohner der Stadt Ulm fandendie Tiere bereits nicht mehr besonders niedlich, sondern eher eine Pest oder ein öffentliches Ärgernis und bedachten diese unschuldigen Tierchen mit unanständigen Namen.

VorallemdieAutofahrerlobbytatsichäusserstschwermitdiesenvierbeinigen,allgegenwärtigenundvölligdisziplinlosenStrassenbenützern,dabeihättendieAutofahrerfrohsein sollen, dass es sich nur um Meerschweinchen gehandelt hatte, in Indien wären es Kühe gewesen!

Das statistische Amt der Stadt Ulm zählte am 31.12. jenes denkwürdigen Jahres 1'062'882 auf dem Stadtgebiet lebende Meerschweinchen, die laut Hochrechnung täglich, wohlverstanden täglich im Schnitt 412'318,53 frischeSalatköpfe, ungefähr 123,45 Tonnen Brot und knapp 241 Doppelzentner Körnergemisch vertilgten.

Aber Mitte Januar war Ulm, trotz grosszügiger Fütterungder Nagetiere total kahlgefressen und innerhalb von drei Tagen waren auch sämtliche Autoreifen weggeknabbert, als die Wende kam.

Am 28.1. fiel das Thermometer auf minus 25 Grad.

Am 29. 1. war die Donau zugefroren und am 30. 1. setztenüber vier Millionen dieser herzigen, dickfelligen, niedlichenundfriedlichenSchmusetierchenüberdenFlussunddrangen in den Freistaat Bayern ein.

Neu-Ulm, das bisher von der Plage verschont geblieben war, wurde in wenigen Stunden in den desolaten Zustandder Nachbarstadt versetzt und wer bisher schadenfreudig über die Donau geguckt hatte, erlebte nun schmerzlich und am eigenen Leib, wozu unschuldige Meerschweinchen fähig sind.

Zur grossen Erleichterung aller Ulmer und Neuulmer zogaber der nagende und allesfressende Heereszug noch in derselben Woche ostwärts.

Man kann im Augenblick (Ende Februar) zwar nur sehr, sehr vage schätzen, wann die 134'399'847 königlichen Abkömmlinge jener zwei unschuldigen Kuscheltierchen BackyundDackydieTorederStadtMünchenerreichthabenwerden, bis dann dürften sie jedoch die 400 Millionengrenze weit, weit überschritten haben.

KASIMIRDERBÄRENMANN

Die Reise im Schlafwagen schien dem Bären sehr zu gefallen. Bevor man sich zum Schlafen hinlegte, hielt Elias ihnans Fenster und er durfte hinausschauen. Hüi, wie schnellsich die Welt da draussen vorbeibewegte! Ihm wurde fast übel. Nein, da lag er doch lieber auf dem Kopfkissen und hörte auf die vielen aufregenden Geräusche. Wenn der Zug fuhr, dann hörte man das gleichmässige Singen der Wagenräder, das so einschläfernd wirkte, aber wenn der Zug hielt, dann war etwas los!

Man hörte viele verschiedene Stimmen, aufgeregte Leute,die durch den Gang hasteten, Koffern, die mit schwerem unddumpfemKnallaufdenBodenkrachten,Kinderlachten,Jemand weinte, ein Hammer schlug mit hellem Klangan die Räder, von irgendwoher klang Musik herüber, ein Pfiff, Türen klappten zu und der Zug setzte sich wieder inBewegung.

IrgendwanninderNachterwachtederBärenmann.Zuerstwusste er nicht recht, wo er hingeraten war, aber schliesslich erinnerte er sich, dass er auf der Reise war. Er horchteaufdiemenschlichenStimmen,dievomBahnsteighereindrangen.

Komisch, dachte er, wie eigenartig das klingt. Vielleicht sind wir schon in Italien?

Ja, das muss es sein, und die Leute hier sprechen italienisch.

Dann begannen sich die Lichtflecke im Abteil zu bewegen,derZugfuhrweiter.DerBärwolltewiedereinschlafen, aber es gelang ihm nicht mehr vor lauter Aufregung. Da war man endlich in Italien und schlief weiter! Nein, manmüsstedochjetzthinausschauenumzusehen,wiees draussen aussieht, die Häuser, die Bäume, die Felder, die Menschen und die Tiere anschauen. Sicher war hier alles ganz anders. Die Häuser waren vielleicht ganz winzigwunzigkleine Puppenhäuser, die Bäume waren vielleicht blau und gelb gescheckt und die Menschen hatten möglicherweise Schnauzbärte, die bis zum Boden hingen unddieTiere,jadieTiere,daswarenvielleichtallesBären.RichtigeBärenausPlüschinallenmöglichenGrössenundFarben. Ha, das musste toll sein!

Überall Bären! Auf allen Strassen, auf den Bäumen, in denRuderbooten, in den Flugzeugen und an den Fenstern aller Häuser überall Bären, Bären, Bären. Ha, wie sich unserBär freute und es kaum erwarten konnte, bis es endlich hellwurde,denner hattebegriffen,dassman beiTagesanbruch in Firenze den Zug wechseln musste.

Firenze, oder manche sagten auch Florenz, das tönte in seinen Ohren nun plötzlich wie der Name eines Plüschbären,etwasogrosswieerodereinganzkleinwenigkleiner,mit einem ockergelben Fell, einem weissen Stirnfleck undmit braunen Hängeohren.

Ja, so sah er aus, der Bär Florenz. Er würde ihm natürlich Franz sagen und sie würden sofort dicke Freunde werden.

Aber vorläufig lag er noch auf dem Kopfkissen von Elias und musste warten. Warum schliefen die alle so lange?

Man würde am Ende noch Florenz verpassen!

Und dann ging plötzlich alles so unheimlich schnell.

Grosse Unruhe erfasste den ganzen Zug: Da wurden Koffern zugepresst, Taschen vor die Türen gestellt, Gepäcknetzegeleert,Wassergetrunken,KaffeeduftzogdurchdenEisenbahnwagen, aufgeregte Leute schwatzten und lachten in allen möglichen Sprachen wild durcheinander.

Der Zug bremste quietschend und hielt an. Firenze. Endlich war man da.

Glücklicherweise erinnerte man sich des Bärenmannesund er wurde noch ganz schnell oben auf den Rucksack gepackt. Das gefiel ihm besonders, denn so konnte er sichumschauen,abereinwenigAngsthatteerschon,dennwieleicht konnte er hinunterfallen. Ihm grauste vor dem Gedanken an all die vielen eiligen Füsse, die ihn hätten zertreten können.

Nun war er also in Firenze, aber wo waren denn die vielen Bären, auf die er sich so gefreut hatte, wo war der Bär Franz?

Vielleicht vor dem Bahnhof?

Er streckte seinen kurzen Hals, um besser sehen zu können, er streckte seinen ganzen Bärenkörper, und schliesslich versuchte er auf die Zehenspitzen zu stehen, als er plötzlich abstürzte.

Da lag er nun am Boden zwischen all den vielen eiligen Schuhen, die an ihm vorbei hasteten, rannten oder trippelten.EineböseGeschichtewardas.Erkonntenichtsanderes tun als warten, bis Elias zurückkam und ihn aufhob.

Aber Elias kam nicht.

Eine Frau hob ihn endlich auf, wischte den Staub aus seinem Fell und sagte etwas, was er nicht verstand. Sie blieb mit ihm stehen und hob ihn in die Höhe, damit das Kind,das ihn verloren hatte, ihn sehen und holen konnte. Aberniemand kam. Niemand.

NachlangemWartenpacktesieihnschliesslichinihreTasche und verliess den Bahnhof. Der Bär war neugierig zu erfahren, wo er hingebracht wurde. Sicher ging's jetzt zu den vielen andern Bären in der Stadt.

Er hatte geschlafen in der dunklen Tasche und als es hell wurde, wusste er gar nicht recht, wo er war.

Achja,jetzterinnerteersich.DieReise,Elias,derBahnhof.Aber wo waren die vielen Bären? Wo war der Bär Franz?

ErwarineinemgrossenhellenZimmer,indemdenWänden entlang Betten standen. Alles die gleichen weissen Betten und in jedem Bett lag ein Kind. Im letzten Bett, gleich neben dem Fenster, schaute ein bleiches, ernstes Mädchengesicht aus den Kissen.

«Schau mal, Anita, was ich im Bahnhof gefunden habe,» sagte die Frau, «irgend ein Kind muss diesen Bärenmann verloren haben. Willst du zu ihm schauen, bis das Kind ihn wieder findet?»

Auf dem müden Gesichtchen war etwas wie ein Lächeln zu sehen.

«Ja,» sagte es, «ich will gut zu ihm schauen, will ihm erzählen von uns, von den richtigen Bären bei uns in den Bergen.»

«Und er wird dir erzählen von seinem Zuhause, nachts wenn du schläfst, wird er dir ins Ohr flüstern.»

Das Kind wollte etwas sagen, aber es war zu schwach. Seine Mutter legte ihm den Bären neben das Kopfkissen, dannfühltesiediefeuchteStirndesMädchens.Fieber,immer noch diese Fieber und sicher auch noch Schmerzen.

Das Kind blickte zum Bären und sagte ihm: «Ich will gut zu dir schauen und wenn ich gesund bin, dann zeige ich dir etwas, dann kommst du zu mir nach Hause, dann …»Anita schloss ihre Augen, das helle Licht schmerzte sie, überall waren Schmerzen und ihr Körper war so schwach,sie war so müde, sie wollte schlafen, immer nur schlafen, schlafen, aber wenn sie schlief, dann wurde sie von den Schmerzen wieder geweckt.

Der Bärenmann lag ganz ruhig auf dem Kissen und betrachtete seine neue Beschützerin. Warum war sie so bleich? Wozu diente dieses Plastikschläuchlein, das aus der Nase kam? Und dann sah er das magere weisse Ärmchen auf der Bettdecke. Über dem Ellbogen steckte eine NadelimArmundvondieserNadelgingeinanderesPlastikschläuchleinzueinerFlasche,dieaneinemStänderaufgehängt war.

Der Bärenmann fand alles sehr interessant, das hatte er noch nie gesehen. Anita schien wieder zu schlafen, ihre Mutter fuhr ihr mit der Hand über die Stirn. Der BärenmannschautesichimZimmerum.DawarennochandereKinder, aber alle lagen still in ihren Betten. Aber trotz dervielen Kinder war es ruhig im Zimmer. Da wurde nicht gestritten, aber auch nicht gelacht. Manchmal hörte man einKindweinen,ganzleisevorsichhin,damitesniemandhörenkonnte,odermanchmalhörtemanein.anderes stöhnen. An den meisten Betten standen Mütter oder Grossmütter.

Ganz vorne im Zimmer, beim ersten Bett stand eine FrauineinemweissenKittel.SiesprachleisemitdemKindundmitseinerMutter.JetztkamsieanAnitasBett.SiekontrolliertedieaufgehängteFlascheundbegannmitAnitasMutter zu sprechen. Als sie den Bärenmann auf dem Kopfkissen sah, sagte sie zu Anita, dass das ein ganz besonders schöner Bärenmann sei. So einen tollen Bärenmutz hätte sie wirklich noch nie gesehen.

DerBärplatzteschiervorStolz.Naja,fandaucher,esgibthalt nur wenige von meiner Rasse, aber die sind alle ganz besonders schön, vor allem haben sie alle den gleichen runden Bauch. Vielleicht war sein Bauch noch etwas runder als der seiner Vettern, ein hübscher Junge war er ganzbestimmt.

Der Bär hatte sich rasch an sein neues Leben im Spital gewöhnt und er hatte auch schon alle Kinder im Zimmer kennengelernt. Die meisten hatten eine Puppe bei sich, aber mit Puppen konnte er nicht viel anfangen. Die waren alle so furchtbar stolz, so hochnäsig, weil jede von sichglaubte, sie sei die Schönste. Pff, dachte er, wie kann man nur so eitel sein!

Er war auch recht bald der Liebling aller, was ihm natürlich sehr gut gefiel und dabei freute er sich über die giftigen Blicke der eingebildeten Puppen, die vor Eifersucht fast explodierten.

Eine Zeitlang war Anita so krank, dass sie nicht mehr mitihm sprechen konnte, aber dann wurde sie von Tag zu Tag gesprächiger. Sie wollte wieder gesund werden, damitsie dem Bärenmann ihre Heimat zeigen konnte. Sie kam nämlichvonweither,ausdenAbruzzen,wiesiesagte,undsie erzählte ihm vom blauen Meer und von den Bergen imHinterland. Und in diesen Bergen habe es ganz richtige Bären,nichtausPlüsch,sondernausgrobemFell.Esseienriesig grosse Tiere, noch grösser als Papa oder viel grösserals der Nonno, wie sie ihren Grossvater nannte.

DerBärwarenttäuscht,dasserzudenganzkleinenWinzlingen in der Bärenwelt gehören sollte, dabei hatte er immer gedacht, er sei doch recht gross. Nun, mochten die echten Bären auch ein ganz klein wenig grösser sein, er war dafür ein hübscher Kerl und das zählte schliesslich auch.

Als er aber hörte, dass seine Vettern in den Abruzzen grosse Tatzen mit scharfen Krallen hatten, wurde der Wunsch, mit ihnen Bekanntschaft zu machen, rasch kleiner.Als erdannnoch vernahm, dassdielebendigenBärensogar Schafe oder Ziegen töteten um sie aufzufressen, da wollteernichtsmehrvonihnenwissen.Nein,dasmusstenecht rauhe Gesellen sein. Da waren ihm seine Plüschvettern doch viel lieber.

Am Tag, an dem Anita zum ersten Mal wieder aufstehen durfte, flüsterte sie am frühen Morgen ihrem Bären ins Ohr:«Weisstdu,dassheuteeinbesondererTagist?Nicht?HeutebekommstdueinenNamen,vonjetztanheisstdu «KASIMIR.» Er wusste nicht recht, ob er sich freuen oderärgernsollteüberseinenNamen.Kasimir.Dastönte reichlich komisch. Aber was kann man schon dagegen tun, wenn einem sein Name nicht gefällt? Nichts kann man da machen, rein gar nichts. Da bekommst du irgendeinen Namen und schon haben deine Kameraden draus einen Übernamen gemacht. Dem Ueli sagen sie Üle, demPetersagensiePeetschundderUrsulanurnochUlla.WaswürdensiewohlausKasimirmachen?Kasivielleicht?Daswäre echt ärgerlich.

Und wirklich sagten die Kinder am nächsten Tag KASI zuihm.

Sollte er sich nun ärgern? Ach nein, das ändert eh nichts an der Sache, und übrigens, dachte er, klingt es eigentlichfast besser als das lange Kasimir.

Während der Bär über seinen neuen Namen nachdachte, hatte seine nächste Reise schon begonnen.

Das war ja wieder eine grosse Aufregung!

Endlich kamen sie aus dem Krankenhaus heraus. Kasi hoffte, dass er diesmal die vielen tausend Bären von Florenz zu sehen bekäme, aber daraus wurde wieder nichts.

Vor dem Spital stand ein Auto. Anitas Vater verstaute dasGepäckimKofferraumundMutter,TöchterchenundKasimir setzten sich ins Auto.

Der Papa nahm hinter dem Steuerrad Platz und die Fahrtging los. Kasimir staunte aus dem Fenster. Die unendlich vielen Autos, die da scheinbar kreuz und quer wild herumflitzten,machtenihmAngst.WenndanurkeinerinihrAuto hineinfuhr. Die kamen alle so schnell, bogen nach linksundnachrechtsab,überholtenganznah,dassman sie hätte berühren können und kamen hinten ganz nah heran, als ob sie in den Kofferraum fahren wollten.

Aber es ging alles gut und bald waren sie auf der breiten Autobahn und fuhren mit grossem Tempo gegen Süden.

Im Auto wurde es immer wärmer, besonders Kasi begannseinen warmen Pelz zu spüren. Aber auch die andern bekamen allmählich Durst.

Nach ein paar Stunden Autofahrt hielten sie an. Da war eine grosse Tankstelle und daneben ein Wirtshaus. Zuerstwurde Benzin nachgefüllt und dann gingen alle ins Restaurant, um einen Kaffee zu trinken, wie sie sagten.

Das heisst, es gingen nicht alle, denn Anita liess Kasimir im Auto zurück, weil sie fand, dass er so müde sei und sicher schlafen wolle.

Natürlichwollteernicht,aberwaskannmandagegentun,wenn alle sagen man sei müde. Er wollte nur ein kleines Nickerchen machen, damit er dann wieder wach wäre, wenn die Reise weiterging, aber er hatte kaum die Augen geschlossen, als die Autotüre geöffnet wurde und zwei junge Burschen sich in den Wagen setzten.

Was fiel denen eigentlich ein, sich einfach so in ein fremdes Auto zu setzen! Kasi war empört.

Und jetzt zog einer der Burschen eine ganze Menge von Schlüsseln aus der Tasche und probierte einen nach dem andern. Endlich schien er den richtigen gefunden zu habenund er startetedas Auto undnun ging es mitrasenderGeschwindigkeit auf der Autobahn weiter.

Kasi war richtig böse. So eine Frechheit! So eine Unverfrorenheit!EinfachjemandemdasAutowegnehmenohneihn zu fragen!

WastatennundieandernohneAuto?MusstensiezuFussnach Hause gehen? Und Anita? Sie war doch noch zu schwach, um so weit gehen zu können.

Aber was konnte er schon tun gegen die zwei da vorne? Nichts, rein gar nichts.

Auf sein Knurren würden die beiden gar nicht hören.

Ach wie gerne wäre er jetzt ein richtiger Bär gewesen, so ein riesiges Tier aus den Abruzzen mit den scharfen Krallenundden spitzigenZähnen.Hei, denendavorne würdeer es zeigen!

Beim nächsten Parkplatz hielten sie an und wechselten die Nummernschilder aus, dann ging die Fahrt weiter. Siefuhren jetzt langsamer, denn sie wollten nicht von der Polizei angehalten werden, weil sie zu schnell rasten.

Der Bär lag hinten auf der Hutablage und schaute traurigaus dem Rückfenster. Da nahte sich ein schwarzes Auto miteinerblauenLampeaufdemDach.DaskonntediePolizei sein.

Ja, das war ein Polizeiauto.

Kasimir überlegte, wie er die Aufmerksamkeit der beidenPolizisten auf sich lenken könnte.

Er begann nun auf der Hutablage herumzutanzen, dann machte er allerlei Kapriolen, Purzelbäume vor und rückwärts und schliesslich versuchte er einen Handstand, der natürlich misslang.

Die Polizisten hatten ihn gleich gesehen und freuten sich über seine grosse Geschicklichkeit. Sie lachten und gabenihm Handzeichen, dass er weitermachen solle, als sie an ihremRadiohörten,dassindieserGegendvorkurzerZeitein Auto gestohlen worden sei, die und die Autonummer,einschwarzerFiatUnounddasssichimInnerndesAutosein Teddybär, namens Kasimir befinde.

DiebeidenPolizistenschautensicheinenAugenblicklangan, dann sagte der eine: «Du, das da vorne muss der Bär Kasimir sein, den man entführen will. Zwar stimmt die Autonummernicht,aberdie kannmanja leichtwechseln.