Kriminalfallen - Johann Widmer - E-Book

Kriminalfallen E-Book

Johann Widmer

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Beschreibung

Vorab eine Warnung: Wer meine Geschichten mit tierischem Ernst liest, ist selber schuld . . . Schriftsteller oder Krimiautor sind pompöse Begriffe, die nicht so recht zu mir passen. Ich bin Geschichtenerzähler und Fabulierer. Ich erzähle mit viel Lust, List und Freude Geschichten der mir bekannten mich umgebenden Welt und geniesse dabei die dichterischen Freiheiten in vollen Zügen. Spannung tut jeder Geschichte gut, moralische und ethische Erbauung weniger, auf Belehrung und sittliche Entrüstung verzichte ich gerne und allzu viel rohe Gewalt mit vielen in ihrem Blute schwimmenden Leichen fördert nur den Konsum von Baldriantropfen und bei Sexszenen überlasse ich die Details der blühenden Phantasie des Lesers (an der betreffenden Stelle einfach Augen schliessen und sich der Vorstellung hingeben . . .) Beim Lesen oder Schreiben eines Krimis identifiziert man sich meistens mit einem der Akteure, wohl aber selten mit dem Täter oder gar mit dem Opfer. Auf der Siegerseite lebt sich's besser und länger, daher die "ICH" Form. Wer aber von uns hat schon selber einen richtigen Kriminalfall hautnah und echt miterlebt? Wohl nur ganz wenige, weil sehr viele dabei nicht überleben. Daher stelle ich mir jetzt vor . . .

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Kriminalfallen

Titel SeiteDIE LEICHE IM KOFFERRAUMDIE SACHERTORTEFERIENGRUSS AUS ZERMATTVERNISSAGEDAS LANDHAUS IN DER TOSCANADIE GRÄFIN VON MONTEBAMBOLISCHWARZWALDIDYLLEALI BABATAGEBUCH

Titel Seite

Johann Widmer

KRIMINALFALLEN

KURZGESCHICHTEN

AUS DEM

ALLTAG

Stiftung Augustine und Johann Widmer, Hrsg.

© Stiftung Augustine und Johann Widmer

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Bildungszentrums reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

www.johann-widmer.ch

ISBN: siehe Umschlag

1. Auflage 2020

VORWORT

Vorab eine Warnung: Wer meine Geschichten mit tierischem

Ernst liest, ist selber schuld …

Schriftsteller oder Krimiautor sind pompöse Begriffe, die nicht so recht zu mir passen. Ich bin Geschichtenerzähler und Fabulierer.

Ich erzähle mit viel Lust, List und Freude Geschichten der mir bekannten mich umgebenden Welt und geniesse dabei die dichterischen Freiheiten in vollen Zügen.

Spannung tut jeder Geschichte gut, moralische und ethische Erbauung weniger, auf Belehrung und sittliche Entrüstung verzichte ich gerne und allzu viel rohe Gewalt mit vielen in ihrem Blute schwimmenden Leichen fördert nur den Konsum von Baldriantropfen und bei Sexszenen überlasse ich die Details der blühenden Phantasie des Lesers (an der betreffenden Stelle einfach Augen schliessen und sich der Vorstellung hingeben …)

Beim Lesen oder Schreiben eines Krimis identifiziert man sich meistens mit einem der Akteure, wohl aber selten mit dem Täter oder gar mit dem Opfer.

Auf der Siegerseite lebt sich‘s besser und länger, daher die „ICH“ Form.

Wer aber von uns hat schon selber einen richtigen Kriminalfall hautnah und echt miterlebt?

Wohl nur ganz wenige, weil sehr viele dabei nicht überleben.

DIE LEICHE IM KOFFERRAUM

«Haben Sie etwas zu verzollen?» fragte mich der Zöllner an der Schweizergrenze. Mit gutem Gewissen schüttelte ich den Kopf, denn wir fuhren ohne jegliches Gepäck nach Lugano. Das heisst, fast ohne Gepäck, denn meine neuste Freundin, eine vollbusige, rothaarige Schönheit führte wie alle schönen Frauen, stets ihre voluminöse «Werkzeugtasche» mit, ein edler Lederkoffer (Kaiman) voller Lippenstifte, Nagelfeilen, Nasenhaarclippern, Scheren, Spiegelchen, Lidschattenpinselchen, Kämmen, Bürsten, Pinzetten, Wattebäuschchen, Töpfchen, Fläschchen und Tuben mit Salben und Cremen, Haarspraydosen und Lockenwicklern. Echte und edle Schönheit verlangt nun mal ihren Tribut, denn wo die Natur geschlampt hat, da springt die Kosmetik ein.

Ferner schleppte meine Aphrodite (sie hiess natürlich Sylvia) stets eine dicke schwarze Managermappe mit sich herum, vollgestopft mit Literatur, das heisst mit Frauenzeitschriften und Kriminalromanen.

«Ein Tag ohne Krimi, das ist wie ein Tag ohne, du weisst schon was,» war ihre Lebensdevise.

«Nun öffnen Sie schon mal den Kofferraum,» befahl der Beamte ziemlich barsch.

Wie diese Leute sich immer so aufspielen, nur weil sie im Moment eine Uniform tragen, aber es lohnt sich trotzdem, mit ihnen immer nett und höflich zu sein, denn sie sind nun mal am längeren Hebelarm.

«Bitte sehr, wenn Sie wollen, aber Sie werden gleich sehen, dass er leer ist,» antwortete ich und stieg aus dem Wagen.

Eine Weile lang mühte ich mich mit den vielen kleinen Schlüsseln ab, von denen keiner passen wollte. Schlösser seien nun mal nicht meine Stärke und all die vertrackten Verriegelungen am Auto auch nicht, erklärte ich dem flaumbärtigen Beamten, der erste Zeichen von Ungeduld zu zeigen begann. Während ich erfolglos am Schloss herumfummelte erklärte ich dem Zöllner, dass ich dieses Auto erst seit einer Woche fahre und deshalb noch nicht alle kleinen Tricks kenne. Im Grossen aber, ein Traumwagen, ein Gedicht, eine Offenbarung. Die gute Strassenhaltung, bei jedem Wetter und jeder Geschwindigkeit, die Beschleunigung, die ruhige Fahrt und … und das alles schien den trockenen Bürotypen nicht zu interessieren. War wohl ein Velofahrer!

Der verfluchte Kofferraumdeckel wollte sich mit keinem Mittel aufschliessen lassen, denn er war gar nicht abgeschlossen!

Mit Schwung klappte ich den Deckel hoch und sagte triumphierend: «Voilà, Herr Oberzolldirektor, sind Sie nun zufrie… frie… frie…»

Verdammt nochmals! Was war denn das?

Da lag eine blutüberströmte, nackte Leiche in meinem «leeren» Kofferraum.

So etwas muss man ja mal erlebt haben!

Ich wurde bleich vor Schreck und die Knie begannen zu zittern. Auch der Grenzer wich erschreckt zurück und starrte wie ein von der Schlange hypnotisiertes Kaninchen mit weitaufgerissenen Augen auf den weissen leblosen Körper, derweil meine hübsche Sylvia an ihren Nägeln herumfeilte und gelangweilt fragte, wie lange wir noch am Schloss herumbastelten. Es sei offen, zudem stecke noch der halbe Schlüssel drin.

Da gewahrte sie unsere erschreckten Gesichter und fragte lachend: «Nanu ihr zwei Jungs, was schneidet ihr denn für Gesichter wie zwei doofe Weihnachtsmänner, die eine Leiche gefunden haben.»

«Haben wir, Signora, genau das haben wir gefunden,» rapportierte der Beamte. Er hatte sich gefasst und war wieder im Dienst.

«Ehrlich!?» schrie sie und sprang voller Neugierde aus dem Wagen und noch ehe ich es verhindern konnte stand sie neben mir und starrte mit glasig werdenden Augen auf das weisse, blutverschmierte Fleisch, begann laut zu kreischen und kippte dann, ohnmächtig geworden in meine Arme. Typisch das schwache Geschlecht.

Wenn die einen Blutstropfen sehen, dann kippen sie aus den…

…Ich kam wieder zu mir, als man mir Wasser ins Gesicht spritzte. War ich ohnmächtig geworden? Na ja, bei solch einer schrecklichen Überraschung kann auch der stärkste Mann mal aus den Pantinen kippen.

Oder träumte ich das alles?

Nein, die strengen Gesichter von vier Zollbeamten hoch über mir, der Schmerz am Hinterkopf und die süsse Last in meinen Armen, die mich wahrscheinlich umgerissen hatte, waren keine Traumbilder, sondern verdammt unangenehme Wirklichkeit.

Die hysterisch kreischende Sylvia wurde auf dem Rücksitz des Autos gelagert, wo sie aber sogleich, immer noch schreiend, ihre Maniküre fortsetzte.

Auf der verschlafenen Zollstation begann nun eine aufgeregte Betriebsamkeit. Zwei Beamte überwachten mit gezogenen Pistolen alle meine Bewegungen und zwei weitere hielten neugierige Gaffer von mir fern und aus dem Zollgebäude hörte man das Geschrei eines telefonierenden Angestellten, der wohl mit einem taubstummen Polizeibeamten sprach.

Mit heulenden Sirenen, Blaulicht und quietschenden Reifen raste endlich die Tessiner Polizei auf den Platz.

Die Männer waren sehr höflich mit uns, aber mir schien, dass sie sich gar nicht für meine Beteuerungen, ich sei unschuldig, interessierten. Sie machten Fotos, hantierten mit Messgeräten herum, schrieben eifrig Notizen und hiessen mich schweigen bis ich vor dem «Commissario» stehe, der mir dann ein paar Fragen stellen werde.

Sie baten mich um die Autoschlüssel und befahlen uns im Polizeiauto Platz zu nehmen.

Als der Fahrer das Auto startete begann meine Begleiterin zu schreien, sie hatte ihre Schönheitstasche vergessen und wollte sie holen, aber die Beamten gaben ihr zu verstehen, dass unser Auto so quasi ein Tatort sei an dem im Moment nichts verändert werden dürfe.

Für Sylvia bedeutete das, sich von ihrem besseren Ich zu trennen, denn ohne ihren Kosmetiksalon war sie hilflos und elend. In ihrer Verzweiflung begann sie zu fauchen wie eine Tigerin, sie schrie und tobte und tränte erbärmlich aber leider erfolglos. Sie tobte und fluchte wie ein Fuhrmann aber die Männer blieben hart. Sogar ihre süsse Tour und ihr allesbezwingende zweideutige Lächeln und ihr kindliches Gepiepe brachte keinen Erfolg.

Es müssen verheiratete Männer gewesen sein.

Um die hübsche Dame etwas abzulenken bot ich ihr mein «Swiss Army Knife» an, denn mit diesem genialen Universalwerkzeug kann man auch eine behelfsmässige Maniküre machen.

Ich zog ein blutverkrustetes Messer aus der Tasche und bevor ich es heimlich wieder hatte verschwinden lassen können, streifte mich Sylvias Verschwörerblick und dann schrie sie laut auf: «Blut! Ist das echtes Blut an deinem Messer? Ach Gianni, wie spannend!»

Ich begriff die Welt nicht mehr.

Wie kam das viele Blut an mein Messer?

War das überhaupt mein Messer?

Einer unserer Begleiter hielt mir eine kleine Schachtel hin und bat mich, das Messer hineinzulegen und da ich zögerte meinte er, dass ich eine Quittung dafür erhalte.

Mit unguten Gefühlen gab ich das Messer her.

Während der Fahrt begann ich meine Gedanken zu sammeln um zu begreifen, was da los war. Böse Ahnungen stiegen in mir auf. Da war etwas im Tun, das ich wohl nur schwer beeinflussen konnte, rätselhafte Vorkommnisse, die mich in arge Schwierigkeiten bringen würden. Da lag diese nackte, mir nicht bekannte weibliche Leiche blutverschmiert im Kofferraum meines Autos und überall war dieses vertrocknete Blut, das ausschaute wie Rost, man stelle sich vor: Rost am nagelneuen Auto…, nun das war wohl nicht mein grösstes Problem. Da war noch dieses Blut an meinem Messer. Weiss der Teufel wie das drangekommen ist, ich hatte jedenfalls mit dem Mord nichts zu tun, aber wie konnte ich das der Polizei klar machen da im Moment alle Indizien auf mich zeigten? Mir wurde eiskalt.

In diesem Augenblick kuschelte sich Sylvia eng an mich.

Wie schön ist es doch, wenn man in solchen Situationen einen lieben Menschen an seiner Seite weiss. Zart streichelte ich ihre Haare um sie zu trösten und nach einem innigen Kuss seufzte sie: «Ach Gianni, mein Lieber, eigentlich spannend, denn nun sind wir doch so etwas wie Bonny und Clyde.»

«Tja», gab ich zu bedenken «und beide wurden gehenkt.»

«Erschossen,» wurde ich belehrt.

Gurrend wie eine liebestolle Taube wollte sie nun wissen, wen ich da umgelegt hätte und auf welche Weise und ob ich sie genau ins Herz gestochen hätte und warum und, und …

«Und wenn du nicht gleich deine Schnauze hältst, schmeiss ich dich aus dem fahrenden Auto,» drohte ich ihr. «Dann versuch es doch,» sagte sie provozierend, «ich habe nämlich Polizeischutz, damit du deine Mordlust zähmen musst.»

Ich mag mich nicht mit Frauen streiten, weil mir bald einmal die Argumente ausgehen aber weit schlimmer ist die anschliessende Versöhnung mit Tränen, Seufzern und blöden Kosenamen, die mich zur Weissglut bringen, (und alle im Diminutiv) wie Schatzilein, Tigerchen oder Böcklein.

Inspektor Rossi, ein dicklicher Bierbauch unter einem roten und glänzenden Mondgesicht glich eher einem gemütlichen Gastwirt als einem gestrengen Kriminaler. Er leitete die Einvernahme oder war das nun ein Verhör?

Er selber nannte es «ein harmloses Schwätzchen».

«Rauchen Sie?» war seine erste Frage.

Er bot mir einen seiner «Rösslistumpen» an und zu Sylvia gewandt sagte er, sie gestatte doch bestimmt, dass wir Männer rauchten.

Sie gestattete unter der Bedingung, dass auch sie einen dieser grässlich stinkenden Glimmstengel bekomme.

Er gab ihr grinsend Feuer und holte dann einen kleinen Putzeimer, stellte ihn neben Sylvia und meinte mit besorgter Miene: «Für den Notfall, liebe Frau.»

Nun sassen wir drei eine Weile schweigend und vor uns hin paffend da. Ein Bild des Friedens und der Harmonie, nur die vielen Fliegen am grossen Fenster summten nervös auf und ab.

Nach einiger Zeit erschien ein blassgelber Jüngling, nickte uns zu und setzte sich an einem Nebentisch hinter eine monumentale Schreibmaschine. Mit viel Geklapper und Geklingel spannte der Schreiberling Papierbögen und Durchschlagspapiere ein und sagte schliesslich, er sei bereit.

Das Verhör konnte beginnen.

Zuerst wurden die persönlichen Daten notiert, Name, Vorname, Beruf, Adresse, Alter …

An dieser Stelle weigerte sich Sylvia zu antworten, sie meinte nur, dass ein echter Gentleman nie eine Dame nach ihrem Alter frage.

Rossi entschuldigte sich und erklärte ihr, dass er völlig diskret sei, aber er wolle beileibe nicht ihr Alter wissen, sondern lediglich ihr Geburtsdatum.

Sylvia fiel prompt auf den faulen Trick herein.

Wir mussten nun der Reihe nach erzählen, wie wir die vergangenen 24 Stunden verbracht hatten.

Wir hatten in Milano im Hotel «Lombardia» übernachtet, natürlich als verheiratetes Paar, denn das macht sich besser.

Ich zog aus meiner Brieftasche die Hotelrechnung und reichte sie dem Beamten.

Rossi las das Blatt aufmerksam, schien zu stutzen und verschwand dann einen Moment lang in einer bläulichen Rauchwolke, dann fragte er, wer die dritte Person gewesen sei.

«Welche dritte Person?» fragte ich erstaunt.

«Da, die Rechnung lautet auf Ihren Namen, das Datum stimmt auch und dann steht hier etwas von drei Übernachtungen, drei Abendessen und dreimal Frühstück. Wie erklären Sie das?» fragte er mit gerunzelten Brauen.

Er reichte mir die Rechnung herüber.

Tatsächlich hatte ich für drei Personen bezahlt.

Was wurde da gespielt?

Mir wurde abwechselnd heiss und kalt.

Sylvia war offensichtlich wütend und begann über die Gauner im Hotel zu schimpfen, dann kam ich an die Reihe wegen meiner Nachlässigkeit in Geldsachen und meiner naiven Gutgläubigkeit, weil ich die Rechnung einfach so bezahlt hatte ohne sie genauestens zu prüfen.

«Und Sie waren also nicht zu dritt im Hotel?» bohrte Rossi weiter.

«Also nun hören Sie mal, guter Mann, wofür halten Sie uns eigentlich?» brauste Sylvia auf, «glauben Sie im Ernst, ich würde meinen Gianni mit einer anderen teilen?

Das fehlte gerade noch. Und wie sollte das gewesen sein? Gruppensex oder sowas Verqueres? Sie sollten sich schämen für Ihre schmutzige Fantasie!»

«Gut, gut,» beschwichtigte der Beamte, «ich fragte ja nur, wegen der Rechnung.»

«Dann schnappen Sie sich diese Gauner im Hotel statt uns, ehrliche und unbescholtene Bürger zu belästigen,» war Sylvias Schlusskommentar.

Ich erwähnte nun, dass wir anschliessend in der Tiefgarage des Hotels in mein Auto gestiegen waren und zu Grenze gefahren seien.

Da unterbrach mich Sylvia und erwähnte noch, dass wir bei der letzten Tankstelle angehalten hätten um einen Espresso zu trinken, weil der Kaffee in der Schweiz ungeniessbar sei: «Spülwasser, stimmt’s oder hab ich Recht?»

Rossi hatte noch eine Menge von Detailfragen harmloser Art, liess uns dann das Protokoll unterschreiben und fragte dann, ob wir noch etwas hinzuzufügen hätten, bevor wir gingen.

Sylvia hatte.

Ihre Redelust kann grenzenlos sein und wenn sie sich gar in den Kleinigkeiten zu verlieren beginnt, ist das Ende ihres Monologes nicht absehbar.

Zu unserer allgemeinen Erlösung klingelte das Telefon.

Es war ein längeres Gespräch.

Rossi machte Notizen, runzelte die Stirne, blickte zu uns hinüber und hängte schliesslich auf.

Er räusperte sich und teilte uns knurrend mit, dass sich die Sachlage sehr zu Ungunsten für uns entwickelt hätte und zwar so, dass der Staatsanwalt des Kantons Tessin unsere vorläufige Verhaftung angeordnet habe.

Das Blut an meinem Messer sei eindeutig dem Opfer zuzuordnen und mein Armeemesser komme als Tatwaffe absolut in Frage.

Ich war völlig perplex aber Sylvia fand das Ganze spannend, wie in einem echten Krimi und dass wir jetzt sofort einen berühmten Detektiv anstellen sollten, zum Beispiel Derrick, Sherlock Holmes oder den Franzosen Poirot …

An dieser Stelle schlug Rossi mit der Faust auf den Tisch und schrie: «Erstens war Poirot ein Belgier und zweitens halten Sie endlich Ihre Klappe bis sie in der Zelle sitzen!» und zu mir gewandt meinte er, ich sei sicher froh, von dieser Schnattermaschine befreit zu werden.

War ich, ehrlich gesagt, denn die brachte uns mit ihrem Gequatsche immer mehr in Schieflage.

Sylvia musste natürlich das letzte Wort haben und warf Rossi vor, er sei grob und vulgär und sie riet ihm, den Fernsehkommissar Derrick zum Vorbild zu nehmen, denn der sei immer nett und charmant zu den Damen.

Mit hochrotem Kopf brüllte Rossi: «Ich hätte grosse Lust Sie mit einem Fusstritt in ihren werten Damenhintern zu jener Tür hinaus zu befördern und werde es auch tun, wenn Sie noch ein einziges Mal den Mund aufmachen!»

«Signore, Sie sind kein Gentleman.»

«Nein, gottseidank nicht. Aber derartige wahrhaft biblische Strafen wie Sie, sollte man aus dem Verkehr ziehen können zum Schutz der ganzen Menschheit.»

«Signore, Ihre faulen Komplimente kommen reichlich zu spät und ziehen nicht bei mir.»

Das Untersuchungsgefängnis in Bellinzona ist zwar ein Gefängnis, aber in verschiedener Hinsicht besser als manches Hotel in der Gegend, vor allem ruhiger und billiger. Und der Hoteldirektor, Verzeihung, der Direktor der Anstalt, ein noch junger jovialer Typ, tat alles Menschenmögliche, meine Haftbedingungen zu erleichtern. Als ich ihm einmal dafür dankte, lachte er und meinte, das sei doch alles selbstverständlich in der U-Haft, denn ich könnte ja dann später bei weit weniger angenehmen Bedingungen noch lange sitzen, falls es beim Sitzen bleiben würde. dabei machte er die eindeutige Geste des Strickes um den Hals und streckte die Zunge heraus.

Auch der Untersuchungsrichter war von meiner Schuld felsenfest überzeugt von Amtes wegen und auf Grund der Indizien und Zeugenaussagen.

Zu den Tatsachen wie Leiche im Auto und Tatwaffe in meiner Tasche kamen jetzt noch Hinweise aus den Reihen des Hotelpersonals.

Man fand die blutige Wäsche der Toten in unserem Zimmer, im Bett, zwischen die Matratze geklemmt, man will mich gesehen haben, wie ich einen schweren Gegenstand, in einen Teppich gewickelt, in die Tiefgarage geschleppt hatte und schliesslich will ein Zimmermädchen am frühen Morgen Angstschreie gehört haben. Alles erdrückende Beweise, fehlte nur noch mein Geständnis.

Schliesslich wurde in Sylvias Beauty-Schrank ein geschmacklos kitschiger Liebesbrief von mir gefunden, an die Tote adressiert.

Ich gab dem U-Richter zu bedenken, dass ich noch nie im Leben parfümierte Briefumschläge verwendet habe, dass ich aus Sicherheitsgründen auf einem Liebesbrief nie einen Namen, weder den eigenen noch denjenigen der Dame geschrieben habe und dass ich den Stil des Textes als persönliche Beleidigung auffassen würde.

Zudem war es nicht meine Handschrift sondern,… Moment mal, die musste ich doch kennen, die hatte ich auch schon gesehen, aber wo und wann?

Der Beamte nahm meine Einwände wortlos zur Kenntnis aber sein Gesicht verriet mir, dass er sie als Notlügen betrachtete.

In der zweiten Woche meiner Haft riet man mir dringend, einen Anwalt zu bestimmen, der mir beistehen würde, denn meine Chancen aus der Sache herauszukommen seien gleich Null, weil Sylvia ein vollumfassendes Geständnis abgelegt habe.

Ich verlangte eine Gegenüberstellung, aber man gab mir zu verstehen, dass meine Freundin und Mittäterin aus dem Polizeigewahrsam (schönes Wort!) entwichen sei.

Man fahnde nach ihr.

Im nächsten Verhör vernahm ich, dass die Tote identifiziert worden sei. Man nannte einen mir völlig unbekannten Namen und eine mir ebenso fremde Adresse in Firenze, ihrem Wohnort. Dort fanden sich noch weitere Hinweise auf meine Person wie meine Telefonnummer und ein altes Foto von mir, das vor mindestens zehn Jahren geknipst worden war.

Aber solche kleine Details interessierten den U-Richter nicht, Hauptsache war doch, dass man eine Verbindung zwischen mir und dem Mordopfer gefunden hatte.

Für den Staatsanwalt war der Fall praktisch gelöst.

Meinen Einwand, dass auf der Hotelrechnung die falsche Zimmernummer angegeben war, liess er nicht gelten, das sei halt so ein Verschreib, das könne mal passieren und ob der Mord nun in meinem oder im Nachbarzimmer begangen worden sei, das spiele nun wirklich keine Rolle.

In der folgenden Nacht, es mochte gegen elf Uhr gewesen sein, wurde ich geweckt. Ein uniformierter Polizist stand vor der Zelle und befahl mir mitzukommen.

Man verpasste mir Handschellen und dann ging es zum Gefängnistor. Dort salutierte ein schlaftrunkener Wächter und wünschte mir viel Glück.

Ich fand den Burschen wirklich nett und vor allem menschlich.

Vor dem Gefängnis wartete ein Streifenwagen auf uns.

Es war eine eigenartige Fahrt, denn die drei Polizisten im Auto schwiegen auf alle meine Fragen.

In tiefstem Schweigen erreichten wir den menschenleeren Bahnhof in Lugano.

Der Wachthabende neben mir entfernte nun meine Handschellen und drückte mir eine Fahrkarte in die Hand. «Frühzug nach Milano um halb Fünf, zweitletzter Waggon, Platz 56,» befahl er mir und wollte dann noch wissen, ob die Polizei die Mikrofilme gefunden habe.

Ich bejahte, obschon ich keinen Schimmer hatte, wovon er sprach. Dann ermahnte er mich, nie wieder Tessiner Boden zu betreten, wenn mir das Leben lieb sei.

Da stand ich nun zu nachtschlafener Stunde im völlig menschenleeren Bahnhof von Lugano mit einer Fahrkarte für den Frühzug nach Milano. Als ich mein Zugbillett etwas näher betrachtete sah ich, dass auf der Rückseite eine Telefonnummer hingekritzelt war.

Ich steuerte die nächste Telefonkabine an, da sah ich einen Schatten, der sich beim Eingang zum Bahnhofsbuffett in eine Ecke drückte, als ob er sich vor mir verbergen wollte. Ich wurde also offensichtlich «beschattet».

Ich näherte mich vorsichtig der Steinsäule als sich plötzlich eine vermummte Gestalt aus dem Dunkel löste und über mich herfiel, mich fest umarmte und mich heftig und wild zu küssen begann.

Sylvia!

Die folgenden Nachtstunden im «Hotel Weisses Kreuz» wollen wir überspringen, nur, an Kennern und Geniessern sei es verraten, dass wir einen satten Vorschuss paradiesischer Wonnen genossen haben.

Kurz vor zehn Uhr morgens liessen wir uns das Frühstück aufs Zimmer bringen. Für mich Spiegeleier, geschmorten Speck und Schinken und viel Kaffee und Toast, Kräutertee, Margarine und die neuste Tageszeitung für die Dame, die dann zu ihrer Diät auch noch skrupellos zwei Drittel meines Essens verputzt hatte.

Die Zeitung hatte gleich zwei Schlagzeilen, erstens Bombe im Frühzug. 1 Toter, 12 Schwerverletzte, und die zweite Nachricht Mörder samt Leiche spurlos verschwunden.

Die Zugbombe war im zweitletzten Waggon unter dem Sitz 56 angebracht worden und hatte vielleicht gar nicht dem armen Teufel gegolten, der zerfetzt wurde.

Mir war irgendwie der Appetit vergangen und als Sylvia mich bestürmte doch etwas zu essen, schon ihr zuliebe, weil das Frühstück ziemlich kalorienreich war.

Ich zeigte ihr meine Fahrkarte und den schon etwas zerknüllten Reservationsschein für Platz 56.

Sie starrte drauf und atmete dann tief und meinte schliesslich, ich könne ihr dankbar sein, da sie mir das Leben gerettet hätte und dann begann sie zu heulen und schrie: «Du wärst jetzt total zerfetzt, quasi Hackfleisch, und überall im Zug dein Blut, der linke Arm auf dem Vordersitz, ein blutiges Bein im Koffernetz und …»

«…und jetzt schweig, sonst bestell ich noch einen Burger, da ist auch Hackfleisch drin.»

Sylvia hat Sinn fürs Makabre aber beim nächsten Dönerstand wird sie weiche Knie kriegen, garantiert.

Auch die andere Schlagzeile hatte viel mit mir zu tun. Der entwichene Mörder war natürlich ich, aber ich bin nicht entwichen, ich «wurde entwichen», und für die Leiche war der Gerichtsmediziner verantwortlich.

Ein schummeriges, schwer erkennbares Bild meiner Wenigkeit zierte die Titelseite (damals noch schwarz-weisser Rasterdruck) und von der Leiche war ein Passfoto abgedruckt, ebenfalls schwarz in schwarz.

Im Textteil der Zeitung war eine total verrückte Geschichte zu lesen über meinen verwegenen Ausbruch (der nette Kerl am Tor hatte ein blaues Auge und der Direktor des Etablissements zeigte die Handschellen, die ich einfach so aufgerissen hatte, die eiserne Zellentür war völlig verbogen und zerbeult und das Eingangstor war offensichtlich aufgesprengt worden und überall im Vorhof lagen leere Patronenhülsen von der wilden Schiesserei).

Vom Flüchtigen fehle jede Spur. Sachdienliche Mitteilungen bitte an …

Sylvias Bewunderung für mich war grenzenlos: «Du bist ja wirklich ein toller Kerl. Man würde es dir gar nicht zutrauen.»

«Wenn du das sagst wird es wohl so sein, aber die Bescheidenheit verbietet uns Männern sich als Superhelden aufzuspielen, aber ohne Scherz, meine liebe Sylvia, diese Geschichte beginnt mich zu beunruhigen und ich spüre manchmal so ein unangenehmes Kribbeln aussen am Hals,»

«Wen wundert’s», meinte meine Begleiterin, «das sind Vorahnungen. Das hatten alle, die hingerichtet wurden in Frankreich, seit der Revolution, habe ich neulich in der Annabelle gelesen.»

Nach einem langen Seufzer und einer Schweigeminute wollte sie noch wissen ob man hier gehängt, geköpft oder vergast werde.

Wusste ich auch nicht, ich wusste nur, dass in diesem idyllischen Land, mitten in Europa, kürzlich per Volksentscheid die Todesstrafe wieder eingeführt worden war und seither eifrig praktiziert wurde.

Ich fühlte mich allmählich unwohl bei diesen makabren Zukunftsperspektiven, vor allem weil ich der einzige war, der an meine Unschuld glaubte und das sind schlechte Voraussetzungen im Gerichtssaal. Ich musste so rasch wie möglich verschwinden.

Einfach gesagt, aber mein ganzer Besitz war eine Fahrkarte nach Milano und damit über die Grenze zu wollen ohne Ausweispapiere, ohne Geld, das schien mir doch etwas gewagt. Vor allem weil die ganze Tessiner Polizei hinter mir her war, konnte ich diesen Plan vergessen, die schnappten mich, bevor ich nur am Bahnhof war.

Und Sylvia? Wie kam die überhaupt hierher? Warum sass sie nicht mehr im Knast?

Ihre Befreiung geschah ebenso rätselhaft wie meine, etwas abenteuerlicher zwar, aber das ist wohl Sylvias überbordenden Fantasie zuzuschreiben.

Bei ihr kam eine Wärterin in die Zelle mit den Kleidern einer frommen Schwester. Als Nonne verkleidet konnte sie problemlos das Gefängnis verlassen. Draussen warteten zwei weitere fromme Schwestern auf sie, brachten sie nach Lugano ins Hotel und gaben ihr den Auftrag mich nachts am Bahnhof abzuholen. Als Gegenleistung sollte sie mir ein Schächtelchen mit Mikrofilmen klauen. Alles Weitere werde sie später erfahren.

Fragend schaute mir Sylvia in die Augen.

Mikrofilme? Ich weiss nicht einmal wie die aussehen.

Sie glaubte mir nicht. Ich hatte wohl schon zu oft und zu viel gelogen.

In diesem Moment summte das Telefon und eh ich es verhindern konnte, hatte Sylvia den Hörer in der Hand und lauschte gespannt. Dann sagte sie, mit betont gelangweilter Stimme: «Ah, doch, der ist auch da, gleich neben mir, aber er hat jetzt keine Zeit für Sie.

Ja, ich werde es ausrichten, bitte sehr, sagen wir in etwa einer Stunde im Foyer des Hotels. Bis gleich.»

Das Wort «blöde Reporterhyäne», kam nach dem Aufhängen des Hörers.

«Wer war das?» wollte ich wissen.

«Ach, so ein Zeitungsreporter, der wieder ein Exklusivinterview will. Ich habe den Preis mit ihm schon ausgemacht, wie letztes Mal: 5000 in bar, sofort und auf die Hand, jedes Foto einen zusätzlichen Tausender. Dauer der Reportage maximal 15 Minuten. Absolute Geheimhaltung des Ortes des Treffens.»

Also eines muss man der Kleinen lassen, die ist wirklich geschäftstüchtig und für uns war es lebenswichtig an etwas Geld heranzukommen.

Zwei Stunden später trafen wir den Aasgeier in einem Hinterzimmer des Hotels. Zuerst musste er das Geld herausrücken, dann durfte er seine Fotos knipsen.

Eine von mir mit heutiger Tageszeitung vor der Brust, dann eine von uns beiden und dann eine von Sylvia, die anschliessend sofort drei Riesen kassierte.

Beim Interview kam ich überhaupt nicht zum Reden, das besorgte Sylvia alleine, ich durfte nur hie und da beifällig und affirmativ nicken.

Der Kerl hatte ein Aufnahmegerät bei sich und nach einer Viertelstunde hatte er eine fantastische, schwer nachvollziehbare Gangstergeschichte auf dem Band.

Die Story war gut, aber sie hatte mit der Wirklichkeit nichts zu tun, rein gar nichts.

Der bleiche Jüngling war hinter seinen Bartstoppeln noch eine Spur bleicher geworden und hatte es plötzlich sehr eilig, denn er hatte noch nie einen eiskalten Killer, der auch noch Mafiaboss war, so nah und lebendig vor sich gesehen.

Als er weg war, nahm Sylvia die dickrandige schwarze Brille aus meinem Gesicht und meinte, sie würde mir ganz gut stehen, hätte aber vor allem gut zu ihrer Geschichte gepasst, dann steckte sie mir die Hälfte der Gage in meine Tasche und meinte, es hätte sich auf jeden Fall gelohnt. Anschliessend gingen wir in die Hotelbar, denn wir waren ja wieder zahlungsfähig.

Wir hatten kaum unsere Martinis bestellt, machte sich ein junge Mann an uns heran. Sein rundes Gesicht und die krausen Haare unter seiner Schiebermütze deuteten auf einen Bewohner der Alpen hin, was auch sogleich bestätigt wurde durch seinen Urner-Dialekt.

Er stellte sich vor als Kaspar Scherli, oder so ähnlich, seines Zeichens Privatdetektiv.

«Auch das noch,» entfuhr es mir willkürlich, «der hat uns ja gerade noch gefehlt!»

Genau das hätte er sich auch gedacht, dass wir beide unbedingt einen versierten und weit herum bekannten (weil erfolgreichen) Detektiv brauchen könnten, denn unsere Lage sei nicht nur verworren und verzwickt, sondern gelinde gesagt hoffnungslos. Unsere Köpfe lägen theoretisch schon im Weidenkorb hinter der Guillotine. Aber er, der berühmte Scherli, kenne keine Vorverurteilung, bevor ein Fall nicht bis ins hinterste Ecklein beleuchtet worden sei, gebe er die Hoffnung nie auf, den Schuldigen oder den Unschuldigen entlarvt oder völlig entlastet zu haben.

Dazu verwende er die modernsten Erkenntnisse der Kriminalistik und der Forensik.

Er wollte nun von mir nicht wissen ob ich schuldig oder unschuldig sei, denn das werde er herausfinden und dann je nachdem, meine Unschuld beweisen oder andernfalls dem Gericht meine Verfehlung nachweisen.

«Und dafür sollte ich am Ende dann noch bezahlen, Herr Kerli?» fragte ich lachend.

«Scherli, Scherli ist mein Name,» korrigierte er mich, «Scherli ist mein Name, oder sagen wir mal Künstlername. Scherli, das ist der Diminutiv von Sherlock, haben Sie begriffen?»

Ja, ich hatte und auch Sylvia hatte kapiert, dass da ein weltberühmter Mann (eventuell) auf unserer Seite stand und sie mochte es gar nicht, dass ich den grossen Macher immer wieder abschätzig «Bonsai-Sherlock» nannte. Jedenfalls betonte er immer wieder, dass er kompromisslos auf der Seite des Rechts und der Wahrheit sei.

Sylvia stand völlig im Bann dieses pfeifenrauchenden Burschen und er hatte auch nur noch Augen für die hübsche Gangsterbraut.

Sollte ich am Ende eifersüchtig sein?

Ist eigentlich nicht mein Problem.

Wir setzten uns im Restaurant hinter einen Boccalino Merlot und ich liess nun den Scherli von der Leine.

Das war wirklich eine tolle Type, dieser Kerl. Seine Theorie, meinen Fall betreffend, war total verrückt und absurd, aber nach all dem, was bisher geschehen war, lag er vielleicht gar nicht so falsch.

Er sprach von Freunden und Bekannten, die ich weder kannte noch je gesehen haben konnte. Da war der Mafiaboss Armando in Palermo, angeblich ein alter Freund von mir mit dem ich in Milano eine Woche vor dem Mord, gefrühstückt haben sollte, da war der Waffenhändler Heusler, mit dem zusammen ich letztes Jahr in Oman war (ich weiss nicht mal wo dieses Kaff liegt) und schliesslich meine engen Beziehungen zur CIA

und meine Freundin Natascha, die für die Russen arbeitete und die allesamt eine Rolle in der jetzigen Geschichte spielen würden.

Die Übergabe der Mikrofilme (?) an mich hatte er leider nicht mitbekommen aber dass die Tote mir diese Filme geklaut haben musste, war ihm klar. Deshalb wurde sie auch ermordet und möglicherweise dann im falschen Auto parkiert. Die Verfolger nahmen wohl an, dass die Dame die Filmrollen verschluckt habe und entführten deshalb ihre Leiche aus der Gerichtsmedizin.

Immerhin nahm der Detektiv an, dass ich am Mord nicht beteiligt gewesen war, obschon, ja, ein Motiv würde sich sicher finden lassen.

Sein Plan sah nun vor, dass wir uns im Ferienhaus seines Onkels, hoch oben am Monte Bré versteckten bis er alle Beweise für unsere Unschuld gesammelt habe.

Mir war es recht, denn ich brauchte unbedingt Ruhe zum Nachdenken.

Sylvia fand unser «Liebesnest für ein Verbrecherduo» fantastisch, grossartig, supergeil und atemberaubend.

Schon nach zwei Tagen fand sie es nur noch superfade und stinklangweilig.

Um nicht vor Langeweile umzukommen in der schrecklichen Einöde, beschloss sie, am folgenden Morgen nach Lugano zu fahren, völlig inkognito natürlich, weil sie unbedingt einen neuen Hut (?!) brauchte. Na gut, das sind halt so Primärbedürfnisse einer modebewussten Frau.

Mein Herzblatt fuhr nach Lugano, traf dort eine alte Freundin, trank mit ihr einen Kaffee und plauderte und plauderte und gegen Mittag holte mich die Polizei aus meiner Einsiedelei und brachte mich aufs Revier.

Sylvia war auch schon da, stinksauer wegen der Handschellen, die ihr unbequem waren, ihre (unsere) Situation hingegen fand sie aufregend.

Aber dass man ihr nicht gestatten wollte den vielen draussen wartenden Reportern ein Exklusivinterview zu gestatten, oder verkaufen, wie man es nennen mag, das machte sie wütend, es sei geschäftsschädigend

Da der Untersuchungsrichter aber lange auf sich warten liess, warf der diensthabende Beamte uns der Journaille zum Frasse vor.

«Aber nur fünf Minuten,» betonte der Polizist.

«Macht etwa fünf Riesen,» sagte Sylvia händereibend.

Da ich mich während der Pressekonferenz in Schweigen hüllte, hatte meine Freundin freie Fahrt. Sie hatte sich fünf dieser Aasgeier ausgesucht und gab nun wirklich haarsträubende Geschichten von sich, jeder Pressehyäne natürlich eine andere und rupfte sie anschliessend gehörig.

Dass man diese Flunkereien einst gegen sie verwenden könnte, daran hatte sie nie gedacht.

Tags darauf meinte der Untersuchungsrichter, dass meine rassige Freundin recht gerne aus der Schule plaudere und mir die Schlinge um den Hals schon ziemlich stramm angezogen hätte mit ihren Aussagen.

Mir grauste vor Sylvias blühender Fantasie und vor allem vor ihrer Belesenheit in der Krimiliteratur.

Am nächsten Tag teilte mir der Beamte mit, dass er all die Lügen von meiner Seite wohl nicht mehr lange ertragen müsse, auch meine Verstocktheit bringe mir nicht mehr viel ein, weil meine Partnerin ein vollumfängliches schriftliches Geständnis abgelegt habe. Es müssten zwar noch einige unklare Details abgeklärt werden. Reine Formsache.

Ich nutzte weiterhin mein Schweigerecht.

Es verging noch ein Tag und eine Nacht bis Sylvia ihr Geständnis widerrufen und eine neue, vollkommen andere Fassung abgeliefert hatte. So eine beneidenswerte Phantasie sollte man haben …

Am nächsten Tag war der Untersuchungsrichter wieder etwas umgänglicher. Er erlaubte mir sogar das Rauchen.