Souk el Bazar - Johann Widmer - E-Book

Souk el Bazar E-Book

Johann Widmer

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Beschreibung

"Souk el Basar" ist eigentlich ein Pleonasmus, das heisst beide Wörter bedeuten dasselbe: "orientalischer Markt". "Souk" ist der arabische Begriff, "Basar" der persische. Damit möchte ich die ungefähre Grösse der arabischen Welt am Ende des Mittelalters andeuten. Eine Hochkultur, die vom Maghreb bis zum Maschrek, von Andalusien, Marokko im Westen, bis nach Kairo, Damaskus, Bagdad, ja sogar bis nach Indien reichte. Eine Zeit, die berühmte Mathematiker, Ärzte, Geografen, Historiker, Baumeister und Dichter hervorbrachte. Kunst und verfeinerte Lebenskultur in einer Zeit, die wir in Europa das graue Mittelalter nennen, als sich die Ritter gegenseitig die Köpfe einschlugen. Auch die arabische Kultur hat den eigenen Zerfall und Niedergang nicht aufhalten können. Bruderkriege und schliesslich der Imperialismus haben dem goldenen Zeitalter ein Ende gesetzt. Geblieben sind prachtvolle Bauwerke, Museumsgüter und vielleicht noch ein paar Geschichtenerzähler in Istanbul oder in Damaskus, die von der alten, glorreichen Zeit erzählen. Es bleibt uns die Hoffnung, dass die, momentan arg gebeutelte arabische Welt in naher Zukunft Frieden finden wird und an den alten Kulturtraditionen wieder anknüpfen kann.

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Souk el Basar

Souk el BasarVorwortDer fliegende Teppich Das goldene ChomsaDer dritte SchuhDie WunderlampeDer WasserverkäuferJasminFil-filDer WebstuhlDas Schwert des IslamAli Ben LagmiSmid As-SiddDie SiniyeRummaanAzraqDer kleine BlumenverkäuferDer MeisterdiebHabibiiMawsi und LawsiSindbad

Souk el Basar

GESCHICHTEN und MÄRCHEN

vom Maghreb zum Maschrek 

Johann Widmer

Band 2

Souk el Basar ist eigentlich ein Pleonasmus.

Beide Wörter stehen für ein und denselben Begriff, den orientalischen Markt. 

Souk ist das arabische Wort, Basar das persische.

Der Maschrek umfasst den Nahen Osten mit Bagdad, Damaskus, El Quds und den heiligen Städten bis ins ferne Land Hind (Indien), der Maghreb dehnt sich aus bis nach Marrakesch und Cordoba in el Andalus (bis 1492)

Stiftung Augustine und Johann Widmer, Hrsg.

© Stiftung Augustine und Johann Widmer

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Bildungszentrums reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

www.johann-widmer.ch

ISBN: siehe Umschlag

1. Auflage 2020

Vorwort

«Souk el Basar» ist eigentlich ein Pleonasmus, das heisst beide Wörter bedeuten dasselbe: «orientalischer Markt». «Souk» ist der arabische Begriff, «Basar» der persische. Damit möchte ich die ungefähre Grösse der arabischen Welt am Ende des Mittelalters andeuten.

Eine Hochkultur, die vom Maghreb bis zum Maschrek, von Andalusien, Marokko im Westen, bis nach Kairo, Damaskus, Bagdad, ja sogar bis nach Indien reichte.

Eine Zeit, die berühmte Mathematiker, Ärzte, Geografen, Historiker, Baumeister und Dichter hervorbrachte.

Kunst und verfeinerte Lebenskultur in einer Zeit, die wir in Europa das graue Mittelalter nennen, als sich die Ritter gegenseitig die Köpfe einschlugen.

Auch die arabische Kultur hat den eigenen Zerfall und Niedergang nicht aufhalten können. Bruderkriege und schliesslich der Imperialismus haben dem goldenen Zeitalter ein Ende gesetzt.

Geblieben sind prachtvolle Bauwerke, Museumsgüter und vielleicht noch ein paar Geschichtenerzähler in Istanbul oder in Damaskus, die von der alten, glorreichen Zeit erzählen.

Es bleibt uns die Hoffnung, dass die, momentan arg gebeutelte arabische Welt in naher Zukunft Frieden finden wird und an den alten Kulturtraditionen wieder anknüpfen kann.

Der fliegende Teppich

An einem kühlen Frühlingsmorgen schlenderte ich durch die engen Gassen des Souk von Damaskus. Der Souk, das ist nichts anderes als der Markt, der aber nicht auf einem weiten Platz stattfindet, sondern in einem Gewirr von engen, verwinkelten und überdeckten Gassen. Aber, um es noch genauer zu sagen, ist der Souk, anderswo heisst er auch Bazar, nicht nur ein grosses Einkaufszentrum, sondern er beherbergt auch gleich noch die vielen verschiedenen Handwerker, die all die schönen Dinge herstellen, die da zum Kaufe angeboten werden. Da herrscht immer ein überaus buntes Treiben. Käufer, fliegende Händler, Schaulustige, Taschendiebe und Müssiggänger lassen sich zwischen den Verkaufsständen und Läden einfach so dahintreiben. Turbane, Keffiehs, bunte Kopftücher und verschleierte Frauen wogen vorbei, manchmal überragt von einem Reiter, hoch zu Esel, Stimmengewirr, Summen, ein ferner Gesang, schrille Rufe wütender Eseltreiber dringen an unser Ohr und die Nase erschnuppert alle möglichen Wohlgerüche Arabiens. Vor allem in der Nähe der grossen Moschee, wo die vielen Parfumhändler ihre Butiken haben, bei den Gewürzhändlern, in der Gasse der Schuhmacher oder bei den Seifenhändlern, da riecht es so wunderbar.

Ich hatte beim Bäcker einen flachen Laib Bedouinenbrot gekauft, auf dem Gemüsemarkt etwas Suppengemüse und ein paar Orangen und schlenderte nun ziellos durch die Gassen. In der Strasse der Weber und Teppichhändler traf ich Amir ben Mahmoud, der ein alter Freund von mir ist. Er lud mich ein, seinen Laden zu betreten und ihm die Ehre zu erweisen, mit ihm eine Tasse Kaffee zu trinken. Ich nahm die Einladung gerne an, denn ich plaudere gerne mit ihm, hat er doch so viel erlebt und ist dadurch ein weiser Mensch geworden.

Wir redeten so über dies und das und irgendwann begannen wir über Märchen zu sprechen und was liegt näher, dass man bei einem Teppichhändler auch von den fliegenden Teppichen spricht und so gab ich meiner Überzeugung Ausdruck, dass man diese Geschichten nicht allzu wörtlich zu nehmen brauchte, sondern vielleicht als Wunschtraum, als Gleichnis oder als Ausdruck einer besonders reichen Phantasie oder ganz einfach als Hirngespinst.

Da fragte mich Amir, was ich denn vom Ritt des Propheten halte, der, wie wir wissen, eines Nachts auf seinem Pferd Burak vom Felsendom aus in den Himmel geflogen war, ob ich das auch als Hirngespinst abtun wolle?

Nun, ja, das sei vielleicht etwas anderes gewesen, gab ich zu.

Nach einem bedächtig geschlürften Schluck Kaffee sagte er ganz geheimnisvoll zu mir, dass ich, falls ich Lust und Mut hätte, ein interessantes Experiment ganz besonderer Art machen könne, nämlich mit einem echten fliegenden Teppich.

Bei mir dachte ich sogleich: «Du altes Schlitzohr, willst du mir auf diese Weise einen Teppich andrehen?»

Ich erwiderte ihm deshalb gleich, dass ich absolut keinen Teppich brauche, keinen fliegenden, keinen schwimmenden und keinen liegenden.

Er schwieg einen Moment, wie mir schien, beleidigt, dann sagte er: «Sadiqii, mein guter Freund, ich will dir nichts andrehen, bei meinem Ehrenwort, aber ich möchte dir einen echten fliegenden Teppich ausleihen, für eine einzige Nacht nur und morgen werden wir uns dann weiter unterhalten über die seltsamen Dinge, die es zwar gibt, aber die sich nicht so einfach erklären lassen. Einverstanden?»

Obschon ich einen neuen und besonders schlauen Verkaufstrick meines Freundes witterte, nahm ich sein Angebot an.

Er begab sich in einen Nebenraum seines Ladens und erschien nach einiger Zeit wieder, einen gerollten und verschnürten Teppich unter seinem Arm. Er sagte mir, dass ich ihn erst nach Sonnenuntergang entrollen dürfe und zwar unter einem geöffneten Fenster, das nach Osten blicke. Dann solle ich mich hinknien, mit der Stirn den Boden berühren und sieben Mal die Fatiha rezitieren. Die Fatiha, das ist, wie wir alle wissen, der erste Vers des Korans. Und dann solle ich mir vorstellen, wo ich hin wolle. Das sei alles. Der Rückflug könne auf die genau gleiche Weise gestartet werden. Übrigens fliege der Teppich nur nachts.

Ich wollte wissen, ob irgendwelche Gefahren auf mich lauerten. Das komme ganz darauf an, wo ich hinfliege, meinte er lächelnd.

Auf dem Nachhauseweg überlegte ich mir, was wohl geschehen würde, wenn ich alles machte, wie mir Amir geraten hatte. Ach, das war doch alles schierer Unsinn! Diese schwere Rolle unter meinem rechten Arm konnte sowenig fliegen, wie es der Packesel meines Nachbarn konnte. Vielleicht träumte man vom Fliegen, wenn man sich draufsetzte, vielleicht bildete man sich dabei ein, irgend was Wunderbares zu erleben, aber was und wie auch immer, würde ich es auf einen Versuch ankommen lassen, beschloss ich in meiner Neugierde.

Den ganzen Nachmittag überlegte ich, wo ich hinfliegen sollte. Mir war, wie einem der eine Ferienreise plant. Sollte ich nach Bali fliegen? Oder zu den Eskimos nach Alaska? Kalifornien wäre vielleicht auch eine Reise wert. Japan, die Gugelhopfberge in China, die Pyramiden in Ägypten, der Baikalsee in Sibirien und das Pamirgebirge schwirrten durch meinen Kopf. Oder sollte ich eine Zeitreise in die Vergangenheit versuchen? Den alten Sokrates in Athen besuchen oder Ibn Chaldun, einen arabischen Gelehrten in Granada?

Wer die Wahl hat, der darf wahrlich nicht allzu wählerisch sein, sonst kommt er am Ende zu gar nichts.

Voller Ungeduld erwartete ich die Dämmerung, aber, um es gleich zu sagen, hatte ich mich immer noch nicht entscheiden können, welches mein Reiseziel sein sollte.

Endlich hatte sich die Sonne hinter dem Libanongebirge zur Ruhe begeben und ich rollte voller Erwartung den Teppich auf. Es war ein alter, sehr seltener Seidenteppich aus Persien. Ein wahres Museumsstück.

Ich kniete mich nieder, wie geheissen und begann mit den heiligen Versen: Bismillahi, arrahmani, arrahimi . . . 

Nach dem siebten Mal schoss mir plötzlich durch den Kopf, dass ich eigentlich ganz gerne mal die wunderhübsche Prinzessin Boudr el Boudour sehen möchte, von der alle Dichter so geschwärmt hatten. 

Weiss der Kuckuck, weshalb ich auf diese verrückte Idee gekommen war.

Kaum war nämlich der Gedanke durch mein Gehirn geblitzt, fühlte ich mich emporgehoben und ein scharfer kalter Wind blies mir um die Ohren. Das Stück Tuch unter mir wackelte und wogte gefährlich auf und ab, etwa so, wie wenn ein Flugzeug in Turbulenzen gerät. «Moment mal,» dachte ich, das ist doch alles totaler Unsinn und blasse Einbildung, denn so etwas wie ein fliegender Teppich existiert überhaupt nur in den Märchen und wir modernen Menschen haben für solche Erzählungen höchstens ein müdes Lächeln übrig. Bleiben wir also auf dem Boden der Wirklichkeit.

So versuchte ich vorsichtig über den Rand des arg wackelnden Teppichs zu gucken, aber was ich da sah, verschlug mir denn doch den Atem für einen Augenblick, denn weit, weit unter mir sah ich die Lichter von Damaskus flimmern. Mir wurde plötzlich schwindlig und speiübel. Ich legte mich ganz flach auf den Teppich und krallte mich mit den Händen an den Rändern fest und schloss die Augen.

«Nun mal ganz ruhig und tief atmen, nur keine Panik aufkommen lassen und ganz vernünftig überlegen» sagte ich mir, denn ich begann ernsthaft um meinen Geisteszustand zu bangen. War ich verrückt geworden? Träumte ich? War das Hypnose oder Autosuggestion? Wie konnte ein aufgeschlossener, aufgeklärter, moderner Mensch sich nur so einen Stuss einbilden? Sollte ich vielleicht vom Teppich runterspringen, um dann neben dem Bett zu erwachen? Aber noch bevor ich zum fatalen Sprung ansetzen konnte, kam mir ein modernes Düsenflugzeug entgegen! Wenn ich mich nicht irre, war es eine Maschine der Air India. Nun war es mit meiner Ruhe endgültig vorbei, denn jetzt war es mir klar, dass ich da etwas total Verrücktes erlebte, etwas Unglaubliches.

Wenn das nur gut ausging!

Nach einiger Zeit spürte ich, dass sich mein, wie soll ich es nennen, mein Fluggerät zu senken begann, dass die Luft wärmer wurde, sanfter, durchzogen mit süssen Düften und irgendwo in der Nähe hörte ich kleine Glöcklein läuten, dann drang Nachtigallengesang an mein Ohr und schliesslich sauste ein hoher Wachtturm an mir vorbei und ich flog durch ein offenes Fenster direkt in ein hell erleuchtetes Wohnzimmer.

Was sage ich da „Wohnzimmer», es war ein märchenhafter, riesiger Palastsaal von einer Pracht, die selbst die kühnste Phantasie eines Menschen nicht ausdenken kann! Die Wände gleissten und glitzerten von edlen Steinen, die in allen Farben strahlten und funkelten, schwere goldene Leuchter hingen an der Decke, Tische und Stühle waren kunstvoll aus duftenden Hölzern geschnitzt, seidene, bestickte Ruhekissen lagen auf prachtvollen Ruhebetten, an den Wänden standen Porzellantöpfe mit noch nie gesehenen Blumen, die ein betörendes Parfum verströmten, am Boden lagen seidene Teppiche, weicher als Daunenkissen und am Ende des Saales sah ich auf einem kleinen erleuchteten Podium, eine Damenkapelle, eine Gruppe anmutigster Musikantinnen, die auf seltsamen Instrumenten eine leise sirrende und zirpende Musik machten. Vor ihnen schwebte eine Gruppe Mädchen, nur mit zarten rosa Schleiern bedeckt. Sie zeigten kunstvolle Bauchtänze von einer Grazie und Eleganz gegen die unsere besten Tänzerinnen von heute nur noch wie betrunkene Elefanten wirken.

Aber das Wundervollste war doch die hübsche junge Dame, die auf einem prunkvollen Ruhelager lag, halb verdeckt von zwei schwarzen Sklavinnen, die ihr mit Wedeln aus Pfauenfedern Kühlung zufächelten. Das musste SIE sein!

Ehrlich gesagt, war ich zwar sehr überwältigt von dem ganzen Spektakel, das sich da meinen Augen bot, aber irgendwie war mir doch, na, ja, stellt euch doch mal vor, da plumpst plötzlich so ein kleiner Dicker unangemeldet mitten in eine intime Damengesellschaft, da segelt ein wildfremder Mann einer berühmten Prinzessin so mir nichts dir nichts in ihr Schlafgemach. Ist doch wirklich keine alltägliche Situation, oder?

Man kann sich leicht ausrechnen, was da am nächsten Tag die Zeitungen alles schreiben würden!

Glücklicherweise hatte sie mich heransegeln gesehen und erlitt so keinen Schock und begann auch nicht zu zetern und zu schreien, im Gegenteil begann sie zu lachen, bis ihr die Tränen über die Wangen kugelten, als sie mich sah, wie ich, ventre a terre, mich krampfhaft auf meinem Luftsurfteppich festkrallend, meine Bauchlandung machte. Nun, diese Tränen waren wirklich so, wie es die Dichter einst beschrieben haben: «demantene Tautropfen auf zarte Rosenblätter gehaucht», ich kann es bezeugen.

Die Prinzessin klatschte vor Freude in die Hände und hiess erst mal die Musik schweigen, denn wir seien ja schliesslich hier nicht in einem schäbigen Einkaufszentrum wo immer Musikgedudel herrschen müsse. Dann gab sie mir zu verstehen, dass ich näher treten solle.

Sie war von meinem Besuch hell begeistert, denn, so sagte sie mir, sei sie drauf und dran gewesen, vor lauter Langeweile echt zu sterben. Denn ihr Vater halte sie hier eingesperrt, da er nicht wolle, dass irgendwer auf dieser Welt ihre Schönheit sehe. Aber was nützt schon alle Schönheit, wenn man damit nichts anfangen kann? Wenn man wenigstens als Model oder als Schönheitskönigin gefeiert würde. Aber nichts dergleichen dürfe sie, sondern nur auf den weichen Polsterkissen rumliegen und Süssigkeiten essen und sich mit dieser faden Musik die Zeit totschlagen. Das sei doch kein Leben. Ihr Vater lasse jeden gnadenlos köpfen, der seine Tochter gesehen habe. Sogar die hier anwesenden Musikerinnen und die Tänzerinnen würden morgen früh aufs Schafott geführt, übrigens, auch mir würde natürlich diese grosse Ehre zuteil werden.

Danke für die Ehre, dachte ich mir. Da konnte man nur hoffen, dass mein Flugobjekt keine Startschwierigkeiten hatte. Oder war vielleicht doch alles nur ein Traum?

Nun, ich verbrachte mit der schönsten Frau der Welt die schönste Nacht meines Lebens, ohne dass ich weiter in Details gehen möchte um niemanden eifersüchtig zu machen. Tanzen konnte sie, federleicht wie eine Feengestalt flog sie dahin, beim Bauchtanz klatschten sogar die Tänzerinnen vor ehrlicher Bewunderung. Ulkige Anekdoten und lustige Geschichten aus dem Hofleben wusste sie zu erzählen, dass uns manchmal alles weh tat vor Lachen und sie verstand es auch meisterhaft, Schattenspiele aufzuführen. Ach ja, es waren ganz einfach wundervolle Stunden, unvergesslich!

Beinahe hätte ich dabei vergessen, dass ich unbedingt noch während der Dunkelheit wegfliegen musste und als ich einmal durchs Fenster blickte, sah ich schon, wie sich der Himmel im Osten rötete. Ich sagte ihr, dass ich mein Morgengebet verrichten müsse, kniete mich auf den Teppich und nach der siebten Fatiha erhob sich mein fliegender Untersatz. Aber wie sie sah, dass ich wegfliegen wollte, rannte sie herbei, begann in schrillen Tönen zu kreischen und zu zetern und wollte mich herunterzerren, denn, so sagte sie, entweder nahm ich sie mit und befreite sie aus ihrem goldenen Käfig, oder ich liess mich köpfen, wie es sich nun mal gehörte, aber einfach so abhauen, das gelte nun mal nicht.

Schliesslich versprach ich ihr, wenn irgendwie möglich wiederzukommen, zum Köpfen sei dann eh noch Zeit genug, denn, so gerne ich sie mitgenommen hätte, wusste ich ja nicht, ob mein fliegender Teppich im Stande war, doppeltes Gewicht zu tragen. Um mich an mein Versprechen zu erinnern, steckte sie mir einen kostbaren Ring an meinen linken Zeigefinger und dann liess sie mich endlich los.

Wie ich am Wachtturm vorüberglitt, begannen die Wächter zu schiessen und eine Zeitlang flogen mir die Kugeln pfeifend um den Kopf. Der Palast mit den schiesswütigen Kerlen war glücklicherweise rasch ausser Sichtweite und ich näherte mich einer Gebirgsgegend, als die Sonne über den Horizont stieg. In diesem Augenblick begann der Teppich zu trudeln und mit annähernder Fallgeschwindigkeit, raste ich in ein enges Gebirgstal. Al hamd ul lllah, Gottseidank war hinter der hohen Bergkette noch etwas Dunkelheit, so konnte ich sanft auf einem vorstehenden Felsen landen.

So, da war ich nun, etwa 500 Meter über dem Talgrund auf einer schmalen Felsenkante. Vermutlich war ich irgendwo in Afghanistan gelandet.

Mein Aufenthaltsort war nicht gerade komfortabel.

Es war ein sehr schmales Felsband, etwa einen Meter breit. Vorne ging es, wie gesagt, 500 Meter senkrecht hinunter und hinter mir ebenso weit hinauf. Und hier hatte ich also den Tag zu verbringen, ohne zu essen und zu trinken und immer in Lebensgefahr, denn wenn ich zum Beispiel einschlafen würde . . . brr! mir grauste vor dem Gedanken, oder wenn mir der Teppich runterfallen würde, da könnte ich in luftiger Höhe schauen, wie ich da wieder herunterkam.

Die Sonne begann nun allmählich das Tal zu erwärmen, so war mir wenigstens nicht mehr so kalt, aber einsam war es schon hier oben. Das heisst, nicht mehr lange, denn plötzlich schoss ein riesiges Etwas auf mich zu, verfehlte mich um Haaresbreite und segelte dann wieder weg. Welch furchtbarer Schock! Vor Schrecken wäre ich beinahe in die Tiefe gestürzt. Nun sah ich den Angreifer: Einen riesigen Adler! Er brauchte wohl Nahrung für seine Brut und so versuchte er den fetten Brocken in den Abgrund zu schmettern. Er kurvte nun wieder in die Höhe und eh ich mich versah, startete er den zweiten Angriff und sauste wieder haarscharf an mir vorbei . Aber diesmal hatte ich mich dicht an die Felswand gepresst und so verfehlte er mich ein zweites Mal. Als er zum dritten Angriff startete, dachte ich mir, dass ich ihn irgendwie abschrecken wollte, wenn er wieder angeflogen kam. Dem Kerl wollte ich einen Denkzettel verpassen.

Wie er also wieder heranpfeilte, versuchte ich ihm mit der Teppichrolle eins auf den Kopf zu hauen, aber er hatte meine Kriegslist irgendwie durchschaut und statt mich anzugreifen, packte er mit seinen Krallen den Teppich und entriss ihn mir und flog mit seiner Beute zum Horst. Na, ja, das mussten vornehme Adlerehen sein, wenn die auf einem echten antiken Perserteppich ihr Futter serviert bekamen.

Aber plötzlich wurde mir bewusst, dass ich ja ohne diesen Teppich nie mehr hier herunter kam. Da war ich nun wirklich in eine ganz verrückte Situation geraten!

Was konnte ich nur tun? Ich musste irgend etwas unternehmen, aber was? Hinunterklettern? Der reine Wahnsinn ohne Bergseil!

Ich beugte mich mal über meinen Hochsitz und sah, dass die Wand unter mir glatt war, wie eine Spiegelfläche. Kein Griff, kein Halt war da zu sehen.

Über mir war der Fels etwas besser, aber ich bin nun mal kein passionierter Fassadenkletterer.

Dann untersuchte ich das Felsband, auf dem ich gelandet war und sah, dass es nach Norden hin sich fortsetzte, aber rasch schmaler und schmaler wurde. Es war äusserst gewagt, sich dem, stellenweise nur zentimeterbreiten Weg anzuvertrauen, aber es war nun mal meine einzige Möglichkeit hier wegzukommen und so tastete ich mich Fuss um Fuss vorwärts, hart an die Wand gedrückt. Ich hatte schon ein paar Meter hinter mich gebracht, als ich an eine Felskante kam. Mit viel Mühe konnte ich sie umklettern. Auf der anderen Seite öffnete sich eine tiefe Schlucht im Fels und, etwa zwei oder drei Meter unter mir sah ich auf einem Felsvorsprung den Adlerhorst mit zwei Jungen drin.

Die Eltern waren wohl auf Futtersuche.

Die Jungen hatten mich schon gesichtet und sperrten hungrig ihre Schnäbel auf, dazu fauchten sie, wohl in freudiger Erwartung der knackigen Beute da oben.

Neben den Jungen, ganz am vorderen Rand des Horstes aber lag mein Teppich. Mein Entschluss war rasch gefasst. Ich liess mich einfach runterfallen ins Adlernest.

Der Aufprall war hart und schmerzhaft und erschreckte vor allem die beiden Vögel, die wie wild um sich schlugen und dabei den Teppich über Bord schmissen.

Zu dritt beobachteten wir, wie er langsam und majestätisch durch die Luft segelte. Nun konnte ich nur noch warten, bis die Adlereltern zurückkamen und mich in schnabelgerechte Bissen für ihre Jungen zerhackten.

Und schon kam der erste Adler angeflogen, und ich traute meinen Augen kaum: mit dem Teppich in den Fängen.

Er hielt ihn offenbar für etwas Fressbares und brachte ihn deshalb wieder zurück. Man kann sich vorstellen, mit welchen Gefühlen ich die Wiederkehr meiner einzigen Rettung entgegensah. Ich dachte nun, dass mich der Adler angreifen werde, aber er machte keinerlei Anstalten. Er lieferte den Teppich ab und flog dann wieder weg.

Trotz des lauten Protestes der Jungvögel nahm ich den kostbaren Teppich an mich und wickelte ihn um meinen Leib. In regelmässigen Abständen kamen nun die Adler angeflogen und brachten uns frisches Fleisch, wobei sie mich ebenso füttern wollten, wie die andern beiden Nesthocker. Ich brauchte also hier nicht zu verhungern und wäre gerne noch länger hier geblieben, wenn es nur nicht so grauenhaft gestunken hätte.

Als die Sonne ihren Höchststand erreicht hatte, war der Gestank so stark, dass ich lieber eine waghalsige Bergtour riskierte, als noch länger hier zu bleiben.

Ich hatte nämlich gesehen, dass etwa zwei Meter weiter unten ein anderes Felsband begann, das ins Dunkel der Schlucht führte. Ich nahm all meinen Mut zusammen und rutschte hinab. Dann folgte ich dem Pfad in die enge und immer enger werdende Schlucht. Schliesslich wurde die Dunkelheit so gross, dass ich keinen Weg mehr erkennen konnte.

Ob wohl hier mein Teppich funktionierte? Versuchen konnte man es allemal.

Und es ging wirklich!

Ganz sanft schwebte ich zum Grund der Schlucht und weiter zum Talausgang, bis es wieder heller wurde. Dort landete ich sanft auf einem weichen Moospolster.

Und hier würde ich bleiben bis es Nacht wurde. Hier brachten mich keine hundert Rosse weg! Ich machte es mir auf meinem Teppich bequem und schon nach wenigen Minuten schlief ich tief und friedlich.

Durch einen stechenden Schmerz an der Hüfte erwachte ich jäh und wie ich die Augen öffnete, blickte ich in drei bärtige Gesichter, die mich aus bösen Augen anstarrten.

Ein weiterer Fusstritt liess mich aufspringen, aber im nächsten Augenblick lag ich wieder am Boden, gefesselt und verschnürt wie ein Postpaket.

Ich war irgendwelchen Räubern in die Hände gefallen.

Während sie mich am Sattel eines Pferdes festbanden, prüfte einer den Wert meines Teppichs und da er ihn offenbar für wertlos hielt, wollte er ihn wegwerfen. Ich versuchte ihm zu erklären, dass dies mein Gebetsteppich sei, was er rasch begriffen hatte und so warf er ihn über den Sattel, damit er etwas bequemer sitzen konnte.

Nun ging es hinaus ins Haupttal, dann auf steinigem Weg talaufwärts. Mir machte die grosse Hitze arg zu schaffen, obschon mir die Räuber von ihrem stinkenden, fauligen Wasser aus den Ziegenschläuchen, die an den Pferden baumelten, zu trinken gaben. Am späteren Nachmittag machten sie Halt. Ein Feuer wurde entfacht und sie kochten Tee, von dem sie auch mir jede Menge zu trinken gaben. Mir schien, als ob sie allmählich freundlicher und umgänglicher würden. Etwas später zog einer aus einem Sack zwei prächtige Hirschkeulen und begann sie zu braten. Das war ja ein Duft!

Während wir alle mit wässerigem Mund aufs Abendessen warteten, begann einer der Räuber seine Beute auszupacken. Ich verstand nicht, wovon sie redeten, aber ich sah, dass sie sehr zufrieden, ja, fast übermütig waren. So zeigten sie mir auch, was sie erbeutet hatten. Viele Goldstücke, Edelsteine und Schmuck lag da vor mir auf den Steinen. 

Schliesslich zeigten sie mir noch eine lange Perlenkette mit weissen und schwarzen Perlen. Als sie mich so staunen sahen, hängten sie mir das prachtvolle Schmuckstück um den Hals und begannen zu lachen wie die Irren. Schliesslich machte einer mit dem Zeigefinger die unzweideutige Geste des Halsabschneidens, worauf alle in ein unbändiges Gelächter verfielen. Mir war irgendwie nicht mehr ganz behaglich zumute, aber vielleicht gelang es mir, diesen finsteren Gesellen zu entkommen.

Inzwischen war die Sonne untergegangen und die Nacht senkte sich übers Tal. Ich gab den Räubern zu verstehen, dass ich mein Abendgebet verrichten möchte, was sie mir natürlich gestatteten. Sie lösten meine Fesseln und ich kniete auf meinen Teppich nieder. Und nach der siebten Fatiha erhob er sich langsam und während die Räuber mir mit offenen Mündern und zu Tode erschreckt nachstarrten, bedauerte ich nur eines, nämlich die verführerisch duftenden, saftigen Hirschkeulen über dem Feuer, von denen ich nun keinen Bissen bekommen würde.

Die Landung in meinem Zimmer in Damaskus war auch kein Problem. In meiner grenzenlosen Müdigkeit fiel ich sofort in einen tiefen Schlaf, aus dem ich erst am folgenden Tag gegen Mittag erwachte, als mein Nachbar, der alte Mechti an die Türe polterte.

Ich liess ihn herein.

Er war ausser sich vor Freude als er mich sah, denn er hatte sich Sorgen um mich gemacht während meiner Abwesenheit.

«Abwesenheit?» fragte ich ihn, ich sei doch nie weg gewesen, hätte nur mal ausgeschlafen, denn ich wagte ihm meine Erlebnisse nicht zu erzählen aus Furcht, man würde mich für verrückt erklären. Auch ich war ja nicht ganz sicher, ob ich nun das alles wirklich erlebt, oder ob ich es nur geträumt hatte.

Wir plauderten über dies und das, denn ich wollte zeigen, dass ich völlig normal war, bevor ich von meinem Abenteuer zu erzählen begann.

Da klopfte es ein zweites Mal an der Türe. Es war Amir ben Mahmoud. Auch er schien sehr erleichtert zu sein, als er mich wohlbehalten antraf, aber er stellte keine Fragen. Hingegen fragte ich ihn, ob ich wohl nun blass geträumt habe, oder . . . 

Er erwiderte mir lächelnd: «Gepriesen sei Allah, denn nur er weiss was Traum ist und was Wirklichkeit, aber für uns sind diese Dinge verschlossen und siebenfach versiegelt. Doch was bedeutet es schon, ob es ein Traum war oder nicht? Wie war es doch mit unserm Propheten Mohammed und seinem Ritt in den Himmel? Glaubst du es, oder glaubst du es nicht?»

Nach einer kurzen Schweigepause fragte er mich plötzlich voller Erstaunen: «Woher hast du nur diese wundervolle Perlenkette, die du am Hals trägst? Und diesen Brillantring an deinem Zeigefinger habe ich auch noch nie an dir gesehen, das ist übrigens allerfeinste Goldschmiedekunst des 7. Jahrhunderts nach der Hedschra.»

Das goldene Chomsa

Schon den zweiten Tag durchstöberte ich die Auslagen und die Schatztruhen der Goldschmiede, denn ich suchte für meine Tochter ein passendes Geburtstagsgeschenk und zwar suchte ich ein goldenes Chomsa, so nennen wir die Hand Fatimas, denn sie gilt als wirksames Schutzsymbol für Frauen und schützt vor dem bösen Blick. Ich bin zwar nicht abergläubisch, aber was den bösen Blick angeht, nun ja, man kann wirklich nie wissen, auf jeden Fall kann so ein Amulett auch nichts schaden.

Ich konnte suchen wie ich wollte, ich fand keines der angebotenen Schmuckstücke meiner Tochter würdig, das heisst, ich fand keines, bei dem ich das absolut sichere Gefühl hatte, dass es auch wirksam sei. So etwas spürt man einfach.

Am Nachmittag betrat ich den Laden von Yussuf ben Yehuda, einem tüchtigen jüdischen Goldschmied. Als ich ihm meinen Wunsch vorgetragen hatte, schaute er mich lange an und sagte dann, dass er vielleicht das Passende hätte. Dabei zog er eine kleine Schmuckschatulle aus einer Schublade und öffnete sie. Auf schwarzem Samt glänzte da ein kunstvoll gearbeitetes Chomsa, das mir gleich in die Augen stach. Ich spürte, dass es dieses sein müsse und kein anderes und so fragte ich sofort nach dem Preis.

Yussuf klappte indes die Schachtel wieder zu und sagte lächelnd: «Nur schön langsam, ia Saidii, nur schön langsam, denn ich habe dir noch gar nicht gesagt, ob ich es auch wirklich verkaufen wolle. Keine Furcht, du kannst es wohl haben, aber erst nachdem du die Geschichte dieses Schmuckstückes kennst, sollst du entscheiden, ob du es immer noch haben willst. Einverstanden?»

Da ich ein grosser Liebhaber von Geschichten bin, erklärte ich mich einverstanden und zudem ist es immer gut, wenn man weiss, woher so ein Amulett kommt und was es schon alles hinter sich hat.

Nachdem Yussuf Kaffee hatte bringen lassen, machte er es sich bequem und begann: «Wie dir jeder Fachmann versichern kann, wurde dieses wundervolle Schmuckstück von einem meiner Vorfahren in Toledo oder in Sevilla hergestellt und zwar im Auftrage des Wesirs Mourad. Diese schützende Hand sollte über seiner jüngsten Tochter wachen, die ihm eben geboren worden war. Kurz nach der Geburt dieser Tochter wurde er zum Gouverneur von Tunis ernannt. Er reiste an seinen neuen Posten, während er seine Familie einige Monate später nachkommen liess. Aber das Schicksal wollte es, dass das Schiff mit seinen Leuten in einen schrecklichen Sturm geriet und schliesslich, nach tagelanger Irrfahrt an den Küsten Südfrankreichs strandete und an den Felsen zerschellte.

Als sich der Sturm etwas beruhigt hatte, fuhren zwei Fischer zur Unglücksstelle um zu sehen, ob ihnen das Meer irgendwelches Strandgut zurückgelassen habe. Aber da war nicht mehr viel Brauchbares übrig geblieben und enttäuscht wollten sie wieder in See stechen, als einer etwas schreien hörte. Er ging dem Ton nach und fand schliesslich auf einer Felsklippe ein dickes Tuchbündel mit einem kleinen Kind mittendrin. Als er die Kleine ausgewickelt hatte, sah er, dass sie ein goldenes Amulett trug, aber kein Kreuz, wie die Nazarener es tragen, sondern eine Hand.

Den beiden Fischern war sofort klar, dass es sich hier um ein moslemisches Kind handeln musste und sie überlegten, ob sie es am besten gleich wieder ins Wasser werfen sollten, weil es ja nicht auf Christenart getauft war.

Aber dann meinte der eine, dass Kind, Kind sei und es schliesslich nichts dafür könne, dass es am falschen Ort zur Welt gekommen sei und dass es übrigens Menschenpflicht sei, dem armen Wurm zu helfen.