Blick heimwärts, Engel - Justin C. Skylark - E-Book

Blick heimwärts, Engel E-Book

Justin C. Skylark

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Beschreibung

Neal und Gero möchten ein Kind zusammen großziehen und Francis spielt dabei eine wichtige Rolle. Das Zusammenleben und ihre gemeinsamen Pläne auf dem Gutshof stellen sie jedoch vor viele Prüfungen, nicht zuletzt, weil sich Neals Gesundheitszustand drastisch verschlechtert. „Blick heimwärts, Engel“ ist Teil der Neal Anderson-Reihe von J.C.Skylark und basiert auf den Romanen: 1. Liebeswut: Coming out 2. Dein Glück hat mein Gesicht: Inzest 3. Wir zwei zu dritt 4. Von Liebe und Gift 5. Überdosis Liebe

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Blick heimwärts, Engel
Impressum
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel

 

Blick heimwärts, Engel

Neal Anderson Band 6

 

Justin C. Skylark

 

 

 

Impressum

Text©️Justin C. Skylark 2016/2021

http://www.jcskylark.de

Kätnersredder 6 b

24232 Schönkirchen

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Coverbearbeitung 2021: J. C. Skylark

Fotos: ©️Odd Art/©️linjerry - fotolia.com

2. Auflage, Independently published

 

 

Blick heimwärts, Engel

 

„Blick heimwärts, Engel“ basiert auf den Romanen:

 

1. Liebeswut: Coming out

2. Dein Glück hat mein Gesicht: Inzest

3. Wir zwei zu dritt: Liebe

4. Von Liebe und Gift: Drugs

5. Überdosis Liebe: Desire

 

Für Maja M.

 

… ein Stern, der immer leuchten wird …

 

1. Kapitel

 

Look homeward angel

You got to fly right back

You got to clip your wings and

fly right back

 

John Taylor, 1997

 

An einem warmen Frühlingstag zog Gero die Jalousie des Schlafzimmers nach oben. Zufrieden schaute er hinaus.

„Was für ein herrlicher Tag!“ Er betrachtete den blauen Himmel. „Hoffentlich bleibt es bis zum Umzug so schön.“

„Umzug?“, wiederholte Neal nachdenklich. „Welcher Umzug?“

Gero grinste. Leichtfüßig näherte er sich dem Bett.

„Wir ziehen bald um. Das kannst du unmöglich vergessen haben.“

Neal kratzte sich den Nacken. „Ach ja.“ Er richtete sich auf und schielte aus dem Fenster, dabei kniff er die Augen zusammen, als könnte er nicht alles erkennen.

„Bist du okay?“ Gero musterte seinen Freund besorgt. Dass der morgens kaum aus den Federn kam, häufte sich. Und dann dieser Husten, jeden Tag, wenn Neal das Bad betrat.

„Es geht schon, danke.“ Er räusperte sich. Augenblicklich stellte sich der besagte Husten ein.

„Du solltest weniger rauchen!“, forderte Gero – nicht zum ersten Mal.

 

Die Gänge der Universität waren ihm vertraut. Obwohl Gero die Räumlichkeiten mit gemischten Gefühlen betrat, denn nicht immer hatte er in ihnen Glück erfahren, wollte er sein Ziel nicht aus den Augen verlieren. Er wollte Arzt werden, koste es, was es wolle.

Ein Semester hatte er nachzuholen. Inzwischen empfand er es nicht mehr als eine Tragödie, sondern als eine zweite Chance.

Das letzte Jahr war turbulent gewesen. Es hatte ihn dazu gebracht, Prüfungen zu schwänzen und den Weg zur Uni gar nicht erst anzutreten. Er war lebensmüde geworden und es schien, als hätte er alles verloren. Mittlerweile verlief sein Leben wieder planmäßig. Er blickte optimistisch nach vorn.

Auf dem Vorhof des Universitätsgeländes legten sich die Sonnenstrahlen auf seinen schlanken Körper. Er bemerkte die Schritte der jungen Frau erst, als sie ihn ansprach.

„Gero?“ Er drehte sich um. „Dein Name ist doch Gero, oder?“

Er nickte wortlos. Die Frau kam ihm bekannt vor. Das ein oder andere Mal hatte er sie bei den Vorlesungen gesehen. Manchmal machte es den Anschein, als würde sie ihn beobachten.

„Mein Name ist Christina.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen. „Wir kennen uns aus dem Chemieunterricht.“

„Ja, stimmt.“ Gero lächelte. Kurz schüttelte er ihre Hand. Seine Kommilitonin machte ein nachdenkliches Gesicht. „Eigentlich wollte ich dich schon früher ansprechen, doch habe ich mich nicht getraut.“

„Nein?“ Gero behielt das Lächeln bei. „Und wieso nicht?“

Ihre Wangen färbten sich rot. „Stimmt es, was die anderen sagen? Du bist mit Neal Anderson liiert?“

Geros Lachen wurde mutiger. Daher wehte also der Wind. Das Gefühl, angestarrt zu werden, war ihm nicht fremd. Aber die wenigsten Gaffer trauten sich, ihn anzusprechen. Der Grund, warum die Leute ihn ansahen, lag auf der Hand. Er war mit einem berühmten Sänger zusammen. Ab und zu landete sogar ein Bild von ihm in der Zeitung.

„Ja, Neal ist mein Freund, das ist richtig.“

„Wow!“ Christina war sichtlich beeindruckt. „Ist es unverschämt, zu fragen, ob du mir ein Autogramm von ihm besorgen kannst?“

Gero schob den Riemen seiner Arbeitsmappe von der Schulter. „Du wirst es nicht für möglich halten, aber ich habe immer ein paar Autogrammkarten dabei. Ist nicht das erste Mal, dass ich darum gebeten werde.“

Sie gluckste vor Freude. „Echt? Das ist super!“

In einem Plastikmäppchen hatte er die glänzenden Karten verstaut. Mit einem Schwarz-Weiß-Porträt war Neal darauf abgebildet. In der rechten unteren Ecke war das Autogramm mit silbernem Lackstift aufgetragen. Gero trug auch Postkarten von der Band The Drowners, deren Sänger Neal war, mit sich. Lange hatte es keine Konzerte mehr gegeben. Gero packte trotzdem eine Karte der Band dazu.

Christina bedankte sich mehrfach. Ihre Augen leuchteten. „Gibt es denn Neuigkeiten? Eine neue Platte vielleicht?“

Da musste Gero passen. „Tut mir leid. Dazu kann ich momentan nichts sagen. Alle Infos findest du auf der Webseite der Band.“

„Geht es ihm denn inzwischen besser?“

Gero hatte mit dieser Frage gerechnet. Jeder Fan, mit dem er sprach, wollte das wissen. Doch wie es um Neal stand, war seine private Angelegenheit. Gero erzählte nichts von seinem Leben, in das er mehr denn je eingebunden war.

„Ich kann keine Auskunft geben.“ Er trat einen Schritt zurück und schloss die Tasche.

„Schade …“

Er zwinkerte ihr zu. „Abonniere den Newsletter! Dann erfährst du sofort, wenn etwas Neues passiert.“

Sie gab sich damit zufrieden. Aber Gero konnte sich denken, dass es ihr nicht nur um die Band und neue Songs ging. Neal Anderson, der bekannte Frontmann der Drowners, hatte im letzten Jahr für viele Schlagzeilen gesorgt, und die waren nicht positiv gewesen.

 

Er beendete die Konversation. Neugierige Fans musste er auf Abstand halten. Obwohl Gero das Verhalten von Christina verstehen konnte.

Er selbst hatte sich große Sorgen um Neal gemacht, der im Laufe der Jahre mehr und mehr in die Tabletten- und Drogenabhängigkeit geraten war. Als Gero seinen Freund kennengelernt hatte, wusste er nichts von diesem Laster. Er hatte weder Neal Anderson noch die Band, die dieser in jungen Jahren gegründet hatte, gekannt.

Gero war neunzehn Jahre alt gewesen, als er Neal das erste Mal getroffen hatte. In einem Supermarkt hatten sich ihre Wege gekreuzt. Wie Gero inzwischen wusste, war es für Neal Liebe auf den ersten Blick gewesen.

Gero selbst hatte die Aufdringlichkeit des Fremden eher verstörend empfunden. Nach dem ersten Aufeinandertreffen im Supermarkt hatten sie sich im Park wiedergesehen. Zuerst zufällig, dann beabsichtigt. Gero ließ sich auf den Fremden ein, obwohl die Zerrissenheit in ihm nagte. Er war Einzelgänger gewesen und hatte keine Freunde besessen. Im Nachhinein wusste er, woran das es an seinem Bedürfnis nach Nähe gelegen hatte. In seinem Alter keine unnatürliche Begebenheit, hätte er nicht die Lust nach Männern verspürt, die ihn in eine ungewollte Isolation getrieben hatte. Nicht einmal seinen Eltern hatte er sich diesbezüglich anvertraut.

Erst als Neal auf der Bildfläche erschienen war und ihm den Kopf verdreht hatte, gestand er sich seine homosexuelle Neigung ein.

Mit Neal hatte er seine ersten sexuellen Erfahrungen erlebt. Er hatte das Coming-out gewagt und sich auf Neals Leben eingelassen. Gero schaffte es, sich seinen Eltern zu öffnen. Er hatte Neals Schwester kennen – und schätzengelernt.

Er hatte die inzestuöse Beziehung der Anderson-Geschwister und die dazugehörigen Kinder toleriert.

Doch lange hatte das Hoch der Gefühle nicht angehalten. Neals Drogenproblem zerstörte die Dreierkonstellation. Am Ende der aufreibenden Zeit zog Gero einen Schlussstrich. Er trennte sich von Neal und begab sich in psychiatrische Hilfe. Auch Francis, Neals Schwester, nahm Abstand von der frustrierenden Situation.

Ein guter Ausgang schien unmöglich. Doch Neal Anderson schaffte es, clean zu werden.

Mit dem Wunsch, seine Lieben und die Kinder zurückzubekommen, gelang ihm der Absprung aus einer zerstörerischen Welt. Es dauerte lange, bis Gero wieder Vertrauen finden konnte. Die Liebe zu Neal war jedoch nicht erloschen und sie gaben ihr eine zweite Chance.

 

Oft dachte Gero an die vergangene Zeit zurück. Viele schlimme Stunden hatte er erlebt. Er war enttäuscht und gedemütigt worden. Als er daran dachte, dass die grausame Zeit der Vergangenheit angehörte, machte sein Herz allerdings einen Sprung.

Das tat es immer, wenn er an Neal dachte. Ihre Zuneigung war gefestigt. Trotzdem spürte Gero, dass die Schmetterlinge in seinem Bauch nicht verflogen waren.

Das Gefühl bekräftigte sich, als er in sein Auto stieg: ein roter Porsche. Damals hatte er Neal gehört. Nun durfte Gero damit fahren.

Neal Anderson war berühmt und reich. Aus seinem Wohlstand machte er keinen Hehl, auch wenn er ihn nicht unnütz an die große Glocke hängte. Aber Geschenke machen, das konnte er.

 

Gero startete den Wagen und fuhr in Richtung der Landstraße. Der Vormittag an der Uni war anstrengend gewesen. Auf der Fahrt zu Neals Elternhaus konnte er abschalten.

Mit den Eltern der Anderson-Geschwister war es so eine Sache. Neals Vater, Peter, der war in Ordnung. Gero mochte ihn. Doch seine Frau Stephanie war Gero nicht sonderlich sympathisch. Sie war eine dominante Persönlichkeit. In ihrer Gegenwart fühlte er sich nicht wohl.

Wenn sie in der Nähe war, kam sich Gero wertlos vor. Als Freund von Neal wurde er bei Stephanie nicht vollständig akzeptiert.

Er verdrängte die Gedanken. Neals Eltern waren verreist. Mit ihrer Firma, die exquisite Mode vermarktete, hatten sie viel um die Ohren. Gero mochte das Anwesen der Andersons. Es lag auf dem Land. Wenn Stephanie nicht zu Hause war, fuhr Gero gern dorthin.

 

Francis’ Auto stand in der Auffahrt. Gero parkte daneben. Er nahm die Sonnenbrille ab und marschierte am Haus vorbei, denn wie ihm die Stimmen verrieten, waren Francis und ihr Bruder auf dem Reitplatz. Das Gelächter der Kinder drang in seine Ohren und er hatte das Gefühl, bei seiner Familie angekommen zu sein.

Francis begrüßte ihn mit einem Kuss auf die Wange. Der kleine Rayon, wenige Monate alt, spielte auf dem Rasen. Nicholas, der ältere Sohn von Neal und Francis, lehnte am Zaun. Daneben stand Randy, der Stalljunge der Andersons.

Zusammen starrten sie auf den Reitplatz, auf dem Neal mit einem hellbraunen Pferd seine Runden drehte. Er trug keine Reiterhose und keinen Reithelm, was Randy bemängelte. Doch Neal ließ das Risiko walten. Nachdem er mit dem Pferd einige Hindernisse überwunden hatte, ritt er durch das offene Gatter und galoppierte davon.

„Was hat er denn vor?“, erkundigte sich Gero. Er stellte sich hinter Nicholas und durchwühlte die Haare des Jungen, der zu kichern begann.

„Er kann sich nicht richtig entscheiden. Auf dem Gut haben wir nur Platz für vier Pferde. Da er zwei besitzt, muss er eine Auswahl treffen.“

Gero reagierte bestürzt. „Aber das muss doch nicht sein.“ Er zählte nach. Francis besaß ein Pferd und Nicholas auch. Er selbst hatte zu seinem letzten Geburtstag ein Fohlen geschenkt bekommen. Es stammte aus der Trakehner-Zucht der Andersons. Ein teures Geschenk von Neal.

„Ich verzichte auf mein Pferd, dann kann er seine beiden mitnehmen!“

Francis schüttelte den Kopf. „Das wird er nicht zulassen.“

„Deinen Hengst bist du noch nicht oft geritten“, mischte sich Randy in das Gespräch ein. „Das wird höchste Zeit!“

Am Horizont wurde Neal sichtbar. Noch immer galoppierte er über das weite Land.

„Ich kann gar nicht hinsehen, wenn er so schnell reitet.“

Neal näherte sich. Zum Abschluss sprang er über den Zaun und brachte das Pferd im eingezäunten Areal zum Stehen. Sein dunkles Haar war zerzaust. Ein paar Schweißperlen saßen auf seiner Stirn. Er wischte sie weg. Als er Gero bemerkte, lächelte er.

Dann führte er das Pferd von der Weide. Randy sah ihn fragend an.

„Ich nehme den Schwarzen“, beschloss Neal.

„Gute Entscheidung.“

Randy brachte das hellbraune Pferd in den Stall.

„Na, Kleiner, was machst du denn hier?“ Neal begrüßte seinen Freund mit einem Kuss auf die Stirn.

„Soll ich offen sein und sagen, dass ich Sehnsucht nach dir hatte?“ Gero drückte einen Kuss auf Neals Mund, der salzig schmeckte. „Ich dachte, wir fahren zusammen zu dir und …“

Neal schüttelte den Kopf. „Daraus wird nichts. Ich muss mit Randy einiges durchplanen. Die Pferde werden morgen in den neuen Stall gebracht. Und ich muss noch zum Gut und wichtige Unterlagen abgeben.“

„Das kann ich doch machen“, schlug Gero vor. „Dann haben wir wenigstens den Abend zusammen.“

„Okay.“ Neal nickte. „Aber du weißt, was zu Hause auf uns wartet.“

„Allerdings!“ Gero lachte. Umzugskartons hatten sich in den letzten Tagen in Neals Villa getürmt. Vor dem Haus, unter dem Carport, standen ausrangierte Möbelstücke und Tüten mit Kleidung für soziale Einrichtungen. Der Keller war komplett leergeräumt. Sogar das Tonstudio von Neal befand sich schon in einem speziellen Zwischenlager. Das Gut mit dem großen Haus war noch nicht komplett renoviert, dabei sollte es in zwei Wochen mit dem Umzug losgehen.

Vor dem Stall stand ein Hänger bereit. Neal hielt es für sinnvoll, die Pferde zuerst umzusiedeln. So konnten sie sich in Ruhe an die neue Umgebung gewöhnen, während die letzten Arbeiten am Wohnhaus durchgeführt wurden.

Vertrauensvoll gab er Gero die Schriftstücke in die Hände.

„Wende dich an den Bauleiter, Herrn König, der weiß Bescheid.“ Neal tippte auf die Unterlagen, die in einer Plastikrolle steckten. „Meine Entwürfe für den Keller. Sie werden dir gefallen.“

 

Gero machte sich auf den Weg zum Gutshof, den Neal gekauft hatte. Er hatte das kleine Schiebedach des Porsches aufgeklappt und genoss den Fahrtwind. Das gute Wetter zeigte sich beständig.

Vor dem Haus des Hofes parkten Fahrzeuge unterschiedlicher Handwerkerfirmen. Die Haustür stand offen. Gero bemerkte, dass zwei Briefkästen am Eingang montiert waren. Sie besaßen unterschiedliche Namensschilder. Anderson stand auf dem einen, Steinert auf dem anderen. Während Gero vor Schreck einfiel, dass er bald einen Nachsendeauftrag stellen musste, umgab ihn das schmeichelhafte Gefühl, dass er nun fest dazu gehörte – zu der Familie Anderson.

 

Im Gebäude waren diverse Geräusche zu hören. Überall wurde gearbeitet. Es wurde gebohrt, gehämmert und gemalt. Gero musste aufpassen, wohin er trat. Unterschiedliche Gerätschaften waren in den Räumen verteilt. Den ersten Handwerker sprach er an. Er erkundigte sich nach dem Bauleiter, von dem Neal gesprochen hatte.

Kurz darauf erschien ein Mann, der in einen Anzug gekleidet war. Er lächelte freundlich, streckte Gero die Hand entgegen. „König!“, stellte er sich vor. „Sie sind Herr Steinert? Herr Anderson hat mich eben angerufen und Ihren Besuch angekündigt.“

„Guten Tag“, erwiderte Gero. „Ja, Neal hat mich gebeten, die fehlenden Zeichnungen abzugeben.“

Herr König nahm die Unterlagen an sich. Er rollte die Skizzen auseinander. Nachdem er einen Blick darauf geworfen hatte, nickte er anerkennend.

„Herr Anderson hat gute Ideen. Die Aufzeichnungen sind tadellos.“ Er sah auf. „Er arbeitet gar nicht mehr als Architekt?“

Gero verneinte. „Er hat das Studium abgeschlossen, aber nie in dem Beruf gearbeitet. Sein Leben ist die Musik. Baukonstruktionen zeichnet er nur für den privaten Gebrauch.“

Herr König rollte die Papiere wieder zusammen. „Ich kann mich erinnern. Vor einigen Jahren hat er ein Konzept für den Stall der Andersons entworfen.“

Gero nagte an der Unterlippe herum. Da der Bauleiter die Rollen wieder in der Plastikröhre verstaute, konnte er nicht sehen, was Neal gezeichnet hatte.

„Was hat er sich denn überlegt?“, fragte er demzufolge. Er deutete um sich. „Ist die Aufteilung des Hauses nicht optimal?“

„Er hat nichts erzählt?“

Gero hob die Schultern an. „Er hat so viel um die Ohren derzeit. Es ist sein Anwesen. Ich möchte mich nicht einmischen.“ Herr König zwinkerte ihm zu. „Ich zeig Ihnen seine Ideen.“

 

Der Keller war bis auf ein paar Farbeimer in den Ecken leer. Als Gero das Untergeschoss zum ersten Mal gesehen hatte, war es nahezu unbeleuchtet gewesen. Verwitterte Möbel hatten herumgestanden und es hatte ein muffiger Geruch geherrscht.

Jetzt zierten moderne LED-Strahler die Decken, die weiß angestrichen waren. Der Gestank war kaum noch wahrnehmbar.

Gero sah sich um. Der Bauleiter erklärte ihm die Aufteilung der Räume.

„Hier kommt das Tonstudio hin. Wir erwarten die Lieferung des Equipments in den nächsten Tagen.“

Gero lugte in einen Raum, der durch eine Trennwand mit Scheibe geteilt war. Er glich dem Raum in Neals Villa, den sein Freund zum Komponieren genutzt hatte. Aber das Studio, das sich ihm jetzt präsentierte, würde größer sein.

Er drehte sich um, denn Herr König hatte das nächste Zimmer anvisiert. „Hier geht es zum Spa-Bereich. Dort gibt es eine Sauna und einen Whirlpool.“ Sie marschierten durch offen zugängliche Räume, die gefliest waren. Gero geriet ins Staunen. „Spa?“

„Alles ist fertig zur Nutzung. Es fehlen noch ein paar Lampen und natürlich die Grundreinigung.“

Gero betrachtete den Boden und seine Schuhe. Von draußen hatten sie Sand ins Gebäude getragen. Er setzte an, um etwas zu sagen, doch Herr König war schon im nächsten Raum verschwunden. „Der Pool. Er hat eine Schwimmbahn von zehn Metern und daneben gibt es ein flaches Becken für die Kinder.“

„Wow.“ Gero sah in den übernächsten Raum. Seine Stimme hallte unter der hohen Decke. Große Fenster boten eine freie Sicht in den Garten. „Sie können von hier aus die Terrasse betreten … Sie ist noch nicht fertig.“ König klopfte auf die Rolle mit den Unterlagen. „Es haben die letzten Aufzeichnungen gefehlt. Wir machen alles so, wie Herr Anderson es wünscht.“ Er schwenkte herum. „Dort drüben wird es zwei Regenduschen geben. Die Nischenwände müssen noch gezogen werden. Aber auch die sollten in zwei Wochen fertig sein.“

Gero schluckte. Was sich ihm bot, übertraf jegliche Vorstellung davon, was sein Freund für Umbauten geplant hatte. „Ist das nicht alles unheimlich …“

teuer …

Sollte er es aussprechen? Als ihm klar wurde, was für einen Luxusort Neal hier schaffen wollte, schnürte sich ihm der Magen zu.

„Aufwändig?“ Herr König winkte ab. „Wir arbeiten mit den besten Firmen zusammen. Alles geht Hand in Hand. – Wollen Sie auch die oberen Etagen sehen?“

 

Er war dem Bauleiter gefolgt. Still hatte er die Zimmer im Erdgeschoss und in der ersten Etage betrachtet. Der Eingangsbereich war kaum verändert worden, allerdings glänzte der marmorne Boden frisch poliert. Die breite Treppe, die inmitten des Raumes nach oben führte, war mit neuem Belag ausgestattet worden. Da inzwischen alle Fenster gereinigt waren, wirkte das Gebäude im Inneren heller, als Gero in Erinnerung hatte. An den Eingangsbereich schloss sich eine offene Küche an, dahinter folgte das geräumige Wohnzimmer mit Zugang zur oberen Terrasse. In einer Art Bibliothek gab es eine Sitz- und Essecke. Im Obergeschoss befanden sich die Schlaf- und Kinderzimmer. Sie waren zum Teil mit eigenem Bad ausgestattet und durch Zwischentüren verbunden.

 

Gero hatte sich nicht alle Räume angesehen. Auf der Rückfahrt ließ er die Eindrücke Revue passieren. Er schwang zwischen Euphorie und Erstaunen.

 

Er fuhr nach Hause. Das war seit einigen Monaten die Villa von Neal. Aufgrund der Umzugspläne hatte Neal das Haus zum Verkauf freigestellt. Das Schild im Garten, das die Firma eines Maklers anpries, erinnerte allgegenwärtig daran.

Mit etwas Wehmut betrachtete Gero dieses Schild. Er mochte die Villa. In ihr schwebten viele Erinnerungen. Doch ihm war klar, dass Neal verkaufen musste. Ohne den Erlös dieses Objektes, hätte er das Gut nicht so einfach erwerben können.

Gero betätigte den mobilen Toröffner. Früher hatte Neals Butler meist das Einfahrtstor per Hand geöffnet, wenn er im Garten war und den jungen Freund seines Arbeitgebers erkannte. Inzwischen gab es keinen Hausangestellten mehr. Ralph hatte sich in den wohlverdienten Ruhestand begeben und war zurück nach England gezogen.

Es stand gar nicht zur Diskussion, ob er auf dem Gutshof tätig werden würde. Die Arbeit im Garten und im Haus, in dem in Zukunft nicht nur Neal, sondern auch Francis, Gero und die beiden Kinder wohnen sollten, hätte er in seinem betagten Alter nicht bewerkstelligen können.

Neal ließ ihn ziehen. Ob es neue Angestellte geben würde, darüber wurde noch nicht gesprochen.

Gero betrat die Villa, in der sich die Umzugskartons von Tag zu Tag häuften.

Die grauen Doggen, die ebenfalls in der Villa lebten, begrüßten ihn mit einem unterdrückten Bellen.

„Neal?“ Sein Rufen hallte durch das leere Haus. Die Bilder fehlten an den Wänden. Im Wohnzimmer waren die Gardinen verschwunden. Auf dem Sideboard neben der Garderobe lag ein Zettel mit Notizen. Weitere Kaufinteressenten hatten sich angemeldet.

„Bin hier oben!“ Neals Stimme erklang gedämpft.

Im Schlafzimmer konnte sich Gero ein Lachen nicht verkneifen. Er entdeckte Neal, der mit halbem Oberkörper unter dem Bett lag. Sein Shirt war nach oben gerutscht. Gero betrachtete die schmalen Hüften seines Freundes und den Ansatz des Gesäßes, das freigelegt war. „Was soll das werden?“

„Ich war beim Ausmisten …“ Neal krabbelte unter dem Bett hervor. Staubflocken lösten sich von seinem Kopf. „Puh ist das staubig … Ich dachte immer, Ralph putzt auch unter den Betten.“ Er grinste. Kleine Fältchen umgaben seine blauen Augen. Obwohl Neal älter war als sein Freund, schien er die jugendlichere Figur zu haben. Er stand auf. In seiner Hand hielt er eine Schallplatte. „Sieh, was ich gefunden habe.“

Gero sah sich das Cover der Platte an. The Drowners. Das dazugehörige Bild präsentierte drei junge Männer mit wilden Frisuren und gewagtem Outfit. „Unsere erste Single.“

Der Titel des Songs war Gero geläufig. Inzwischen kannte er alle Werke seines Freundes. Doch diese Schallplatte hatte er noch nie zu Gesicht bekommen. „Eine Rarität.“

„Das ist schön, Neal … Ich …“ Gero stoppte.

„Was ist los?“

Gero pikte ein Staubknäuel von Neals Haaransatz. „Nichts. Es macht mich nur etwas traurig, dass wir alles hinter uns lassen. Die Villa, das Schlafzimmer. Unser Bett.“

Er seufzte.

„Unser Bett?“, wiederholte Neal. Er schlang seine Arme um Geros Körper. „Du glaubst allen Ernstes, dass ich unser Bett hierlasse?“

„Es kommt mit?“

„Selbstverständlich kommt es mit.“ Neal drückte seinen Partner an sich. „Hey, es ist unser Bett, in dem wir uns das erste Mal geliebt haben.“

Gero fiel ein Stein vom Herzen. Genau das war sein Problem. Es gab viele Erinnerungen im Haus. Dinge, die an den Anfang ihrer Liebe erinnerten, bevor die Tragödie begann. Das Bett gehörte dazu. In ihm wurde Gero seine Unschuld genommen. In dem Bett hatten sie viele schöne Stunden verbracht.

Sein Lächeln kam zurück.

„Was glaubst du denn, warum ich das alles mache?“, fügte Neal hinzu. „Ich mache das, damit du glücklich wirst. Damit wir glücklich werden: du, Francis, die Kinder … unser Nachwuchs.“ Er zwinkerte Gero zu.

„Du bist noch immer der Ansicht, dass wir …?“

„Natürlich!“ Neal nickte entschlossen. „Ich will weitere Kinder – mit dir zusammen.“

Gero genoss die Umarmung, die nicht abriss. Doch anders als sein Partner, trug er Zweifel in sich. „Hast du denn schon mit Francis geredet?“

„Nein.“ Neal löste sich. „Aber wir sollten das bald machen. Ja, sobald der Umzug über die Bühne ist, werden wir mit ihr reden.“

 

Neals Gesicht war gerötet. Den Tag über hatte die Sonne ungnädig auf das Anwesen geschienen. Schattige Plätze gab es nicht viele. Die Pferde waren ruhig geworden. Die ungewohnte Umgebung und die neuen Gerüche und Geräusche waren ihnen vertraut. Seit einer Woche wohnten sie jetzt hier. Die Handwerker waren nach und nach abgerückt. Doch es gab nach wie vor genug Dinge, die erledigt werden mussten. Zwei Tage hatten sie gemeinsam an einem Unterstand gearbeitet. Auf der Weide sollten die Pferde einen Platz finden, der sie vor Wind und Regen schützte. Nun war das Holzgestell mit Dach fertig. Neal wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Geschafft!“

Er entzündete eine Zigarette.

„Wenn du so weiter machst, kippst du noch aus den Latschen.“ Gero beäugte seinen Freund skeptisch. Ihm gefiel es nicht, dass sich Neal derart verausgabte. Im Haus und auf dem Hof.

„Ich kann nicht für jeden Handschlag andere Leute beschäftigen, das wird sogar mir zu teuer.“ Neal hustete. Anstatt die Zigarette auszudrücken, zog er noch einmal daran.

„Heute lassen wir die Pferde draußen.“ Er schielte zum Himmel. „Wird wohl nicht regnen.“

Er zwinkerte Gero zu. Der blickte auf die Armbanduhr. „Oh, schon spät.“

Neal legte den Arm um die Schultern seines Freundes. „Dann sollten wir Schluss machen – für heute.“

 

Später als sonst aßen sie zu Abend. Die Arbeit im Stall hatte länger gedauert. Rayon war im Bett und Nicholas stocherte im Essen herum. Fortwährend sah er auf die Uhr an der Wand.

„Darf ich meine Serie gucken?“, fragte er schließlich.

„Erst wird gegessen“, erwiderte Francis. Sie deutete auf den Teller ihres Sohnes.

„Aber die Serie beginnt jetzt. Ich habe gar keinen Hunger.“ Trotzig legte Nicholas das Besteck beiseite.

Francis zeigte keine Einsicht. „Du isst jetzt. Ich möchte nicht, dass du nachts aufwachst, weil dein Magen knurrt.“

„Ich will aber meine Serie sehen!“, konterte Nicholas mürrisch.

„Könntest du bitte auch mal etwas dazu sagen?“ Auffordernd fixierte Francis ihren Bruder. Der hob auch sogleich den Kopf.

„Ich?“ Ein Blick auf seinen Sohn folgte. Nicholas hatte, wie er, dunkle Haare und blaue Augen. Er war für seine neun Jahre sehr schmächtig. Ob er jemals so groß wie sein Vater werden würde? Neal schmunzelte, als er sich das vorstellte.

„Nun, es war meine Schuld, dass es länger im Stall gedauert hatte“, sagte er. „Nicki darf seine Serie sehen, wenn er den Teller leer isst.“

Demonstrativ füllte er seinem Sohn noch eine Portion Nudeln mit Soße auf.

„Super! Danke, Papi!“

Nicholas strahlte über das Gesicht. Er nahm seinen Teller und marschierte glücklich in den hinteren Wohnzimmerbereich, wo kurz darauf der Fernseher flimmerte.

„Na klasse!“, zischte Francis, dazu verdrehte sie die Augen. „Ich möchte ein Mal erleben, dass du standhaft bleibst. Du erlaubst ihm wirklich alles.“

Neal zuckte mit den Schultern. „Wieso auch nicht? Solange er sich an gewisse Abmachungen hält.“

„Bin mal gespannt, ob du bei Ray auch so großzügig bist!“ Francis’ Stimme klang schnippisch. Immer öfter hatte sie das Gefühl, dass Neal ihren Erstgeborenen bevorzugte. Und das gab er durch folgende Äußerung auch indirekt zu.

„Ich habe bei Nicholas einiges gutzumachen. Die ersten vier Jahre seines Lebens habe ich ihn allein gelassen. Ich habe das Gefühl, als hätte ich diese Jahre noch nicht aufgeholt. Zudem haben wir nie wie eine richtige Familie leben können.“ Er atmete tief durch. War jetzt vielleicht der passende Moment, um Francis von den Plänen zu erzählen, die er mit Gero hegte?

„Ich muss meine Vaterrolle sicher noch festigen.“ Er lächelte stolz, als er verkündete: „Ich werde in Zukunft mehr daran arbeiten, denn Gero und ich möchten auch ein Kind großziehen.“

Neals Schwester war von dieser Neuigkeit keineswegs schockiert. Im Gegenteil: Ihr Gesicht erhellte sich schlagartig. „Tatsächlich? Das finde ich großartig.“ Aufmerksam blickte sie die beiden Männer an. „Und wie habt ihr euch das vorgestellt? Möchtet ihr ein Kind adoptieren?“

Neal schüttelte den Kopf. „Nein, das auf keinen Fall. Das Kind soll genetisch mit uns verwandt sein. Diesmal muss Gero sein Erbgut weitergeben.“

Er zwinkerte seinem Freund zu, der ebenfalls lächelte, wenn auch reservierter als Neal.

„Aha?“ Francis lehnte sich zurück. „Und wie soll das funktionieren?“ Sie fixierte Neal haargenau. „Du wirst wohl kaum von ihm schwanger werden können, oder hab ich da was verpasst?“ Sie kicherte.

Auch Neal huschte ein Lächeln über das schmale Gesicht, trotzdem blieb er sachlich.

„Nein, natürlich soll das Kind auf normale Art und Weise gezeugt und von einer Frau ausgetragen werden.“ Plötzlich sah er seine Schwester durchbohrend an. „Wir hatten eigentlich auf deine Unterstützung gehofft.“

„Auf meine Unterstützung?“ Francis’ Stimme wurde laut. Ihr Mund öffnete sich, und sie blieb einen Moment sprachlos.

„Ja!“, bestätigte Neal. „Ihr geht doch sowieso ab und zu miteinander ins Bett, dann könnt ihr auch ein Kind zeugen, oder nicht?“

Francis fasste sich an den Kopf. „Du spinnst ja!“

Gero sah sofort nach unten. Seine Vermutung hatte sich bekräftigt. Francis war von der Idee keineswegs angetan. Sie wurde richtig wütend, erhob sich, als wollte sie weiteren Diskussionen ausweichen. „Ich soll schon wieder schwanger werden? Obwohl Rayon noch längst nicht aus dem Gröbsten raus ist?“ Sie schüttelte den Kopf. „Auf gar keinen Fall.“

Neal verzog das Gesicht. „Aber, wieso denn nicht?“

„Das fragst du noch?“ Seine Schwester war außer sich. „Die Schwangerschaft mit Rayon war wirklich nicht einfach. Ich bin froh, dass diese schlimme Zeit hinter uns liegt, und wir endlich wieder zu uns gefunden haben. – Ich habe Unmengen zu tun in der Firma. Dad wird irgendwann kürzer treten, und er wünscht sich nichts sehnlicher, als dass ich eines Tages die Firma übernehme.“ Sie machte eine kurze Pause. Vorwurfsvoll sah sie Neal an. „Und dann soll ich erneut eine Babypause einlegen? Für euch die Gebärmaschine spielen? Mit 25 Jahren soll ich ein drittes Kind bekommen?“ Prüfend sah sie beide Männer an.

„Es geht doch nur darum, dass wir jemanden brauchen, der das Kind auf die Welt bringt“, versuchte Neal zu erklären. „Du kannst doch arbeiten gehen. Gero und ich werden das Kind betreuen. Für dich wäre es keine weitere Belastung.“

Francis lachte höhnisch. „Ach, und was ist mit Geros Studium? Wer kümmert sich um das Kind, wenn er in der Uni oder in der Klinik ist und du wegen Konzerten verreist bist oder plötzlich wieder nach London musst? Wer kümmert sich dann?“

„Da wird sich eine Lösung finden“, beteuerte Neal. „Was die Band angeht, wollte ich ohnehin weiter pausieren.“

Francis winkte ab. „Nein, tut mir leid. Das müsst ihr anders regeln. Da mache ich nicht mit.“

Sie fing an, den Tisch abzuräumen. Eine bedrückende Stille stellte sich ein, bis Gero sich endlich äußerte:

„Vielleicht sollten wir es doch mit Adoption versuchen?“ Fragend sah er Neal an, aber der machte sofort eine ablehnende Geste.

„Kommt nicht infrage. Ich will ein Kind von dir. Ein Kind, das du gezeugt hast!“

Er griff Geros Hand und drückte sie fest, dann beugte er sich zu ihm hinüber. „Wir müssen eine andere Frau finden, die das mit uns durchzieht. In einigen Ländern sind Leihmütter kein Thema.“

„Leihmutter?“ Geros Stimme klang plötzlich dünn. „Du denkst an eine künstliche Insemination?“ Er stoppte und konnte gar nicht in Worte fassen, wie er sich das alles vorstellte.

„Nein“, konterte Neal. „Du wirst das Kind ganz normal zeugen, ist doch klar.“

Als Francis das hörte, unterbrach sie ihre Tätigkeit.

„Ich soll mit einer fremden Frau schlafen?“ Gero schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht.“

„Wieso kannst du das nicht?“, fragte Neal postwendend.

„Weil ich zufällig schwul bin?“

„So ein Unsinn!“, fauchte Neal. „Du wirst ja wohl mal über deinen Schatten springen können? In deinem Alter genügen doch ein paar Handgriffe, um dich in Fahrt zu bringen!“

„Das ist mit einem Mal doch nicht getan!“, schrie Gero zurück. „Es kann Wochen oder Monate dauern, bis eine Frau schwanger wird.“

„Meine Güte, stellst du dich an.“ Neal schüttelte den Kopf.

„Mach du es doch, wenn es so leicht geht!“, rief Gero trotzig.

Da nickte Neal. „Würde ich glatt machen. Ich hätte keine Probleme damit. Ein bisschen Abwechslung hat noch niemandem geschadet. – Doch du vergisst, dass ich schon zwei Söhne habe. Nun bist du an der Reihe.“

„Ich schlaf nicht mit Frauen!“, wiederholte Gero.

„Ach, aber mit Francis ins Bett gehen, das kannst du?“

Gero winkte ab. „Das ist was anderes. Francis ist mir vertraut, ich kann mit ihr schlafen, weil sie mich auf andere Art und Weise erregt … Aber eine fremde Frau? Das kannst du nicht verlangen.“

Er verschränkte die Arme vor dem Bauch und senkte den Kopf.

„Okay!“, zischte Neal. „Dann kriegen wir eben kein Kind zusammen!“

Er stand auf, griff zu seinen Zigaretten, die auf dem Tisch lagen, und verschwand durch die Tür nach draußen.

Gero blieb am Tisch sitzen. Seine Mundwinkel zuckten, sein Leib zitterte. Er war den Tränen nahe.

„Ich kann dich verstehen“, sagte Francis, als sie sein verzweifeltes Gesicht bemerkte.

„Nein, kannst du nicht!“, erwiderte er, dann erhob er sich und rannte nach oben.

 

Inzwischen war es dunkel geworden. Neal war ein paar Schritte gegangen. Nun saß er auf der untersten Stufe der breiten Treppe, die zum Eingang führte. In den Büschen zirpten Grillen. Ab und zu bemerkte er kleine Tiere, die das Gebäude umflatterten. Fledermäuse. Er rechnete damit, dass sie sich auch im Stall einnisten würden. Vielleicht auch ein Marder oder ein Fuchs. Sie lebten auf dem Land. Er machte sich über viele Dinge Gedanken, die in der Stadt nicht von großer Relevanz waren.

Er gestand sich ein, dass der Umzug und der Einzug, hier, ins alltägliche Leben nicht so reibungslos verliefen, wie angenommen. Eigentlich waren sie ein eingespieltes Team gewesen. Zusammen wohnen bedeutete jedoch, mehr Rücksicht zu nehmen, Kompromisse einzugehen und Niederlagen einstecken zu können.

Die erste Hürde hatte sich als schwer erwiesen, doch sie war nicht unüberwindbar, oder?

„Können wir reden?“ Francis war hinter ihn getreten. Er nickte und so setzte sie sich neben ihn auf die Stufe.

„War das eben geplant oder kam es spontan?“

Neal zog ein letztes Mal an seiner Zigarette, bevor er sie neben sich ausdrückte. Geplant? Er hatte mit Gero darüber gesprochen, ja. Einen genauen Zeitpunkt, um ihr Anliegen vorzutragen, den hatten sie nicht gehabt.

„Irgendwie beides.“

Francis seufzte. „Gero wirkte verunsichert. Bist du sicher, dass er schon so weit ist?“

Neal stieß ein missmutiges Lachen aus. „Kannst du dich daran erinnern, als du mit Rayon schwanger warst? Damals hast du mir abgeraten, ihn in die Rolle des Vaters mit einzubeziehen.“ Er holte weiter aus. „Als ich im Entzug war, hat er den Haushalt geschmissen, oder? Hat er nicht bewiesen, dass er Vater sein kann?“

Francis ließ ihn weitersprechen.

„Ich wünsche mir eine größere Familie, ja, aber nicht, wenn ich 50 oder 60 Jahre alt bin und mich die Kids Opa nennen. Gero ist reif dafür und ich muss den richtigen Zeitpunkt abpassen, bevor der Zug abgefahren ist.“

„Und der richtige Zeitpunkt ist jetzt?“

Neal deutete ein Nicken an. „Unser Neustart könnte nicht passender beginnen.“

„Dann solltest du besser mit ihm reden, als mit mir. Ich denke, er wird viele Fragen haben.“

„Das mach ich, danke.“ Neal hauchte einen Kuss auf ihre Stirn. Ein Gefühl, das sie genoss. Als Neal ins Innere des Hauses verschwand, blieb eine Leere zurück. War es richtig gewesen, seinen Plan abzulehnen? Waren sie nicht hierhergezogen, um das Familienleben endgültig zu genießen? Zusammen? Natürlich war ihre Dreierkonstellation außergewöhnlich und die beiden Kinder Nicholas und Rayon, die aus der inzestuösen Liebe hervorgegangen waren, konnte man nicht als wirkliche Wunschkinder bezeichnen. Bot sich ihnen nicht jetzt die Möglichkeit, alles anders zu machen? Gemeinsam? Wie eine Familie?

 

Gero saß auf dem Bett. Im Zimmer brannte kein Licht. Nur der Mond gab etwas von seiner Helligkeit ab und umrandete Geros Silhouette. Sein Kopf und seine Schultern waren geneigt. Neal erkannte sofort, in welcher Gemütslage sich sein Freund befand.

Als Gero bemerkte, dass er nicht mehr allein war, schnellte er auf die Beine und drehte sich um. „Oh, Neal, du musst unheimlich enttäuscht von mir sein.“

„Enttäuscht?“ Neal kam näher. Er legte seine Hand auf Geros Oberarm. „Wieso sollte ich das sein?“

Sein Partner sah wieder zu Boden. Der Wortwechsel fiel ihm nicht leicht. Vielleicht war es hilfreich, dass kein Licht ihre angespannten Gesichter preisgab.

„Ich weiß wirklich nicht, ob ich das kann, mit einer fremden Frau. Aber wenn du es willst, dann …“

„Oh no!“ Neal unterbrach die Konversation. Er drückte Gero auf die Schultern, sodass er sich zurück auf das Bett setzte. „Was ich will, ist nicht von Bedeutung.“

Er nahm neben Gero Platz. „Ich habe euch lange genug Dinge zugemutet, die nicht eurem Willen entsprachen. Ich war egoistisch und habe euch verletzt.“ Er schüttelte den Kopf. Ungern sprach er über die vergangene Zeit. Unter dem Drogeneinfluss war er ein anderer Mensch gewesen, ein Schatten seiner selbst. Er hatte nicht nur sein Leben zerstört, sondern auch das der Menschen, die er liebte.

„Ihr seid das Wichtigste in meinem Leben“, sprach er weiter. Um seine Gefühle zu verdeutlichen, legte er einen Arm um Gero. „Ich werde weder Francis zu etwas zwingen, noch dich.“ Er zog seinen Freund zu sich heran und küsste dessen Wange. „Die Zeit wird eine Entscheidung bringen. Wenn es so sein soll, dass wir ein Kind zusammen haben, wird sich eine Lösung finden.“

Gero erwiderte die Umarmung. Eine lange Zeit saßen sie noch dort, ohne das Thema weiter zu vertiefen.

 

Am nächsten Morgen war es ruhig am Frühstückstisch. Eine eigenartige Stimmung lag in der Luft, als würde jeder von ihnen Gedanken mit sich schleppen, die er nicht aussprechen wollte. Erst, als Nicholas sich erhob, seinen Ranzen nahm und verkündete, dass er zum Schulbus musste, stand Gero ebenfalls auf.

„Ich bring dich noch ein Stück, Sportsfreund!“

Er stand auf. Wollte er der bedrückten Atmosphäre entfliehen? Es tat gut, die frische Luft einzuatmen. Die Bushaltestelle war zehn Minuten Fußmarsch vom Haus entfernt. Nicholas war der einzige Schüler, der dort einstieg. Und da sie noch nicht lange in der Gegend wohnten, hatte er nichts dagegen, dass Gero ihn begleitete.

Kurz vor der Haltestelle verabschiedeten sie sich.

„Viel Spaß in der Schule“, wünschte Gero. Er zwinkerte dem Jungen zu.

Nicholas drehte sich noch einmal um. Der Gutshof war von Weitem zu erkennen, auch wenn Bäume und Büsche die Allee dorthin umrahmten.

„Hattet ihr Streit?“, wollte er wissen.

Gero zögerte. Die Frage kam überraschend. Aber vor Kindern konnte man eine außergewöhnliche Stimmung nicht geheim halten. Meistens lachten sie am Morgen oder diskutierten über die Pläne des Tages. Heute war es still gewesen.

„Es gibt allerhand zu regeln, momentan“, fing Gero an. „Gestritten haben wir nicht.“

„Okay.“ Nicholas lächelte. Und dann bog auch schon der Schulbus um die Ecke.

 

Er vermied den Augenkontakt. Seit er aufgestanden war, herrschte ein mulmiges Gefühl in ihm. Obwohl er sich mit Neal ausgesprochen hatte, lag ihm die Angelegenheit im Magen. War es wirklich in Ordnung, dass sie den Wunsch nach weiteren Kindern ruhen lassen wollten? Konnte er Francis ohne schlechtes Gewissen in die Augen sehen, ohne darüber zu grübeln, ob sie mit ihrem Vorschlag zu weit gegangen waren?

Er sammelte seinen Teller und den Becher vom Tisch. „Muss gleich los, zur Uni.“

Es kam leise über seine Lippen und das Geschirr klapperte zwischen seinen Händen.

„Magst du dich noch einmal setzen“, sagte Francis. „Ich möchte etwas mit euch besprechen.“

Er hielt inne und sank dann auf den Stuhl nieder. Irgendwie hatte er geahnt, dass das Thema noch nicht vom Tisch war.

Neal leerte seine Tasse, stellte sie ab und lehnte sich zurück. „Was gibt’s?“

Auch er war ernster als sonst. Er schob seinen Teller beiseite und ergriff die Schachtel Zigaretten. Da der kleine Rayon am Tisch saß, entzündete er keine.

„Euer Anliegen, gestern, hat mir keine Ruhe gelassen“, erwiderte Francis. „Ehrlich gesagt habe ich kein Auge zu getan.“

Sie strich eine Strähne ihres langen Haares zurück. Gero hatte sie selten so verlegen gesehen. Neal beugte sich vor und ergriff ihre Hand. „Was ist los, Liebes?“

„Ich habe noch einmal über alles nachgedacht“, fuhr sie fort. „Nicholas entwickelt sich prima. Er kümmert sich um Rayon, wann immer es geht. Er ist alt genug, um die Umstände zu begreifen, in denen wir leben. Rayon werde ich weiterhin mit in die Kita der Firma nehmen und arbeiten gehen …“

„Niemand hindert dich daran, deinem Job nachzugehen“, entgegnete Neal. Er drückte ihre Hand und zwinkerte ihr zu. Trotzdem war sein Blick fragend, als ahnte er nicht, was seine Schwester ihm zu sagen hatte.

„Um es auf den Punkt zu bringen: Ich kann es mir partout nicht vorstellen, dass Gero eine ihm fremde Frau schwängern soll, noch habe ich Lust, mich mit dieser Frau auseinanderzusetzen, geschweige denn, sie oder ihr Kind in diesem Haus zu wissen.“

Neals Mund öffnete sich einen Spalt. Er schluckte hörbar.

„Soll das etwa heißen, dass du …“ Francis nickte. „Es ist unser Haus, es sind unsere Kinder. Wir sind hier hergezogen, um eine Familie zu sein. – Auch wenn es eine neue Herausforderung wird: Ich werde euch das Kind schenken, das ihr euch wünscht.“

„Oh, my god.“ Neal stand auf. Er zog seine Schwester dicht an sich heran. „Ich danke dir, Liebes. Ich danke dir, so sehr … Du wirst es nicht bereuen, das verspreche ich dir.“

Er drückte sie fest an sich und schloss die Augen. Francis erwiderte die Umarmung. Dennoch schenkte sie Gero die nötige Aufmerksamkeit. Der Freund von Neal war ebenfalls aufgestanden. Aber er äußerte sich nicht. Mit großen Augen verfolgte er, wie sich die Geschwister in den Armen lagen.

Francis drückte ihren Bruder von sich. „Vielleicht sollten wir erst einmal Gero fragen, ob er mit der Entscheidung einverstanden ist.“

Neal sah sich um. „Ja, ja, natürlich!“ Er war merklich durch den Wind. „Und, Kleiner, was sagst du?“ Neal umkreiste den Esstisch, bis er neben seinem Partner angelangt war.

„Ist es nicht das, was wir wollten?“

„Ich bin überrascht“, begann Gero. Seine Stimme vibrierte angespannt. Er hatte die Hände vor dem Bauch gefaltet, wie so oft, machte er einen unentschlossenen Eindruck. „Aber, wenn es für dich wirklich okay ist, dass wir beide …“

Er kam nicht dazu, seine Gefühle detailliert zu äußern.

„Großartig!“, fuhr Neal ihm ins Wort. „Dann wollen wir mal.“ Er nahm den Kalender, der in der Küche hing, von der Wand, als hätte er diesen Schritt schon mehrfach in seinem Kopf durchgespielt. Er bediente sich an Rayons Malutensilien, die auf dem Küchentisch lagen, und missachtete das erstaunte Gesicht des kleinen Jungen. Dann setzte er sich wieder. Mit einem Rotstift markierte er den Montag vergangener Woche.

„Hier hattest du das letzte Mal deine Tage?“ Er sah Francis prüfend an, und die nickte.

Neal begann, die folgenden Tage abzuzählen, bis er am Datum des morgigen Tages stehen blieb. „Deine fruchtbaren Tage beginnen demzufolge morgen.“ Er kennzeichnete das Datum mit grüner Farbe. Er grinste.

„Dann könnt ihr quasi sofort loslegen. Am besten schon heute Abend.“

Erwartungsvoll sah er seine Lieben an. Francis sagte nichts, nur ein Schmunzeln lag auf ihrem Gesicht. Gero wiederum war mehr als verblüfft. Neugierig betrachtete er den Kalender.

„Bist du dir sicher?“

„Klar!“ Neal war abermals mit dem Zählen beschäftigt. Auch für die folgenden Wochen markierte er die entscheidenden Tage.

„Ich kenne Francis’ biologische Uhr.“

Seine Schwester lachte. Offensichtlich stimmte diese Behauptung.

Gero blieben Zweifel. „Auch wenn sie die Pille absetzt, muss sich ihr Zyklus erst einmal einpendeln. Wir sollten noch etwas warten.“

„Da spricht der Mediziner in dir, was?“ Neal hatte drei Monate durchgezählt und hörte auf. „Das reicht sicherlich.“ Wieder sah er Gero an, als wollte er ihm einen Tipp geben.

„Wir gehen erst einmal nach dem Kalender. Denk immer daran, dass Nicholas und Rayon keine Wunschkinder waren. Es war quasi jedes Mal ein Unfall. Wenn ihr euch jetzt Mühe gebt, wird es sicher schnell zu einer neuen Schwangerschaft kommen.“

Gero konnte nicht von dem Kalender aufsehen. Es war, als würde ihm gerade eine Mission ans Herz gelegt, eine Aufgabe, bei der er auf keinen Fall versagen durfte. „Komisch wird es trotzdem werden.“ Er lächelte Francis an, sie zwinkerte ihm zu. Neal hängte derweil den Kalender wieder gut sichtbar auf.

„Das wird schon klappen“, sagte er, als er vor Francis und seinen Freund trat. Unmissverständlich fügte er hinzu: „Keine Pille, keine Kondome.“ Er machte eine kurze Pause, in der er Gero eindringlich ansah. „Jede sexuelle Handlung mit mir ist untersagt.“

„Mit dir? Wieso mit dir?“, schrie Gero entsetzt. „Was hat das mit dir zu tun?“

„Ich ziehe mich für diese Zeit zurück, ist doch klar. Du sollst dich körperlich auf Francis konzentrieren und sie sich auf dich. Ich lenke nur ab.“

„Das ist doch Quatsch!“

Neal schüttelte den Kopf. „Ich werde weder mit dir schlafen, noch mit Francis, das versteht sich von selbst.“ Erneut musste er grinsen, als er seinen Freund musterte. „Dein Sperma soll da landen, wo es gebraucht wird, und nirgendwo anders.“

Gero konnte nicht mitlachen. Die Tatsache, dass er für Wochen, gar Monate … quasi bis Francis schwanger wurde, auf seinen Freund verzichten musste, war keine erfreuliche Nachricht.

 

Gero hatte die Pferde gefüttert. Wehmütig betrachtete er sein eigenes Pferd, auf dem er nach wie vor nicht ausgeritten war. Ob er in naher Zukunft dazu kommen würde, war fraglich, dabei sehnte er sich danach. Ein Ausritt im Grünen war wie die Flucht vor Pflichten, vor auferlegten Taten. Wenn er mit Neal ausritt, dann gab es nur sie, die Pferde, die Natur – und ihre Liebe. Als er daran dachte, wie schön Neal aussah, wenn er mit wehendem Haar durch die Landschaften galoppierte, zog sich sein Magen schmerzlich zusammen.

Ein Geräusch unterbrach seine Betrachtung und er drehte sich um.

„Na, Kleiner, alles klar?“ Neal hatte den Stall betreten. Er musterte die Pferde, nickte zufrieden, dann blieb er vor Gero stehen.

„Ich denke gerade daran, dass es schwer werden wird, auf dich zu verzichten.“

„Wie meinst du das?“

Gero wand sich. Musste er das wirklich erklären? „Wenn ich die nächste Zeit nur noch mit Francis verkehren muss.“

„Verkehren?“ Neal lachte beherzt. „Du sollst ihr ein Kind machen; gibt es etwas Schöneres?“

Geros Haupt neigt sich nach unten. „Hey.“ Neal fasste unter sein Kinn, sie sahen sich an. „Es wird doch nichts Neues sein, wenn du mit ihr schläfst, oder?“

Gero schüttelte den Kopf, obwohl er von der Feststellung nicht vollständig überzeugt war. Er hatte mit Francis geschlafen, damals, als Neal für Monate in London gewesen war. Nach dessen Rückkehr hat er festgestellt, dass ihm ihre Nähe guttat, besonders dann, wenn er sich unsicher fühlte. Er war über seinen Schatten gesprungen, hatte mit ihr und Neal das ein oder andere Liebesspiel zu dritt genossen, ohne sich viele Gedanken darüber zu machen, was er tat. Nun war es anders.

„Wichtig ist, dass du den richtigen Moment abpasst, wenn du abspritzt.“ Neal lachte. „Du musst dir nicht einmal Mühe geben mit der Position. In der Missionarsstellung haben die Spermien den kürzesten Weg zum Ziel.“ Neal zwinkerte ihm zu. „Und ein Orgasmus bei der Frau soll angeblich auch von Vorteil sein.“

Gero schwieg. Unbehagen ereilte ihn. Wie konnte sein Partner so freimütig darüber reden?

„Sie hat doch einen Orgasmus, wenn du mit ihr schläfst, oder?“

Gero schloss die Augen. Am liebsten wäre er dem Dialog ausgewichen. „Ich weiß es nicht genau“, erwiderte er leise.

„Dann musst du sie fragen.“

Gero sah erschrocken auf. „Neal, bitte!“

„Okay!“ Neal hob die Hände etwas an. Das Lachen in seinem Gesicht verschwand. „Ich hatte gedacht, du wüsstest inzwischen Bescheid … Ich habe dir so viel beigebracht.“

„Aber nicht, wie man mit Frauen schläft“, konterte Gero. Unterschwellige Wut baute sich in ihm auf. Sein Freund verlangte viel. Vielleicht zu viel?

„Ich dachte, Francis hatte dir damals …“

„Nur das Nötigste … irgendwie …“ Gero drehte sich den Boxen zu. Er betrachtete die Pferde und fühlte sich mies.

„Du studierst Medizin …“

„Aber ich bin kein Gynäkologe!“, schoss es aus ihm heraus.

„Puh!“ Neal strich sich über die Stirn. „Lass uns nicht streiten.“ Ein paar Sekunden schwiegen sie. Schließlich sprang Gero über seinen Schatten. Es nützte nichts. Er konnte sich der Angelegenheit nicht entziehen. Er wollte nicht versagen.

„Was muss ich wissen, wenn ich es richtig machen möchte?“

„Du hast doch gesehen, wie ich mit ihr geschlafen habe, oder?“

Gero nickte.

Neal lächelte verschmitzt. „Sie ist kein Mauerblümchen“, sagte er, „auch wenn es nicht so aussieht, sie mag es wild und fest.“ Gemeinsam blickten sie in eine Pferdebox und es war, als würde Neal seinem Partner eine Anleitung geben. „Sei zärtlich zu ihr, verwöhne sie mit deiner Zunge, mit deinen Händen, bis sie es nicht mehr aushält, dann nimmst du sie, schnell und tief.“ Neal hob die Augenbrauen an. „Musste ich auch erst herausfinden, aber es klappt am besten, wenn du den eigentlichen Akt ausdauernd und impulsiv vollziehst. Das Drumherum kannst du dann meist vernachlässigen.“

Gero seufzte. Unsicherheit war in sein Gesicht geschrieben. „Ich weiß nicht, ob ich das kann.“

 

Wie so oft, saßen sie am Abend gemeinsam vor dem Fernseher. Meist lag Francis mit hochgelegten Füßen auf der Couch. Von allen war sie diejenige, die den längsten Arbeitstag hatte. Sie verließ morgens das Haus, nahm Rayon mit, der in der Kinderbetreuung der Firma unterkam, und arbeitete bis in den Nachmittag hinein. Oftmals, wenn im Frühjahr und Herbst die neuen Anderson-Kreationen auf den Markt kamen, und einige Modenschauen auf dem Plan standen, arbeitete sie bis abends. Dann holte Gero den kleinen Ray aus der Kita ab. Im neuen Haus hatte Francis ein Büro. Nicht selten kam es vor, dass sie dort auch am Wochenende wirkte. Telefonisch war sie für die Firma jederzeit erreichbar.

Gero war Student. An vier Tagen in der Woche besuchte er vormittags die Universität. Einen Tag in der Woche jobbte er im Krankenhaus. Zwischendurch gab es auch Wochen, in denen er vollständig auf einer Station seine Famulaturen absolvierte. Im nächsten Jahr plante er, das praktische Jahr anzutreten. Wann immer sich die Möglichkeit ergab, nahm er an wissenschaftlichen Arbeiten teil.

Neal hatte beruflich am wenigsten um die Ohren. Seitdem der Drogenmissbrauch ihn in die Knie gezwungen hatte, ging er der Presse und der Öffentlichkeit gezielt aus dem Weg.

In der Zeit des Entzugs, die Monate angedauert hatte, mied er ebenfalls den Kontakt zur Außenwelt. Konzerte und Interviews lehnte er vehement ab. Es stand in den Sternen, ob seine Band The Drowners in Zukunft wieder aktiv wirken würde.

Seine Bandmitglieder gingen vorübergehend eigenen Projekten nach. Auch Neal liebäugelte damit, einen Solopfad einzuschlagen. Erst in den letzten Wochen, in denen er auch keine Ersatzdrogen mehr einnehmen musste und die ärztlichen Untersuchungen weniger wurden, hatte er angefangen, neue Songs zu schreiben.

Doch nach wie vor verbrachte er die meiste Zeit zu Hause in seiner gewohnten Umgebung. Das Zusammenleben mit Gero, Francis und den Kindern wurde großgeschrieben.

„Morgen muss ich früh raus, den Verkauf der Villa regeln“, verkündete Neal. Er erhob sich vom Sofa, obwohl der Krimi im Fernsehen noch nicht zu Ende war. „Ich werde mich schon aufs Ohr legen.“

Als wäre es nichts Besonderes, dass er als Erster die Runde verließ, gab er Gero einen Kuss. Auch Francis liebkoste er, wie jeden Abend, wenn sich ihre Wege trennten.

Seitdem sie das neue Haus bewohnten, hatten Gero und Neal in ihrem Schlafzimmer genächtigt. Francis’ Zimmer lag nebenan. Durch eine Schiebetür bestand eine Verbindung zwischen den Räumen.

Die war Neal wichtig gewesen. Er wollte Francis nicht ausschließen. Jedem sollte die Option offen stehen, das Schlafzimmer des anderen betreten zu können.

An diesem Abend folgte Gero nicht. Er sah sich den Krimi zu Ende an, obwohl seine Gedanken woanders waren.

Als der Abspann lief, atmete er tief durch.

„So, wie es aussieht, geht Neal davon aus, dass ich heute mit zu dir komme.“

Francis nickte. „Wenn du es nicht machst, wird er unzufrieden sein.“

Sie schaltete den Fernseher aus.

„Tja!“ Gero legte die Hände auf seine Oberschenkel. „Je eher wir damit anfangen, desto eher wird sich hoffentlich ein Erfolg andeuten.“

Francis lachte. „Das hört sich so an, als ob man dich zu deinem Glück zwingen muss.“

Sie tätschelte seine Wange. „Bleib entspannt. Wir kriegen das schon hin.“

 

Sie hatte noch einmal nach den Jungs gesehen, die friedlich in den Kinderzimmern schliefen. Danach war sie im Bad verschwunden, das an ihr Zimmer angrenzte.

Neals und Geros Badezimmer lag gegenüber. War es gewollt, dass Gero mehr Zeit als sonst darin verbrachte? Er putzte sich die Zähne gründlich, benutzte danach Mund- und Rasierwasser, was er abends selten tat. Er zog sich bis auf die Shorts aus und musterte sich im Spiegel. Seitdem er Neal kannte, hatte er sich weiterentwickelt. Aus dem schüchternen Studenten im zweiten Semester, der am liebsten die gestrickten Pullunder der Mutter trug und in der Öffentlichkeit die Schultern hängen ließ, war ein begehrenswerter Mann geworden, der auf dem besten Weg war, Arzt zu werden. Er hatte sein Outing hinter sich gebracht und seine Unschuld verloren. Er war nicht mehr der gefügige Partner, der beim Sex immer unten lag. Durch seine Beziehung zu Neal war er erwachsen geworden und um viele Erfahrungen reicher. Inzwischen traute er sich, den Mund aufzumachen, auch wenn es ihm manchmal schwerfiel. Von Natur aus war er sensibel und ruhig. Diese Eigenschaften wollte er sich bewahren.

Nachdenklich strich er sich über den nackten Bauch. Er fuhr jetzt weniger Rad, sondern vermehrt Auto. Das Defizit glich er mit Besuchen im Fitnessstudio aus. Das hatte zur Folge, dass sein schmächtiger Körper an vielen Stellen Muskeln aufbaute. Nicht zu viel, dennoch dezent. Er achtete auf gesunde Ernährung und war ohnehin in allen Lebenslagen diszipliniert.

Mit einer Hand fuhr er sich durch das dunkelblonde Haar. Vielleicht war er kein Schönling, auch wenn Neal dem sicher widersprochen hätte, doch er war attraktiv, vielleicht sexy. Er erinnerte sich an die Modenschau, an der er einst teilgenommen hatte. Die Reporter hatten sich um ihn geschart.

Er war Anfang zwanzig. Die biologische Uhr stand auf seiner Seite. Es war das beste Alter, um ein Kind zu zeugen, oder nicht?

Nachdenklich musterte er sich von allen Seiten. Diese Hürde würde er schaffen, nicht wahr? Er musste sie schaffen, wollte er Neal nicht enttäuschen.

 

Seine angeborene Scheu nahm überhand. Die gute Erziehung, die er genossen hatte, tat ihr Übriges. Er zog sich wieder an.

Vorsichtig klopfte er an Francis’ Tür. „Darf ich reinkommen?“

Er vermied es, die Zwischentür zu nutzen. Neal war offensichtlich zu Bett gegangen. Und so stand er vor der Zimmertür, die vom Flur abging und bat um Einlass. Er hörte Francis dahinter kichern. „Natürlich!“ Er trat ein.

„Du brauchst doch nicht anklopfen, was soll das denn?“

„Na ja, ich dachte … ich wusste ja nicht, ob du …“ Er gestikulierte mit den Händen und fand nicht die richtigen Worte. Meine Güte, hatte er nicht eben noch gedacht, dass er ein Mann mit gefestigtem Charakter sei? Musste er hier stehen und offenkundig präsentieren, wie verunsichert er war?

„Du tust ja geradezu so, als hätten wir noch nie miteinander geschlafen.“

Francis nahm die Angelegenheit lockerer. Wie schön sie aussah in dem schwarzen Negligé, das an den Enden mit Spitze abgesetzt war und ihr nur bis zu den Oberschenkeln reichte. Sie klappte die Bettdecke zurück, setzte sich auf die Matratze und klopfte neben sich. „Nun komm, sei kein Frosch.“

Frosch? Dieser Vergleich zeigte Wirkung. Mit wenigen Griffen hatte er sich des T-Shirts entledigt und die Hose von den Hüften gestrichen. Sie sah ihm zu und ihr Lächeln schwand nicht.

Ein Frosch wollte er nicht für sie sein, schon eher ein Prinz.

Unbedingt wollte er sein Selbstbewusstsein zurückerlangen. Vor ihren erwartungsvollen Augen, schob er die Shorts über seine Hüften. Nackt glitt er ins Bett, in ihre Arme.

Wortlos presste er seine Lippen auf ihren Mund, auf denen der Rest eines roten Lippenstiftes lag. Er schloss die Augen, startete einen stürmischen Kuss und drückte sie gegen die Matratze.

„Hey, hey, nicht so schnell …“

Er unterbrach sein Handeln. „Tut mir leid, ich …“ Er rollte sich auf den Rücken und starrte an die Wand. Das konnte nur ein Fiasko werden. Wenn er schon in der Aufwärmphase alles verkehrt machte.

„Diese Situation ist unwirklich. Ich muss immer daran denken, warum wir jetzt hier sind.“

„Das ist doch nicht schlimm.“ Francis schmiegte sich an seinen Körper. „Oder denkst du nur daran, was Neal von dir verlangt?“

Er antwortete nicht.

„Davon musst du dich freimachen. Unter Druck wird es nicht klappen.“

Wie recht sie hatte. Und ihr konnte er vertrauen.

Nochmals gab er sich einen Ruck. Er schlang die Arme um ihren Körper, diesmal sanft. Seine Hand glitt unter ihr Negligé. Während er ein zärtliches Zungenspiel startete, ließ er seine Finger unter ihr Höschen gleiten. Ihr entwich ein leidenschaftliches Stöhnen, als er zwischen ihre Schenkel fasste. Doch irgendwie war jeder Griff wie ferngesteuert, wie eine Anleitung, die er geistig durchlief und körperlich umsetzte.

Er war erleichtert, als sich die notwendige Erektion einstellte, sodass er die körperliche Vereinigung nicht hinauszögerte. Mit sanften Stößen vollzog er den Akt. Er klammerte sich an sie, rieb sich an ihr. Die Augen hielt er geschlossen, als hätte er Angst, ihr Anblick könnte alles zerstören. Er dachte weder an Neal, noch daran, dass er mit einer Frau schlief. Lediglich der Wille, die Klimax zu erreichen, stachelte ihn an. Ihr Sex war nicht liebevoll, eher mechanisch. Da der Druck in ihm wuchs, gestattete er sich, das Tempo anzuziehen. Über seine Lippen drang erst ein erlösender Laut, als er ejakulierte.

Erschöpft blieb er auf ihr liegen. Das Ziel hatte er erreicht, entspannt fühlte er sich nicht.

Ob die Zusammenkunft für sie lustvoll gewesen war, konnte er nicht einschätzen. Er hatte alles um sich herum ausgeblendet. War es schlechtes Gewissen, das an ihm nagte?

Er spürte ihre Hand in seinem Haar. Sie streichelte seinen Hinterkopf und seinen Rücken. Eine Geste, die ihn beruhigte.

„Dir ist bewusst, dass wir es nicht bei diesem einen Mal belassen können?“

„Natürlich!“ Er sah auf. Erkannte er Mitleid in ihren Augen? Sie tätschelte seine Wange.

„Routine wird sich einstellen.“

„Ja.“ Er lachte verlegen. „Das hoffe ich.“

Länger konnte er dem Blick nicht standhalten. Er überlegte, was er sagen könnte, doch sinnvolle Worte fielen ihm nicht ein. Es war spät. Was erledigt werden musste, war vollbracht. „Ich werde rübergehen.“

„Okay.“ Da sie ihn nicht daran hinderte, stand er auf. Lange nicht mehr hatte er sich ihr gegenüber beschämt gefühlt. Er stieg in seine Shorts, lächelte sie an und verschwand durch die Schiebetür ins Nebenzimmer.

Neal lag auf der Seite im Bett und schlief. Gero rückte an ihn heran und drückte sich an seinen Körper. Die Anspannung fiel von ihm ab, kaum spürte er die Wärme und Nähe seines Partners. Er nahm sich vor, den Akt mit Francis in Zukunft gelassener zu vollziehen. Er wollte ihn besser machen. Vielleicht würde das zwiespältige Gefühl dann schwinden.

 

Wie angekündigt hielt sich Neal zurück. Nur morgens, wenn sie beim Frühstück saßen, zwinkerte er seinem Freund zu, als hätte er genau mitverfolgt, was er mit Francis am späten Abend im Bett getrieben hatte. Dabei gab sich Gero beim Akt stets Mühe, die Lautstärke zu drosseln. Die Routine, von der Francis gesprochen hatte, stellte sich tatsächlich ein. Doch die zeigte sich darin, dass sie jeden Abend nach dem Spätfilm in Francis’ Zimmer gingen, sich auszogen und miteinander schliefen, als wäre es ihnen auferlegt worden.

 

Gero glitt von ihrem Körper herunter, landete neben ihr auf der Matratze und starrte ins Leere. Eine Woche war vergangen. Jeden Tag war es schwieriger gewesen, die geforderte Erektion zu erlangen. Gero strengte sich an, um sie nicht zu enttäuschen, doch die Angst, zu versagen, war allgegenwärtig. Mit Neal wollte er nicht darüber reden. Auch ihn wollte er nicht enttäuschen.

Jeden Morgen erwähnte Neal die alkoholfreie Flasche Sekt, die er kalt gestellt hatte und die er sofort öffnen wollte, sobald sich Nachwuchs ankündigte.

Gero hielt seinen Kopf abgewandt. Was würde passieren, wenn sich rein gar nichts einstellen würde? Würde es ewig so weitergehen? Das konnte er unmöglich durchhalten.

„So schlimm?“, fragte Francis. Sie rückte an ihn heran und umarmte ihn.

„Nein.“ Er lächelte verkrampft. „Ich möchte nur, dass es klappt.“

„Das wird es“, sagte sie zuversichtlich.

„Mhm.“ Wollte er ihr seine Zweifel anvertrauen? Wie gewohnt zog er sich an. „Schlaf gut.“ Er hauchte einen Kuss auf ihre Wange, bevor er in das benachbarte Schlafzimmer verschwand. Dort legte er sich neben Neal. Gero hätte Zuspruch gebraucht, von seinem Partner, der ihm alles bedeutete. Doch ihm kam es so vor, als würde Neal seine Bedenken gar nicht erkennen.

 

Die gefürchtete Nachricht kam mit der Post. Neal hätte den Brief am liebsten zerrissen, doch stattdessen öffnete er ihn sofort. Das Schreiben präsentierte ihm den Tag der Gerichtsverhandlung. Vor einigen Monaten war er wegen Inzest angeklagt worden. Sein langjähriger Bekannter Carsten, ein erfolgreicher Anwalt, verteidigte ihn. Nach wie vor glaubte Neal, dass seine Strafe milde ausfallen würde. Francis war seine Halbschwester und ihre Kinder waren weitgehend gesund. Nur bei Rayon hatte sich eine leichte Hörschwäche bestätigt, doch die konnte auch anderer Ursache sein. Neal war eine Person des öffentlichen Lebens und er erhoffte sich dadurch Vorteile. Vor Gericht würde er seine Homosexualität erwähnen und die Beziehung zu Gero Steinert. Er hatte sich dazu durchgerungen, die noch immer bestehende Bindung zu Francis, zu leugnen. Auch Carsten hatte ihm geraten, Einsicht zu zeigen.

Neal ließ das Schreiben in der Hosentasche verschwinden. Er wollte seinen Lieben erst davon berichten, wenn das Urteil gefällt war. Alles andere würde Unruhe in ihr Leben bringen.

 

Gero stand in der Küche vor dem Kalender. Immer hatte er die bunten Farben vor Augen. Vor allem die grüne Farbe, mit der die fruchtbaren Tage gekennzeichnet waren.

Nur noch heute … sagte er sich, dann war der erste Marathon vorbei.

Er war so in Gedanken, dass er gar nicht bemerkte, wie Neal hinter ihn trat und den Kalender ebenfalls fixierte. „Bald ist es so weit“, sagte der. „Vielleicht wissen wir in zwei Wochen schon Bescheid. Dann köpfen wir die Flasche Sekt.“

Er umarmte Gero von hinten und drückte ihm einen Kuss auf den Nacken. Gero erschauderte. Er vermisste Neal. Und das Gefühl, von ihm getrennt zu sein, obwohl sie zusammen wohnten und sich liebten, wurde von Tag zu Tag schlimmer. Er mochte seine Befürchtung kaum aussprechen. „Und wenn es nicht geklappt hat?“

Neal lachte leise. „Das wird geklappt haben. Du bist jung und potent. Deine Spermien liefern sich sicher eine unerbittliche Schlacht …“ Jetzt lachte er mutiger, doch Gero konnte nicht mitlachen. Am liebsten hätte er gestanden, dass ihn die Situation eher stresste, als erheiterte. Immer, wenn er auf Francis’ nackten Körper glitt und in sie eindrang, hatte er das Gefühl, eine Maschine zu sein. Mit Leidenschaft hatte das nichts zu tun. Hatte er sich das Zeugen eines Kindes nicht romantischer vorgestellt?