Thors Valhall - Justin C. Skylark - E-Book

Thors Valhall E-Book

Justin C. Skylark

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Beschreibung

Die Story um Dylan Perk und Thor Fahlstrøm geht weiter … Ihre Bands RACE und Wooden Dark finden sich in London zusammen, um ein gemeinsames Album auf die Beine zu stellen. Wie erwartet geht das nicht ohne Probleme vonstatten. Dylans Alkoholsucht gerät immer wieder in den Fokus; ein gefundenes Fressen für die Presse und ein enormes Geduldspiel für Thor. Wie lange toleriert er die leichtsinnigen Exzesse von Dylan? Ist dem völlig aus der Bahn geratenen Sänger überhaupt noch zu helfen? Welches Geheimnis hat Tony jahrelang für sich behalten, und was hat der tote Magnus plötzlich noch zu melden?

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Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18

 

 

 

 

Thors Valhall

 

Dylan & Thor Band 2

 

Roman von Justin C. Skylark

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

© Justin C. Skylark, 2011

Kätnersredder 6 b

24232 Schönkirchen

http://www.jcskylark.de

 

Coverfoto by fotolia.com

@victor.pravdica

 

2. ebook-Version 2018/23

Independent publishing

 

Print-Ausgabe@dead soft Verlag

 

I know the worst things I’ve done enter you …[Fußnote 1]

Kapitel 1

Ihr Wiedersehen verlief anders, als angenommen, doch wenn man es mit Thor Fahlstrøm zu tun hatte, musste man mit einer Enttäuschung rechnen.

Zum wiederholten Mal sah er auf die offene Tür des Tonstudios, durch die Tony trat und bekannt gab:

„Ich habe sie endlich erreicht. Aufgrund des Nebels über London konnten sie nicht zeitig landen. Sie werden ohne Umweg vom Flughafen hierher kommen.“

Unbemerkt atmete Dylan auf. Bis zuletzt hatte er gedacht, ihr Abkommen würde platzen. Es war ja auch eine absurde Idee, zusammen ein Album aufzunehmen. Dark Electro mit Black Metal zu kombinieren war in jeder Hinsicht eine Herausforderung.

Doch er wollte sich der gern stellen. Es konnte nie schaden, den musikalischen Horizont auszuweiten, zudem warteten die Fans regelrecht auf ein Lebenszeichen der Bands. Nach den erfolgreichen Auftritten, die seine Band RACE und Wooden Dark während des „Black Festivals“ absolviert hatten, mussten sie den Anhängern danken. Warum nicht mit einer gemeinsamen CD?

„Ich geh eine rauchen“, verkündete Dylan kaum hörbar. Tony, der Kurznachrichten in sein Handy tippte, nickte.

Es war spät geworden, die Gänge des Gebäudes leer, sodass Dylan unbemerkt in die Seitentasche seiner Bondagehose greifen und die kleine Flasche herausziehen konnte. Mit gierigen Schlucken beruhigte er sein Gemüt. Wollte er sich Mut antrinken?

Vier Monate waren vergangen, seitdem sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Anders als Tony, sein Manager, und Erik, der Bassist von Wooden Dark, hatten er und Thor nur den virtuellen Kontakt gehalten – durch Anrufe oder Short Messages.

Die kalte und besinnliche Jahreszeit hatten sie getrennt voneinander verbracht. Bewusst hatten sie sich dafür entschieden, die Aufnahmen erst nach dem Jahreswechsel zu beginnen. Nun war der Frühling im Anmarsch, und mehrere Monate Arbeit lagen vor ihnen.

 

Eine lange Zeit stand er am Fenster, starrte hinaus auf die Einfahrt, bis Tony ihm Gesellschaft leistete, einen prüfenden Blick nach draußen warf und aufgeregt verkündete: „Sie kommen! Ich sehe das Taxi!“

Erfreut schlug er Dylan auf die Schulter und machte sich auf den Weg, um die Band Wooden Dark persönlich zu begrüßen.

Aus dem Großraumtaxi stiegen 4 Leute: die Gastmusiker Ron und Fynn, die Drums und Gitarre bedienten, Thor, der Sänger, und zu guter Letzt Erik, der Bassist.

Jeder von ihnen trug einen Koffer bei sich und zudem hatten sie ihre Instrumente dabei.

Dylan beobachtete, wie sie alles mithilfe des Taxifahrers ausluden und Tony sich zu ihnen gesellte. Ungehemmt umarmte der den schmalen Erik, sodass Dylan seinen neidischen Blick abwandte.

Das nervöse Gefühl in ihm hatte zugenommen, nachdem das Taxi vorgefahren war. Er verspürte eine noch größere Aufregung, als die Schritte vom Treppenhaus zu ihm drangen, die Stimmen signalisierten, dass sie sich gleich gegenüberstehen würden.

Er verharrte regungslos, senkte den Blick und wartete, bis sie nah genug waren, um den Augenkontakt aufzunehmen.

Sie trugen alle schwere Boots, die in der hellhörigen Halle einen polternden Lärm erzeugten. Ron und Fynn waren Dylan von den Festivals bekannt. Er nickte ihnen zur Begrüßung lediglich zu.

„Schön dich wiederzusehen“, erklang Eriks Stimme. Er hatte, wie die anderen, den Koffer im Gang abgestellt. Um eine seiner Schultern hing eine Gitarre. Nicht herzlich, aber sehr vertraut, schloss er Dylan kurz in die Arme.

„Kommt alle rein!“, tönte Tony. Er war aufgeregt, fuchtelte mit den Armen in der Luft herum und wies jeden von ihnen in das Tonstudio ein. „Wir haben frischen Kaffee und Kuchen. Ihr müsst erschöpft sein von der Reise!“

Seine Stimme vermischte sich mit den anderen. Was erwartete Tony von den nächsten Wochen? Dass sie sich bei Cappuccino und Gebäck die Songs aus dem Ärmel schütteln würden?

„Perk?“

Da stand er plötzlich vor ihm, wie immer mit schwarzer Hose, Nietengürtel und Lederjacke bekleidet. Fast lautlos war er als Letzter der Gruppe herangetreten und stierte Dylan in die aufgerissenen Augen.

Er hatte ihn nicht vergessen, wie konnte er auch. Dank Internet und Mobiltelefon waren sie in Kontakt geblieben, vielleicht zu oberflächlich, wie Dylan zu seinem Leidwesen feststellen musste, trotzdem hatte der Bund zwischen ihnen gehalten.

Sie waren Blutsbrüder, die Tattoos an ihren Armen, die gegenseitig ihre Namen zeigten, erinnerten daran, was für eine aufreibende Zeit sie miteinander verlebt hatten.[Fußnote 2]

Ihm allerdings jetzt wieder in die blauen Augen zu sehen war wie ein markerschütternder Schrei. Wie eine verschlossene Wunde, die erneut aufbrach, wie ein in Vergessenheit geratenes Gespenst, das sich schauerlich präsentierte.

Er schenkte ihm zur Begrüßung nur eine kurze Aufmerksamkeit, so schnell, fast ungeschehen, dass Dylan nicht sofort reagieren konnte.

Kaum hatte er aufgesehen, sein lässiges Anlehnen an der Wand durch eine aufrechte Haltung ersetzt und die Lippen zu einem Lächeln geformt, war Thor durch die Tür verschwunden. Anstatt freundlicher Worte kam aus Dylan nur ein Seufzer.

 

Im Tonstudio, zu dem der Aufnahmeraum und diverse Instrumente zählten, gab es eine Küche, einen Aufenthaltsraum und natürlich den geräumigen Vorraum mit dem Mischpult, vor dem sich die Mannschaft versammelte. Aufmerksam folgte sie den Worten von Phil, ihrem Produzenten.

Nach den Forderungen der Plattenfirmen war ein Album mit 10 Songs geplant. Wooden Dark, die einen harten, aber melodischen Black Metal-Sound vertraten und RACE, die in der schwarzen Szene durch ihre dunklen, elektronischen Klänge bekannt geworden waren, sollten ihre erfolgreichen Musikrichtungen vermischen und eine Art elektronischen Metal formen.

Es war geplant, vier existierende Songs der Bands neu aufzunehmen und mit neuen Einflüssen zu mischen. Sechs Songs sollten komplett neu geschrieben werden. Erste Entwürfe lagen vor.

Tony, Manager der Band RACE, präsentierte die vorhandenen Texte von Dylan, die ersten Konzepte, die Clifford, der Keyboarder der Band, angefertigt hatte.

Erik, der für das Songwriting von Wooden Dark verantwortlich war, hatte sich ebenfalls längst Gedanken gemacht.

„Das sieht ja schon recht produktiv aus“, meinte Phil, als er die Entwürfe begutachtet hatte. „Ich schlage vor, wir widmen uns dennoch erst den Remixen. Die Metal Songs werden elektronischer und den Synthie-Songs verpassen wir einen härteren Sound.“

Die Musiker nickten. Es war klar, was von ihnen verlangt wurde.

Dylan schielte in den Aufnahmeraum, in dem, neben Klavier und ein paar Gitarren, auch einige Mikrofonständer standen. Er brauchte nicht nachfragen. Mit Sicherheit stand fest, dass er die Songs im Duett mit Thor vortragen musste. So, wie bei ihrem letzten Konzert in Amerika. Deswegen waren sie hier.

Der kollektive Auftritt mit dem legendären Kuss der beiden Frontmänner hatte die Musikwelt erschüttert, geschockt und nicht weniger fasziniert, sodass es außer Frage stand, diese verruchte Idee auszuschmücken.

Die Fans wollten mehr von ihnen hören. Auch ein gemeinsames Konzert war geplant, bei dem sie das neue Album vorstellen sollten.

„Wie lange haben wir Zeit?“, unterbrach Thors raue Stimme die nachdenkliche Stille.

„Knapp drei Monate“, erwiderte Phil. „Wir müssen uns ranhalten!“

„Das Konzert ist Ende Juli geplant“, fügte Tony hinzu. Er streifte Thors Blick flüchtig. Er stand da, mit den Armen vor dem Bauch verschränkt, und signalisierte seine Abneigung gegen den Sänger von Wooden Dark.

Einzig und allein Dylan schien mit der Zeitspanne zufrieden. Drei Monate – zwölf Wochen – würden sie zusammen verbringen, auf engem Raum, von morgens bis abends, ob erzwungen oder nicht, das war egal.

„Kurze Pause!“, warf Phil ein, dabei stapelte er das gesammelte Material vor sich auf. „Ich sehe die Aufzeichnungen durch und danach besprechen wir den Ablauf der nächsten Tage.“

Sofort setzten angeregte Unterhaltungen ein. Fynn und Ron steuerten die Küche an, wo Getränke und Snacks bereitstanden. Erik gesellte sich zu Tony, Clifford telefonierte mit seinem Handy und Angus, der Gitarrist von RACE, startete ein Gespräch mit Roger, dem Tontechniker.

Die Lage wirkte entspannt. Die Einzigen, die sich kaum rührten, waren Thor und Dylan.

Als Thor sich eine Zigarette ansteckte, drehte sich Tony sofort um.

„Rauchen ist hier verboten!“, fauchte er, als hätte er nur auf die Gelegenheit gewartet, dem Frontmann von Wooden Dark in die Schranken zu weisen. „Bitte, geh auf den Flur oder nach draußen!“

Thor antwortete nicht. Unbekümmert blies er den Rauch in die Mitte des Raumes. Erst dann setzte er sich in Bewegung, allerdings schenkte er Dylan zuvor einen aufmerksamen Augenaufschlag.

Der schüttelte den Kopf. Dass Tony sofort signalisierte, welche Abneigung er gegen Thor verspürte, war überflüssig. Jeder von ihnen wusste das. Musste man schon am ersten Tag die Feuer schüren?

Ohne Worte verschwand Dylan ebenfalls auf den Flur und folgte Thor. Ihr Weg führte sie zu den Herren WCs.

Ein dicker Kloß saß Dylan im Hals. Was sollte er sagen? Dass er Thor folgen sollte, war offensichtlich gewesen. Aber jetzt, wo er dicht hinter ihm stand, und ihm zusah, wie er sich vor dem Urinal erleichterte, kam er sich fehl am Platz vor.

„Ich hoffe, eure Reise war trotz der Verspätung okay?“

Thor antwortete nicht und hatte Dylan den Rücken zugedreht.

„Ich … bin wirklich gespannt, wie die Aufnahmen werden. Das wird ein hartes Stück Arbeit.“

Thor zog den Reißverschluss hoch, doch noch immer sagte er kein Wort, was erneute Verunsicherung in Dylan hervorrief.

„Dir geht es so weit gut, ja?“

Seine Stimme vibrierte. Er wusste, wie leicht Thor zu reizen war. Ihm gegenüber sollte jedes Wort überlegt sein.

Als Thor die Spülung betätigte, sich drehte und sie sich ansahen, verstummte Dylan. Ihm fiel nichts mehr ein. Vielleicht hatte er auch bereits die falschen Worte gewählt?

Thors Stiefel erzeugten auf den Fliesen einen dumpfen Laut, seine Lederjacke knirschte und der Nietengürtel um seine Hüften erlangte Dylans Aufmerksamkeit.

Er liebte diese silbernen Accessoires auf schwarzen Kleidungsstücken. Er trug kaum Kleidung, die nicht mit Schnallen, Ösen und Nieten versehen war.

Allein der Anblick der Metallstücke entfachte in ihm eine wohltuende Wärme.

An diesem Tag trug er ein dünnes Netzhemd und eine Bondagehose, die ähnliche Verzierungen besaß.

Die klimperten sogar, als er zurücktrat, bis er die kühle Wand hinter sich bemerkte. Thor war auf ihn zugetreten, als wollte er ihn in die Enge treiben, als wollte er verhindern, dass sich Dylan aus seiner Reichweite begab.

Er wagte kaum, zu atmen, so nah standen sie sich gegenüber. Wie sehr hatte sich Dylan nach diesem Augenblick gesehnt.

Er wehrte sich nicht, als Thor ihn mit sanfter Gewalt gegen die Wand drückte und sich ihre Lippen ohne Vorwarnung vereinten.

Thors warme Zunge drängte sich in seinen Mund, sein Bart rieb sich an ihm ebenso, wie sein Körper.

Im nächsten Moment legte Thor seine Hände auf Dylans Hüften und drückte ihn auffordernd in den hinteren Bereich des Raumes.

In einer WC-Kabine blieben sie stehen. Thor verriegelte die Tür. Ihre Küsse wurden hemmungsloser und schmerzend.

In Bruchteilen von Sekunden waren ihre Gürtel gelöst, die Hosen zu Boden gesunken.

Dylan drehte sich, beugte sich bereitwillig vor. Ihr unterdrücktes Keuchen drang durch den Raum. Er registrierte Thors Finger, die Speichel um seinen Spalt verteilten und schließlich bemerkte er die erwartete Härte, die zielsicher in ihn eindrang und ein Gefühl der Erlösung erzeugte.

Dylan schloss die Augen. Er war plötzlich entspannt. Die anfänglichen Zweifel waren vergessen.

Er hatte gehofft, dass die intime Beziehung zwischen ihnen wieder entflammen würde, obwohl sie sich lange Zeit nicht gesehen hatten.

Dass Thor so schnell zur Sache kommen würde, damit hatte er nicht gerechnet. Doch es schmeichelte ihm, machte ihn gefügig und ließ ihn alles genießen.

Er hoffte inbrünstig, dass Thor ebenso empfand.

In diesem Moment sprachen alle Indizien dafür.

Ihre Vereinigung dauerte nicht lange, umso schneller und heftiger erfasste sie der Höhepunkt.

Mit tiefen Stößen vollendete Thor den Akt, während seine Hände an Dylans Erektion rieben und er den warmen Saft auffing, der sich in kurzen Intervallen aus Dylan löste.

Als sie sich schwer atmend voneinander trennten und die Kleidung richteten, sprachen sie vorerst nichts. Erst, als Dylan sich ein wenig beruhigt, die Hose geschlossen und das schwarze Haar sortiert hatte, schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht.

„Ehrlich gesagt hatte ich mir unsere Begrüßung anders vorgestellt“, sagte er.

„Willst du dich wieder beschweren, Perk?“

Endlich hatte er geantwortet. Dylans Augen leuchteten noch immer.

„Nein, ich wollte nur sagen …“

Sie registrierten das Klappen einer Tür und Tonys Stimme:

„Bist du hier, Dylan?“

Dylan schluckte hörbar. Ehe er antworten konnte, öffnete Thor die Tür und stolzierte heraus, als hätte er soeben einen großen Fang gemacht.

Dabei war es wohl eher die Schadenfreude, die in sein Gesicht geschrieben war, als er neben Tony stehen blieb, hinter sich deutete und verkündete:

„Dein Liebchen putzt die Klotür. Ihm ist nämlich mächtig einer abgegangen.“

Thors Lachen dröhnte durch den Raum, dann verschwand er nach draußen.

„Sehr witzig!“, tönte Tony hinterher. „Perverses Schwein, könntest dir wenigstens die Hände danach waschen!“

Mit hochrotem Kopf drehte er sich wieder um. Inzwischen war Dylan aus der Kabine getreten. Mittlerweile fühlte er sich gar nicht mehr beflügelt. Warum musste Tony ihn ständig kontrollieren und ihn in diese peinlichen Lagen bringen?

„Was sollte das denn?“, fauchte er, bevor er sich ans Waschbecken begab.

„Das ist wieder typisch!“, keifte Tony. „Hättet ihr nicht bis heute Abend warten können?“ Sein Blick streifte die WC-Kabine, die offen stand. Dylan hatte natürlich nichts geputzt. Stattdessen klebten die Rückstände ihres Vergnügens an der Wand. Toilettenpapier mit feuchten Spuren lag auf dem Boden. „Das ist widerlich!“

„Nun reg dich nicht so auf, okay?“, konterte Dylan. „Du bist doch nur neidisch, weil Erik dich nicht gleich ranlässt.“

„So ein Quatsch!“ Tony fasste sich an den Kopf. Dabei musste er sich eingestehen, dass er den Abend mit Erik innig ersehnte.

 

Nach einer weiteren Stunde im Tonstudio, in der die Ziele der nächsten Tage besprochen wurden, schlossen sie die Runde.

Ohnehin waren sie durch die Verspätung der norwegischen Crew für diesen Tag aus dem Zeitplan gekommen. Zudem wirkten die Mitglieder von Wooden Dark müde und unkonzentriert.

Es war dunkel draußen, als sie die Räumlichkeiten verließen. Nicht einmal die Reporter, die am Nachmittag vor dem Gebäude gestanden und die Ankunft von Wooden Dark bildlich festgehalten hatten, waren anwesend.

Stattdessen hatte ein Großraumtaxi mit getönten Scheiben vor der Tür geparkt, in das Ron und Fynn ihr Gepäck luden.

Als Erik ebenfalls auf das Auto zusteuerte, schritt Tony ein:

„Oh, du und Thor könnt natürlich bei uns wohnen, ist doch klar!“

Er machte Anstalten, seinem Freund den Koffer abzunehmen, doch Erik zog ihn zurück.

„Das ist nett gemeint, aber wir möchten lieber im Hotel wohnen.“ Er schielte zu Thor, der sich einen Kommentar verkniff.

„Wieso das?“ Tony war sichtlich enttäuscht. „Bei uns ist genug Platz. – Ron und Fynn könnten auch noch unterkommen, wenn wir die Gästezimmer herrichten. Kein Problem.“

Erik senkte den Kopf. Ihm war anzusehen, dass er das Angebot gern angenommen hätte.

„Wir nehmen das Hotel“, entschied Thor und ließ keine Diskussion zu. Er verlud das Gepäck und stieg in den Wagen ein.

„Vielleicht ist es besser“, sprach Erik. Er zuckte mit den Schultern. „Wir sehen uns doch tagsüber.“ Ein Lächeln folgte, und er sah auf seine Uhr. „Und wir könnten nachher zusammen essen. – Um 20 Uhr, bei uns? Im Hotel?“

Seine Augen weiteten sich erwartungsvoll, sodass Tony nickte. Erik schien erleichtert.

„Wir wohnen im Marriotts. Du kommst doch auch, Dylan, oder?“

„Mal sehen …“

 

Frustriert sah Tony dem Taxi hinterher, ebenso missgestimmt nahm er im Van Platz. Er fuhr mit Dylan zum Bungalow. Clifford und Angus waren mit ihren eigenen Autos gefahren und gingen anderen Tätigkeiten nach.

„Das Marriotts!“ Tony schüttelte den Kopf, als er an das Luxushotel dachte, das direkt an der Themse lag. „Die werden sich bedanken. Unglaublich, dass die Plattenfirma ein Fünf-Sterne-Hotel für sie bezahlt.“

„Ach, lass sie“, erwiderte Dylan. Er rieb sich die Schläfen. Den ganzen Tag hatte er Kopfschmerzen gehabt. Doch zufrieden stellte er fest, dass die Anspannung in ihm nachgelassen hatte.

„Okay, ich muss zugeben, dass Thor nicht bei uns wohnen wird, erleichtert mich, aber das mit Erik?“ Tonys Stirn legte sich in Falten. „Ich hatte den Eindruck, dass er gern bei uns gewohnt hätte und es an Thor liegt, dass sie ein Hotel genommen haben, oder? Hast du auch das Gefühl?“

Dylan zuckte mit den Schultern.

Er konnte nicht ehrlich sein. Natürlich war er enttäuscht, dass Thor Fahlstrøm nicht das Bett mit ihm teilen würde. Ebenso war er der Meinung, dass ihr Rückzug ins Hotel eine geplante Abkapselung war, doch er sagte nichts dazu.

Vielleicht konnte er lernen, Thors Launen in Zukunft eher neutral gegenüberzutreten? Dass das nicht leicht werden würde, merkte er, als Tony ungezügelt weitersprach:

„Hat der überhaupt irgendetwas zu dir gesagt?“

Es war klar, wen er meinte. Und die passende Antwort zu dieser Frage schien frustrierend. Dylans anfängliche Euphorie über die körperliche Intensität ihres Wiedersehens war verflogen. Sie hatten tatsächlich kein ernsthaftes Wort miteinander gewechselt, sondern waren gedankenlos übereinander hergefallen.

„Irgendwie kamen wir nicht dazu“, erklärte er, was bei Tony weiteres Kopfschütteln verursachte.

 

Das Marriotts war für seine Verhältnisse zu vornehm, dennoch konnte er sich entschließen, am Abend mitzukommen.

Von seinen düsteren Klamotten und dem schwarzen Kajal trennte er sich allerdings nicht. Natürlich waren die Blicke auf sie gerichtet, was nicht anders zu erwarten war.

Als sie einer der Kellner zum Tisch führte, an dem Erik und Thor warteten, hatte Tony das Gefühl, als würden sie absichtlich abgelegen der anderen Gäste bedient. Aber vielleicht war das auch von Vorteil.

Nach einer kurzen Begrüßung bestellten sie das 3-Gänge-Menü, bestehend aus Suppe, Fleisch mit gedünstetem Gemüse zum Hauptgericht und anschließendem Dessert.

Ihre Konversation war oberflächlich, nur Erik und Tony steckten ab und zu die Köpfe zusammen und kicherten wie ein vernarrtes Liebespaar.

So kam es nicht sonderlich überraschend, dass sie sich noch vor dem Nachtisch erhoben, verschmitzt lächelten und Tony mitteilte:

„Wir sind kurz oben. Erik will mir was zeigen.“

Dylan nickte, doch war sein Gesichtsausdruck eher missgestimmt, als er dem Paar hinterher sah. Warum lief bei denen alles so unkompliziert, so herzlich?

„Warum tun sie geheimnisvoll? Als ob wir uns nicht denken können, dass sie nur zum Vögeln hochgehen?“ Thor lachte in seiner ungehemmten Art.

„Lass ihnen doch das Vergnügen“, konterte Dylan. Er mochte sich kaum eingestehen, dass er mit Neid daran dachte, was sein Manager und der Bassist von Wooden Dark jetzt oben im Hotelzimmer treiben würden.

Und er? Er hatte am Nachmittag einen lieblosen Quickie auf den Toiletten gehabt. Und jetzt saß er in diesem piekfeinen Hotelrestaurant und musste darauf achten, dass die Paparazzi nicht zu nahe kam.

„Da sind schon wieder Reporter“, stellte er fest, als im Hintergrund ein Blitzlicht aufleuchtete.

„Können die uns nicht in Ruhe lassen? Warum sind sie Tony und Erik nicht gefolgt?“

Er schüttelte den Kopf.

„Niemand will eine Story über den blassen Bassisten und seinen dicklichen Freund hören. Man liest lieber über Mörder und Psychopathen“, erwiderte Thor. Da sie sich in einem abgetrennten Bereich aufhielten, konnte er problemlos eine Zigarette entzünden.

„Ich bin weder psycho, noch bist du ein Mörder“, zischte Dylan verbissen.

„Die Leute glauben das aber“, stellte Thor fest. „Sie wollen es glauben, geilen sich daran auf. Und genau das macht die Geschichten um uns so interessant.“

Er drehte sich, winkte einen Kellner an den Tisch, der auch sofort herangeeilt kam.

„Sie wünschen?“

„Falls Ihnen Ihr Geschirr am Herzen liegt, bitten Sie die zwei Herrschaften dort drüben doch, ihre Kameras wegzulegen und uns nicht ständig anzustarren. Das macht mich ziemlich nervös.“

Thor hob seine Hände, ballte sie zu Fäusten. „Sie verstehen?“

„Natürlich!“, entgegnete der Kellner ein wenig eingeschüchtert.

„Und für mich bitte noch einen Drink!“, tönte Dylan, dabei setzte er sein leeres Whiskyglas geräuschvoll auf den Tisch ab.

„Hast du nicht genug?“, fragte Thor, als der Kellner verschwunden war.

„Ist erst mein Zweiter!“, verteidigte sich Dylan.

„Hier vielleicht.“ Thor sah ihn prüfend an. „Aber du hattest schon was intus, bevor ihr herkamt.“

„Ja, und?“ Dylan zuckte mit den Schultern, als wäre es irrelevant, ob er bereits zu Hause zu tief ins Glas gesehen hatte.

„Ich dachte, es gibt da eine Abmachung … Keinen Alkohol zwischen den Tourneen?“

Dylan winkte ab. „Heute ist eine Ausnahme drin, oder?“

„Ich rede nicht nur von heute.“ Thor beugte sich etwas vor. „Deinem Tony kannst du vielleicht was vormachen, aber mir nicht. Ich sehe es in deinen Augen. Wann brauchst du deinen ersten Drink am Tag? Gegen Mittag, oder fängst du schon nach dem Aufwachen an?“

„Was soll das, was meinst du?“

„Du trinkst immer noch mehr, als dir guttut, das meine ich.“

Just in diesem Augenblick kam der Kellner mit dem neuen Getränk, das Dylan sofort ergriff und einen Schluck davon nahm.

„Kann dir ja wohl egal sein, oder?“ Giftig sah er Thor an, der hob die Schultern an.

„Wenn du meinst?“

Das Dessert wurde serviert, und sie verfielen ins Schweigen, bis Tony zurück an den Tisch kam. Seine Wangen glühten, er wirkte gut gelaunt, sein Hemd war allerdings schief geknöpft.

Er nahm Platz und schaufelte sofort die Nachspeise in sich hinein.

„Erik entschuldigt sich. Er ist hundemüde.“

 

Das Geschrei passte nicht zu Tonys entspanntem Schlaf, den er noch bis eben genossen hatte. Als er realisierte, dass der Lärm vom Inneren des Gebäudes, vielmehr vom Zimmer nebenan, herrührte, kam er sofort auf die Beine.

Lange nicht mehr hatte er Dylan in Rage erlebt. Dessen legendäre Wutausbrüche, Schlägereien und Provokationen schienen der Vergangenheit anzugehören, doch nun war Tony mehr als alarmiert.

Und das nicht ohne Grund. Dylan war weit aus seinem Zimmerfenster gelehnt.

„Schert euch zum Teufel ihr Idioten!“, brüllte er. Die von Whisky geschwängerte Luft drang Tony in die Nase. Der Raum wurde lediglich von ein paar Kerzen beleuchtet, dennoch konnte er die Flasche Jack Daniel‘s in Dylans Händen erkennen.

„Verschwindet!“ Mit enormer Wucht warf Dylan ein Trinkglas aus dem Fenster, das scheppernd auf der Einfahrt des Hauses zerbrach.

Danach trat er taumelnd zurück. Er führte die Flasche zum Mund und nahm einen Schluck daraus.

„Hey, was soll das?“ Tony schritt ein. Mit festem Griff zog er Dylan vom Fenster weg und entriss ihm die Whiskyflasche. Ein schneller Blick nach draußen folgte.

„Da ist niemand!“ Tatsächlich war die Straße menschenleer. Obwohl sie abseits des Zentrums wohnten, zudem in einer abgelegenen Seitenstraße, kam es öfter vor, dass sich Fans hierher verirrten, sogar nachts.

Doch nun war alles ruhig. Hätten Fans vor dem Gebäude gestanden, hätte das bestialische Gebrüll sie sicher in die Flucht geschlagen.

„Was soll der Scheiß?“

Tony schloss das Fenster, zog die Vorhänge zu. Er hoffte inständig, dass kein Nachbar etwas mitbekommen oder die Polizei verständigt hatte.

Wutschnaubend machte Tony Licht und löschte im Gegenzug die Kerzen.

„Jeder normale Mensch schläft um diese Uhrzeit!“, tönte er. „Und was macht Dylan Perk? – Er säuft und meint wieder Superman spielen zu müssen.“

Er hielt inne und blickte Dylan tiefgründig an. Dessen Gesicht war gezeichnet von Müdigkeit. Seine Augen waren rot und verquollen, sein Kajal verwischt.

„Ich dachte, diese Phase hätten wir hinter uns gelassen?“, fuhr Tony fort. „Nein? Geht sie wieder los?“ Er packte Dylan und rüttelte ihn. „Geht sie wieder los? Ja, tut das not?“

Er seufzte tief. Ihm war klar, dass es wenig Sinn machte, Dylan in diesem Zustand zu tadeln. Ohnehin würde der die Diskussion am nächsten Morgen vergessen haben.

Bereits jetzt hatte Dylan Probleme, zu antworten. Erschöpft sank er vor Tony auf das Sofa und verbarg sein Gesicht in den flachen Händen.

Kapitel 2

Current London Press:

Ein wenig verspätet, dennoch sehnlich erwartet, traf die Band Wooden Dark gestern Mittag in London ein, wo sie ihr erster Weg in die Aufnahmestudios führte. Interviews lehnte sie vorerst ab. Gemeinsam mit der Band RACE verbrachte sie mehrere Stunden in dem Gebäude, bis sie sich ins Marriotts absetzte.

Später am Abend wurden Dylan Perk, mit Manager Tony Wilson, Thor Fahlstrøm und Erik Baardson beim Dinner gesichtet. Die Atmosphäre wirkte heiter bis angespannt …

 

Tony zögerte einen Augenblick, doch dann schob er den letzten Rest des Rühreis auf den Teller. Clifford war zum Frühstück nicht erschienen. Wahrscheinlich hatte er die Nacht bei seiner Freundin Phiola verbracht und würde von dort aus zum Studio fahren. Angus hielt sich strikt an seine Cornflakes und Dylan – der war noch nicht einmal aufgestanden.

„Draußen auf dem Gehweg liegen Scherben“, begann Angus das Gespräch.

„Mhm.“ Tony sah von der Zeitung kaum auf. Man schrieb über sie. Das bedeutete, er musste in den nächsten Wochen wieder ein gründlicheres Augenmerk auf Dylan werfen.

„Ich sah’s, als ich die Zeitung reinholte.“

„Ja.“

„Und?“

„Was – und?“ Tony legte die Times beiseite und widmete sich seinem Rührei.

„Wo kommen die her?“

Tony kaute zu Ende, erst dann ging er auf das Thema ein.

„Dylan hat gestern einen über den Durst getrunken. Das Glas fiel aus dem Fenster.“

„Aus Versehen?“ Angus ließ nicht locker.

Tony schwieg.

„Was soll das denn?“ Angus legte seinen Löffel ab und stöhnte genervt. „Mensch, ich dachte, er hat sich inzwischen unter Kontrolle.“

„Das dachte ich auch“, erwiderte Tony. „Aber kaum ist Thor wieder in der Nähe, tickt er aus.“

„Meinst du, es liegt daran?“

Tony nickte. Er war sich sicher. „Das wird nicht gut gehen. Ich merke das. Es wird nicht gut gehen.“

Kurz darauf erschien Dylan im Erdgeschoss. Wie jeden Morgen gab er sich wortkarg. Er war kein Frühaufsteher, benötigte mehrere Becher Kaffee, bis seine Augen sich an das Tageslicht gewöhnt hatten und seine empfindlichen Ohren den alltäglichen Lärm aushalten konnten.

Was in der vergangenen Nacht passiert war, sprach keiner von ihnen an.

Tony nahm an, dass sich Dylan nicht mehr daran erinnerte.

Als sie das Haus verließen, um zum Studio zu fahren, blieb Dylan sogar stehen und betrachtete das zerbrochene Glas, aber er sagte nichts.

Auf dem Weg zum Van läutete Tonys Handy.

„Wilson?“ Eine Pause folgte, in der er zusah, wie Dylan und Angus im Wagen Platz nahmen. „Keine Ahnung, wo Sie Ihre Informationen herhaben, mir ist davon nichts bekannt.“ Er legte auf.

 

Express morning news:

Augenzeugen zufolge sollen sich im Bungalow des Sängers Dylan Perk (RACE) nächtliche Ruhestörungen zugetragen haben. Das Management dementiert.

 

Gegen Mittag, nach langen Diskussionen, hatte jeder im Studio seinen Platz gefunden. Die Bands spielten den ersten Song ein.

Nach drei Stunden hatte man vorläufige Aufnahmen im Kasten. Der elektronische Song von RACE war mit den typischen Blastbeats und Doublebass des Black Metal-Sounds untermalt worden. Darüber hinaus hatten sie Textpassagen abgeändert, sodass Thor, mit seinem krächzenden Gesang, abwechselnd mit Dylans heller Stimme, zu hören war.

Am Nachmittag gab es eine Pause. Die meisten von ihnen nutzten die freien Minuten, um im Hinterhof des Gebäudes eine Zigarette zu rauchen oder mit ihren Handys zu telefonieren. In dem Hof gab es Sitzgelegenheiten, Tische und Getränkeautomaten. Durch die Gläserfronten konnte man auf den Haupteingang sehen. Dort tummelten sich Reporter und Fotografen, immer auf der Suche nach einem Schnappschuss oder einem kurzen Statement der Stars. Eine Tatsache, mit der Dylan lebte. Mittlerweile regte er sich über die Schaulustigen nicht mehr auf, denn er wusste, dass es nichts bringen würde. Die Journalisten gaben selten nach, sie zügelten ihre Neugier nicht, selbst wenn er sich darüber mokierte. Im Gegenteil: Eine erneute Auflehnung wäre ein gefundenes Fressen für sie.

Ebenso schafften sie es fortwährend, seine Aufmerksamkeit zu erlangen, denn irgendwie liebte er das Rampenlicht, die Geschichten, die man über ihn und die Band schrieb, obwohl sie nicht immer der Realität entsprachen.

„Eine Ausdauer haben die“, äußerte sich Erik, als er Dylans prüfenden Blick bemerkte. „Nervt dich das nicht? In Norwegen bleiben wir davon verschont.“

„Ach!“ Dylan zuckte mit den Schultern. „Klar nervt es, aber ohne sie wären wir kaum da, wo wir jetzt stehen.“ Er lächelte hinterhältig. „Vielleicht sollte ich ihnen mal meinen nackten Arsch in die Kamera halten, damit sie endlich Ruhe geben.“

„Was?“ Erik lachte, dabei schlich sich eine leichte Röte auf seine blassen Wangen. „Ich glaube, wenn du das machst, fallen nicht nur die Reporter in Ohnmacht.“

Dylan erwiderte den amüsierten Blick, und Eriks Worte gefielen ihm. Klangen sie doch wie ein Kompliment.

 

Gegen Abend war der erste Song des Albums mehrfach geprobt. Sie verließen das Studio, um ins Hard Rock Café zu fahren, in dem sie Plätze reserviert hatten und gemeinsam zu Abend aßen.

Zum Abschluss landeten sie wieder im Marriotts, an der Bar, wo sie zusammen einen Drink nahmen. Schließlich löste sich die Runde auf.

„Kommt ihr noch mit rauf?“, fragte Erik. Sein Augenmerk war auf Tony gerichtet. Es war eine rücksichtsvolle Frage, denn Tony hatte den Van gefahren. Ohne ihn hätte sich Dylan ein Taxi nehmen müssen.

„Ein paar Minuten vielleicht, oder?“

„Klar, kein Problem“, erwiderte Dylan. An diesem Abend hatte er nicht das Gefühl, dass er um die Gunst von Thor betteln musste. Der hatte sich nämlich am Abend gesellig gezeigt und schien sich eingelebt zu haben.

Gemeinsam fuhren sie in die vierte Etage, wo sich die Hotelzimmer befanden. Dylan staunte nicht schlecht. Thor öffnete das Zimmer 411, das über zwei nebeneinanderliegende Eingangstüren verfügte. Als sie das Zimmer betraten, wusste er auch, wieso.

„Aha, ihr habt euch eine Suite genommen?“

Er sah sich um. Das Zimmer besaß eine Sitz- und Schreibecke sowie ein Bett und ein Badezimmer. Durch eine Verbindungstür konnte er in das Zimmer von Erik sehen.

Es war identisch eingerichtet und besaß den gesonderten Eingang.

„Es ist praktischer“, erklärte Thor die Zimmerverhältnisse. Im Augenwinkel erkannte Dylan, wie Erik und Tony die Köpfe zusammensteckten und tuschelten.

„Okay!“, äußerte sich Tony schließlich. „30 Minuten.“

Er zwinkerte Dylan zu, verschwand mit Erik im Nebenzimmer und schloss die Verbindungstür. Eine sonderbare Stille stellte sich ein. Dylan fehlten die Worte. War er deswegen mitgekommen? Dass er hier wartete, bis Erik und Tony sich fertig miteinander vergnügt hatten?

Das Aufflammen eines Feuerzeugs holte ihn zurück aus seinen Gedanken. Thor hatte sich der Lederjacke entledigt und eine Zigarette angesteckt. Von nebenan drang Gelächter zu ihnen.

„Die scheinen sich ja zu amüsieren“, stellte Dylan fest. Er lächelte hölzern, zog ebenfalls die Jacke aus und nahm in der Sitzecke Platz. Thor antwortete nicht. Sie verfielen in tiefes Schweigen, bis die Geräusche aus dem Nebenzimmer deutlicher wurden.

Dylan räusperte sich, veränderte die Sitzposition im Sessel einige Male, doch die Bewegungen konnten das Stöhnen aus dem Raum nebenan nicht übertönen.

„Mann, das scheint ja abzugehen bei denen“, sagte er. Auch er entzündete eine Zigarette, wobei er bemerkte, dass seine Hände auffällig zitterten.

„Macht dich das an?“, fragte Thor.

Dylan hob die Schultern an. Klar machte ihn das an, doch wollte er das zugeben?

„Du kannst auf den Balkon gehen, ihnen durch die Scheibe dabei zusehen.“

„Oh, no!“ Dylan winkte ab. Nie im Leben würde er Tony, seinen Freund und Manager, beim Sex beobachten. Als er jedoch an Erik dachte, stellte sich eine Art von Neugier ein. Wie der wohl nackt aussah?

Die Geräusche aus dem Nachbarzimmer ebbten nicht ab. Nervös zog Dylan an der Zigarette. Erleichtert atmete er aus, denn Thor fasste sich an den Nietengürtel und fragte:

„Hast du Lust?“

„Klar!“, erwiderte Dylan. Er lächelte süffisant. Eine andere Antwort schien indiskutabel. Während er seine Zigarette ausdrückte, beobachtete er, dass Thor den Gürtel löste, den Reißverschluss öffnete und die Hose ein wenig nach unten zog. Er blieb im Sessel sitzen, und so kam Dylan vor ihm auf die Knie und umschloss sein Geschlecht mit den feuchten Lippen. Es dauerte nicht lange, bis Thor hart wurde. Entspannt lehnte er sich in den Sessel zurück. Seine Hand war auf Dylans Hinterkopf gebettet. Mit leichtem Druck bestimmte er den Rhythmus. Und der Rhythmus glich dem intervallartigen Stöhnen, das von nebenan durch die Zimmerwand drang. Aber Thor ließ die Stimulation nicht lange zu.

„Leg dich aufs Bett“, forderte er und schob Dylan von sich.

Erst, als sich Dylan komplett entkleidet und sich bäuchlings auf die Matratze gelegt hatte, setzte sich Thor langsam in Bewegung. Er steuerte das Bett an, betrachtete Dylans Gesäß und zog sein schwarzes Shirt über den Kopf. Die geöffnete Hose schob er ein weiteres Stück nach unten, dann gesellte er sich mit aufs Bett.

Nur kurz versanken sie in einem verlangenden Kuss, dann nahm Thor seinen Streifzug über Dylans schlanken Rücken auf. Jeden Zentimeter der hellen Haut berührte er mit seinen feuchten Lippen. Er fuhr mit seiner Zunge an der Wirbelsäule auf und ab, bis er mit den Fingern Dylans Gesäßhälften spreizte und den Spalt ebenfalls mit Speichel benetzte. Schließlich legte er sich auf ihn.

Die Geräusche von nebenan schienen Thor nicht mehr zu interessieren. Der folgende Rhythmus, den er mit seinen kräftigen Stößen anstimmte, stand nicht im Einklang mit dem des Nebenzimmers.

An diesem Abend ging alles schnell. Während Dylan mit geschlossenen Augen die heftige Erregung genoss, sich fest ins Laken krallte und ein Keuchen kaum unterdrücken konnte, spürte er Thor in sich wachsen. Als der sich kurz darauf von ihm löste, registrierte Dylan die Feuchtigkeit, die aus ihm herauslief.

Er wurde auf den Rücken gedreht. Thors Hände rieben ihn zum schnellen Höhepunkt. Danach wurde es ruhig im Zimmer. Auch nebenan ebbten die Geräusche ab.

Dylan atmete entspannt aus. Er hob den Kopf an, betrachtete seinen Bauch, auf dem ein paar Spritzer Sperma klebten. Mit den Fingerkuppen strich er über die Feuchtigkeit, begutachtete sie neugierig, als könnte er nicht glauben, dass ausgerechnet Thor ihn dazu trieb, die absolute Kontrolle über sich zu verlieren.

„Ich brauch erstmal einen Drink.“ Er erhob sich, schlüpfte in seine Unterhose und machte sich an der Minibar zu schaffen. In dem Moment, wo er das kühle Bier in die Hand nahm, richtete sich Thor auf.

„Wer hat dir erlaubt, an meine Getränke zu gehen?“

„Ich habe Durst“, verteidigte sich Dylan. Gekonnt öffnete er den Deckel der Flasche mit seinen Zähnen und nahm einen provozierenden Schluck.

„Dann nimm dir ein Wasser!“

Dylan senkte die Hand mit der Flasche. „Das ist albern.“

„Du säufst mir zu viel“, konterte Thor. Er kniff die Augen zusammen. Nebenbei schloss er seine Hose. „Deine Küsse schmecken immer nach Alkohol.“

„Und deine schmecken ständig nach Kippen.“

Dylan ließ sich nicht einschüchtern. Abermals trank er aus der Flasche, verlor Thor allerdings nicht aus den Augen.

„Du stellst jetzt das Bier weg“, befahl der.

„Werde ich nicht machen“, erwiderte Dylan. Er lachte, als wollten sie sich lediglich necken, dabei war Thors Gesicht ernst, seine Mimik zeigte deutlich, dass seine Forderung kein Scherz gewesen war.

„Perk, ich sag es das letzte Mal, stell das Bier weg.“

„Ich denk nicht dran.“ Dylan trank abermals ein paar Schlucke und stolzierte vor dem Bett auf und ab. Wollte er Thor absichtlich reizen?

„Dann kannst du gehen!“, erwiderte Thor. Er deutete zur Tür. „Kannst gehen und dich draußen besaufen.“

Als Dylan das hörte, fehlten ihm zuerst die Worte, doch er spürte, dass die Wut in ihm hochkochte. Sein Lachen verstummte.

„Okay, von mir aus!“, giftete er. „Wenn du willst? Dein scheiß Bier brauch ich jedenfalls nicht dazu!“

Er zögerte einen kurzen Augenblick, dann schleuderte er die Flasche in Thors Richtung. Bier spritzte auf das Bett. Ebenfalls landete ein Teil der Flüssigkeit in Thors Gesicht. Die Flasche flog haarscharf an seinem Kopf vorbei, prallte polternd gegen die Wand.

„Du hast sie wohl nicht mehr alle!“, brüllte Thor daraufhin. Er war sofort aufgesprungen, um Dylan zu packen und mit einem kräftigen Stoß auf das Bett zu befördern. Rittlings setzte er sich auf ihn, drückte ihn auf die Matratze. Seine Hände legte er um Dylans Hals.

„Lass mich los!“, keuchte Dylan. Er bekam kaum Luft. Thors Finger pressten sich in seine Kehle. Aus Angst, ersticken zu müssen, wand er sich unter seinem Peiniger hin und her.

„Ach du Scheiße!“, erklang es plötzlich. Die Verbindungstür der Suite hatte sich geöffnet, und Tony eilte heran. „Lass ihn los! Lass ihn sofort los!“

Er stürzte auf das Bett zu, riss Thor zur Seite, um Dylan zu befreien. Der japste nach Luft. Er griff sich an den Hals, an dem rote Abdrücke zurückgeblieben waren. Er fand keine Worte, war sichtlich erschrocken.

„Bist du nicht ganz dicht!“, schrie Tony in Rage. Er hatte Dylan inzwischen aufgerichtet und seine Arme schützend um ihn gelegt.

Gemeinsam starrten sie Thor an, dessen Brustkorb sich aufgeregt hob und senkte.

„Reg dich doch nicht so auf“, bat Erik. Auch er war ins Zimmer getreten. Die bedrohliche Atmosphäre gefiel ihm nicht.

Thor sagte nichts, doch sein Gemüt bebte noch immer.

„Nicht aufregen?“ Tony konnte es nicht fassen. Er zog Dylan über die Matratze, half ihm, auf die wackeligen Beine zu kommen und sich wieder anzuziehen. „Er hat ihn gewürgt! Hast du es nicht gesehen? Er hat ihn gewürgt!“

Eine beklemmende Stille stellte sich ein, in der keiner von ihnen etwas sagte.

Als Dylan angezogen war, wurde er von seinem Manager zur Tür gezerrt.

Bevor sie das Hotelzimmer verließen, drehte sich Tony noch einmal um.

„Du verdammter Mörder“, fauchte er in Thors Richtung. „Ich zeige dich an, darauf kannst du Gift nehmen!“

 

Es war weit nach Mitternacht, als sie den Bungalow betraten. Tony war noch immer außer sich. Der Schock war ihm ins Gesicht geschrieben, er war blass, sein Körper kraftlos.

„Es ist mir egal, was mit den Aufnahmen wird. Diesmal ist er zu weit gegangen und wird nicht ungeschoren davonkommen!“

So etwas musste ja passieren, dachte er still bei sich. Wenn Dylan und Thor zusammentrafen, gab es doch ständig Probleme. Er erinnerte sich daran, wie er Thor einst mit einschneidenden Maßnahmen gedroht hatte, würde er sich erneut an Dylan vergehen. Nun war es geschehen. Tony musste handeln, um seine Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren.

Dylan hatte seine schwarze Felljacke im Wohnzimmer auf das Sofa geworfen, sein nächster Gang war der zur Hausbar. Seine Hände zitterten und seine Stimme klang erstaunlich dünn.

„Es hat doch keinen Sinn“, stöhnte er, dabei schenkte er sich ein Glas Whisky ein. Gierig führte er es zum Mund, trank ebenso eifrig daraus, bis er erleichtert ausatmete. Dieser Drink war fällig gewesen. Müde nahm er auf dem Sofa Platz.

„Wieso hat es keinen Sinn? Er wollte dich umbringen!“

Dylan schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht.“

Tony kam näher. Sein schwarzes Haar hing ihm strähnig ins Gesicht, sodass er es nach hinten strich. Vor Dylan ging er in die Hocke.

„Sag mal, merkst du noch was? Er hatte seine Hände um deinen Hals gelegt. Er hat dich gewürgt. Du warst schon blau im Gesicht!“

Dylan wich dem Blick aus. „Ich habe ihn provoziert.“

„Aber das ist doch kein Grund, um jemandem an die Gurgel zu gehen!“, keifte Tony. Er kam wieder auf die Beine, lief ein paar unruhige Schritte durch den Raum.

„Ich hätte ihm beinah eine Bierflasche an den Kopf geworfen, ist das besser? – Meinst du, ein Richter würde dafür Verständnis zeigen?“

„Oh, Gott!“ Tony fasste sich an die Stirn. „Wieso machst du so etwas?“ Er sah Dylan tadelnd an. „Warum tust du das nur?“

Dylan antwortete nicht. Ja, wieso tat er es? Hatte er sich nicht vor langer Zeit geschworen, nicht mehr zu provozieren und sich erst recht nicht provozieren zu lassen, und schon gar nicht von Thor Fahlstrøm? Der Gedanke daran machte ihn erneut wütend. Denn er wusste, dass er mit Thor auch in Zukunft aneinandergeraten würde. Irgendetwas stimmte nicht mit der Chemie zwischen ihnen. Vielleicht sollte er mal einen Naturwissenschaftler um Rat fragen?

Lächelnd führte er das Glas wieder zum Mund.

„Und bitte, hör auf, zu trinken“, ermahnte Tony. „Warum hältst du dich nicht an unsere Vereinbarung?“

Zwischen den Tourneen keinen Alkohol, das hatten sie abgemacht. Meist hatte sich Dylan an diese Absprache halten können, aber in der letzten Zeit war kaum noch daran zu denken. Er fühlte sich unruhig, aufgewühlt, eigentlich den ganzen Tag – und erst recht, seitdem Thor wieder in seiner Nähe war.

„Ich werde mir Mühe geben“, erwiderte er. Aber er schielte zur Whiskyflasche, war sich sicher, dass er sie noch am selben Abend leeren würde.

„Also verstehe ich das richtig?“, kam Tony zum Thema zurück. „Du möchtest Thor nicht anzeigen?“

Dylan schüttelte den Kopf, woraufhin Tony genervt stöhnte. Ohne Zustimmung und Unterstützung würde sein Vorgehen gegen Fahlstrøm tatsächlich keinen Sinn ergeben.

„Ich verstehe es nicht.“ Tony war mit seinem Latein am Ende. Und streiten, wegen Thor, wollte er erst recht nicht. Schließlich gab er klein bei. „Okay. Lassen wir das. Aber ich rate dir, die Angelegenheit mit ihm zu klären. Die Arbeit an dem Album soll nicht unter euren ewigen Reibereien leiden.“

 

Am nächsten Morgen sprachen sie vorerst nicht mehr über den Zwischenfall. Ohnehin vermied es Tony, den Sänger von RACE vor zehn Uhr in eine Diskussion zu verwickeln.

Als sie pünktlich im Tonstudio eintrafen, die norwegische Band noch nicht anwesend war, wagte Tony eine Annäherung.

„Denkst du bitte dran, Thor auf sein gestriges Verhalten hin anzusprechen? Ich will zu allein wissen, was in diesem Idioten vorgeht.“

Dylan nickte. Sie hatten sich in die Küche des Studios zurückgezogen, um einen Kaffee zu trinken. Dylan war wie immer mit Lidschatten und Kajal geschminkt, seine Gesichtshaut trug einen dünnen Film von hellem Puder. Aber auch der konnte seine Augenringe nicht komplett abdecken. Als er sich an den Küchentisch setzte, produzieren die Ketten, Ösen und Nieten an Oberteil und Hose einen klirrenden Laut.

Dass er sich dem Thema gegenüber wortkarg gab, missfiel Tony. Für einen kurzen Augenblick kam ihm ein anderer Gedanke.

„Du stehst doch nicht etwa auf sowas?“

„Was?“ Dylans Stimme war leise, gedämpft. Mit der rechten Hand strich er sich das kinnlange Haar zur Seite, sodass seine kahl geschorene Schläfe sichtbar wurde.

„Ich meine S/M und so ein Zeug? Macht es dich an, wenn er dich würgt?“

„Quatsch! Was redest du für eine Scheiße?“

Er verstummte. Im Hintergrund ertönten Stimmen. Schließlich trat Thor in die Küche; sofort fixierte er Dylan.

Als Tony den Sänger von Wooden Dark bemerkte, zwinkerte er Dylan zu.

„Ich denke, ich lass euch mal kurz allein.“

Über Nacht hatte sich seine Wut gelegt. Nun hoffte er, dass die beiden Männer diese unschöne Sache aus der Welt schaffen konnten. „In zehn Minuten wollen wir allerdings anfangen.“

„Okay.“ Dylan nickte. Er saß noch immer am Tisch vor seinem Becher Kaffee und sah zu, wie Tony die Tür schloss und ihn und Thor zurückließ.

Er fühlte sich elend. Eine leichte Übelkeit herrschte in seinem Magen, was sicher daran lag, dass er die Flasche Whisky in der Nacht komplett geleert hatte.

Zu seiner Erleichterung ergriff Thor zuerst das Wort.

„Du wirst hoffentlich nicht von mir verlangen, dass ich mich für gestern entschuldige?“

Dylan antwortete nicht, stattdessen atmete er geräuschvoll aus. Er konnte Thor nicht ansehen und starrte regungslos auf den Kaffee.

„Ich weiß nicht, wie ich es dir verdeutlichen soll“, sprach Thor weiter, „aber wenn mir jemand Schaden zufügen möchte, muss er damit rechnen, den Schaden in doppelter Ausführung selbst zu erleben.“

Thor kam näher, blieb vor dem Tisch stehen. „Und es ist mir dann egal, wer mir diesen Schaden zufügen will.“ Er sah Dylan prüfend an. „Hast du das verstanden, Perk?“

„Ja.“

„Keine Spielchen mehr“, forderte Thor. „Das könnte böse enden. Das möchte wohl keiner von uns beiden.“

„Nein, natürlich nicht.“ Dylan regte sich, nahm einen Schluck Kaffee und wagte den Blickkontakt. Thor trug sein Haar offen, seine Haut glänzte hell und frisch.

„Ich wollte dich nicht umbringen“, fuhr er fort.

„Mir musst du das nicht sagen“, erwiderte Dylan. Er ließ den Becher los und kam auf die Beine.

„Dann pass gefälligst auf, was dein Tony von sich gibt!“, fauchte Thor. „Ich bin vorbestraft, falls du es vergessen hast. Ich kann keine weitere Anzeige gebrauchen.“

„Ich hatte nie vor, dich anzuzeigen“, entgegnete Dylan. Er fühlte sich so nüchtern, wie lange nicht mehr, dabei hatte er das Gefühl, dass der Geschmack des Whiskys, trotz des Kaffees, noch immer auf seiner Zunge lag. Ein wenig überrascht stand er vor Thor und wunderte sich ein wiederholtes Mal darüber, dass sie so sachlich über all die Dinge sprechen konnten. Warum um alles in der Welt klappte es mit der praktischen Umsetzung nie?

Tiefgründig sahen sie sich an, bis Thor ein Stück näher kam.

„Vielleicht sollten wir heute Abend mal essen gehen, ich meine, ohne die anderen.“

„Ja.“ Dylan schluckte. Thors eindringlicher Blick machte ihn benommen, und die deutliche Annäherung tat ihr Übriges.

„Ständig stört irgendjemand, das bin ich nicht gewohnt.“

„Das weiß ich doch“, erwiderte Dylan. Ihm war bewusst, was man von Thor, der die meiste Zeit in der norwegischen Einöde hauste und nur Erik als einzigen Nachbarn akzeptierte, während der Studioaufnahmen, abverlangte.

Tagsüber waren sie umgeben von den anderen Musikern, von den Produzenten und Tontechnikern. Vor dem Studio lauerten Reporter und jeder ihrer Schritte wurde verfolgt. Sogar im Hotel fühlte sich Thor beobachtet.

Ohne Zweifel war das ein Grund, warum Thor noch ernster war, als sonst und immer ein wenig angespannt wirkte.

Und irgendwie war es genau das, was Dylan reizte. Vorsichtig ertasteten seine Hände Thors Hüften, und da der sich nicht wehrte, zog er sich an ihnen heran. Verlangend presste er seinen Mund auf Thors Lippen, die sich sofort einen Spalt öffneten, um in einem innigen Kuss versinken zu können.

„Ähm, sorry, wir wollen anfangen.“

Thor löste sich, erblickte Erik, der in der Tür stand und sie mit großen Augen ansah.

„Genau das meine ich“, zischte Thor. Trotzdem setzte er sich in Bewegung. Dylan folgte, nachdem er seinen Becher Kaffee geleert hatte.

Im Studio nickte er Tony beruhigend zu. Das unschöne Ereignis des Vorabends schien damit vorerst aus der Welt.

 

Als ihr langer Arbeitstag beendet war, nahmen sich Dylan und Thor ein Taxi, das sie quer durch London fuhr, bis sie absolut sicher waren, dass ihnen niemand gefolgt war.

In einem exquisiten Restaurant, das ihnen eine entspannte Atmosphäre ohne Schaulustige versicherte, hatte Dylan einen Tisch reserviert.

Der Kellner führte sie an einen Platz, wo sie ungestört zu sein schienen.

„Ich nehme das erste Menü“, orderte Thor, als sie die Karte gründlich studiert hatten. „Und ein Bier.“

Der Kellner nickte und notierte die Bestellung.

„Für mich den gebratenen Reis mit Huhn und einen Château Margaux“, äußerte sich Dylan.

Der Kellner sah auf. „Einen viertel oder einen halben Liter?“

„Eine Flasche“, erwiderte Dylan. Der Kellner zögerte einen Moment, doch als er Dylans entschlossenen Gesichtsausdruck sah, nickte er erneut und verschwand.

„Geht’s auch mal in Maßen?“, fragte Thor.

„Kann dir wohl egal sein“, konterte Dylan.

„Klar, einem Egoisten, wie ich einer bin, dem kann es egal sein, aber nicht, wenn die Produktion einer neuen Platte daran hängt.“

Dylan stöhnte genervt. „Du hörst dich an wie Tony.“

„Tja, was mich ziemlich wundert“, erwiderte Thor, und er beugte sich ein wenig vor. „Hat er dich nicht mehr im Griff oder was ist mit eurer Abmachung?“

Dylan winkte ab. Genüsslich steckte er sich eine Zigarette an.

„Tony weiß, dass er mir nicht drohen kann. Was will er denn machen? Mich einsperren?“

Der Kellner brachte die Getränke. Kaum saß Dylan vor seinem Glas, nahm er einen Schluck. Wollte er Thor vorsätzlich reizen?

„Was soll das überhaupt?“, fuhr er fort. „Du trinkst auch nicht gerade wenig.“

Thor lächelte. „Das stimmt, und ich gebe zu, dass ich während einer Tournee gern über die Stränge schlage.“ Er dachte an das Black Festival zurück. Er und Dylan waren eigentlich jeden Abend betrunken gewesen. „Doch ich habe mich unter Kontrolle und weiß morgens, was ich am vorherigen Abend getan habe. – Was man von dir nicht behaupten kann.“ Er nahm sich Dylans Zigarettenschachtel und entzündete ebenfalls eine Zigarette. Aber sein prüfender Blick blieb. „Und ich kann gut drauf verzichten, wenn ein kühler Kopf gefragt ist.“

„Willst du damit sagen, ich hänge mich nicht genug rein in die Sache? Mir sind die Aufnahmen auch wichtig!“

„Ist gut, Perk!“ Thor hob die Hände ein wenig an. „Ich habe keine Lust, zu diskutieren. Du verstehst mich ja doch nicht.“

„Dazu gehört auch nicht viel“, zischte Dylan. Demonstrativ sah er weg. In dem Moment brachte der Kellner das Essen.

Die Stimmung blieb gereizt. War das der besinnliche Abend, den sie erwartet hatten?

Als sie mit dem Essen fertig waren, griff Thor erneut zur Zigarettenschachtel. „Kann ich noch eine? Hab meine im Hotel vergessen.“

„Na, sicher.“ Auch Dylan rauchte wieder. Allmählich beruhigte sich sein Gemüt, was mitunter an der Flasche Wein lag, die er während des Essens bis zur Hälfte geleert hatte.

„Bist ziemlich bockig, manchmal.“ Thor zwinkerte ihm zu, als hätte ihr Dialog zuvor nicht stattgefunden.

„Gefällt dir wohl, was?“

„Mhm.“ Thor dachte laut nach. „Meist würde ich dir lieber deinen Arsch versohlen.“

„Kannst du haben.“ Eine deutliche Aufforderung, nachdem Dylan wiederholt zum Glas griff. Dabei entsann er sich an Tonys Worte. Konnte das angehen? Hatte er doch ein Faible für sanfte Gewalt?

„Ich geh zahlen“, entschied Thor daraufhin. Er zückte seine Kreditkarte und steuerte einen Kellner an. Zusammen verschwanden sie in Richtung Tresen, wo sich die Kasse befand.

Dylan war froh, dass ihr Essen unbemerkt vonstattengegangen war. Offensichtlich hatte sie diesmal niemand beobachtet.

Als Thor zurück an den Tisch kam, war die Flasche Wein geleert. Dylan stand auf und geriet ins Schwanken.

„Shit.“ Er hielt sich an der Tischkante fest. Die Wirkung des Weines hatte er absolut unterschätzt. Und da war ja noch der Wodka, den er heimlich im Studio getrunken hatte. Im Sitzen hatte er den Rausch nur leicht bemerkt, doch im Stehen drehte sich alles vor seinen Augen. Ein ungutes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus.

„Wird’s denn gehen, Perk?“

„Muss ja … irgendwie.“ Dylan machte unsichere Schritte. Den Weg hinaus schaffte er nur, weil Thor ihn an der Hüfte packte, ihn umarmte, als wären sie ein frisch verliebtes Paar und erst wieder im Taxi losließ.

Dort schloss Dylan die Augen. Sein Kopf sank nach hinten. Sanft ließ er sich während der Fahrt durchrütteln. Als der Wagen hielt, war er zur Seite gekippt, lehnte an Thors Schulter, der ihn aufrichtete.

„Du bist zu Hause.“

Dylan versuchte, die Augen zu öffnen, es gelang ihm kaum. „Kommst du noch mit hoch?“

„Nein.“

„Wieso nicht?“ Es klang enttäuscht. Verzweifelt versuchte Dylan, die Lider offen zu halten.

„Ich glaube nicht, dass ich das noch erklären muss.“

„Fuck you“, kam es kaum hörbar über Dylans Lippen. Mühselig drehte er sich der Autotür zu. Als er ausgestiegen war, wankte er erneut. Er hielt sich den Bauch, würgte. Sein Haustürschlüssel fiel dabei zu Boden. Während er sich danach reckte, sackten seine Beine weg.

Thor seufzte. „Warten Sie hier!“, forderte er den Taxifahrer auf und kam Dylan zu Hilfe.

 

Er lotste ihn die Treppe hinauf, half ihm im Bad, wo er sich abermals erbrach, schließlich folgte er ihm zum Bett, wo er die Kleidung von seinem Körper strich.

„Bleib hier“, wiederholte Dylan seinen Wunsch.

„Du bist voll, hast gekotzt …“, konterte Thor.

„Ich hab mir die Zähne geputzt!“, verteidigte sich Dylan. „Und sicher lag es am Wein, der war schlecht …“ Er richtete sich ein wenig auf. „Bitte, ich fühl mich schon besser …“ Seine Hand wanderte über seine Unterhose, das einzige Kleidungsstück, das er trug. „Du kannst mit mir machen, was du willst.“

Thor zögerte einen Moment, dann zog er die Decke über Dylans Körper.

„Dass du verrückt bist, wusste ich ja schon, aber allmählich scheinst du auch krank zu werden.“

„Sehr witzig!“ Dylan warf sich ins Kissen zurück. „Wenn du wenigstens ehrlich sein könntest“, fauchte er. „Denkst du, ich merke nicht, dass du mir aus dem Weg gehst?“

„Das tu ich nicht“, erwiderte Thor. Seine Stimme blieb ruhig.

„Dann bleib hier, verdammt!“

„Mit einem Säufer teile ich das Bett nicht“, sagte Thor, bevor er sich umdrehte und ging.

Kapitel 3

Als Dylan am nächsten Morgen erwachte und beim Gang ins Bad gegen eine Bierflasche trat, die neben der Whiskyflasche vor dem Bett stand, fragte er sich tatsächlich, ob das alles sein musste.

Trotz des Schlafes fühlte er sich miserabel, träge und schwach.

Das frühzeitige Aufstehen fiel ihm von Tag zu Tag schwerer. Wie lange konnte er das noch durchhalten?

Wie gewöhnlich erreichte er den Frühstückstisch nur mit schleppendem Schritt, mit Shorts und Morgenmantel bekleidet. Durch seine ungekämmten Haare, die tief in sein Gesicht hingen, erkannte er Erik, der ebenfalls am Tisch saß, zusammen mit Tony und Angus.

Für einen kurzen Moment wünschte er sich seine einstige Sorgfalt zurück.

„Morgen!“, grüßte er. Dass Erik mit am Tisch saß, bedeutete, dass der und Tony die Nacht zusammen verbracht hatten. Erik war nicht zurück ins Hotel gefahren wie Thor.

Dylan schüttete sich Cornflakes in eine Schale, vermischte sie mit Milch und Zucker und versank in Gedanken.

Er verfolgte nicht, wie sich die anderen am Tisch unterhielten, erst, als Tonys Handy läutete, sah er auf.

„Wilson?“, meldete sich ihr Manager. Es ließ sich nicht vermeiden, dass alle mithörten. „Was?“ Tony kam schockiert auf die Beine. Seine Augen waren geweitet, er entfernte sich vom Tisch, doch seine Worte bekam jeder mit.

„Wieso das? Seid wann? Wieso hast du mich nicht früher informiert? – Natürlich! Ich komme sofort!“

Betroffen kehrte er an den Tisch zurück.

„Ist was passiert?“, fragte Angus zuerst.

„Es war Mary“, erklärte Tony, dabei hob er das Handy an. „Susan liegt im Krankenhaus, wird gleich operiert. Der Blinddarm.“ Er war blass geworden. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. „Ich fahre hin!“

Im nächsten Augenblick war er in den Flur geeilt, ergriff dort Jacke und Autoschlüssel und verließ ebenso zügig das Haus.

„Wer ist Susan?“, fragte Erik.

„Seine kleine Nichte“, erklärte Angus, fast gleichgültig, aber seine Stirn trug Falten. „Er hängt an dem Mädchen, doch dass er so einen Aufstand macht?“ Er schüttelte den Kopf. „Ist komisch, oder?“

 

Tony folgte nicht mehr ins Tonstudio, auch über Handy war er nicht erreichbar. Als sie eher, als sonst, ihre Arbeit niederlegten, kam Erik auf Dylan zu.

„Ich erreiche Tony nicht. Kann ich mit zu euch kommen? Ich würde gern da sein, wenn er nach Hause kommt.“

„Sicher kannst du mitkommen.“ Dylan drehte sich zu Thor. „Was ist mit dir?“ Eine Frage, die nahezu überflüssig war.

„Ich fahre ins Hotel“, erwiderte Thor kühl, wie erwartet.

„Allein?“

„Ja.“

„Okay!“ Es klang schnippisch. Dylan packte seine Aufzeichnungen zusammen. Vielleicht konnte er am Abend komponieren, obwohl ihm derzeit andere Dinge durch den Kopf schwirrten. Er versuchte es noch einmal. „Nur ganz kurz?“

„Ganz kurz gibt es bei mir nicht, Perk.“

Und diesen Satz ließ er kommentarlos stehen.

 

Sie hatten sich Pizza bestellt und vor den Fernseher gesetzt. Sie bemerkten nicht, wie Phiola und Clifford die Runde verließen. Erst ein Hantieren an der Haustür weckte Dylan auf. Erik und Angus schliefen auf dem Sofa, sodass er sich leise erhob.

Tony stand im dunklen Hausflur und kam ein paar Schritte näher.

„Es ist ziemlich spät geworden“, stellte Dylan fest. „Warst du bis eben im Krankenhaus?“

Tony nickte still. Er zog die Jacke aus und bediente sich an dem Kühlschrank, schenkte ein Glas Wasser ein.

„So schlimm?“, fragte Dylan.

„Sie hatte schon die ganze Woche Fieber und Bauchschmerzen“, erklärte Tony. Seine Stimme bebte angespannt. „Jetzt hat sie einen akuten Blinddarmdurchbruch. Mary hätte viel eher mit ihr zum Arzt gehen müssen.“ Er biss sich auf die Unterlippe. Obwohl es dunkel war, konnte Dylan erkennen, wie Tonys Gesichtsmuskeln zuckten. War er den Tränen nahe?

„Das tut mir leid“, sagte Dylan. Er schluckte. Was sollte er sagen? „Wir haben versucht, dich zu erreichen. Ehrlich gesagt waren wir überrascht, dass es dich so aus der Fassung bringt. Sie ist zwar deine Nichte, aber …“

„Sie ist nicht meine Nichte“, fuhr Tony ihm ins Wort. Kurz wischte er sich über die Augen, schien sich zu fangen. „Sie ist meine Tochter.“

„Willst du mich verarschen?“ Dylan konnte es nicht fassen. Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück, nahm Abstand. Seine Stimme wurde lauter. „Scheiße, das ist nicht dein Ernst?“

Tony schüttelte den Kopf. „Ich weiß, ich hätte es viel eher erzählen sollen, doch … Ich dachte, das interessiert sowieso niemanden.“

„Wie kommst du darauf?“

Tony zuckte mit den Schultern. „Als ich mich für den Job bei der Plattenfirma bewarb, für die Arbeit mit euch, steckte ich mitten in der Trennung von Mary. Sie ist meine Frau und nicht meine Schwester, wie ich es euch erzählt habe. Susan war gerade geboren. Wir stritten um das Sorgerecht, das ich natürlich ohne gängigen Job verlor, um die Besuchszeiten, die sie mir zuerst nicht einräumen wollte. Ich hatte keine Nerven, alles wildfremden Leuten zu erzählen, verstehst du?“

„Klar“, erwiderte Dylan. „Aber inzwischen sind wir nicht mehr wildfremd. Wir wohnen zusammen.“

„Dich hat mein Privatleben nie interessiert“, erinnerte Tony. Er konnte sich auch nicht mehr erinnern, ob er je erzählt hatte, verheiratet gewesen zu sein. Es war irrelevant. Dylan Perk hatte sich stets nur um seine eigene Persönlichkeit gekümmert.

„Du kannst doch mit mir über alles reden“, sagte Dylan. Ja, war es inzwischen so? Tony zweifelte. „Ja, vielleicht hätte ich was sagen sollen …“

„Allerdings!“, tönte es plötzlich aus dem Hintergrund. Tony und Dylan sahen sich erschrocken um und erblickten Erik, der Tony verachtend ansah.

„Wenn ich eins hasse, sind es unehrliche Menschen!“, schrie er, drehte sich und steuerte die Tür an.

„Erik!“ Tony geriet außer sich, als er das sah. „Bleib hier, bitte! Ich kann dir alles erklären!“

Er lief seinem Freund hinterher. Der Bewegungsmelder sprang an, und Dylan verfolgte durch das Küchenfenster, wie die beiden Männer gestikulierend ihre Diskussion draußen fortführten. Erik ließ sich jedoch nicht beruhigen. Er stürmte durch den Garten und verließ das Anwesen durch das Einfahrtstor. Tony folgte ihm einige Meter, doch es mangelte ihm an Kondition, um mit Erik mitzuhalten.

Schwer atmend kam er zurück.

„Und?“, wollte Dylan sofort wissen.

„Er ist weg, war nicht haltbar.“ Tony fuhr sich über das Gesicht, war verzweifelt. „Wo will er denn hin, mitten in der Nacht? Er kennt sich doch hier gar nicht aus.“

„Ach, er wird sich ein Taxi nehmen und zum Hotel fahren“, konterte Dylan. Er nutzte die Gelegenheit, um unbemerkt ein Bier zu öffnen.

„Shit, verdammt!“ Tony klappte sein Handy zusammen. „Er nimmt nicht ab.“

„Was ist denn los?“ Aus der dunklen Ecke des Wohnzimmers trat Angus hervor. Müde blinzelte er und strich sich über den Kopf, der kahl geschoren war. „Gibt’s Stress?“

„Kann man sagen“, erwiderte Dylan. Missgestimmt sah er seinen Freund und Manager an. Dass er sie alle belogen hatte, jahrelang, war unglaublich. Er konnte Eriks Unmut absolut nachvollziehen.

„Tony ist gar nicht so schwul, wie er tut. – Mary ist seine Frau und Susan seine kleine Tochter.“

„Wie bitte?“

 

Der Fernseher lief noch, obwohl Thor schon eine Weile geschlafen hatte. Der Raum roch nach kaltem Rauch. Die letzte Zigarette war im Aschenbecher unbeachtet verglimmt.

Als die Tür nebenan geräuschvoll ins Schloss fiel, hob er die Lider an. Es war mitten in der Nacht. Mit Eriks Erscheinen hatte er nicht mehr gerechnet.

Doch jetzt vernahm er sein Fluchen, sein aufgeregtes Atmen. Ein Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmte.

Sofort kam Thor auf die Beine. Da die Verbindungstür ihrer Suite offen stand, konnte er sehen, dass Erik auf dem Bett saß. Sein Körper war nach vorne gebeugt, sein Gesicht verdeckte er mit den flachen Händen.

„Ist was passiert?“, wollte Thor wissen. Sein Oberkörper war nackt. Er kam näher.

Erik sah kurz auf, ließ den Blick über Thors Brust gleiten. Seine Augen schimmerten feucht, doch nicht vor Trauer, sondern vor Zorn.

„Oh, sag nichts!“, äußerte sich Thor. „Es ist wegen Tony.“

Erik antwortete nicht, stattdessen lenkte er den Blick geradeaus. Sein Kopf senkte sich, sodass seine langen, schwarzen Haare nach vorne glitten.

Thor seufzte. „War mir klar, dass es so kommen würde. – Was hat er dir angetan?“

Erik zögerte weiterhin. Fest presste er seine schmalen Lippen aufeinander. Überlegte er, ob er antworten sollte?

„Tony ist verheiratet. Er hat eine Tochter“, schilderte er schließlich.

Thor lachte laut. „Ha, und das bringt dich aus der Fassung?“ Er schüttelte den Kopf. „Kannst mir glauben, Tony war mir schon immer ein Dorn im Auge, doch ist es nicht egal, wann man sich outet oder was in der Vergangenheit gewesen ist?“

„Sicher.“ Eriks Stimme war leise. „Mir geht es auch nicht darum, ob er Familie hat oder nicht, sondern darum, dass er nicht ehrlich war, nicht aufrichtig.“

Thor nickte. „Das ist was anders, da hast du recht.“

Er kam noch näher und setzte sich neben Erik aufs Bett. Der fluchte:

„Wieso fall ich auch immer auf solche Typen rein? Warum nimmt niemand meine Gefühle ernst?“

Eine nachdenkliche Pause folgte, bis Thor sich äußerte:

„Ich habe deine Gefühle immer ernst genommen.“

Sofort schlich sich ein kurzes Lächeln auf Eriks Gesicht. „Vielleicht“, sprach er, „und trotzdem war es nicht von Dauer.“ Er seufzte enttäuscht.

„Es gab einen guten Grund dafür.“