L.U.V. - falsch programmiert - Justin C. Skylark - E-Book

L.U.V. - falsch programmiert E-Book

Justin C. Skylark

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Beschreibung

Als Abe Harper bei einem Einsatz seinen Kollegen und heimlichen Geliebten Jules verliert, bricht für ihn eine Welt zusammen. Nur widerwillig stimmt er zu, dass ihm als neuer Partner ein hochentwickelter L.U.V. Android an die Seite gestellt wird. Abe versucht, den Androiden in sein Leben einzubeziehen, bis ihm ein schwerwiegender Fehler unterläuft. Um diesen zu vertuschen, muss er in die Konfiguration des L.U.V. eingreifen. Und danach ist nichts mehr wie vorher …

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Justin C. Skylark

L.U.V. – Falsch programmiert

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2015

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com/

Bildrechte:

© sheelamohanachandran – fotolia.com

© sarah5 – fotolia.com

© stokkete – fotolia.com

1. Auflage

ISBN 978-3-945934-49-4

ISBN 978-3-945934-50-0 (epub)

Inhalt:

Als Abe Harper bei einem Einsatz seinen Kollegen und heimlichen Geliebten Jules verliert, bricht für ihn eine Welt zusammen. Nur widerwillig stimmt er zu, dass ihm als neuer Partner ein hochentwickelter L.U.V. Android an die Seite gestellt wird.

Abe versucht, den Androiden in sein Leben einzubeziehen, bis ihm ein schwerwiegender Fehler unterläuft. Um diesen zu vertuschen, muss er in die Konfiguration des L.U.V. eingreifen. Und danach ist nichts mehr wie vorher …

I want to reconcile the violence in your heart

I want to recognize your beauty’s not just a mask

I want to exorcise the demons from your past

I want to satisfy the undisclosed desires in your heart

(“Undisclosed desires” – Muse)

Der Anblick einer Leiche war immer eine Herausforderung. Jules war es oftmals an die Nieren gegangen. Ich konnte besser abschalten und einen Gang herunter fahren. Ein Toter war lediglich ein neuer Fall. Eine neue Mission, die uns tagtäglich beschäftigte. Verließen wir einen Tatort, sahen wir die Verstorbenen nie wieder. An den Beerdigungen beteiligten wir uns nicht.

Nur durch Zufall stießen wir auf die letzten Worte der Zurückgebliebenen, die ihren Kummer in einer Traueranzeige verkündeten; während wir zur Pausenzeit in der Kantine saßen.

Nun trug ich Jules zu Grabe. Unter der Last des Sarges wäre ich beinahe zusammengebrochen, obwohl ich trainiert war und regelmäßig an den Trainingseinheiten teilnahm.

Sein Tod, der herbe Verlust, machte mir zu schaffen. Ein Leben ohne ihn, ein Job ohne ihn – kaum vorstellbar.

Gemeinsam ließen wir den schwarzen Sarg hinab in die finstere Grube. Wir – seine Kollegen, die in all den Jahren auch seine Freunde geworden waren.

Doch ich mag behaupten, dass ich Jules am nächsten stand, nicht nur, weil wir uns in der Wache ein Büro teilten, weil wir uns am Schreibtisch gegenüber saßen, sondern auch, weil wir uns heimlich liebten.

Neben mir stand seine Ehefrau Cathy. Jules hatte ihr nie von seinem Doppelleben erzählt.

Schweigend umfasste ich ihre schmalen Schultern, als sie vor dem Grab in Tränen ausbrach. Tommy, ihr Sohn, war gerade erst 5 Jahre alt geworden. Seinen Geburtstag hatten wir auf der Intensivstation gefeiert, einen Tag, nachdem es passiert war. Ich musste annehmen, dass Jules nichts davon mitbekommen hatte. Wenige Stunden später erklärten ihn die Ärzte für hirntot.

Während sich seine Familie ein letztes Mal an seinem Krankenbett versammelt hatte und Abschied nahm, die Mediziner die künstliche Beatmung abstellten, suchte ich das Weite.

Nach der Beerdigung gab ich mir ein Wochenende zum Trauern. Dann ging das Leben weiter.

Doch wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich Jules etwas schuldig war. Der letzte Fall war nicht abgeschlossen, unsere gemeinsame Mission nicht beendet.

*

Es war Montagmorgen. Wie gewohnt erschlug mich der Geräuschpegel.

Wirre Stimmen pressten sich durch die hohen Räume, das Telefon läutete permanent, aufgebrachte Bürger meldeten Delikte aller Art.

Am Wochenende passierte am meisten. Hatte eine neue Woche begonnen, mussten wir Ordnung in die Vorfälle bringen.

Mein Schreibtisch war leer. Normalerweise empfingen mich mindestens zwei Akten mit unbearbeiteten Fällen. Nun sah ich lediglich auf eine leichte Staubschicht, die sich seit Freitag auf der schwarzen Schreibtischauflage gesammelt hatte.

Flüchtig fiel mein Blick auf den gegenüberliegenden Tisch. Jules’ Sachen waren verschwunden. Sein Arbeitsplatz wirkte kläglicher als meiner. Ich atmete tief durch. Ich hatte mich vor dem Anblick des Tisches gefürchtet. Nun war der Augenblick vorbei, und er war erträglich gewesen. Nichts erinnerte an Jules. Ich nahm Platz und wählte die Nummer der Chefsekretärin Stacy.

„Wieso habe ich keine Fälle bekommen?“, fuhr ich sie an.

„Abe?“ Stacy klang überrascht. „Ich dachte, du bist nicht im Dienst!“

„Wieso sollte ich es nicht sein?“

„Na ja, wegen …“

„Wo sind die Unterlagen im Maskenmörder-Fall?“ Nervös trommelte ich mit den Fingern auf dem Schreibtisch herum. Ich war kurz davor, aufzustehen, um den Chef persönlich danach zu fragen.

„Dale hat den Fall an die zweite Einheit abgegeben.“

Ich hatte es geahnt, dennoch platzte mir der Kragen. „Warum an die zweite Einheit? Er weiß doch genau …“ Ich stoppte. Es war unklug, Stacy dafür verantwortlich zu machen.

„Ich kümmere mich darum!“ Sie legte auf.

Keine fünf Minuten später stand Dale in meinem Zimmer. Ich blieb sitzen und nickte ihm zur Begrüßung lediglich zu. Normalerweise begegnete man dem Chef im Hause respektvoller, doch ich konnte mir ein lässigeres Benehmen erlauben.

Dale war ein paar Jahre jünger als ich. Wie viele Jahre es genau waren, hatte ich bewusst vergessen. Vielleicht hätte es an meinem Ego gekratzt. Von jungen Kollegen ließ ich mir selten etwas sagen. Meine Berufserfahrung und die Auszeichnungen, die ich während meiner Laufbahn erhalten hatte, sprachen für sich.

Auf den Posten des Chefs war ich nie scharf gewesen. Ohnehin hätte ich keinen guten Leitwolf abgegeben. Mein Revier war draußen. Auf der Straße, in den Kneipen, in den verwanzten Häusern, in denen sich die Gauner versteckten.

Dale trat immer wie ein gut erzogener Dressman auf. Ohne Weiteres hätte er Werbung für Parfum oder Eigenheime machen können. Ich war eher der Einzelkämpfer. Zigaretten und Überlebenstraining. Das interessierte mich.

Mein Chef atmete tief durch, bevor er das Wort ergriff.

„Wir hatten abgemacht, dass du nach dem Vorfall eine kleine Auszeit nimmst.“

„Hatte das Wochenende.“ Ich zog den linken Mundwinkel nach oben. Ein Lächeln brachte ich nicht zustande. „Wieso hast du mir den Fall weggenommen?“

Dale kam näher. Die Tür hatte er hinter sich geschlossen. Wir waren unter uns. Allerdings konnte ich mir denken, dass die anderen Kollegen hinter den dünnen Wänden mit den Glasfenstern den einen oder anderen Blick durch die Jalousien warfen. Es war ein dämlicher Sichtschutz. Jules hatte mehrfach um mehr Diskretion am Arbeitsplatz gebeten. Irgendwie hatte er immer die Befürchtung, jemand könnte bemerken, dass etwas zwischen uns lief.

„Hätte ich es nicht getan, hätte es die Staatsanwaltschaft gemacht. Du bist befangen in dem Fall.“

„Mir geht es bestens.“

„Du solltest dich an unsere Polizeipsychiaterin wenden.“

„Tut nicht not.“

Dale schüttelte den Kopf. „Du hast deinen Partner verloren und wärst beinahe selbst draufgegangen. Etwas Ruhe täte dir gut.“

„Wir standen kurz vor dem Durchbruch in dem Fall. Ihn jetzt an eine andere Truppe abzugeben, ist der falsche Weg. Wir müssen den Fall beenden.“

„Es gibt kein ‚wir‘ mehr, daran muss ich dich nicht erinnern.“

Seine Feststellung war wie der Schlag ins Gesicht. „Allein bekommst du den Fall nicht. Er ist weg. – Zwing mich nicht, andere Wege zu gehen.“

Ich verkniff mir einen Kommentar und presste die Lippen fest aufeinander. Andere Wege. Auf eine Suspendierung konnte ich gut verzichten. Die Arbeit allein auf mich nehmen? Das würde bedeuten, dass ich nur die leichten Fälle bekäme oder mich der zweiten Einheit anschließen müsste. Mit den anspruchsvollen Arbeiten wäre es dann vorbei, und ich dürfte mich mit Peanuts abgeben.

„Wann bekomme ich einen neuen Partner?“ Ich mochte die Frage kaum stellen. Sie schmerzte und schnürte mir die Luft ab.

Dale zögerte die Antwort hinaus. „Ich muss mit der Personalabteilung reden.“

Ich sah ihn ungläubig an. „Es wird am falschen Ende gespart.“

„Absolut.“ Er kratzte sich am Hinterkopf. „Gib uns ein paar Tage, okay?“ Er zwinkerte mir zu und ich gab klein bei.

Ich arbeitete für das Department for Crime, kurz DFC genannt, eine Einrichtung, die das komplette Aufgebot von Einsatzkräften für innere und öffentliche Sicherheit beschäftigte.

Es gab den Bereich der Sicherheitspolizei, die die Straßen überwachte. Es gab bestimmte Einheiten für Brand-, Drogen- und Prostitutionsdelikte und es existierten Spezialeinheiten, die sich mit Körperverletzung, Mord und Totschlag auseinandersetzten. Je spezieller und komplizierter ein Fall war, desto besser die Einheit, die sich damit befasste.

Jules und ich arbeiteten in der ersten Einheit. Wir waren die Elite im Morddezernat. Auf unserem Tisch landeten die schwersten Verbrechen.

Mit Jules’ Tod wurde mein Arbeitseifer unterbrochen.

Tage verstrichen, in denen ich leichten Tätigkeiten nachging. Ich machte Vernehmungen und gab ungeklärte Fälle ins Archiv. Obgleich mich meine Aufgaben langweilten, war ich der Letzte, der abends in den Büroräumen das Licht löschte.

Der leere Tisch von Jules irritierte mich, und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ich dort sein musste. Bei ihm, an seiner Seite. Die Schuldgefühle kamen unausweichlich. Ich konnte mir nicht ausreden, dass ich für seinen Tod mitverantwortlich war.

Aber ich wollte keine Hilfe annehmen. Ich war überzeugt, mit den Veränderungen allein klarzukommen. Nur der Form halber stellte ich mich bei der Polizeipsychologin Mia McLoughly vor. Allein ihr Name erheiterte mich. Doch mein Erscheinen, da war ich mir sicher, machte sich gut in meiner Akte.

„Abraham Harper!“ Ihr Empfang war freundlich. Wahrscheinlich hatte sie mein Kommen erwartet. „Setzen Sie sich, bitte, was kann ich für Sie tun?“ Ihre von Natur aus dunklere Hautfarbe glich der eines cremigen Latte macchiatos. Sie hatte dichtes, krauses Haar. Ihr Lächeln riss mich nicht mit.

„Fragen Sie den Chef!“, erwiderte ich weniger enthusiastisch. „Der wollte, dass ich vorbeisehe.“

Das hatte ich nun getan. Flüchtig nahm ich die Umgebung um mich wahr. Das Büro glich einer Bibliothek. Die Regale waren vollgestopft mit Büchern.

„Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“

„Ich möchte nichts trinken. Schreiben Sie in meine Akte, dass ich hier war, und dann gehe ich wieder.“

Sie sah mich prüfend an. „Ihnen geht der Verlust Ihres Partners sehr nahe, nicht wahr?“

Ich wich ihrem Blick aus. Stattdessen fixierte ich die Bilderrahmen auf ihrem Schreibtisch. Sie hatte Familie. Mann und Kinder zeigten auf den Fotos ihr schönstes Lachen. Neid keimte in mir auf, Neid auf das, was ich nicht besaß. Doch ich wollte ihn nicht zulassen. „Leicht ist es nicht, aber ich komme damit klar.“

„Sie haben den Angriff hautnah miterlebt. Ein Erlebnis dieser Art löst bei vielen ein Trauma aus.“

Nun schwirrte mein Blick zurück. „Mir geht es gut!“ Ich deutete auf die Unterlagen. „Ich benötige keinen Seelenklempner, schreiben Sie das in meine Akte!“

„Warum so gereizt, Mr. Harper? Aus Ihren Worten höre ich aufgestaute Wut. Machen Sie sich Vorwürfe?“

„Nein!“ Bei dieser Lüge bekam ich die Zähne kaum auseinander. Selbstverständlich sprach ich mir an Jules’ Tod eine Mitschuld zu. Ich hatte neben ihm gestanden, als der Schuss gefallen war. Vielleicht hätte ich ihn retten können? Doch nun war alles zu spät. Das konnte die Psychiaterin mit ihrem Gerede auch nicht wieder gutmachen. Ich stand auf.

„Es war nett, Sie kennengelernt zu haben. Bitte halten Sie in meiner Akte fest, dass ich hier war.“

„Wir können gerne einen weiteren Termin ausmachen“, bot sie mir an. „Zu einer anderen Zeit, wenn Sie sich besser fühlen.“

„Nicht nötig. Mir geht es gut.“

Starker Kaffee und Koffeinpillen hielten mich bei Laune. Nachts tat ich kaum ein Auge zu. Nach einer Woche war ich Dale dankbar dafür, dass er mir die leichten Büroarbeiten überließ. Die Buchstaben tanzten vor meinen Augen, der Monitor flimmerte, bis ich Kopfschmerzen bekam. Mehrfach verfiel ich in Tagträume. Ich starrte auf Jules’ Stuhl, der leer blieb.

Vielleicht hätte ich zu diesem Zeitpunkt aufgegeben und mich Dales Rat gefügt. Ich wäre nicht der erste Detective gewesen, der weit vor der Pensionierung die Dienstmarke abgab, der nach einem traumatischen Erlebnis das Handtuch warf.

Ich tat jedoch nichts dergleichen und ließ die Sache laufen, bis mich eines Tages ein Anruf aus meiner Lethargie befreite.

„Abraham? Hier ist Clark vom Service.“

Clark? Ich dachte nach. Dunkel konnte ich mich an ihn erinnern. Vor zwei Jahren war eine neue Waffe fällig gewesen. Ich hatte beim Service einen Antrag ausgefüllt und wir waren ins Gespräch gekommen.

Clark arbeitete in der Abteilung für Waffen und die „modernen Hilfskräfte“, wie wir die Freaks unter uns nannten. Warum rief er mich jetzt an? Meine Waffe funktionierte einwandfrei.

Ich schloss die Augen. Mir schwante es.

„Hör zu, meine Glock 36 wurde geprüft. Sie ist okay. Mir wurde versichert, dass ich sie weiterhin nutzen darf.“

Ungern erinnerte ich mich an den letzten Schusswechsel zurück. Nachdem es Jules in die Knie gezwungen hatte, feuerte ich nur ein einziges Mal auf den Täter – und verfehlte das Ziel. In meinen Armen verlor Jules das Bewusstsein. Die schusssichere Weste konnte ihn nicht retten. Die Patrone war quer durch seine Halsseite in das Stammhirn gelangt. Wie mir einer der Ärzte erklärte, war es zu einer Hirnblutung gekommen, die den schnellen Hirntod auslöste.

Der Täter entkam. Meine Waffe setzte ich nicht noch einmal ein.

„Es geht nicht um die Glock 36.“

„Ach, nein?“ Ich stutzte. „Sondern?“

„Am besten unterhalten wir uns persönlich darüber.“

„Bin gleich dort.“ Die Unterbrechung kam mir gelegen. Meine Lider waren schwer, der Kaffee kalt. Ich streckte die abgespannten Glieder und machte mich auf den Weg zum Service, der sich im Untergeschoss befand. Vorher machte ich einen Abstecher zu Dales Büro, doch der Chef war außer Haus. Am Kaffeeautomaten zog ich mir einen Cappuccino. Nichtsahnend begab ich mich in den Fahrstuhl. Dort betrachtete ich mich unfreiwillig in der verspiegelten Innenverkleidung. Ich war groß, etwas stämmig, denn ich legte Wert auf einen muskulösen Körper. Mein kantiges Gesicht verriet allerdings, dass schon viele Fälle und etliche Nachtschichten hinter mir lagen. Auch der Tod meines Partners hatte in meinem Gesicht Spuren hinterlassen. Meine blauen Augen wirkten müde. Sofort nahm ich einen weiteren Schluck des Cappuccinos.

Der Fahrstuhl hielt und ich betrat die unteren Arbeitsräume. Puh, ich war lange nicht mehr dort gewesen.

In den Gängen lagerten ausrangierte Möbel. Einige Zimmer standen leer. Offensichtlich wurde auch im Service der Geldhahn zugedreht. Aus einigen Räumen dröhnte das monotone Geräusch von Maschinen. Mir kamen zwei alte SRs entgegen, die Akten transportierten. Sie grüßten nicht wie die neuen Modelle. Sie waren einfache Roboter, die menschliche Arbeiten kostengünstig verrichteten.

Irgendwann betrat ich Clarks Arbeitsräume, die einer Werkstatt glichen. Vorne am Tresen stellte ich meinen Cappuccino ab. Auf der Arbeitsfläche befanden sich große Monitore. Es surrte lauter als in den anderen Räumen. Aus einem Drucker quälte sich eine lange Schlange Papier. Irgendwo dudelte ein Radio. Neben dem geräumigen Schreibtisch gab es Arbeitstische, auf denen sich allerhand Hardware befand: Festplatten, Tower, Gerätschaften, deren Namen mir nicht geläufig waren, und Metallteile, die ich nirgends einordnen konnte. Dicht an der Wand befanden sich Roboter in verschiedenen Ausführungen. Waren sie defekt? Sie standen wie Zinnsoldaten in Reih und Glied, waren mit Etiketten versehen. Warteten sie auf eine Abholung? Sie regten sich nicht. Lahm gelegt glichen sie überdimensionalen Puppen.

Ich hob anerkennend die Augenbrauen. Clarks Job brachte mehr Arbeit mit sich als meiner. Zumindest körperlich.

„Bin da!“ Es war schwer, die Geräusche zu übertönen. Aus dem Nebenzimmer lugte ein Mann um die Ecke. Es war Clark. Er hatte das braune Haar kurz geschnitten, dazu trug er eine Brille, die er abnahm, als er lächelnd auf mich zukam. „Abraham! Lange nicht gesehen!“

Ich nickte und erwähnte nicht, dass mich eigentlich nur meine Mutter mit vollem Namen ansprach. „Was gibt es so Wichtiges?“ Ich deutete um mich. „Hast du nicht genug Arbeit?“

„Doch, doch!“ Clark säuberte seine ölverschmierten Hände mit einem Tuch. Er trug einen blauen Overall. Auch der war mit Ölklecksen besprenkelt. „Dale bat mich, etwas zu bestellen. Für Rückfragen hat er deinen Namen angegeben.“

Ich lächelte müde. „Will er mir ein Geschenk machen?“ Mein 37. Geburtstag war in wenigen Monaten. Ich zog in Erwägung, ihn dieses Jahr ausfallen zu lassen.

„Du hast deinen Partner verloren.“ Clark klopfte mir auf den Oberarm. „Schlimme Sache, das tut mir leid.“

Ich nickte. Die Beileidsbekundung kam unvorbereitet. Hatte sich das Ereignis also herumgesprochen.

„Worum geht es?“ Dezent wollte ich vom Thema ablenken. Mir war nicht klar, dass Jules’ Tod der Grund war, warum ich hier stand.

Clark begab sich hinter den Tresen. Wortlos legte er einen Katalog auf die Ablage. Es war ein dickes Verzeichnis. Andro Tech R+A Modelle lautete der Titel des Covers, auf dem ein SR-Roboter abgebildet war. Ungläubig starrte ich ihn an.

„Dale möchte, dass du dir einen aussuchst.“

Ich schluckte trocken. „Du machst Witze?“

„Nein.“

Mir verschlug es die Sprache. Clark zuckte mit den Schultern. Er tat nur das, wozu er beauftragt wurde. „Einen Moment, bitte.“ Ich drehte mich weg. Mein Handy war schnell gezückt. Ich wählte Dales Nummer. Er war nicht nur mein Chef, sondern auch ein entfernter Cousin. Ein Grund für unser vertrautes Verhältnis. Da kam es auch schon mal vor, dass ich mich im Ton vergriff.

„Abe? Sorry, ich bin unterwegs.“

„Das weiß ich!“ Meine Stimme bebte. „Ich bin gerade bei Clark, im Service.“ Wieso, konnte Dale sich wohl denken. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“

„Anders geht es nicht, Abe. Das DFC stellt dieses Jahr keine neuen Kräfte mehr ein.“

„Aber für eine dämliche Maschine reicht das Geld noch, ja?“

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Clark den Kopf senkte. Mir war egal, was er dachte.

„Das klingt für dich im Moment nicht logisch. Die CP-Modelle sind kostspielig, ja, aber im Unterhalt billiger als jede Arbeitskraft.“

„Du möchtest Jules durch einen Roboter ersetzen?“ Ich konnte es nicht glauben.

„Anders kann ich dir keinen neuen Partner zusichern …“

Ich legte auf und steckte das Handy zurück in meine Hosentasche. Schnell überdachte ich meine Situation. Entweder blieb ich bei den leichten Fällen, allein, oder ich ließ mich auf einen mechanischen Partner ein und durfte endlich wieder das tun, was ich am besten konnte: Verbrecher jagen und dingfest machen.

Die Arbeit auf der Straße war nur im Team erlaubt. Mir blieb keine andere Wahl.

Gemächlich kam ich zum Tresen zurück, wo ich einen letzten Schluck des abgestandenen Cappuccinos zu mir nahm.

„Also, schieß los!“, forderte ich Clark auf. „Was haben die Modelle zu bieten?“

Er fing von vorne an. Ich wusste nur unzulänglich über die verschiedenen Formen der maschinellen Hilfskräfte Bescheid. Erst in den letzten Jahren erfreuten sich Roboter auch in unserer Stadt zunehmender Beliebtheit. Einfache SP-Modelle wurden vermehrt von wohlhabenden Leuten gekauft. Nicht selten ersetzten diese Modelle den Butler oder anderes Dienstpersonal.

In vielen Betrieben wurde die menschliche Arbeit durch Roboter ersetzt. Meist ging es um simple Tätigkeiten, die im Akkord durchgeführt werden mussten. Stattdessen gab man den menschlichen Mitarbeitern anspruchsvollere Aufgaben. Arbeiter bekamen ihren eigenen Roboter, den sie schulen und kontrollieren mussten.

Beim DFC wurden vereinzelt CPAs eingesetzt. Mich hatte diese Tatsache bislang nicht sonderlich interessiert. Ich war kein Technik-Freak und kam gut allein mit meiner Arbeit zurecht.

Jetzt hörte ich allerdings genau zu, als Clark mir Details über die neuen Hilfskräfte lieferte.

„Es gibt die einfachen Service & Run Roboter. Sie sind eine Mischung aus Hilfs- und Laufroboter.“ Clark hatte die ersten Seiten des Katalogs aufgeschlagen. Die zweibeinigen Metall-Konstrukte, die der menschlichen Gestalt ähnelten, kamen mir bekannt vor.

„Mir sind welche im Flur begegnet.“

Clark nickte. „Ja, sie können dem Menschen lästige Arbeiten abnehmen. Dinge transportieren, stapeln, sortieren, vernichten … Meine Nachbarn haben einen.“ Er grinste. „Der mäht für sie den Rasen und hakt die Beete. Die SRs sind robust, wasserabweisend, sie rosten nicht und sind kälte- und hitzebeständig.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber so einer kommt für dich nicht infrage. Im Außeneinsatz sollte man nicht gleich bemerken, dass man es mit einer Maschine zu tun hat.“

Er blätterte einige Seiten weiter. Zusammen sahen wir auf die Specialized Versionen, die SVs. Sie glichen großen Wachsfiguren. Ihr mechanisches Innenleben war mit einer hautähnlichen Hülle überspannt.

Lediglich ihre blasse Hautfarbe und die gradlinigen Gesichtszüge ließen erahnen, dass sie keine Menschen waren.

Ich runzelte die Stirn. „Sie erinnern mich an Schaufensterpuppen.“ Gezwungenermaßen nahm ich eine ablehnende Haltung ein. „Mein Partner sollte sich unauffällig bewegen und natürlich aussehen.“

Clark nickte. Er blätterte weiter. „Das DFC fordert vornehmlich die Civilized Personal Roboter an. Ihre Hülle ist aus Silikon. Sie verfügen über eine Ausstattung, die nahezu jeden Bewegungsablauf des Menschen nachahmen kann. Aufgrund einer exzellenten Software können sie Aufgaben eigenständig lösen und Arbeiten selbstständig verrichten. Dazu gehört logisches Denken ebenso wie richtig kombinierte Handlungsabläufe.“

Das gefiel mir besser. Neugierig betrachtete ich die Abbildungen.

„Vornehmlich beim Drogendezernat werden welche eingesetzt“, fügte Clark hinzu. „Auch in den Spezialeinheiten gibt es welche.“

„Was? Tatsächlich?“ Ich staunte. War mir jemals aufgefallen, dass einer der Kollegen, mit denen ich eng zusammen arbeitete, irgendwie nicht echt war? „Das habe ich noch nie bemerkt.“

„Siehst du!“ Clark zwinkerte mir zu. „Wenn man nicht damit rechnet, fällt es noch weniger auf.“

Wir lachten gemeinsam. Gebannt hörte ich Clarks Erzählung zu.

„Ein breitgefächertes Basiswissen ist die Grundlage der künstlichen Menschen. Ihnen stehen verschiedene Wege offen, um das Wissen logisch einzusetzen. Sie sind darauf programmiert, korrekt zu handeln. Sie sind überaus loyal, sie vergessen nichts und bekommen keinen Burn-out.“

„Dann werden sie uns ja bald den Rang ablaufen.“

Die Vorstellung daran bereitete mir Magenschmerzen. Würde mein Posten bald überflüssig sein? Ich stellte mir vor, dass das DFC bald nur noch Roboter einstellte, um Geld zu sparen, doch Clark verbesserte mich.

„Ziel ist es, die Zusammenarbeit von Mensch und Robotern zu forcieren und die Vorurteile zu beseitigen. Je besser diese Arbeit läuft, desto schneller werden die Menschen die modernen Helfer akzeptieren und gleichwertig behandeln.“

„Aber ich werde weiterhin das Sagen haben? Mir wird nichts aus der Hand genommen?“

Clark schüttelte den Kopf. „Mit deinen Ansagen wirst du deinen neuen Partner steuern können. Es liegt an dir, wie er sich entwickelt.“

„Okay, damit kann ich leben.“

„Dann kommen wir der Sache schon näher.“ Clark machte sich Notizen. „Wie soll dein neuer Partner programmiert sein? Was muss er können?“

Ich musste nicht lange überlegen: „Er muss wachsam und schnell sein, das heißt, ich benötige ein sportliches Model. Er muss auch nachts einsetzbar sein. Er muss mit der Waffe umgehen können und er sollte …“ Ich zeigte auf meinen Kopf und machte mit der Hand eine drehende Bewegung.

„… sich viele Dinge merken und richtig schlussfolgern können.“

Clark tippte alles in seinen Computer ein.

„Er muss auch bei den härtesten Fällen einen klaren Kopf bewahren. Zartbesaitete Typen sind ungeeignet.“

Clark unterbrach. „Die CPAs sind emotionslos, da kann ich dich beruhigen.“

Ich hielt einen Moment inne. „Sie fühlen nichts?“

Clark verneinte. „Sie sollen Arbeit zufriedenstellend erledigen, mehr nicht.“ Er zuckte mit den Schultern. „Wie ein Instrument, das dir zur Seite steht.“

Ich stöhnte genervt. Irgendwo musste ja ein Haken sein. „Also wird es mir doch so vorkommen, als würde ich einen Clown durch die Gegend fahren.“

„Du kannst es dir nicht vorstellen?“ Clark winkte mich zu sich hinter den Tresen. „Komm her, ich zeige dir etwas.“

Ich folgte ihm in das angrenzende Arbeitszimmer. Dort, an der Wand, reihten sich viele Werkzeuge aneinander. In der Mitte des Raumes stand ein Arbeitstisch, auf dem ein CPA-Modell lag. Allerdings fehlten ihm die Beine. Die lehnten neben einem Sideboard. Sie bestanden nur noch aus dem mechanischen Innenleben und waren schwarz angelaufen.

„Gütiger, wie ist das passiert?“

„Er ist durch eine brennende Öllache gelaufen und hat dadurch drei Menschen das Leben gerettet. Leider konnte die Haut der starken Hitze nicht standhalten.“

Ich trat an den Tisch heran und begutachtete den Torso des CPAs, der unversehrt aussah. „Du kannst ihn reparieren?“

Clark wägte ab. „Ich versuche es. Die Silikonschicht muss im Werk neu angebracht werden.“

Ich sah mir das Model genauer an. Ein merkwürdiges Gefühl überkam mich. Es machte mich neugierig. Was sich mir bot, hörte und sah ich zum ersten Mal. Es war, als würde ein Toter vor mir liegen, ohne Bewegung, ohne Wahrnehmung. Dennoch sah der CPA noch erstaunlich lebendig aus. Ich berührte seine Wange. Die Silikonhaut war weich und besaß dennoch die nötige Spannkraft. Sie gab bei leichtem Druck nach. Ich staunte. „Es fühlt sich wie echte Haut an.“

Clark nickte. „Die Materialien werden immer besser.“

Ich fügte die Informationen zusammen. „Er ist also aus eigenem Antrieb in das Feuer gelaufen und hat Leben gerettet, ohne Rücksicht auf seine eigene Beschädigung?“

„So sieht es aus.“

Mir entwich ein leiser Pfiff, der Anerkennung bedeutete. Ein Partner, der im Einsatz alles gab, war genau der richtige für mich. Und es beruhigte mich, dass ein Roboter nicht wirklich sterben konnte. Allenfalls wurde er untauglich. War etwas defekt an ihm, konnte man es austauschen.

Doch letzte Zweifel blieben. Ich rieb mir nachdenklich das Kinn.

„Das klingt alles schön und gut, aber wenn ich daran denke, dass ich stundenlang mit diesem Roboter …“

„Es sind Androiden“, verbesserte mich Clark.

„Okay!“ Ich zeigte mich gewillt, zu lernen. „Also, dass ich mit einem Androiden den Arbeitstag bewältige, dass der stundenlang mit mir einen Schreibtisch teilt und mit mir im Auto durch die Gegend fährt, dass der bei all unseren Tätigkeiten keine Miene verzieht?“

„Gängige Gefühlsregungen sind freigeschaltet.“ Clark ging zurück ins Büro, wo er die Bestellung weiter bearbeitete. „Gesichtsregungen bei Ärger, Freude und Schmerz.“

„Aber diese Gefühle sind nicht echt?“

„Er wird sich anpassen.“

„Kann ich mich mit ihm unterhalten?“

„Über die Arbeit, ja.“

„Nichts Persönliches?“ Ich dachte an die langen Gespräche, die ich mit Jules während geheimer Observationen geführt hatte. Sie hatten uns gelockert und die Langeweile bekämpft.

„Ein persönliches Eigenleben ist für dieses Model nicht vorgesehen. Du holst deinen Partner morgens zur Arbeit von der Ladestation und gibst ihn nach der Schicht wieder dort ab.“ Clark hob die Hände etwas an, als müsste er sich rechtfertigen. „Das ist ja der Sinn dieser Androiden. Sie benötigen nichts weiter, als Strom und einen Administrator, der sie an die Hand nimmt.“

„Moment!“ Jetzt schritt ich abermals ein. „Sie nehmen auch nichts zu sich? Mit wem kann ich denn in den Pausen meinen Kaffee trinken?“ Ich fasste mir an die Stirn.

Clark holte tief Luft. „Du musst dich davon freimachen, dass sie dem Menschen in allen Lebenslagen ähneln. Sie sehen zwar wie Menschen aus, doch bleiben sie humanoide Roboter.“

„Das gefällt mir nicht. Es muss doch irgendetwas geben, was sie kompatibler macht.“

„Mit dir?“ Clark verkniff sich ein weiteres Lachen.

„Ich muss mich auf meinen Partner verlassen können. Nur so kann ich arbeiten. Wir kriegen die härtesten Fälle in der Mordkommission. Das muss harmonieren.“

„Klar!“

Clark dachte nach und ich gewährte ihm die Zeit. Schließlich nahm er den Katalog wieder zur Hand. „Es gibt da vielleicht noch eine Möglichkeit.“

„Ja?“ Erfreut trat ich näher. Clark hatte den Katalog weit hinten aufgeschlagen. „Das neue LUV-Modell.“

„Love?“

„Nein, L.U.V.® – Limited Uniquely Version.“

„Was bedeutet das?“

„Es gibt bis jetzt nur wenige Prototypen, doch die sind individuell und vielseitig einstellbar, sodass sie quasi in jedem Einsatzgebiet tauglich sind. Bei Großeinsätzen, im Krieg, bei Demonstrationen, unter Tage, sogar im Weltraum.“

„Na, so hoch wollte ich nicht hinaus.“ Ich schielte auf den Katalog und runzelte die Stirn. „Sie sehen täuschend echt aus.“

Clark ging ins Detail. „Sie können den Menschen soweit imitieren, dass sie auch geringe Mengen an Nahrung zu sich nehmen können. Durch einen Selbstreinigungsprozess wird alles wieder abgesondert.“

„Also gehen sie auch zur Toilette?“

Clark nickte. „Sie können husten, gähnen, lachen, seufzen … nahezu alles nachahmen, was zum menschlichen Verhalten dazugehört. Ein Außenstehender bemerkt keinen Unterschied.“

„Das klingt gut. So einen nehme ich.“

Mein Entschluss stand fest, doch Clark verzog das Gesicht. „So einfach wird es nicht werden. Die Dinger sind noch nicht offiziell zugelassen. Dale hat für dich einen CPA vorgesehen.“

„Ich nehme den L.U.V.. Und falls er zu teuer ist, zahle ich den Rest aus eigener Kasse.“ Mir entwich ein Lachen. „Sollen sie es von meinem Lohn abziehen. Mir geht es finanziell nicht schlecht.“

Clarks Stirn blieb kraus. „Ein L.U.V. kostet einige Gehälter mehr als ein CPA. Aber Andro Tech sucht immer Partner, die das Model für Tests einstellen und sich an der Weiterentwicklung beteiligen.“

„Das klingt doch gut.“

„Ich werde eine Anfrage fertigmachen. Vielleicht hast du Glück.“

Er gab weitere Daten in den Computer ein. Mir blieb Zeit, um nochmals im Katalog zu blättern.

„Wenn alles klappt, wann kann ich denn mit meinem neuen Partner rechnen?“

„Vier Wochen wird es dauern.“

„Oh je!“ Ich zog in Erwägung, bis dahin eine Auszeit zu nehmen. Die letzten Seiten des Kataloges erstaunten mich. „Das Aussehen kann beliebig gewählt werden?“

Ich blickte auf Tabellen, die Größe, Gewicht, Körperbau, sowie Augen-, Haar- und Hautfarbe zur Auswahl stellten.

„Natürlich.“ Clark nickte.

Ich schloss den Katalog und klemmte ihn unter den Arm. „Heute Nachmittag bekommst du den kompletten Auftrag.“

In meiner Mittagspause machte ich mir Gedanken über das Aussehen meines L.U.V.-Modells. Ich fand es nicht verwerflich; immerhin sollte ich ihn tagtäglich ertragen müssen. Mein Partner musste ansehnlich sein, sodass ich nicht ständig daran erinnert wurde, was für ein schlimmer Verlust Jules’ Ableben für mich war.

Mein verstorbener Partner hatte ein kantiges Gesicht besessen. Er hatte helles Haar und einen jugendlichen Körperbau gehabt. Mein neuer Kollege sollte sportlicher sein und mich in keiner Weise an Jules erinnern. Ich wählte braunes Haar und eine grüne Iris. Seine Hautfarbe sollte nicht zu dunkel sein und seine Gesichtszüge weich. Mehr Angaben machte ich nicht. Ich war gespannt darauf, was mir die Firma Andro Tech liefern würde.

Am Nachmittag brachte ich meine Bestellung zum Service. Clark überflog die Liste. Ich wollte gar nicht wissen, was das Model, das ich mir zusammengestellt hatte, kosten würde. Aber, wie er mir versichert hatte, war es vielleicht möglich, dass sich die Firma und Andro Tech die Unkosten teilten.

Clark zog den Stuhl an die Arbeitsfläche heran und setzte sich. Er hörte nicht auf, meine Notizen zu studieren. Schnell hatte er sich einen Überblick verschafft. „Das wird teuer.“ Mit einem Bleistift schrieb er Bemerkungen neben meine Aufzeichnungen. Zwischendurch hielt er inne.

„Wenn du Schnelligkeit und Geschick auf den höchsten Level setzt, gibt es Einbußen im Denkvermögen.“

Ich nickte. Damit konnte ich leben. Abgesehen davon war der L.U.V. leistungsstärker als jedes CPA-Modell.

„Wieso soll er rauchen können?“

„Das wirkt authentischer.“

„Was dem Menschen schadet, sollte ein Roboter erst recht nicht nachahmen.“ Er strich diesen Punkt von der Liste. „Auch der Bartwuchs ist überflüssig.“

„Okay, das kannst du von mir aus streichen.“

Clark machte einen dicken Strich durch die Spalte „Körperbehaarung“.

„Dann nehme ich gleich die Behaarung an Beinen, Armen und Brust weg.“

Er setzte den Stift auf das Papier.

„Brust bleibt!“

Clark nahm ein Radiergummi zur Hand. Ich vergewisserte mich nochmals, dass der Android auch wirklich Nahrung aufnehmen konnte. „Und er wird tatsächlich essen und trinken können?“

„Es gibt eine Öffnung, über die …“

„Gott bewahre, verschone mich mit Details!“ Ich hob die Hände. Das wollte ich nun wirklich nicht hören.

„Er soll so menschlich wie möglich sein.“ Ich wiederholte meine Vorstellung von einem neuen Partner. „Der L.U.V. muss meinen Kollegen ersetzen, und ich möchte nicht immer daran erinnert werden, dass ich es mit einem Androiden zu tun habe.“

Clark nickte. „So authentisch wie möglich, ich habe es kapiert.“ Er hakte den Rest ab. „Ich melde mich, wenn er fertig ist.“

Ich bedankte mich. Zufrieden kehrte ich in mein Büro zurück, wo ich ein Schreiben aufsetzte und drei Wochen Urlaub beantragte.

*

Ich war kein guter Koch. Wenn ich spät abends nach Hause kam, gab es nur Snacks aus der Mikrowelle oder den schnellen Burger vom Diner um die Ecke. In der Kantine allerdings konnte ich mich an den gedeckten Tisch setzen und das Gefühl haben, jemand hatte sich in der Küche Mühe gegeben.

Ich kam von meiner Mittagspause. Auf meinem Schreibtisch fand ich eine neue Akte vor. Wieder ein Raubüberfall mit Schwerverletzten bei dem Juwelier in der Minor’s Street. Allmählich hatte ich das Gefühl, dass der Inhaber die Scheiße selbst fabrizierte, um Versicherungsgelder zu kassieren. Das war wahrlich kein Fall für die erste Einheit. Ich schob die Papiere zur Seite, denn das Telefon klingelte. Es war Stacy.

„Clark versucht dich seit einer Stunde zu erreichen.“

Ich schielte zur Uhr. Es war Nachmittag und eigentlich wollte ich früh Feierabend machen. Der Urlaub hatte mir gut getan. Der erste Arbeitstag in dem stickigen Büro brachte mir jedoch gleich Kopfschmerzen ein. Ich knetete meine linke Schläfe. „Was wollte er denn?“

Mein Blick fiel auf den Kalender. Vier Wochen waren noch nicht verstrichen.

„Keine Ahnung. Aber es klang wichtig.“

„Okay, danke.“ Ich legte auf und kam wieder auf die Beine. Irgendwie machte sich ein ungutes Gefühl in mir breit. Vielleicht gab es Probleme mit der Lieferung? Womöglich hatte Dale die Anfertigung meines Androiden gestoppt, weil die Kosten zu hoch waren? Mit hastigen Schritten begab ich mich ins Untergeschoss, nicht ohne mir vorher einen Kaffee aus dem Automaten zu besorgen.

Erstaunlicherweise war ich nicht der Einzige, der etwas von Clark wollte. Vor dem Tresen stand ein Mann, der gelangweilt aussah. Von Clark fehlte jede Spur.

Ich nickte dem Fremden zu. Er erwiderte meinen Gruß nicht. Ich setzte mich auf einen Wartestuhl und schlürfte meinen Kaffee. Aus dem Arbeitszimmer hörte ich Geräusche. Jedoch machte ich mich nicht bemerkbar. Ich ließ dem anderen Mann den Vortritt. In meinem Büro wartete nur dieser langweilige Fall.

Ich dachte darüber nach, ihn an die dritte Einheit abzuschieben. Nach wie vor waren Tötungsdelikte mein Spezialgebiet. Und auch wenn ich derzeit allein ermittelte, wollte ich mich nicht unter meinem Wert verkaufen.

Es vergingen zehn Minuten, in denen sich nichts tat. Der Mann am Tresen regte sich nicht und Clark blieb unsichtbar. Als ich den Kaffee geleert hatte, räusperte ich mich.

„Wird es noch lange dauern?“

Der Typ am Tresen drehte sich nicht um. Er sagte nichts, und ich empfand sein Verhalten als unhöflich. „Dann eben nicht.“ Ich nahm mir eine Zeitschrift. Auf dem Beistelltisch lag jedoch nur uninteressante Lektüre. Allmählich kam meine schlechte Laune zurück. Ich stand auf.

„Normalerweise kann ich warten, aber mein Anliegen ist wichtig“, erklärte ich dem Mann am Tresen. Er antwortete wieder nicht. Prüfend lehnte ich mich vor und rief in Richtung des Arbeitszimmers. „Clark? Hast du Zeit?“

Die Geräusche verstummten und Clark lugte um die Ecke. „Oh, ich hatte dich schon erwartet.“

„Tja, ich bin schon eine Weile hier.“ Mein Blick fiel auf den Mann. Er verzog noch immer keine Miene. „Wollte mich eigentlich auch nicht vordrängeln.“

Mit dem Kopf deutete ich neben mich, dorthin, wo der Mann wartete.

„Ach, du dachtest …“ Clark beendete den Satz nicht, stattdessen lachte er laut.

„Was ist denn so komisch?“, fragte ich. Die Situation wurde unangenehm. Ich diente nicht gern der Erheiterung. Zum Glück lachte der Fremde nicht mit.

Clark erkannte meine Not. Er wurde wieder ernst, kam hinter dem Tresen hervor und klopfte dem Fremden auf die Schulter. „Darf ich vorstellen? Dein neuer Partner.“

„Was?“ Augenblicklich verstand ich alles: das Schweigen des Mannes, seine stocksteife Haltung und Clarks Belustigung.

Ich strich mir über die kurzen Haare. Seitdem ich bei der Polizei arbeitete, hatte sich mein Haarschnitt nicht geändert. Kurzes Haar war praktisch und bei einem körperlichen Einsatz nur von Vorteil.

Ich wagte ein Lächeln. „Ach so. “

Der ominöse Fremde trug einen dunklen Anzug mit Krawatte. Ich hatte ihn für einen „Bürohengst“ gehalten. Er wirkte ablehnend und seine Gesichtszüge waren wie eingefroren. Er stand vor dem Tresen, als würde er träumen. Sein äußeres Erscheinungsbild glich allerdings den Angaben, die ich bei der Bestellung gemacht hatte. Er hatte dunkle Haare, eine Kurzhaarfrisur mit Seitenscheitel und grüne Augen. Seine Figur war groß und sportlich. Natürlich sah er jünger aus als ich. Seine Haut war glatt. Minimale Fältchen umgaben seine Augen. Auf der Nase hatte er kleine Sommersprossen. Seine Lippen waren vielleicht etwas zu geschwungen. Doch das gefiel mir auf Anhieb.

„Du hättest ja mal was sagen können!“ Ich zwinkerte Clark zu. Meine Unsicherheit konnte ich schwer kaschieren „Warum regt er sich nicht? Ist alles okay mit ihm?“

„Das werden wir gleich feststellen.“ Clark begab sich hinter den Tresen. Aus einer kleinen Tüte entnahm er einen Speicherchip. „Ich wollte ihn mit dir zusammen starten und testen.“

„Das ist sehr nett von dir, danke.“

Meine Aufregung wuchs. Clark kam zurück mit dem Chip in der Hand „Die Schaltzentrale des L.U.V.s liegt im Rücken. Kannst du bitte Hemd und Sakko hochschieben?“

„Natürlich!“

Meine Finger vibrierten aufgeregt, als ich dem Fremden buchstäblich an die Wäsche ging. Was wir taten, war irgendwie seltsam. Ich hatte das Gefühl, einem Menschen gegenüberzustehen, und doch wusste ich, dass es sich nur um eine Maschine handelte.

Mit einem kurzen Ruck zog ich das Hemd aus seiner Hose. Mitsamt dem Sakko schob ich den Stoff nach oben. Auf den ersten Blick sah die Kehrseite des Androiden gewöhnlich aus. Clark tastete sie mit der freien Hand ab. Mit zwei Fingern drückte er tief in die gummiartige Hülle. Kurz darauf sprang ein Stück der hellen Hautschicht nach oben. Clark ergriff den Hautzipfel und legte ein großes, rechteckiges Stück des Rückens frei, indem er den Hautlappen zurückklappte. Unter der Schutzschicht befand sich der maschinelle Teil des Konstrukts. Wir sahen auf eine Metallscheibe, die wie ein Arbeitsspeicher aussah. Mehrere kleine Kabel gingen von ihr ab. Es gab klitzekleine Schrauben und Knöpfe, die fest auf dem Speicher fixiert waren. Clark schob den Chip in einen dafür vorgesehenen Schlitz. Dann klappte er das Silikonstück zurück, strich über den Rücken und alles sah wieder einwandfrei aus.

Jetzt stellte er sich neben mich. Er packte den Androiden bei den Schultern und rückte ihn wie ein Möbelstück zurecht, sodass er uns genau gegenüberstand.

„Der An- und Ausschalter befindet sich hinter dem linken Ohr. Möchtest du ihn starten?“

Diese Frage überwältigte mich. Ich fühlte mich in meine Kindheit versetzt. Der Moment glich einem Weihnachtsabend, einem Kindergeburtstag, an dem man viele bunte Geschenke bestaunen und öffnen konnte.

Mittlerweile befand ich mich im besten Mannesalter, hatte einen gut bezahlten Job und genoss die Anerkennung der Menschen, mit denen ich mich umgab. Ich konnte mich nicht erinnern, wann mein Herz das letzte Mal derartig geflattert hatte. Vielleicht damals, als mich Jules das erste Mal geküsst hatte?

„Hinter dem Ohr, ja?“

Clark nickte, woraufhin ich meine Hand in das Haar des Androiden legte. Es war weich und schimmerte. Schnell fand ich den flachen Knopf, der hinter der Ohrmuschel versteckt war. Ich drückte darauf und zog die Hand zurück. Kaum war der Android aktiviert, blinzelte er. Ich trat einen Schritt zurück. Nicht vor Angst, sondern aus Respekt.

„Guten Tag, meine Herren. Ich bin der L.U.V. Proto First und stehe zu Ihren Diensten.“

Der Android nickte uns zu.

„Guten Tag“, erwiderte Clark. Er begann mit einigen Testfragen. „Wie viele Finger zeige ich dir?“ Er hob die Hand empor.

„Fünf.“

„Und jetzt?“ Clark formte das Fingerzeichen für Victory.

„Zwei.“

„Wie viele Personen sind im Raum?“

„Drei.“

„Wie viel sind 11,2% von der Summe 12.850?“

„Das sind 1439,2, Sir!“

Clark rechnete die Aufgabe mit dem Taschenrechner nach und das Ergebnis war korrekt.

„Welche Farbe haben meine Socken?“

Der Android neigte den Kopf und starrte auf Clarks Schuhe.

„Bedaure Sir, ich kann Ihre Socken nicht sehen, tippe aber auf Schwarz.“

Clark lachte und zwinkerte mir zu. „Nicht schlecht, oder?“

Ich stimmte zu, auch wenn mich die Darbietung noch nicht überzeugte. „Geh den Flur entlang.“

Der L.U.V. setzte sich in Bewegung und ich war überrascht. Sein Gang war federnd und wirkte natürlich. „Und jetzt laufen!“

Er lief bis zum Ende des Flures, drehte um und kam zurück gesprintet. Vor uns blieb er stehen. Er war nicht außer Puste.

„Nach einer körperlichen Betätigung sollte er schneller atmen, oder nicht?“ Die Frage galt Clark, doch der Android antwortete.

„Ich bin eine trainierte Person. Ein kurzer Sprint kostet mich keine Kräfte.“

„Aha.“ Ich lächelte verkrampft. Der Neue schien ein ganz Schlauer zu sein. Ich zog Clark beiseite, um letzte Fragen zu klären.

„Wie lange hält sein Akku?“

„In der Regel 12 Stunden, je nach Belastung auch weniger. Er wird dir Bescheid geben, wenn die Leistung nachlässt.“

„Und ich kann ihn sofort einsetzen?“

„Alle Grundeigenschaften sind programmiert, doch er muss noch viel lernen. Jeden Tag wird er sich neue Fähigkeiten aneignen“, erklärte Clark. „Du bist sein Administrator. Er wird dich beobachten, dich wahrnehmen, dein Verhalten analysieren, darauf reagieren und für sich selbst daraus Schlüsse ziehen.“

„Also wie ein Hund, den ich dressieren muss?“

„Na ja.“ Clark wägte ab. „Eher wie ein wissbegieriges Kind, das sich rasant entwickelt.“

Er zog ein Heft hinter dem Tresen hervor. „Für Fragen stehe ich dir gern zur Verfügung. Allerdings habe ich bald ein paar Tage Urlaub.“ Er drückte mir das Heft in die Hände. „Die Bedienungsanleitung. Öl und Puder für die Pflege findest du in der Ladestation. Vor der regelmäßigen Wartung werde ich dich kontaktieren.“

Ich nickte. „Das ist alles?“

„Die Auflade-Station befindet sich im Sicherheitstrakt. Die Zugangsberechtigung bekommst du beim Pförtner.“

„Super.“ Ich klopfte Clark auf die Schulter. „Vielen Dank!“

„Gern geschehen.“ Clark hob anerkennend die Augenbrauen. „Ich sollte dir gratulieren. Du hast wohl den fortschrittlichsten Androiden der Stadt.“

„Wird sich zeigen, ob das von Vorteil ist.“

Mit der Bedienungsanleitung unter dem Arm wandte ich mich an meinen neuen Partner.

„Okay, wir können los.“

„Sind Sie mein Administrator, Sir?“, fragte er sofort.

Heilige Scheiße. Er sah mich an mit seinen grünen Augen, als wollte er bis in mein Inneres blicken. Konnte er das vielleicht? Besaß er einen Röntgenblick oder dergleichen? Zur Sicherheit hielt ich erst einmal einen gewissen Abstand zu ihm.

„Ja, das bin ich. Mein Büro ist im zweiten Stock.“

„Das ist mir bekannt, aber danke, Sir.“

Der Android folgte mir. Ich musterte ihn neugierig. Vor dem Fahrstuhl blieben wir stehen. Oftmals nahm ich die Treppen. Ich hielt es jedoch für sinnvoller, den nagelneuen Roboter nicht gleich zu überfordern.

„Das ‚Sir‘ kannst du weglassen. Wir sind hier eigentlich alle per Du.“

Ich erhielt keine Antwort. Der L.U.V. verfiel wieder in eine Starre. Als der Lift sich öffnete, folgte er nicht.

„Hey! Der Fahrstuhl ist da!“ Ich tippte ihm auf die Schulter. Nichts! „Na, das fängt ja gut an.“

Ich drehte mich um und brüllte durch den Flur: „Clark, es gibt Probleme!“

„Ja?“ Im Laufschritt kam Clark auf uns zu. „Wieso?“

Ich hob die Schultern an. „Keine Ahnung. Er ist stehen geblieben und reagiert nicht mehr.“

Clark fuchtelte dem L.U.V. vor den Augen herum. „Hallo?“

Der Neue blinzelte nicht einmal mit den Lidern. Clark machte sich daraufhin wieder an dessen Rücken zu schaffen. „Vielleicht ist der Chip verrutscht.“

„Kommt das öfter vor? Wäre ungünstig.“

Clark schüttelte den Kopf. Er hatte sich Zugang zum Innenleben des L.U.V.s verschafft und fummelte darin herum. „Derartiges passiert eigentlich nur, wenn ihn etwas stark erschüttert.“

Plötzlich bewegte der L.U.V. seinen Kopf.

„Ich hatte den Chip nicht fest genug hineingedrückt“, erklärte Clark. Er beendete die Maßnahme und richtete die Kleidung des Androiden. „Fehler behoben.“

*

Im Fahrstuhl standen wir uns gegenüber. Ich trug wie immer eine Bluejeans und einen Kapuzenpullover. Zivile Kleidung. Auch Jules war bei der Klamottenwahl leger vorgegangen. Wenn wir auf Streife gingen, wollten wir so unauffällig wie möglich aussehen. Anders als die Cops der Schutzpolizei trugen wir keine Uniform.

Dass man meinen neuen Kollegen in einen Anzug gesteckt hatte, gefiel mir irgendwie nicht. Auch seine Frisur sah altmodisch aus.

„Wie war noch dein Name?“

„Ich bin das L.U.V. Model Proto First. Mein humaner Name ist Mr. Smith, Sir.“

Mr. Smith, wiederholte ich in Gedanken. Wie einfallsreich. „Das ‚Sir‘ wollten wir weglassen.“

„Ich kann mich erinnern, Sir.“

„Kein ‚Sir‘, bitte.“

„Sir?“ Er sah mich fragend an. Ich gab es auf.

Die Fahrstuhltür öffnete sich und ich ging voran. Es war eigenartig, wieder einen Partner an der Seite zu haben. Ich vermisste Jules. Mit ihm hatte ich immer geredet, wenn wir durch die vertrauten Gänge der Abteilung geschlendert waren. Heute ging ich zügiger und Mr. Smith blieb ein paar Schritte hinter mir, wie ein lästiger Parasit.

Im Vorzimmer des Chefs machte ich kurz Halt. „Stacy?“ Die Sekretärin sah auf. „Darf ich dir meinen neuen Kollegen vorstellen? Mr. Smith.“

Sie erhob sich unverzüglich. „Oh, das ist ja eine Überraschung! Dale hatte gar nicht erzählt, dass …“

Sie kam näher und reichte dem Neuen die Hand. „Herzlich willkommen. Ich bin Stacy Hopes, die Chefsekretärin. Mädchen für alles, sozusagen.“ Sie kicherte.

Mr. Smith behielt seine ernste Miene bei, als er ihre Hand schüttelte. Stacy verzog ihr Gesicht. War der Händedruck meines Androiden zu kräftig?

„Ab heute keine leichten Fälle mehr. Wir sind wieder zu zweit unterwegs.“

Stacy nickte. „Okay.“

„Ist Dale im Haus?“

„Ja.“

Ich drehte mich zu Mr. Smith um. „Geh schon mal vor in mein Büro. Den Gang durch, dann links.“

„Ist mir bekannt, Sir.“

Er setzte sich in Bewegung. Mit der Aufteilung des Gebäudes war er also vertraut. Ich musste annehmen, dass er grundlegende Kenntnisse über unsere Einrichtung besaß; dass sich allerhand auf seinem Chip befand, was mir unnötige Erklärungen ersparte.

„Alles in Ordnung, Abe?“

„Ja, ja …“ Ich strich mir über die Stirn und hörte auf, Mr. Smith hinterher zu starren.

„Das wird sicher ungewohnt werden, ohne Jules, mit einem Neuen …“

Ich deutete ein Nicken an. Stacy schien nicht eingeweiht. Sie hatte nicht erkannt, dass Mr. Smith nicht „echt“ war. Ich wandte mich um. Die Zimmertür des Chefs war angelehnt und ich hörte ihn telefonieren. „Sag Dale, dass ich ihn sprechen möchte, sobald er Zeit findet.“

Eine ungewohnte Stille herrschte im Büro. Nur die Uhr an der Wand tickte laut. Wir saßen uns gegenüber und schwiegen. Vorsorglich hatte ich Stift und Notizblock auf den ehemaligen Schreibtisch von Jules gelegt. Lediglich das Telefon und der Computer zählten noch zum alten Equipment.

Nervös wippte ich auf dem Lederstuhl herum, bis sich endlich die Tür öffnete und Dale hereinsah.

„Sorry!“ Er entschuldigte sich für die Verspätung und wandte sich an Mr. Smith.

„Mein Name ist Dale Turner. Ich bin der Chief des Departments for Crime und heiße Sie herzlich willkommen in meiner Truppe.“ Der L.U.V. stand auf. Sie schüttelten die Hände, was umständlich aussah, denn Dale trug einiges mit sich. Eine Mappe und ein kleiner Koffer klemmten unter seinem Arm. Die Mappe legte er auf den Schreibtisch, bevor er den schmalen Koffer öffnete. „Ihre Dienstmarke, Ihr Dienstausweis und Ihre Waffe.“

Er legte die silberne Plakette, den Ausweis und die Pistole, inklusive Brustgurt und Holster, vor Mr. Smith auf den Tisch. „Sie müssen mir den Erhalt quittieren.“