Chinesische Heilkunst - Ernst-Günther Tietze - E-Book

Chinesische Heilkunst E-Book

Ernst-Günther Tietze

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Beschreibung

TCM, die traditionelle Chinesische Medizin ist ein Jahrtausende alter Wissensschatz, der bisher von der westlichen Medizin belächelt und vernachlässigt wurde. Natürlich kann mit dieser Medizin kein Beinbruch geheilt werden, aber die allgemeinen Heilungschancen lassen sich auch in diesem Fall mit der Chinesischen Medizin wesentlich verbessern. So bietet die Pflanzenheilkunde ein wertvolles Gegengewicht zur ausschließlich chemiebasierten Heilkunde des Westens mit ihren oft unverantwortlichen Nebenwirkungen und die Akupunktur wird inzwischen weltweit angewandt. Doch die wertvollen weiteren Erkenntnisse der chinesischen Medizin sind in unseren Breiten weitgehend unbekannt. In diesem Roman werden zwei junge Ärzte beauftragt, Lehrstühle für die Traditionelle Chinesische Medizin an ihren medizinischen Fakultäten aufzubauen. Die Ärztin ist eine chinesisch-stämmige Amerikanerin und der Arzt ein Deutscher aus Leipzig. Bei einem Symposium mit chinesischen Fachärzten in San Francisco lernen sie sich kennen und finden persönlich zueinander. In einem sechs-wöchigen Studium an der Universität für Chinesische Heilkunde in Peking werden sie mit den wissenschaftlichen Grundlagen dieser Medizin vertraut. Die zwischen ihnen entstandene Bindung erleichtert ihnen danach den Aufbau ihrer weitgehend identischen Lehrstühle, Doch als sie ihre Aufgabe weitgehend erfüllt haben, verhindert der Ausbruch des Corona-Virus den Beginn des Lehrbetriebes. Darauf entschließen sie sich, zu heiraten und die TCM vorläufig in einem eigenen Institut zu praktizieren.

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Ernst-Günther Tietze

Chinesische Heilkunst

Roman

Das Titelbild zeigt chinesische Zeichen vor Pfefferminzblättern

© Copyright 2021 Ernst-Günther Tietze, Dresden

Mail: [email protected]

Published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN 978-3-753174-40-2

Inhalt

Personenverzeichnis1

Prolog2

Auftrag2

Konzept13

Schulung17

Praktikum27

Fortschritt35

Zweisamkeit43

Fortschritte54

Realität62

Gemeinschaft67

Personenverzeichnis

Dr. Reinhard Mangold   Arzt

Prof. Dr. Peter Baumann  Dekan Uni Sachsen

Dr. Hans Saurach  Dekan Uni Frisco

Dr. Li-Ming Ziyang  Chin.-amerik. Ärztin

Dr. Baihu Shizhen  Arzt, Li-Mings Vater

Dr. Lien Shizhen  Ärztin, Li-Mings Mutter

Dr. Hans Mangold  Arzt, Reinhards Vater

Dr. Elisa Mangold  Ärztin, Reinhards Mutter

Bianca Höllermann  Reinhards Exfreundin

Dr. Bilbo Richardson  Li-Mings Exfreund

Dr. Marlies Johannsen  Ärztin

Fred Majewski   Arzt

Yong Lingdan   Arzt

Mary Garuda   Ärztin

Shenmi Soong    Li-Mings Halbschwester

Prolog

TCM, die traditionelle Chinesische Medizin ist ein Jahrtausende alter Wissensschatz, der bisher von der westlichen Medizin belächelt und vernachlässigt wurde. Natürlich kann mit dieser Medizin kein Beinbruch geheilt werden, aber die allgemeinen Heilungschancen lassen sich auch in diesem Fall mit der Chinesischen Medizin wesentlich verbessern. So bietet die Pflanzenheilkunde ein wertvolles Gegengewicht zur ausschließlich chemiebasierten Heilkunde des Westens mit ihren oft unverantwortlichen Nebenwirkungen und die Akupunktur wird inzwischen weltweit angewandt. Doch die wertvollen weiteren Erkenntnisse der chinesischen Medizin sind in unseren Breiten weitgehend unbekannt.

In diesem Roman werden zwei junge Ärzte beauftragt, Lehrstühle für die Traditionelle Chinesische Medizin an ihren medizinischen Fakultäten aufzubauen. Die Ärztin ist eine chinesisch-stämmige Amerikanerin und der Arzt ein Deutscher aus Leipzig. Bei einem Symposium mit chinesischen Fachärzten in San Francisco lernen sie sich kennen und finden persönlich zueinander. In einem sechswöchigen Studium an der Universität für Chinesische Heilkunde in Peking werden sie mit den wissenschaftlichen Grundlagen dieser Medizin vertraut.

Die zwischen ihnen entstandene Bindung erleichtert ihnen danach den Aufbau ihrer weitgehend identischen Lehrstühle, Doch als sie ihre Aufgabe weitgehend erfüllt haben, verhindert der Ausbruch des Corona-Virus den Beginn des Lehrbetriebes. Darauf entschließen sie sich, zu heiraten und die TCM vorläufig in einem eigenen Institut zu praktizieren.

Auftrag

Diesen 8. März werde ich nie im Leben vergessen, das ist ja ein richtiger Hammer! Niemals hatte ich an unserer 600 Jahre alten medizinischen Fakultät solche revolutionäre Idee erwartet, wie sie mir soeben der Dekan Professor Baumann eröffnet hat:

„Ich habe eine interessante Aufgabe für Sie. Mein Studienfreund Hans Saurach ist Dekan der School of Public Health in der Berkeley University bei San Francisco. Diese Fakultät hat zwar viele medizinische Bereiche, doch sie wollen sich noch breiter aufstellen und sich der Traditionellen Chinesischen Medizin widmen, die an vielen medizinischen Fakultäten aus rückständiger Denkbehinderung zu kurz kommt und doch von immenser Wichtigkeit für die Heilung sein kann. Dafür haben sie zwei chinesische Koryphäen dieses Gebietes zu Vorträgen in einem Symposium vom 9. bis zum 11. April eingeladen. Mein Freund hat mir angeboten, einen Mitarbeiter an dem Symposium teilnehmen zu lassen. Weil Sie ein offener und immer an Neuem interessierter Mensch sind, meine ich, das könnte eine interessante Aufgabe für Sie sein, denn ich plane, diese besondere Richtung der Medizin auch bei uns zu fördern. Was halten Sie davon, in San Francisco erste Erfahrungen darin zu gewinnen, die wir hier vielleicht anwenden können?“

Ich war zunächst perplex, denn eigentlich konnte ich als junger und erst vor kurzem eingesetzter stellvertretender Stationsarzt nicht mit solch ehrenvollem Auftrag rechnen. Doch als ich meine Überraschung überwunden hatte, bedankte ich mich herzlich beim Chef, dass er mich gewählt hatte, unsere Fakultät auf diesem interessanten Gebiet voran zu bringen. Ich beschäftige mich ja schon lange nebenbei mit dieser Medizin und das wäre das Tüpfelchen auf dem i.

Als wenn der Dekan meine Gedanken gelesen hatte, fügte er lächelnd hinzu: „Ich weiß, dass Sie Vorlesungen über dieses Gebiet gehört haben und denke, sie könnten dieser Richtung einen angemessenen Platz bei uns einräumen. Schließlich wollen wir doch unseren Patienten eine umfassende Behandlung mit allen verfügbaren Mitteln gewähren. Wenn Sie einverstanden sind, beantragen Sie umgehend das Visum für die USA, einen Pass haben Sie ja wohl. Reichen Sie beim Sekretariat die Reisemeldung ein und lassen die Flüge buchen. Um die Unterkunft bitte ich meinen Freund in Frisco. Der 9. April ist ein Dienstag und ich meine, Sie sollten schon am Sonntag fliegen, dann kann er Ihnen am Montag eine Einführung in das Institut geben. Und am Freitag nach dem Symposium sollten Sie sich noch ein bisschen in San Francisco umsehen, das ist eine sehr interessante Stadt. Wenn Sie dann Samstag zurückfliegen, sind Sie Sonntag wieder zu Hause. Ich wünsche Ihnen viel Freude und Erfolg bei dieser Unternehmung.“ Ich bedankte mich noch einmal und verließ sein Büro.

In meinem Zimmer musste ich mich erst mal setzen, um meine Überraschung zu verdauen, doch dann freute ich mich mächtig über den Auftrag. Wirklich hatte mich diese von unseren Gewohnheiten weit abweichende Richtung der Medizin schon immer interessiert, obwohl sie bei den meisten meiner Kollegen auf strikte Ablehnung stößt. Nun sah ich eine Möglichkeit, sie zu realisieren.

Ich war 1983 zu DDR-Zeiten in der Universitätsstadt Leipzig geboren worden, aber da ich erst drei Monate vor der Wende in die Schule kam, blieb mir die sozialistische Erziehung erspart, die meine Eltern erdulden mussten. Allerdings hatte diese Erziehung bei ihnen keine große Wirkung gezeigt, als Ärzte konnten sie sich von der Partei weitgehend fernhalten und mir ihre Ablehnung des Regimes vorsichtig vermitteln. Der Schulunterricht entwickelte sich zunächst chaotisch, weil viele Lehrer radikal umdenken oder die Schule verlassen mussten. Erst nach einem Jahr konnten wir endlich etwas Vernünftiges lernen. Meine Eltern hatten in einer in der DDR üblichen Poliklinik praktiziert, die Mutter als Internistin mit dem Spezialgebiet Kardiologie, der Vater als Gynäkologe. Bald nach der Wende hatten sie eine Gemeinschaftspraxis eröffnet und durch ihr Beispiel war für mich klar, dass ich auch Arzt werden wollte. Ich strengte mich in der Schule an und machte ein sehr gutes Abitur, das mir das Medizinstudium ermöglichte.

Praktikum und Studium absolvierte ich an der Charité in Berlin und belegte dabei zusätzliche Seminare in Traditioneller Chinesischer Medizin, die in Berlin ausführlich angeboten wird. Mit 29 war ich Kardiologe wie meine Mutter und promovierte anschließend mit einer Vergleichsstudie über die Erfolge der chinesischen und westlichen Heilkunde bei Erkrankungen der Herzkranzgefäße. Doch nach dem Studium wollte ich wieder zurück nach Leipzig und nahm eine Stelle als Assistenzarzt am Uniklinikum an, wo ich schnell avancierte und kürzlich mit 36 Jahren Vertreter des Stationsarztes der Kardiologie wurde. Da konnte ich mir die Dreizimmerwohnung am Elsapark in der Neustadt leisten, nur 2 km von der Uni entfernt. Und nun kann ich zum ersten Mal die Früchte meines Zusatzstudiums ernten!

Ich wusste, dass ich für die USA ein Visum online bestellen kann und stellte auf der Webseite einen Antrag auf eine US-ESTA-Reisegenehmigung. Ich musste ein umfangreiches Formular ausfüllen und die Kreditkarte angeben, von der die Gebühr abgebucht wird. Nach zwei Tagen sollte ich eine Bestätigung über das erteilte Visum bekommen, das bei der Einreise in den Pass eingetragen wird. Anschließend ging ich ins Sekretariat, um die Reise anzumelden und die Flüge buchen zu lassen. Man fand einen Hinflug am 7. April morgens mit Umstieg in Frankfurt und ich sollte wegen der neunstündigen Zeitdifferenz noch am selben Mittag in San Francisco eintreffen. Der Rückflug am Samstagmittag würde erst Sonntag früh in Frankfurt eintreffen und kurz danach könnte ich nach Halle-Leipzig weiterfliegen. Nachmittags nannte mir der Chef das Gästehaus der Uni, in dem sein Freund mir ein Zimmer für sechs Nächte gebucht hatte.

Ich hatte im Studium etwas über die verschiedenen Fachrichtungen der Chinesischen Medizin, gehört und mich vor allem mit der Kräuterheilkunde – auch Arzneimitteltherapie genannt – und den ihr zugrunde liegenden Kenntnissen der Auswirkungen im Körper beschäftigt. Jetzt war ich gespannt, welche Fachrichtung im Symposium behandelt würde, und bat den Dekan, seinen Freund fragen zu dürfen. Er fand die Idee gut und gab mir bereitwillig die Mail-Adresse. Der Mann antwortete schnell, es würde vor allem um die Arzneimitteltherapie mit uralten chinesischen Heilmitteln gehen. Jetzt wusste ich Bescheid und fand in meinen Dissertationsunterlagen viele Einzelheiten zur Anwendung der Heilmittel bei verschiedenen Erkrankungen.

Weil mir die Zeit fehlte, mich näher damit zu beschäftigen. schob ich mir nur allerlei Notizen auf das Tablet, um sie während des insgesamt über dreizehnstündigen Fluges zu lesen. Und um nicht vollkommen unbeleckt da zu stehen, suchte ich nach Informationen über die Berkeley University. Diese Uni ist riesengroß mit 125 Studiengebieten von Sprachen über Physik, Chemie, Biologie, Mathematik, Ingenieurwissenschaften und Jura bis zur Musik und Kunstgeschichte. Eine große Fakultät mit zweihundertfünfzig Fachgebieten ist Public Health. Dort gibt es bisher keine Richtung der Chinesischen Medizin, anscheinend will man sich hierin erweitern. Dass ich nichts über ein zugehöriges-Klinikum fand, wie es in Deutschland der praktischen Ausbildung zum Arzt dient, wunderte mich, aber die Bibliothek mit 700.000 Büchern beeindruckte mich.

Am 7. April war ich pünktlich um halb sieben am Flughafen und kam problemlos nach Frankfurt. Nach intensiven Prüfungen durch die Amerikaner dauerte es dort eine gute Stunde, bis es mit leichter Verspätung weiter ging. Um 13 Uhr erreichte der Flieger San Francisco, wo ich noch einmal durch die Mühlen der Papiere gedreht wurde. Ich wunderte mich, dass es draußen gar nicht dunkel wurde, obwohl meine Uhr schon 22 Uhr anzeigte, doch dann fiel mir die Zeitdifferenz von neun Stunden ein. Immerhin hatte ich viel Zeit gehabt, während des Fluges meine Unterlagen zu studieren und mich auf den Besuch vorzubereiten, wenn es nicht gerade etwas zu essen gab.

Am Gate erwartete mich ein Fahrer der Universität und brachte mich in einer halben Stunde zum Gästehaus in Berkeley, wo ich ein vorzüglich eingerichtetes Zimmer vorfand und gleich ins Bett fiel. Auschecken, Passkontrolle und Fahrt hatten zwei Stunden gedauert und ich war hundemüde. Um 20 Uhr Ortszeit wachte ich hungrig auf und ging etwas essen, danach brauchte ich eine Weile, um wieder einzuschlafen. Gegen 5 Uhr war ich hellwach, da war es in Deutschland schon zwei Uhr mittags. Bis sieben blieb ich noch liegen, dann stand ich auf, machte mich fertig und genoss ein gepflegtes Frühstück.

Um 9 Uhr stand eine junge Asiatin an meinem Tisch und reichte mir freundlich die Hand. Sie stellte sich als Dr. Li-Ming Ziyang vor und wollte mich zur Besichtigung der Fakultät abholen. Ich war froh, dass ich gut Englisch konnte und dadurch im Gespräch mit ihr keine Probleme hatte. Die Frau gefiel mir, sie hatte ein hübsch geschnittenes fröhliches Gesicht, war groß und schlank mit kleinen Brüsten und bei näherem Hinschauen nicht so jung, wie ich sie zunächst eingeschätzt hatte, sondern wohl nur etwas jünger als ich. Ihr langes schwarzes Haar hatte sie links in einem Zopf gebündelt, bekleidet war sie mit einem roten Hosenanzug, dessen Oberteil eine vorn hochgeschlossene Bluse bildete, und gleichfarbigen Slippern. Am rechten Ohr trug sie einen langen goldenen Hänger mit einem großen Stein, der wie ein Rubin aussah und auf dem linken Ringfinger einen breiten Goldring mit chinesischen Schriftzeichen. Sie setzte sich mit an den Tisch und bestellte sich auch eine Tasse Kaffee, dann gab sie mir einen ersten Überblick:

„Die Public Health Fakultät der Berkeley University ist führend in vielen medizinischen Bereichen von der Ernährung und Epidemiologie über Infektionskrankheiten bis zur Humangenetik, Chirurgie und Orthopädie. Sie ist eine reine Hochschule ohne klinischen Bereich. In enger Zusammenarbeit mit der University of California in San Francisco ist ein gemeinsames Studienprogramm entstanden. Es beginnt mit zweieinhalb Jahren an der UC Berkeley, wo die Studenten die grundlegende naturwissenschaftliche Komponente ihrer medizinischen Ausbildung abschließen und gleichzeitig einen Master of Science in Gesundheits- und Medizinwissenschaften erhalten. Anschließend immatrikulieren sie sich an der School of Medicine der University of California in San Francisco für zweieinhalb Jahre klinisches Referendariat. Am Ende dieses 5-Jahres-Programms absolvieren die Studenten einen MD der UCSF und einen MS der UC Berkeley. Ich leite an einer der Kliniken die internistische Station und begleite die notwendigen Praktika für werdende Ärzte. Daneben halte ich Seminare an der Public Health. Und nun sagen Sie mir bitte, was ich Ihnen heute zeigen darf, ich stehe Ihnen den ganzen Tag zur Verfügung. Am Abend sind wir von Dr. Saurach zum Essen mit den chinesischen Spezialisten eingeladen.“

Ich hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, was ich sehen wollte, freute mich aber, den ganzen Tag mit dieser aufregenden Frau zusammen zu sein, und musste überlegen, was mich besonders interessieren könnte. „Ich würde gerne eine Vorlesung in Anatomie hören und einen Blick in die berühmte Bibliothek der School of Public Health werfen. Danach könnten Sie mir bitte Ihre Station zeigen, damit ich weiß, wie eine Klinik bei Ihnen aussieht“, begann ich langsam, wobei meine Gedanken Karussell fuhren. „Dafür werden wir am Nachmittag nach Frisco hinüberfahren, wenn wir noch genug Zeit haben“, erwiderte meine Begleiterin, „jetzt bleiben wir erstmal hier in Berkeley.“

Mit ihrem uralten VW Käfer fuhren wir in fünf Minuten zum Vorlesungsgebäude, wo sie mich auf verschlungenen Gängen in einen Raum führte, in dem zehn Student/innen um einen Tisch herumstanden, auf dem ein toter weiblicher Körper lag. Unter Anleitung einer Dozentin war gerade eine Studentin dabei, mit einem Skalpell den Bauch aufzuschneiden. Nach einem kurzen Gespräch mit der Dozentin flüsterte Frau Ziyang mir ins Ohr: „Die Frau ist wahrscheinlich am Dickdarmkrebs gestorben und die Familie hat den Körper der Uni zur Verfügung gestellt, um Gewissheit zu bekommen. Er darf dann auch für weitere Studien benutzt werden.“

Als der Bauchraum geöffnet war, beauftragte die Dozentin einen Studenten, den Dickdarm der Toten vorsichtig freizulegen, aber möglichst nicht zu berühren. Mittels der über dem Seziertisch angebrachten Kamera konnten alle auf einem großen Bildschirm genau sehen, wie es in dem Bauch aussah und wie der junge Mann die Därme vorsichtig zur Seite legte. Als er den Dickdarm gefunden hatte, richtete die Dozentin die Kamera darauf aus und vergrößerte den Ausschnitt, sodass alle die Krebswucherungen darauf erkennen konnten. „Eindeutig ein schweres Carcinoms, an dem die Frau gestorben ist“, bestätigte sie den Verdacht der Todesursache.

Dann beauftragte sie eine andere Studentin, die Därme vorsichtig heraus zu nehmen und neben dem Körper auszubreiten. „Bitte benennen Sie jetzt die einzelnen Darmsegmente“, forderte sie das Auditorium auf und die Studenten überboten sich darin, die auf der Bildwand dargestellten Segmente zu benennen. „Hat eigentlich jemand von Ihnen bemerkt, dass die Tote schwanger ist?“, fragte die Dozentin lächelnd und alle wunderten sich, ich hatte es auch nicht gesehen. Die Dozentin beauftragte eine Studentin, den Uterus der Toten vorsichtig aufzuschneiden und ein winziger Fötus kam zum Vorschein. „Schätzungsweise sechste Woche“, verkündete die Dozentin, „die Frau muss es noch nicht gewusst haben, wahrscheinlich hat ihr Darmproblem sie zu sehr beschäftigt. Jetzt müssen wir ihre Familie über die Todesursache und Schwangerschaft informieren.“

Ich hatte genug gesehen und bat meine Begleiterin, mir noch eine Vorlesung über mein Fachgebiet Kardiologie zu zeigen, falls gerade eine lief. Sie informierte sich und führte mich dann in eine Vorlesung mit einem Film über die Behandlung verengter Herzkranz-Arterien mittels eines in die Oberschenkel-Arterie eingeführten Katheders. Das war mir nicht neu, wir machten es ebenso. Aber dann sah ich, dass die verengten Gefäße nicht, wie bei uns mit einem Ballon, sondern durch eine winzige Mechanik aufgeweitet werden, das kannte ich nicht und folgte interessiert dem Film. Anschließend ließ ich mir diese Mechanik zeigen und erkundigte mich nach Möglichkeiten, sie zu beziehen.

Anschließend gingen wir zur Bibliothek und ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, als ich den riesigen Lesesaal und die Wände voller Bücher bewundern durfte. Ein etwas genauerer Blick auf die Regale zeigte mir, dass wirklich jedes Teilgebiet der Medizin hier ausführlich dokumentiert ist. Als ich Näheres über die Geschichte wissen wollte, wies sie mich auf einen Aushang hin:

„Seit Gründung der School of Public Health im Jahr 1944 wurde die Bibliothek aufgebaut, sie umfasst heute mehr als 700.000 Druckbände und 8.000 Zeitschriftenabonnements sowie eine Sammlung seltener Bücher von 6.000 Bänden. Neben dem Druckmaterial haben Bibliotheksbenutzer Zugriff auf eine elektronische Sammlung mit mehr als 830.000 Büchern und 72.000 Zeitschriften. Die Public Health-Sammlung ist in allen Bereichen der öffentlichen Gesundheit, der Ernährung in Bezug auf Gesundheit und Krankheit, der Epidemiologie, der Toxikologie, der betrieblichen Gesundheit, der Gesundheit von Mutter und Kind, übertragbarer Krankheiten und der Umwelt sowie der globalen Gesundheit bestens ausgestattet.“

Als meine Begleiterin mich nach einer ganzen Weile aus meinem Staunen weckte, hatte ich noch lange nicht genug gesehen und lobte sie für diesen Schatz, der die medizinische Bibliothek in unserer Uni armselig aussehen ließ. „Darf ich Sie in die Mensa einladen?“, fragte sie und ich nahm die Einladung gerne an. Die Mensa war der Bibliothek angegliedert und bot eine gute Auswahl an Gerichten, aber nur alkoholfreie Getränke. Meine Begleiterin wählte gegrilltes Lachsfilet und empfahl es mir auch, das sei hier besonders gut. Es schmeckte vorzüglich und beim Essen berichtete sie mir ein wenig von ihrer Geschichte. Sie war 1984 in China geboren und aufgewachsen, dann aber zum Studium in die USA gekommen und danach hiergeblieben. Inzwischen sei sie eingebürgert und habe eine unbegrenzte Lehrerlaubnis. Ihre Eltern lebten weiter in China, der Vater sei Professor an der Basic Medical School der Universität in Wuhan und die Mutter arbeite als Ärztin in der zugehörigen Klinik. Meine Frage, ob sie Familie habe, verneinte sie lächelnd mit den Worten: „Ich hatte noch keine Zeit dafür, aber was nicht ist, kann ja irgendwann werden.“ Ich freute mich darüber, denn diese flotte junge Frau war mir seit heute früh immer sympathischer geworden.

Doch ich wollte noch etwas wissen: Beim Plumpudding fragte ich sie, ob sie sich schon mit der chinesischen Medizin beschäftigt habe. Lachend antwortete sie: „Ich bin eine geborene Chinesin und meine Eltern praktizieren dort beide in der medizinischen Lehre. Dadurch habe ich diese Art von Medizin schon mit der Muttermilch aufgesogen und mich ständig damit beschäftigt. Leider hält man hier im Westen nicht viel von dieser heilbringenden Fachrichtung, im Studium habe ich hier in San Francisco nicht die Bohne davon gehört. Zum Glück konnte ich Dr. Saurach dafür interessieren und wir haben gemeinsam das Symposium in die Wege geleitet. Ich bin gespannt, wie das bei meinen Kollegen ankommt und freue mich, dass Sie dazu eingeladen wurden.“

Nach dem Espresso sagte Frau Ziyang mit ihrer angenehmen Stimme: „Dann lassen Sie uns zur Klinik aufbrechen“, doch ihr Wagen ließ sich nicht starten. Ich hatte früher einen ähnlichen Wagen und ahnte, woran es liegen könnte. Als ich die Motorklappe öffnete, bestätigte sich mein Verdacht, am Verteiler hatte sich der Deckel gelöst. Als ich ihn wieder draufstecken wollte, ließ er sich nicht richtig befestigten, doch es gelang mir provisorisch und der Motor ließ sich starten. Ich empfahl meiner Führerin, möglichst bald eine Werkstatt aufzusuchen. Dann fuhren wir ein Stück am Wasser entlang und über eine lange Brücke mit zwei übereinander liegenden Fahrbahnen nach San Francisco hinein.

Im Klinikum stellte Frau Ziyang mich dem Chefarzt vor, der mich wenig beeindruckte, dann führte sie mich in ihre Station, die nicht wesentlich anders aussah als in meiner Klinik. Die Krankenzimmer waren etwas komfortabler eingerichtet, der CT war hochmodern und der Behandlungssaal wies erheblich mehr Instrumente und Anzeigegeräte auf als bei uns. Bei einer Patientin wurde gerade eine Rektoskopie unter Betäubung durchgeführt. Vor allem hatte ich den Eindruck, dass mehr Pflegepersonal zur Verfügung stand als in Deutschland, und das Bereitschaftszimmer war gemütlicher eingerichtet. Ich sagte Frau Ziyang meine Beobachtungen und sie freute sich.

Inzwischen war es 16 Uhr, und Frau Ziyang lud mich in der Cafeteria zu einer Tasse Kaffee mit Gebäck ein. „ich kann Sie jetzt nicht nach Berkeley bringen, denn ich will zur Werkstatt und habe auch in meiner Wohnung etwas zu erledigen. Für Ihren Rücktransport organisiere ich einen Wagen und hole Sie um 18:45 ab.“ „Sie wohnen nicht in Berkeley?“, fragte ich erstaunt. „Nein“, erwiderte sie, „da ich viel mehr in der Klinik beschäftigt bin als im Hörsaal, ist die Wohnung hier in Frisco günstiger für mich.“ Dann führte sie mich zu einem Krankenwagen, der vor der Tür wartete und bot mir zum Abschied die Hand, Dabei schaute sie mir in die Augen und ihr Händedruck dauerte länger als üblich. Dieser Blick und der ganze Tag mit dieser Frau beeindruckten mich so sehr, dass ich ihr nach einem Dank für die schönen Stunden einen Kuss auf die Hand drückte. Erstaunt blickte sie mich an, aber dann glitt ein freundliches Lächeln über ihr Gesicht und sie antwortete leise, sie habe es doch auch genossen, einem derart interessierten und versierten Fachmann die UC Berkeley School of Public Health und die UCSF School of Medicine zu zeigen.

In meinem Zimmer dachte ich über den Tag und ihre lobenden Worte zum Abschied nach. Nicht nur das viele interessante Gesehene und das umfangreiche Wissen dieser kultivierten Frau hatten mich beeindruckt, sondern noch viel mehr ihre hinreißende Persönlichkeit. Ich freute mich, sie noch heute Abend und an den nächsten Tagen beim Symposium wiedersehen zu können. Noch nie in meinem Leben war ich einer derartigen Frau begegnet und in mir kam der brennende Wunsch auf, ihr näher zu kommen, wenn sich eine Möglichkeit dafür ergeben würde.

Da ich mit solcher Einladung gerechnet hatte, hatte ich einen guten Anzug, ein weißes Hemd, dunkle Schuhe und eine Krawatte eingepackt. Ich ruhte mich eine Weile von dem ereignisreichen Tag aus und immer wieder stand mir diese aufregende Frau vor Augen. Hatte ich mich in sie verliebt? Das wäre zwar nicht das erste Mal, aber eine Frau dieser Klasse war mir noch nie begegnet. Nun, ich würde sehen, was daraus wird. Ich zog mich um und schaute noch einmal in meine Aufzeichnungen über die chinesische Medizin, um für ein Gespräch ein bisschen gewappnet zu sein.

Pünktlich um 18:45 stand ich am Eingang und brauchte nicht lange zu warten, bis Frau Ziyang eintrat, ihr Anblick verschlug mir den Atem. Sie trug ein knöchellanges, tief ausgeschnittenes dunkelblaues Abendkleid ohne Ärmel mit Spitzenbesatz am Oberteil und einem langen Schlitz, der beim Gehen ihr linkes Bein bis zur Hüfte freigab. An den Füßen prangten hochhackige goldfarbene Slipper. Um den Hals trug sie eine goldene Kette und das dunkle Haar fiel ihr jetzt in langen Locken bis auf den Rücken. Am rechten Arm prangte ein Goldreif mit ähnlichen chinesischen Zeichen wie auf dem Fingerring. Ich musste mich zusammenreißen, um ihr meine Begeisterung nicht offen zu zeigen. „Gehen wir?“, fragte sie nur kurz und ich begleitete sie zum Wagen. Immer wieder musste ich sie verstohlen vom Beifahrersitz anblicken, doch sie wandte den Kopf nicht von der Straße.

Nach 15 Minuten hielten wir vor einem vornehm aussehenden Restaurant, stiegen aus und ein Diener fuhr den Wagen weg. Höflich reichte ich meiner Begleiterin den Arm und anstandslos ließ sie sich von mir in den Gastraum führen, wo wir an einem Tisch von Dr. Saurach, einem anderen Herren und zwei Chinesen erwartet wurden. Er begrüßte mich freundlich, nachdem Frau Ziyang uns bekannt gemacht hatte, dann stellte er uns die beiden chinesischen Wissenschaftler vor, die das Symposium durchführen sollten, und den anderen Herrn als Präsident der Berkeley University. Meine Begleiterin ließ es sich nicht nehmen, ein paar Worte auf Chinesisch mit den Gästen zu wechseln. Bei einem vorzüglichen Menü erläuterte Dr. Saurach den beiden, warum er ihrer Medizin eine Pforte in der Public Health öffnen wollte und wie sehr er darauf vertraute, dass es ihnen gelänge, seine Mitarbeiter von dem großen Potential dieser Heilkunst zu überzeugen.

Nach dem Essen führte er uns in die Bar und stieß mit uns mit einem Cognac auf das Gelingen des Symposiums an, verschwand aber bald mit den Gästen. Frau Ziyang schaute mich an und fragte: „Wollen Sie auch schon gehen?“ Erfreut entschied ich mich, noch eine Weile die Gesellschaft dieser bezaubernden Frau zu genießen. Da glitt ein Lächeln über ihr Gesicht und sie sagte so leise, dass nur ich es hören konnte: „Das freut mich, denn ich finde Sie nett und bin gern mit Ihnen zusammen.“ Als ich ehrlich antwortete, dass es mir genauso gehe, beugte sie sich vor und drückte mir einen leichten Kuss auf die Wange. Glücklich wollte ich sie auf die Lippen küssen, doch sie zog ihren Mund weg und bot mir nur die Wange, dazu sagte sie leise: „Bitte nicht ganz so schnell, wir kennen uns doch erst seit zwölf Stunden.“ Ich bat sie um Entschuldigung, worauf sie nur lächelnd „Geduld“, sagte.

Nach einer halben Stunde hatten wir den zweiten Cognac ausgetrunken und Frau Ziyang meinte, wir sollten jetzt aufbrechen, denn morgen gehe die Arbeit los, sie würde mich um 8:30 abholen. Gehorsam folgte ich und sie fuhr uns wortlos zum Gästehaus. Als ich dankbar sagte, wie schön ich diesen Tag mit ihr erlebt hätte, zog sie plötzlich meinen Kopf zu sich heran und ich fühlte ihre Lippen auf meinen, dann sagt sie leise: „You are a good boy.“ „And you are an exciting woman“, antwortete ich, denn ich empfand sie wirklich als aufregende Frau. Da strich sie mir über die Wange, drehte sich um und war verschwunden. Noch lange lag ich im Bett und dachte über diese aufregende Frau nach. „Guter Junge“ hatte sie mich genannt, aber ich hätte liebend gerne gewusst, ob das „You“ noch „Sie“ oder schon „Du“ bedeutete. „Verdammtes Englisch“ dachte ich, anscheinend war ich ihr ebenso wenig gleichgültig wie sie mir, aber wir mussten uns Zeit lassen. „Geduld“, hatte sie gesagt, die wollte ich gerne aufbringen, doch ich wagte noch nicht, mir etwas mehr mit dieser Frau vorzustellen.

Sie wäre ja nicht meine erste Beziehung, die dritte hatte ich erst vor einem halben Jahr beendet. Bianca war eine fantastische Liebhaberin, aber persönlich vollkommen hektisch. Sie arbeitet als Disponentin in einer Logistikfirma und musste ständig erreichbar sein, sodass auch abends und am Wochenende Anrufe und Mails auf ihrem Handy landeten. Offensichtlich war sie stark überfordert, denn sie rauchte wie ein Schlot, bis zu 20 Zigaretten täglich. Die Wohnung und Kleidung stanken nach Rauch und ihre Küsse schmeckten ebenso. Als ich in der Klinik gefragt wurde, ob ich das Rauchen angefangen hätte, reichte es mir. Ich empfahl ihr Medikamente zur Entwöhnung, doch sie lehnte ab, ohne das Rauchen könne sie nicht leben. Da eröffnete ich ihr bei einem Abendessen, dass ich mich von ihr trennen würde. „Bleib‘ noch die Nacht bei mir“, bat sie mit Tränen in den Augen und wir hatten ein letztes wundervolles Miteinander. Doch danach stand ich auf, küsste sie zum letzten Mal und ging. Bisher habe ich sie nicht wiedergesehen.

Dienstag saß ich noch beim Frühstück, als Frau Dr. Ziyang sich zu mir setzte und eine Tasse Kaffee bestellte, sie war ebenso gekleidet wie gestern am Tag und hatte ihre Haare auch wieder in einem Zopf gebändigt. Sie freue sich, mich zu sehen, sagte sie und wollte wissen, ob ich gut geschlafen hätte. Als ich das bejahte und ihr dieselbe Frage stellte, sagte sie plötzlich: „Mein Vorname ist Li-Ming, das bedeutet ‚Die Strahlende‘ und ich denke, wir kennen uns inzwischen gut genug, dass wir die förmliche Anrede lassen können.“ Da es in Amerika üblich ist, sich mit dem Vornamen zu siezen, wusste ich immer noch nicht, wie persönlich diese Worte gemeint waren, doch brav nannte ich meinen Vornamen Reinhard und buchstabierte ihn. Da spürte ich plötzlich ihre Zunge auf meinen Lippen.

Diesmal wollte ich mich nicht damit zufriedengeben und stieß ihr meine Zunge zwischen die Lippen, die sie willig öffnete und mit ihrer Zunge antwortete, doch dann gab sie meinen Mund frei und sagte: „Please be patient, we have to drive, otherwise we will be late.“ Immerhin war mir klar, dass wir jetzt wohl beim „Du“ angekommen waren und dass ein Mehr anscheinend denkbar war, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie es weitergehen würde. Ich konnte nur auf den Abend warten, denn inzwischen hatten wir das Vorlesungsgebäude erreicht und mussten bald in einiger Entfernung voneinander sitzen, sie am Vorstandstisch und ich im Hörsaal bei den Zuhörern.

Nach der Begrüßung der Teilnehmer und einem Dank, dass sie sich für dieses Symposium Zeit genommen hätten, stellte Dr. Saurach die beiden chinesischen Wissenschaftler als bekannte Professoren der TCM-Universität in Peking und ausgewiesene Experten auf dem Gebiet der weltweit bekannten chinesischen Heilkunde vor. „Als Ärzte und Medizinwissenschaftler haben wir die Plicht, unseren Patienten die besten Möglichkeiten zur Heilung ihrer Leiden zu bieten und dürfen kein Teilgebiet nur deshalb ignorieren, weil unsere Ausbildung es uns nicht nahegebracht hat oder es aus einem anderen Erdteil kommt. Deshalb habe ich diese beiden Herren gebeten, uns einen Einblick in ihr Fachgebiet zu geben.

Sie werden vieles hören, was Ihnen bisher fremd erschien, und ich bitte Sie herzlich, mit offenen Ohren den Vorträgen zu lauschen. Die Lehrstunden in diesem Symposium teilen sich täglich auf zwei Unterrichtseinheiten auf, die erste dauert von 9 bis 13 Uhr. Nach einer Mittagspause in einen Nebenraum der Mensa läuft die zweite von 14 bis 18 Uhr. Morgen Abend schließt sich an den Unterricht ein gemeinsames Abendessen mit anschließender Musik und Tanz an und am Donnerstag endet die Veranstaltung offiziell nach dem Mittagessen, unsere Gäste stehen Ihnen aber danach noch eine Weile zur Verfügung.“

Danach übergab er das Wort an einen der beiden Gäste. Dieser schon etwas ältere Herr hatte auf einem Tisch vor dem Katheder eine Anzahl verschiedene Pflanzenteile ausgebreitet, dazu gehörten Wurzeln, Rindenstücke, Blüten, Stängel und Blätter. Dann begann er in ausgezeichnetem Englisch zu sprechen:

„Die mehrere tausend Jahre alte chinesische Heilkunst beruht auf mehreren Fachrichtungen:

- Kräuterheilkunde,

- Akupunktur,

- Tuina-Massage,

- Qi Gong,

- Nährmittelkunde.

Wir bräuchten viele Jahre, um uns mit allen Gebieten zu beschäftigen, deshalb zeigen wir Ihnen an diesen drei Tagen nur die Kräuterheilkunde, auch Arzneimitteltherapie genannt, als wichtigste Säule unserer Heilkunst. Die Akupunktur ist zwar auch eine wesentliche Säule, aber bei Ihnen schon gut bekannt und fundiert. Dagegen ist die Kräuterheilkunde noch weitgehend unbekannt und wir haben mit Dr. Saurach vereinbart, das Symposium dieser Wissenschaft zu widmen. Seit zweitausend Jahren erweisen Pflanzenteile wie Wurzeln, Rinden, Blüten, Stängel und Blätter ihre heilende Wirkung, was wir Ihnen an diesen Tagen vorführen wollen. Demgegenüber haben tierische Produkte von Elefanten und Nashörnern keinerlei medizinischen Erfolg und ihr Verkauf ist in der Volksrepublik verboten.

Eine Rezeptur in der Kräuterheilkunde besteht aus einer Mischung mehrerer Arzneimittel und wird nach intensiver Diagnose durch den Arzt individuell auf den Patienten und seine Krankheitssituation abgestimmt, dabei ergänzen und unterstützen die kombinierten Arzneimittel sich in ihrer Wirkung. Behandelbar mit chinesischer Medizin sind außer Knochenbrüchen nahezu alle Krankheiten, wobei auch bei ihnen Kräuter die Heilung beschleunigen können.

Heute beschränken wir uns zunächst auf das Kennenlernen der Pflanzenteile und ich werde Ihnen bei jedem Präparat die Anwendung schildern. Wie wir eine passende Mischung der Heilmittel für die individuelle Situation des Patienten finden, wird Ihnen morgen mein Kollege erläutern und der dritte Tag steht Ihnen für Fragen und Diskussionen zur Verfügung.“ Dann besprach er ausführlich die Wirkung der einzelnen Pflanzenteile und zeigte dazu jedes Teil vergrößert auf der Bildwand. Dabei wurde er immer wieder von Fragen unterbrochen, die er bereitwillig beantwortete und ich machte mir auf meinem Tablet Notizen.

Bis 13 Uhr hatte der Dozent knapp die Hälfte der Präparate erläutert, dann bat Herr Saurach alle Teilnehmer zum Essen. Endlich konnte ich wieder neben Li-Ming sitzen. Sie berichtete, Dr. Saurach habe sie für die Leitung der Abteilung Chinesische Heilkunst der Fakultät vorgeschlagen und ich beglückwünschte sie dazu. „Sehen wir uns heute Abend in der Bar“, fragte sie, bevor wir wieder in den Hörsaal gingen, und ich stimmte gerne zu. Während der Vorlesung malte ich mir aus, wie der Abend weiter gehen könnte, sicherlich würden unsere Küsse intensiver werden.

In der zweiten Unterrichtseinheit erläuterte der Redner seine übrigen Präparate und immer wieder gab es erstaunte Rückfragen aus dem Auditorium, weil viele nur die pharmazeutische Chemie gewohnten Ärzte sich nicht vorstellen konnten, welche Heilwirkungen mit einfachen Pflanzen zu erreichen sind. Nach dem Ende der Vorlesung um 18 Uhr verließ Dr. Saurach mit den Vortragenden den Saal, aber viele Zuhörer diskutierten noch untereinander das Gehörte. Dabei zeigte sich, dass die Zahl der Ablehnenden sichtbar zurückging.

Wie gestern Abend lud Dr. Saurach Li-Ming und mich zu 19 Uhr zum Essen mit den Gästen ein. Das Restaurant sei weniger vornehm als gestern sagte er lächelnd, trotzdem konnten wir ein köstliches Menü genießen. Danach führte der Gastgeber uns wieder in die Bar, wo er dem Vortragenden bei einem Glas Cognac für sein vorzügliches Referat dankte. Die vielen Rückfragen hätten klar gezeigt, dass das Symposium ein Fenster aufgestoßen habe, das er sicherlich ausbauen könne. Nach einiger Plauderei sagte der Gast, der Tag habe ihn ermüdet und er würde sich gerne zurückziehen. Darauf verließ Dr. Saurach mit den Gästen die Bar und ich schaute Li-Ming an. „Lass uns auch gehen“, sagte sie, „hier ist es mir zu öffentlich.“