Ein Mädchen aus der Ukraine - Ernst-Günther Tietze - E-Book

Ein Mädchen aus der Ukraine E-Book

Ernst-Günther Tietze

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Eine ukrainische Frau flieht mit ihrer 18-jährigen Tochter nach dem russischen Überfall aus dem Land und sie finden in Schwerin eine Bleibe. Da beide fehlerlos Deutsch sprechen, können sie sich bald in die dortige Gesellschaft integrieren. Die Mutter unterrichtet ukrainische Flüchtlingsfrauen und -kinder in Deutsch und die Tochter verliebt sich in einen etwas älteren Studenten der Informatik. Der Vater hat eine verantwortliche Stellung im Kernkraftwerk Saporischschja, die er trotz der russischen Besatzung des Werkes beibehält. Erst als er die ständigen fachfremden Eingriffe der Besatzer in die Betriebsführung nicht mehr ver-antworten kann, flieht er in den freien Teil des Landes Neben ihrer Ausbildung gibt die Tochter lern-schwachen Schülern Nachhilfeunterricht und der junge Mann unterrichte Interessierte in Computertechnik. Seine Mutter freut sich über seine Freundschaft mit dem Mädchen und öff-net ihr Haus für sie und ihre Mutter. Nachdem ihre Wohngegend in der Ukraine frei ist, geht die Mutter in die Heimat zurück. Die beiden jungen Leute haben sich inzwischen ver-lobt und folgen nach dem Abschluss ihrer Aus-bildung der Mutter in die Ukraine, wo sie ein Lehramtsstudium aufnimmt und er in einer Computerfirma eine gute Stellung findet.

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Seitenzahl: 177

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Ernst-Günther Tietze

Ein Mädchen aus der Ukraine

Flucht und Erfüllung

Roman

© Copyright 2023Ernst-Günther Tietze, Hamburg

Published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Personenverzeichnis

Ljudmyla PoroschenkoSchülerin

Kateryna Poroschenkoihre Mutter

Olexandr Poroschenkoihr Vater

Yegor Poroschenkoihr Bruder

Lina Paulsenihre Schulfreundin

Stephan SchumannGrüner Politiker

Dr. Margot Schumannseine Mutter

Winfried MüllerIhr Freund

Hanna BrüderliField Managerin

AsanteReiseleiter

Safiyaseine Frau

Prolog

Eine ukrainische Frau flieht mit ihrer 18-jährigen Tochter nach dem russischen Überfall aus dem Land und sie finden in Schwerin eine Bleibe. Da beide fehlerlos Deutsch sprechen, können sie sich bald in die dortige Gesellschaft integrieren. Die Mutter unterrichtet ukrainische Flüchtlingsfrauen und -kinder in Deutsch und die Tochter verliebt sich in einen etwas älteren Studenten der Informatik.

Der Vater hat eine verantwortliche Stellung im Kernkraftwerk Saporischschja, die er trotz der russischen Besatzung des Werkes beibehält. Erst als er die ständigen fachfremden Eingriffe der Besatzer in die Betriebsführung nicht mehr verantworten kann, flieht er in den freien Teil des Landes

Neben ihrer Ausbildung gibt die Tochter lernschwachen Schülern Nachhilfeunterricht und der junge Mann unterrichte Interessierte in Computertechnik. Seine Mutter freut sich über seine Freundschaft mit dem Mädchen und öffnet ihr Haus für sie und ihre Mutter.

Nachdem ihre Wohngegend in der Ukraine frei ist, geht die Mutter in die Heimat zurück. Die beiden jungen Leute haben sich inzwischen verlobt und folgen nach dem Abschluss ihrer Ausbildung der Mutter in die Ukraine, wo sie ein Lehramtsstudium aufnimmt und er in einer Computerfirma eine gute Stellung findet.

Flucht

Ljudmyla

Vor dem Überfall der Russen lebten wir als ganz normale Familie in einem kleinen Haus in Saporischschja. Ich bin 18 und besuchte die Abschlussklasse des Gymnasiums, Mein Vater Olexandr ist technischer Direktor des Atomkraftwerkes, meine Mutter Kateryna war Lehrerin für Englisch und Deutsch am Gymnasium und mein drei Jahre älterer Bruder Yegor studiert Informatik in Odessa. Seit ich ein wenig schreiben kann, vermerke ich alle wichtigen Ereignisse in meinem Tagebuch.

Ich freute mich darauf, in drei Monaten das Abitur zu machen, ich war so gut in der Schule, dass ich absolut keine Schwierigkeiten erwartete. Danach wollte ich Literaturwissenschaft studieren und spielte mit dem Gedanken, das in Deutschland zu tun.

Mutti hatte ein Faible für die deutsche Sprache und mich damit angesteckt, sodass ich Deutsch als zweite Fremdsprache nach dem obligatorischen Englisch wählte und inzwischen recht gut spreche. Ich hatte einen Schwung deutsche Bücher in meinem Regal, die ich problemlos lesen konnte, nur manche neuen Wörter musste ich nachschlagen. Zu Hause unterhielten wir uns abwechselnd auch in Deutsch und Englisch

Obwohl ich schon fast neunzehn bin, hatte ich bisher kein Interesse an Jungen gespürt, sie kamen mir immer roh und oft unbeherrscht vor. Das war ich von Yegor nicht gewohnt. Als mich mein Tanzstundenpartner einmal küssen wollte, spürte ich entsetzt seine widerliche Zunge auf meinen Lippen und stieß ihn empört zurück. Meine Mitschülerinnen knutschten dagegen in aller Öffentlichkeit mit ihren Freunden. Ein Mädchen, das immer aufdonnernd geschminkt war, gab sogar damit an, schon mit ihrem Freund geschlafen zu haben, das sei wunderschön gewesen. Dagegen hatten die Eltern uns in einem langen Gespräch erklärt, dieser Akt sein ein Beweis inniger Liebe zwischen zwei festen Partner, und diene nicht nur der Kinderzeugung.

Olexandr

Als Technischer Direktor bin ich für das gesamte Werk und damit für ca. 5.000 Mitarbeiter verantwortlich. Ich hätte in einer kleinen Unterkunft beim Werk wohnen können, zog aber das Wohnen bei der Familie in unserem kleinen Haus in der vom Werk 60 Km entfernten Stadt Saporischschja vor. Täglich fuhr ich mit dem Wagen nach Nikopol, stellte ihn dort ab und fuhr mit einem kleinen Motorboot über den Dnjepr ins Werk. Wenn viel Arbeit anfiel, übernachtete ich im Werk, war aber an den meisten Wochenenden zu Hause.

Als die Russen näher rückten, war es für mich selbstverständlich, meinen Posten beizubehalten, den beiden Frauen empfahl ich aber, das Land zu verlassen, weil ich eine völlige Besetzung durch die Russen fürchtete.

Kateryna

Mit dem nötigsten Gepäck kamen wir zunächst nach Lwiw, wo Yegor zu uns stieß. Leider durfte er als wehrfähiger Mann das Land nicht verlassen. Er darf vorerst weiter studieren, müsse aber jederzeit mit einer Einberufung zum Militär rechnen

Ljudmyla und ich erreichten von dort nach zehn Tagen über Polen unser Ziel Deutschland. Auf dem Berliner Hauptbahnhof warteten über tausend Ukraine-Flüchtlinge auf den Weitertransport und ständig kamen neue an, doch wir wurden durch Hilfsorganisationen hervorragend betreut.

Ich war während des Studiums mehrfach in Deutschland gewesen und hatte mich in die Stadt Schwerin verliebt. Dorthin wurden wir sofort weiterverfrachtet. Am späten Nachmittag kamen wir an und bekamen ein kleines Zimmer in einem Flüchtlingsheim. Da wir beide gut deutsch sprechen, haben wir kein Problem mit der Verständigung.

Am nächsten Tag erfuhren wir in der Ausländerbehörde, dass wir als Ukrainer kein Asylverfahren benötigen und sofort in das Leben integriert werden können. Ich bot an, ukrainische Kinder in der deutschen Sprache zu unterrichten und hatte bald eine ständige Aufgabe. Ljudmyla wurde in das Gymnasium aufgenommen.

Da wir jetzt voll anerkannt waren, konnten wir eine bessere Unterkunft suchen und fanden eine kleine möblierte Wohnung. Sie besteht aus einem 25 qm großen Zimmer mit Schlafcouch und einer Doppelkochplatte mit ein wenig Geschirr sowie einem winzigen Toilettenraum mit Waschbecken. Das war nicht viel, aber wir konnten die Flüchtlingsunterkunft mit ihrem völligen Mangel an Privatsphäre verlassen.

Bei der Telekom bestellten wir einen Anschluss mit Internetzugang und waren nach vier Wochen Abstinenz endlich wieder mit der Welt verbunden. Ich habe meinen Laptop mitgenommen und bereitete den Unterricht darauf vor, Ljudmyla darf ihn beliebig benutzen. Über das Internet konnten wir sogar fernsehen.

Ljudmyla

Ich erfuhr, dass ich wegen des unterschiedlichen Lehrstoffs nicht in die Abschlussklasse des Gymnasiums aufgenommen werden kann, sondern die Vorklasse besuchen muss, was mir ganz recht ist, denn ich fühle mich nicht in der Lage, in drei Monaten hier die Abiprüfungen zu bestehen.

In der Schule wurde ich zunächst als exotisches Tier angesehen, fand aber aufgrund meiner guten Sprachkenntnisse bald in die Klassengemeinschaft hinein. Ich stellte fest, dass mir vieles im Unterrichtsstoff bekannt ist, ich aber auch eine ganze Menge neu lernen muss.

Die ein Jahr jüngere Lina Paulsen wollte alles von mir und über mein Heimatland wissen und nahm mich eines Nachmittags zu sich nach Hause mit. Ihre Eltern zeigten das gleiche Interesse und luden für den nächsten Abend Mutti und mich zum Essen ein.

Kateryna

Bei dem Essen stellten wir fest, dass die Mutter Abgeordnete der Grünen Partei im Landtag ist und der Vater Vorsitzender der Partei für den Bezirk Schwerin. Außerdem hat er ein Netzwerk zur Integration ukrainischer Flüchtlinge aufgebaut. Jetzt wussten wir, warum wir hier so problemlos aufgenommen wurden. Die Tochter Lina ist in der Jugendorganisation der Partei aktiv.

Der Unterricht für die Kinder macht mir große Freude, sie lernen alle eifrig und erfolgreich. Die Behörde bat mich, auch erwachsene Ukrainerinnen zu unterrichten, was guten Zuspruch fand. Wenn Ljudmyla Zeit hat, unterstützt sie mich beim Unterricht.

Mit der Zeit bildete sich aus diesem Unterricht ein Kreis einiger Frauen, die näher miteinander umgehen wollen. Wir treffen uns im Gesellschaftszentrum und besprechen persönliche Probleme. Sie sind alle gut gebildet und haben anspruchsvolle Berufe ausgeübt.

Ihr größtes Ziel ist, bald wieder tätig zu sein und dadurch unabhängig zu werden. Einigen von ihnen konnte ich über die Arbeitsagentur Stellen vermitteln, wie z. B. einer Frisörin und einer Bäckerin.

Olexandr

Ich darf das Werk nicht verlassen und habe mich in meinem Büro mühselig eingerichtet. Ständig muss ich den Russen erklären, was gemacht wird, sie sind völlige Laien. Mein kleines Boot haben sie konfisziert und sind damit auf dem Kachowkaer Stausee herumkutschiert, bis der Sprit alle war. Zum Glück haben sie den Hahn zum Reservetank nicht gefunden. Und ich habe noch einen kleinen Kanister heimlich gebunkert. In einer dunklen Nacht habe ich das Bötchen heimlich an einem versteckten Strand deponiert.

Für unser Haus habe ich einen Nachbarn gebeten, sich drum zu kümmern. Da zwei von den vier Hochspannungsleitungen beschädigt sind, bin ich in Sorge um die zuverlässige Stromversorgung, die für die Kühlung der Reaktoren unverzichtbar ist, um einen Gau zu verhindern. Zum Glück haben wir genug Diesel für eine Notkühlung.

Die Russen haben das Werk mit Artillerie und Maschinengewehren in eine Festung verwandelt und schießen von hier auf die andere Seite des Flusses. Über mein Handy erreichte ich Kateryna und erfuhr erfreut, dass die beiden Frauen gut nach Deutschland gekommen sind und dort hervorragend aufgenommen wurden.

Dass Yegor das Land nicht verlassen darf, habe ich fast erwartet, aber der Staat braucht jeden Mann, um gegen die Russen zu bestehen. Die Erfolge unserer Truppen zeigen, dass die anfangs von mir befürchtete russische Besetzung des Landes nicht erfolgen wird.

Die Mutter meiner Sekretärin lebt in Cherson, ein Stück weiter abwärts auf der anderen Seite des Dnjepr und hält den Kontakt mit ihr. Bei ihrem Einmarsch haben die Russen den Fluss überquert und die Stadt besetzt. Jetzt teilt die Mutter mit, dass die Besatzer den Einwohnern einen Exitus angeboten und sich dann über den Fluss zurückgezogen haben. Sie ist froh, wieder in Freiheit zu leben.

Angekommen

Ljudmyla

Lina führte mich in die Grüne Jugendorganisation ein und ich fand dort weitere Freunde. Die Jungen sind ganz anders, als ich sie bisher kennen gelernt hatte, und die gemeinsame Projektarbeit baut in mir eine gewisse Vertrautheit auf. Ganz langsam stellte ich fest, dass diese Jungen zwar anders als wir Mädchen sind, aber trotzdem wertvolle junge Menschen, und ich kam ihnen näher.

Besonders Stephan Schumann, der zweite Leiter der Gruppe, beeindruckt mich. Er diskutiert stets sachlich, hat ein freundliches Gesicht mit blauen Augen unter seinem dichten blonden Haarschopf und ich habe das unbestimmte Gefühl, dass er sich für mich interessiert, sowas habe ich noch nie erlebt. Nebenbei erfuhr ich, dass er zwei Jahre älter ist als ich, wie Yegor Informatik studiert und allein mit seiner Mutter zusammenlebt.

Nach vier Wochen plante die Gruppe ein Wochenende in der Jugendherberge Sellin auf Rügen. Es sollte Freitagnachmittag losgehen, die Fahrt mit dem Bus würde zweieinhalb Stunden dauern und ich meldete mich gern zur Teilnahme. Pünktlich um 16 Uhr ging es los und um halb sieben waren wir da. Wir waren elf Mädchen und acht Jungen und wurden auf Vierbettzimmer verteilt. Da alle am Tag beschäftigt gewesen waren, sangen wir nach dem Abendbrot noch etwas und fielen bald in die Betten.

Samstagvormittag ging gleich nach dem Frühstück die Projektarbeit los, wir wollten eine Aktion für besseren Umweltschutz in der Landwirtschaft vorbereiten. Bis zum Mittag hatten wir eine ganze Menge geschafft, vor dem Essen fragte Stephan, wer zum Baden mitkomme, die See müsste eigentlich einigermaßen erträglich sein. Ich sagte, dass ich kein Badezeug mitgenommen hätte, aber die andern lachten, sie hätten auch keins dabei. Das hieß nackend baden und nach einigen Skrupeln entschloss ich mich, mitzumachen.

Außer meinem Vater und Yegor hatte ich noch keinen nackten Mann gesehen und betrachtete aufmerksam die Körper der Jungen. Besonders Stephan beeindruckte mich mit seinem voll ausgebildeten Penis und der großen blonden Schammatte. Aber auch die Mädchen mit ihren unterschiedlich großen Brüsten waren interessant. Das Wasser war mit 15° gerade noch erträglich, wir blieben nicht lange drin.

Stephan

Lina hatte eine Ukrainerin mitgebracht, die neu in der Schule angekommen sei. Das Mädchen heißt Ljudmyla und beindruckt mich mit ihrem freundlichen Gesicht unter langen, fast schwarzen Haaren. Schon lange habe ich kein Mädchen so ansprechend gefunden. Sie spricht fehlerfrei Deutsch und beteiligt sich mit brauchbaren Vorschlägen lebhaft an den Diskussionen. Bei jedem Treffen beeindruckte sie mich stärker und ich überlegte, wie ich ihr näherkommen kann. Das gemeinsame Wochenende in Sellin schien mir eine günstige Gelegenheit zu sein und ich freute mich, ihr für zwei Tage ganz nahe zu sein

Bei dem Badeausflug am Samstag konnte ich sie hüllenlos sehen und stellte erfreut fest, dass sie auch in diesem Zustand eine vollendete Schönheit ist. Hübsche, nicht zu große Brüste und die schwarze Schammatte machten sie für mich zu einer Göttin, doch ich bemerkte erfreut, dass sie mich auch sehr aufmerksam musterte.

Auf dem Rückweg ging ich neben ihr und wagte es, ihr mit den Worten: „Weißt du, dass du eine außergewöhnlich schöne Frau bist?“, den Arm auf die Schulter zu legen. Sie war wohl erstaunt, wies mich aber nicht zurück und fand erst nach einer Weile die Worte: „Na ja, du kannst dich aber auch gut sehen lassen.“ Da nahm ich den Arm von ihrer Schulter und strich über ihre Haare. Ich merkte, dass ich eine Saite in ihr zum Klingen gebracht habe und bin gespannt, wie es zwischen uns weitergehe wird.

Kateryna

Erfreut erfuhr ich, dass mehr als die Hälfte der von mir unterrichteten Kinder inzwischen am regulären Schulunterricht teilnimmt.

Mit den Frauen bin ich so vertraut geworden, dass ich ab und zu zwei oder drei von ihnen zu Kaffee und Kuchen in meine kleine Wohnung einlud, für mehrere hätte der Platz nicht gereicht. Beim Gespräch über persönliche Probleme vor der Flucht kamen wir uns näher und ich sah, dass die Harmonie, die ich aus meiner Familie kenne, nicht überall herrscht. Manche beschwerten sich über den Herrschaftsanspruch der Ehemänner und einige berichteten sogar von Handgreiflichkeiten. Erst hier unter den schwierigen Verhältnissen im Flüchtlingsheim können sie ihre Persönlichkeit voll ausleben und sich so um ihre Kinder kümmern, wie sie es für richtig halten. Ich hielt dies Thema für so wichtig, dass ich es im größeren Kreis zur Sprache brachte und sah, dass die Frauen froh waren, einmal darüber sprechen zu können.

Ljudmyla

In der Herberge setzten wir die Arbeit an unserem Projekt fort und kamen bis zum Abendessen erstaunlich gut voran. Morgen würden wir ein komplettes Paket erarbeitet haben. Nach dem Essen trafen wir uns zu Saft im Versammlungsraum, klönten und sangen alle möglichen Lieder, die meisten kannte ich nicht, konnte aber mit zwei Liedern aus meiner Heimat Eindruck machen.

Im Bett konnte ich lange nicht einschlafen, das nackte Bad und der gemeinsame Weg mit Stephan gingen mir nicht aus dem Kopf. Eigentlich hatte ich seine Hand greifen wollen, die mir über die Haare gestrichen hatte, mich dann aber nicht getraut. Bin ich etwa in ihn verliebt? Sicher fühle ich mehr für ihn als für die anderen jungen Männer der Gruppe, aber ist das schon Liebe oder nur ein größeres Interesse an seiner Person? Lange wälzte ich diese Gedanken, ohne zu einem Ergebnis zu kommen und schlief nach langer Zeit endlich ein.

Mitten in der Nacht erwachte ich von einem Traum: Stephan hatte nackt vor mir gestanden und ich hatte ihn, ebenfalls nackt, umarmt und eng an mich gedrückt, sodass ich seinen warmen Körper an mir fühlte. Entsetzt dachte ich über den Traum nach. Fühle ich mich schon so stark zu Stephan hingezogen, dass mein Unterbewusstsein eine intime Beziehung mit ihm will? Das darf ich mir auf keinen Fall gestatten, dafür kennen wir uns viel zu wenig.

Olexandr

Nun ist es passiert, auch die letzten beiden Hochspannungsleitungen sind ausgefallen. Nur die Notstromversorgung durch die Dieselgeneratoren kann eine Überhitzung der Reaktoren verhindern. Zum Glück haben wir so viel Diesel gebunkert, so dass wir bei sparsamem Stromverbrauch in allen anderen Bereichen zwei Monate damit reichen können, was ich sofort anwies. Leider halten sich die russischen Besatzer nicht an diese Einschränkung und lassen ihre Geräte unbekümmert laufen.

Über die Hälfte der Mitarbeiter ist geflohen, aber noch können wir mit den verbliebenen den Betrieb recht gut aufrechterhalten.

Die Internationale Atomenergie-Organisation ist in hohem Maße besorgt und schickte zwei Inspektoren, denen die Russen aber den Zutritt zum Werk verwehrten. Erst die Intervention der Vereinten Nationen in Moskau ermöglichte dann ihren Zutritt. Sie untersuchten alles sehr genau und waren mit unseren Maßnahmen zufrieden, im Augenblick sehen sie keine unmittelbare Gefahr. In einem ausführlichen Bericht dokumentierten sie ihre Erkenntnisse und forderten die ukrainische Stromversorgung dringend auf, die Hochspannungsleitungen wieder betriebsfähig zu machen.

Als ich Kateryna die Entwicklung am Handy berichtete, lachte sie. Das habe sie alles schon in den Nachrichten gehört. Erfreut berichtete sie aber über ihre erfolgreiche Arbeit mit den Frauen und Kindern und auch über Ljudmylas Mitarbeit in der Grünen Jugendgruppe.

Ljudmyla

Sonntagvormittag schlossen wir die Arbeit an unserem Projekt erfolgreich ab und legten das Ergebnis in einem ausführlichen Bericht nieder. wir fühlten, dass wir gute Arbeit geleistet hatten. Nach dem Mittagessen gingen wir noch einmal baden und nach dem nächtlichen Traum schaute ich Stephan‘ Körper viel aufmerksamer an als gestern und ich ertappte mich bei dem Wunsch, den Traum Realität werden zu lassen. Als er meine Blicke aufmerksam erwiderte, wandte ich den Kopf beschämt ab.

Auf dem Rückweg ging er wieder neben mir und legte auch wieder den Arm um meine Schultern. Doch dabei blieb es nicht, plötzlich umarmte er mich und drückte mich eng an seinem Körper. Es war genauso wie in meinem Traum, nur waren wir nicht nackt. „Ich mag dich und habe das Gefühl, dass es dir genauso geht“, sagte er leise und ließ mich wieder frei, „Lass‘ uns gute Freunde sein“, fügte er noch hinzu, bevor wir weitergingen. Ich war zu keiner Antwort fähig, er hat ja recht, ich mage ihn doch auch sehr. Ist das Liebe?

Stephan

Als wir uns in Schwerin voneinander verabschiedeten und ich Ljudmyla die Hand reichte, drückte sie sie ganz fest mit beiden Händen und lächelte mich freundlich an. Auch ich blickte ihr freundlich ins Gesicht, ihre dunklen Augen faszinierten mich. Sie hatte wohl mein Gefühl für sie akzeptiert und ich war mir sicher, dass sie auch etwas für mich übrighat.

Ich überlegte, wie es mit uns weitergehen kann, sicherlich muss ich sie irgendwie umwerben, doch ich habe nicht die geringste Ahnung, wie. Auf jeden Fall würde ich bei den Treffen der Grünen Jugend versuchen, ihr näherzukommen, aber ich kann niemanden um Rat fragen. Es ist ein völlig neues Gefühl, das ich für dieses Mädchen empfinde, bin ich etwa in sie verliebt?

Kateryna

Als Ljudmyla von ihrem Wochenendtrip mit der Grünen Jugend zurückkam, merkte ich ihr sofort eine Veränderung an, sie war ernster und nachdenklicher geworden. Es fiel mir nicht schwer ihr ihr Geheimnis zu entlocken, verschämt, aber auch begeistert erzählte sie von ihren Gefühlen für Stephan, mit denen sie überhaupt nicht umzugehen wusste. Mir war klar, dass sie sich in den Jungen verliebt hatte und er sich wohl auch in sie, und vorsichtig machte ich ihr klar, dass das ganz natürliche Gefühle sind, die plötzlich alles verändern.

„Liebe ist ein wundervolles, ich möchte beinahe sagen heiliges Gefühl, dass einen überfällt, wenn einem ein Mensch begehrenswert erscheint“, erklärte ich ihr behutsam. „Die alten Griechen meinten, Gott Amor habe dem plötzlich Verliebten einen Pfeil ins Herz geschossen. Aber weil das Gefühl heilig ist, darf man es nicht auf die leichte Schulter nehmen, sondern behutsam aufbauen. In ganz kleinen Schritten kommt man einander näher, die zärtlichen Berührungen werden mehr und irgendwann hat man das Bedürfnis, den andern zu küssen. Das beginnt mit leichten Begegnungen der Lippen, aber bald werden die Zungen einander umschlingen und man will gar nicht wieder aufhören.

Doch das ist nur die erste Stufe, dann will man etwas mehr vom Körper des Geliebten erfahren, doch damit solltet ihr euch viel Zeit lassen. Und das muss sehr behutsam und vor allem zärtlich vor sich gehen. Einen Mann, der dazu nicht bereit ist, solltest du sofort in den Wind schießen. Aus meinen Gesprächen mit den ukrainischen Frauen weiß ich von der Rohheit vieler Männer, deren Frauen bisher keine Trennung gewagt haben. Das wird sich nach ihrer Rückkehr ändern.

Und noch etwas ist ganz wichtig: Die intimste ganz innige Begegnung, solltest du mit einem Mann erst eingehen, wenn du dir eine lebenslange Gemeinschaft mit ihm vorstellen kannst. Dieses himmlische umwerfende Erlebnis kannst du nur einmal in deinem Leben einem Mann schenken und er sollte es dir wert sein. Eine Trennung danach ist mit viel Herzblut verbunden.“

Ljudmyla

Ich dankte Mutti für diese umfassende Aufklärung und ging erleichtert ins Bett. Jetzt wusste ich, dass ich nicht geistesgestört, sondern nur verliebt bin, ein schöner, aber mir bisher unbekannter Zustand. Ihre Worte über die innige Gemeinschaft beeindruckten mich, so ernsthaft hatte ich diese Begegnung bisher nicht gesehen, glücklich schlief ich ein. Nach einer Weile Schlaf erwachte ich wieder von dem Traum aus der vorletzten Nacht: Ich hatte Stephan nackt umarmt und eng an mich gedrückt, sodass ich die zarte Haut seines warmen Körpers an mir fühlte. Doch im Gegensatz zu vorgestern genoss ich den Traum, Irgendwann würde er Wirklichkeit werden, da war ich ganz sicher, ich muss nur behutsam vorgehen und hoffe inständig, dass er auch behutsam und zärtlich sein wird. Wie ich ihn bisher erlebt habe, scheint mir das ziemlich sicher zu sein.

Am Morgen erwachte ich gut ausgeschlafen und freute mich darauf, den Geliebten (das Wort kam mir ohne Nachdenken einfach in den Sinn) Mittwoch beim Treffen der Grünen Jugend wiederzusehen. In der Schule sprach Lina mich in der Pause an, ich sei ja wohl sehr verliebt in Stephan, was ich gern bestätigte. „Das haben schon eine ganze Menge Mädchen versucht“, meinte sie lachend, „aber bisher hatte er eine undurchdringliche Mauer um sich aufgebaut. Dir ist es anscheinend gelungen, ihn zu öffnen, er ist es wert.“ Ich freute mich über diese Worte und bin auf Mittwochnachmittag gespannt.

Yegor