Verdacht in Dresden - Ernst-Günther Tietze - E-Book

Verdacht in Dresden E-Book

Ernst-Günther Tietze

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Dieses Buch umfasst drei Kriminalromane über Mordfälle mit unterschiedlichen Hintergründen und Motiven, die in der Dresdener Neustadt geschehen und von drei Kriminalisten der Mordkommission geklärt werden: Kriminalhauptkommissar Jürgen Wellmann, Kriminaloberkommissar Mark Schuster Kriminalkommissarin Duru Čelik Gemäß § 211 StGB ist ein Mörder eine Person, die "aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Hab-gier oder sonst niedrigen Beweggründen ... vorsätzlich einen Menschen tötet." Das recht häufige Mordmotiv Eifersucht wird im Gesetz mit dem Sammelbegriff "Befriedigung des Geschlechtstriebes" erfasst. Neben den kriminalistischen Ermittlungen werden in allen drei Romanen auch die Lebensumstände der handelnden Personen ausführlich beschrieben, um die Hintergründe ihres Handelns verständlich zu machen.

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Seitenzahl: 257

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Ernst-Günther Tietze

Verdacht in Dresden

Kriminalgeschichten

Das Titelbild wurde bei Shutterstock

mit Nr. 178606988 erworben.

© Copyright 2016 Ernst-Günther Tietze, Hamburg

Published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN 978-3-7418-2066-3

Inhalt

Verdacht im Dreieck1

Verdacht im Milieu20

Verdacht im Rückblick

Dieses Buch beschreibt drei Mordfälle in der Dresdener Neustadt, die von drei Kriminalisten der Mordkommission geklärt werden:

Kriminalhauptkommissar Jürgen Wellmann,

Kriminaloberkommissar Mark Schuster

Kriminalkommissarin Duru Čelik

Gemäß § 211 StGB ist ein Mörder eine Person, die „aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst niedrigen Beweggründen ... vorsätzlich einen Menschen tötet.“ Das recht häufige Mordmotiv Eifersucht wird im Gesetz mit dem Sammelbegriff „Befriedigung des Geschlechtstriebes“ erfasst.

Verdacht im Dreieck

Kriminalgeschichte

Unter einer Dreiecksbeziehung (französisch „Menage-à-trois“) wird eine Konstellation zwischen drei Menschen verstanden, in der eine Person eine heimliche Liebesbeziehung zu einer dritten unterhält. Das führt zu Eifersucht und kann sogar mit einem Mord enden.

„Was für eine schöne Leiche“, sagte Kriminalhauptkommissar Jürgen Wellmann leise, als er der Toten ins Gesicht schaute, „ein Jammer, dass diese Frau so jung sterben musste.“ Vor ihm lag eine etwa 30 jährige Frau mit langen rotblonden Haaren, deren übriger Körper mit einem Tuch bedeckt war. Wellmann war zum Klinikum Dresden-Friedrichstadt gerufen worden, weil die Notfallärztin ein Verbrechen vermutete. Was er erfuhr, ließ ihn zur selben Ansicht kommen: Um 20:16 hatte ein anonymer männlicher Anrufer der Feuerwehr eine hilflose Person auf einer Bank am Alaunplatz gemeldet. Die Rettungssanitäter fanden die auf der Bank liegende Frau lebend und brachten sie zur Notaufnahme, wo sie nur noch schwach atmete und eine Sauerstoffmaske erhielt. Beim Entfernen ihres braunen Anoraks fand die Notärztin Blut auf dem rosa Pullover und beim weiteren Entkleiden einen tiefen Einstich unter der linken Brust. Der Stich hatte wohl zunächst nur die Hauptschlagader beschädigt, aber beim Umbetten nach dem Transport im Krankenwagen war sie aufgerissen und die Frau innerlich verblutet. Ehe die Ärztin etwas unternehmen konnte, kollabierte die Frau und war nicht mehr zu reanimieren. Weil die Ärztin eine Fremdeinwirkung erkannte, benachrichtigte sie die Mordkommission. Nach einer halben Stunde waren zwei Beamte in der Klinik.

„Eindeutig Mord“, sagte Wellmann und ließ die mit hellen Jeans und hochhackigen Pumps bekleidete Leiche in die Gerichtsmedizin überführen. Informationen über ihre Identität waren nicht zu finden, sie hatte weder Handtasche noch Handy bei sich, nur eine Goldkette mit einem Kreuz trug sie um den Hals. Nachdem die Rettungssanitäter das telefonisch bestätigt und die Bank gegenüber einem Haus am Bischofsweg als Fundort genannt hatten, schickte er die Spurensicherung zum Alaunplatz und fuhr mit seiner Kollegin Duru Čelik ebenfalls dorthin. Der Anblick der Toten ging ihm nicht aus dem Kopf. „Warum muss solche schöne junge Frau so grausam sterben?“, fragte er seine Begleiterin traurig, „sie hatte doch noch das ganze Leben vor sich.“ Frau Čelik wusste keine passende Antwort auf diese rhetorische Frage, doch auch an ihr war der Anblick der Toten nicht spurlos vorüber gegangen, sie war ja nur wenig jünger. „Ich bin sicher, der Mörder muss einen Grund gehabt haben“, antwortete sie nachdenklich. „Immerhin werden wir alles tun, um den Mord aufzuklären.“ Sie arbeitete gerne mit dem Hauptkommissar zusammen, der sie nach der Hochschule behutsam in die praktische Seite der kriminalistischen Ermittlungen eingeführt hatte, die das duale Studium nicht bieten konnte. Nach dem Tod ihres Vaters, der in Duisburg ein gut gehendes Lebensmittelgeschäft betrieben hatte, sah sie in ihm eine Art Ersatzvater.

Der Alaunplatz ist eine 14.000 m² große, von Bäumen, Büschen und Sitzbänken umrahmte Grünfläche im Norden der Dresdner Neustadt. Ursprünglich als Exerzierplatz angelegt, wurde er 1960 als Grünanlage umgestaltet und wird deshalb auch „Alaunpark“ genannt. Bei gutem Wetter dient er tagsüber als Liegewiese, doch wegen der späten Stunde waren jetzt nur wenige Menschen auf dem Platz. Die Spurensicherung fand auf der zwischen Büschen versteckten Bank Blutflecke und viele Fingerabdrücke, aber auf dem sandigen Spazierweg davor waren so viele Fußspuren, dass sich nichts erkennen ließ. „Anscheinend benutzen die Leute diesen Weg lieber als den Fußweg an der Straße hinter den parkenden Autos“, meinte der Spurensicherer enttäuscht. „So haben wir also nur die Blutflecken, die wahrscheinlich von der Frau stammen“, antwortete Wellmann, „verifizieren Sie das doch bitte mit der Leiche in der Pathologie.“ Der Spurensicherer nahm die Blutspuren und Fingerabdrücke von der Bank, und weil inzwischen der 100 Meter von der Bank entfernte öffentliche Apparat als Quelle des Anruf bei der Feuerwehr geortet worden war, auch die Fingerabdrücke vom Hörer und Tastenfeld.

„Das ist verdammt wenig“ meinte Kommissarin Čelik, „wir wissen ja noch nicht mal, ob die Frau hier auf der Bank verletzt wurde oder sich mit dem Einstich hergeschleppt hat. Wäre es möglich, dass sie aus der näheren Umgebung stammt?“ „Das ist eine gute Idee“, dachte Wellmann laut. „Sie haben ja ihr Bild auf dem Handy. Fragen Sie bitte mal in den Häusern drüben nach, ob jemand sie kennt.“ „Ay ay, Sir“, antwortete die Kommissarin und ging zu den Wohnhäusern auf der Straßenseite gegenüber. Wellmann mochte die junge Kollegin, die vor einem halben Jahr von der Polizeihochschule in sein Team gekommen war. Mit seinen 64 Jahren könnte sie fast seine Enkelin sein, und so etwas fühlte er auch für sie. Dass sie türkische Wurzeln hatte, merkte man ihr nicht an, es war aber nützlich im Umgang mit muslimischen Asylanten. Manchen jungen Männern aus dieser Gruppe machte sie deutlich klar, dass Frauen kein Freiwild, sondern gleichberechtigte Persönlichkeiten sind, die selbstständig entscheiden, mit wem sie sich einlassen. In der Kultur dieser Männer sind Frauen Geschöpfe zweiter Klasse, die sich ihrem Willen unterzuordnen haben. Und die freizügige Bekleidung westeuropäischer Frauen lässt die Männer denken, sie seien offen für Annäherungen.

Wellmann erwartete seine Pensionierung im nächsten Jahr, da würde er endlich Zeit haben, mit seiner Frau, einer Lehrerin, eine lange Reise ans Mittelmeer zu unternehmen. Sie war zwar zwei Jahre jünger, wollte sich aber frühverrenten lassen, um mit ihm zusammen fahren zu können. In der DDR war es ihnen beiden gelungen, sich nur soweit politisch zu engagieren, wie unbedingt notwendig. Das war natürlich ihrer Karriere nicht zuträglich gewesen, hatte aber nach der Wende Vorteile. Jürgen wurde bald Chef einer Ermittlungsgruppe der Mordkommission und seine Frau Schulleiterin. Da die arabischen Staaten und die Türkei von Anschlägen heimgesucht wurden und die griechischen Inseln als Landeplatz für Flüchtlinge dienen, hatten sie sich für Kreta entschieden, das außerhalb der Flüchtlingsrouten lag, und hofften, dass das im nächsten Jahr noch genauso sein würde.

Im gegenüberliegenden Haus am Bischofsweg wurde die Kommissarin fündig. Eine alte Dame im ersten Stock hatte die auf dem Handy abgebildete Frau ein paar Mal ins Haus kommen gesehen, auch heute Abend beim Beginn der Tagesschau, konnte aber nicht sagen, welchen Mieter sie besuchte und wann sie gegangen war. Die Kommissarin klingelte an allen Türen, aber wo jemand öffnete, kannte man die Dame nicht. Manche waren unwillig, zu dieser späten Stunde gestört zu werden. Bei zwei Wohnungen im vierten Stock, in denen niemand öffnete, wollte sie morgen noch mal nachfragen. So beendeten die beiden ihre Aktivitäten um halb elf.

Samstag früh bestätigte die Rechtsmedizinerin die Identität der Blutpuren auf der Bank mit dem Blut der Toten. Zusätzlich zu der Stichwunde, die von einem ca. 20 cm langen Messer herrührte, fand sie Hämatome an den Handgelenken und stellte fest, dass die Frau im vierten Monat schwanger war. Eine Vergewaltigung konnte sie eindeutig ausschließen, ebenso einen Geschlechtsverkehr im zurückliegenden Zeitraum.

Kommisssarin Čelik versuchte, die beiden Mietparteien im vierten Stock zu befragen, die sie gestern nicht erreicht hatte. Eine Frau war zu Hause, kannte aber die Dame auf dem Handy nicht, und an der anderen Wohnung öffnete wieder niemand. Wenn die anderen Mietparteien die Wahrheit gesagt hatten, die Tote nicht zu kennen, blieb dieser Mieter als Einziger verdächtig. Die Kommissarin notierte den Namen und erhielt vom Vermieter die Auskunft, er sei ein sechzigjähriger Mann, der seine Miete regelmäßig abbuchen ließ. Anscheinend war er unbescholten, denn in den Polizeiakten fand sich nichts Negatives. Da gegen ihn nichts vorlag, würden die Ermittler keine Genehmigung bekommen, seine Telefonverbindungen und Konten zu kontrollieren. Eine Vermisstenanzeige für die Tote war bisher nirgends eingegangen.

„Jetzt sind wir genauso schlau wie gestern und wissen nicht, wer die tote Frau ist“, klagte der Hauptkommissar in der Teambesprechung, „wir wissen nur, dass die Frau gestern um 20 Uhr das Haus betreten und vor 20:16 wieder verlassen hat. Hat einer von euch eine Idee, wie wir weiter kommen können?“ „Wir kennen ja noch nicht mal das Motiv“, sinnierte Duru. „Da wir bei der Toten nichts gefunden haben, könnte es sich um Raubmord handeln und möglicherweise hat die Schwangerschaft mit der Sache nichts zu tun. Aber die Hämatome deuten auf eine tätliche Auseinandersetzung bei der Messerattacke hin und lassen mich im Zusammenhang mit der Schwangerschaft eher an eine Beziehungstat denken, also dass ein Mann seine Geliebte beseitigen wollte, die dummerweise ein Kind von ihm bekommt.“ „Damit ist der unbekannte Wohnungseigentümer aus dem Schneider“, warf Wellmann ein, doch Oberkommissar Mark Schuster widersprach: „Mit sechzig kann man durchaus noch einer Geliebten ein Kind machen und es dann bereuen. Was meinen Sie, Jürgen, Sie sind doch in dem Alter?“

Wellmann wollte auffahren, aber als er seine beiden Kollegen grinsen sah, ging er auf den Scherz ein. „Schon richtig“, meinte er, „zu alt bin ich dafür noch nicht. Aber bringt man deshalb die Geliebte um? Ich folge der Ansicht unserer jungen Kollegin und erweitere sie auf eine Dreiecksbeziehung. Solche Tat wird wahrscheinlicher, wenn hinter dem Mann eine andere Frau steht, die entweder von der Beziehung zur Toten nichts wissen darf oder ihre unbedingte Beendigung fordert.“ „Das bedeutet, dass jeder Mann im Haus der Täter sein kann“; zog Frau Čelik das Resümee. „Wir müssen sie alle untersuchen. Ich werde noch mal den Vermieter kontaktieren und um die Daten der Mieter bitten, falls er jetzt noch zu erreichen ist. Und dann müssen wir alle Männer unter die Lupe nehmen, natürlich auch den bisher nicht angetroffenen.“ „Woher wissen Sie, dass der Täter ein Mann ist“, wollte Schuster wissen. „Der Anrufer war männlich“, erwiderte die Kommissarin, doch Kollege Schuster relativierte diese Meinung: „Der Anrufer muss ja nicht der Täter gewesen sein, sondern vielleicht ein Passant, der keine Umstände haben wollte.“ „So müssen wir alle Mieter als Täter annehmen“ klagte der Hauptkommissar.

Wie die Kommissarin vermutet hatte, meldete sich beim Vermieter niemand mehr, doch aus den Meldelisten bekamen sie die Daten der sechzehn im Haus gemeldeten Mieter. Es waren zwei Ehepaare und zwei unverheiratete Paare, fünf allein stehende Frauen und sieben einzelne Männer. „Ausschließen können wir niemand“, meinte der Hauptkommissar beim Mittagessen, „denn auch ein Ehemann kann die Geliebte umbringen, wenn sie während der Abwesenheit seiner Frau in der Wohnung auftaucht. Und ebenso kann eine Frau ihre Nebenbuhlerin zu sich einladen und umbringen. Wir sollten heute noch mit der Befragung anfangen, da sind die meisten zu Hause. Duru, nehmen sie die Frauen vor und Sie, Mark die Männer, ich befrage die Paare. Dabei notieren wir auf der Meldeliste, wo im Haus die Mieter wohnen.“ „Und was fragen wir die Leute?“, wollte Duru wissen. „Ja, zuerst erklären wir ihnen, dass wir einen Mordfall untersuchen und bitten sie um ein Gespräch in der Wohnung.“ antwortete Wellmann. „Dann fragen wir sie noch mal, ob sie die Frau kennen und beobachten ihre Reaktion genauer als Sie das gestern an der Tür konnten.“ Nach dieser Einweisung machte sich das Team auf den Weg.

Der Herr im vierten Stock war jetzt zu Hause und versicherte, die Tote nie gesehen zu haben. Dafür war jetzt in einer Wohnung im zweiten Stock, die nach den Meldeakten ein 31 jähriger Mann gemietet hatte, niemand anzutreffen. Auch zwei Frauen und ein Ehepaar im dritten Stock waren nicht zu Hause. Die Gespräche mit den Mietern zogen sich bis zum Abend hin, ohne dass die Kommissare etwas Entscheidendes ermitteln konnten. Alle Befragten antworteten klar und eindeutig, sie hätten die Frau nie gesehen und nur die alte Dame im ersten Stock wiederholte ihre Beobachtung von gestern. „Versuchen wir morgen, die übrigen Leute zu befragen“, entschied der Hauptkommissar, „für heute machen wir Feierabend.“

Sonntag früh fuhr das Team wieder zum Bischofsweg, wo sie die gestern nicht anwesenden Frauen und das Ehepaar im dritten Stock antrafen. Auch sie konnten glaubhaft versichern, die Tote nie gesehen zu haben. Nur bei der Wohnung im zweiten Stock öffnete wieder niemand „Ich habe ihm vorgestern Abend das Bild der Toten gezeigt“, erinnerte sich Duru, „seine Aussage, die Tote nicht zu kennen, kann ich nicht beurteilen, da es im Flur ziemlich dunkel war. „Lassen Sie uns die Namen aller Mieter durch die vorhandenen Datenbestände laufen“, schlug Wellmann vor, „das wird zwar eine Weile dauern, aber vielleicht finden wir etwas.“

Im Kommissariat nahmen die drei sich alle öffentlichen Datenbestände vor, auf die sie Zugriff hatten, und jeder durchsuchte einen Bereich nach den Namen der Mieter. Nach einer Weile rief Duru: „Ich hab‘ was“, und zeigte den Kollegen ihren Fund. Der Mann in der zweiten Etage, den sie zwar am Freitagabend, aber gestern und heute nicht angetroffenen hatten, war der 31 jährige Luc Soltau, der außer am Bischofsweg auch mit einer Frau und einem Kind in der fünf Minuten entfernten Bachstraße gemeldet war. „Das könnte unser Mann sein!“, rief der Hauptkommissar, „kommen Sie, Duru, wir fahren hin.“ Die junge Kommissarin freute sich über die Aufforderung und startete den Dienstwagen, während Oberkommissar Schuster sich wieder mal ärgerte, dass der Chef in der letzten Zeit nur noch mit der jungen Kollegin fuhr und er im Büro die Stellung halten musste.

In der Bachstraße standen die beiden vor einem schmucken Einfamilienhaus, doch niemand öffnete. Anscheinend war die Familie ausgeflogen. Wieder im Amt durchsuchten sie zu dritt alle verfügbaren Datenbestände mit dem Namen des Mannes und fanden nichts Auffälliges. Wegen des nur unbestimmten Verdachts konnten sie auch hier nicht mit der Genehmigung rechnen, die Konten und Verbindungen des Mannes einzusehen oder die Villa zu durchsuchen. Da es schon spät war, schickte der Hauptkommissar das Team in den Feierabend.

Drei Jahre vor diesen Ereignissen fotografierte der Modefotograf Luc Soltau auf Kreta Bademoden. Er hatte endlich wieder einen ordentlichen Auftrag mit seiner bewährten Idee gewonnen, die Models als normale Touristen beim Schwimmen im Wasser, beim Herauskommen und Räkeln auf der Strandliege abzulichten und sie lächeln zu lassen, statt sie nur steril darzustellen. Auf diese Weise konnte er die neuen Badeanzüge und Strandkleider besser ins Licht bringen, als andere Fotografen. Das Team war morgens aus Frankfurt abgeflogen und begann nach einem kurzen Imbiss gleich mit den Aufnahmen am Strand. Sie waren für zwei Tage in einem billigen Hotel nahe Heraklion untergebracht, wobei die vier Models sich zwei Doppelzimmer teilen mussten. Nur die Aufnahmeleiterin und der Fotograf hatten eigene Zimmer.

Bei den Aufnahmen fiel Luc das blonde Model Evelyn Möller auf, sie war hübsch und hatte eine gute Figur, modelte aber bisher nur in der zweiten Klasse. Im Gegensatz zu den meist unnatürlich aufgemachten Damen schminkte sie sich behutsam und zeigte einen natürlichen Charme. Als Schmuck trug sie nur einen kleinen Brillantring am linken Ringfinger. Auch Evelyn war von Lucs Art zu fotografieren angetan, sein Gesicht mit dem Backenbart gefiel ihr und eine derart natürliche Arbeitsweise hatte sie noch nicht erlebt. Dieser Mann schien ihr wert, sich näher mit ihm zu beschäftigen, und nach den Aufnahmen suchte sie im Internet nach seiner Vergangenheit. Sie fand hervorragende Bewertungen aus früheren Jahren und seinen langsamen Abstieg. Als sie nach dem Grund suchte, erkannte sie mit dem von ihrer Mutter geschulten Blick, dass der Mann ein Drogenproblem hatte, und beschloss ihm zu helfen. Die Verbindung zu einem wieder voll einsatzfähigen Luc Soltau könnte ihr vielleicht die Chance geben, für bessere Labels zu modeln.

Auch Luc wollte dieser interessanten Frau näher kommen und lud sie abends in die Bar ein, doch sie schlug vor, ein paar Schritte zu laufen, bis sie 500 Meter vom Hotel entfernt in einem Kafenion landeten. Holzstühle und -tische bildeten das Mobiliar; an den Wänden hingen Fotos der Gegend, und im Radio dudelte griechische Musik. An vielen Tischen spielten alte Männer Backgammon.

Bei Metaxa und Oliven kamen die beiden ins Gespräch, doch als Luc der Frau einen Joint anbot, reagierte sie schroff abweisend: „Ich nehme solch Zeug nicht und wenn du dir das reinziehst, werde ich sofort meinen Metaxa bezahlen und gehen“, sagte sie mit Entschiedenheit. Erschrocken entschuldigte sich Luc, das sei doch nur ein harmloser Joint, doch Evelyn sah ihm lange in die Augen, bis sie antwortete: „Es gibt keine harmlosen Drogen, das weiß ich von meiner Mutter, die in der Drogenberatung arbeitet. Ich bin Krankenschwester und studiere nebenbei Medizin, dadurch kenne ich das Problem auch.

Ich habe dir gleich angemerkt, dass du ein Junkie bist. Du bist am Set fahrig und unkonzentriert, hast zwar gute Ideen, kannst sie aber nicht richtig realisieren und in deinen Augen sehe ich, wie tief du drinsteckst. Deine Haut ist trocken und pickelig. Gefällt es dir denn wirklich, miserabel bezahlt für die billigsten Labels zu arbeiten? Ich mag dich ein bisschen und möchte dir helfen, aus der Sucht rauszukommen, denn ich habe recherchiert, was für ein begnadeter Fotograf du mal warst. Das geht aber nur, wenn du ab sofort keinen Joint mehr anrührst. Bitte denk darüber nach.“ Sie erhob das Glas und sah Luc in die Augen. Der überlegte einen Moment, dann stieß er mit ihr an. „Ich danke dir, denn ich habe längst gemerkt, was das Zeug mit mir macht. Mit deiner Hilfe komme ich vielleicht davon los“, sagte er leise. Evelyn überlegte einen Moment, dann bat sie: „Erzähl‘ mir ein bisschen von dir.“

Diese Aufforderung traf Luc unvorbereitet, eigentlich hatte er nicht die Absicht, sein Leben vor dieser fremden Frau auszubreiten. Aber irgendwie ging ein Zauber von ihr aus, sie wollte ihm in ein normales Leben zurück helfen, da durfte er sich nicht verschließen. So begann er mit seiner Kindheit:

„Ich bin in Dresden aufgewachsen und habe schon als Kind eine Leidenschaft für die Fotografie entwickelt. Zum fünften Geburtstag schenkte ein Onkel mir eine preiswerte Kamera, mit der ich schnell vertraut wurde und alles fotografierte, was mir vor die Linse kam. Mein Vater war Leiter einer Brigade von Bauelektrikern und Mutter arbeitete als Schneiderin. Als Handwerkern ging es ihnen nicht schlecht, denn sie halfen oft Nachbarn, natürlich gegen angemessene Bezahlung. Gleich nach der Wende machte Vater sich mit einem Elektrogeschäft selbstständig.

Mir genügte allmählich das simple Knipsen nicht mehr, ich wollte etwas aus den Bildern machen. So folgte im Frühjahr 1990 ein Atari mit einem Bildbearbeitungsprogramm und ich entwickelte einen Blick für Arrangement und Bildgestaltung bei der Aufnahme. In der Schule bekam ich Ärger, weil ich ständig die Mädchen fotografierte und durfte den Apparat nicht mehr mitbringen, aber außerhalb schuf ich immer bessere Aufnahmen. Das Abbilden von Mädchen und Frauen jeden Alters entwickelte sich zu meiner Leidenschaft. Mit zehn Jahren kauften die Eltern, die mein Talent erkannten, mir eine Digitalkamera und einen Farbdrucker. Ich reichte einige Bilder zu einer Ausstellung ein und bekam den ersten Preis.

Weitere Preise und eine Mappe mit erstklassigen Arbeiten ermöglichten mir, ausnahmsweise schon nach der mittleren Reife an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig zum Studium der Fotografie zugelassen zu werden. Begeistert erfuhr ich, was eine gelungene Aufnahme ausmacht und wie Bildsprache methodisch entwickelt wird, welche Kriterien für eine bestimmte Ästhetik eine Rolle spielen und wie man eine künstlerische Fotografie inszeniert. Ich lernte, Bilder künstlerisch zu erweitern, mich mit verschiedenen Techniken auseinanderzusetzen, aktuelle Themen zu erkennen und ein Gespür für kommende Strömungen zu entwickeln, zum Beispiel in der Modefotografie. Besonders interessierte mich die Nachbearbeitung und Verbesserung der Bilder, um besondere Effekte besser zur Geltung zu bringen. Mit 19 Jahren bekam ich das Diplom mit Auszeichnung und wählte für den zehnmonatigen Ersatzdienst die Arbeit in einem Krankenhaus, wo ich hauptsächlich die Heilungsfortschritte der Patienten dokumentierte. Und jetzt habe ich einen trocknen Mund und muss erst mal einen Schluck trinken.“ Mit diesen Worten griff er zum Glas und nahm einen Schluck Metaxa.

„Ich bin beeindruckt“, staunte Evelyn, „du hast eine tolle Karriere begonnen, wie ging es dann weiter?“ Luc fuhr fort: „Mit 20 Jahren war ich frei von offiziellen Verpflichtungen und sah mich nach lukrativen Aufträgen um. Zunächst arbeitete ich für Werbefirmen und musste Produkte vorteilhaft ablichten. Dabei kam ich auf die Idee, sie im Gebrauch durch normale Menschen zu zeigen und fand schnell Perspektiven, bei denen das Produkt gut dargestellt wird, aber auch die Begeisterung der benutzenden Person zu erkennen ist. Doch nach einiger Zeit in dieser Branche wurde es mir lästig, nur tote Materie zu bewerben. Da ich die Leidenschaft, Frauen zu fotografieren, nie aufgegeben hatte, fand ich nach zwei Jahren die Modefotografie als plausible Verbindung zwischen Fähigkeiten und Leidenschaft und bewarb mich bei Modefirmen. Die Auftraggeber erkannten bald mein Talent und setzten mich für Aufträge in der Haute Couture ein.

Für diese Aufnahmen hatte ich die Methode weiter entwickelt, keine sterilen Standbilder aufzunehmen, sondern die Models mit den neuen Kreationen lebensnah in ihrer täglichen Umgebung abzulichten, zum Beispiel bei Spaziergängen, Theaterbesuchen oder auf der Tanzfläche, aber auch im Haushalt beim Spielen mit Kindern oder einer gemeinsamen Mahlzeit. Wichtig waren für mich vor allem natürliche, leicht lächelnde Gesichter und nicht die verkniffenen Blicke, wie sie bei Modenschauen üblich sind. Auch bei der Nachbearbeitung konnte ich meine Kenntnisse gut anwenden. Da ich nur Damenmode fotografierte und dafür durch die ganze Welt reiste, war es nicht verwunderlich, dass die Models mich nicht nur als Bildobjekte interessierten. Immer wieder ergab sich nach der Berufsarbeit die Gelegenheit, den in der Hotelbar begonnenen Abend in meinem Zimmer charmant fortzusetzen. Drei Jahre ging das gut, ich hatte ein angenehmes Leben und verdiente so gut, dass ich mir 2010 ein Haus in der Dresdner Neustadt leisten und recht ordentlich einrichten konnte.“

„Und bis dahin hast du keine Drogen genommen?“, wollte Evelyne wissen, „ich glaube aber, jetzt bist du schon eine ganze Weile dabei.“ „Ja, du hast Recht“, setzte Luc seine Lebensbeichte fort. „Nach diesen Erfolgen begeisterte mich eine attraktive Dame für Chrystal Meth. Ich fuhr voll auf die Droge ab und hatte berauschende Erlebnisse, die mich fragen ließen, wie ich bisher ohne diese Aufputsch-Möglichkeit leben und lieben konnte. Die Droge gab mir ungewohnte Euphorie, verringerte das Schlafbedürfnis und steigerte die Leistungsfähigkeit, Hunger- und Durstgefühl wurden gemindert. Mein schon vorher nicht geringes sexuelles Verlangen steigerte sich, allerdings sank die Leistungsfähigkeit auf diesem Gebiet, was die Dame nach einem Jahr zum Abschied veranlasste. Dazu kamen bei intensiver Anwendung erhöhte Körpertemperatur, Schwindelgefühl und Kreislaufprobleme mit plötzlichem Blutdruckabfall, so dass ich nach einer anderen Droge suchte, denn auf die euphorisierende Wirkung dieser Hilfsmittel wollte ich nicht mehr verzichten.

Eine neue Freundin machte mich mit Ecstacy bekannt, das sie schon lange nahm. Zunächst gefiel mir dieses Mittel viel besser als das vorige. Hunger- und Durstgefühl und Schmerzempfinden wurden reduziert, Puls, Blutdruck und Körpertemperatur erhöhten sich, Musik erzeugte einen unwiderstehlichen Bewegungsdrang. Ich wurde körperlich sensibler, so dass ich Berührungen sowohl aktiv als auch passiv als überdurchschnittlich angenehm empfand. Allerdings stellte ich auch bei dieser Droge bald sexuelle Probleme fest, verbunden mit einer Abschwächung des Geschmackssinns und ständigem Kitzeln unter der Haut. Diese Erfahrungen ließen mich diesmal die Initiative ergreifen, das Mittel zu meiden und mich von der Dame zu trennen, die mich dazu gebracht hatte.“

„Aber du hast nicht aufgehört, sondern bist auf Hasch umgestiegen, denn diese Droge merke ich dir an“, nahm Evelyn wieder das Wort. „Du hast schon wieder Recht“, sagte Luc leise. „Bei der Suche nach einem Ersatz bot mein Dealer mir Cannabis an, was mich stärker begeisterte, als die beiden vorigen Drogen. Manchmal fühlte ich mich wie im Rausch bei gleichzeitiger emotionaler Gelassenheit, meine Wahrnehmung wurde intensiviert und die Zeit schien langsamer zu verstreichen. Das Mittel verschaffte mir neue Ideen und Einsichten, allerdings verbunden mit starken Gedankensprüngen, und ich hatte das Gefühl, mich besser in andere hineinfühlen zu können. Neben diesen positiven Eindrücken stellte ich erfreut fest, dass die mit den bisherigen Drogen verbundenen sexuellen Beeinträchtigungen nicht auftraten und ich hatte wieder intensive Beziehungen mit den Models. Doch allmählich stellten sich seltsame Phänomene in meinem Kopf ein, aus Gedankensprüngen wurde ein uferloses Durcheinander und manchmal konnte ich keinen klaren Gedanken fassen und hatte Erinnerungslücken. Außerdem fühlte ich gelegentlich Herzrasen, Übelkeit und Schwindel, so dass ich die Arbeit am Set unterbrechen musste.“

„Und dann bist du beruflich abgestürzt?“ fragte Evelyn. „Genauso war es und ich schäme mich vor dir“, gestand Luc mit gequältem Gesicht. „Nach fünf Jahren Drogengebrauch war ich am Ende. Die großen Modefirmen waren mit meinen Bildern nicht mehr zufrieden und versagten mir neue Aufträge, so dass ich nur noch gelegentlich Arbeit bei drittklassigen Labels bekam und Unterwäsche in den Räumen billiger Hersteller fotografierte. Meine Chance kam, als die Dessous Exclusives plante, neben Unterwäsche auch Bademoden herzustellen. Da mein Blick für Effekte noch nicht verloren gegangen war, konnte ich den Chef bei den Entwürfen beraten und bekam den Auftrag, die Modelle auf Kreta abzulichten. Nachdem ich sogar meine wertvolle Kamera für die Drogen verscherbelt hatte, konnte ich vor kurzem eine leistungsfähige Nikon günstig erwerben, die mir hervorragende Aufnahmen ermöglicht. That’s it, und wenn du mir trotz dieser verpfuschten Jahre noch helfen willst, werde ich dir dankbar sein, denn dieser Auftrag hat mir etwas Hoffnung gegeben, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen.“

„Will ich das wirklich auf mich nehmen?“, fragte Evelyn sich einen Moment lang, doch dann kam die Hoffnung in ihr auf: „Ja, das schaffe ich, denn dieser Mann ist es wert, und ich will ja auch davon profitieren!“ Sie beugte sich zu ihm und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, dann sagte sie leise: „Ja ich will dir helfen, wenn du dir wirklich helfen lassen willst, denn dann sehe ich für dich noch eine erhebliche Entwicklung.“ Luc nickte begeistert, zahlte den Weinbrand und die beiden schlenderten langsam zum Hotel zurück. Luc hatte gehofft, dass Evelyn mit in sein Zimmer kommen würde, doch sie verschwand in ihrem Zimmer, nachdem sie ihn noch einmal auf die Wange geküsst und ihm eine gute Nacht gewünscht hatte. Als er im Fernsehen nichts Vernünftiges fand, kam die Sucht in ihm auf, den Kick nachzuholen, auf den er nach Evelyns Worten im Kafenion verzichtet hatte. Doch noch konnte er sich beherrschen und ging ins Bett, um über den Abend mit ihr nachdenken. Auf der einen Seite liebte er das Gefühl, das ihm die Droge immer wieder vermittelte, und das ihm jetzt durch den Verzicht auf den Joint fehlte. Auf der anderen Seite war er intelligent genug, den beruflichen Abstieg zu begreifen, den er durch das Kiffen erlitten hatte. Evelyns Angebot, ihm zu helfen, war eine gewaltige Chance, aus der Sucht heraus zu kommen und wieder das zu werden, was er einmal war. Im Innersten wusste er, dass ihm diese Frau wertvoll geworden war, ganz anders als alle bisherigen Beziehungen. Doch eine Verbindung mit ihr war nur möglich, wenn er eisern auf jegliche Droge verzichtete. „Ich will es schaffen“, rief er laut, stieg aus dem Bett und nahm eine lange kalte Dusche, um die Sehnsucht nach dem Joint zu überwältigen.

Beim Frühstück am nächsten Morgen setzte sich Evelyn wie selbstverständlich zu ihm an den Tisch. Nachdem sie ihm wieder lange in die Augen geschaut hatte, sagte sie leise: „Ich gratuliere dir, du bist clean geblieben. Gestern Abend war ich mir nicht sicher, ob du es schaffen würdest, und ich bin bewusst nicht mit dir gekommen, denn du musstest alleine mit der Sucht fertig werden. Wenn du magst, können wir Freunde werden.“ Als Luc erzählte, dass er die Sucht mit dem Wunsch, ihr Freund zu sein und letztlich mit einer kalten Dusche überwunden hatte, lachte sie herzlich und küsste ihn über den Tisch auf die Wange. Auf Lucs Frage nach ihrem Alter ließ sie ihn raten und er schätzte sie auf 24. „Wenn du ein Jahr zugibst, liegst du richtig“, lachte sie und meinte, er sei wohl zehn Jahre älter als sie. „Ich glaube, die Drogen lassen mich älter aussehen als ich wirklich bin“, sagte er schuldbewusst, „bei mir musst du fünf Jahre abziehen.“

Am Vormittag wurden die Aufnahmen beendet und bald startete ihr Flieger vom nahen Flughafen nach Frankfurt. Nach etwas über drei Stunden waren sie dort und Luc konnte sich nur kurz von Evelyn verabschieden, denn sein Anschluss nach Dresden wartete schon. Im Flugzeug hatten sie ihre Mailadressen, Telefonnummern und Anschriften ausgetauscht, Luc wusste jetzt, dass Evelyn Berlinerin war. Sie waren übereingekommen, in Kontakt zu bleiben und drückten zum Abschied ihre Wangen aneinander.

Montag früh kam vom Polizeirevier an der Stauffenbergallee eine Vermisstenmeldung auf den Tisch der Kommissare: Die Kindergärtnerin Susanne Hacker wurde seit zwei Tagen im Kindergarten am Alaunplatz vermisst. Der Hauptkommissar fuhr mit Duru zum Kindergarten, wo sie erfuhren, dass die Frau am Samstag und auch heute nicht zum Dienst erschienen war. Weder über das Festnetz noch über ihr Handy sei sie erreichbar und an ihrer Wohnung öffne niemand. Als die Kommissarin das Bild der Toten zeigte, bestätigte die Leiterin, sie sei die Vermisste. Jetzt wussten die beiden immerhin, wer die Tote war.

Was sie über die Tote sagen könne, fragten die Kommissare. Sie sei 30 Jahre alt, antwortete die Dame, bei den Kolleginnen sei sie beliebt, habe aber nie über ihre persönlichen Angelegenheiten gesprochen. Als Kindergärtnerin sei sie sehr gut gewesen, die Kinder hätten sie regelrecht verehrt und mit den meisten Eltern habe sie guten Kontakt gehabt. Auch mit schwierigen Kindern sei sie durch ihre ruhige Art gut fertig geworden. In den sechs Jahren ihrer Tätigkeit sei sie nie unangenehm aufgefallen, ihr Tod sei ein großer Verlust für alle. „Wissen Sie etwas über die Beziehung der Toten zu einem Mann“, fragte die Kommissarin jetzt direkt. Nein, das könne sie sich überhaupt nicht vorstellen, so abfällig wie sie immer über die Männer gesprochen habe, antwortete die Leiterin. „Na, immerhin war sie im vierten Monat schwanger“, gab Frau Čelik zu bedenken. Die Leiterin war entsetzt, davon habe sie nichts gewusst. „Das hätte mir Frau Hacker unbedingt mitteilen müssen, denn der Mutterschutz schränkt ihre Einsatzmöglichkeiten hier erheblich ein“, fügte sie hinzu.