Zwischen den Feuern - Ernst-Günther Tietze - E-Book

Zwischen den Feuern E-Book

Ernst-Günther Tietze

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Beschreibung

Der Student Reinhard Wulff wird Mitte 1961 von der Stasi verhaftet und unter Androhung eines Prozesses wegen Hochverrats als informeller Mitarbeiter (IM) verpflichtet. Kurz vor dem Bau der Mauer wird er nach Westberlin geschickt, um dort seinen Pfadfinderbund, die Kirche und die Universität zu observieren und seiner Kontaktperson regelmäßig Bericht zu erstatten. Er tanzt viel mit Stefanie Kroll, die Ende des Jahres mit der Familie nach Braunschweig übersiedelt, wo ihr Vater einen geheimen Auftrag für die Weltraumforschung erhält. Reinhard wird angewiesen, die Tätigkeit des Vaters auszuforschen. Ostern besucht er Stefanie und die beiden verlieben sich ineinander. Er erhält von ihrem Vater einige Informationen über seine Arbeit, gibt sie aber nur unvollständig an die Kontaktperson weiter. Gleichzeitig entschließt er sich, bei der Stasi auszusteigen. Die Stasi lässt Reinhard von der informellen Mitarbeiterin Tina überwachen, der es beinahe gelingt, ihn zu verführen. Erst im letzten Moment besinnt er sich auf seine Liebe zu Stefanie. Zu Pfingsten offenbart Reinhard sich mit Hilfe von Stefanies Vater dem Verfassungsschutz, soll aber zum Schein weiter für die Stasi arbeiten. Stefanie und er kommen sich seelisch und körperlich immer näher. Während vier Wochen Campingurlaub in den Vogesen fällt die letzte Schranke zwischen den beiden und sie geben sich ihrer tiefen Liebe hin. Anschließend arbeitet Reinhard als Werkstudent in Hamburg, wo er auch für die Stasi spionieren muss. Die Stasi erkennt seine Doppeltätigkeit und will ihn in Ostberlin verhaften. Tina warnt Reinhard heimlich und er benachrichtigt Stefanie. Der Verfassungsschutz holt ihn kurz vor Ostberlin aus dem Zug und bringt ihn nach Westdeutschland. Reinhard will in Braunschweig weiter studieren und verlobt sich mit Stefanie. Die Stasi denkt über eine gewaltsame Entführung nach, verzichtet dann aber wegen Reinhards relativer Unwichtigkeit.

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Ernst-Günther Tietze

Zwischen den Feuern

Liebe überwindet Verfolgung

Roman

Die rote Linie im Berliner Stadtplan zeigt den Verlauf der Mauer um Westberlin vor der Wende

© Copyright 2010 Ernst-Günther Tietze Hamburg

published by: epubli GmbH, Berlin

,

www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-0495-9

Prolog

In dieser Erzählung wird ein junger Student und Pfadfinderführer 1961 von der Stasi verhaftet und zur Mitarbeit als IM in West-berlin gezwungen, was er zunächst akzeptiert. Als er sich in eine Pfadfinderkameradin verliebt, deren Vater an einem ge-heimen Weltraumauftrag arbeitet, soll er diesen ausspionieren.

Die immer stärker werdende Liebe zu der Kameradin lässt ihn zur Besinnung kommen und er offenbart sich dem Vater, der ihm eine Verbindung zum Verfassungsschutz verschafft. In dessen Auftrag erklärt er sich bereit, scheinbar weiter für die Stasi zu arbeiten. Die Liebe zwischen den beiden jungen Menschen wird immer intensiver und sie besiegeln sie in einem gemeinsamen Campingurlaub im Alsace. Die Eltern der jungen Frau begrüßen die Verbindung.

Verpflichtung

Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam, Abteilung XVII/4/13

Potsdam, den 25.7.1961

An HA VII des MfS, Berlin-Lichtenberg

Ermittlung

Name, Vorname:Wulff, Reinhard

Geboren am:1. 4. 1940 in Kleinmachnow

Tätigkeit:Student der Energietechnik

Studienort:TU Berlin West

Massenorganisation:keine in der DDR

Wehrdienst NVA: Ab 1.10.1961 vorgesehen

Wohnhaft:Kleinmachnow,

Ginsterheide 12

W. lebte seit seiner Geburt bei seinen Eltern in Kleinmachnow. Nach ihrer Scheidung im August 1955 siedelte die Mutter mit ihm nach Berlin-Zehlendorf über. Seit ihrem Tode am 3.12.1960 lebt W. wieder bei seinem neu verheirateten Vater, dem Elektromeister Paul Wulff, in Kleinmachnow.

W. besuchte die Grundschule in Kleinmachnow und seit 1950 die Schadow-Oberschule in Berlin-Zehlendorf. Nach dem wegen guter Leistungen vorgezogenen Abitur begann er im März 1958 ein zweijähriges Berufspraktikum im Siemens-Schaltgerätewerk in Westberlin, das er im März 1960 mit einer Fachprüfung abschloss. Seitdem studiert er Energietechnik an der TU in Westberlin. Der Anwerbung zur FDJ hat er sich immer wieder verweigert. Kontakte zu Frauen konnten in Kleinmachnow nicht festgestellt werden. Möglicherweise gibt es sie in Westberlin, wo sich W. hauptsächlich aufhält.

Grund für die Ermittlung ist ein Hinweis des IM Franz auf die Tätigkeit des W. bei den Westberliner Christlichen Pfadfindern. Diese uniformierte Organisation ist mit Aufmärschen und sportlicher Betätigung als vormilitärisch anzusehen und der GST vergleichbar. Sie ist hierarchisch organisiert, wobei dem W. als „Stammesführer“ mehrere Gruppen unterstellt sind. Am 23.7.1961 wurde er zusätzlich zum „Gauführer“ für den gesamten Südwesten Westberlins gewählt.

Da ich diese Tätigkeit als unzulässig ansehe, bitte ich um weitere Instruktionen.

Ortlepp

Ltn.

Tagebuch Reinhard 25. 7.

Sonntag bin ich zum Nachfolger des Gauführers Kurt gewählt worden, der in Westdeutschland weiter studieren will. Die Wahl fiel sehr knapp zwischen Frieder und mir aus, der in meinen Augen ein besserer Führer ist als ich. Der Freund gratulierte mir herzlich, aber um unsere Freundschaft zu bewahren, bat ich ihn, die Schulung der jungen Führer im Gau zu übernehmen.

Abteilung XVII/1/2 des MfS

An Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam, Abteilung XVII/4/13

Berlin-Lichtenberg, den 26.7.1961

Betr. Wulff, Reinhard, Ermittlung vom 25.7.1961

Aktennotiz

Die Tätigkeit des W. wird von der HA VII ebenfalls als unzulässig und sogar gefährlich angesehen. Die Angelegenheit muss von uns eingehend untersucht werden. Zu diesem Zweck ist der W. am 27.7. abends zu verhaften und in das Gefängnis Hohenschönhausen zu verbringen.

Hoffmann

Maj.

Abteilung XVII/1/2 des MfS

Berlin-Lichtenberg, den 26.7.1961

An Gefängnisverwaltung Hohenschönhausen

Betr. Wulff, Reinhard,

Verwahrauftrag

Der genannte wird morgen Abend bei Ihnen eingeliefert. Er ist in einer Einzelzelle zur Vernehmung durch mich bereit zu halten.

Hoffmann

Maj.

Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam, Abteilung XVII/4/13

An Volkspolizeikommando Kleinmachnow

Potsdam den 27.7.1961

Betr. Wulff, Reinhard, Klmn, Ginsterheide 12

Festnahmeauftrag

Der W. ist heute Abend ohne Angabe von Gründen festzunehmen und in das Gefängnis Hohenschönhausen des MfS zu verbringen.

Ortlepp

Ltn.

Dienststelle der Volkspolizei Kleinmachnow

An Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam Abteilung XVII/4/13

Kleinmachnow, den 27.7.1961

Betr. Festnahmeauftrag Wulff, Reinhard

Bericht

Der W. wurde auftragsgemäß am 27.7.1961 um 22 Uhr festgenommen und in das Gefängnis Hohenschönhausen des MfS verbracht.

Jürgens

OLtn.

Abteilung XVII/1/2 des MfS

Berlin-Lichtenberg, den 1.8.1961

Betr. Wulff, Reinhard

Vernehmungsprotokoll

Am 27.7.1961 habe ich den Kleinmachnower Reinhard Wulff wegen vermuteten Landesverrats verhaften und in das UG Hohenschönhausen verbringen lassen. Grund ist ein Hinweis der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam, Abt. XVII/4/13, dass W. an führender Stelle in einer vormilitärischen Organisation der BRD in Westberlin tätig ist. Dabei handelt es sich um die sogenannte Christlichen Pfadfinderschaft. Heute habe ich ihn wegen dieser Tätigkeit vernommen, er ist sich jedoch keines Verstoßes gegen die Gesetze der DDR bewusst.

Mit seiner Führungstätigkeit bei den Westberliner Christlichen Pfadfindern konfrontiert bestritt W. vehement, dass es sich um eine vormilitärische Organisation handle. Die Christlichen Pfadfinder seien eine eng an die jeweiligen Kirchengemeinden gebundene christliche Gemeinschaft mit einem jungengemäßen Anspruch. Ihre Tätigkeit bestehe aus Heimabenden zu bestimmten Themen, Volks- und Fahrtenliedern und regelmäßiger Bibelarbeit. Im Sommer würden Wanderfahrten mit Schlafen im Zelt und Lagerfeuern unternommen. Sicherlich unterschieden sich die Christlichen Pfadfinder von den reinen Gemeinde-Jugendkreisen, die nur die Bibel läsen und Kirchenlieder sängen, aber eine bestimmte Sorte von Jungen damit nicht begeistern könnten.

Mit Militär habe das aber nicht das Geringste zu tun, viele der Mitglieder lehnten die Wiederbewaffnung der BRD entschieden ab. Außer Fahrtenmessern, die sie beim Zelten und Kochen brauchten, hätten sie keinerlei Waffen. Den Hinweis auf die hierarchische Struktur der Organisation beantwortete W. so: Eine gewisse Gleichheit der Gruppen in den Gemeinden sei nur durch eine lose übergemeindliche Organisation zu gewährleisten. Vor allem eine einheitliche Schulung der Leitungskräfte sei nur auf diese Weise möglich. Auch die Uniformierung (er wehrte diesen Begriff ab und nannte es eine Pfadfindertracht) erhöhe den Zusammenhalt in den Gruppen. Auf meine Frage nach Kontakten mit Frauen, die in seinem Alter doch selbstverständlich seien, antwortete er, das sei bei Pfadfindern nicht üblich.

Obwohl einiges in seinen Aussagen plausibel klang, blieb ich bei dem Vorwurf, er sei als DDR-Bürger führend in einer vormilitärischen Organisation der feindlichen BRD tätig und drohte ihm einen Prozess wegen Landesverrats mit hoher Zuchthausstrafe an. Dies könne er nur vermeiden, wenn er sich bereit erkläre, als Informant für das MFS zu arbeiten. Er bat um Bedenkzeit, die ich ihm gewährte.

Hoffmann

Maj.

Abteilung XVII/1/2 des MfS

Berlin-Lichtenberg, den 2.8.1961

Betr. Wulff, Reinhard

Vernehmungsprotokoll

Heute erklärte der W. sich in einem weiteren Verhör zur Mitarbeit als IM bereit und fragte, was er dafür bekomme. Ich nannte ihm eine monatliche Bezahlung von 50,- DM und er unterschrieb die Verpflichtungserklärung, worauf er freigelassen und wieder nach Kleinmachnow verbracht wurde. Wegen seiner vielfältigen Kontakte in Westberlin ist er dort zum Einsatz zu bringen. Sein Codename ist „Schlosser“.

Sein Verhältnis zu Frauen ist gelegentlich zu überprüfen, weil seine diesbezügliche Antwort zweifelhaft erscheint.

Hoffmann

Maj.

Tagebuch Reinhard 2. 8.

Am 27. Juli verhaftete mich abends ein Einsatzkommando aus unserer Wohnung und brachte mich in einem Gefangenen-Transportwagen in die Zentrale des MfS, wo sie meine Fingerabdrücke nahmen und mich fotografierten. Ich musste mich nackend ausziehen, wurde abgetastet und an allen Körperöffnungen, selbst am Hintern und unter der Vorhaut untersucht und bekam einen Gefängnisdress. Eine Doppelzelle, etwa zweieinhalb mal dreieinhalb Meter groß mit zwei Holzpritschen und Decken, einem Spülklosett, einem Waschbecken, einem Hocker, einem kleinen Tisch und einer nackten Neonröhre an der Decke, die Tag und Nacht brannte, war jetzt mein ganzes Reich. An einer Seite war ein Fenster aus Glasbausteinen, dahinter schimmerte ein Gitter durch, so konnte ich sehen, wann es Abend wurde, denn meine Uhr hatten sie mir abgenommen. Über den Glasbausteinen gab es eine winzige Lüftungsklappe, die ich sofort öffnete, denn in der Zelle stank es. In der mit zwei Riegeln und einem Schloss gesicherten Tür gab es eine Klappe, in die alle paar Stunden jemand schaute, ob ich noch am Leben war. Durch diese Klappe musste ich zur Essenszeit eine Plastikschüssel und einen Becher hinaus reichen, die mir dann gefüllt zurück gereicht wurden. Das Essen war mäßig, sättigte aber, ich war ja von der Mensakost nicht verwöhnt.

Nach vier Tagen, an denen ich nicht wusste, was sie von mir wollten, wurde ich aus der Zelle geholt und über lange Gänge durch Gittertüren, die jedes Mal auf und hinter mir wieder zu geschlossen wurden, zum Verhör geführt. In einem größeren hellen Raum saß hinter einem Schreibtisch ein älterer ziemlich molliger Stasimajor mit Geheimratsecken und Schnurrbart. Ich musste mich auf einen Hocker in der Ecke setzen. Der Major wollte zunächst meine Personalien wissen, die er mit einer vor ihm liegenden Akte verglich, dann fragte er, ob ich wisse, warum ich hier sei. Als ich antwortete, ich hätte wirklich nicht die geringste Ahnung, warf er mir vor, Gauführer einer vormilitärischen Jugendorganisation im Westen zu sein, was den Gesetzen der DDR widerspreche. Ich bestritt den vormilitärischen Charakter der CP und wies auf die enge Bindung der Stämme an die Kirchengemeinden hin. Trotzdem drohte er mir einen Prozess wegen Landesverrats an. Als Alternative bot er mir eine Spitzeltätigkeit für die Stasi mit 50 Mark Monatsgehalt an und da ich mich nicht gleich entscheiden konnte, kam ich auf denselben verschlungenen Wegen wieder in die Zelle. Heute wurde ich wieder zum Verhör gebracht, der Major riet mir dringend, mit ihnen zu kooperieren, sonst sehe es für mich sehr schlecht aus. Nachdem ich notgedrungen unterschrieben hatte, wurde ich wieder nach Hause gebracht.

Abteilung XVII/1/2 des MfS

An Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam Abteilung XVII/4/13

Berlin-Lichtenberg, den 5.8.1961

Betr. IM Schlosser

Aktennotiz

Da die Möglichkeit einer Sperre zwischen der DDR und den Berliner Westsektoren nicht auszuschließen ist, ist der IM aufzufordern, nach Westberlin zu übersiedeln und dort sein gewohntes Leben weiter zu führen. Eine Unterkunft wird von uns bezahlt. Diese Übersiedlung kann als „Republikflucht“ kaschiert werden. Nur dadurch ist seine weitere IM-Tätigkeit in Westberlin gewährleistet.

Hoffmann

Maj.

Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam Abteilung XVII/4/13

Potsdam den 6.8.1961

Betr. IM Schlosser

Gesprächsprotokoll

IM wurde aufgefordert, unverzüglich und ohne Information seines Vaters nach Westberlin zu übersiedeln und sich dort unter Hinweis auf die im Juli erfolgte Festnahme als politischer Flüchtling registrieren zu lassen. Ein möbliertes Zimmer werde vom MfS bezahlt und er müsse umgehend seine Anschrift melden. Sein Honorar erhalte er künftig in DM West. Eine Kontaktperson werde sich bei ihm melden.

Ortlepp

Ltn.

Tagebuch Reinhard 8. 8.

Wie von der Stasi in Potsdam angewiesen, bin ich nach Zehlendorf umgezogen und habe meinem Vater nur einen Brief hinterlassen, in dem ich meine Verhaftung als Grund angab. Als ich nach der Verhaftung zurückkam, hatte ich lediglich erzählt, dass man von mir etwas über die CP wissen wollte. Mit seiner neuen Frau Eva verstehe ich mich überhaupt nicht.

In der Juttastraße, ganz in der Nähe unserer früheren Wohnung habe ich ein hübsches möbliertes Zimmer mit Bad- und Küchenbenutzung, gefunden, dessen Adresse und Kosten ich der Stasi melden werde. In der Küche mache ich hauptsächlich Wasser für Kaffee und Tee heiß, mittags esse ich in der Mensa und nur am Wochenende koche ich mir etwas. Manchmal bin ich sonntags bei Frieder zum Essen eingeladen. Tante Friedel und den CP-Kameraden erzählte ich lediglich, dass ich nach der sechstägigen Verhaftung durch die Stasi nach Westberlin geflohen sei. Als „DDR-Flüchtling“ erhalte ich ein Stipendium vom Berliner Senat.

Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam Abteilung XVII/4/13

Potsdam den 9.8.1961

Betr. IM Schlosser

Gesprächsprotokoll

IM hat mir mitgeteilt dass er weisungsgemäß nach Westberlin umgezogen ist Er hat ein möbliertes Zimmer in Berlin-Zehlendorf, Juttastr. 5 für 85,- DM West gemietet.

Ortlepp

Ltn.

Abteilung XVII/1/2 des MfS

An HM Schnecke

Berlin-Lichtenberg, den 10.8.1961

Betr. IM Schlosser

Kontaktauftrag

Sie haben unverzüglich Kontakt mit dem IM aufzunehmen. Er wohnt in Berlin-Zehlendorf, Juttastr. 5 und soll alle zwei Wochen einen Bericht über alle seine Tätigkeiten schreiben und Ihnen an einem jeweils genannten Treffpunkt abgeben. Zunächst soll er über die Organisation und den oberen Führungskreis des Christlichen Pfadfinderbundes berichten.

Hoffmann

Maj.

Tagebuch Reinhard 14. 8.

Als gestern die Mauer gebaut wurde, wusste ich, warum ich nach Westberlin „fliehen“ musste. Mir ist das sehr lieb, sonst wäre ich vom Studium und der CP abgeschnitten gewesen.

Heute erhielt ich einen Brief ohne Absender, der mich zu einem Treffpunkt auf einer Bank im Fischtal beorderte.

An Abteilung XVII/1/2 des MfS

15.8.1961

Betr. IM Schlosser

Bericht

IM wurde heute kontaktiert und aufgefordert, über die Organisation und den oberen Führungskreis des Christlichen Pfadfinderbundes zu berichten. Er macht einen recht aufmüpfigen Eindruck. Der nächste Kontakt ist für den 29.8.1961 vorgesehen.

Schnecke

Abteilung XVII/1/2 des MfS

An IM Biene

Berlin-Lichtenberg, den 17.8.1961

Betr. IM Schlosser

Beobachtungsauftrag

Weil Sie wie der IM an der Westberliner TU studieren, werden Sie zur Prüfung seiner Loyalität und Zuverlässigkeit mit seiner Überwachung beauftragt. Vorerst sollen Sie den IM unauffällig beobachten, um mit seinen Lebensgewohnheiten vertraut zu werden. Zum Semesterbeginn sollen Sie sich bei denselben Vorlesungen und Seminaren einschreiben, die er belegt hat und versuchen, sein Vertrauen zu gewinnen. Wenn Ihnen dabei der Aufbau einer persönlichen Beziehung gelingt, wäre das von Vorteil. Ihre Aufgabe ist es, seine politische Einstellung auszuforschen und seine Verschwiegenheit über die IM-Tätigkeit zu prüfen.

Hoffmann

Maj.

Tagebuch Reinhard 20. 8.

Die Kontaktperson, ein älterer Typ wie ein Oberlehrer, hat mich am Dienstag im Fischtal getroffen. Mich stach der Hafer und ich fragte ihn, ob er in Westberlin lebe oder jedes Mal von der DDR herüber komme. Ärgerlich wies er mich zurecht, solche Fragen seien verboten und beauftragte mich, die Organisation und den oberen Führungskreis der CP auszuforschen. Wir wissen ja längst, dass die Berliner CP zum großen Teil ein langweiliger Haufen ist, den einige alte Männer nach dem Krieg aus der Erinnerung an die Vorkriegszeit wieder ins Leben gerufen haben. Nur unser Zehlendorfer Gau ist jugendbewegt und einigermaßen straff organisiert.

Gestern habe ich meinen Stamm abgegeben. Siebzehn Jungen, die schon lange genug im Stamm sind, um beurteilen zu können, wer als neuer Führer in Frage kommt, trafen sich in einem Lager im Glienicker Park. Es wurde eine schwere Entscheidung, erst um 1:30 war Nudel gewählt. Es war fein zu sehen, wie Jungen, die sonst nicht viel sagen, bei einer wichtigen Entscheidung verantwortlich und überlegt reden und handeln. Das ist besonders schön, wenn man weiß, dass man den Jungen das erst beigebracht hat. Heute war es ein seltsames Gefühl, als ich dem Stamm seinen neuen Führer vorstellte, den Stamm, den ich selbst aufgebaut habe, in dem ich jeden Jungen ganz genau kenne, manchen genauer als seine Eltern, von den Lehrern ganz zu schweigen. Irgendwie war ein Loch da, eine leere Stelle. Aber wenn ich mein Studium ordentlich durchziehen will, kann ich nicht gleichzeitig beide Führungsaufgaben ausführen. Und ich bin sicher, dass Nudel kein schlechterer Stammesführer sein wird als ich, er hat das nötige Charisma und eine große Einsatzbereitschaft

An Abteilung XVII/1/2 des MfS

21.8.1961

Betr. IM Schlosser

Bericht

Die Zielperson fuhr am Nachmittag des 19. 8.1961 mit 17 Jungen zwischen ca. 15 und 17 Jahren auf Rädern in den Glienicker Park. Sie bauten Zelte auf und kochten am Abend einen großen Topf Tee mit allerlei Gewürzen. Nachdem sie Brote geschmiert und gegessen hatten, versammelte sie sich um ein Lagerfeuer und sangen einige Lieder. Dann eröffnete die Zielperson den Jungen, dass er die Stammesführung abgeben wolle und sie einen Nachfolger wählen müssten. Bis 1:30 Uhr berieten sie sehr ernsthaft und mit vielen Diskussionen über seine Nachfolge und wählten nach langer Diskussion einen ca. 17 jährigen, den sie Nudel nannten.

Am Vormittag des 20.8. kamen viele andere, auch jüngere Jungen dazu und die Zielperson stellte ihnen den neuen Stammesführer vor. Kirchliche und Volkslieder wurden gesungen. Nach einem selbst gekochten Mittagessen wurde das Lager abgebaut und alle verließen den Platz, den sie vorher sehr sorgfältig in Ordnung gebracht hatten. Ich hatte keinen Eindruck unzulässiger Tätigkeit.

Biene

An Abteilung XVII/1/2 des MfS

29.8.1961

Betr. IM Schlosser

Bericht

IM übergab mir heute ein Organigramm der Christlichen Pfadfinderschaft in der BRD und Westberlin und detaillierte Informationen über den Aufbau der Organisation.

Die eigentliche Arbeit geschieht in kleinen Gruppen von maximal zehn Jungen ab 12 Jahren an einer Kirchengemeinde, sie werden „Sippe“ genannt. Bestehen mehrere Sippen, auch unterschiedlichen Alters an einer Gemeinde, bilden sie eine „Siedlung“ mit einem übergeordneten Führer, der meist einer der Sippenführer und für die Koordination und den Kontakt zu den Gemeindeorganen zuständig ist. Ab etwa vier Sippen und einer Bewährungszeit von zwei Jahren wird die Siedlung offiziell als „Stamm“ anerkannt. Mehrere Stämme und Siedlungen in einer Region bilden einen „Gau“ und die Gaue eines Bundeslandes eine Landesmark. Für den gesamten Bund in der BRD und Westberlin ist ein „Bundesführer“ zuständig, der mit einem kleinen Büro in Kassel sitzt. Bis auf ihn sind alle Führer ehrenamtlich und werden von dazu berechtigten Jungen gewählt.

Ist ein Junge etwa ein Jahr dabei, kann er nach einer Reihe praktischer und theoretischer Prüfungen als „Knappe“ bestätigt werden und ist damit zur Wahl des Siedlungs/Stammesführers berechtigt. Die praktischen Prüfungen umfassen Kenntnisse des Zeltbaus, Anlegen eines Lagerfeuers, Kochen und Erste Hilfe. Zu den theoretischen Prüfungen gehören sowohl Kartenkunde und Umgang mit dem Kompass als auch Grundkenntnisse der Bibel und von Liedern, die in den Heimabenden gesungen werden. Ab 15 Jahren können die Jungen nach weiteren, schwierigeren Prüfungen als „Späher“ bestätigt werden und sind zur Wahl des Gauführers berechtigt.

Das Leben in den Sippen besteht einerseits aus wöchentlichen Heimabenden mit Liedern, Bibelarbeiten (Diskussionen) und meist einem Thema, das einer der Jungen vorbereitet. Auf der anderen Seite werden mehrmals im Jahr „Fahrten“ unternommen mit Wanderungen und Schlafen im Zelt. Da den Jungen die DDR nicht zugänglich ist, lässt die Berliner Jugendbehörde sie kostenlos mit Bussen in das Fahrtengebiet in Westdeutschland und auch wieder zurück fahren, Ältere Gruppen machen auch Auslandsfahrten.

Die Berliner CP ist nach dem Krieg von einigen alten Männern aus der Erinnerung an die Vorkriegszeit wieder ins Leben gerufen worden und zum großen Teil ein langweiliger Haufen. Nur der Zehlendorfer Gau sei recht jugendbewegt und straff organisiert. In Westdeutschland gebe es einige ähnlich jugendbewegte Gruppen, mit einem Gauführer hat IM Briefkontakt.

Wenn manche organisatorischen Einheiten auch straffer organisiert sind als andere, konnte aus den Aussagen des IM keine vormilitärische Ausbildung abgeleitet werden. Die einzige Waffe, die jeder Junge auf Fahrten trägt, ist ein feststehendes Fahrtenmesser, das zum Zelten und Kochen gebraucht wird.

Als nächste Aufgabe wurde IM beauftragt, die Struktur der Kirchengemeinden und die politische Einstellung der Pfarrer in seinem Kirchenbezirk auszuforschen. Das nächste Treffen ist für den 12.9.1961 vorgesehen.

Schnecke

Tagebuch Reinhard 2. 9.

Dienstag traf ich den Oberlehrer zum zweiten Mal und klärte ihn eingehend über die Struktur und Ziele der CP auf. Bis zum 12.9. soll ich die politische Einstellung der Zehlendorfer Pastoren ergründen.

Seit gestern führe ich die Tanzabende mit den Evangelischen Mädchenpfadfindern weiter, zum Glück ist jetzt die 18 jährige Ingrid Hollmann dabei, die ausgezeichnet tanzt und es den Neuen auch gut beibringen kann. Ich tanze wieder am liebsten mit der EMP-Führerin Stephanie Kroll. Wenn wir uns drehen, ergreift alles die Flucht und lässt uns viel Platz. Sie ist ein tolles Mädchen, ohne mädchenhaft empfindlich zu sein.

An Abteilung XVII/1/2 des MfS

2.9.1961

Betr. IM Schlosser

Bericht

Gestern nahm die Zielperson im Jugendhaus am Waldsee an einer Art Tanzkurs teil, der von einer jungen Dame mit Namen Ingrid geleitet wird, Alter knapp 20 Jahre. Die Gruppe von sieben Jungen und sechs Mädchen lernte Foxtrott und Wiener Walzer. Die Zielperson und einige andere hatten wohl schon Vorkenntnisse. Er tanzte hauptsächlich und sehr wild mit einer etwa 20 jährigen blonden Dame, die Stephanie genannt wurde, doch schien keine engere Bindung mit ihr zu bestehen. Die Veranstaltung dauerte knapp zwei Stunden.

Biene

An Abteilung XVII/1/2 des MfS

12.9.1961

Betr. IM Schlosser

Bericht

IM übergab eine Liste der evangelischen Pfarrer im Kirchenkreis Berlin-Zehlendorf. Die meisten der 7 Gemeinden haben zwei Pfarrer, darüber hat ein Superintendent das Sagen. Außerdem gibt es einen Pfarrer für Jugendarbeit. Die meisten Pfarrer neigen der CDU zu, nur der Jugendpfarrer soll links orientiert sein. An jeder Gemeinde existiert ein von den Gemeindemitgliedern gewählter Gemeindekirchenrat, der über die Finanzen der Gemeinde entscheidet. Die verschiedenen Arbeitskreise für Jugend, Alte etc. werden von ehrenamtlichen Mitgliedern geleitet.

Ich beauftragte IM, über Forschungsergebnisse und die politische Einstellung der Professoren an der TU zu berichten. Er will sich nach Semesterbeginn am 25.9.1962 darum kümmern. Das nächste Treffen habe ich deshalb auf den 3.10.1961 festgelegt.

Schnecke

Tagebuch Stephanie 16. 9.

Gestern hatten wir zum zweiten Mal in diesem Jahr wieder die Tanzstunde mit den CPern. Da Kurt nicht mehr in Berlin ist, führt jetzt der neue Gauführer Lupus die Sache an, mit dem ich schon früher am liebsten getanzt habe und auch jetzt wieder gerne tanze. Als Lehrerin ist Ingrid Hollmann von der Arndt-Jugend dabei, die sehr gut tanzt. Ich staune immer wieder, mit welcher Begeisterung die sonst so zurück haltenden CP-Jungen uns Mädchen in die Arme nehmen und herum schwenken. Beim ersten Mal vorige Woche gefiel uns ihre legere Kleidung nicht, worauf wir heute alle mit Schlipsen gekommen sind. Mal sehen, ob sie diese Lehre annehmen.

An Abteilung XVII/1/2 des MfS

16.9.1961

Betr. IM Schlosser

Bericht

Am 15.9. nahm die Zielperson wieder an einer Tanzstunde im Haus am Waldsee teil. Dabei wurden Wiener Walzer und Onestepp gelehrt. Die Zielperson tanzte wieder hauptsächlich mit der Stephanie genannten Dame.

Am 16.9. 1961 besuchte die Zielperson zum Mittag die Familie Baumann in Schönow und wurde von einem etwas Jüngerem herzlich begrüßt. Erst abends verließ er die Wohnung.

Biene

An Abteilung XVII/1/2 des MfS

3.10.1961

Betr. IM Schlosser

Bericht

IM wurde heute erneut kontaktiert. Seine Ausbeute an Informationen aus der TU ist sehr mager. Er sagte, Forschung gebe es im Grundstudium nicht. Er wolle sich aber bemühen, Forschungsaktivitäten zu besuchen, obwohl das eigentlich den Grundsemestern nicht erlaubt sei.

Die meisten Professoren seien reine Fachleute und äußerten keine politischen Meinungen. Nur zwei konnte er nennen, Prof. Dr. Wolfram behauptet, im Dritten Reich sei vieles gut gewesen und die Judenverfolgung sei nicht nachweisbar. Dagegen sympathisiert Prof. Dr. Essens mit dem Kommunismus. IM wurde aufgefordert, dessen Vorlesungen zu hören und Anmerkungen zur DDR und SED zu notieren. Das nächste Treffen wurde auf den 17.10.1961 festgelegt.

Schnecke

An Abteilung XVII/1/2 des MfS

6.10.1961

Betr. IM Schlosser

Bericht

Weisungsgemäß habe ich mich zum Semesterbeginn in folgende Seminare und Vorlesungen eingeschrieben, die der IM besucht:

- Elektrische Maschinen,
- Hochspannungsnetze,
- Regelungstechnik.

Nach Beginn des Semesters habe ich mich in den Hörsälen so oft wie möglich neben den IM gesetzt und mir einige Begriffe erklären lassen, was er bereitwillig tat. Auf seine Frage habe ich erklärt, versuchsweise Energietechnik zu studieren. Ich habe den Eindruck, dass ihm das Gespräch mit mir nicht unangenehm ist und werde vorsichtig versuchen, die Beziehung weiter aufzubauen.

Biene

Tagebuch Reinhard 6. 10.

Der Oberlehrer, der mich jedes Mal zu einer anderen Stelle bestellt, hat mich beauftragt, die kommunistischen Sympathien des Professor Essens in seinen Vorlesungen zu notieren. Er leitet die kleine Philosophische Fakultät, die sich die TU hält, um als Universität zu gelten. Er nahm gerade „Das Kapital“ von Marx durch und sprach über die Folgen für den Sozialismus. Den Bolschewismus lehnt er wegen seiner Grausamkeit ab, hält aber den marxschen Kommunismus für die einzig richtige Lebensform und die DDR für den besseren deutschen Staat, was zu erbitterten Diskussionen geführt hat. Ich habe mich zurück gehalten. Über das Thema habe ich einen Bericht für den Oberlehrer geschrieben.

In der TU habe ich die Bekanntschaft der Studentin Tina Bauer gemacht, die sich in den Vorlesungen öfter mal neben mich setzt. Sie hat einen dunkelblondem Pferdeschwanz und braune Augen in einem freundlichen Gesicht, auf dem immer ein leichtes Lächeln liegt. Am rechten Ohr trägt sie einen großen hübschen Hänger. Anscheinend hat sie Probleme mit manchen technischen Begriffen, die ich ihr anschließend erläutern muss. Das Arbeiten mit ihr macht aber Spaß, sie scheint ein angenehmer Mensch zu sein.

An Abteilung XVII/1/2 des MfS

17.10.1961

Betr. IM Schlosser

Bericht

IM hat die Vorlesungen des Prof. Essens besucht, der die philosophische Fakultät leitet, und einen ausführlichen Bericht über dessen Ansichten geschrieben, der hier beiliegt. IM wurde beauftragt, die Lebensgewohnheiten dieses Professors auszuspähen. Das nächste Treffen ist auf den 7.11.1961 festgelegt.

Schnecke

Tagebuch Reinhard 22. 10.

Jetzt muss ich Professor Essens auch privat ausspähen, ich bin schon ein richtiger Agent, das passt mir gar nicht. Gestern folgte ich ihm nach der Vorlesung aus der Uni, er fuhr mit der U-Bahn bis Thielplatz und ging 5 Minuten zu einer Villa, einem hocheleganten Bau mit zwei Stockwerken im vornehmsten Viertel von Dahlem. Für einen Kommunismus-Anhänger wohnt er gar nicht schlecht.

Heute fuhr er mit einer recht eleganten jüngeren Dame, die nicht so sehr nach seiner Frau aussah, sondern eher nach einer Art Lebensgefährtin, mit dem Bus nach Zehlendorf und mit der S-Bahn weiter nach Wannsee. Die beiden liefen 15 Minuten zu dem Segelclub VSAW und brachten eine Yacht von ca. 12 Meter Länge von der Boje an die Slip-Anlage. Dann beobachteten sie, wie das Schiff an Land gezogen und zu einem Stellplatz gebracht wurde. Sie deckten es sorgfältig ab und aßen dann im luxuriösen Restaurant des Clubs zu Mittag. Alles sehr sozialistisch! Ich schrieb über meine Beobachtungen wieder einen Bericht für den Oberlehrer.

An Abteilung XVII/1/2 des MfS

7.11.1961

Betr. IM Schlosser

Bericht

IM hat die Lebensgewohnheiten des Prof. Essens ausgespäht. Er wohnt in einer komfortablen Villa in Dahlem und besitzt anscheinend ein teures Segelboot auf dem Wannsee, aber kein Auto. Demnach dürfte seine sozialistische Einstellung nicht mit seinen Lebensumständen übereinstimmen. Weitere Observation scheint sinnlos, IM soll aber seine Vorlesungen weiter besuchen, um die politische Einstellung seiner Studenten zu erkunden. Das nächste Treffen wurde auf den 5.12.1961 festgelegt.

Schnecke

Tagebuch Reinhard 8. 11.

Wieder mal beim Oberlehrer. Ich soll jetzt in den Vorlesungen des Prof. Essens die politische Einstellung seiner Studenten erkunden. Das ist einfacher als der vorige Auftrag.

An Abteilung XVII/1/2 des MfS

13.11.1961

Betr. IM Schlosser

Bericht

In der Mensa hatte ich heute ein längeres Gespräch mit der Zielperson, in dem wir auch etwas ins Persönliche kamen. Er erzählte von seiner Tätigkeit als Pfadfinderführer und dass er wegen dieser Tätigkeit verhaftet worden sei. Nach drei Tagen habe man ihn wieder freigelassen, weil er die Behörden von der Harmlosigkeit dieser christlichen Jugendbewegung überzeugen konnte. Da er sich aber nicht mehr sicher fühlte, sei er, zum Glück noch ganz kurz vor dem Bau der Mauer, aus Kleinmachnow nach Westberlin übergesiedelt. Auf meinen Vorschlag, mal etwas außerhalb des Studiums zu unternehmen, verabredeten wir uns für Sonntag zu einem Ausflug in den Glienicker Park.

Biene

Tagebuch Reinhard 14. 11.

Mit Tina Bauer hatte ich gestern beim Essen ein längeres Gespräch. Ich erzählte ihr von der CP und meiner Verhaftung mit der Übersiedlung nach Westberlin aus Furcht vor weiteren Schikanen. Natürlich sagte ich nichts über meine geheime Tätigkeit. Als sie meinte, wir könnte doch auch mal etwas außerhalb des Studiums unternehmen, schlug ich ihr für nächsten Sonntag einen Besuch der Pfaueninsel vor, die sie gar nicht kennt. Sie ist etwas jünger als ich und ich habe das Gefühl, das sie mich angeln möchte, Vorsicht!!!

An Abteilung XVII/1/2 des MfS

19.11.1961

Betr. IM Schlosser

Bericht

Wie vereinbart traf ich die Zielperson heute am Bahnhof Wannsee und wir fuhren mit dem Bus zum Glienicker Park. IM kannte die Gegend dort und wir liefen auf Waldwegen zum Anleger zur Pfaueninsel.

Dabei sprachen wir über persönliche Dinge. Auf meine Frage, wie er zu den Pfadfindern gekommen sei, erzählte er von der Scheidung seiner Eltern und der Übersiedlung mit seiner Mutter nach Zehlendorf, wo er zu den Pfadfindern gestoßen sei. Er führte bald eine Gruppe von Jüngeren und begann zwei Jahre später, an seiner Gemeinde einen Stamm mit mehreren Gruppen aufzubauen.

Ende 1960 starb seine Mutter und er zog zurück nach Kleinmachnow zu seinem wieder verheirateten Vater. Weil sein Verhältnis zu der neuen Frau schlecht war, sei ihm der damalige Gauführer Kurt wie ein Vater gewesen, obwohl er nur sieben Jahre älter ist. In dem drei Jahre jüngeren Frieder Baumann habe er einen vertrauten Freund gefunden. Im Juli sei er zum Nachfolger des Gauführers gewählt worden, weil Kurt in der BRD weiter studiert. Deshalb habe man ihn verhaftet, aber bald wieder frei gelassen. Im August habe er schweren Herzens hier im Park seinen Stamm abgegeben, weil ihm die beiden Führungsaufgaben neben dem Studium zu viel geworden seien. Doch er sei sicher, dass sein Nachfolger Peter Schütze die Sache ebenso gut machen werde.

Unter diesem Gespräch hatten wir den Anleger erreicht und fuhren hinüber zur Pfaueninsel. Dabei fragte er mich nach meinem persönlichen Hintergrund und ich erzählte ihm das Nötigste. Auf der Insel besichtigten wir das recht interessante Schloss. Zurück auf dem Festland aßen wir im Restaurant jeder eine Bockwurst und tranken ein Glas Bier. Ich meinte, wir könnten uns doch duzen und er stimmte zu, doch als ich ihn küssen wollte, bot er mir nur die Wange. Auf meine Frage, ob er eine Freundin habe, antwortete er, das sei bei den Pfadfindern nicht üblich. So liefen wir durch den Park zum Bus und klönten noch über die TU. Am Bahnhof Wannsee verabschiedeten wir uns.

Biene

Tagebuch Reinhard 19. 11.