Leben mit Karin - Ernst-Günther Tietze - E-Book

Leben mit Karin E-Book

Ernst-Günther Tietze

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Beschreibung

45 Jahre durfte durfte ich eine wundervolle Frau in inniger Gemeinschaft lieben und wurde von ihr geliebt, bis ihr früher Tod sie mir nahm. Bis wir zusammen leben konnten, wechselten wir eine große Zahl langer Briefe, von denen hier nur eine kleine Auswahl der schönsten und wertvollsten abgedruckt ist. In dieser Zeit hatte ich einen schweren Unfall und verzweifelte, wurde aber von Karin liebevoll aufgefangen. Die vielen Jahre der Gemeinschaft, in der wir vier Kinder erfolgreich großzogen und Karin mir bei meinen beruflichen Erfolgen den Rücken freihielt, waren die schönsten meines Lebens. Nach Karins Tod habe ich aus einem Teil unserer Briefe und vielen schönen Erinnerungen dieses Buch zusammengestellt, um die Erinnerung an sie zu bewahren und auch an andere weiterzugeben. Wenn ein Mensch einem anderen in Liebe begegnet, ist Gott in ihm. Nie kommt seine Würde, seine Innigkeit, seine ureigenste Bestimmung schöner zum Ausdruck als in diesem Moment, und das geschieht gleichermaßen im Handeln des Samariters wie in der innigen Begegnung.

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Leben mit Karin

Dokumente einer grenzenlosen Liebe

Herausgegeben von Ernst-Günther Tietze

© Copyright 2001 Ernst-Günther Tietze

Das Titelbild hat Kyria Anfang 1999 in Seattle aufgenommen.

Hab’ Dank Geliebte, für die 45 wundervollen Jahre,

in denen Du mein Leben reich und schön gemacht hast!

Denn Liebe ist stark wie der Tod

und ihr Eifer ist fest wie die Hölle.

Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn,

dass auch viele Wasser nicht mögen die Liebe auslöschen

noch die Ströme sie ertränken.

Wenn einer alles Gut in seinem Hause

Prolog

Im Alter von 16 Jahren kam ich 1947 zur Evangelischen Jugend und einige Zeit später zur Christlichen Pfadfinderschaft (CP), einer straffer organisierten Gruppierung innerhalb der Evangelischen Jugend. Mein Spitzname war „Fyps“. Ab 1949 führte ich eine Jungengruppe und begann ab 1951, an der Ernst-Moritz-Arndt-Gemeinde in Berlin-Zehlendorf einen Stamm der CP aufzubauen, eine größere Gemeinschaft mehrerer Gruppen. 1955 wurde der Stamm mit etwa 50 Jungen in fünf Gruppen offiziell bestätigt.

Im Frühjahr 1953 verliebte ich mich in Dietlind, die Schwester meines Pfadfinderkameraden Hartmut Teuffel, die aus Kleinmachnow bei Berlin in die Pfalz übersiedelte. Wir schrieben uns lange Briefe, konnten uns aber nur selten sehen. Mitte 1954 verunglückte sie tödlich. Ich wollte nicht mehr weiter leben, und nur mein Freund Bringfried, der mir 600 km zur Beerdigung nachfuhr, bewahrte mich vor Verzweiflung und furchtbaren Dummheiten. Doch in tiefer Trauer lebte ich die nächsten zwei Jahre wie ein Mönch.

Dann lernte ich Karin kennen und lieben. Die folgenden Erinnerungen, Brief- und Tagebuchausschnitte beschreiben das Entstehen und Bestehen dieser wundervollen, mehr als 45 Jahre währenden grenzenlosen Liebe zwischen uns. Die ersten zwei Jahre, in denen wir getrennt lebten, sind durch Briefe gut dokumentiert, alle folgenden nur durch Erinnerungen, einige Briefe und Reisetagebücher.

Selten gab es Unstimmigkeit und Streit zwischen uns und stets gelang es uns dabei, den Partner als geliebten Menschen mit lediglich konträrer Meinung zu achten und seine Würde zu wahren. Nie dauerte eine Meinungsverschiedenheit über den Tag hinaus. Bei allem, was uns begegnete, waren wir ganz sicher, den Partner viel stärker zu lieben, als irgend jemanden oder irgend etwas anderes. Wir beide wussten um den Wert des Satzes „Liebende leben von der Vergebung“. Ich habe die Vergebung der geliebten Frau oft genug gebraucht – und bekommen. Dass wir sehr oft zur selben Zeit genau das Gleiche dachten, war uns der Beweis einer seelischen Übereinstimmung, wie sie nur aus tiefer Liebe entsteht.

Kein Dichter hat das Wunder der körperlichen Gemeinschaft zwischen Liebenden so großartig ausgedrückt wie Christus: „ ... und sie werden sein ein Fleisch.“ Uns war dies immer wieder ein Wunder, das deshalb auch zur Dokumentation unserer Liebe gehört.

1. Zueinander finden

1956

Für die Osterferien plane ich eine Fahrt mit meinem Stamm nach Westdeutschland. Bringfried empfiehlt mir St. Andreasberg im Harz, wo er die Jugendherberge kennt. Schmunzelnd fügt er hinzu: „Wir sind dort mit einer Familie befreundet, bei der du für die Vorbereitung unterkommen kannst. Du kennst auch die Tochter, sie hat in Fräulein Murachs Kunstgewerbeladen gearbeitet“. Das ist ein starkes Argument: Im Geiste sehe ich ein anmutiges blondes Mädchen in dem kleinen Laden sitzen und sticken.

Mit Nepf fahre ich im März nach St. Andreasberg, um die Unterkunft in der Jugendherberge und einen Abend mit der Gemeinde zu vereinbaren. Deine Familie beherbergt uns freundlich. Und du bist, obwohl 20 Jahre alt und reifer geworden, noch genau so anmutig wie früher in Zehlendorf: schlank mit langen blonden Haaren und blaugrauen Augen mit einem goldenen Rand der Iris in deinem schönen, offenen Gesicht. Mit einem Mal weiß ich, dass ich nun lange genug um Dietlind getrauert habe.

Du erzählst später, dass du überlegt hast, wer dieser Ernst-Günther Tietze sei, als ich euch schrieb. Mitten in der Nacht bist du dann aufgewacht und hast mein Gesicht vor dir gesehen.

Das Lager ist ein voller Erfolg. Neben vielen Streifzügen durch die schöne Gegend gestalten wir einen offenen Abend mit Sketches, Liedern und einem von mir erarbeiteten Laienspiel über den Philemonbrief. Ich freue mich, dass du unter den Zuschauern bist.

Aus Berlin schreibe ich einen Dankesbrief an deine freundlichen Eltern, in dem ich einen kleinen Angelhaken für dich verstecke:

Berlin, den 13. 4. 56

Liebe Frau Elsholz, ... es gibt nur eine Meinung in meinem Stamm: St. Andreasberg ist dufte! Ob es nun die Gegend war oder die freundliche Aufnahme oder der offene Abend oder einfach alles zusammen, ich weiß es nicht. – Zu dem Abend möchte ich Roswitha bitten, mir eine ehrliche Stellungnahme zu schicken. Denn wer etwas gestaltet, ist meist davon eingenommen, braucht jedoch Kritik für das weitere Wirken. Ich wäre ihr sehr dankbar.

Und nun herzliche Grüße, auch an Ihren Gatten und die Töchter, und es war nicht das letzte Mal, dass ich in St. Andreasberg war. Dazu ist es zu schön dort. Ihr Ernst-G. Tietze

St. Andreasberg, den 16. 4. 56

Lieber Fyps! Ich freue mich, dass Sie so bald etwas von sich hören ließen. ... Gerne sage ich Ihnen meine persönliche Meinung über den offenen Abend. Im Großen und Ganzen waren wir doch alle recht beeindruckt, und eine kleine Aufpulverung war für uns bestimmt auch nötig. Ich persönlich hatte mir allerdings vorgestellt, dass wir uns zusammensetzen, Sie uns mit Ihrer Gruppe über Ihre Arbeit berichten und wir zusammen darüber diskutieren. Hinterher habe ich allerdings erkannt, dass da wohl die Altersunterschiede zu groß waren und sich die Jüngeren wahrscheinlich gelangweilt hätten. Es ist eine gute Lösung, der Jugend auf diese Art Ihr Ziel als Pfadfinder darzulegen. Bei Älteren würde ich es aber keinesfalls dabei belassen. Ich denke, dass wir uns darüber auch mal persönlich unterhalten können.

Jedenfalls wünsche ich Ihnen für Ihr weiteres Studium alles Gute und ich würde mich freuen, wenn Sie uns bald wieder aufsuchen würden. Recht herzliche Grüße,Ihre Roswitha

Berlin, den 6. 5. 56

Liebe Roswitha, Sie haben mich ohne Umschweife mit „Fyps“ angeredet und ich freue mich darüber. Nun müssen Sie auch gestatten, dass ich die gleiche Art der Anrede wähle. Herzlichen Dank für Ihren Brief ... und besonderen Dank für die Kritik an unserem Abend. Ich muss etwas berichtigen: Wäre ein vernünftiger Kreis da gewesen, hätten wir den Abend mehr auf Gemeinsamkeit aufgezogen. Da ich aber im März festgestellt habe, dass keine Gruppe existiert, entschied ich mich mehr für ein generelles Ansprechen aller Gäste, besonders, da der Abend ja als „offen“ deklariert war. ...

Das Lager in St. Andreasberg ist immer noch Gespräch bei meinen Jungen. Und dass dieses Lager geplant und durchgeführt werden konnte, ist weithin der Hilfe Ihrer Familie zu verdanken.

Wie gut es mir gefallen hat, zeigt die Tatsache, dass ich überlege, ob ich Pfingsten einmal vorbei komme, um die Gegend bei schönem warmem Wetter zu besehen. Aber das ist noch nicht klar. Trotzdem würde ich mich über eine gelegentliche Antwort von Ihnen freuen. Nun recht herzlich Grüße, Ihr Ernst-Günther

St. Andreasberg, den 16. 5. 56

Lieber Fyps! Recht herzlichen Dank für Ihren Brief. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Vielleicht klappt es, dass Sie zu Pfingsten herkommen können. Es ist jetzt gerade eine schöne Zeit. Wir würden mit Ihnen auch tüchtig herum strolchen. Falls es nichts wird, sollen Sie wenigstens einen Pfingstgruß von mir bekommen. Sie haben es gut. Als Pfadfinder kommen Sie sicher schön herum. ...

So langsam regt sich auch in unseren Kreisen wieder etwas. Wir wollen ein Laienspiel aufführen und uns mit anderen Gruppen in Verbindung setzen. Ein gewisser Stamm von Jugendlichen ist vorhanden. ... Ich hoffe, dass es bald wieder aufwärts geht.

Nun will ich schließen. Wie schon erwähnt, wünsche ich Ihnen gesegnete Pfingstfeiertage, wenn Sie sie nicht bei uns verbringen wollen und grüße Sie herzlich, Ihre Roswitha

Berlin, den 21. 5. 56

Liebe Roswitha, nun hat es doch nicht geklappt, dass ich zu Pfingsten kommen konnte. Es ist aber derartig viel liegen geblieben, was ich in den freien Tagen erledigen muss, dass es unverantwortlich gewesen wäre wegzufahren. Doch es ist mir schon schwer gefallen, Ihre freundliche Einladung auszuschlagen. ... Mein Schrieb ist nicht nur Antwort auf Ihre Zeilen – also endlich recht herzlichen Dank dafür – sondern eine Revolution gegen das, was ich schon den ganzen Tag tue. Ich habe die Vorlesung über elektrische Schaltanlagen erst einmal mit Gewalt beiseite gelegt, um Ihnen zu schreiben.

Es stimmt schon, dass wir viel umher kommen als Pfadfinder. Und ich möchte die Jahre nicht missen, in denen ich so auf Fahrt ging. Sie sind die schönsten, die ich erlebt habe. Leider wird dieses Jahr wohl vorläufig das letzte sein. Denn wenn ich erst im Beruf bin und zwei Wochen Urlaub im Jahr bekomme, lässt sich nicht mehr allzu viel machen. Außerdem werde ich ja auch immer älter.

So gebe ich die Führung meines Stammes wahrscheinlich schon Anfang Juli ab. Das hat zwei Gründe, einmal weil ich im Spätsommer fast ¼ Jahr nicht in Berlin bin – ich gehe erst auf Fahrt nach Frankreich und arbeite dann in Hamburg im Elektrizitätswerk – zum anderen aber auch, weil ich im Winter ins Examen steige. Und die Führung eines solchen Stammes nimmt einen doch außerordentlich in Anspruch, wenn etwas Vernünftiges heraus kommen soll. ...

Ich freue mich, dass Sie so persönlich von dem Kreis dort berichten. Das klingt ja, als ob Sie wieder aktiv mit arbeiten. Nach Ihrem Bericht im März war das noch nicht so der Fall. Sie haben bestimmt nicht zu Hause gesessen an den Feiertagen, sondern sind „umher gestrolcht“ und ich beneide Sie darum. Den Besuch jedoch, den ich Pfingsten vor hatte, hole ich bestimmt einmal nach. Denn noch gibt es genug, was ich von St. Andreasberg und seiner Umgebung nicht gesehen habe. Ich werde also demnächst mal für ein Wochenende hinüberkommen.

Etwas fällt mir noch ein: Wenn Sie in der Evangelischen Jugend mitarbeiten, könnten wir doch, wie es unter diesen Mädchen und Jungen üblich ist, das feierlich „Sie“ fallen lassen. Schreiben Sie mir doch bitte Ihre Meinung dazu. – Und nun sende ich Ihnen die herzlichsten Grüße,Ihr Ernst-Günther

St. Andreasberg, den 10. 6. 56

Lieber Fyps! Ich werde also von dem netten Angebot, uns Du zu sagen, gleich Gebrauch machen. Ich habe mich über Deinen Brief gefreut, trotz Deiner wenigen Freizeit und muss mich nun ein bisschen schämen, dass es bei mir so lange gedauert hat. Es ist trotzdem nicht weniger herzlich gemeint. ...

Um auf die Evangelische Jugend zu kommen, ich bin wieder ganz dabei und habe den Chor unserer Firma, der gerade auf den Mittwoch fällt, dafür aufgegeben. Mit den jüngeren Pfarrersleuten, die noch nicht lange hier sind, ist schon eher etwas anzufangen. Ganz davon abgesehen, dass wir oftmals unsere Kreise selber abhalten. ...

Am Donnerstag waren wir alle in der Kirche zu dem Spiel „Kain und Abel“, das hier von Künstlern der Evangelischen Akademie aus Braunschweig aufgeführt wurde. ... Bei Kain geht es um einen Klumpen Gold, der ihm alles bedeutet und mit dem er auszieht, um die Welt zu erobern, nachdem er Abel umgebracht hat. Das Spiel hat uns alle zum Nachdenken angeregt. ...

Ich hoffe, dass Du noch einmal bei uns vorbeikommst, bevor Du auf Fahrt gehst und wir gemeinsam im Harz wandern können.

Nun wünsche ich Dir alles Gute und sende Dir die herzlichsten Grüße,Deine Roswitha

Berlin, den 12. 6. 56

Liebe Roswitha, ich habe schon auf Deinen Brief gewartet, ... weil ich Euch Ende dieser Woche einen kurzen Besuch abstatten will. Ja, es ist wahr: wenn mir nichts Entscheidendes dazwischen kommt, treffe ich am Freitag Abend in St. Andreasberg ein und bleibe bis Sonntag am späten Nachmittag. Was kann man in dieser Zeit anfangen? ... Für den Abend wäre ich nicht abgeneigt, tanzen zu gehen. Ich weiß nicht, wie das im Harz ist. Am Sonntag ist ja dann noch genug Zeit. Vielleicht können wir zum Gottesdienst in ein kleines Dorf gehen.

Ich habe mich gefreut, dass Du auf meinen Vorschlag eingegangen bist. Das „Sie“ klingt immer so fremd und unpersönlich. ...

Über alles andere können wir uns ja am kommenden Wochenende direkt unterhalten. Ich freue mich schon sehr auf den Besuch bei Euch, weil ich mal wieder aus der Großstadt raus muss. Aber das ist nicht der einzige Grund.

Nun recht herzlichen Gruß, Dein Ernst-Günther

Erinnerung: 15. – 17. 6. 56 im Harz

Trotz der schon vertrauten Briefe sind wir uns noch etwas fremd. Ich schenke dir mein Zeichen der Evangelischen Jugend, das ich vor Jahren selbst angefertigt habe. Du freust dich sehr darüber. Wir strolchen in der Gegend umher und gehen am Abend tanzen. Auf dem Heimweg erzähle ich dir, dass dies mein erster richtiger Tanz seit zwei Jahren war, weil ich so lange um Dietlind getrauert habe.

Der Sonntagvormittag gehört dann ganz uns beiden. Wir wandern durch den schönen aufblühenden Wald in Richtung zur Sprungschanze, ohne uns sehr an die Wege zu halten. Als wir an einem Hochsitz vorbei kommen, schlage ich vor, hinauf zu klettern. Wir schauen hinaus auf die Gegend, doch ich sehe nur dich, du wunderbares Mädchen, und mir wird immer wärmer ums Herz. Zu gerne würde ich dich küssen, doch ich weiß nicht, ob du schon dazu bereit bist. Und du bist mir zu wertvoll, um dich zu erschrecken und vielleicht zu verlieren.

Du merkst wohl, was in mir vorgeht. Du lächelst mich freundlich an und sagst ganz ruhig: „Komm, lass uns wieder hinabsteigen.“ Die Spannung in mir löst sich und ich folge dir, dankbar, dass dein feiner Takt mir die Sache so leicht macht. – Als wir uns abends am Bus verabschieden, gebe ich dir die Hand. Doch du legst auch deine linke noch dazu und drückst sie mir ganz fest. Glücklich wie schon lange nicht mehr fahre ich durch die Nacht nach Berlin zurück.

Berlin, den 18. 6. 56

Liebe Roswitha, damit Du ruhig schlafen kannst: Ich bin gut angekommen. Kurz vor sieben war ich heute früh zu Hause und wie geplant um acht in der Schule. Doch meine Gedanken waren viel mehr bei Dir als bei elektrischen Maschinen. ...

Liebes Mädel, Du wirst gemerkt haben, was jene Tage für mich bedeutet haben: ein langsames Neu-Einfinden in eine Welt, von der ich vor zwei Jahren glaubte, dass ich mich nie wieder hinein finden könnte. Denn wenn ich erwähnte, dass ich Dietlind sehr gern hatte, so ist das außerordentlich schwach ausgedrückt. Ich habe sie geliebt mit meiner ganzen Liebesfähigkeit.

Ungefähr ein Jahr nach ihrem Unfall habe ich zuweilen etwas getanzt, aber die vollständige innere Freiheit und Gelöstheit von jenem Geschehen suchte ich vergeblich. Du hast mich von diesem Gefühl befreit, unfähig zu sein, noch einen Menschen gern zu haben; ein Griesgram geworden zu sein. Dafür danke ich Dir von Herzen. Gleichzeitig möchte ich Dich aber auch bitten, Geduld mit mir zu haben, wenn jetzt einiges in meiner Erinnerung auftaucht, was ich bisher gewaltsam unterdrücken musste, um nicht wahnsinnig zu werden. Ich werde Dir, wenn wir uns gut genug kennen, alles erzählen, was zwischen Dietlind und mir war, weil ich glaube, dass das auch zur Ehrlichkeit zwischen uns gehört. Also noch mal: Hab’ bitte Geduld mit mir. ... Sage bitte Deinen Eltern noch einmal herzlichen Dank für die freundliche Aufnahme und sei selbst von Herzen gegrüßt vonDeinem Ernst-Günther

Ich ging im Walde so für mich hin

und nichts zu suchen, das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich ein Blümchen steh’n,

wie Sterne leuchtend, wie Augen so schön.

Ich wollt’ es brechen, da sagt es fein:

„Soll ich zum Welken gebrochen sein?“

Ich grub’s mit all seinen Wurzeln aus,

zum Garten trug ich’s an meinem Haus.

Und pflanzt’ es wieder an stillem Ort,

nun zweigt es immer und blüht so fort.

Johann Wolfgang von Goethe

St. Andreasberg, den 21. 6. 56

Lieber Ernst-Günther! Erst mal tausend Dank für Deinen lieben Brief und besonders für das schöne Gedicht, das Du sehr gut ausgewählt hast und ich sehr fein finde. Ich denke noch viel an unser gemeinsames Wochenende. Es war wirklich wunderbar für mich, sicher so wie für Dich. Ich mache mir nur Gedanken um Dich. Gewiss, ich kann mir vorstellen, dass Du jetzt viel in Dir zu verarbeiten hast mit dem, was Du mir schriebst von Dietlind. – Ich möchte Dir einen Vorschlag machen. Hoffentlich verstehst Du mich richtig. Wollen wir das, was gewesen ist, nicht lieber ruhen lassen? Ich möchte Dich nicht unnötig quälen und Dir weh tun mit dem, was nicht mehr zu ändern ist. ... Wenn wir beide Geduld miteinander haben, kann es zwischen uns zu einem schönen neuen Anfang kommen. Wenn es Dich aber befreit, Dir alles vom Herzen zu sprechen, dann will ich Dir gerne helfen.

Einstweilen solltest Du Deine Gedanken beim Studium haben, weil es jetzt doch für Dich schwierig wird. Nach dem zu urteilen, wie ich pünktlich an Dich und Deine Arbeit heute gedacht habe, könntest Du sie gar nicht verhauen haben. ... Im Übrigen hat noch keine von unseren Mädels mein EJ-Zeichen entdeckt. Du glaubst gar nicht, was Du mir mit diesem Zeichen für Freude bereitet hast, schon weil Du es selber gemacht hast. – Lieber Ernst-Günther, ganz herzliche Grüße von mir, Deine Roswitha

Berlin, den 24. 6. 56

Liebe Roswitha, ich hatte schon gehofft, dass ich gestern nach der Schule Post von Dir vorfinden würde und wirklich, Dein lieber Brief war da. Herzlichen Dank dafür. Ich hätte gestern schon geantwortet, aber ich hatte am Nachmittag meine ersten 1½ Stunden Fahrschule, und abends war ich zu einem Fest von Nuddles Klasse geladen.

zu 1: Ich habe mir das Autofahren viel schwieriger vorgestellt. Gewiss, ich habe noch manches falsch gemacht, z. B. vergessen, den Winker nach der Kurve wieder hereinzunehmen, aber im Großen und Ganzen ist es ein Kinderspiel. Ich werde also gar nicht viele Fahrstunden brauchen und freue mich schon auf die Prüfung.

zu 2: Ich bin seit Jahren nicht mehr so fröhlich und unbeschwert gewesen, wie auf dem Klassenfest. Wer daran Schuld ist? Du! Seit dem gemeinsamen Wochenende sieht die Welt ganz anders aus. ...

Ich glaube, Du hast mich im letzten Brief etwas missverstanden. Ich meinte, dass ich manche schöne Erinnerung unterdrückt habe, weil sie sich sonst in einen Stachel verwandelt hätte. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Es ist nicht so, dass ich gewesenen Dingen nachhänge. Dazu ist mir die Notwendigkeit des Leidens viel zu klar geworden. So quält mich auch der Gedanke an das Gewesene nicht, sondern ich bin froh, dass ich schon so Schönes erleben durfte, wenn ich auch glaube, dass ich noch viel Schöneres zu erleben habe. Eben deshalb hoffe ich, dass es zwischen uns zu einem schönen neuen Anfang kommen kann.

Und da das nun einmal ausgesprochen ist, kann ich auch das andere sagen, dass ich Dich sehr lieb gewonnen habe und hoffe und bete, es möge zwischen uns eine Liebe wachsen, die das Leben überdauert. Deshalb aber meinte ich, es gehöre zur Ehrlichkeit, dass wir uns ganz kennen lernen, auch mit dem, was gewesen ist. Dass jeder von uns eine Menge Geduld mit dem anderen wird aufbringen müssen, ist mir auch klar. ...

Liebes Mädel, eines vergaß ich Montag: Als ich morgens die Losung aufschlug, stand dort: „Bis hierher hat uns Gott geholfen.“ Ein feines Wort und genau für uns passend, nicht wahr? Nun sei Du von Herzen gegrüßt von Deinem Ernst-Günther

St. Andreasberg, den 29. 6. 56

Lieber Ernst-Günther! Recht herzlichen Dank für Deinen lieben Brief. Ich habe mich sehr gefreut, wie immer, wenn ich Post von Dir bekomme. Ich freue mich auch, dass ich Dir so viel bedeuten kann, dass Du wieder froh und frei bist und in die richtigen Gleise zurückfindest. Mir bedeutest Du sehr viel. Du hast mir schon einiges zu denken gegeben und ich bin dankbar, dass ich Dich überhaupt kennen gelernt habe. Durch Dich habe ich erst mal so einen kleinen Aufschwung bekommen. Du hast auch bewirkt, dass ich mich jetzt als Jungscharleiterin betätige. Ich helfe der Inge, eine Rasselbande von 25 Mädchen zusammen zu halten. Sie sind alle freudig dabei und mir macht es auch viel Spaß. – Inge und ich, wir würden gern vom 10. bis 21. September zu einem Jugendgruppenleiterkurs nach Hessen fahren. Schreibe mir doch bitte, wann Du im September zu uns kommen kannst, damit ich weiß, ob ich zusagen kann. ...

Nun lieber Ernst-Günther, ich werde aufhören zu schreiben. Es ist schon spät. Ich sende Dir ganz herzliche Grüße, Deine Roswitha

Berlin, den 2. 7. 56

Liebe Roswitha, ich bin eben aus dem Kino gekommen: „Ich denke oft an Piroschka“. Wenn es diesen Film bei Euch gibt, musst Du unbedingt hingehen. Er hat etwas Befreiendes an sich und zwingt dadurch den Zuschauer zu einem inneren Lächeln, wie über eine gelungene Überraschung. Solche Filme sind selten. Wenn er bis September nicht bei Euch war, werde ich ihn Dir erzählen.

Nun erst mal herzlichen Dank für Deinen Brief. Ich hatte ihn schon sehnsüchtig erwartet. ... Da siehst Du, wie gefährlich Du bist: Jetzt warte ich schon darauf, dass von Dir Post kommt. Noch schöner aber wird es werden, wenn ich erst wieder bei Dir bin.

Gestern habe ich meinen Stamm abgegeben. Samstag Abend hatten wir Thing auf einem kleinen Zeltplatz beim Kontrollpunkt Dreilinden. Siebzehn Jungen waren wir, die schon lange genug im Stamm sind, um beurteilen zu können, wer als neuer Führer in Frage kommt. Es wurde eine schwere Entscheidung. Endlich um 1:30 nachts war dann Nuddle gewählt. Du kennst ihn ja, mit der kaputten Skihose zu Ostern. Es ist immer wieder fein zu sehen, wie Jungen, die sonst nicht viel sagen, bei einer wichtigen Entscheidung verantwortlich und überlegt reden und handeln. Vor allen Dingen ist es schön, wenn man weiß, dass man den Jungen das erst beigebracht hat. Es war ein seltsames Gefühl, als ich gestern den Stamm ohne mich sah, den Stamm, den ich selbst aufgebaut habe, in dem ich jeden Jungen ganz genau kenne, manchen genauer als seine Eltern ihn kennen, von den Lehrern ganz zu schweigen. Irgendwie war ein Loch da, eine leere Stelle. ...

Ich freue mich sehr, dass Du Dich dort jetzt betätigst. Es ist doch jeder, der irgendwie ein bisschen begriffen hat, gerufen, sich in den Dienst zu stellen und das weiterzugeben. ... Nur daraus resultiert die Freude, die sich auf jeden verantwortlichen Dienst einstellt. ...

Es ist übrigens selbstverständlich, dass Du im September zu dem Jugendgruppenleiterkursus fährst. Wann ich kommen werde, liegt ganz in meiner Hand und ich werde mich danach richten. ...

So mein liebes Mädel, jetzt ist es spät genug. Schreib mir bitte recht bald wieder und grüß zu Hause schön. Dir selbst auch die herzlichsten Grüße,Dein Ernst-Günther

Der Lausebengel

Als Amor in den goldnen Zeiten

verliebt in Schäferlustbarkeiten

auf bunten Blumenwiesen lief,

da stach den kleinsten von den Göttern

ein Bienchen, das in Rosenblättern,

wo es sonst Honig holte, schlief.

Durch diesen Stich ward Amor klüger;

der unerschöpfliche Betrüger

sann einer neuen Kriegslist nach:

Er lauscht in Rosen und Violen,

und kam ein Mädchen, sie zu holen,

flog er als Bien’ heraus und stach.

Gotthold Ephraim Lessing

St. Andreasberg, den 7. 7. 56

Lieber Ernst-Günther! Ich danke Dir recht herzlich für Deinen Brief. Übrigens warte ich genau so sehnsüchtig auf Deine Briefe wie Du und freue mich dann jedes Mal schrecklich, wenn meine Mutti im Büro erscheint, denn sie kommt nur, um mir Post zu bringen. ... Dein Lausebengel ist ja allerliebst. Das Gedicht passt so recht zu Dir. Dieser kecke Amor könntest Du gewesen sein. Es ist wunderbar, dass es so einfallsreiche Dichter gegeben hat.

Lieber Ernst-Günther, der Film „Ich denke oft an Piroschka“ wird bei uns einen Tag vor meinem Urlaub gespielt. Wenn es irgend geht, werden wir ihn uns alle ansehen. ...

Wenn morgen schönes Wetter ist, werde ich mit dem jüngeren Mädchenkreis eine Wanderung unternehmen. Wir bemühen uns, die Jüngeren bei unserer Arbeit mit einzuspannen. Das ist aber nicht so einfach. Darum ist es mir sehr recht, wenn ich im September zu dem Kurs fahre. Ich denke, dann bekommen wir doch eine bessere Einteilung und eine kleine Grundlage. Für Dich ist das natürlich kein Problem mehr, weil Du ja schon jahrelang in der Arbeit stehst. ...

Lieber Ernst-Günther, ich kann mir vorstellen, wie schwer es Dir ums Herz war, als Du Deinen Stamm an Nuddle abgegeben hast. Wenn Du aber weißt, der andere macht seine Sache gut, so ist das sehr viel wert und Du kannst Dich freuen, dass Du so viel dazu beigetragen hast. Ich könnte mir auch gar nichts anderes vorstellen, als dass Du nach Deinem Examen wieder mitarbeiten wirst.

Lieber Ernst Günther, ich kann unmöglich weiterschreiben. Heidrun und Jutta albern schrecklich herum. Jutta, die Tochter meiner Tante ist 16 Jahre alt, ein tolles Alter. – Besonders herzliche Grüße von mir, lieber Ernst-Günther, Deine Roswitha

Berlin, den 11. 7. 56

Liebe Roswitha, Dank für Deinen Brief. ... Gestern Abend war ich zu einer Verlobung eingeladen. Bei wem? Bei Bringfried. Da staunst Du? Ja Bringfried hat sich eben rangehalten, er ist der erste bei uns im Gau, der einen Ring trägt. Aber er hat gut gewählt. Ich kenne das Mädchen, natürlich auch aus der Evangelischen Jugend, genau so lange wie er und recht gut. Sie ist ein feiner und wertvoller Mensch. Du wirst sie auch einmal kennen lernen.

Wie kommst Du denn darauf, mich mit Amor zu vergleichen? Ich bin doch ganz harmlos. Oder hast Du etwas anderes bemerkt? Dass aber jener kleine Lausebengel an einem Wochenende im Juni in der Gegend von St. Andreasberg sein (Un)Wesen getrieben hat, lässt sich nicht verheimlichen. So kam es auch, dass ich gestern Abend während der Feier nachdenklich unter den Brezelbuchstaben (russisch Brot) wühlte und dann schließlich eine Reihe von ihnen aß, bis mich die Mutter der Braut fragte, wer jene Roswitha sei, die ich eben mit Haut und Haaren verspeist habe. Alles schaute interessiert. ...

So weise und abgeklärt bin ich ja nun nicht, dass Jugendarbeit gar kein Problem für mich wäre. Denn es gibt glücklicherweise immer noch genug Dinge, ... die nicht genormt sind, sondern neue Überlegungen erfordern. Natürlich kann ich vieles aus der Erfahrung herauslösen, das ist klar. Aber das ist eben Erfahrung und auch nicht in einem Gruppenleiterkurs lernbar. Geh also nicht mit zu großen Ambitionen dort hin. Viel mehr wert ist das Erlebnis der „Gemeinschaft im Dienst“, d. h. derer, die sich genau wie Du mit dieser Aufgabe abmühen, weil sie den Auftrag dazu verspüren. ...

Du kannst Dir gar nicht denken, wie sehr ich mich schon auf den Besuch im Herbst freue. Wir sollten in Göttingen oder Hannover ins Theater gehen. Wenn es doch nur nicht so lange dauern würde!

Nun vorerst herzliche Grüße an Eltern, Schwester, Tante, Cousine etc. und ganz besonders an Dich, Dein Ernst-Günther

Berlin, den 14. 7. 56

Liebe Roswitha, ich bin zwar noch nicht wieder „dran“ mit schreiben, aber da ich heute endlich das Jahrbuch des Evangelischen Mädchen-Pfadfinderbundes bekam, das ich Dir schon lange zugedacht habe, will ich es Dir gleich schicken. Es ist zum größten Teil aus dem CP-Jungenkalender übernommen worden ist, den wir in Zehlendorf für dieses Jahr gestaltet haben. Nur einiges typisch Jungenhafte ist durch Dinge aus dem EMP ersetzt worden. Im Inhaltsverzeichnis habe ich vermerkt, von wem von uns die einzelnen Seiten sind.

Du brauchst nun nicht zu denken, dass ich Dich damit zur EMP locken will. Ich meine nur, dass Du manche Anregung für Deine Tätigkeit daraus beziehen kannst. Es ist auch ein Ausdruck der Freude, dass Du Dich so schnell bereit gefunden hast, etwas derartiges zu übernehmen. Nur darfst Du es nicht mir zu Gefallen tun. Wenn es nicht aus innerem Antrieb und innerer Freude geschieht, ist die Sache wertlos. Du wärest mir dann nicht weniger lieb, denn ich habe Dich als Mädchen lieb gewonnen und nicht als Jugendleiterin.

Gestern hatte ich Fahrprüfung. Ich war „kühl bis ans Herz hinan“. Das war mein Glück. Zu dritt rückten wir von meiner Fahrschule an, ich kam als einziger durch. Trotz kleiner Fehler gab mir der Prüfer den Schein, weil er gesehen habe, ich könne fahren. Da fiel mir doch ein Stein vom Herzen, den ich vorher gar nicht gefühlt hatte.

So, Mädel, ich habe heute und morgen noch viel zu tun, denn der Semesterschluss ist nahe. Sei recht von Herzen gegrüßt von

Deinem Ernst-Günther

Sind die Kirschen reif geworden,

rot und reif die Kirschen worden.

Niemand darf die Kirschen nehmen,

als ein Bursche, als ein Mädchen.

Sagt der Bursche, sagt dem Mädchen,

Antlitz tief in Scham errötet:

„Deine Augen sind wie Sterne,

ach, ein Leuchten deiner Augen!“

Sagt das Mädchen, sagt dem Burschen:

„Warum willst du nur das Leuchten?

Nimm die Augen, nimm sie beide,

beide Augen und das Mädchen.“

Aus dem Bulgarischen

Pöhlde, den 15. 7. 56 (Ansichtskarte)

Lieber Ernst-Günther! Gestern sind wir bei strahlendem Wetter angekommen und heute völlig eingeregnet. Das ganze Sportfest fällt aus. Wir wissen gar nicht mehr, wo wir uns aufhalten sollen, alles ist heute geschlossen. – Deinen lieben Brief habe ich erhalten. Ich schreibe Dir morgen einen Brief. Es ging leider nicht vorher. Herzliche Grüße,Deine Roswitha

St. Andreasberg, den 16. 7. 56

Lieber Ernst-Günther! Endlich komme ich dazu, Dir zu schreiben. Habe vielen Dank für Deinen Brief. Sicher warst Du schon sehr ungeduldig. Dass ich Dir nicht früher schreiben konnte, lag daran, dass hier am Freitag, als Dein Brief kam, ein Studentenball stattgefunden hat, auf dem ich natürlich nicht gefehlt habe. 90 Studenten von der TH Braunschweig, alle im 2. Semester, hatten hier 10 Tage lang vermessen. Das war was für die Andreasberger Mädchen. Wir drei, Heidrun, Jutta und ich wurden, wie die anderen Mädels auch, von Studenten abgeholt. Der Abend war sehr schön. Ich erzähle Dir Näheres davon, wenn Du bei uns bist. Morgens um 4 Uhr waren wir wieder zu Hause, ziemlich unsolide, nicht wahr? ...

Ich war sehr überrascht, als Du von Bringfrieds Verlobung schriebst. Das hatte ich noch nicht erwartet. Ich freue mich, dass er so ein nettes Mädel gefunden hat. Es ist doch immer schön, wenn zwei junge Menschen gemeinsam an die Zukunft denken können.

Lieber Ernst-Günther, ich freue mich schon so sehr, wenn Du wieder kommst. ... Dass wir ins Theater gehen wollen, finde ich prima. Ich war das letzte Mal im vorigen Jahr in Lauterberg im Theater. Vielen Dank für Dein Gedichtchen, ich habe alle Deine Gedichte aufgehoben und lese sie immer wieder. Vielen Dank dafür.

Lieber Ernst-Günther, ich werde jetzt schließen. Viele Grüße von allen. Jutta ist nicht meine Cousine. Meine Tante ist die Freundin meiner Mutter. Sei recht herzlich gegrüßt von Deiner Roswitha

Berlin, den 22. 7. 56

Liebe Roswitha, herzlichen Dank für Brief und Karte. ... Das ist vorläufig der letzte Brief, den Du aus Berlin bekommst, da ich Mittwochmittag fahre. Wir wollen zuerst in die Böhmerwaldklause, dann über Passau nach Wien und auf dem Rückweg nach Salzburg. Ich fahre dann nach Hamburg, wo ich bis Oktober als Werkstudent arbeiten werde. ... Vor Oktober sehen wir uns bestimmt. Darauf freue ich mich mehr als auf die ganze Sommerfahrt. Ins Theater sollten wir in Hannover oder Göttingen gehen. ...

Du warst also schon wieder einmal tanzen. Ich muss sagen, Du lebst ganz gut. Waren die Studenten wenigstens nett? Aber ich freue mich ja genau so wie Du, wenn Du dort etwas Abwechslung hast.

Die Zeilen auf dem Sonderblatt sind diesmal von mir. Sie können Dir vielleicht mehr als manches andere Wort von der Sehnsucht sagen, die mich manchmal überfällt. Wenn es uns doch gegeben sein möchte, einander diese Liebe zu schenken, die ein Leben lang reicht! Aber wir dürfen es uns nicht zu einfach machen. Denn dass vor mir kein einfaches Leben liegt, das habe ich schon gemerkt. Das ist wohl bei Christen überhaupt so.

Mein liebes Mädel, ich wünsche Dir recht gute und fröhlich Urlaubstage. Erhol Dich gut und schöpfe viel neue Kraft. Herzlichen Gruß, Dein Ernst-Günther

Als schneller Vogel möcht’ manchmal ich fliegen

über die Grenzen und weit hinaus.

Kann länger nicht über’m Schreibtisch liegen

im dumpfen Haus.

Möcht’ fliegen und schauen in Felder und Auen;

über Fluss und Wald möchte ich fliegen ohn’ Halt,

bis ich endlich die finde, die die Unrast überwinde.

Als wilder Freier möcht’ manchmal ich ziehen

über die Grenzen längs Straße und Rain.

Kann nicht länger in die Arbeit fliehen

so völlig allein.

Möcht’ ziehn bis ans Ende zu suchen zwei Hände

in Wald, Feld und Tal, im tanzwirbelnden Saal;

möcht’ sehn, ob ich find’ ein liebendes Kind.

Oh Vater im Himmel, so gib Deinen Segen,

ein liebendes Weib lass doch finden mich neu,

der ich den Kopf in den Schoß kann legen,

die heimlich mir gibt wieder neue Stärke,

dass weiter ich schaffe an Deinem Werke

froh und treu.

Pönitz, den 25. 7. 56 (Ansichtskarte nach Salzburg)

Lieber Ernst-Günther! Es gefällt mir hier ausgezeichnet. Ich glaube, hier könnte ich mich wohler fühlen als im Harz. ... Lieber Ernst-Günther, noch einmal vielen herzlichen Dank für das Kalenderbuch des EMP. Ich habe es mitgenommen. Ich schreibe bald mehr. Recht herzliche Grüße, Deine Roswitha

Pönitz, den 27. 7. 56 (nach Passau)

Lieber Ernst-Günther! Recht vielen Dank für Deinen Brief mit Gedicht, ich hatte ihn erst am Freitag bekommen. ... Die beiden Mädels und ich haben schon alles Mögliche verzapft. ... Am Sonntag gehen wir in „Die Zauberflöte“. Wir sind auch schon in Lübeck gewesen. ... Die See ist herrlich, besonders bei Wellengang.

Du wirst ja sicher auch allerhand erleben. Wie ich aus den Adressen sehe, kommst Du ganz schön herum. Ich wünsche Dir viel Spaß und Freude dazu. ... Du wirst mir doch sicher aus Hamburg von Deiner Fahrt berichten, nicht wahr? – Für den EMP-Kalender nochmals vielen Dank. ... Was Du da geschrieben hast, dass ich mich vielleicht Deinetwegen für die Jugendarbeit einsetze, stimmt nicht, dafür habe ich mich selbst schon genügend geprüft. Du hast mir nur den Anstoß gegeben und dafür bin ich Dir sehr dankbar, denn ich sehe darin eine wertvolle Aufgabe und es macht mir auch Spaß.

Nun lieber Ernst-Günther, wünsche ich Dir noch recht frohe Ferien. Es grüßt Dich herzlich Deine Roswitha

Passau, den 1. 8. 56 (Ansichtskarte nach Pönitz)

Liebe Roswitha, Dank für Deinen lieben Brief. Ich war schon ganz verzweifelt, da ich fast zwei Wochen keine Post von Dir hatte und wir morgen um 7 Uhr mit einem Schiff in die Wachau fahren. Bisher hatten wir schöne Tage in der Klause, gestern und heute haben wir Passau angesehen. Für den Rest des Urlaubs noch schöne Tage und macht nicht zu viel Blödsinn. Lass Dich von Herzen grüßen,

Dein Ernst-Günther

Melk (Donau), den 4. 8. 56 (Ansichtskarte)

Liebe Roswitha, nun sind wir ein Stück die Donau herab geschwommen, ein Stück Bahn gefahren und gelaufen. Es ist eine feine Gegend hier und der Wein schmeckt auch gut. Wir folgen immer den Spuren der Nibelungen, gestern bei Bechelaren vorbei, wo Kriemhilds Bruder Giselher sich mit der Tochter des Markgrafen Rüdiger verlobt hat. Sei recht herzlich gegrüßt, Dein Ernst-Günther

Wien, den 6. 8. 56 (Ansichtskarte)

Liebe Roswitha, nun sollst Du auch aus Wien einen Gruß haben. Seit gestern früh sind wir hier und haben schon viel gesehen: Dom, Prater, Innenstadt, Rathaus, Parlament, Burgtheater und vor allem die Schatzkammer mit der Kaiserkrone und den Reichsinsignien des Heiligen Römischen Reiches. Ich halte ja sonst nicht viel von Traditionen, aber diese Symbole einer über Jahrhunderte währenden Macht haben mich doch beeindruckt. Nun sei recht herzlich gegrüßt vonDeinem Ernst- Günther

Salzburg, den 8. 8. 56 (Ansichtskarte)

Liebe Roswitha, gestern trampten wir von Wien hierher, 320 km in 9 Stunden. ... Hier ist ein unheimlicher Betrieb, denn die Festspiele sind voll im Gange. Internationales Publikum, mehr Ausländer als Österreicher. ... Nun lass Dich recht herzlich grüßen,

Dein Ernst-Günther

Innsbruck, den 11. 8. 56 (Ansichtskarte)

Liebe Roswitha, auch aus Innsbruck sollst Du einen herzlichen Gruß von mir bekommen. Ich bin vorgestern von Salzburg hier herüber gefahren und bleibe jetzt noch ein paar Tage bei meiner Schwester. Morgen fahren wir nach Italien zum Gardasee, das zweite Mal, dass ich in Italien bin. Dann geht es in der nächsten Woche nach Hamburg. ... Dort möchte ich von Dir gerne mal wieder Post haben. Nochmals herzlichen Gruß, Dein Ernst Günther

St. Andreasberg, den 14. 8. 56 (nach Hamburg)

Lieber Ernst-Günther! Sei mir bitte nicht allzu böse, dass ich Dir heute erst schreibe, und Du warst so fleißig. Recht herzlichen Dank für Deine schönen Ansichtskarten. … Mein Urlaub war einfach herrlich. Bis auf zwei Tage hatten wir immer schönes Wetter. Wir waren fast jeden Tag am Strand und haben viele Bilder gemacht. Zum Abschluss haben wir in der Eutiner Freilichtbühne „Die Zauberflöte“ gesehen. Wir waren sehr davon angetan. …

Ach, Du hast sicher auch allerlei Schönes gesehen, Deine Karten sagen mir ja schon genug. Und jetzt geht es mit neuer Kraft an die Arbeit. … Ich freue mich, dass Du bald kommst und wir uns mal wieder sehen können. Du sicher auch, nicht wahr? Nun sei herzlich gegrüßt und nicht so traurig, dass ich heute erst geschrieben habe. Von Herzen,Deine Roswitha

Erinnerung: 17. – 18. 8. 56 im Harz

Eigentlich wollte ich gemächlich zum Wochenende nach Hamburg trampen. Doch am Gardasee wird mir klar, dass ich ja dicht bei euch vorbei komme und da wird die Sehnsucht nach dir übermächtig. Ich verlasse Freitag Vormittag die Autobahn in Göttingen und trampe in den Harz hinauf. Deine Freude ist groß, als ich plötzlich vor dir stehe. Gleich nach deinem Feierabend verziehen wir uns in den nahen Wald und erzählen uns von unseren Reisen.

Nicht umsonst habe ich dir den Film „Ich denke oft an Piroschka“ empfohlen. Am Samstagvormittag streifen wir bei strahlendem Sonnenschein wieder durch Berg und Wald bis hinauf zu den Hohen Klippen. Als wir dort stehen und ins Land hinausschauen, nehme ich meinen ganzen Mut zusammen, eigentlich müsstest du mein Herzklopfen hören. Ich spreche dich auf den Film an. Ja, du hast ihn gesehen. Ob du denn die Szene erinnern kannst, wo die beiden zusammen auf der Wiese sind? Du lachst, ich glaube, du hast schon begriffen, was ich will. Ob Du diese Szene schön gefunden hast, frage ich noch. Mit leuchtenden Augen sagst du „ja“. Da nehme ich dich in die Arme und küsse dich. Wie lange habe ich mich schon danach gesehnt, und jetzt merke ich voller Freude, dass du es auch genießt. Mit geschlossenen Augen und beseligtem Gesicht umarmst auch du mich, als unsere Zungen miteinander spielen. Du bist ja für mich schon lange das schönste Mädchen auf der Welt, aber nie bist Du schöner als in diesem Augenblick.

Wie oft wir uns an diesem Tag noch geküsst haben, weiß ich nicht, aber es war sehr oft. Ich glaube, du hast es auch gewollt oder zumindest gewusst, dass wir diesmal so nahe zueinander finden. Und als wir uns abends zum Abschied noch einmal innig küssen, wissen wir beide, dass wir uns nie wieder loslassen werden.

Bis zum nächsten Besuch lasse ich meine Klampfe bei dir und für meine Zeit in Hamburg verabreden wir einen gemeinsamen Theaterbesuch in Hannover oder Göttingen.

Hamburg, den 19. 8. 56

Mein liebes Mädel, nun bin ich glücklich in Hamburg gelandet. Ich habe während der Fahrt ständig an Dich gedacht. Weißt Du, die Tage bei Dir waren wunderschön. Lass mich Dir noch einmal von Herzen danken für alles, was Du mir gegeben hast. Und bald ist es schon wieder so weit, darauf freue ich mich auch schon sehr. ...

Meine Tante freute sich wie immer, wenn sie mich sieht. Auch von Dir musste ich erzählen. Ich glaube, sie weiß schon genau, was los ist, denn sie kennt mich so gut, dass sie sich schon aus einigen Andeutungen ein Bild machen kann. Und morgen geht die Arbeit los. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Einerseits freue ich mich auf das produktive Schaffen, zum anderen weiß ich, dass die ungebundene zeitliche Freiheit des Studentenlebens für eine Weile erheblich beschnitten ist. Trotzdem – es wird schon schön werden.

Etwas ist mir unterwegs eingefallen: Du erzähltest mir, dass Dein Hauptname gar nicht Roswitha ist, sondern Karin. Ich muss sagen, mir gefällt Karin viel besser. Wie steht es bei Dir? Wenn Du der gleichen Meinung bist, würde ich Dich gerne so nennen.

Was macht das Klampfe spielen? Das Instrument, das ich Dir dort gelassen habe, stammt von Dietlind. Ich habe es mir von ihrer Mutter erbeten. Ich hoffe, Du kannst schon einigermaßen wechseln, wenn ich komme. Dafür kannst Du mir gelegentlich „Flötentöne“ beibringen.

Sag bitte Deinen Eltern noch einmal recht herzlichen Dank für die freundliche Aufnahme und grüße sie von mir. Du selbst sei in Liebe von Herzen gegrüßt und in Gedanken tausend Mal geküsst (wie im folgenden Gedicht beschrieben) von Deinem Ernst-Günther

Nirgends hin als auf den Mund,

da sinkt es in des Herzens Grund.

Nicht zu frei, nicht zu gezwungen,

nicht mit allzu trägen Zungen.

Nicht zu langsam, nicht zu schnelle,

nicht stets auf dieselbe Stelle,

nicht ohn’ Unterschied der Zeiten,

mehr allein als vor den Leuten.

Küsse nun ein jedermann,

wie er weiß, will, soll und kann!

Ich nur und Du, Liebste, wissen,

wie wir recht uns sollen küssen.

Paul Flemming

St. Andreasberg, den 21. 8. 56 (nach Hamburg)

Lieber Ernst-Günther! Habe vielen Dank für Deinen lieben Brief und Deine „Küsse“. Ich denke noch viel an die letzten Tage mit Dir und freue mich schon sehr darauf, dass wir uns bald wieder sehen können. Des Theaters wegen habe ich heute nach Hannover und Göttingen geschrieben. ... Übrigens finde ich es besser, wenn wir uns gleich in Hannover treffen, auch wenn Du Samstags nicht zu arbeiten brauchst, denn ich kann doch schon vormittags kommen. Wenn Du nicht mit einem Wagen kommst, würden wir wohl nur in Hannover eine Übernachtung bekommen, denn so spät fahren keine Züge mehr.

Ich habe gestern zu Hause keinen leichten Stand gehabt. Alle sind dagegen, dass ich im September zu diesem Kursus fahren möchte. Meine Eltern meinen, ich würde mich übernehmen, ich sollte mich erst um meinen Beruf kümmern. ...

Lieber Ernst-Günther, Du fragst, wie ich zu meinem Namen Karin stehe. Ich finde nur immer, dass er besser zu mir passt, warum kann ich nicht sagen. Allerdings müsste ich mich erst umgewöhnen, aber das ist kein Problem. Du kannst mich ruhig Karin nennen.

Ehe ich mich an Deinen Namen Ernst-Günther gewöhnt habe! Fyps war viel einfacher und netter zu sagen. Ernst oder Günther würde ja auch genügen. Überlege doch einmal, ob Du Dich nicht daran gewöhnen könntest. ...

Lieber Ernst-Günther, das eine muss ich Dir noch sagen: Ich freue mich so sehr, dass ich Dich habe und dass ich Dich sehr liebgewonnen habe. Ich habe mich zuerst dagegen gesträubt, obwohl ich das schon ahnte, denn ich wollte allein sein. Aber Du zwingst mich einfach dazu, Dich gerne zu haben, und ich bin nun ganz das Gegenteil als unglücklich darüber. Ich freue mich riesig über Deine Briefe und zähle schon die Tage, bis Du endlich wieder bei mir bist.

Lieber Ernst-Günther, bestelle bitte Deiner Tante die herzlichsten Grüße von mir und sei Du auch von Herzen gegrüßt und geküsst (in Gedanken),Deine (Roswitha) Karin

Hamburg, den 23. 8. 56

Meine liebe Karin, hab herzlichen Dank für deinen lieben Brief und den Erikagruß. Ich hatte heute noch gar keine Antwort erwartet. Aber so war die Freude doppelt groß.

Seit Montag bin ich nun bei den Hamburgischen Electricitäts-Werken im Konstruktionsbüro. Ich stehe am Reißbrett und konstruiere eine neue Schalttafel für ein Fernheizwerk. ... Du kannst Dir denken, dass das eine mächtig interessante Arbeit ist. Dazu besteht bei den HEW ein sehr freundliches Betriebsklima. Alle sind nett und bemühen sich um den Neuling, so dass ich die Aussicht, eventuell später als Ingenieur hier zu arbeiten, lebhaft verfolge. Es kann also sein, dass ich im März mein Domizil hier in Hamburg aufschlage. Ein Amt als Gauführer bei der CP steht mir auch schon in Aussicht. Es ist also für Ausgleich gesorgt.

Leider muss ich samstags bis 13 Uhr arbeiten. Ich weiß noch nicht, ob ich per Auto oder Zug nach Hannover komme, bin jedoch mit keinem von beiden vor 15:30 dort. Ich käme lieber mit dem Auto als mit dem Zug, denn ich will Dich auf jeden Fall noch in selbiger Nacht zu Hause abliefern. Es kommt gar nicht in Frage, dass Du die Nacht mit mir in Hannover bleibst. Ich möchte Dich nicht ins Gerede bringen, denn dazu bist Du mir zu wertvoll.

Zu dem Kurs solltest Du auf jeden Fall fahren. Kannst Du Deinen Eltern nicht erklären, dass Du die entsprechende Ausbildung brauchst, wo Du jetzt die Gruppenleitung übernommen hast? ...

Dass ich Dich Karin nennen darf, ist fein und ich danke Dir dafür. Fyps ist zwar schön kurz aber rein dienstlich, d. h. jeder CPer außer Bringfried nennt mich so. Den Namen „Ernst-Günther“ habe ich eigentlich selber zu gerne, als dass ich ihn teilen möchte. Erfinde doch einfach einen Namen für mich.

Geliebtes Mädel, auch ich zähle die Tage, bis wir uns wieder sehen. Auch ich falte immer wieder die Hände und danke Gott, dass ich Dich gefunden habe. Und wenn wir alles, was uns gegeben wird, sei es gut oder schlecht, aus seinen Händen nehmen, wird die Liebe zwischen uns immer größer und schöner werden und erst durch das Ende unserer Tage ihr Ende finden.

Karin, ich muss zur Arbeit. Sei von Herzen gegrüßt und geküsst vonDeinem Ernst-Günther

Kind, noch einen Kuss mir gib,

einen Kuss von deinem Munde.

Ach ich habe dich so lieb!

Kind, noch einen Kuss mir gib.

Werden möcht’ ich sonst zum Dieb,

wärst du karg in dieser Stunde.

Kind, noch einen Kuss mir gib,

einen Kuss von deinem Munde.

Gibst du einen Kuss mir nur,

tausend geb’ ich dir für einen.

Ach, wie schnelle läuft die Uhr!

Gibst du einen Kuss mir nur,

ich verlange keinen Schwur,

wenn es treu die Lippen meinen.

Gibst du einen Kuss mir nur,

tausend geb’ ich dir für einen.

Adalbert von Chamisso

St. Andreasberg, den 27. 8. 56 (nach Hamburg)

Lieber Ernst-Günther! Habe recht vielen Dank für Deinen Brief und Dein liebes Gedicht. Nein, zum Dieb brauchst Du nicht zu werden, dafür habe ich Dich viel zu lieb. Mit dem Namen erfinden ist das so eine Sache. Ich habe schon gedacht, Lausebengel wäre so der richtige Name. Doch keine Angst, so nenne ich Dich nicht. Aber Kosenamen liegen mir nicht so. Einstweilen bleibe ich doch lieber bei Ernst-Günther. … Ob ich nun nach Gelnhausen fahren kann. steht immer noch nicht fest. Ich habe das meinen Eltern noch mal auseinander gesetzt. Ihre Meinung hat sich nicht geändert. Sie meinen, ich würde mir in der Firma viel verderben und außerdem hätte ich den Verdienstausfall. Ich finde, das sind keine triftigen Gründe. ... Nun, lieber Ernst-Günther, viele liebe Grüße und einen Kuss,

Deine Karin

Hamburg, den 29. 8. 56

Meine liebe Karin, hab recht herzlichen Dank für Deinen lieben Brief. Ich fand ihn eben vor, als ich aus dem Kino kam. „Wenn du weg gehst, wird es Nacht“ hieß der Film. Hauptdarsteller Curd Jürgens. Das Thema: Ein Rechtsanwalt, der sprachgehemmt ist und deswegen regelmäßig Morphium nimmt, wird durch die aufopfernde Liebe seiner Frau geheilt. ... Ich glaube, Du würdest in gleicher Weise für mich kämpfen, wenn es nötig wäre. Ach Mädel, auch diese Zeit des Wartens und der Trennung wird vorbei gehen, und ich versuche mir manchmal vorzustellen, wie herrlich es dann sein wird. Die Schwierigkeiten nehmen wir dann auch gemeinsam.

Zum Theater komme ich ziemlich sicher mit dem Auto und werde Samstag gegen 15:30 in Hannover sein. Drei Karten brauchen wir, weil meine Tante mitkommt. Ich wollte ihr die Gelegenheit nicht entgehen lassen, mal raus zu kommen und habe sie eingeladen. Sie wird auch im Theater dabei sein und mit nach St. Andreasberg fahren. Ich bitte Dich, für sie ein Hotelzimmer zu besorgen. …

Ein Gedicht bekommst Du heute nicht, weil’s schon zu spät ist. Dafür ist jetzt schon ein Bild fertig. Hoffentlich gefällt es Dir. Sieht ganz brav aus und gar nicht nach „Lausebengel“. Liebes Kind, recht herzlichen Gruß und viele Küsse, in Liebe, Dein Ernst- Günther

St. Andreasberg, den 2. 9. 56 (nach Hamburg)

Lieber Ernst-Günther! Recht herzlichen Dank für Deinen lieben Brief. Über das Bildchen habe ich mich besonders gefreut. Es gefällt mir sehr gut und steht schon eingerahmt auf meinem Nachttisch. … Ich freue mich sehr, auf diese Weise Deine Tante kennen zu lernen. Sie wird genau so gerne bei uns aufgenommen wie Du. Du kannst im Wohnzimmer schlafen oder mit ihr zusammen im Fremdenzimmer. …

Lieber Ernst-Günther, stell Dir vor, ich kann nun doch nach Hessen fahren. Die Firma hat es nach einigem hin und her bewilligt und meine Eltern haben auch nichts mehr dagegen. Montag den 10. werde ich also abreisen. Ich freue mich schon. …Nun werde ich Schluss machen. … Lieber Ernst-Günther, recht herzliche Grüße und Küsse bis zum kommenden Samstag, Deine Karin

Hamburg, den 3. 9. 56

Meine liebe Karin, das Telefonat heute war etwas überraschend und auch nicht lang genug, um alles richtig zu erklären. ... So ist es am einfachsten, dass Du zur Großstadt kommst, wo wir diesmal die Großstadt mit ihrem Theater brauchen. Ich komme schon mal wieder nach St. Andreasberg, ich denke, so gegen Ende Oktober. ...

Die Verbindungen sind äußerst günstig. Du findest sie nachstehend und ich lege Dir die Fahrkarte für hin und zurück bei. ... Steige Hamburg Hbf. aus, ich erwarte Dich auf dem Bahnsteig. Auch für die Fahrt nach Gelnhausen am Sonntagabend besteht eine gute Verbindung. Du brauchst nur in Fulda umzusteigen. – Schlafen wirst Du hier in einer Pension, 5 Minuten von uns entfernt. Für die Tage habe ich schon allerlei Pläne, außer dem Theaterbesuch, versteht sich. ... Ich muss eilen, weil der Brief heute noch zur Post soll. Wir sehen uns dann am Freitag, den 7. 9. gegen 22:31 auf dem Hamburger Hauptbahnhof. Bis dahin herzliche Grüße und eine gute Reise. Dazu viele Küsse (vorerst nur brieflich),Dein Ernst-Günther

Erinnerung: 7. – 9. 9. 56 in Hamburg

Welch eine Freude, dich auf dem Bahnsteig in die Arme zu nehmen und deine Lippen auf den meinen zu spüren! Ich habe kaum Gelegenheit, dir meinen Rosenstrauß zu überreichen. Schließlich reißen wir uns los, fahren mit der Straßenbahn zur Uhlenhorst und lassen deinen Koffer in der Pension. Meine Tante will dich unbedingt sehen, so trinken wir noch ein Glas Wein bei ihr. Ich glaube, die Inspektion ist zu ihrer Zufriedenheit ausgegangen. Spät bringe ich dich zur Pension, wo wir uns wieder nach langen Küssen voneinander los reißen müssen. Ich kann lange nicht einschlafen vor Glück.

„Was war denn das für eine langhaarige Schönheit, die Sie da am Samstag getroffen haben?“, fragt mich am Montag ein grinsender Kollege. Ich antworte kaum, denn ich bin noch voll von Erinnerung an die beiden Tage mit dir: Nachdem du mich bei den HEW abgeholt hast, streifen wir ein wenig durch die Stadt und essen Mittag an den Alsterarkaden, dann fahren wir zum Kaffee zu Tante Friedel. Danach machen wir uns fein für den Theaterbesuch. Als ich meine Schuhe vor der Tür putze, sehe ich durch das offene Badezimmerfenster, wie du dir die Lippen nachziehst. Das ist ein intimer Einblick, der dich mir wieder ein Stück näher bringt. Hand in Hand verlassen wir das Haus. „Wie Hänsel und Gretel“, sagt Tante Friedel später, die uns nachgeschaut hat. – Für mich ist es etwas Großes, mit dir als Dame das Theater zu besuchen, wo wir bisher nur im Räuberzivil durch die Wälder gestreift sind. Anschließend gehen wir ins benachbarte Boccaccio zum Tanzen. Ich genieße den Tanz mit dir sehr und habe das Gefühl, dass es bei dir nicht anders ist.

Wir sind beide so aufgedreht, dass wir den Abend noch nicht beenden wollen. So gehst du gerne auf meinen Vorschlag ein, nach Hause zu laufen. Fast der ganze Weg führt ja am Alsterufer entlang. Es ist ein warmer Abend, ich habe den Arm auf deine Schulter gelegt und du greifst meine linke Hand auf meinem Rücken. Immer wieder bleiben wir stehen oder setzen uns auf eine Bank, um uns zu küssen, während die Alster vor uns plätschert.

Vor dem Mundsburg-Kanal entfernt sich die Straße vom Ufer, wir stehen ziemlich im Dunkeln. Da kann ich mich nicht mehr zurück halten und lege meine Hand in den Ausschnitt deines leichten Sommerkleides. Als du es mir nicht verwehrst, geht meine Hand weiter, bis ich die zarte Haut deiner Brust fühle und streichle. Erstaunt registriere ich, wie die weiche Spitze unter meiner zärtlichen Berührung fest wird. Wie glücklich bin ich, als du mir mit immer heftigeren Küssen zeigst, dass dir diese Liebkosung Freude macht. Das ist der schönste Augenblick meines bisherigen Lebens!

Wenn ich an den folgenden Arbeitstagen am Mönckebergbrunnen die nackte Frauenfigur sehe, habe ich nur Augen für ihren Busen und denke dabei an deine wunderbare weiche Brust.

Nach einem Frühstück bei Tante Friedel fahren wir am Sonntag in die Stadt. Wir besuchen den Gottesdienst in Othmarschen, machen eine Hafenrundfahrt und ich zeige dir Interessantes in der Stadt. – Als ich dich abends in der Straßenbahn zum Bahnhof bringe, gehen uns zwei Gedanken durch den Kopf: Dank für die beiden wundervollen Tage und Trauer über die bevorstehende Trennung. Da fällt mir eine Geschichte ein, die ich dir erzähle:

Ein junger Bauernbursche sagt zu dem Mädchen, das er liebt: „Ach, wenn wir doch nur schon verheiratet wären!“ Schwuppdiwupp sind sie ein Ehepaar. „Ach hätten wir doch schon Kinder!“ Schwuppdiwupp springen drei Kinder durch die Wohnung. „Ach hätten wir doch schon einen eigenen Hof!“ Schwuppdiwupp ziehen sich die Eltern auf das Altenteil zurück. Doch die Kinder machen viel Mühe. „Ach, wenn die Kinder doch schon groß wären!“ Schwuppdiwupp sind die Kinder erwachsen und haben selber Kinder.

Doch als die beiden sich im Spiegel betrachten, haben sie graue Haare und einen krummen Rücken. „Was haben wir eigentlich von unserem Leben gehabt?“, fragt der Mann. „Wir hätten schon etwas davon haben können, wenn du dich mit der Gegenwart zufriedengegeben hättest“, antwortet die Frau traurig. „Doch dein ,Ach wenn doch ...’ hat uns – schwuppdiwupp – die Mühe aber auch die Freude am Leben gekostet. Und nun ist es zu spät dafür.“

Du lachst dein klingendes Lachen, das ich so liebe. Weißt du doch, dass ich viel ungeduldiger bin als du. – Abschiede auf Bahnhöfen sind scheußlich. Noch einmal küssen wir uns innig, dann winke ich dir noch nach, als der Zug schon lange aus dem Bahnhof ist.

Gelnhausen, den 11. 9. 56 (Ansichtskarte nach Hamburg)

Lieber Ernst-Günther! Ich bin gestern bei strömendem Regen völlig zerschlagen hier angekommen. Ich bin mit 12 Mädchen in einer Jugendherberge untergebracht. Wir haben uns gut angefreundet. ...

Meine Rosen sind noch sehr schön. Ich danke Dir noch herzlichst für die schöne Zeit, die ich mit Dir in Hamburg verbracht habe. Grüße bitte Deine Tante recht schön von mir, und ich danke ihr auch von Herzen für alles. Recht herzliche Grüße und Küsse auch an Dich, mein lieber Ernst-Günther, Deine Karin

Hamburg, den 13. 9. 56 (nach Gelnhausen)

Geliebtes Mädel, hab herzlichen Dank für Deine liebe Karte. Ja, es waren zwei herrliche Tage; doch gebührt mir kein Dank dafür, denn ich habe ja ebenso viel oder sogar noch mehr Freude aufgenommen. Ich glaube, wenn wir Dank auszusprechen haben – und das ist ja in überreichlichem Maße der Fall – dann vor allem im Gebet. Dank für die schönen Stunden, die wir immer wieder erleben, Dank, dass wir uns gefunden haben und Bitte: für unsere Zukunft, dass unser weiteres Miteinander gesegnet wird; und für den anderen, dass er vor Gefahr an Leib und Seele beschirmt werde. Doch zusätzlich will ich Dir von Herzen danken, dass Du durch Dein Kommen und Deine Liebe diese beiden schönen Tage möglich gemacht hast.

Ich bin an den letzten Abenden immer wieder an der Alster entlang nach Hause gegangen. Jede Ecke, wo wir gestanden haben, jede Bank auf der wir gesessen und uns geküsst haben, war noch ein Stück bewegende Erinnerung. Damit Du auch ein bisschen von dieser Erinnerung hast, schicke ich Dir ein paar nette Bilder von der ganzen Gegend mit. ... Auch Deine Passbilder liegen bei. Du wirkst etwas älter darauf, mehr erwachsener Mensch, als man es Dir sonst ansieht. Aber das Bild ist wahr. Denn ich habe an jenen beiden Tagen gemerkt, dass Du wirklich ein erwachsener Mensch bist. Verzeih mir, was ich jetzt sage, aber bisher hatte ich das Gefühl, Du müsstest das in manchen Stücken erst noch werden. Hier in Hamburg gingst Du zum ersten Mal aus dieser vielleicht unbewussten Reserve heraus und zeigtest Dich völlig, wie Du bist. Das war vielleicht das schönste Erlebnis und die größte Freude für mich. Ich meinte das so etwa mit dem „Abenteuer, in das wir uns kopfüber gestürzt haben“. Ich meinte, wir haben uns ineinander verliebt, ohne uns näher zu kennen. Jetzt sehe ich mit großer Freude, dass dieses Vertrauen berechtigt war. Doch genug der Theorie. Ich habe Dich von Herzen gern, glaube von Dir das gleiche und wir sind froh miteinander – was wollen wir mehr! ...

Ich habe jetzt schon die Hälfte meiner Zeit hier herum und frage mich immer, wo die Tage geblieben sind. Lang sind sie mir bisher nur am Freitag und Samstag voriger Woche geworden, als ich auf Dein Kommen wartete, bzw. auf das Ende meiner Arbeitszeit.

Meine liebe Karin, ich wünsche Dir noch viel Freude bei Deinem Kursus und sei herzlich gegrüßt und geküsst von

Deinem Ernst-Günther

Hamburg, den 15. 9. 56 (Ansichtskarte nach Gelnhausen)

Meine liebe Karin, zum Wochenende möchte ich Dir einen herzlichen Gruß senden. Erinnerst Du Dich noch an das Bild, das sich uns bot, als wir vor einer Woche auf der Lombardsbrücke standen? Gewiss, es war in Natur viel schöner, aber einen kleinen Anhalt gibt die Karte auch. Ich wünsche Dir weiterhin recht viel Freude bei dem Kursus. In drei Wochen bin ich schon wieder im Harz – darauf kann ich kaum noch warten. Bis dahin herzlich, Dein Ernst-Günther

Bad Orb, den 16. 9. 56 (Ansichtskarte nach Hamburg)

Mein lieber Ernst-Günther! Von einem Ausflug hier in der Nähe von Gelnhausen sende ich Dir die herzlichsten Grüße. Es sind hier sehr viele Fachwerkhäuser und enge Gässchen zwischen alten hohen Stadtmauern. Gestern bekam ich Deinen lieben Brief. Recht herzlichen Dank dafür. Morgen werde ich Dir ausführlich schreiben. Herzlichen Dank für die Bilder und viele Grüße, Deine Karin

Gelnhausen, den 17. 9. 56 (nach Hamburg)

Mein lieber Ernst-Günther! Hab recht herzlichen Dank für Deinen lieben Brief, den ich mit großer Freude erhielt. ... Die Bilder von Hamburg sind ja wunderschön, ich habe sie unseren Mädels auch gezeigt. Die Passbilder von mir erkennen sie nicht an, ich trage nämlich die Haare hier geschlossen. Es gibt hier kaum Mädels ohne Knoten. Ich glaube, es würde Dir keine gefallen. ...

Am Sonntag waren wir in der Marienkirche hier im Ort, ein riesiger alter Bau, ganz im romanischen Stil. ... An den Wänden sind alte, handgewebte Wandteppiche mit biblischen Geschichten. Bei der Besichtigung der Kirche bin ich mit unserer jungen Heimleiterin auf den Glockenturm gestiegen. Die anderen waren zu feige. Wir konnten die Stadt nach allen Seiten wunderbar übersehen. ...

Ich könnte Dir noch viel berichten, aber wegen Mangel an Zeit werde ich das lieber mündlich erledigen. Wenn wir noch Zeit haben, wühlen wir in unserer Buchhandlung herum, da gibt es allerhand schöne, interessante Sachen. Ich werde mir ein paar Bücher und Hefte für die Jungschar anschaffen.

Nun sei recht herzlich gegrüßt und geküsst, lieber Ernst-Günther, vonDeiner Karin

Gelnhausen, den 18. 9. 56 (Ansichtskarte nach Hamburg)

Mein lieber Ernst-Günther! Ich habe mich toll gefreut, als ich heute so unerwartet Post von Dir bekam. Recht herzlichen Dank. Nun sollst Du von mir noch schnell einen Kartengruß bekommen. Auf dem Bild ist ein Stück von der alten Mauer um die Barbarossaburg, die wir heute besichtigt haben. Dort wurden vor kurzem „Die Räuber“ aufgeführt. Das muss toll gewesen sein. – Nun sei herzlich gegrüßt in Liebe,Deine Karin

Hamburg, den 19. 9. 56

Meine liebe Karin, hab herzlichen Dank für Deinen Brief. Es ist fein, dass Du auf dem Kursus so viel lernst, hörst und siehst. Eins vermisse ich jedoch, nämlich das intensive Miteinander mit den anderen Mädchen und Leiterinnen. Mag sein, dass Du es nur nicht erwähnt hast, aber wenn die Gelegenheit dazu nicht durch viel Freizeit gegeben wird, ist der Kursus schlecht. ...