Jade und Diamanten - Ernst-Günther Tietze - E-Book

Jade und Diamanten E-Book

Ernst-Günther Tietze

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Beschreibung

In Bangkok wird eine internationale Diamantenausstellung geplant. Mit der Koordination der Schutzmaßnahmen wird der junge Beamte Siripong beauftragt, der in Europa Polizeitechnik studiert hat. Er stellt eine kleine, schlagkräftige Organisation auf und verbindet alle Dienststellen über ein Datennetz. Eine amerikanische Gangsterorganisation plant, die Ausstellung auszurauben und zu diesem Zweck die Stromversorgung der Stadt zu unterbrechen. Auf den Plänen des Ausstellungsgebäudes finden sie einen geheimen Zugang zum Saal mit den Diamanten. Ihr Chef Andy bereitet in Pattaya die Aktion vor und verliebt sich dabei in die intelligente Liebesdienerin Anchalee. Die beiden erleben eine großartige körperliche und seelische Erfüllung miteinander und beschließen zusammenzubleiben. Als die Stadt dunkel ist, stehlen die Gangster durch einen geheimen Zugang wertvolle Diamanten. Dem Polizeibeamten Siripong gelingt es mit Hilfe eines deutschen Ingenieurs, die Stromversorgung wieder aufzubauen. Seine Frau entdeckt auf den Gebäudeplänen den geheimen Zugang, so dass die Gangster und ihr Chef verhaftet werden können. Arabische Terroristen nutzen den Stromausfall, um den Jadebuddha, das größte Heiligtum der Thais, zu stehlen und auf ein Frachtschiff zu bringen. Siripongs Frau gelingt es, die Spur der Terroristen heraus zu finden. Sie wird entführt, aber durch Anchalees Hilfe befreit. Der Frachter muss Colombo anlaufen, wo die amerikanische Gangsterorganisation einen Stützpunkt hat. Ihr Chef Andy vereinbart mit Siripong gegen Zusage der Straflosigkeit eine Aktion zur Rückgewinnung der Buddhastatue. Mit Unterstützung der örtlichen Polizei stellt die Organisation in Colombo in einer dramatischen Aktion auf dem Frachter die Statue sicher. Andy verlässt die Organisation, tritt zum Buddhismus über und heiratet Anchalee. Auch in diesem Roman bestimmen drei Frauengestalten durch ihre Liebe und einfühlsame Klugheit das Geschehen in entscheidendem Maße.

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Ernst-Günther Tietze

Jade und Diamanten

Liebe und Verbrechen in Thailand

Kriminalroman

© Copyright 2001 Ernst-Günther Tietze Hamburg

Personenverzeichnis:

Plavudh Jongchakhul, Innenminister

Siripong Woraphrasittikhul, Beamter im Innenministerium,

Su Chan Woraphrasittikhul, Architektin, seine Frau

Deng Pin Yuan, Kaufmann, Su’s Vater

Jumroen Prongfachan, Netzwerkspezialist

Sulak Juttathirikorn,Fremdsprachensekretärin

Gen. Pongsakorn Saktasana,Polizeichef von Bangkok

Chalerm al NawudhStadtbezirksleiter

Andrew (Andy) McCoolen,

amerikanischer Gangster-Boss

alias Dr. Jeremias Thompson,

alias Jim Screw,

Kato Nishimuro,Mitarbeiter in Japan

Chavalit VirunvesachakulMitarbeiter in Thailand

Mitarbeiter in Thailand

Phaitchit Wathanawe,

alias Theera Thunwapukkit

Sirigul Wathanaweseine Frau

Harsha VarejaMitarbeiter in Sri Lanka

Anchalee SathornavanakhonLiebesdienerin in Pattaya

Sanguan BootjunStudent, ihr früherer Freund

Witchuda Tupanichihre Kommilitonin

Chantip Tupanichderen Mutter,

Sakiro Mashohito,japanischer Gangster-Boss

Wolfgang (Wolf) Lehmann,

Prolog

Aufgrund seines tiefverwurzelten Buddhismus ist Thailand das einzige Land im Umkreis vieler tausend Kilometer, in dem die Frauen als Persönlichkeit anerkannt werden und dadurch eine geistige und oft auch wirtschaftliche Selbstständigkeit genießen. Sicherlich kann das vor allem auf das segensreiche Wirken des zur Zeit des Romans regierenden Königspaares zurückgeführt werden. Nicht umsonst wurde König Bhumibol „Der Große“ genannt.

Diese Geschichte ist eine Fiktion, die zwei ineinander greifende Kriminalfälle beschreibt:

- Eine Gangsterorganisation beraubt eine Diamantenausstellung,
- Ein islamischer Fanatiker lässt den heiligen Jadebuddha entführen.

Nur dank der Weitsicht dreier kluger Thai-Frauen können diese Fälle zu einem glücklichen Ende geführt werden.

Der Autorwidmet dieses Buch in dankbarer Erinnerung allen Thais, die seine Frau und ihn in ihrem schönen Land mitihrer Freundlichkeit und Toleranz wie auch mit ihrer tiefen Frömmigkeitgastfreundlich aufgenommen haben.

Diamanten

Diamanten sind die Könige der Juwelen. Sie entstanden in mehr als hundert Kilometer Tiefe unter Druck von 50.000 bar bei Temperaturen von 1000o C und wurden vor langer Zeitdurch vulkanische Tätigkeit an die Oberfläche befördert. Der Name spiegelt die Härte (griechischαδανασMancher Frau gilt das Geschenk eines Diamanten als höchster Liebesbeweis.

Das hatten die Minister der thailändischen Regierung im Kopf, als sie am ersten Montag im Januar 2000 beschlossen, zum Beweis für die überwundene Wirtschaftskrise neben der vom 19. bis zum 24. Februar bereits im vierundzwanzigsten Jahr stattfindenden Bangkok Gems & Jewelry Fair eine einzigartige Diamantenausstellung „Diamond 2000“ zu veranstalten, die alles bisher Gesehene in den Schatten stellen sollte: Alle großen Diamanten der Welt, wie der Cullinan, der Nizam von Hyderabad und eine Kopie des Koh-i-noor sollten als Leihgaben gezeigt werden. Der Innenminister hatte als einziger gegen die Ausstellung gestimmt, denn er wusste genau, wie schlecht die Polizei für den Schutz der wertvollen Ausstellungsstücke ausgerüstet war. Da aber selbst Seine Majestät, der König die Ausstellung befürwortete, konnte er lediglich durchsetzen, dass die wertvollen Leihgaben nicht auf der Messe im Queen Sirikit Center mit seinen verschachtelten Räumen und vielen Ausgängen gezeigt würden, sondern im besser zu bewachenden Gems and Jewelry Tower. Doch als er Mitte Januar den angeforderten Bericht über die polizeilichen Computersysteme erhielt, sah er keine Möglichkeit mehr, die Diamanten wirksam zu schützen und bot seinen Rücktritt an. Der kleine, allseits beliebte Premierminister, der nach dem Ausbruch der Krise durch einen geschickten Schachzug die unfähige alte Regierung abgelöst hatte, hörte seine Argumente geduldig an.

„Ich verstehe Ihre Sorgen sehr gut, Khun Plavudh“, sagte er mit seiner leisen, angenehmen Stimme, „denn Sie werden gegrillt, wenn etwas schief gehen sollte. Aber wir müssen der Welt jetzt zeigen, dass wir kein Entwicklungsland mehr sind, trotz der vielen unterentwickelten Ecken im Lande. Und Sie dürfen beweisen, dass ich Sie zu Recht für diesen Posten ausgewählt habe. Ich sehe ein, dass die Polizei bessere Hilfsmittel braucht. Nennen Sie sie mir und wir werden sie bereitstellen. Den hoheitlichen Schlendrian unserer Herren Polizisten und den Mangel an eigenem Denken können wir allerdings nicht so schnell abschaffen. Das sollte Ihr wesentliches Ziel für die Zeit nach der Ausstellung sein, obwohl es mit unserer Kultur schwer zu vereinbaren ist.“

Der Minister machte den Wai, die asiatische Verneigung mit zusammen gelegten Händen, und verließ den Raum. Auf Gedeih und Verderb war er jetzt für die Ausstellung verantwortlich. Den letzten Worten des Premiers stimmte er uneingeschränkt zu, doch das war eine Sisyphusaufgabe. Unendlich tief war dieses System in der Kultur der Thais begründet. Noch vor hundert Jahren war eine Königin mit ihren drei Kindern ertrunken, weil es bei Todesstrafe verboten war, Mitglieder der königlichen Familie zu berühren. Danach hatte der tiefbetrübte König zwar das Verbot aufgehoben, aber sonst nicht viel verändert. Nicht nur in der Polizei, nein in allen Behörden gab es diesen Schlendrian schlecht bezahlter Beamter, die nur das Ziel hatten, den Tag möglichst ohne Anstrengung hinter sich zu bringen. Berge von Papieren wurden hin- und hergeschoben, bis mindestens zwanzig Unterschriften darauf waren. Niemand wagte, etwas zu entscheiden, weil es womöglich dem nächsten oder übernächsten Vorgesetzten nicht passen könnte. Jeder wartete auf die nächste Beförderung, die ihm zwar nur ein paar Baht mehr, dafür aber einen wohlklingenden Titel bringen konnte. Dass er als Innenminister hier den Anstoß geben musste, war ihm noch gar nicht klar genug ins Bewusstsein gedrungen. Zu sehr war auch er seiner Erziehung verhaftet. Nur die Wirtschaft hatte in der schweren Krise des Landes allmählich westliche Managementmethoden mit Leistungsentgelt und Delegation von Verantwortung eingeführt. So war man wieder in Schwung gekommen und dank der immer noch niedrigen Löhne auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig geworden.

In seinem Büro warf sich der Minister vor der Buddhafigur auf die Knie und betete um Erleuchtung für diese schwierige Aufgabe. Das Gebet klärte seine Gedanken: Er hatte einen fähigen Mitarbeiter, der vor kurzem von einem zweijährigen Studienaufenthalt in Europa zurück gekommen war, wo er bei verschiedenen Polizeien hospitiert und an der Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen studiert hatte: Siripong Woraphrasittikhul war 29 Jahre alt, hatte vor der Polizeilaufbahn Informatik studiert und sprach fließend englisch und deutsch. Kurz vor der Europareise hatte er eine chinesisch stämmige Architektin geheiratet, deren Vater ein bedeutender Im- und Exportkaufmann war und ihm den Auslandsaufenthalt finanziert hatte.

Zehn Minuten später saß der junge Mann, der in der Hierarchie noch ziemlich weit unten angesiedelt war, dem Minister gegenüber. Siripong sah gar nicht wie ein Thai aus, sondern hatte recht dunkle Haut und einen Lockenkopf. Sein Vater war Flugkapitän bei Thai Airways gewesen und vor zwölf Jahren bei einem Absturz ums Leben gekommen. Dass der junge Mann zwar den üblichen Wai machte, aber durchaus nicht unterwürfig war, wie die meisten anderen Untergebenen, zeigte deutlich den westlichen Einfluss. Er würde sich auch bei anderen Hierarchen nicht unterbuttern lassen.

„Ich habe eine große und wichtige Aufgabe für Sie, Khun Siripong“, sagte der Minister freundlich, und der junge Mann hörte aufmerksam zu. „Die ,Diamond 2000’ liegt uns schwer im Magen, weil sie die Verbrecher anziehen wird, wie das Licht die Motten. Sie sollen mein Auge und Ohr sein in den kommenden Wochen und als mein Gehirn alle Informationen verknüpfen, die Sie erhalten. Sie bekommen keine exekutiven Vollmachten, aber das Recht, jegliche Information, die Sie für notwendig halten, von allen Behörden und staatlichen Unternehmen einzuholen und beliebig auszuwerten. Sie sind mir unmittelbar berichtspflichtig und haben jederzeit Zugang zu mir. Sie sollten wissen, dass die Steine mit einer Milliarde Dollar versichert werden. Die Prämie hängt von den Sicherheitsmaßnahmen ab. Ich hoffe, dass wir sie auf Grund Ihrer Aktivitäten auf drei Millionen Dollar drücken können, das sind 100 Millionen Baht. Sie können also mit gutem Gewissen einen vertretbaren Aufwand planen. Und das Wichtigste: Bei Nicht-Inanspruchnahme werden fünfzig Prozent zurückgezahlt. Überlegen Sie bitte bis morgen, welche Mittel Sie brauchen. Ich denke, dass ich sie beschaffen kann, wenn sie nicht zu exotisch sind. Sie bekommen ein eigenes Büro und einen Wagen mit ständigem Fahrer. Auslandsreisen melden Sie bitte vorher bei mir an, im Notfall genügen zwei Stunden. Wegen der kurzen Dauer der Aufgabe kann ich Ihre Bezüge jetzt nicht erhöhen. Ich denke aber, dass bei Erfolg eine Prämie für Sie herausspringen wird.“

Siripong ließ sich die Überraschung nicht anmerken. Die chinesische Erziehung seiner Frau hatte auch ihn geprägt. „Herr Minister, ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen und will alles tun, mich dessen würdig zu erweisen“, war seine freimütige Antwort. „Ich werde jetzt gleich an die Arbeit gehen, um Ihnen meine Notwendigkeiten nennen zu können.“ Der Minister überlegte einen Moment: „Noch etwas bedenken Sie bitte: Ihre Aufgabe ist zwar kein Staatsgeheimnis, aber in Ihrem eigenen Interesse sollten so wenig Menschen wie möglich davon erfahren, zumindest von ihrem wahren Umfang. Verbrecher schrecken vor nichts zurück, und ich möchte Ihr Leben nicht unnötig gefährden. Wenn Sie Mitarbeiter brauchen, müssen diese sicherheitsüberprüft werden. Und nun wünsche ich Ihnen eine erfolgreiche Arbeit.“ Mit dem Wai und einer leichten Verbeugung wollte Siripong sich zurückziehen, doch der Minister reichte ihm ganz gegen die Gepflogenheiten die Hand. Er war froh über seine Entscheidung, sah aber noch gar nicht, dass er eben begonnen hatte, das hierarchische System zu demontieren.

Am Abend berichtete Siripong seiner Frau Su Chan stolz von der neuen Aufgabe, nicht ohne zu verhehlen, dass er überhaupt nicht wusste, wie er sie angehen sollte. Sie saßen bei einem leichten Mahl im halb westlich und halb im Thai-Stil mit hellen Rattanmöbeln eingerichteten Wohnzimmer ihres kleinen Hauses in einem Bangkoker Vorort. Einige schöne Geschenke von ihren Eltern, darunter zwei wertvolle chinesische Porzellanlöwen und ein kunstvoll geschnitzter Elefant gaben dem Raum eine besondere Atmosphäre. Siripong hatte eine Flasche Rotwein besorgt, den sie beide in Europa schätzen gelernt hatten, sich aber wegen des hohen Importzolls nur selten leisten konnten. Sie verdienten ja zusammen nur 30.000 Baht (900,- $) im Monat.

Su Chan Woraphrasittikhul war eine schlanke, sportliche Frau, 26 Jahre jung, mit Pagenfrisur und einem schmalen Kopf, der gar nicht den runden und flachen Gesichtern der meisten Chinesinnen ähnelte. Nur die leichte Schräge der mandelförmigen Augen verriet ihre Herkunft. Sie war stets modern gekleidet und trug kaum Schmuck, außer dem Ehering nur manchmal ein paar modische Ohrhänger. Aber um den Hals trug sie ständig eine Goldkette mit einem Jade-Amulett, einer flachen Nachbildung des Smaragdbuddha aus dem Wat Phra Kaeo, dem Tempel im alten Königspalast. Dies kostbare Stück hatte Siripong ihr geschenkt, als sie sich ein gemeinsames Leben versprachen, und er hatte alle seine Ersparnisse dafür geopfert. Wegen ihrer Kreativität und ihres phänomenalen Raumgefühls hatte Su bereits eine verantwortliche Stellung in einem Architekturbüro. Sie brauchte eine Zeichnung nur kurz anzusehen, um den Gegenstand oder Raum dreidimensional vor sich zu sehen und auch skizzieren zu können. Sie sprach fließend englisch und französisch, sowie ein wenig deutsch. Während Siripongs Europaaufenthaltes hatte sie ihn dreimal für ein paar Wochen besucht. Und vor kurzem hatte sie ihn zu einem gemeinsamen Japanischkurs überredet.

„Du hast nur knapp sieben Wochen Zeit“, ließ sie die Gedanken schweifen, „und brauchst wenige aber sehr gute Leute und einen direkten Zugriff auf die Datenbanken aller Behörden. Das erste ist schwer in einem Ministerium, das zweite nahezu unmöglich, denn soviel ich weiß, fängt man bei Euch gerade erst mit internen Netzen an. Aber du musst es versuchen, sonst kannst du die Aufgabe gleich zurückgeben. Außerdem musst du einen möglichst direkten Kontakt zu zentralen Polizeibehörden im Ausland aufbauen. Doch das ist nur die technische Seite. Das ganze wird eine Menge Geld kosten. Du darfst höchstens fünfzig Millionen Baht ausgeben, das ist der Teil der Versicherungsprämie, der bei Nicht-Inanspruchnahme zurückgezahlt wird. Um das ständig im Auge zu haben, brauchst du eine transparente Kostenrechnung. Mein Vater kann dir bestimmt ein geeignetes Programm nennen.“ Für Su war die laufende Kostenüberwachung bei der Arbeit selbstverständlich, doch hatte sie davon nichts an der Universität gehört, sondern im Geschäft ihres Vaters, wo sie in den Semesterferien Buchhaltung gelernt hatte. Für Siripong dagegen war eine leistungsbezogene Kostenrechnung völliges Neuland. Doch er sah Su’s Argument ein und ließ sich am nächsten Wochenende von ihr mit den Grundzügen vertraut machen. „Außerdem brauchst du eine fremdsprachlich versierte Sekretärin. Ich glaube, da kann Vater dir helfen“, warf Su ein. „Er hat vor kurzem eine junge Fremdsprachenkorrespondentin eingestellt, die fließend Englisch und Japanisch spricht und etwas von Kostenrechnung versteht. Vielleicht leiht er sie dir.“

Deng Pin Yuan, Su’s Vater, entstammte einer alten chinesischen Familie, die schon seit Generationen in Thailand lebte, bisher aber jede Vermischung mit den Thais vermieden hatte. Als seine Tochter ihm vor drei Jahren eröffnete, dass sie Siripong liebte und ihn heiraten wollte, war er entsetzt und versuchte mit allen möglichen Argumenten, ihr diesen Gedanken auszureden. Doch sie sagte kühl: „Chinesen gibt es schon viel zu viele auf der Welt, fast anderthalb Milliarden. Da brauche ich sie nicht noch zu vermehren. Außerdem weiß ich noch gar nicht, ob ich neben meinem Beruf Kinder haben will. Kurz, du kannst uns deinen Segen geben oder es bleiben lassen; ich heirate Siripong auf jeden Fall.“ Das war Blut von seinem Blut, so hätte er vor dreißig Jahren auch gesprochen. Da er seine einzige Tochter nicht nur abgöttisch liebte, sondern auch ein praktisch denkender Mensch war, stimmte er nach kurzem Überlegen zu. Hinzu kam, dass er sich über Su’s recht freies Leben allmählich Sorgen machte. „Die wilde Su“ nannte man sie überall. Vielleicht würde sie als Ehefrau zur Ruhe kommen.

Als kluger Geschäftsmann begann er dann, seinen künftigen Schwiegersohn nach Kräften zu fördern. Der erste Schritt war, für Siripong einen Studienaufenthalt in Europa zu finanzieren. Allerdings hatte er darauf bestanden, dass die beiden vor der Reise heirateten. Da sie sich innig liebten, war ihnen das nur recht gewesen. Es wurde keine ganz große Hochzeit, weil ein Teil der chinesischen Freunde die Verbindung mit einem Thai ablehnte. Andre moderner eingestellte begrüßten sie hingegen nachdrücklich. Auch einige Freunde von Siripongs Mutter waren entsetzt, denn chinesisch-stämmige Mitbürger werden in Thailand zwar akzeptiert, doch die bessere Gesellschaft und der öffentliche Dienst sind ihnen verschlossen. Daran sind sie allerdings auch kaum interessiert, denn der Handel bringt viel mehr ein. Jetzt freute sich Deng, dass die Investition in Siripongs europäische Ausbildung so bald Früchte getragen hatte. Er sah die Gefahr für die „Diamond 2000“ und war gern bereit, Sulak Juttathirikorn bis zur Ausstellung kostenlos auszuleihen.

Nach dem Telefonat mit Deng umarmte Siripong seine Frau und küsste sie zärtlich. „Ich habe zwar vor dem Minister den starken Mann markiert, als er mir die Aufgabe erläuterte, aber innerlich war mir gar nicht wohl dabei. Du hast mir sehr geholfen mit deinen klaren Gedanken“, sagte er leise, wenn seine Lippen einmal für kurze Zeit frei waren. Und verliebt streichelte er ihre Brust unter dem leichten chinesischen Hauskleid, das sie gerne trug, wenn sie allein waren, mit nichts darunter als dem Amulett. Doch Su nahm ihn an der Hand und führte ihn in ihr gemeinsames kleines Arbeitszimmer. Dort hatten sie ihren PC stehen, den vor allem Su häufig für Entwürfe benutzte. Darüber stand auf einer Konsole an der Wand eine große Jadefigur von Kuan Jin. Sie trug einen weiten Mantel, dessen Kapuze ihre Krone überdeckte. In der linken Hand hielt sie ein Fläschchen, aus dem Wasser des Lebens floss. Die Rechte war zum Segen erhoben. Beide liebten dieses Hochzeitsgeschenk von Su’s Vater, weil ihnen der Gedanke einer weiblichen Gottheit angenehm war in diesen patriarchalisch geprägten Religionen um sie herum. Doch Deng hatte sie aufgeklärt, dass Kuan Jin keine Göttin sei, sondern nur ein Bodhisattva, so etwas wie eine Heilige.

Sie knieten vor der Statue nieder, berührten mit der Stirn den Boden und baten sie im stillen Gebet um Unterstützung bei Siripongs schwieriger Aufgabe. Als Su nach dem Gebet aufblickte, fielen ihr wieder die beiden großen Poster neben der Statue ins Auge, die sie während ihrer wenigen Europabesuche bei Siripong fotografiert hatte. Eines zeigte den Parthenon-Tempel auf der Akropolis in Athen, das andere die Kirche Sacre Cœur in Paris. Sie hatten nie Bedenken gehabt, diese beiden heiligen Bauwerke anderer Religionen neben ihre „Göttin“ zu hängen.

„Ihr müsst unbedingt Paris besuchen, wenn ihr in Europa seid, es ist eine zauberhafte, eine verzaubernde Stadt“, hatte Siripongs Mutter, eine trotz ihrer 51 Jahre schöne und elegante Frau ihnen geraten, und ihre Augen leuchteten dabei in ganz eigenartigem Glanz. Als Frau eines Flugkapitäns hatte sie ihren Mann um die ganze Welt begleiten können. Und wirklich hatten die beiden in Paris, wo Siripong drei Monate bei der Sûreté mitarbeitete, neben allen kulturellen Eindrücken die wundervollste, leidenschaftlichste Nacht ihrer jungen Ehe erlebt, obwohl sie schon ein halbes Jahr verheiratet und vor der Ehe auch nicht prüde miteinander waren. „Es muss an der Stadt liegen“, sagte Siripong versonnen beim späten Frühstück, „meine Mutter hat sehr vorsichtig einmal angedeutet, mit meinem Vater ähnliches erlebt zu haben.“

Für einen Tag hatten sie noch einen Ausflug an die Loire eingelegt. Su hatte im Flugzeug einen Artikel über das Schloss Chenonceau und seine Geschichte gelesen. Bewegt standen sie im ehemaligen Schlafzimmer Dianes von Poitier. „Hier hat sie sich also mit Henri II geliebt“, dachte jeder für sich. Nach allen Berichten war Diane nicht nur eine schöne, sondern auch kluge und gütige Frau gewesen, und der König hatte sie sehr geliebt, bis er bei einem Turnier versehentlich getötet wurde und seine Witwe die Geliebte trotz ihres Eigentumsrechts aus dem Schloss warf, um es selbst zu bewohnen.

„Was sagst du als Ehefrau zu diesem Verhältnis?“, fragte Siripong, als er seine Frau in einem kleinen Mietboot auf dem Cher unter den Bögen des Brückenbaues hindurchruderte. Su überlegte eine Weile: „Ich habe auch schon darüber nachgedacht: Eigentlich müsste ich sie verurteilen. Aber ich kann es nicht, denn große Liebe darf man nicht verurteilen. Außerdem dürfte Heinrichs Ehe mit Katharina von Medici wohl bestenfalls eine Zweckheirat gewesen sein.“ „Ich danke dir für deine ehrliche Antwort“, erwiderte Siripong, „und ich verspreche Dir, deine Großmut nicht auszunutzen.“ Das Boot wäre beinahe gekentert, als Su aufsprang, um ihm mit einem Kuss zu danken.

Nach dem Frankreichbesuch war es für beide von Interesse gewesen, die kulturellen Quellen Europas mit eigenen Augen zu erkunden. Deshalb hatten sie bei Su’s nächstem Besuch den Mittelmeerraum besucht. Über Rom und Etrurien, Athen und den Peloponnes, die Westtürkei und Zypern, Santorin und Kreta waren sie nach Ägypten gekommen, wo sie aber wegen der politischen Verhältnisse nicht lange blieben. Trotzdem hatten ihnen Abu Simbel, Luxor, Gizeh und die Schätze im Kairoer Museum einen ausreichenden Eindruck von dieser Jahrtausende alten Hochkultur gegeben, die nach Meinung der Fachleute die griechische und damit die europäische Kultur maßgeblich beeinflusst hatte.

Ganz besonders hatten es ihnen die griechischen Tempel angetan. „Diese kühne und leichte Architektur, diese handwerkliche Vollkommenheit findest du nirgendwo auf der ganzen Erde“, sagte Su bewundernd. „Selbst der einzigartige Angkor Wat in Kambodscha, das Prunkstück unserer Kultur, verblasst gegen diese Bauwerke, abgesehen davon, dass er nicht halb so alt ist wie sie.“ „Ja, du hast Recht“, antwortete ihr Mann versonnen, „als Buddha in unserer Region sein großes Werk vollbrachte, waren diese Tempel hier schon im Bau.“ Tief beeindruckt waren sie von der Akropolis hinunter gestiegen und hatten unter der Umfassungsmauer in einem Gartenrestaurant bei einem Glas Wein zu Abend gegessen. Hand in Hand waren sie dann zum Hotel geschlendert, um immer noch bewegt von dem Gesehenen den Tag ausklingen zu lassen.

Die E-Mails, die sie sich während der langen Trennungszeiten zwischen den kurzen gemeinsamen Wochen schrieben, füllten ganze Festplatten. Deshalb waren sie Su’s Vater dankbar, dass er ihr die Europaflüge bezahlte. „Wenn ich dir schon deinen Mann für so lange Zeit abspenstig mache, muss ich doch wenigstens dafür sorgen, dass er seelisch nicht vor die Hunde geht“, sagte Deng lächelnd, als seine Tochter ihm beim ersten Flugschein um den Hals fiel. „Wenn er sich dort eine hübsche Europäerin anlacht, wird das viel teurer für uns alle.“ An diese beiden wunderbaren und doch so unterschiedlichen Nächte in Europa dachte Su beim Blick auf die Poster, und sie freute sich auf die kommende Nacht, als ihr Mann sie behutsam aufhob und ins Schlafzimmer trug.

Siripong war mit dem Kommunikationsleiter des Innenministeriums befreundet, der gerade das Intranetz aufbaute, ein außerordentlich fähiger Ingenieur namens Jumroen Prongfachan. Er bat den Minister ihm den Mann zur Verfügung stellen und nannte die von seiner Frau geschätzten Kosten von 50 Millionen Baht. Schweren Herzens genehmigte der Minister Siripongs Vorschläge und Jumroen ging ans Werk. Technisch war der Datenzugriff einfacher als Su befürchtet hatte, doch in vielen Köpfen stürzten Welten ein, weil man Informationen bisher mit niemandem teilte, sie waren ein Schatz, der Macht vermittelten. Nur die strenge Weisung des Ministers ermöglichte die Ausführung von Su’s Idee. In den nächsten Wochen schaltete Jumroen über polizei-eigene und zusätzliche von der Telecom gemietete Leitungen ein Netz durch ganz Bangkok, an das die Polizei, alle wichtigen Behörden und die staatlichen Verkehrs-, Versorgungs- und Telekommunikationsunternehmen angeschlossen waren. Da die vorhandenen Datenbanken alle unterschiedlich strukturiert waren, dauerte der Zugriff meist eine Weile, war aber doch bedeutend schneller, als wenn Siripong selbst die Behörden hätte kontaktieren müssen. Dank eines superschnellen Servers mit riesigem Speicherplatz funktionierte das so entstandene „Netz“ hinreichend, obwohl es ein Flickenteppich aus Hubs, Routern, Modems und Gateways mit digitalen und analogen Leitungen und unterschiedlichen Protokollen war. Als Krönung schuf er Siripong eine gesicherte Einwahlmöglichkeit von seinem privaten PC und vom Notebook über das Handy. Außerdem schaltete er direkte Verbindungen zu Interpol, dem FBI in Washington und dem zentralen japanischen Kriminalamt in Tokio. Damit war kein unmittelbarer Datenzugriff verbunden, aber sie konnten jederzeit und vor allem schnell Informationen erhalten.

Nur einmal gab es Schwierigkeiten: Während die meisten Behörden gehorsam die Weisung des Innenministers befolgten, weigerte sich Chalerm al Nawudh, der Bezirkschef der alten Innenstadt, den hierarchisch unter ihm stehenden Siripong überhaupt zu empfangen. Schon am nächsten Tag sah er sich dafür auf den gerade vakanten Posten des Leiters der Aktenverwaltung im Innenministerium versetzt. Dieses Exempel sprach sich schnell herum und Siripong hatte von nun an keine Schwierigkeiten mehr, dafür aber einen erbitterten Feind. Am meisten freute ihn der gute Kontakt zum Polizeichef von Bangkok. General Pongsakorn Saktasana. Der war erfahren genug, um zwei Dinge zu begreifen, nämlich dass der junge Mann ein Schützling seines vorgesetzten Ministers war und dass er ihm und seinen Polizisten eine wertvolle Hilfe beim Schutz der Ausstellung sein konnte. Und da Siripong den kleinen drahtigen Offizier, der vor Energie nur so sprühte, von vornherein als älteren erfahrenen Kollegen anerkannte, wies der alle Polizeidienststellen an, ihm jegliche Unterstützung zukommen zu lassen. Als Siripong ihm stolz sein Datennetz vorführte, sagte er nur trocken: „So etwas wünscht sich die Polizei schon lange. Aber ein wichtiger Datenbereich fehlt, nämlich die Meldelisten aller Hotels, zumindest der großen. Nur so können wir schnell heraus bekommen, wer wo zu finden ist.“

Siripong dankte dem erfahrenen Polizisten für den Tipp, und Jumroen machte sich an die Arbeit. Das war schwieriger als zunächst gedacht, weil die Hotels, wenn überhaupt, nur private Datennetze hatten, auf die sie nicht zugreifen durften. So vereinbarte Siripong mit den Hotelbetreibern, dass sie die Meldelisten nicht monatlich per Post übermittelten, sondern täglich um Mitternacht in einen sicheren Bereich seiner Webseite eintrugen. Einige hatten noch nicht einmal einen Internetaccount; den bezahlte Siripong für die nächste Zeit aus seinem Budget.

Die „Company“

Der Innenminister hatte Recht mit seiner Befürchtung: Auch die Gegenseite war nicht untätig. Neben vielen großen und kleinen Gaunern, die auf eigene Faust arbeiteten, interessierten sich vor allem zwei internationale Organisationen für die „Diamond 2000“. Und außerdem war da ein arabischer Multimillionär, der den Buddhismus hasste, diese friedlichste aller großen Weltreligionen, weil sie nach seiner Ansicht die Ausbreitung des Islams verhinderte. Jetzt wollte er einen Coup landen, der alle Anhänger Buddhas tödlich kränken sollte.

Andrew (Andy) McCoolen war der Boss des größeren Kartells mit Sitz in Chicago. Er hatte Elektrotechnik und Betriebswirtschaft studiert und schon eine führende Stellung in einem Unternehmen für Spezialhardware erreicht, bevor dieses von der Konkurrenz geschluckt und er gefeuert wurde. Das hatte ihn derart an ehrlicher Arbeit zweifeln lassen, dass er das Angebot eines Freundes annahm und in die „Company“ einstieg. Dank seiner Führungsqualitäten dauerte es nur wenige Jahre, bis er der unumstrittene Chef war. Wegen seiner Technikbesessenheit hieß er überall „der Ingenieur“. Er hatte die „Company“ international ausgeweitet und mit den modernsten Datenkommunikationsmitteln ausgestattet. Unter Benutzung des Internet und von Multi-Band-Mobiltelefonen waren die führenden Leute rund um die Uhr weltweit erreichbar. Und er hatte ein einheitliches Finanzsystem eingeführt. Sowohl die amerikanische Zentrale als auch die Filialen in anderen Ländern waren als normale, Steuern zahlende Wirtschaftsunternehmen unterschiedlicher Richtungen organisiert, wodurch sie die Erträge ihrer Raubzüge recht problemlos „waschen“ konnten.

Andy war ein großer kompakter Mann von 42 Jahren mit den rotblonden Haaren seiner irischen Vorfahren. Leider lichteten sie sich im vorderen Teil des Kopfes schon ziemlich. Seit langem brachte er 120 Kilo auf die Waage. Er war von Natur aus ein sanfter Mensch und hatte diese Haltung kompromisslos durchgesetzt. Gewalt durfte zwar angedroht aber nur im Notfall ausgeübt werden. Jeder, der den Tod eines Menschen verschuldet hatte, musste unwiderruflich die „Company“ verlassen. Die „Diamond 2000“ war ihm wichtig genug, sich selbst ein Bild vom Kriegsschauplatz zu verschaffen. Er flog stets First Class, diesmal über Tokio. Dort wollte er seinen Mitarbeiter Kato Nishimuro treffen, der lange in Bangkok gelebt hatte, und sich außerdem nach langer Zeit wieder einmal von einer Geisha „behandeln“ lassen. Nachdem sich seine Frau wegen seiner Neigung zu Seitensprüngen von ihm getrennt hatte, genoss er es ausgiebig, ein freier Mann zu sein.

Kato hatte so gut vorgearbeitet, dass die Geisha lange warten musste. Einmal mussten sie intensiv die nächsten Aktionen in Japan besprechen. Dort hatten sie einiges vor, was leider immer schwieriger wurde, da die japanische Polizei sich in der letzten Zeit erheblich modernisiert hatte. Doch am interessantesten war für Andy, dass Kato den zwanzigstöckigen Gems and Jewelry Tower an der Surawong Road in Bangkok ganz genau kannte. Die Ausstellung sollte im großen Saal im 13. Stock stattfinden. Die meisten Räume in den anderen Stockwerken waren an Juwelenhändler vermietet, aber im 11. und 12. Stock, direkt unter dem Saal, war die Südostasien-Zentrale eines deutschen Touristikunternehmens untergebracht. Damit war das Gebäude für jeden zugänglich. Das weltberühmte Oriental Hotel war nur fünf Minuten vom Tower entfernt. Leider wusste Kato gar nichts über das Queen Sirikit Center, in dem wie üblich die Verkaufsmesse für Diamanten abgehalten werden sollte. Die „Company“ hatte sich vorgenommen, in einem Großangriff sowohl die „Diamond 2000“ als auch die Messe abzuräumen. Für eine Reihe von Steinen der Ausstellung lagen schon feste Bestellungen vor.

Als Andy am nächsten Tag noch ziemlich unausgeschlafen – denn die Geisha hatte ausgezeichnet gearbeitet – nach Bangkok weiterflog, fiel ihm zwei Reihen hinter ihm ein Mann auf, dessen Gesicht er schon einmal gesehen hatte; er konnte sich nur nicht erinnern wo. Doch er war nicht umsonst der „Ingenieur“. Er packte das Notebook aus, startete das Phantombildprogramm, das ein Mitarbeiter mit der zugehörigen Verbrecher-Bilddatei kürzlich bei der Polizei „besorgt“ hatte und bastelte das Gesicht zusammen. Als ihm das Programm den Namen „Sakiro Mashohito“ ausgab, zuckte er zusammen. Das war der neue Boss der zweiten, etwas kleineren internationalen Gangstergruppe, die in Japan saß. Sein Vorgänger war kürzlich für einige Jahre ins Zuchthaus gewandert. Für einen Augenblick kam ihm die Idee, mit dem Japaner zusammen zu arbeiten. Doch er kannte ihn zu wenig, um die Chancen für ein „ehrliches“ Spiel einschätzen zu können. So rief er nur seine Leute in Bangkok an, sich am Flughafen für ein „Puppenspiel“ bereit zu halten, das Codewort für Beschattung.

Da Andy die triste Eleganz des Oriental nicht mochte, war er im Royal Orchid Sheraton abgestiegen, kaum weiter vom Gems and Jewelry Tower entfernt. Er war ganz froh darüber, als er wenig später erfuhr, dass der Japaner im Oriental logierte. Andy überlegte, ob er schon heute dem Hauptkriegsschauplatz einen Besuch abstatten sollte. Aber der Jetlag steckte ihm noch in den Knochen und so beschloss er, nur auf der Terrasse des Seafoodrestaurants im benachbarten Riverside-Center etwas zu essen und dann ins Bett zu gehen. Es war ein wunderschöner Platz, direkt am Ufer des Chao Phraya, wo er nach dem Essen noch eine Weile seinen Wein austrank und das geschäftige Treiben auf dem Fluss beobachtete. Jetzt im Winter war es am Abend kaum 30° warm.

Er war gerade zurück im Hotel und saß bei einem Absacker an der Bar, als draußen eines dieser kurzen, heftigen Gewitter aufzog, die es nur in den Tropen gibt. Der Regen peitschte gegen die Scheiben und es blitzte und donnerte ununterbrochen. Plötzlich gab es einen nahen Blitz, unmittelbar gefolgt von einem gewaltigen Donnerschlag, und das Licht ging aus. Auch die Straßen waren dunkel. Ein paar Scheinwerfer in der Halle gingen automatisch an, doch sie leuchteten nur spärlich und eine Frau schrie. Nach einer Minute gab es im Hotel wieder Licht und man hörte einen Diesel laufen. Wie alle großen Häuser hatte das Hotel eine Notstromversorgung. Nach 40 Minuten ging die Straßenbeleuchtung wieder an und ein Weilchen später gab es im Hotel eine sehr kurze Stromunterbrechung. „Aha“, dachte Andy, „jetzt haben sie auf das öffentliche Netz zurück geschaltet. Sie sollten sich mal eine Synchronisier-Einrichtung zulegen.“

In der Nacht wachte er auf und konnte nicht gleich einschlafen. Das war nach Interkontinentalflügen normal, und er ließ in Gedanken den Tag Revue passieren. Als er an den Stromausfall dachte, kam ihm eine Idee: „Ohne den Diesel hätte es in der vollen Hotelhalle eine Panik gegeben. Wenn es gelänge, während der Ausstellung in der ganzen Stadt die Stromversorgung lahm zu legen und an den wichtigen Stellen die Diesel zu blockieren, würde ein fürchterliches Chaos ausbrechen, bei dem unsere Leute nicht nur im Tower und auf der Verkaufsmesse, sondern auch an anderen lukrativen Stellen leichte Arbeit hätten.“ Gleich am Morgen gab er den Auftrag, Unterlagen über die Stromversorgung der Stadt zu beschaffen. Doch was seine Leute ihm etwas später berichteten, ließ ihm für einen Moment das Blut in den Adern gefrieren: Der japanische Gangsterboss war am Morgen zum Gems and Jewelry Tower gegangen. Als er das Gebäude betreten wollte, hatten ihn zwei Männer, anscheinend Kriminalbeamte, angehalten und zum Hotel zurück gebracht, wo er seine Sachen packen musste. Dann wurde er zum Flughafen gebracht und in die nächste Maschine nach Tokio gesetzt. Seine beiden thailändischen Begleiter waren kurzerhand verhaftet worden.

„Woher kannte Bangkoks Polizei den Japaner so genau?“, fragte Andy sich irritiert. Natürlich, das Phantombildprogramm! War er vielleicht auch schon darin erfasst? Hektisch versuchte er, die Datenbasis des Programms zu öffnen, in der die Namen abgelegt sind, aber dazu fehlte ihm das Passwort. So setzte er sich vor den Spiegel und gab sein eigenes Bild ein. Soviel er auch probierte, immer war die Antwort „unknown“. Entweder war er zu aufgeregt, um genau zu arbeiten oder noch nicht drin. Vorsorglich wies er die Zentrale in Chicago an, umgehend das nächste update zu beschaffen. Doch wie stand es um Kato Nishimuro, den japanischen Mitarbeiter? Aus dem Gedächtnis fügte er dessen Physiognomie zusammen. Er dachte noch über ein Detail nach, als der Bildschirm schon den Namen und den Code der „Company“ ausgab. Andy fühlte sich plötzlich hundeelend. Er hatte sich in Tokio ganz offen mit Kato getroffen, der augenscheinlich der japanischen Polizei bestens bekannt war. Auf jeden Fall würde er sich den Besuch des Kriegsschauplatzes verkneifen müssen.

Da ihm die Lust vergangen war, überhaupt auf die Straße zu gehen, aß er im Hotel zu Mittag. Und wie immer beim Essen lichteten sich seine Gedanken wieder. Einen Vorteil hatte das Ganze immerhin: Die japanische Organisation war zunächst aus dem Rennen. Als ihm dann am Nachmittag seine beiden ranghöchsten Mitarbeiter im Lande die gewünschten Informationen brachten, hatte er schon die alte Kampfkraft wieder gewonnen. Chavalit Virunvesachakul, der dickwanstige Boss der als Reinigungsunternehmen getarnten Filiale ihrer „Company“, hatte gerade durch ein Tiefpreisangebot den Auftrag für die tägliche Säuberung des Ausstellungssaales im Gems and Jewelry Tower an Land gezogen. Sein Begleiter, Phaitchit Wathanawe hatte wichtige Einzelheiten über die Stromversorgung der Stadt zusammengestellt. Dieser schlanke Mann von knapp 40 Jahren war vor der Wirtschaftskrise ein bekannter Finanzmakler gewesen und hatte durch gutmütige Kredite an befreundete Unternehmen sein ganzes Vermögen verloren. Weil er im normalen Geschäftsleben vorläufig nicht akzeptabel war, hatte er sich der „Company“ angeschlossen. Er war intelligent, einsatzbereit und kannte Gott und die Welt. Seine Frau hatte schon bei den Finanzgeschäften mit ihm zusammen gearbeitet und beteiligte sich auch jetzt gelegentlich an den Aktivitäten für die „Company“.

Die Informationen über die Stromversorgung gliederten sich in einen organisatorischen und einen technischen Teil, und beide waren hochinteressant: Seit einem Jahr befanden sich Thailands Versorgungsunternehmen in einem gewaltigen Umbruch. Als der IMF in der Wirtschaftskrise mehr als 17 Milliarden Dollar bereitstellen musste, um das Land vor dem Bankrott zu bewahren, war seine Bedingung die Privatisierung der Staatsunternehmen gewesen. Neben der Elektroenergie gehörten dazu auch die Ölindustrie, die Wasserversorgung, der öffentliche Verkehr und die Telekommunikation. Das war eine gewaltige Aufgabe und hatte erbitterte Proteste in den Unternehmen zur Folge gehabt. Bisher waren sie alle wie staatliche Behörden organisiert, unterstanden verschiedenen Ministerien und hatten Unmengen von Mitarbeitern, die jetzt um ihre Privilegien fürchteten. Die Stromversorgung war in ein landesweites Erzeugungs- und Transportunternehmen und zwei Verteilungsgesellschaften gegliedert, eine für Bangkok und die andere für das gesamte übrige Land. Jede von ihnen erledigte alle internen Dienstleistungen selbst.

Die geplante Struktur sollte aussehen wie in den westlichen Industrieländern: Mehrere Erzeugungsgesellschaften beliefern ein Transportunternehmen, das aber nur als große Pipeline dient und keinen Gewinn macht. Daran angeschlossen ist eine Reihe von Verteilungsunternehmen, die die über das Transportnetz bereitgestellte Energie direkt von den Erzeugern kaufen und sowohl an Großkunden als auch an kleine lokale Vertreiber weiterverkaufen. Alle Aktivitäten, die nicht zu diesem Kerngeschäft gehören, wie Planung, Training, Konstruktion und Instandhaltung werden als unabhängige Unternehmen ausgegliedert. Das war teilweise schon geschehen, und um diese zwar rechtlich selbstständigen aber noch im Staatsbesitz befindlichen Firmen zu wirtschaftlichem Arbeiten zu erziehen, mussten alle Serviceleistungen öffentlich ausgeschrieben werden. Dieser Prozess war mitten im Gange und niemand in den betroffenen Unternehmen wusste genau, wo man eigentlich stand. Nur die für Thais normalerweise unübliche Arbeitsweise, über Hierarchie- und selbst Unternehmensgrenzen hinweg miteinander Vereinbarungen zu treffen, hatte bisher einen Zusammenbruch der Versorgung verhindert.

Das Netz war recht stabil und sicher aufgebaut. Ein Doppelring von 230-kV-Leitungen war schon vor 20 Jahren um den alten Stadtbereich von Bangkok gezogen worden. Zwei Kraftwerke und acht Umspannstationen waren die Knotenpunkte in diesem Ring. Da die Leistung der beiden Kraftwerke für den Bedarf von mittlerweile 9.000 Megawatt nicht ausreichte, wurden fünf Stationen des Ringes über zehn Leitungen zusätzlich von außen eingespeist,

Warum denn mit Gewalt, wenn es vielleicht auch auf die sanfte Tour ging? Er musste detaillierte Informationen über die in den Stationen des Ringes installierten Schutzeinrichtungen haben und außerdem wissen, wer für deren Instandhaltung zuständig war. Als er den Mitarbeitern seinen Plan erläuterte, staunten die beiden über seine Ideen. Chavalit schüttelte zweifelnd den Kopf, aber Phaitchit nickte verständnisvoll und stellte einige weitere Fragen, die sein rasches Begriffsvermögen zeigten. Andy beschloss, ihm mehr Verantwortung zu übertragen und bat ihn, die notwendigen Informationen zu beschaffen. Als er sie dann noch bat, neben dem Tower und der Verkaufsmesse sich Gedanken über mögliche weitere Einsatzstellen zu machen, protestierte Chavalit ganz entschieden. Sie hätten nicht genug fähige Leute, um noch andere Aktionen gleichzeitig durchzuführen. Andy sah Phaitchit an. Seine Augen signalisierten Zustimmung. So wies er die beiden an, den Angriff auf mindestens zehn weitere Objekte vorzubereiten.

Andy war wütend auf Chavalit. Diesen Fettwanst musste er demnächst ablösen, er war zu bequem geworden. Leider wusste der Mann zu viel, um ihn einfach fallen zu lassen. Vielleicht konnte man mit ihn einer Rente und einem Zwangsaufenthalt außerhalb Thailands ruhig stellen. Er hatte ja eine ganze Menge auf dem Kerbholz, was die hiesige Polizei brennend interessieren würde. Andy beschloss, die Sache gleich nach dem Coup in die Hand zu nehmen. Phaitchit wäre sicher der geeignete Nachfolger. Der stellte gleich noch seine Kompetenz mit einer Bemerkung unter Beweis: Er wolle versuchen, den Grundriss des 13. Stockwerks im Gems and Jewelry Tower zu beschaffen. Andy hatte gar nicht daran gedacht, offenbar spielte ihm der Jetlag noch Streiche. Er sagte, auf diesen Punkt wäre er noch gekommen und lobte Phaitchit für seine Aufmerksamkeit. Weil die Aufträge nicht so schnell zu erfüllen waren und ihm der Boden unter den Füßen heiß wurde, ließ er noch für die Nacht den Rückflug nach Chicago reservieren.

Etwas ließ er sich aber nicht nehmen und es schien auch ziemlich ungefährlich. Jedes Mal, wenn er in einem buddhistischen Land war, besuchte er einen Tempel. Diese Ruhe im Bot, dem großen Innenraum, diese Gelassenheit, die der Buddha ausstrahlte und die tiefe Gläubigkeit der Menschen hatten ihn immer wieder beeindruckt, er hätte ohne weiteres Buddhist sein können. Vor dem Hotel wurden Bootsfahrten quer über den Fluss zum Tempel der Morgenröte auf der anderen Seite des Flusses und zurück angeboten. Ohne zu handeln zahlte er die verlangten 400 Baht, obwohl er wusste, dass das viel zu teuer war.

Der Wat Arun müsste eigentlich Tempel der Abendröte heißen, denn erst bei Sonnenuntergang strahlen die Kacheln, mit denen der Chedi und die vier seitlichen Türme verkleidet sind, in ihrer ganzen Schönheit. Bewegt stand der Chef der weltgrößten Verbrecherorganisation mit ineinander gelegten Händen in einer Ecke des Bot, sah den Buddha an und träumte vor sich hin. Als Junge war er Ministrant gewesen, damals hatte ihn bei der Wandlung immer ein ähnliches Gefühl erfüllt. Andy wusste selbst nicht, wie ihm geschah, als er plötzlich auf den Knien lag und mit der Stirn den Boden berührte wie die Thais neben ihm. „Großer Buddha“, dachte sein Gehirn – oder war es seine Seele? – ganz ohne sein Zutun, „ich weiß, dass ich kein Recht habe, Dich anzusprechen. Ich tue es trotzdem, weil ich von Deiner Güte und Toleranz weiß, die unendlich viel größer ist als die der anderen Götter dieser Erde, aber Du wolltest ja nie ein Gott sein. Du kennst weder Rache noch Eifersucht und würdest nie Menschen nur deshalb strafen, weil sie nicht an Dich glauben. Ich bitte Dich nicht um Erfolg bei unserem Coup, das wäre ein Verstoß gegen Deine Güte. Aber ich bitte Dich für mich, dass Du mein Leben segnest. Und ich verspreche Dir, dass ich nach dem Coup, ganz gleich, wie er ausgeht, mir die Zeit nehmen werde, mich intensiv mit Deiner Lehre zu beschäftigen.“ Als er den Kopf wieder aufrichtete, glaubte er, ein leises Lächeln über das unnahbare Gesicht des Buddha huschen zu sehen. Nur schwer riss er sich los und schlug dreimal eine der vielen Glocken, bevor er zum Hotel zurück fuhr. Die Überlieferung sagt, dass man zum Tempel zurückkehren wird, wenn man dort eine Glocke dreimal geschlagen hat.

Beim Auschecken sah man ihn an der Rezeption verlegen an, bei dem Stromausfall war der Buchungscomputer mit einem Plattencrash abgestürzt. Alle Gästedaten waren verloren, da nur einmal täglich um Mitternacht gesichert wird. Brav gab Andy die Aufenthaltsdauer und alle zusätzlichen Ausgaben an. Er hatte schon lange begriffen, dass ein großer Gauner sich nie mit kleinen Betrügereien abgeben darf, weil die immer am ersten bemerkt werden.

Siripong

Siripong Woraphrasittikhul war stolz auf seinen ersten Erfolg: Die Feststellung und Abschiebung des japanischen Gangsterbosses war seinen Aktivitäten zu verdanken. Sowohl das FBI als auch das japanische Kriminalamt hatten es begrüßt, dass Thailand nach jahrelanger Zurückhaltung nun eine unmittelbare Verbindung mit ihnen aufnahm, und Siripong umgehend mit den neuesten Informationen versorgt. Das FBI lieferte ihm die internationale Verbrecher-Bilddatei und das Phantombildprogramm mit dem letzten update. Die Japaner informierten ihn eine Woche später, dass Sakiro Mashohito, der Chef einer bei ihnen ansässigen Gangsterorganisation, dem sie direkt noch nichts nachweisen konnten, von Tokio nach Bangkok geflogen sei und gaben ihm die Codenummer aus der Bilddatei.

Aus den Immigrationsdaten stellte Sulak fest, dass der Japaner vor kurzem angekommen war. Die Hotelmeldeliste zeigte ihn als Gast im Oriental. Siripong hatte kaum etwas anderes erwartet. Er beriet sich mit General Pongsakorn. Da hier gegen den Mann nichts vorlag, konnte man ihn nur beschatten. Wenn er aber den Gems and Jewelry Tower betreten würde, waren seine Absichten klar und er konnte sofort ausgewiesen werden. Das hatte planmäßig geklappt. Einer seiner Begleiter war ein schon länger gesuchter einheimischer Gauner, gegen den anderen Thai lag nichts vor, aber er wurde erkennungsdienstlich behandelt und war damit für die Organisation „verbrannt“. Stolz gab Siripong ihre Daten für die Bilddatei weiter.

Am nächsten Tag meldeten sich die Japaner noch einmal. Mit demselben Flugzeug sei ein Amerikaner namens Andrew McCoolen nach Bangkok geflogen, der bei ihnen unbekannt war, sich jedoch in Tokio mit einem Japaner getroffen habe, der im Verdacht stand, Mitglied einer amerikanischen Verbrecherorganisation zu sein. Der Versuch, den Amerikaner zu fotografieren, sei leider misslungen. Auch diesen Namen fand Sulak in den Immigrationsdaten, jedoch in keinem Hotel. Entweder wohnte er bei Freunden oder im Sheraton, wo der Computer beim Stromausfall den Geist aufgegeben hatte. Hier kamen sie zunächst nicht weiter, denn sie konnten schlecht alle Farangs (Ausländer) in dem großen Haus nach ihren Namen fragen.

Siripong hatte von dem Stromausfall erfahren, der durch einen Blitzschlag in eine Mittelspannungsleitung verursacht worden war. Zwar kamen solche Ausfälle in Bangkok täglich vor und alle großen Hotels und Geschäftshäuser hatten Notstromaggregate, aber wenn er an die Ausstellung dachte, bekam er ein flaues Gefühl. Was wäre die Folge, wenn die Gangster einen Blackout hervorrufen würden? Zumindest ein Verkehrschaos auf den schon jetzt chaotischen Straßen der Innenstadt. Kein Polizeifahrzeug würde mehr durchkommen und die Verbrecher wären in der Dunkelheit kaum zu finden. Er musste wissen, wie sicher die Stromversorgung war und ihre Schwachstellen herausfinden. Doch davon verstand er nichts. Er konnte die Versorgungsunternehmen fragen, doch würden sie ihm freiwillig die Schwachstellen nennen? Kannten sie sie überhaupt? Jumroen gab ehrlich zu, von Datennetzen eine ganze Menge, von Energienetzen aber überhaupt nichts zu verstehen.

Als er am Abend Su von seinen Sorgen erzählte, kam ihr die richtige Idee: „Frag doch Wolf Lehman, vielleicht kann der dir die Sache erklären“, sagte sie, ohne lange zu überlegen. Wolfgang Lehmann war ein deutscher Ingenieur, der mal mit seiner Frau neben Siripong im Flugzeug gesessen hatte. Er hatte viele Jahre die Lastverteilung eines großen deutschen Stromversorgers geleitet und dort moderne Leittechnik eingeführt. Nach seiner Pensionierung hatte er im Auftrag des deutschen Entwicklungshilfe-Ministeriums die thailändische Landesverteilungsgesellschaft für eine zuverlässigere Versorgung beraten. Zwei Jahre hatte das Ehepaar in Bangkok gelebt und dabei Thailand lieben gelernt, mit Ausnahme des „Molochs“ Bangkok, wie sie zu sagen pflegten. Danach hatten sie sich in Bang Pa In, 40 km nördlich von Bangkok, ein schönes altes Thai-Haus gemietet, wo sie während des Winters lebten.

Wenn man Wolfgang nach seiner Tätigkeit in Thailand fragte, antwortete er zurückhaltend: „Sicher konnten wir einiges bewegen, aber den großen Durchbruch haben wir nicht geschafft. Zu starr ist das hierarchische System mit den vielen Führungsebenen, das jede Veränderung blockiert. Da Delegation von Verantwortung unbekannt ist, müssen sich selbst die höchsten Führungskräfte um alle möglichen Kleinigkeiten kümmern, wodurch sie keine Zeit haben, die langfristige Entwicklung des Unternehmens im Auge zu behalten. Und die bis ins kleinste Detail gehende Gängelung aus dem Ministerium führt dazu, dass sie zu unternehmerischen Entscheidungen gar nicht fähig sind. Aus Angst, falsch zu entscheiden, wird jahrelang überhaupt nicht entschieden. Dazu kam, dass unsere Beratung kostenlos war, so dass sie in den oberen Ebenen überhaupt nicht ernst genommen wurde: Was nichts kostet, kann keinen Wert haben. Trotzdem sucht man eifrig nach weiteren internationalen Donatoren, nur um deren mit viel Aufwand ausgearbeitete Vorschläge für eine bessere Effizienz ebenfalls in den Aktenschränken verstauben zu lassen, sobald sie nicht die bisherige Arbeitsweise bestätigen. Meine einzige Hoffnung ist, dass die fähigen jungen Leute, mit denen wir hervorragend zusammen gearbeitet haben, eines Tages zum Zuge kommen. Die Privatisierung wird diese Entwicklung beschleunigen.“ Versöhnlich fügte er dann hinzu: „Trotzdem sehe ich die zwei Jahre als i-Punkt auf meiner Berufslaufbahn an.“

Die Lehmanns hatten Siripong und Su schon ein paar Mal nach Bang Pa In eingeladen. Einmal hatten sie alle gemeinsam den dortigen königlichen Schlosspark besucht, wo Su ihnen den schönen Palast zeigte, den die chinesischen Kaufleute, darunter auch ihre Vorfahren, vor hundert Jahren dem König geschenkt hatten. „Heute würde man so etwas Korruption nennen“, sagte sie etwas verlegen. Die jungen Leute hatten das rüstige und lebenslustige alte Ehepaar schätzen gelernt. Sie wussten, dass sie die beiden als nächstes zu sich einladen mussten, aber wie die meisten Thais scheuten sie sich, in ihrem Haus Gäste zu empfangen.

Wolf Lehmann war genau der richtige Tipp, und Siripong dankte seiner Frau für die gute Idee. Schon am nächsten Tag war der Deutsche bei ihm im Büro und erläuterte ihm die Schaltbilder auf dem Monitor mit den vier auf der ganzen Welt ähnlichen Netzebenen:

das vermaschte 230-kV-Transportnetz mit den Kraftwerken und den großen Umspannstationen,