Himmelsspione - Ernst-Günther Tietze - E-Book

Himmelsspione E-Book

Ernst-Günther Tietze

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Im Auftrag einer ausländischen Macht "besorgt" der DV-Spezialist Ferdinand Wagner bei einem Rüstungsunternehmen die Konstruktionsdaten eines geheimen Flugobjektes. Der Rückzug aus dem bestohlenen Unternehmen entwickelt sich zu einer lebensgefährlichen Aktion, die er nur durch seine früheren Erfahrungen bei einer Spezial-Einsatztruppe bewältigen kann. Darauf beschließt er, derartige Aktivitäten künftig zu meiden. Bei seinem Auftraggeber lernt Ferdinand die junge Frau Tanja kennen, die die Aktion vorbereitet hat. Sie ist nach schlimmen Erlebnissen aus Weißrussland geflüchtet und noch stark traumatisiert, obwohl sie scheinbar ein normales Leben als Bankmanagerin führt. Durch seine behutsame Annäherung erreicht Ferdinand, dass sie die schlimmen Erinnerungen überwindet. Allmählich entwickelt sich zwischen den beiden eine tiefe Liebe, Tanja zieht zu Ferdinand und unterstützt ihn auch bei seinen vielfältigen Aufgaben, kleinere Firmen mit DV-Anlagen auszurüsten. Durch ihre rasche Auffassungsgabe wächst sie schnell in diese Technik hinein und wird zu einer wertvollen Hilfe. Mehrere ausländische Geheimdienste wollen Ferdinands Kenntnisse benutzen, um ebenfalls an die Daten des Rüstungsunternehmens zu kommen. Als er sich weigert, versuchen sie mit Anschlägen auf sein und Tanjas Leben, ihn zu erpressen. Nur die Aufmerksamkeit der beiden vereitelt diese Versuche, so dass die Erpresser festgenommen werden können. Dabei kann Ferdinand einen umfangreichen Rauschgiftschmuggel aufdecken. Bei diesen Aktivitäten gewinnt Ferdinand das Vertrauen der Leitung des Rüstungsunternehmens und entdeckt weitere Angriffe aus dem Internet auf geheime Unternehmensdaten. Darauf erhält er einen umfangreichen Untersuchungsauftrag, die Datenverarbeitung zu verbessern und gegen Angriffe von außen zu sichern. Als er einen Unfall erleidet und den Auftrag nicht weiterführen kann, bringt Tanja die Arbeit sehr erfolgreich zum Abschluss.

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Alle Bücher sind bei epubli als Taschenbuch und e-Book erschienen.

Ernst-Günther Tietze

Himmelsspione

Drohnen und andere Flugkörper

Kriminalroman

Ernst-Günther Tietze „Himmelsspione“

© Copyright 2012 Ernst-Günther Tietze Hamburg

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-0493-5

Inhalt

Prolog

Datenverarbeitung

Offenbarungen

Berlin

Näherungen

Prolog

Dieser Roman beginnt mit einer Spionageaktion in einem deutschen Rüstungsunternehmen im Auftrag einer ausländischen Macht, die beinahe ein lebensgefährlicher Misserfolg wird und nur durch große Umsicht doch noch gelingt. Allerdings zieht diese Aktion unvorherge-sehene kriminelle Folge-Aktivitäten anderer Mächte nach sich, die sich wiederum lebensgefährlich auswirken.

Dieser Roman beginnt mit einer Spionageaktion in einem deutschen Rüstungsunternehmen im Auftrag einer ausländischen Macht, die beinahe ein lebensgefährlicher Misserfolg wird und nur durch große Umsicht doch noch gelingt. Allerdings zieht diese Aktion unvorherge-sehene kriminelle Folge-Aktivitäten anderer Mächte nach sich, die sich wiederum lebensgefährlich auswirken. .

Da durch diese Aktionen die Sicherheitslücken bei dem Rüstungsun-ternehmens offenbar werden, beauftragt das Unternehmen den Soft-wareingenieur mit einer umfangreichen Erneuerung der veralteten DV-Anlage. Um diesen Auftrag zu bewältigen, nimmt er seine Freun-din in sein Unternehmen auf und die beiden versuchen, ihre Schuld durch eine angemessene Spende zu sühnen.

Datenverarbeitung

Der Fahrstuhl stöhnte laut, als er mit einem Ruck seine Abwärtsfahrt stoppte, aus der Anzeige ging hervor, dass er zwischen dem 14. und 13. Stockwerk hing. Ferdinand Wagner erstarrte. Im ersten Moment wollte er den Alarmknopf drücken, doch noch rechtzeitig kam ihm zum Bewusstsein, dass seine geheime Mission damit bekannt würde. Bisher wusste ja niemand von seinem Eindringen in das Gebäude der Helios AG. Instinktiv fasste er in die Innentasche seiner Jacke, die kleine USB-Platte war noch da. „Verdammt“, dachte er, „bisher ist doch alles so schön gelaufen und jetzt, im letzten Augenblick kommt mir dieser Scheißfahrstuhl in die Quere!“

Am Freitag nach Himmelfahrt war es der attraktiven Betsy, einer schlanken jungen Frau, deren richtigen Namen kaum jemand kannte, gelungen, in der Venus-Bar Herrn Dr. Otto Luising, den DV-Chef der Helios-Werke für sich zu interessieren. Sie hatte sich mit ihm über alles Mögliche unterhalten, nur nicht über Technik und Datenverarbeitung. Als er einmal davon anfing, hatte sie abgewinkt, davon verstünde sie nichts, sie sei Musiklehrerin und koordiniere jetzt im Kultusministerium den Musikunterricht an den Gymnasien. Ihn faszinierte ihre Angewohnheit, ab und zu eine Haarsträhne am Kopf zu fassen und langsam zwischen den Fingern bis zum Ende gleiten zu lassen, das hatte er noch bei keiner Frau gesehen. Und dass sie fantastisch tanzte, beeindruckte ihn auch mächtig. Beim Zahlen legte sie Wert darauf, ihre Rechnung selber zu begleichen, worauf er sie für Samstag Mittag zu einer Dampferfahrt einlud.

Sie trafen sich an der Anlegestelle und er bewunderte ihr elegantes Outfit, das sich sehr von der legeren Kleidung gestern Abend in der Bar unterschied. Heute trug sie ein elegantes halblanges Kleid ohne Ärmel, das mit großen Mohnblumen bedruckt war. Ihre Füße zierten rote hochhackige Sandaletten, und ein breiter Korallenarmreif war ihr einziger Schmuck. Sie fuhren zu den teuren Seeterrassen, wo sie hervorragend dinierten und anschließend eine Weile im Sonnenschein spazieren gingen. Dr. Luising fragte sie etwas über ihr Leben aus und sie erfand eine geschiedene Ehe mit einem Macho. Er behauptete, Witwer zu sein und sie ließ es sich gerne berichten, wusste sie doch genau, dass er mit der Einkaufsleiterin einer Supermarktkette verheiratet war, die sich zurzeit auf einer Dienstreise in den Staaten befand. Zur Kaffeezeit waren sie wieder im Restaurant und gönnten sich Kaffee mit Torte und einen Remy Martin. Danach brachte der Dampfer sie zurück in die Stadt und Dr. Luising bestellte eine Taxe, um Betsy nach Hause zu bringen.

Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn schon auf ein Glas Wein zu sich bitten durfte, aber als er sich vor der Haustür verabschieden wollte, tat sie es einfach und er biss an. In der Diele der für kurze Zeit unter falschem Namen gemieteten Wohnung nahm sie ihm die Jacke ab und hängte sie an die Garderobe. Sie hatte einen guten Rotwein und machte schnell ein paar Käseschnittchen, die sie im Wohnzimmer genossen, Otto hatte sich neben ihr auf das Sofa gesetzt. Als sie ihm beim Anstoßen in die Augen und dann auf den Mund blickte, war es um ihn geschehen, er nahm sie in die Arme und küsste sie, was sie natürlich gerne erwiderte. Immer heißer wurden die Küsse, bis er die Träger ihres Kleides herab streifte, ihren BH öffnete und die hübschen kleinen Brüste streichelte. Da zog sie ihm das Hemd aus und drückte sich an ihn, wobei sie seine Erektion fühlte. Nachdem sie ihm auch die Schuhe ausgezogen hatte, öffnete sie den Gürtel und zog die Hosen herunter, dann küsste sie behutsam den Kopf des Phallus. „Komm“, flüsterte sie und zog ihn ins Schlafzimmer. Auf dem breiten Bett ließ sie sich von ihm vollständig entkleiden und streichelte ihn sachte, was er gerne erwiderte.

Sie musste ja Zeit gewinnen, denn Ferdinand, der in der Besenkammer wartete, durchsuchte inzwischen Dr. Luisings Jacke nach seiner Schlüsselkarte. Er fand sie schnell in der Brieftasche und kopierte den Chip mit einem Spezialgerät. Die Suche nach dem Passwort war schwieriger. Schließlich fand er im Adressbuch unter Helios den Begriff „1siulorD“, der ihm wie ein Passwort vorkam, aber keinen Sinn ergab und auch schwer merkbar war. Die Ziffer am Anfang und der große Buchstabe am Ende brachte ihn auf die Idee, das Wort sei vielleicht rückwärts geschrieben und er las von hinten: „Droluis1“, das musste es sein, denn darin war der Name versteckt.

Schnell verließ er die Wohnung und pfiff auf dem Hof den River Kwai Marsch, das war das Zeichen für Betsy. Sie zog ihrem Gast ein Kondom auf und bereitete ihm große Lust, das war sie ihrer Ehre schuldig. Doch auch sie genoss die Gemeinschaft mit diesem Gast, so zärtlich und behutsam gingen wenige mit ihr um. Er blieb noch eine Stunde bei ihr, dann verabschiedete er sich freundlich. Als sie sagte, dass sie am nächsten Tag für eine Weile verreisen müsse, war er traurig.

Am Sonntag früh gab ein Gärtnerbote einen Strauß roter Rosen bei ihr ab, fast tat es ihr leid, diesen Mann hintergangen zu haben, so angenehm war er gewesen. Dann verließ sie die Wohnung auf Nimmerwiedersehen, der Auftraggeber würde sich um alles kümmern.

Im Laufe der Woche hatte Ferdinand sich die Helios-Werke an der Schleißheimer Straße in Milbertshofen genau angesehen, den 15-stöckigen Büroturm für Entwicklung, Konstruktion und Verwaltung, in dessen oberstem Stockwerk sich die DV-Zentrale befinden sollte, und die lang gestreckten flachen Fertigungsgebäude. Mit den kopierten Daten hatte er eine Schlüsselkarte hergestellt, die ihm den unbegrenzten Zugang in die DV-Anlage ermöglichen sollte. Durch einen Zugang im Keller des Gebäudes war er heute, am späten Abend des Pfingstsonntages mit Dr. Luisings Schlüsselkarte ins Gebäude gelangt, im Fahrstuhl direkt in den 15 Stock gefahren und ebenfalls mit der Schlüsselkarte problemlos in die zentrale Rechenanlage gelangt. Natürlich trug er Handschuhe, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen.

Er musste sich erst mal umsehen, um einen Überblick zu gewinnen. Die ganze Anlage war mindestens sieben Jahre alt, längst nicht mehr auf dem Stand der Technik. Zwei Gruppen mit je fünf großen Servern waren in der Mitte des Raumes aufgestellt, so weit voneinander entfernt, dass automatische Brandschutztüren dazwischen einfahren konnten. In einem Nebenraum, der wohl den Programmierern diente, gab es drei weitere Rechner mit Bildschirmen und Tastaturen.

An der Wand sah er eine Übersicht über das gesamte Rechnernetz des Hauses, zu dem insgesamt 473 Rechner gehörten. Es war in die fünf Gruppen Entwicklung, Konstruktion, Fertigung, Vertrieb und Verwaltung eingeteilt, deren einzelne Rechner jeweils mit den zugehörigen Servern in beiden Clustern verbunden waren. Die Cluster hatten eine doppelte Verbindung untereinander. Zu jedem Cluster gehörten ein kleiner Bedienrechner mit Tastatur und Bildschirm und ein Internetzugang, die jeweils auf die Server des Clusters zugreifen konnten. Die Internetzugänge waren über innere Router, spezielle, aufgabenbezogene Server und weitere externe Router gegen unkontrollierte Zugriffe von außen geschützt. Dies Verfahren ist als Demilitarisierte Zone (DMZ) bekannt. Von den Vertriebsservern waren VPN-Tunnel über die DMZ zu einer großen Zahl von Außenstellen eingerichtet.

Das Zugangskontrollsystem des Hauses lief parallel auf zwei Rechnern, die jeweils an die Verwaltungsserver angeschlossen waren. Außerdem gab es ohne Verbindung zum System eine Videoüberwachung für das Gebäude, auch veraltet, noch mit Bändern.

Nachdem Ferdinand das Übersichtsbild fotografiert hatte, schaltete er einen der Bedienrechner ein und war gespannt, ob das Passwort stimmte. Er hätte beinahe laut gejubelt, als sich ihm damit das gesamte Datensystem öffnete. Als Betriebssystem lief eine ältere UNIX-Version, die er gut kannte. In den Konstruktionsdateien fand er bald die gesuchten Dateien über das von dieser Firma entwickelte Drohnensystem „Heliofighter“. Erfreut stellte er fest, dass immerhin die Bedienrechner ganz neu waren, so konnte er schnell die 500 GB Daten aus dem Konstruktionsserver auf seine Platte kopieren. Im Besucherlogbuch löschte er seinen Eingang ins Gebäude und in der Videoüberwachung das letzte Band. Dann stoppte er die Video-Anlage, ohne dass eine Meldung in die Pförtnerloge gegeben wurde. Zuletzt hinterlegte er in den Routingtabellen der externen Router die IP-Adresse eines Servers in Russland für sich, über die er jederzeit auf die Daten zugreifen könnte. Dann verließ er frohgemut die Anlage, hier war auch der Ausgang nur mit der Schlüsselkarte möglich.

Und nun hing er hier im Fahrstuhl fest und hatte niemanden, der ihm helfen konnte! Er schaltete sein Handy ein, doch wie erwartet hatte er in der Kabine kein Netz, er wusste auch gar nicht, wen er anrufen könnte. Für einen kurzen Moment überfiel ihn Panik, doch gleich hatte er sich wieder im Griff und dachte nach. Wenn der Portier die Störung bemerkt hatte und den Fahrstuhl wieder in Gang setzen konnte, würde er ihn in der Kabine entdecken, er musste also den Fahrstuhl irgendwie verlassen. Er sah sich um. Die Kabine war etwa 3 m breit und 2 m tief. Die Rückwand wurde von einem Spiegel voll bedeckt, an den Seitenwänden waren Bedienungshinweise und der aktuelle Speiseplan der Betriebskantine angebracht. In der 2,20 m hohen Decke gab es eine Klappe für Wartungszwecke, die er aber nur eben mit den Fingerspitzen erreichen konnte.

Er sprang mit ausgestreckten Armen hoch und die Platte gab ein Stückchen nach oben nach, fiel aber wieder in die Halterung zurück. Also brauchte er noch mehr Wucht, deshalb duckte er sich und schnellte mit aller Kraft gegen die Platte, die jetzt ein Stück zur Seite rutschte. Doch dabei verlor er die Balance und stürzte zu Boden. Seine linke Schulter schmerzte, er hatte sie beim Fall geprellt, doch darauf konnte er jetzt nicht achten. Noch einmal sprang er hoch, so dass er die Öffnung mit beiden Händen greifen und sich auf das Dach der Kabine ziehen konnte. Als er sich im Dämmerlicht des Fahrstuhlschachtes umschaute, entdeckte er die Metallsprossen einer Leiter an der Wand, das hatte er nicht zu hoffen gewagt. Damit sein Ausstieg nicht auffiel, schloss er die Klappe, dann stieg er die Leiter hoch, bis er das Fahrstuhlhaus auf dem Dach erreichte. Die Tür war unverschlossen und im Widerschein der Straßenbeleuchtung konnte er ein wenig erkennen.

Doch als er im Treppenhaus nach unten gehen wollte, erlebte er die nächste unangenehme Überraschung: die Tür war mit einem normalen Sicherheitsschloss verschlossen, die Schlüsselkarte war nutzlos. Immerhin fand sein Handy jetzt ein Netz, aber wen sollte er anrufen? Schließlich war er freiberuflicher DV-Berater ohne Mitarbeiter und auch ohne persönlichen Anhang. Und seinen Auftraggeber würde er erst als allerletztes um Hilfe bitten. Zuerst musste er selber versuchen, klar zukommen, schließlich war er zehn Jahre bei der GSG9 für alle Eventualitäten geschult worden. Als er sich umsah, fand er die Kühlaggregate der beiden Klimaanlagen für das Rechenzentrum, von denen dicke Rohre hinab gingen. Als letzte Möglichkeit wäre dieser Weg vielleicht geeignet, das ging aber nicht ohne Zerstörung, und er wollte, wenn irgend möglich, keine Spur hinterlassen.

Er blickte an verschiedenen Stellen über die 1 m hohe Brüstung, bis er ein angekipptes Milchglasfenster sah, das anscheinend zu einer Toilette im darunter liegenden Rechnergeschoss gehörte. Direkt darüber war ein Haltebügel für die Fensterputzer einzementiert. Diese Möglichkeit musste er nutzen, wobei ihm die Gefahr bewusst war, dass er bei der geringsten Ungeschicklichkeit fünfzehn Stockwerke hinab stürzen würde. Er zog das Hemd aus und drehte daraus ein Band, das er mit einem Spezialknoten an dem Bügel befestigte, um zusätzlichen Halt zu haben. Dann kletterte er über die Brüstung und ließ sich mit den Händen an dem Bügel hinab gleiten, bis er auf dem unteren Rahmen des Fensters stand. Sich mit der einen Hand an seinem Hemd zu halten und mit der anderen das angekippte Fenster zu öffnen, war dann kein Problem mehr für ihn. Er kletterte hindurch, entknotete sein Hemd und zog es hinein, dann kippte er das Fenster wieder an.

Er war in einer Damentoilette im Treppenhaus des Rechenzentrums außerhalb der Anlage gelandet. Jetzt wollte er nur noch raus. Als er die 16 Treppen bis zum Keller hinab stieg, sah er, dass der Fahrstuhl noch immer zwischen dem 14.und 13. Stock hing. Entweder war der Pförtner eine Schlafmütze oder hatte keine Meldung bekommen. „Wenn ich nicht aus der Kabine heraus geklettert wäre, würde ich darin verhungern“, dachte er. Fünf Minuten später brauste er mit seinem BMW davon.

Zu Hause trennte Ferdinand einen Rechner von seiner Anlage und wählte sich von diesem über verschiedene ausländische Server zu seinem geheimen Zugang in das Datensystem der Helios AG ein, ohne dass sein Weg nachverfolgt werden konnte. Als erstes löschte er in der Zugangs-Überwachung seinen Ein- und Ausgang in die Rechenanlage. Jetzt konnte niemand mehr feststellen, dass Dr. Otto Luising über Pfingsten die Anlage betreten hatte. Dann löschte er im Logbuch des Bediencomputers alle seine Aktivitäten und im Protokollsystem den Zugriff von außen. Im Router konnte er ihn nicht löschen, weil er noch verbunden war, aber er änderte den Zugriff auf „abgewiesen“. Von seiner mobilen Platte zog er eine Kopie für seinen Auftraggeber und schickte ihm eine Mail, er würde sich Montag gegen 10 Uhr einfinden, um seinen Auftrag abzuschließen. Zufrieden schlief er ein, ohne von Daten oder Kletterei zu träumen.

Am Pfingstmontag früh war in der Helios AG der Teufel los. Der ablösende Pförtner bemerkte, dass der Fahrstuhl zwischen zwei Stockwerken hing. Der Nachtpförtner, ein alter Herr, der in der Fertigung nicht mehr zu gebrauchen war, hatte gemeint, da niemand außer ihm im Gebäude sei, müsste er nichts unternehmen. Der alarmierte Sicherheitschef ließ den Fahrstuhl durch die Wartungsfirma prüfen, eine ausgelöste Stromsicherung war die Ursache. Als er vorsichtshalber die Bänder der Videoüberwachung prüfen wollte, stellte er fest, dass die Anlage stand und das aktuelle Band leer war. Dr. Luising, in dessen Zuständigkeit die Anlage fiel, wurde gerufen und wies nur lakonisch auf ihr Alter hin, er habe schon seit einem Jahr in mehreren Aktenvermerken ihre Erneuerung gefordert. Die vom Sicherheitschef angeordnete Prüfung der Zugangsüberwachung ergab keinen Eintritt ins Gebäude außer der Ankunft des Pförtners und keinen Eintritt ins Rechenzentrum, seit der letzte Programmierer Freitag das Haus verlassen hatte. Vorsichtshalber prüfte Dr. Luising noch einige wichtige Funktionen des Systems, fand aber nichts Auffälliges. Daraufhin fuhr er beruhigt nach Hause zu seiner Frau, die am Samstag von ihrer Reise zurückgekommen war.

Ganz anders sah es an diesem Morgen im russischen Generalkonsulat aus. Als Ferdinand um 10 Uhr erschien, saßen im Konferenzraum neben seinem Auftraggeber, dem Vizekonsul Andropow, auch der Militärattaché und zwei Fachleute von der Botschaft in Berlin, die schon am frühen Morgen eingeflogen waren. Ein Beamer stand bereit, an den Ferdinand seinen Laptop mit der externen Platte nur noch anzuschließen brauchte, um fast eine Stunde lang seine erfolgreiche „Datenverarbeitung“ zu präsentieren, wobei er den geheimen Zugang in das Datensystem der Helios verschwieg. Ausrufe des Erstaunens und der Anerkennung kamen aus den Mündern der Berliner, dann stellte der Vizekonsul Gläser und eine Flasche Wodka auf den Tisch. Mit den Worten: „Herr Wagner, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer tadellosen Arbeit, das muss gefeiert werden!“, goss er jedem ein Glas voll.

Ferdinand erhob sich und dankte, doch er hatte auch etwas zu sagen: „Es ist mir wichtig darauf hinzuweisen, dass ich ohne die hervorragende Vorarbeit der Agentin Betsy, die ja bis zum körperlichen Einsatz gegangen ist, nie in das Datensystem der Helios hinein gekommen wäre.“ Dann wies er die Russen darauf hin, dass er in seinem Büro alle Helios-Daten in sämtlichen Speichern unwiederherstellbar löschen werde. Das sei er sich aus Sicherheitsgründen schuldig, falls er irgendwie ins Visier der Behörden geraten sollte. Die Spezialisten sollten also möglichst die Platte, die er ihnen überreichte, gleich noch einmal in ihre Rechner kopieren.

Nachdem die Berliner die Platte kopiert hatten, gab der Vizekonsul bekannt, dass der Konsul die Gesellschaft zu einem Essen eingeladen habe. Also begab man sich in den komfortabel ausgestatteten Speiseraum des Konsulats, wo Ferdinand zu seinem Erstaunen Betsy vorfand und herzlich begrüßte, denn er war ihr durchaus dankbar. „Ja, nachdem Sie die Dame so exquisit gelobt haben, war ich der Meinung, wir sollten sie zu diesem Festessen hinzu laden“, sagte schmunzelnd ein älterer Herr, den ihm der Vizekonsul als Generalkonsul Bachurin vorstellte. Befrackte Diener servierten ein opulentes russisches Menü mit viel Alkohol, bei dem sich Ferdinand aber zurück hielt, weil er mit dem BMW gekommen war.

Auch Betsy trank nur wenig, aber beide mussten natürlich die Toasts beantworten, die auf sie ausgebracht wurden. Immer wieder musterte Ferdinand verstohlen diese attraktive Frau, die ihm an der Tafel gegenüber saß. Sie war etwa Ende zwanzig, groß und schlank und trug ein tadellos geschnittenes, unauffällig elegantes hellblaues Kostüm. Ihre offen getragenen langen kastanienbraunen Haare waren ebenso bezaubernd wie ihre starken Brauen über den grünen Augen, die griechische, von der Stirn gerade verlaufende Nase und das schön geschwungene Kinn. Die Lippen waren unauffällig rot nachgezogen, die Fingernägel in Perlmutt lackiert. An ihren Ohren hingen goldgefasste blaugrün leuchtende Opalhänger und am rechten Ringfinger trug sie einen goldenen Ring mit einem großen, unregelmäßig geschnittenen ebenso leuchtenden Opal. Insgesamt machte sie einen sehr lebhaften Eindruck, der noch stärker wirkte als ihre Schönheit. Ab und zu fasste sie eine Haarsträhne am Kopf und ließ sie zwischen den Fingern bis zum Ende gleiten, das fand er interessant. Schon bei der ersten Begegnung, bei der sie die Behandlung des Dr. Luising abgesprochen hatten, war Ferdinand von ihr fasziniert gewesen.

Die Frau merkte natürlich genau, wie intensiv ihr Gegenüber sie betrachtete, sie war sich ihres Eindrucks auf Männer durchaus bewusst. Wenn er sich mit dem Vizekonsul unterhielt, betrachtete sie ihn heimlich genauer, denn sie hatte ihn schon bei ihrem ersten Treffen interessant gefunden. Er musste Anfang 40 sein, groß, mit kurzen blonden Haaren und wachen blaugrauen Augen. Seine Nase war ziemlich lang und sein Mund machte einen energischen Eindruck. Vor allem seine Hände beeindruckten sie mit den langen schmalen Fingern. Den kurzen Gedanken, wie diese Hände wohl liebkosen könnten, verwarf sie schnell wieder, das wollte sie überhaupt nicht wissen. Er hatte eine angenehme warme, aber nicht zu tiefe Stimme.

Ferdinand hatte schon früher kleinere DV-Aufträge für das Generalkonsulat erledigt. Vor drei Wochen hatte ihn der Vizekonsul mit der Frage überrascht, ob er in der Lage sei, bei der Helios AG die Konstruktionsdaten der neu entwickelten Kampfdrohne Heliofighter zu entwenden. Da erinnerte er sich, was er über Drohnen in der Schule gelernt hatte: „Eine Drohne ist eine stachellose männliche Biene, Hummel, Wespe oder Hornisse, die auf einem Jungfernflug junge Königinnen begattet.“ Der Begriff „begatten“ war ihm damals fremd gewesen, aber die heutige Bedeutung der Drohne als unbemannte Flugkörper kannte er natürlich.

Neben dem recht hohen Preis von 95.000,- € hatte Ferdinand dem Russen die Voraussetzungen genannt: Er müsse einen offiziellen Auftrag für „Planung und Einrichtung einer neuen DV-Anlage beim Generalkonsulat“ mit Angabe des Preises erhalten, außerdem müsse er die Schlüsselkarte des Leiters der DV-Abteilung kopieren und möglichst an sein Passwort kommen. Vor einer Woche lief der Auftrag bei ihm ein, kurz darauf rief der Vizekonsul ihn an, der DV-Chef heiße Dr. Otto Luising und seine Frau sei bis Pfingsten verreist. Er habe eine Dame aufgefordert, Dr. Luising in einer angemieteten Wohnung ins Bett zu locken, derweil könne er, Ferdinand die Schlüsselkarte kopieren und nach dem Passwort suchen. Am Himmelfahrtstag sollte er sich mit der Dame im Café Glockenspiel treffen, um die Einzelheiten zu besprechen. Ferdinand war schon bei diesem Treffen von ihrer Eleganz und natürlichen Sicherheit außerordentlich beeindruckt gewesen, bisher hatte er keinerlei Erfahrungen mit derartigen Frauen gehabt. Vor allem ihre ziemlich tiefe, aber wohlklingende Stimme mit dem leichten russischen Akzent gefiel ihm sehr.

Er hatte ihr gesagt, sie müsse den Herrn mindestens eine halbe Stunde lang so intensiv beschäftigen, dass er an nichts anderes denken könne, und sie hatte gefragt, wie er sich diese Beschäftigung denn denke. Na, sie könne ja vielleicht ein paar Partien Mensch ärgere dich nicht mit ihm spielen, hatte er grinsend geantwortet, worauf sie, ebenfalls lachend einwarf, sie wisse ja gar nicht, ob er dieses Spiel kenne. Da würde sie doch lieber ein Spiel wählen, das jedem Mann angeboren sei. Dieser Scherz hatte sie noch mehr für ihn eingenommen und er wollte versuchen, nach dem Menü ein wenig mit ihr zu sprechen, vielleicht war sie ja ansprechbar. Nachdem man zwei Stunden getafelt hatte, bekamen Betsy und Ferdinand ihre Schecks und verließen zufrieden das Generalkonsulat.

Offenbarungen

„Ich habe zu viel getrunken, um gleich nach Hause zu fahren, haben Sie vielleicht Lust zu einem kleinen Spaziergang? Wir haben uns ja in unserem Vorbereitungsgespräch kaum richtig kennen gelernt“, fragte Ferdinand, als sie das Generalkonsulat verließen. „Gerne“, antwortete die Frau, „mir geht es eigentlich ebenso. Laufen wir also ein Stück. Ich möchte mich auch noch bei Ihnen bedanken, Sie müssen ja wahre Lobeshymnen über mich gesungen haben.“ „Nun ja, Sie haben mir doch durch Ihre Aktivität erst die Möglichkeit gegeben, meine Aufgabe in diesem Spiel auszuführen, das dann noch sehr gefährlich für mich wurde“, antwortete er. Auf Tanjas fragendes Gesicht berichtete er sein gefährliches Herauskommen aus dem Helios-Gebäude.

Gerne hätte er etwas mehr über diese interessante Frau erfahren, wollte sie aber nicht kränken. „Ich habe eine Frage, mit der ich Sie keineswegs beleidigen will und die sie mir nicht beantworten müssen“, brachte er schließlich heraus. „Ich weiß schon, was Sie fragen wollen“, lachte Betsy mit ihrer vollen warmen Stimme, die es ihm schon bei der ersten Begegnung angetan hatte, „nämlich, wie eine attraktive und einigermaßen intelligente junge Frau zu solch einem Job kommt. Vielleicht werde ich Ihnen die Frage irgendwann beantworten, wenn wir uns näher kennen und Sie mir im Gegenzug erklären, wie ein DV-Spezialist dazu kommt, für die Russen Industriespionage zu betreiben. Denn dass die Helios keine Kochtöpfe herstellt, ist doch allgemein bekannt.“ „Sie haben Recht“, lachte Ferdinand nun auch, „genau das wollte ich Sie fragen. Und ich verspreche Ihnen, mich zu öffnen, wenn Sie meine nicht gestellte Frage beantworten.“

„Zunächst nur so viel“, fuhr Betsy fort. „Ich habe in meiner weißrussischen Heimat Fürchterliches erlebt und diese Nebenbeschäftigung hilft mir, das Trauma zu bewältigen. Übrigens, Betsy ist nur mein Pseudonym bei diesen Aktivitäten, im normalen Leben bin ich Bankmanagerin und heiße Tatjana, aber meist werde ich nur Tanja genannt.“ Da die beiden gerade an einem kleinen Café vorbei kamen, sah Ferdinand die Gelegenheit, das Gespräch noch eine Weile fortzusetzen und lud die Frau zu einer Tasse Kaffee ein, was sie gerne annahm. Bewundernd blickte er auf ihre schlanken Hände, mit denen sie die Tasse hielt, aber immer wieder auch in ihr schönes Gesicht.

Tanja genoss seine Blicke, irgendwie faszinierte sie dieser Mann. Er war anders als die meisten Männer, die sie bisher kennen gelernt hatte, und seine Erzählung von den gefährlichen Folgen des stecken gebliebenen Fahrstuhls hatte sie angerührt. „Es ist seltsam“, begann sie, nachdem sie die Tasse abgesetzt und tief Luft geholt hatte, „ich hatte schon bei unserem ersten Treffen am Gründonnerstag großes Vertrauen zu Ihnen, was bei mir sonst ganz selten ist und deshalb will ich Ihnen jetzt doch etwas über meinen Grund für diese Tätigkeit erzählen. Dafür muss ich in meine Jugend zurückgreifen: Ich bin vor 30 Jahren in Minsk als Tochter eines Gymnasiallehrers und einer Sekretärin geboren worden, also gut bürgerlich. Das war noch in der Sowjetunion und mein Vater war begeisterter Kommunist. Meine Mutter hält dagegen mehr von der Kirche. Sie gehört zu den wenigen römisch katholischen Christen in unserem Land, die große Mehrzahl ist orthodox. Meine Eltern hatten eine Art Gentlemans Agreement abgeschlossen, dass jeder dem anderen seine Einstellung lässt. Ich übernahm den Glauben meiner Mutter und es war selbstverständlich, dass ich das Abitur machen und studieren würde.

1992 stellte die Firma, in der meine Mutter arbeitete, ihre Verwaltung auf Computer um und sie meldete sich zur Ausbildung als Systemadministratorin. Mein Vater, der seine kommunistische Vorliebe jetzt an die neue Regierung angepasst hatte, war dagegen, aber sie setzte sich zum ersten Mal durch und brachte später sogar einen kleinen PC mit nach Hause. Natürlich durfte ich auch daran üben und erste Erfahrungen sammeln. Als ich 15 war, hatte ich genug gelernt, um meine Schulaufgaben mit Hilfe des gerade aufkommenden Internet zu erledigen. Da meine Mutter sich immer für die deutsche Sprache interessiert hatte, ließ sie mich in der Schule ebenfalls Deutsch lernen, was mir große Freude machte. Heute bin ich ihr dankbar dafür. Sie haben vielleicht von den Verhältnissen in Weißrussland gehört. Ich war gerade 18 geworden, als ich mich mit einigen Mitschülern über die politischen Verhältnisse ereiferte. Über das Internet informierten wir uns über demokratische Werte, die im Unterricht tabu waren, und posteten Proteste gegen die Diktatur von Lukaschenko. Als wir in der Schule protestierten, wurde uns mit Relegation gedroht, darauf zogen wir in einer größeren Gruppe friedlich zum Präsidentenpalast und hielten Schilder hoch, auf denen wir Lukaschenko zum Rücktritt aufforderten. Ein paar hundert Meter vor dem Ziel prügelten plötzlich vermummte Milizionäre mit Schlagstöcken auf uns ein. Dann griffen zwei von ihnen mich, fuhren mich in einem Mannschaftswagen zum Vostrau-Park und vergewaltigten mich nacheinander am Ufer. Danach fuhren sie einfach weg und ließen mich liegen.

Nach einiger Zeit rappelte ich mich auf und ging nach Hause. Ich schämte mich, meinen Eltern von dem Erlebnis zu erzählen. Mein Vater als Anhänger Lukaschenkos hätte mich wahrscheinlich beschimpft und meine Mutter stand fast immer unter seiner Fuchtel. Aber ich hatte genug von diesem Land und wollte nur weg, möglichst nach Deutschland. Im Internet suchte ich mir eine Strategie zusammen, wie ich am besten hinkäme. Auf jeden Fall musste ich durch Polen und ich wusste, dass unsere Grenzer ziemlich scharf sind, da blieb nur ein illegaler Übergang, am besten bei Brest. Von dort könnte ich weiter direkt nach Deutschland, z. B. bei Görlitz. aber es hieß, dass die Deutschen ihre Grenzen auch sehr scharf bewachen und die Österreicher viel lockerer seien. Also entschied ich mich, über Brno in Tschechien nach Wien zu kommen und von dort nach München weiter zu fahren, denn ich hatte irgendwo gehört, dass hier die Anerkennung als politischer Flüchtling besonders leicht sein sollte. Auf die Idee, mich im Internet darüber zu informieren, kam ich nicht.

Am nächsten Morgen kleidete ich mich gepflegt, um unterwegs nicht unangenehm aufzufallen, und packte meinen Pass und eine Taschenlampe ein. Dann plünderte ich mein Sparkonto, tauschte DM ein, die überall akzeptiert wird, und fuhr nach Brest. Fünf Kilometer weiter bildet der Bug die Grenze nach Polen. Ich wartete am Ufer, bis es dunkel war, packte meine Sachen zu einem Bündel, das ich über dem Kopf tragen konnte, und schwamm über den Fluss, mein Zeug war kaum nass geworden. Morgens stieg ich in Terespol in den nächsten Zug nach Warschau und fuhr von dort weiter nach Brno. Die Tschechen gaben sich an der Grenze mit meinem Pass zufrieden. Obwohl ich zweimal umsteigen musste, hatte ich im Zug etwas essen und eine ganze Weile schlafen können. Eine halbe Stunde später stieg ich in einen Zug nach Znojmo, acht Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt. Beim nahen Nationalpark ging ich im Dunkeln über die Grenze und ein ganzes Stück weiter bis kurz vor dem nächsten Dorf. Bis zum Morgen schlief ich im Wald, fuhr mit dem nächsten Bus nach Wien und von dort weiter nach München. Da ich illegal eingereist war, traute ich mich nicht in ein Hotel, sondern suchte mir auf dem Stadtplan ein unbewohntes Gebiet zum Schlafen, das ich mit der S-Bahn erreichen konnte, es war in der Gegend von Schleißheim.

Am Morgen ging ich zur Ausländerbehörde, wo ich im Warteraum eine Druckschrift fand, dass politische Flüchtlinge nur aus Ländern anerkannt würden, die an die Bundesrepublik angrenzen. Wenn ich mich jetzt meldete, würde meine Herkunft der Behörde offenbar und ich könnte sofort ausgewiesen werden. Das war zu viel für mich, ich war an den letzten Tagen sechzehnhundert Kilometer durch Europa gefahren, hatte einen Fluss durchschwommen und drei Nächte im Wald geschlafen, jetzt war ich vollkommen fertig und verzweifelt. Fluchtartig verließ ich die Behörde und irrte durch die fremde Stadt, bis ich die Frauenkirche fand. Ich bin ja kein sehr gläubiger Mensch, aber irgendetwas zog mich hinein, weil sie mir als Katholikin vertraut war. Drinnen fand ich die Schutzmantelmadonna, sie wirkte auf mich wie eine Mutter, der ich meine Sorgen offenbaren konnte. Weinend warf ich mich vor ihr auf den Boden und flehte sie um Hilfe an. Dort fand mich eine ältere Dame, die meine Verzweiflung erkannte, sie fragte vorsichtig und ich erzählte ihr alles. Sie war die Ausländerbeauftragte der Stadt und kannte sich gut mit den Bestimmungen für politische Flüchtlinge aus. Noch am selben Tag brachte sie mich zu einer Ärztin, die die noch erkennbaren Spuren der Vergewaltigungen drastisch dokumentierte und mir empfahl, nach sechs Tagen wiederzukommen, um einen Bluttest auf Schwangerschaft machen zu lassen. Dann besorgte mir die Dame erst mal eine Unterkunft. Der Test war dann positiv, die Schwangerschaft konnte nur durch die Vergewaltigung entstanden sein. Das Attest der Ärztin und meine guten Deutschkenntnisse sprachen für mich, so dass diese Dame zunächst eine befristete Aufenthaltsgenehmigung für mich und nach einem halben Jahr gegen alle Regeln meine Anerkennung als politischer Flüchtling erreichte. Sie vermittelte auch eine Abtreibung, denn natürlich wollte ich kein Kind von diesen Verbrechern zur Welt bringen. Mit zwei Jahren Zeitverlust konnte ich das Abitur machen und danach eine Banklehre absolvieren, weil mir für ein Studium das Geld fehlte. Seit sieben Jahren bin ich Bankbetriebswirtin, leite inzwischen das Investmentgeschäft eines mittelgroßen Instituts und besitze seit fünf Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft. Gelegentlich rufe ich meine Mutter an, wenn ich weiß, dass der Vater nicht zu Hause ist.

Doch nie hat mich die Szene in Minsk losgelassen, immer wieder wachte ich nachts schweißgebadet auf und fühlte, wie diese dreckigen Schweine ihre Knüppel in mich hinein stießen. Diese Erinnerung machte es mir unmöglich, eine auch nur lose Beziehung zu einem Mann einzugehen. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, dieses Ereignis zu verarbeiten, traf ich vor vier Jahren in der Venus-Bar eine elegante Dame, die auf jemanden zu warten schien. Da sie einen angenehmen Eindruck machte, kamen wir ins Gespräch und sie erzählte ganz offenherzig, dass sie nebenberuflich als freie Edelprostituierte arbeite. Ich fasste Vertrauen und berichtete von meinen seelischen Problemen mit Männern nach den Erlebnissen in Minsk. ‚Mach‘ es wie ich‘, sagte sie lachend, ‚da hast du die Herrschaft über die Männer, sie werden ganz klein, wenn du sie richtig behandelst.‘ Sie konnte mir gerade noch ihre Agentur nennen, dann kam ihr Freier.

Ich meldete mich dort, wurde eingehend begutachtet und in die Vermittlungsliste aufgenommen. Gegen eine Gebühr vermittelt mir die Agentur seriöse Kunden, entweder nur für einen Abend mit Nacht oder auch als Begleiterin für einen ganzen Tag oder ein Wochenende. Natürlich lasse ich mir vor einer Begegnung die Daten der Herren geben, damit ich nicht zufällig einen Kollegen oder einen Kunden der Bank bediene, und ich versteuere diese Einkünfte ganz normal. Dem Vizekonsul habe ich auch schon ein paar Mal Dienste geleistet, wenn er hohen Besuch hatte. Meine grundsätzliche Bedingung ist aber, dass ich nur seriöse Herren ganz normal und ohne Sonderwünsche an einem neutralen Ort bediene und weder mein Name noch meine Adresse jemals bekannt werden. Die Wohnung ist mein Heiligtum ganz alleine für mich. Auf diese Weise wurde ich auch Ihr Partner, als Sie eine attraktive Dame brauchten, um Dr. Luising ausnehmen zu können. So, das war’s und nun sind Sie dran.“

Mit zunehmender Erschütterung hatte Ferdinand den Bericht gehört, unvorstellbar welche Schicksale manche Menschen anderen bereiten, aber auch wie solche gedemütigten Menschen mit starkem Willen trotzdem etwas aus ihrem Leben machen. „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, stotterte er schließlich, „jedenfalls ist meine Achtung vor Ihnen in den letzten zehn Minuten erheblich gestiegen. Machen Sie das oft?“ „Nein, nicht sehr oft, höchstens ein- bis zweimal im Monat, und in der Regel spielt sich die Begegnung in einem guten Hotel ab mit einem gepflegten Diner vorweg und Champagner auf dem Zimmer oder wir fahren in die Umgebung. Dr. Luising war übrigens der erste Mann, den ich aktiv verführen musste, und ich war überrascht, wie gut mir das gelang, bisher hatten die Männer mich ja stets bestellt. Natürlich habe ich der alten Dame, die ich gelegentlich besuche, nie etwas von diesem Teil meines Lebens erzählt. Aber nun bin ich wirklich auf Ihre Geschichte gespannt, Sie haben sie mir versprochen.“ Ferdinand bestellte noch Cognac, dann musste er endlich mit seiner Geschichte beginnen: „Ich bin zehn Jahre älter als Sie und in dem kleinen Dorf Neureichenau im Bayerischen Wald aufgewachsen. Mein Vater war Vorarbeiter in der örtlichen Lederfabrik, meine Mutter kümmerte sich um den Einödhof mitten im Wald am Michelbach, auf dem Vater noch geboren worden war. Sie fütterte dort unsere halbwilden Kaninchen und zog Kartoffeln auf dem einzigen einigermaßen geraden Acker. In meiner Kindheit waren wir oft am Wochenende dort und grillten mit Freunden Hühner. Ich ging zunächst auf die Dorfschule, aber mit 10 Jahren überlegten die Eltern, ob das genüge. Eine befreundete Hamburger Familie verbrachte ein paar Mal ihre Ferien in dem Einödhof. Deren Vater hatte in Hamburg mit Computern zu tun und bezeichnete diese Technik als zukunftsweisend. Mein Onkel arbeitete in München bei Siemens in der Entwicklung von DV-Anlagen und auch er erzählte immer wieder begeistert von den künftigen Möglichkeiten dieser Technik. So schickten mich die Eltern zu ihm, damit ich dort das Gymnasium besuchen konnte.

Zum fünfzehnten Geburtstag schenkte mir der Onkel einen PC mit einem 386er Prozessor und dem Betriebssystem DOS und wies mich in die Kunst des Programmierens ein. Das war zuerst schwer zu lernen, weil eine ganz andere Denkweise nötig ist als für die normalen Schulfächer, aber allmählich fand ich Spaß daran und entwickelte kleine Programme, die der Onkel lobte.

1991 machte ich das Abitur und überlegte, ob ich den Wehrdienst verweigern oder zu einer Ersatzorganisation gehen sollte, denn Soldat wollte ich nicht werden. Schließlich entschied ich mich für die Polizeilaufbahn. Als ich mich um eine Anstellung bewarb, wurde gerade Nachwuchs für die GSG9 gesucht. Meine DV-Kenntnisse und körperliche Fitness verhalfen mir zur Aufnahme in diese Eliteeinheit, allerdings hatte ich nicht mit einem derart harten Training gerechnet. Es war eine elende körperliche Schinderei beim Überwinden aller Arten von Hindernissen, beim Aufbrechen verschlossener Türen im Dunkeln, bei Kampfsport und Selbstverteidigung, beim Schwimmen in voller Ausrüstung und Langstreckentauchen. Wir mussten mit allen möglichen Arten von Waffen schießen, alle Fahrzeuge bis zum Panzerwagen bewegen, Motorboote fahren und Kleinflugzeuge fliegen können. Später bei den Einsätzen merkten wir dann, wie wertvoll diese harte Ausbildung war. Meine Rechnerkenntnisse konnte ich gut anwenden, besonders als das Internet aufkam. Wir waren die erste Einheit mit direktem Zugriff, was uns die Vorbereitung von Einsätzen erleichterte, z. b. durch Abfangen von E-Mails.