Zauber im Blaubeerwald - Ernst-Günther Tietze - E-Book

Zauber im Blaubeerwald E-Book

Ernst-Günther Tietze

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Beschreibung

Zwei Teenager werden beim Blaubeerpflücken in Tiere verwandelt und wissen zunächst außer ihrem Vornamen nicht, wer sie sind. Mühsam finden sie sich in dem ungewohnten Leben zurecht. Nach ein paar Tagen treffen sie aufeinander und stellen fest, dass sie das gleiche Schicksal haben. Eine alte Dame klärt sie auf, sie habe sie verzaubert, um ihre Eltern in Angst zu versetzen, damit sie be- reit würden, ihren fehlerhaften Lebenswandel zu verbessern. Sie erläutert ihnen, wie sie nach der Rückverwandlung zu Menschen mit den Eltern re- den sollen, damit diese ihre Fehler erkennen. In einem langen Gespräch können sie beide Eltern- paare überzeugen, ihr Unrecht zu unterlassen, sie danken ihren Kindern und akzeptieren sie als er- wachsen werdende Menschen. Die beiden Jugendlichen haben durch das gemein- same Erlebnis im Wald als heimatlose Tiere zuei- nander gefunden und werden, nachdem sie wieder zu einem Jungen und einem Mädchen geworden sind, zu einem Liebespaar. Der Roman schildert die Erlebnisse der Jugendli- chen und ihrer Eltern in den folgenden Monaten, und wie die beiden dadurch allmählich erwachsen werden.

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Ernst-Günther Tietze

Zauber im Blaubeerwald

Eine märchenhafte Liebesgeschichte

© Copyright 2023 Ernst-Günther Tietze, Dresden

Published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN 978-3-757532-56-7

Inhalt

Personenverzeichnis1

Prolog1

Das Reh2

Der Wolf4

Begegnung6

Heimkehr10

Offenbarung11

Aktivitäten15

Gemeinschaft18

Unfall20

Reha25

Elsass31

Geburtstag38

Bodensee45

Herzinfarkt49

Weitere Bücher des Autors52

Personenverzeichnis

Alte Dame mit Kopftuch

Renate RehbergSchülerin

Max RehbergBäckermeister, ihr Vater

Gertrud RehbergVerkäuferin, ihre Mutter

Wolfgang WulffSchüler

Peter WulffZahnarzt, sein Vater

Veronika WulffKauffrau, seine Mutter

Gisela MeißnerKrankenschwester

Markus MahlerBäckermeister

Pierre Urlaubspaar aus Strasbourg

Christine

Heino Parker Urlaubspaar aus Köln

Jenny Parker

Prolog

Zwei Teenager werden beim Blaubeerpflücken in Tiere verwandelt und wissen zunächst außer ihrem Vornamen nicht, wer sie sind. Mühsam finden sie sich in dem ungewohnten Leben zurecht. Nach ein paar Tagen treffen sie aufeinander und stellen fest, dass sie das gleiche Schicksal haben.

Eine alte Dame klärt sie auf, sie habe sie verzaubert, um ihre Eltern in Angst zu versetzen, damit sie bereit würden, ihren fehlerhaften Lebenswandel zu verbessern. Sie erläutert ihnen, wie sie nach der Rückverwandlung zu Menschen mit den Eltern reden sollen, damit diese ihre Fehler erkennen.

In einem langen Gespräch können sie beide Elternpaare überzeugen, ihr Unrecht zu unterlassen, sie danken ihren Kindern und akzeptieren sie als erwachsen werdende Menschen.

Die beiden Jugendlichen haben durch das gemeinsame Erlebnis im Wald als heimatlose Tiere zueinander gefunden und werden, nachdem sie wieder zu einem Jungen und einem Mädchen geworden sind, zu einem Liebespaar.

Der Roman schildert die Erlebnisse der Jugendlichen und ihrer Eltern in den folgenden Monaten, und wie die beiden dadurch allmählich erwachsen werden.

Das Reh

Dem kleinen Reh knurrte der Magen vor Hunger, aber es wusste nicht, was es essen konnte. Seit gestern lief es durch den Wald und hatte sich nachts eine versteckte Stelle gesucht, wo es sicher schlafen konnte. Zum Glück hatte es, als sein Durst übermächtig wurde, einen kleinen Tümpel mit ziemlich schmutzigem Wasser gefunden und gewagt, daraus zu trinken. Es schmeckte zwar scheußlich, doch es löschte wenigstens seinen Durst. Im Spiegel der Wasseroberfläche erkannte es, dass es ein Reh war, aber es wusste nicht, wo es hergekommen war, es war einfach da gewesen. Nur dass es irgendwann Renate gerufen worden war, hielt sich als dunkles Geheimnis in seinen Gedanken.

Als es am Morgen aufwachte, schien die Sonne und es war schön warm, doch sein Magen knurrte immer stärker. Es lief zu dem Tümpel, um wenigstens etwas zu trinken, da sah es auf einer Wiese am Rand des Waldes eine Gruppe anderer Rehe, teils größer und erwachsener, teils auch jünger, die friedlich ästen. Vorsichtig näherte es sich diesen unbekannten Artgenossen. Erstaunt, aber freundlich fragte eine ältere Ricke „Wo kommst du denn her, wir haben dich ja noch nie hier gesehen?“ Diese Frage war der kleinen Renate peinlich, denn sie wusste wirklich nicht das Geringste über ihre Herkunft. „Es tut mir schrecklich leid, aber ich weiß es nicht. Ich bin seit gestern hier in der Gegend, weiß aber überhaupt nicht, wo ich hergekommen und warum ich jetzt hier bin. Nur an meinen Namen Renate kann ich mich erinnern und ich sterbe vor Hunger, denn ich weiß nicht, was ich essen kann.“

„Na, das ist ja wenigstens etwas,“ antwortete die Ricke, „ich heiße Gertrud. Wenn du willst, kannst du bei uns bleiben. Und schau, das Gras hier kannst du bedenkenlos essen, wir tun es auch.“ „Danke!“, rief Renate und begann sofort, die Grashalme abzuäsen. „Sei vorsichtig“, bremste Gertrud ihren Hunger, „wenn du seit gestern nichts gegessen hast, kannst du dir den Magen verderben, wenn du ihn jetzt überfüllst. Warte eine Weile und friss dann weiter.“

„Ist dieses Gras das Einzige, was ich essen kann, oder gibt es auch noch andere Speisen?“ wollte Renate wissen. „Wenn du bei uns bleibst, werde ich dir alles zeigen“, antwortete Gertrud. „Ich habe schon fünf Kitze großgezogen und will dir ein wenig die Mutter ersetzen, denn du musst noch viel lernen. Zuerst musst du dich jetzt mit unserer Gruppe vertraut machen. Wir sind zehn und ich bin die Älteste, ich stelle dir die anderen einzeln vor. Eines von ihnen ist Hansi, mein jüngster Sohn, gerade einen Monat alt.“ Sie nannte jedes der anderen Rehe mit Namen und Renate drückte ihren Kopf leicht an ihre Köpfe, um ihren Geruch aufzunehmen. „Nachdem wir uns jetzt sattgegessen haben, müssen wir etwas trinken. Komm mit ich zeige dir einen Bach“, sagte Gertrud und das Rudel machte sich auf den Weg. „Ich danke euch ganz herzlich, dass ihr mich aufgenommen habt, ich wüsste ja sonst gar nicht wie ich hier leben kann“, antwortete Renate glücklich und machte sich mit dem Rudel auf den Weg. Sie wusste noch immer nicht, wo sie herkam, aber hatte wenigstens ein Rudel mit einer Mutter gefunden, die sich um sie kümmerte.

Zuerst führte Gertrud das Rudel an einen kleinen Bach und Renate trank glücklich das frische reine Wasser, das viel besser schmeckte als das Pfützenwasser, das sie gefunden hatte. Dann sagte Gertrud, sie wolle Renate noch einen besonderen Leckerbissen zeigen und führte die Rehe in den Wald zu einem Blaubeerfeld. „Es ist zwar etwas schwierig, die Beeren abzubeißen, aber sie schmecken süß und fruchtig“, erklärte sie. Als Renate die Beeren an den kleinen Sträuchern sah, und erst recht, als sie den lieblichen Geschmack auf ihrer Zunge fühlte, wusste sie plötzlich ganz genau, dass sie diese Früchte irgendwann schon geschmeckt hatte. Ihre Gedanken liefen im Kreis, doch so intensiv sie auch nachdachte, sie fand keine weitere Erinnerung.

„Nachdem ihr jetzt die Beeren genascht habt, solltet ihr noch etwas Ordentliches essen“, ordnete Gertrud an, „kommt auf die Wiese zum Gras. Und du, Renate, kannst dich jetzt richtig satt essen.“ Eine ganze Weile äste das Rudel auf der Wiese, dann rief die alte Ricke sie noch einmal zum Trinken. „Etwas Wichtiges müsst ihr wissen“, sagte sie, als das Rudel genug getrunken hatte: „Es gibt Tiere, die uns fressen wollen, sie heißen Wölfe. Eigentlich sind sie nicht böse, sondern können nur kein Gras und keine Früchte essen, nur von Fleisch werden sie satt. Deshalb jagen sie uns, um uns zu töten und zu essen. Sie haben ein dichtes graues Fell, einen langen Schwanz und scharfe Zähne. Ihr müsst schnell weglaufen, wenn ihr einen seht.“ Dann führte sie das Rudel zu einem versteckten Schlafplatz im Wald. Zum ersten Mal seit gestern fühlte Renate sich sicher geborgen und schlief ruhig ein.

Zur selben Zeit war die Verzweiflung der Familie Rehberg in der nahen Gemeinde Schallstadt immer stärker angestiegen. Am Donnerstag war ihre Tochter Renate mit einem Körbchen in den nahen Wald gegangen, um Blaubeeren zu pflücken, nachdem sie ihre Schulaufgaben erledigt hatte. Das tat sie jetzt fast jeden Tag, denn sie aßen alle diese Beeren gern. Doch sie war nicht aus dem Wald zurückgekommen. Als das Mädchen nach zwei Stunden noch nicht zurückkam, war die Mutter in den Wald gegangen und hatte im Blaubeerfeld nur den vollen Korb ihrer Tochter gefunden, von dem Mädchen gab es keine Spur. Eine ganze Stunde lief sie durch den Wald, schaute in jeden Winkel und rief immer wieder den Namen Renate, dann kehrte sie voller Unruhe nach Hause zurück. „Hätten wir das Mädchen nicht allein in den Wald gehen lassen dürfen?“, fragte sie weinend den Vater, doch der strich ihr zärtlich über die Haare und antwortete: „Unsere Tochter ist sechzehn Jahre alt und fährt jeden Tag allein mit dem Bus in die Stadt zur Schule. Sie ist doch bisher immer aus dem Wald zurückgekommen, da muss irgendwas passiert sein. Wir sollten die Polizei einschalten.“

Der Beamte im Polizeiposten kannte den Bäckermeister Rehberg gut, denn er kaufte täglich seine Brötchen und sonntags auch Kuchen in dem gut ausgestatteten Laden. Max Rehberg hatte nach der Lehre bei seinem Vater eine Weile in einer großen Bäckerei in der Stadt gearbeitet und dabei seinen Meister gemacht. Als der Vater aus Altersgründen die Backstube aufgab, hatte der Sohn sie übernommen und mit seiner Frau, einer gelernten Verkäuferin ein florierendes Backwarengeschäft mit einem festen Kundenstamm daraus gemacht. Dabei kam ihnen zugute, dass sich immer mehr Freiburger wegen der hohen Mieten in dem nahen Dorf Schallstadt niederließen.

„Das ist eine ernste Angelegenheit“, meinte der Polizist, „da bin ich hier überfordert. Ich werde versuchen, eine Einsatzstaffel mit Suchhunden zu mobilisieren, ihr hört von mir, sobald ich etwas weiß. Und ihr könnt ja mal im Dorf rumfragen, ob jemand was gesehen hat.“ Dankbar verließen die Eltern das Revier und klingelten zuerst an den Türen der Nachbarn und dann auch an den entfernteren Häusern. Soviel sie auch fragten, niemand hatte das Mädchen gesehen. Nach zwei Stunden meldete sich der Polizeibeamte, es sei ihm gelungen, eine Einsatzstaffel mit Suchhunden zu mobilisieren, wegen der einsetzenden Dunkelheit sei das allerdings erst morgen in aller Frühe möglich. Die Eltern dankten ihm und überlegten, was sie noch tun könnten.

„Wir können Bilder von Renate in unserem Schaufenster und vielleicht auch in anderen Läden aufhängen und zusätzlich an jeder Ecke im Dorf“, schlug die Mutter vor und ging gleich daran, ein gutes Foto von Renate auszuwählen und vielfach zu drucken, Während der Vater sich um das Geschäft kümmerte, verteilte sie die Bilder in den Geschäften des Dorfes und klebte sie an gut einsehbaren Stellen an Wände und Bäume. Um zehn Uhr gingen die Eltern traurig schlafen, denn der Vater musste am Morgen um vier aufstehen, um zu backen. Dass sie kaum ein Auge zubekamen, war nicht verwunderlich.

Freitag früh traf die Einsatzstaffel ein, dreißig Männer und Frauen mit fünf Hunden. Die Hunde nahmen Renates Witterung von ihren Kleidern auf und folgten der Spur des Mädchens bis zu den Blaubeersträuchern im Wald. Genau an der Stelle, wo die Mutter den Korb mit den Beeren gefunden hatte, blieben sie ratlos stehen und steckten ihr Schnauzen nach oben. „Hier endet die Spur“, meinte der Hundeführer ratlos, „sie haben keine weitergehende Witterung. Es scheint so, als ob sich die gesuchte Person in Luft aufgelöst hat.“ Die dreißig Beamten suchten den ganzen Tag lang den Wald akribisch ab, ohne etwas zu finden und verabschiedeten sich abends von den traurigen Eltern.

Am Nachmittag hatte sich ein Bauer beim Polizeirevier gemeldet, der mit seinem Pferdewagen durch den Wald gefahren war, und berichte, er sei gestern in der Nähe des Blaubeerfeldes einer eleganten alten Dame begegnet, die den Kopf mit einem dichten Tuch verhüllt hatte. Sie sei ihm völlig unbekannt gewesen, er habe sich aber nichts dabei gedacht. Als er bei einem Phantombild helfen sollte, sagte er, das Tuch habe ihr Gesicht so verhüllt, dass er überhaupt nichts erkennen konnte. Lediglich zur Figur der Frau konnte er ein paar vage Aussagen machen. Renates Eltern gingen nach dem Abendessen traurig ins Bett, doch der Vater tröstete die Mutter mit den Worten: „Ich bin froh, dass die Polizei unsere Tochter nicht tot oder verletzt aufgefunden hat. Sicherlich ist sie noch am Leben und entführt worden. Wir müssen abwarten, ob jemand sich vielleicht meldet.“ Die beiden umarmten sich lange und schliefen etwas ruhiger ein als gestern.

Samstag meldete sich ein Dorfbewohner beim Forstamt, er habe vorgestern Abend beim Pilzsuchen ein einsames kleines Reh gesehen, das einen etwas verwirrten Eindruck machte. Der Förster hielt die Meldung für wenig wichtig und gab sie nicht weiter. Renates Eltern warteten den ganzen Tag auf die Meldung eines Entführers und gingen abends ziemlich verzweifelt ins Bett.

Der Wolf

Sonntagvormittag ging der siebzehnjährige Wolfgang Wulff mit einem Korb in den Wald, um Blaubeeren zu pflücken, die er und auch seine Eltern gern aßen. Die Eltern hatten in Schallstadt ein Haus gebaut, weil ihnen die ländliche Umgebung viel angenehmer war als die Stadt Freiburg, wo der Vater eine gutgehende Zahnarztpraxis hatte und die Mutter einen großen Supermarkt leitete. Die meisten Lebensmittel brachte sie von dort nach Hause, manchmal kauften sie beim Bäcker Rehberg etwas frischen Kuchen und sonntags Brötchen. Wie Renate Rehberg besuchte Wolfgang das Gymnasium in der Stadt und hatte sie auch schon im Schulbus gesehen, doch kaum beachtet, weil sie ein Klasse unter ihm war.

Als der Junge mittags noch nicht wieder aus dem Wald zurück war, machten die Eltern sich Sorgen. Die Mutter stellte das Essen warm und sie gingen in den Wald. Wie Renates Mutter vor drei Tagen fanden sie den vollen Korb am Rand der Blaubeerbüsche stehen, aber keine Spur von ihrem Sohn. Sie wussten, dass er nicht einfach die Beeren stehenlassen und durch den Wald stromern würde, und gingen sehr besorgt ins Dorf zurück und zur Polizei. Der Beamte pfiff durch die Zähne und berichtete ihnen von Renate Rehbergs Verschwinden am Donnerstag, was die Eltern noch stärker beunruhigte. „Das sieht nach einer gezielten Aktion von einer Bande aus. Ich melde es gleich der Polizeidirektion in der Stadt“, sagte er. Eine Stunde später waren die Kripo und der Hundeführer mit seinen Hunden am Ort, die Wolfgangs Witterung folgten. Wie am Donnerstag beendeten sie die Suche am Blaubeerfeld und schnupperten überall auf dem Boden herum, bis der Hundeführer die Suche als ergebnislos abbrach. Kurz danach meldete sich ein Waldspaziergänger bei der Polizei, er habe bei den Blaubeeren eine elegante alte Dame mit einem dichten Kopftuch gesehen

Die Kriminalbeamten konnten sich keinen Reim darauf machten und gingen von einer Entführung aus. Um möglichen Entführern auf die Spur zu kommen, richteten sie für die Familie Wulff eine Telefonüberwachung ein und nachträglich auch für den Anschluss der Bäckerei Rehberg. Die Beamten ließen sich von den beiden Männern, die die alte Dame gesehen hatte, noch einmal alle Einzelheiten berichten, konnten jedoch keine Verbindung zu den verschwundenen Kindern sehen.

Wolfgangs Eltern war der Appetit auf das Mittagessen vergangen, stattdessen besuchten sie die Familie Rehberg und berichteten Renates Eltern vom Verschwinden ihres Sohnes. Erstaunt hörten die von der Entführung des Jungen und baten die beiden zu Kaffee und Kuchen, um Erfahrungen über die Kinder auszutauschen. In einem langen Gespräch vereinbarten sie, miteinander in Verbindung zu bleiben und jede neue Information sofort weiterzugeben. Da das Wetter schön war, gingen sie gemeinsam in den Wald zum Blaubeerfeld und verharrten dort eine Weile in Gedanken an ihre Kinder. Da das gemeinsame Leid sie zu Freunden gemacht hatte, lud die Bäckersfamilie die Wulffs zum Abendessen ein, wo sie Brüderschaft tranken.

Am Nachmittag dieses Tages streifte ein junger Wolf verwirrt durch den Wald. Er wusste nicht, wer er war und wie er hierhergekommen war, nur den Namen Wolfgang hatte er in Erinnerung. Er war hungrig und hatte Durst, wusste aber nicht was er essen konnte und wo es etwas zu trinken gab. Als er einen Käfer am Boden kriechen sah, dachte er, der sei vielleicht essbar und nahm ihn ins Maul, Das schmeckte zwar scheußlich, schien aber seinem hungrigen Magen gut zu tun. Gegen Abend fand er auch noch eine Pfütze, aus der er seinen Durst stillen konnte. Aber als ihn daraus sein Spiegelbild anblickte, erschrak er: ein Wolf blickte ihn an. Solch Tier hatte er schon gesehen, konnte sich aber nicht erinnern, wo. Er fletschte die Zähne und sah, dass der Wolf dasselbe tat. Auch als ein Auge zukniff antwortete das Spiegelbild, da ahnte er, dass er der Wolf war, der aus dem Tümpel trank. Er schaute seinen Körper an: ein graues Fell, ein langer Schwanz und vier Beine, kein Zweifel, er war ein Wolf Dann wurde er müde und legte sich in einem versteckten Winkel zum Schlafen.

Als er Montag früh hungrig und durstig erwachte, erinnerte er sich des Tümpels, aus dem er gestern getrunken hatte. Er stillte seinen Durst und wieder erinnerte sein Spiegelbild ihn daran, dass er ein Wolf war, aber er musste unbedingt etwas zu essen finden. Als ihm eine Eidechse über den Weg lief, gelang es ihm, sie zu fangen, sie schmeckte gar nicht schlecht, aber satt war er noch immer nicht. Das wurde er erst, als ihm am Nachmittag zwei unvorsichtige Mäuse vor die Schnauze kamen, da konnte er beruhigt die Gegend erkunden und sich abends auf seinen Schlafplatz zurückziehen. Als er dann noch eine Maus überraschen konnte, wusste er, wonach er suchen musste, um seinen Hunger zu stillen.

Am Dienstag, dem dritten Tag seines Lebens als Wolf erwachte er dadurch, dass er beschnuppert wurde. Als er die Augen aufschlug, erblickte er einen anderen jungen Wolf neben sich. „Wer bist du denn?“, fragte er erstaunt. „Ich heiße Wilfried und musste mein Rudel verlassen, weil ich groß geworden bin“, antwortete das Tier, „und wer bist du?“ „Das weiß ich nicht so genau“, stotterte Wolfgang. „Ich weiß nicht, wo ich herkomme und wie ich hierhergekommen bin. Ich weiß nur dass ich Wolfgang heiße, und gestern habe ich erkannt, dass ich ein Wolf bin.“

„Wovon lebst du denn?“, wollte Wilfried wissen. „Ja, das ist ein Problem“, antwortete Wolfgang traurig. „Ich habe Käfer und ein Kriechtier gegessen und dann sogar kleine Tiere mit braunem Fell, die haben viel besser geschmeckt. Und getrunken habe ich aus einer Pfütze.“ „Da ist es ja höchste Zeit, dass ich dir eine ordentliche Lebensführung beibringe, wie ich sie von meinen Eltern im Rudel gelernt habe“, meinte Wilfried kopfschüttelnd. „Als Erstes musst du wissen, was du essen kannst und wo du es findest. Für große Tiere, wie Rehe und Hirsche braucht es mehr Wölfe als uns beide, und Wildschweine sind zu gefährlich. Wir sollten uns auf Hasen und Kaninchen beschränken, Mäuse gehen auch, aber davon wird man nicht satt. Lass uns jetzt mal versuchen, ein Kaninchen zu finden, Hasen sind sehr schnell, da braucht es Glück, einen zu fangen.“ Wolfgang folgte dem Freund und als sie an einem Bach vorbeikamen, zeigte der ihm, dass dieses Wasser viel besser schmeckt als das aus den Pfützen. Wolfgang genoss das klare Wasser und trank sich satt. Plötzlich rief Wilfried: „Schau mal, da ist ein Kaninchen, nichts wie ran!“ Das Tier hatte die beiden Wölfe bemerkt und ergriff die Flucht, doch die Jäger waren schneller. Wilfried erreichte es und biss ihm ins Genick. „Das ist zwar nicht viel, aber fürs erste reicht es“, meinte er und begann, Stücke vom Körper zu essen.

Doch in Wolfgang kam plötzlich eine Erinnerung hoch, dass er solch Tier schon gesehen hatte, nein, er wusste ganz genau, er hatte es gepflegt und Futter gesucht. Er wandte sich ab, um nicht sehen zu müssen, wie der Freund das Kaninchen zerriss. „Was ist mit dir, hast du keinen Hunger?“, fragte Wilfried erstaunt. „Ich kann das Tier nicht essen, es tut mir leid“, antwortete er verschämt. „Dann wirst du hungern müssen oder dich mit Mäusen zufriedengeben“, lachte Wilfried ihn aus. „Aber ich zeige dir, wie du sie finden kannst.“ Er führte ihn in das dichte Unterholz und sagte: „So einfach kriegst du sie nicht, denn sie sind sehr flink. Du musst warten, bis du siehst, wie eine in ihrem Loch verschwindet. Dann musst du dich davor auf die Lauer legen und sie greifen, wenn sie wieder herauskommt, da ist sie von der Helligkeit geblendet. Schau mal, da kommt gerade eine, jetzt warte einfach.“ Es dauerte gar nicht lange, bis die Maus ihr Loch wieder verließ und Wolfgang sie greifen konnte, sie schmeckte richtig gut und er bedankte sich bei dem Freund.

Als sie weiter gingen, ringelte sich eine Schlange über den Weg. „Auch diese Wesen sind essbar, aber du musst dich vorsehen, nicht gebissen zu werden“, erklärte Wilfried. „Pass‘ auf, wie ich sie greife.“ Er sprang vor und fasste das Reptil direkt hinter dem Kopf, den er mit einem starken Biss vom Körper trennte. Der tote Körper wand sich noch eine Weile, dann ließen die beiden sich die Mahlzeit schmecken. „So, jetzt musst du nicht mehr hungern“, erklärte der Freund.

„Was machst du eigentlich so allein hier?“, wollte Wolfgang wissen. „Ich suche eine Gefährtin, mit der ich Kinder kriegen und ein Rudel aufbauen kann“, antwortete Wilfried, „du hast nicht zufällig eine junge Wölfin gesehen?“ „Nein, tut mir leid“, war die Antwort, „aber ich bin erst seit zwei Tagen hier und musste mich orientieren, das war gar nicht so einfach, denn zunächst habe ich nur an meinem Spiegelbild im Wasser gemerkt, dass ich ein Wolf bin.“ „Und du weißt nicht, wo du herkommst?“, fragte der Freund erstaunt. „Nein, überhaupt nicht“, antwortete Wolfgang traurig, „ich war einfach da.“ „Na, vielleicht fällt es dir irgendwann ein, wenn du scharf nachdenkst“, meinte Wilfried, „ich lasse dich jetzt erst mal allein und sehe, ob ich irgendwo eine Gefährtin finden kann. Mach’s gut, mein Lieber.“ Inzwischen war es Abend geworden und Wolfgang legte sich müde auf seinen Schlafplatz.

Der Mittwoch verlief ähnlich, Wolfgang trank im Bach, fing ein paar Mäuse und schlief abends einsam in seiner Höhle ein.

Begegnung

Donnerstag früh erwachte Wolfgang durstig und ging zum Bach, um zu trinken. Auf dem Rückweg kam er an einem Blaubeerfeld vorbei und erinnerte sich plötzlich, solche Früchte schon gegessen zu haben. Doch dann sah er ein kleines Reh zwischen den Beeren. Vorsichtig schlich er sich näher und sah, dass es die Früchte von den Sträuchern abfraß. Das Tier war so in seine Mahlzeit vertieft, dass es den Wolf erst bemerkte, als er dicht hinter ihm stand und es ansprach: „Ich wünsche dir guten Appetit, ich erinnere mich, dass die Früchte gut schmecken.“ Erschrocken drehte das Reh sich um und wollte fliehen, doch Wolfgang beruhigte es: „Ich tue dir nichts, will nur mit dir plaudern und auch die Beeren essen.“ „Wer bist du?“, fragte das Reh ängstlich und Wolfgang antwortete „Ich weiß zwar, dass ich Wolfgang heiße und ein Wolf bin, aber überhaupt nicht, wie ich dazu geworden bin und wo ich herkomme.“

„Das geht mir doch genauso“, antwortete das Reh nachdenklich. „Vor sechs Tagen war ich plötzlich hier im Wald, wusste nicht, wo ich herkomme und wer ich bin. Ich weiß nur, dass ich Renate heiße und ein Reh bin, aber das ist auch alles. Zum Glück habe ich ein Rudel mit einer alten Ricke gefunden, das mich aufgenommen hat. Die Ricke heißt Gertrud und hat mich vor deinesgleichen gewarnt, aber ich glaube, ich kann dir vertrauen. Die Beeren hier sind das Einzige, an das ich mich auch noch erinnern kann. Ich mag sie gern und bin deshalb jetzt allein hergekommen.