Dämonenhatz - Tanja Rast - E-Book

Dämonenhatz E-Book

Tanja Rast

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Beschreibung

Der Magie verfallen – das ist eine Gay-Fantasy-Reihe um Krieger und Magier, Priester und Diebe. Jeder Roman erzählt die Romanze zweier gegensätzlicher junger Männer – zwischen Gefahren, Abenteuern und großen Gefühlen. Der vormalige Straßenjunge Bajas erledigt jede Gelegenheitsarbeit, um sich über Wasser zu halten. Der neueste Auftrag: Er soll ein verbotenes Buch aus der Bibliothek entwenden. Ärgerlich, dass er bei diesem nächtlichen Raubzug auf den Gelehrten Davil stößt, der ebenfalls eine Vorliebe für verbotene Bücher hat. Ungeschickt, dass sie einander im Weg stehen. Aber richtig dumm ist, dass sie auch über eine Leiche stolpern, dabei mitsamt der Bücher erwischt werden, ab sofort unter Mordverdacht stehen und gemeinsam türmen müssen. Es gibt nur einen Ausweg: Zusammenarbeit, Flirt und mehr … Oh, und den Mord aufklären. Nebenbei.

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Der Magie verfallen IX

Dämonenhatz

Inhaltsverzeichnis
1 Tücken der Bücherhalle
2 Pakt der Bücherdiebe
3 Ein heimeliger Unterschlupf
4 Unverhofft kommt oft
5 Auf der Suche nach Weisheit
6 Nacht der Überraschungen
7 Von Kneipen und Kreisen
8 Lehrstunde in Dämonologie
9 Freuden der Badestube
Die Autorin
Eine kleine Bitte
Danksagung
Lesefutter
Lesefutter
Lesefutter

1.

Tücken der Bücherhalle

Bajas hasste den windschiefen Hinterhofschuppen von Herzen. Die beiden Schweine, die im angebauten Stall lebten, trugen dazu nicht gering bei. Der Gestank des Mists war allgegenwärtig, doch schlimmer war nur ihr morgendliches Freudengeheul, wenn es etwas zu Fressen gab. Wer – wie Bajas und die meisten seiner Mitbewohner – eher nachts arbeitete, lernte das Grunzen und Quietschen nach nur ein, zwei Tagen zu fürchten und zu verabscheuen.

Es war nicht so, dass Bajas in seinem Leben jemals großen Luxus hatte genießen können, aber dieses Loch unterbot noch einige Absteigen, die er sich schon gezwungen gesehen hatte zu bewohnen. Bezahlbare Unterkünfte waren rar gesät, und wenn man – wieder einmal wie Bajas und die meisten der anderen Männer – über kein regelmäßiges Einkommen verfügte, sah die Auswahl noch bescheidener aus als ohnehin schon.

Er kuschelte sich fester in seine zwei Decken und ließ den Blick über die anderen Bewohner fliegen. Die beiden kräftigen Hafenarbeiter schienen noch die Ehrbarsten. Wahrscheinlich hatten sie sich diesen Ruf damit erarbeitet, wehrhafte Opfer von Raub im Meer zu ersäufen. Bajas vermied es tunlichst, mit den beiden alleine im Schuppen zu sein. Wertsachen und Barschaft ließ er schon gar nicht unbeaufsichtigt.

Nicht dass er derzeit auch nur mit einer Kostbarkeit gesegnet wäre, aber immerhin hatte er vorgestern einen Auftrag bekommen, der ein paar Münzen in seine Börse spülen würde. Der einzige Vorteil an der Knochenarbeit in der Wirtschaft, wo er Bierfässer in den Keller wuchtete und bei Bedarf in den Schankraum brachte: Hin und wieder suchte jemand dort nach einem Mann für kleine Aufgaben, und der geizige Wirt verwies dann gerne auf Bajas. Immerhin wusste der Mistkerl wegen seiner eigenen schattigen Nebengeschäfte, dass er sich auf seinen Bierfassschlepper und dessen Verschwiegenheit verlassen konnte.

Bajas spähte zum Fenster hinter klapprigen Läden. Bald war es dunkel genug, dass er aufbrechen konnte. Ein lachhaft einfacher Auftrag, der gut bezahlt wurde: in das Haus der Bücher einsteigen und dort einen ganz bestimmten Wälzer klauen. Kinderspiel.

In der vergangenen Nacht hatte Bajas sich das Gebäude genauer angesehen und grinsend festgestellt, dass nur ein betagter Nachtwächter dort einsame Runden drehte. Oder nicht drehte, sondern die Nacht in einer kleinen Stube nahe dem Haupteingang verbrachte. Der ließ sich leicht umgehen, und wenn Bajas sich auf etwas verstand, dann auf lautlose Fortbewegung in einem verlassenen Haus.

Schließlich hielt er es nicht mehr aus, befreite sich von seinen Decken, schlüpfte in die abgetragenen Stiefel und zog unter dem Kopfkissen eine kleine Tasche hervor, in der sich sein Einbruchswerkzeug befand. Die Halle der Bücher war im Vergleich mit anderen Objekten, in die er schon eingestiegen war, wirklich harmlos. Bajas war stolz auf seine Leistungen und darauf, dass er nicht blindwütig alte Herzoginnen beraubte oder Besoffene so lange auf dem Straßenpflaster herumrollte, bis ihnen alle Wertgegenstände aus den Taschen fielen. Aber hin und wieder ein Auftrag mit geringem Risiko, der ein wenig Silber in seine Taschen spülte, war wirklich nicht zu verachten. Wählerisch konnte Bajas nicht sein, was er von wem annahm, aber er legte Wert darauf, keine Gewalt anwenden zu müssen. Das überließ er neidlos den wuchtigen Hafenarbeitern. Männer fürs Grobe. Ganz und gar nicht Bajas’ Fall.

Natürlich bedeutete es immer ein Risiko, das eigene enge Viertel mit dem Schuppen und der Kneipe zu verlassen, vom vertrauten Straßenpflaster auf das einer anderen Herrschaft zu treten. Jedes Stadtviertel hatte seine eigenen Gesetze und unrechtmäßigen Herrscher, die sich nicht wirklich darum störten, was jemand im Ratspalast so von sich gab. Bajas wusste das und kannte die Risiken, falls irgendein Bandenoberhaupt ihn als Bedrohung für die eigenen Geschäfte empfinden sollte. Aber zwei halbe Silbermünzen für eine leichte Arbeit waren nun einmal zwei halbe Silbermünzen, und niemand konnte sich so unauffällig auch auf fremdem Hoheitsgebiet bewegen wie Bajas. Er würde schon durchkommen – so wie letzte Nacht. Außerdem schnappte er ja auch niemandem was weg. Das war sein Auftrag. Fertig.

Er verstaute die Tasche am Gürtel, zog die Lederriemen stramm und warf sich schließlich den dunklen Wollmantel über die Schultern.

»Jetzt noch los?«, fragte eine heisere Stimme aus einem anderen Winkel des Schuppens. Dort lag ein Mann in einer Art Zelt aus verschlissenem Segeltuch und lugte wie eine Eule aus ihrem Loch im Baumstamm hervor.

»Mal sehen, was sich ergibt. Dir noch einen reizenden Abend, Leonik.«

»Sei vorsichtig, Junge. Eines Tages wirst du noch auf die Nase fallen. Ist die erst gebrochen und schief, wirst selbst du es schwer haben, jungen Edelmännern Abendessen und Wein aus dem Kreuz zu leiern.«

Bajas hob die Brauen und blickte möglichst würdevoll auf die Unke im Zelt nieder.

Diese fuhr ungerührt fort: »Sie mögen einen Gossenbengel reizvoll finden – verbotenes Früchtchen und so –, aber gut aussehen muss er trotzdem.«

»Danke für deine ermüdende Fürsorge. Sobald ich darüber hinweg bin, dass du mich für Obst hältst, werde ich mir eine Antwort einfallen lassen, die dich wie eine Schildkröte für die nächsten Wochen in deinem Bau festhält.«

»Panzer – nicht Bau«, murmelte Leonik unbeeindruckt, als Bajas schon zur Schuppentür stiefelte und die Ohren auf Durchzug zu schalten versuchte.

Leonik war nun wirklich ein Beispiel dafür, wie unnützes Wissen einen sonst ganz brauchbaren Mann versauen konnte. Immer bereit, ein wenig zu klugscheißern und anderen auf die Nerven zu gehen. Und wohin hatte es ihn gebracht, dass er sich durch etliche Bücher gefressen hatte? Seine Socken hatten mehr Löcher als die von Bajas, und er hauste ebenso im Schuppen wie die Männer, die nicht einmal lesen und schreiben konnten. Das zumindest beherrschte Bajas, und er war dankbar, da es einige Aufträge merklich erleichterte. Hart genug hatte er für den sogenannten Unterricht ja arbeiten müssen. Nur Schläge gab es gratis. Wie immer, wenn jemand aus dem Armenviertel einem Reichen oder einem Magier diente.

Er schlüpfte auf den Hinterhof, wich einigen Pferdeäpfeln aus und schritt durch den Torbogen, über dem das Haus sich erhob. Ebenso voll mit armen Schluckern wie der Schuppen – aber sehr viel teurer. Bajas würde sich dort nicht einmal einnisten, hätte er genug Kupfer. Die Münzen konnte er anderweitig besser verwenden.

Er entkam dem bedrängten Quartier, trat auf die Gasse und atmete tief und erleichtert auf. Dieses Dasein war seiner Person einfach nicht angemessen. Aber er würde das ändern. Bald. Möglich, dass er sich törichten Träumen hingab. Auf einen reichen Edelmann, der ihn aushielt und nicht ekelhaft war, hoffte Bajas schon lange nicht mehr. Visionen von einem schönen Stadthaus am See hatte er auch schon begraben. Am besten verließ er sich tatsächlich auf sich selbst, dann drohten auch keine Enttäuschungen.

Langsam arbeitete Bajas sich aus dem Armen- und Handwerkerviertel auf den alten Mittelpunkt der Stadt zu. Wachsam sah er immer wieder um sich, ob er verstohlene Gestalten in den Schatten sah, die seine Anwesenheit übel nehmen konnten. Aus leidvoller Erfahrung wusste er, dass dies keine übertriebene Vorsicht war.

Die Straßen waren immer noch belebt, überall brannten Laternen oder Fackeln, und die Händler hatten auch noch geöffnet. Kleine Läden, die in den meisten Fällen das vordere Zimmer einer Wohnung einnahmen, während sich im hinteren Bereich eine Familie zusammendrängte. Aus Garküchen drifteten verlockende Düfte bis zu Bajas, der mit einem Mal einen knurrenden Magen ignorieren musste und sich erinnerte, wie lange die letzte Mahlzeit her war – und aus welch kümmerlichen Zutaten sie bestanden hatte.

Auch einer Patrouille begegnete er und runzelte die Stirn. Es war selten, dass die Soldaten die sichereren und wohlhabenden Viertel verließen und sich mitten ins Getümmel warfen. Der Stadtplan konnte man nur als verwirrend und unübersichtlich bezeichnen, und enge Gassen boten sich allzu sehr an, ein paar Steine von einer maroden Fassade hinab auf ein paar blinkende Helme zu werfen. Für manche Leute stellte das einfach eine zu große Verlockung dar.

Hevor Hald hatte Belagerungen, Eroberungen und auch den einen oder anderen Aufstand erlebt. Von der Magierrevolte ganz abgesehen. Im alten Stadtkern standen etliche sehr eindrucksvolle und uralte Gebäude aus der Kaiserzeit, aber die meisten von ihnen hatten neue Funktionen bekommen oder waren sich selbst und somit den Armen auf der Suche nach einem Dach über dem Kopf überlassen worden. Bajas hatte irgendwann begriffen, dass er dem alten Glanz insgeheim hinterherweinte. Eine vollkommen blödsinnige Haltung natürlich, die er sich Mühe gab, zu unterdrücken oder ganz loszuwerden. Aber es fühlte sich so falsch an, dass im alten Palast nun eine Garnison und in den Bädern ein Markt untergebracht waren. Nun, zumindest das Haus der Bücher hatte zwar im neuen Ratsviertel eine Entsprechung bekommen, stand aber noch mit Büchern und Schriftrollen gefüllt, wo es zu Kaiserzeiten gestanden hatte, auch wenn es nicht länger zur Universität, sondern zur Magieschule gehörte und eigentlich nur noch vollgestopft war, weil die Magier zu faul zum Aufräumen waren. Wahrscheinlich ärgerten sie sich ausreichend, dass sie Geld für einen Wächter berappen mussten, und hofften, dass das Gebäude bald in sich zusammenfiel. Konnte, schätzte Bajas, aber noch verblüffend lange dauern, denn in der Kaiserzeit war sehr ordentlich gebaut worden. Aber egal. Die Magier kratzte das Haus der Bücher nicht, was einen nächtlichen Einbruch nur erleichtern sollte.

Unter einem Torbogen hindurch betrat Bajas endlich den alten Stadtkern, der früher von einer eigenen Schutzmauer umgrenzt gewesen war, die dem Zahn der Zeit, Belagerungswaffen und dem Bedarf an Baumaterial ihrer Nachbarn nicht hatte standhalten können. Sie erinnerte Bajas nun lebhaft an das Gebiss eines alten Mannes. Wind pfiff durch die Lücken und trug feinen Sand mit sich, rüttelte an Fensterläden und heulte um Hausecken. Bajas sah zum Himmel und erkannte Wolkenfetzen, die wie Grabtücher über das Grauschwarz zogen und das Mondlicht immer wieder verschleierten. Gut so.

Wieder vernahm Bajas das gleichmäßige Stampfen, das von der Nähe einer Patrouille zeugte. Verblüffend, wie viele von denen derzeit unterwegs zu sein schienen. Das war etwas, was Bajas schon in den letzten Tagen und auch in der vorherigen Nacht aufgefallen war, während er die alte Bücherhalle in Augenschein genommen und sich einen Plan zum Einsteigen zurechtgelegt hatte. Irgendetwas lag in der Luft, aber solange das dem geplanten Einbruch nicht in die Quere kam, konnte es Bajas gleichgültig sein.

Betont harmlos folgte er dem Verlauf einer breiten Straße bis zum früheren Marktplatz, den die vormals wichtigen Gebäude umringten. Die Fenster der Bücherhalle waren dunkle Spiegel in der reich verzierten und teilweise bröselnden Fassade. Bajas hielt sich im Schatten des Gebäudes und umrundete es halb, wobei er einen mannshohen Zaun überklettern musste. Leichte Übung! Hier befand sich die Nebeneingangstür mit Fenstereinsätzen, von denen zwei Scheiben fehlten und durch Pappe ersetzt worden waren. Es waren abgenutzte Bucheinbände, was Bajas sehr angemessen fand. Er rückte einen davon beiseite und angelte mit einem Stück Draht so lange, bis er den Riegel auf der Innenseite der Tür aufziehen konnte. Er betrat die Bücherhalle voll gerechtfertigten Triumphs und zog die Pforte hinter sich zu. Ein Kinderspiel, er hatte es ja gewusst, wenngleich natürlich alles von seiner Geschicklichkeit und seiner Fähigkeit abhing, sich lautlos zu bewegen und deswegen den Nachtwächter in seliger Unkenntnis zu belassen. Andere Einbrecher würden selbstverständlich scheitern, wo Bajas schon die Frucht des Erfolgs fast in seinen Händen hielt.

Auf leisen Sohlen schlich er den engen Flur entlang, bis dieser ihn in die große Halle entließ, wo eine eindrucksvolle Wendeltreppe alle vier Geschosse miteinander verband. Das gesuchte Buch befand sich im dritten Stock in einem verschlossenen Schrank in einem kleinen Lesesaal. Die Genauigkeit der Ortsbeschreibung war erfreulich, ersparte sie doch langes Suchen – womöglich in Kisten oder Haufen von rottenden Büchern.

Bajas stieg also die ausgetretenen Stufen empor und lauschte wachsam, ob der Nachtwächter entgegen der bislang beobachteten Friedlichkeit es sich wohl ausgerechnet in dieser Nacht einfallen lassen wollte, Wachrunden durch die Bücherhalle zu drehen. Doch lag das Bauwerk still und friedlich da, und nichts rührte sich. Außer ein paar geschäftigen Mäusen – oder Ratten. So viele alte Bücher, so viel Pergament und Einbände aus Leder. Bajas mochte sich die mögliche Zahl der Nester und rosafarbenen Nagernachkommen gar nicht vorstellen.

Unangefochten erreichte er den dritten Stock, rief sich die gezeichnete Wegbeschreibung in Erinnerung und spazierte nahezu gemütlich durch die Räume. Regal neben Regal, alle Borde vollgestopft, dazwischen Schränke voller Bücher und Schriftrollen. So viel Wissen auf einem Haufen, von dem doch nur ein Bruchteil wirklich nützlich war. Niemand brauchte Abhandlungen über den Ursprung des Göttlichen oder die Geschichte der Magie. Aber Hunderte von Autoren hatten Abertausende Seiten damit gefüllt. Wie viele Hintern auf Aborten könnte man mit all diesem Papier und Pergament sauber wischen! Aber egal. Jemand wollte zwei halbe Silber für ein bestimmtes, dummes Buch in Bajas’ bereitwillige Hand legen. Da blieb es ihm doch gleichgültig, welche verworrenen Sachen darin standen.

In dem Raum vor ihm polterte etwas leise. Ratten, die er aufgeschreckt hatte, obwohl er so leise unterwegs war. Besser, die hässlichen Nager türmten, statt ihm über die Füße zu huschen. Die Tür zum Nachbarraum war nur angelehnt, und als Bajas die Schwelle überschritt, witterte er frischen Qualmgeruch wie von einer Kerze, die vor wenigen Augenblicken ausgeblasen worden war. Er zögerte kurz unter dem Türsturz, ließ den Blick wachsam durch den unordentlichen Raum schweifen und runzelte die Stirn. Das unbestimmbare Gefühl, nicht alleine zu sein – den Sinnen eines Mannes geschuldet, der den Kampf ums Überleben persönlich und nicht nur vom Hörensagen her kannte – drängte sich auf. Bajas hielt die Luft an und lauschte, bis er sich sicher war, Atemzüge zu hören und vor allem orten zu können. In der Nische zwischen zwei Regalen stand jemand.

Gut. Verdammt. Ganz ruhig bleiben und erst einmal so tun, als hätte er den Kerl nicht gesehen. Ein Konkurrent um das Buch? Musste wohl so sein, denn das konnte doch echt kein Zufall sein, dass jemand ausgerechnet im gleichen Raum mit dem verdammten Schmöker mit Bajas Verstecken spielen wollte. Das Buch schien ja heiß begehrt. Bajas beschloss, eine höhere Bezahlung auszuhandeln, bevor er den Walzer herausrückte.

Er trat also vorsichtig näher und gab sich Mühe, augenscheinlich nur Augen für die Bücher zu haben. Sein Eintritt in den Raum war nicht zu übersehen gewesen, immerhin hatte der andere Einbrecher sich in die Nische geflüchtet; aber vielleicht hatte der Kerl noch nicht begriffen, dass Bajas ihn ausgemacht hatte. Konnte sich als entscheidender Vorteil erweisen.

Er entdeckte den gesuchten Bücherschrank, und tatsächlich stand dessen Tür leicht offen, und irgendeine Lücke gab es bestimmt in dem unordentlichen Gewirr, wo früher das bestellte Buch gestanden haben musste.

Die Fensterläden klapperten im Wind, und mit einem Mal riss eine Böe mindestens einige Latten ab, sodass Mondlicht blauschimmernd in das voll gerümpelte Lesezimmer und genau auf den zweiten Bücherdieb fiel.

Groß, eindrucksvoll mit schlohweißem, kurzem Haar und gepflegtem Vollbart. Vor die Brust drückte der Alte ein dickes Buch und blickte aus hellen Augen auf Bajas, wobei sich deutlich Erschrecken auf den Zügen zeigte.

Ohne zu zögern, sprang Bajas vor und packte das Buch in der rühmlichen Absicht, es dem alten Mann zu entreißen. Dessen Augen weiteten sich wie vor Schreck oder Empörung, und er hielt das Buch energisch fest, sodass sich ein stummes Ringen um das Objekt der Begierde entspann.

»Lass los, Opa!«

Das nahm der Kerl zum Anlass, vorzuspringen und Bajas mit einer Schulter zu rammen. Der Stoß war viel zu kräftig für einen Tattergreis, der am Rande seines Grabes herumtaumelte und nur zu faul zum Reinfallen war. Bajas riss das Knie hoch und ließ es schwungvoll den Oberschenkel des großen Mannes rammen. Gleichzeitig drehte er sich zur Seite, um solcherart das Buch aus dem Zugriff des Gegners zu winden.

»Gute Güte, du bekommst es nicht!«, stieß der Alte hervor.

»Das wollen wir doch mal sehen!«, gab Bajas heftig zurück und trat dem Alten vor das Schienbein, während er weiter am Buch zerrte, um es den greisen Händen zu entreißen. Dabei geriet er jedoch ins Straucheln, da hinter ihm irgendetwas Nachgiebiges lag. Wie ein Fuder Mist. Bajas unterdrückte mannhaft einen Fluch, als er tatsächlich rückwärts stürzte, und der blöde Opa fiel natürlich ebenfalls um, weil sie beide nicht einen Herzschlag lang das Buch losließen.

Die Landung war härter als erwartet. Als würde er auf einen Haufen Bretter unter einigen Decken fallen. Verstärkt wurde das durch den Alten … der nicht alt war. Denn der große Mann landete auf Bajas, dass diesem die Luft ausging. Mit einem Mal war das bärtige Gesicht ganz nahe, und es war nicht im Geringsten runzelig oder verwelkt. Der Kerl konnte kaum älter als Bajas selbst sein, und was dieser für schlohfarben gehalten hatte, war ein strahlendes Weißblond, das unter Sonnenlicht glänzen und leuchten musste. Die Augen immer noch weit aufgerissen, doch das Mondlicht zeigte ihre Farbe nicht deutlich – nur das blanke Entsetzen in ihnen.

»Oh … oh … so ein Schlamassel!«

»Was?«, fragte Bajas atemlos und wider Willen angezogen von diesem hellen Blick, der genau an seinem Kopf vorbeiging, als der Große den Bretterstapel anstarrte. Vielleicht ein Haufen alter Bücher, der unter doppeltem Gewicht Schaden nahm. Irrigerweise bemerkte Bajas, wie akkurat der Bart gestutzt, wie klar die Haut des anderen Mannes wirkte. Außerdem spürte er auch, wie schwer der Große war.

»Lass das Buch los. Wir müssen aufstehen. Das ist gar nicht gut.« Eine tiefe Stimme, die sich auch durch das Buch von Brustkorb zu Brustkorb als sanfte Vibration übertrug.

»Ich lasse es ganz bestimmt nicht los. Tu du das doch!«

Verblüffenderweise befolgte der Fremde diese Aufforderung, stemmte sich hoch, wobei er immer noch an Bajas vorbei auf den Bücherhaufen – oder was auch immer es war – starrte, wie beiläufig mit einer großen Hand Bajas’ Oberarm packte und den vormaligen Gegner auf die Beine und mit sich zog. Beinahe fühlte sich das behütend an, was eine ganz neue Erfahrung war.

Bajas riss den Blick mühsam von dem immer noch schreckensbleichen Gesicht so weit über sich und sah auf das Buch, auf die goldgeprägte Titelei. »Das ist gar nicht der dämliche Wälzer, wegen dem ich hierherkam. Verdammt, die ganze Rangelei war vollkommen blödsinnig. Was tust du hier? Wer bist du überhaupt?«

»Das spielt im Augenblick gar keine Rolle, glaub mir.«

»Wahrscheinlich nicht. Du darfst mich jetzt loslassen und dein Buch wiederhaben.« Der Kerl war so verdammt groß, breitschultrig, und die Finger, die sich immer noch um Bajas’ Oberarm spannten, besaßen unangenehm viel Kraft. Bajas beschloss, sich schnell das gewünschte Buch zu schnappen und dann zu türmen, solange der Große wie ein Mondkalb auf malträtierte Bücher glotzte. Besser, hier zu verschwinden, bevor der Fremde auf die Idee kam, Bajas an die nächste Wache auszuliefern oder ihn windelweich zu prügeln. Der Kerl stammte aus der Oberschicht, so viel war einmal sicher. Alleine schon Gute Güte und Schlamassel. So sprach doch kein normaler Mensch!

»Ähm. Ich möchte dich nicht beunruhigen, aber hinter dir liegt ein Leichnam.«

»Was?«

»Wie bitte heißt das. Ich fürchte, das ist der Nachtwächter … gewesen. Ein sehr freundlicher alter Mann. Gute Güte!«

»Nun, ich kam nach dir hier an, ich habe ihn also nicht umgelegt. Du allerdings bist verdächtig. Lass mich nun endlich los!«

Wie konnte ein so großer Kerl nur so kindlich-erschrocken dreinblicken? Außerdem roch er gut, und die Finger um Bajas’ Oberarm, die nun zögerlich die Umklammerung lockerten, fühlten sich angenehm warm an.

»Ich? Aber … nein, ich versichere dir … Ich sehe den Leichnam doch jetzt erst! Ich würde niemals einen anderen Menschen umbringen.«

»Nun, erkläre das der Nachtwache, falls sie dich hier erwischt«, versetzte Bajas und begab sich mit einem schnellen Schritt außer Reichweite des großen Mannes, bevor der erneut auf die Idee kommen konnte, nach ihm zu greifen. Er brauchte nur das verdammte Buch, dann konnte er sich verkrümeln und es dem blonden Riesen überlassen, sich um den Toten zu kümmern. Dämlich genug war der Kerl, dass er schnurstraks zur nächsten Wachstube rannte, um den Kadaver dort zu melden.

Der sah auf jeden Fall gar nicht gesund aus – abgesehen von der Tatsache, dass er mausetot war. Die Haut wirkte weiß und hart wie Marmor. Selbst die Lippen des offenstehenden Mundes waren blutleer, und die Zunge sah aus wie eine graue Wurst. Bajas hatte in seinem Dasein schon ein paar Tote gesehen. Penner, die im Winter draußen besoffen eingenickt und nie wieder aufgewacht waren. Ein paar Kinder, die an einer fiesen Krankheit verreckt waren. Einen Mann, der nach einer Schlägerei humpelnd und blutend zurück in den Schuppen gekommen war, sich in sein Bett verkrochen hatte und dann irgendwann in den restlichen Nachtstunden am eigenen Nasenbluten erstickt war. Keiner von denen hatte so … so kalkig ausgesehen.

Fast unheimlich, als wäre der alte Mann mit Schnee ausgestopft worden. Bajas trat einen Schritt näher und erwartete eine gewaltige Blutlache unter dem toten Schneemann, doch da war nur staubiger Boden, auf dem sich klar seine eigenen Spuren abzeichneten. Nicht gut.

»Ich … ich sollte die Wache benachrichtigen«, sagte der Fremde mit deutlicher Unsicherheit in der Stimme.

»Die wird dich fragen, was du zu dieser nächtlichen Stunde in der Bücherhalle zu suchen hattest. Hast du eine schlaue Erklärung?« Bajas verwischte mit einer Stiefelspitze die Spuren im Staub, trat wieder vom Kadaver fort und wandte sich um äußerliche Ungerührtheit bemüht dem Bücherschrank zu, damit er seinen Auftrag allen Widernissen zum Trotz doch noch erfüllen konnte.

Er spürte den Großen hinter sich, der wie ein anhänglicher Welpe dichtauf folgte. »Ich … ich suchte ein Buch. Dieses hier. Das ist die einzige Ausgabe in der ganzen Stadt.«

Bajas überflog die Buchrücken mit ihren aufgeprägten Lettern und zerrte den bestellten Band aus dem Schrank. Entschlossen, dem anhänglichen Kerl zu entkommen, wandte er sich wieder um, damit er ein paar weise Worte an diesen richten konnte.

Der klare Blick, in dem so viel Verzweiflung und Verwirrung lagen, nagelte ihn nahezu an. Sogar die Wimpern waren weißblond, aber so dicht und lang, dass sie wie mit Asche gepudert wirkten. Ein ausnehmend gutgeschnittenes Gesicht mit gerader Nase, hohen Wangenknochen und markanter Kieferlinie, die durch den kurzen Bart noch betont wurde – und das Auffälligste blieben die strahlend hellen Augen, die kummervoll und ratsuchend auf Bajas niederblickten.

Nun, immerhin waren Bajas und dieser gutaussehende Kerl wegen der weggeschlossenen Bücher hier und hatten gemeinsam einen toten Nachtwächter entdeckt. Falls der Große nicht der weltbeste Schauspieler war, den Alten eigenhändig umgebracht hatte und nun auf einen Augenblick der Unachtsamkeit bei Bajas lauerte, um auch diesen um die Ecke zu bringen.

»Ich mache jetzt die Biege«, sagte er entschlossen und trat vorsichtshalber noch einen Schritt zurück.

»Was immer du damit andeuten willst, wir müssen das melden. Du bist ebenfalls ein Zeuge.«

»Liefer dich fein alleine ans Messer.« Bajas machte sich behutsam daran, den Großen zu umrunden. »Du bist hier eingebrochen, vergiss das nicht.«

»Bücher sollten nicht unter Verschluss gehalten werden! Das Wissen darin muss für jeden zugänglich sein. Ich habe in diesem Buch wichtige Einzelheiten zur Forschung von Namir und Evis gefunden, auf die meine Recherchen hinwiesen.«

»Gut«, erklang eine Stimme wie gehämmerter Stahl. »Ihr beiden seid jetzt ganz friedlich. Haltet die Hände so, dass ich sie sehen kann. Gefreiter, trügen mich meine Augen, oder liegt da ein Kadaver herum?«

Bajas wirbelte herum, und da der Große das auch tat, stießen sie fast zusammen. Jeder mit einem Buch vor der Brust, ganz großartig. Im Zugang des Lesesaals stand eine Handvoll Soldaten von der Wache.

»Ich kann das erklären«, sagte der Große auch noch.

Bajas hätte sich am liebsten die flache Hand vor die Stirn geschlagen. Ersatzweise dem riesenhaften Tölpel das Buch vor den Kopf.

»Ach, sieh an. Herr Davil. Kommt ja nicht so oft vor, dass du deinen Zirkel verlässt. Wette, du hast gute Gründe dafür. Auf die bin ich gespannt.« Die befehlshabende Frau – schlank, hochgewachsen und mit den Abzeichen eines Feldwebels auf dem Harnisch – lehnte sich an die Türzarge und wirkte dabei in etwa so entspannt wie eine Raubkatze kurz vor dem Sprung auf ahnungslose Beute.

Bajas nutzte die kurze Zeit und prägte sich den Namen ein, der ihm schlichtweg gefiel. Passte zum großen Hornochsen.

Der Gefreite trat zum toten Nachtwächter und nickte. »Sowas von kalt, Feldwebel. Frisch, er stinkt noch nicht.«

»Dieser Leichnam lag hier bereits, als ich hereinkam«, sagte Davil ernst.

»Das kannst du einem Richter erzählen. Jungs, nehmt die beiden da fest.«

»Ich protestiere, Feldwebel!«

»Reizend. Sag mir lieber, was du hier um diese Uhrzeit treibst. Und wer dein Begleiter ist.« Sie löste sich vom Türrahmen und trat mit lockeren Schritten näher. Ebenso die restlichen drei Männer ihrer Truppe.

Bajas atmete tief durch, umklammerte das Buch und sprang dann an dem dämlichen Davil vorbei nach vorne. Hände griffen nach ihm, aber er war schnell, und das Leben in der Gosse hatte ihn für Auseinandersetzungen wie diese geschult. Zuallererst der Feldwebel. Soldaten ohne Befehle neigten dazu, sich kopflos zu verhalten und sich gegenseitig nicht zuzuhören. Das war ja nicht Bajas’ erster Kontakt mit einer Patrouille! Die dämlichen Behelmten hatten entschieden etwas gegen Taschendiebe, was Bajas’ Wirkungskreis wohl einschränken sollte.

Er hämmerte der Frau das Buch ins Gesicht, wirbelte herum und nutzte eine Ecke des stabilen Einbands, um einen Soldaten ins Reich der Träume zu schicken, bevor er einem zweiten die Stiefelspitze in den Schritt jagte.

Zwei noch, und als Bajas erneut in eine Drehung sprang, während der Schwachkopf hinter ihm jetzt erst auf die Idee kam, sein Schwert zu ziehen, sah er Davil, der mit Entsetzen auf dem Gesicht nur dastand und fassungslos glotzte. Dabei hätte der Kerl doch nun wirklich mal etwas tun können, um sich nützlich zu machen! Wozu hatten die Götter ihn mit Größe, Kraft und einem breiten Rücken gesegnet, wenn er nur herumstehen und sich an seinem Buch festhalten konnte?

»Beweg deinen Arsch, verdammt!«

Der Gefreite kam auch schon näher, aber jetzt schien Bajas den Großen erreicht zu haben, der sich wie furchtsam in Bewegung setzte.

Bajas trat dem letzten Soldaten vor das Knie, duckte sich unter dem Schwertarm hinweg und knallte dem Kerl das Buch auf den Hinterkopf. Der Helm mochte Schäden verhindern, aber der Mann stürzte trotzdem zu Boden. Dafür war Davil endlich nahe genug heran, dass Bajas ihn am Ärmel packen und vor sich ziehen konnte.

Die wurden hier alle wieder munter! Er stieß Davil vorwärts und packte ein wackeliges, überladenes Bücherregal, zerrte daran, bis es kippte, und brachte sich hastig im Gefolge Davils in Sicherheit, während morsches Holz und Dutzende schwerer Folianten den Gefreiten und andere der Patrouille unter sich begruben.

»Aber … die Bücher!«

»Machen sich endlich mal nützlich! Ich sollte dich hier stehen lassen, du Blödmann. Lauf oder bleib hier, mir doch egal!« Er rannte los in Richtung der Treppe, und obwohl er wirklich wütend auf seine neueste Bekanntschaft mit den klaren Kinderaugen war, stieg Wärme in Bajas auf, als er hörte, dass Davil ihm nun doch folgte. Keinesfalls lautlos, aber immerhin gehorsam. Verdammt, was sollte er mit dem Mann machen? Außer dem schwachsinnigen Wunsch, Davil zu vernaschen, fiel ihm gerade nichts Sinnvolles ein. Er war ihm auch nichts schuldig, und alleine die Tatsachen, dass der Mann gut aussah, gut roch und nahezu atemberaubend weltfremd erschien, rechtfertigten nicht, dass Bajas sich seinetwegen in Gefahr brachte. Oder sich die Verantwortung für den auffälligen und hirnverbrannten Hünen aufbürdete.

Obendrein vernahm er hinter sich die Bemühungen der Soldaten, die Hindernisse aus dem Weg zu räumen und die Verfolgung aufzunehmen. Der Vorsprung war nicht eben groß, und Bajas versuchte, während er die Treppe hinab rannte, sich ein sicheres Versteck auszudenken. Zurück in den Schuppen konnte er nicht. Der Feldwebel wollte ihm einen Mord in die Schuhe schieben. Das bedeutete ein Kopfgeld, das jeder in der Unterkunft begierig einstreichen wollte. Und dann war da ja auch noch der anhängliche Davil, den Bajas irgendwie abschütteln musste.

Aber er hielt das Buch fest, während er weiter in halsbrecherischer Geschwindigkeit die Stufen hinab rannte, meistens zwei auf einmal nahm, manchmal drei. Das verdammte Buch bedeutete ein paar Münzen, mit denen Bajas ein die paar Wochen überbrücken konnte, während derer er nicht zurück in den Schuppen konnte.

Seine Muskeln – vom Kampf noch aufgeheizt – wussten selbst am besten, wie sie ihn heil die Treppe hinab tragen mussten, und so konnte er einigen Gedankenfetzen nachjagen, sie zu sortieren versuchen.

- Ende der Buchvorschau -

Impressum

Texte © Copyright by Tanja Rast, Haßmoorer Weg 1, 24796 Bredenbek, www.tanja-rast.de

Bildmaterialien © Copyright by over: Sylvia Ludwig, www.cover-fuer-dich.de, Motive für Cover: picturesque backstreet in Venice, Italy (#332012654): Gabriele Maltinti / shutterstock.com, Attractive young blond man looking back over his shoulder (#93342394): lithian / shutterstock.com

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-7394-3990-7