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Im Dienste seiner Kaiserinnen hat Amerial bei der Verteidigung des Reichs seine Magie ausgebrannt. Orientierungslos steht er jetzt dem Leben eines Zivilisten im Ruhestand gegenüber. Wie geht denn das? Nur mit seinem kleinen Drachen und dem Schlüssel zu einem halb vergessenen Landsitz bewaffnet macht er sich auf den Weg, um dieses neue Dasein zu erkunden. Für Trübsal bleibt Amerial keine Zeit, als seine Kutsche ein Rad verliert und ein Unwetter ihn schier wegspülen will. Durchweicht kommt er endlich zu Hause an und traut seinen Augen kaum. Denn er trifft auf den wohl reizvollsten Mann, dem er je begegnete. Jarsin ist ein Elf, zuerst verschlossen, ein bisschen widersprüchlich und vielleicht gerade deswegen so faszinierend. Doch ehe Amerial dieser Theorie und seinen Gefühlen auf den Grund gehen kann, entdeckt er ein bekanntes Gesicht, das ganz und gar nicht hier sein sollte!
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Kann Spuren von Erdnüssen enthalten!
Es gibt Inhalte, die Betroffene triggern können, das heißt, dass womöglich alte Traumata wieder an die Oberfläche geholt werden. Deswegen habe ich für diese Personen eine Liste mit möglichen Inhaltswarnungen für alle meine Romane zusammengestellt:
www.tanja-rast.de/inhaltswarnungen
Ganz sicher, ob er diesen Umstand Glück im Unglück nennen sollte, war Amerial sich nicht. Aber sein Dasein als Magier der Kaiserinnen war unwiderruflich zu Ende, und vielleicht stellte es also doch einen Glücksfall dar, dass er sich gerade in dieser Lage an den Landsitz in einem fruchtbaren Tal erinnert hatte, der ihm seit Jahren gehörte.
Zuletzt war das weitläufige Haus das Heim seiner Großmutter gewesen, die dort ihre Mutter gepflegt hatte. Beide waren seit Jahren tot, und Amerial der einzige Erbe. Viele Erinnerungen an das Haus besaß er nicht mehr, erkannte er, während er die Verladung seiner Packstücke auf dem Kasernenhof beaufsichtigte. Als Kind war er einige Male zu Besuch gewesen, hatte die Kirschbäume geplündert und sich gründlich auf dem Anwesen verlaufen, bis ein Gärtner ihn entdeckt und zurück zu seiner Großmutter gebracht hatte.
Ein wenig gruselig hatte Amerial das Haus damals gefunden, was aber wahrscheinlich vor allem am in Auflösung befindlichen Gedächtnis seiner Urgroßmutter gelegen hatte, die ihn bei jeder Begegnung freudig und aufgeregt gefragt hatte, wer er denn wohl wäre. Nur, um ihn danach mit seinem Vater zu verwechseln, weil sie nicht begreifen konnte, dass er ihr Urenkel war. Eine liebe, sanfte Frau, wie er heute erfassen konnte. Damals hatte er sie im Verdacht gehabt, das mit Absicht zu machen, und ihm hatte jeden Morgen vor einer neuerlichen Begegnung gegraut.
Vergangenheit – genau wie seine Magie.
Dieser spröde Gedanke holte ihn zurück auf den Kasernenhof, auf dem zwei Soldaten gerade eine unförmige Kiste am hinteren Ende der Kutsche verzurrten. Auf dieser Truhe hockte Vezza und sah den Männern kritisch zu. Es erschien Amerial tröstlich, dass der kleine Drache mit ihm kommen wollte. In der Schlacht und bei Hof war sie immer seine Begleiterin gewesen, hatte sich in friedlichen Augenblicken das Bäuchlein von einer sanften Feuerkugel wärmen lassen und in weniger friedvollen Zeiten für ihn ausgespäht, wo seine Magie am dringendsten benötigt wurde.
Keine wärmenden Feuerkugeln mehr für Vezza. Amerial hoffte, dass sie das wusste und begriff. Noch inniger hoffte er, dass es für sie keinen Unterschied bedeutete und sie mit ihm kam, weil sie ihn mochte. So, wie es ihm gleichgültig war, dass ihre Schuppenfarben und die kleinen, gedrehten Hörnchen auf ihrem Kopf deutlich sagten, dass sie aus der kaiserlichen Zucht stammte und für Normalsterbliche eine unendliche Kostbarkeit darstellte. Er liebte Vezza alleine wegen ihres Wesens und Humors.
Ja, er hatte schüchtern gefragt, was aus dem kleinen Drachen werden würde, ob sie einem anderen Magier zugeteilt werden würde.
Die alte Kaiserin Hera hatte gelächelt und geantwortet: »Das entscheidet alleine Vezza.«
Und sie hatte sich entschieden! Gerade hob sie den kleinen Kopf, gurrte und flatterte dann auf wie ein erschrockenes Huhn, um auf Amerials Schulter zu landen. Sie steckte ihre warme, feuchte Nase in sein Ohr und gurrte noch einmal.
Behutsam streichelte er mit zwei Fingerkuppen über ihren schuppigen Kopf. »Danke, dass du mit mir kommst, Vezza.«
Keine Kämpfe mehr zur Grenzverteidigung für sie und ihn. Keine Feuerbälle für einen kalten Drachenbauch, keine Rauchschwaden über feindlichen Truppen. Er hatte in jenen letzten Schlag, mit dem er die beiden ältesten Kaiserinnen verteidigt hatte, alles gelegt. Selbst jenen letzten Funken, aus dem nach einer Woche Ruhezeit die Magie neu wachsen konnte. Alles war fort und hatte ein kaltes Loch in Amerials Innerem hinterlassen. Die Kälte hatte ihm deutlich gesagt, dass er sich nicht länger Magier nennen durfte. Kälte für ihn – für alle anderen, die keine Magie in sich getragen hatten, war das der übliche Zustand. Er würde sich daran gewöhnen. Gewöhnen müssen. Immerhin hatte er jetzt einen Monat im Palast verbracht und doch noch immer auf die Rückkehr der Magie gehofft. Fruchtlos, und jetzt musste er eben so klarkommen!
Kaiserin Hera hatte Amerial mit einem stattlichen Handgeld ausgestattet und ihn in Ehren vom Hof verabschiedet. Sie hatte, so schien es ihm, sein Opfer voll und ganz begriffen und gewürdigt. Sie war sogar so weit gegangen, einen kleinen Trupp aus ihrem eigenen Haushalt vorauszuschicken, um den Landsitz ein klein wenig wohnlich zu gestalten, damit Amerial nicht in ein kaltes Haus mit zerbrochenen Fenstern und ohne ein einziges Holzscheit ziehen musste. Vielleicht überflüssig, denn Amerial wusste, dass er einen Verwalter und ganze Horden Handwerker rund um das Gutshaus beschäftigte, wenngleich er diese Personen bislang nur aus Jahresberichten kannte.
Auf der Reise nach Toron, wie der kleine Ort am Rande der Berge hieß, durfte Amerial in Gasthäusern übernachten, die üblicherweise kaiserlichen Gesandten vorbehalten waren. Dort würde er auch frische Pferde aus kaiserlichen Stallungen erhalten und solcherart in Komfort und ohne Sorgen zu seinem neuen Heim gelangen. Und seinem neuen Dasein als Gutsherr, Bürger und ohne Magie. Verdammt, es schmerzte trotzdem!
Freundlich bedankte er sich bei den Umstehenden, den Soldaten, die sein Gepäck verladen hatten. Es gab natürlich mehr Magier als nur Amerial bei Hof, aber diese Leute wussten, dass sie sich zukünftig nicht mehr darauf verlassen konnten, dass er zu ihrer Unterstützung kam, dass seine Feuerkugeln nicht länger einen Wall zwischen ihnen und Feinden errichten konnten. Amerial zog nicht nur auf den Landsitz der Familie, sondern in den Ruhestand.
Vezza zwickte ihn zärtlich ins Ohrläppchen, als würde sie seine Niedergeschlagenheit spüren und wollte ihn nun auf andere Gedanken bringen.
»Du hast ja recht, meine Kleine«, sagte er, straffte sich und kletterte in die Kutsche. Viel Platz hatte er nicht, da auch ein Gutteil seiner Habe und Geschenke der Kaiserinnen und anderer mit ihm in der Kabine reisen würden. Aber er hatte Wolldecken und einen gewärmten Ziegelstein, welcher gegen kalte Füße helfen sollte. Leider belegte Vezza diese Wärmequelle sofort mit Beschlag und zerfloss darauf wie eine Katze auf einer warmen Ofenbank. Sie seufzte höchst zufrieden.
Die Kutsche setzte sich in Bewegung.
Amerial schaffte es, eine Zehenspitze auf den Backstein zu schummeln, ohne dass Vezza protestierte. Er hatte eine Schriftrolle in der Tasche seines Mantels verstaut, die sich mit so erbaulichen Dingen wie Heuernte, Milchviehwirtschaft und Fruchtfolge beschäftigte. Mit dieser lehrreichen Lektüre hatte er vorgehabt, sich die Reisezeit zu vertreiben, aber stattdessen sah er einfach nur aus dem Fenster.
Die Häuser der Hauptstadt zogen an ihm vorbei, dann die Stadtmauer, die Vororte, und mit jeder Umdrehung der Kutschenräder fiel sein altes Leben ein bisschen mehr hinter Amerial zurück.
Nun, er schaffte das! Er würde bei seinem Verwalter in die Lehre gehen und sich bemühen, ein guter Gutsherr zu werden. Er musste ja wohl nicht höchstpersönlich Kühe melken. Hoffte er. Denn er hatte keine Ahnung, wie groß das Anwesen tatsächlich war. Als Kind war es ihm weitläufig und schier endlos erschienen, aber Amerial wusste genau, dass Erinnerungen täuschen konnten. Alleine die bisherigen Jahresberichte seines Verwalters ließen ihn hoffen, dass er nicht eigenhändig Stallungen würde ausmisten müssen.
Er blickte auf Vezza, die nun leise schnarchte und den Ziegelstein sichtlich genoss. Er würde bei jeder Rast und jedem Pferdewechsel dafür sorgen, dass sie einen frisch gewärmten Stein erhielt! Und um einen zweiten für seine eigenen Füße bitten. Er kuschelte sich tiefer in seine Decken und zog schließlich nur ein wenig widerwillig die Schriftrolle aus der Tasche, um sich zu bilden, damit er nicht gänzlich unvorbereitet in Toron ankam.
Das Wetter verschlechterte sich mit jeder Meile, seitdem sie die letzte Wechselstation vor Toron passiert hatten. Amerial fröstelte trotz Backstein und Decken, während draußen Blitze zuckten und Regen sich mit Hagelschauern abwechselte. Ganz offenbar wollte der Winter es dem heranbrechenden Frühling mit diesem letzten Sturm noch einmal so richtig zeigen.
Ihm taten die Pferde, der Kutscher und dessen Knecht leid, und zweimal schon hatte Amerial gefragt, ob sie nicht in einem Weiler oder zumindest unter Bäumen Schutz suchen wollten. Aber sein Kutscher war aus hartem Holz geschnitzt, so schien es, denn er hatte beide Male abgelehnt. Wahrscheinlich wollte der Mann seine Fracht rasch loswerden, um dann endlich heimkehren zu können. Oder zumindest in eine freundliche Gastwirtschaft einkehren.
Vezza fand das Unwetter toll. Sie klebte nahezu an der Fensterscheibe, gurrte und keckerte leise, wenn wieder einmal ein Blitz aus tintenschwarzen Wolken fuhr und den Himmel mit einem Spinnennetz aus Licht überzog.
»Meine Liebe, du hast einen seltsamen Sinn für Humor«, teilte Amerial ihr lächelnd mit. Ebenso hatte sie sich für magische Entladungen begeistert, obwohl sie genau gewusst hatte, wie viel Abstand sie halten musste, um nicht ihre Krallenspitzen zu versengen.
Sie wandte auf seine Worte hin leicht den Kopf, schnatterte aufgeregt und wollte eben wieder nach draußen gucken, als etwas unter Amerials Schuhsohlen ganz grauenhaft knirschte und dann mit einem Knall zu zerbrechen schien. Was es auch gewesen war, die Kutsche nahm es übel und kippte mit Schwung zur Seite, sodass ein prall gefüllter Mantelsack und drei kleinere Kisten auf Amerial fielen und ihn platt gegen die Seite der Kabine drückten.
Immerhin hatte er es noch eher instinktiv geschafft, eine Hand zum Schutze Vezzas auszustrecken, die nun ebenso platt wie er gegen die Fensterscheibe gedrückt wurde.
Er hörte die Pferde wiehern und stampfen, einen Fluch vom Kutscher – die tiefe, raue Stimme war unverkennbar – und gleich darauf einen noch erheblich saftigeren Fluch vom Knecht. Gut, solange die beiden schimpfen konnten, waren sie wohl in einem Stück.
Amerial kämpfte sich unter dem Mantelsack hervor und zog die leise zeternde Vezza an seine Brust. Jetzt sah er, dass rund um die Tür und durch ein zerbrochenes Seitenfenster schlammiges Wasser in die Kutsche drang. Diese lag komplett auf der Seite, und alles Gepäck, alle Geschenke hatten sich demgemäß umgelagert.
»Halt dich fest«, befahl er Vezza und machte sich daran, nach oben zur zweiten Tür zu klettern, wobei er sich an Gepäck vorbeischlängeln musste und einen besonders aufdringlichen Sack mit Wäsche so lange knuffen musste, bis dieser in eine Lücke passte und Amerial Platz machte.
Über sich vernahm er Schritte und konnte durch die Fensterscheibe der zweiten Tür einen Schemen erkennen. Gleich darauf wurde diese Tür aufgerissen, und ein Schwall Regenwasser drohte, Amerial zurück in das schlammige Nass zu spülen. Vezza kreischte und versuchte, unter den Mantelaufschlag zu kriechen. Ihre kleinen Krallen hinterließen dabei nadelstichfeine Löcher nicht nur in Amerials Hemd, sondern auch seiner Haut. Aber das war ihm gerade gleichgültig. Er wollte aus der Kutsche, ehe diese komplett versank.
Es war der Knecht, der ihm nun eine Hand reichte und ihn aus Gepäck und langsam höher steigenden Schlamm auf die vormalige Flanke der Kutsche zog.
Regen prasselte auf sie nieder, und eine heftige Sturmböe versuchte sogar, das begonnene Werk zu vollenden, indem sie danach trachtete, Amerial von der Kutsche zu wischen.
»Was ist geschehen?«, fragte er, wobei er beinahe brüllen musste, um das Tosen des Windes und das Prasseln des Regens zu übertönen.
»Rad gebrochen. Oder die Achse. Bist du unversehrt, Herr?«
Vezza quietschte, um zu zeigen, dass sie nicht unversehrt, sondern sehr nass, kalt und schlammig war. Amerial ignorierte sie für den Augenblick und nickte nur.
»Eines der Pferde ist lahm. Der Kutscher spannt sie aus. Kannst du hier hinabklettern, Herr?«
Amerial nickte wieder und folgte dem Knecht über die spiegelglatte Flanke der Kutsche bis zum Bock, wo ein Abstieg tatsächlich möglich schien. Er war dankbar, dass er sich niemals alleine auf seine Magie verlassen hatte, sondern sich auch im Stockfechten, Schwimmen und Laufen geübt hatte. Man wusste ja nie, wann ein hastiger Rückzug angebracht war, und dann hatte Amerial ganz bestimmt nicht eine schnaufende Nachhut bilden wollen, zu der nachrückende Feinde mühelos aufschließen konnten. So kam er heil auf festem Boden … Nein. So kam er heil in über knöcheltiefem Morast an, der ihm die Schuhe von den Füßen saugen wollte.
Gemeinsam wateten sie nach vorne, wo der Kutscher die Pferde gerade vom Weg in den kargen Schutz einer überhängenden Buschreihe führte. Eines lahmte tatsächlich sichtlich, schien aber froh, fort von der Kutsche und aus dem scharfen Wind zu gelangen.
»Herr, ist alles in Ordnung?«, fragte der Kutscher und musterte Amerial kritisch dabei.
»Ja, ich bin in einem Stück. Wo sind wir? Und was tun wir jetzt?«
»Wir sind eben an einem Wegweiser zu einem Fußweg vorbeigekommen. Es sollte nicht mehr weit bis Toron sein, und im Schein der Kutschlampen sah ich sogar den Hinweis auf den Landsitz, Herr. Ich würde meinen Knecht mit dem unverletzten Pferd zurück zum letzten Weiler schicken. Da habe ich bei der Durchfahrt eine Schmiede und eine Stellmacherei gesehen.«
Und ein Gasthaus. »Wie weit ist es bis zu diesem Weiler?«, fragte Amerial.
»Drei Meilen mindestens.«
Und es goss wie aus Kübeln. Sollte Amerial jetzt das unverletzte Pferd für sich beanspruchen, hatte der Knecht einen wirklich fürchterlichen Fußmarsch vor sich. Jemand musste wegen des Gepäcks bei der Kutsche und natürlich auch dem zweiten Pferd bleiben. Hilfe für das gestrandete Fahrzeug war hoffentlich im Weiler zu bekommen. Eine Handvoll kräftiger Männer, um den Wagen wieder aufzurichten, eine heilkundige Person für das lahme Pferd … Er richtete sich gerader auf. »Ich begleite deinen Knecht bis zu der Abzweigung und warte dann in meinem Haus auf euch, bis ihr den Wagen flott habt, um mir mein Gepäck zu bringen.«
Sie atmeten beide auf, dass er so vernünftig handeln wollte. Aber alles andere wäre schlichtweg Unfug! In der Kutsche durchweichten gerade seine Habe und die Geschenke. Je rascher der Wagen wieder richtig aufgestellt werden konnte, desto besser für Amerials Sachen.
»Ich wäre dankbar, vorher meinen Mantelsack zu erhalten, damit ich Kleidung zum Wechseln habe, bis ihr mit der instand gesetzten Kutsche nach Toron kommt. Leider liegt dieser wohl zuunterst.«
Die beiden Männer tauschten einen Blick, und Amerial war lange genug beim Heer gewesen, um genau zu wissen, dass die beiden gerade stumm ausfochten, wer in die Kutsche klettern und das Gepäckstück bergen musste. Der Kutscher gab sich geschlagen – wohl auch in Anbetracht der Tatsache, dass er gleich mit dem lahmen Pferd warten würde, während der Knecht sich zum Weiler durchschlug. Er überreichte die Zügel der Tiere an seinen Knecht und watete mühsam durch den weichen Schlamm, um dann in die Kutsche zu klettern und einige Zeit darin herumzuwühlen und hin und wieder zu fluchen. Schließlich tauchte er wieder auf. »Dieses Gepäckstück, Herr?«
»Goldrichtig. Ich nehme ihn dir ab.« Dieser Ankündigung ließ Amerial die Tat folgen, und so konnte er sich den Mantelsack über eine Schulter werfen, nach Vezza sehen, die sofort leise nörgelte, weil ein Regentropfen auf ihre Nase platschte.
Der Knecht schwang sich auf das unverletzte Pferd und begleitete Amerial ein gutes Stück den Weg zurück, den sie gekommen waren, bis vor ihnen tatsächlich ein Wegweiser auftauchte, der einen keinesfalls vertrauenerweckenden Pfad gen Toron auswies. Ein besserer Wildwechsel, fand Amerial. Aber jetzt machte er garantiert keinen Rückzieher! Dies mochte nur der Knecht eines Kutschers sein, und er war einer der kaiserlichen Magier … gewesen. Stell dich nicht so an. Es ist nur Wasser, ermahnte er sich. Eine zweite Stimme tauchte ungebeten in seinem Kopf auf: Und Sturmwind, Matsch und eine Steigung, die herab uns ein kleiner Sturzbach entgegenströmt!
Laut sagte er: »Gib gut auf dich acht. Ich erwarte euch dann wohl morgen im Laufe des Tages.«
»Ja, Herr. Wir beeilen uns.« Der Knecht äugte den Weg hinauf. »Gib du auch gut auf dich acht. Falls du hier stürzt und dir ein Bein brichst, findet dich so schnell niemand, Herr.«
Amerial nickte würdevoll. Für einen solchen Notfall hatte er Vezza bei sich, die zwar wegen des Regens schimpfen, aber keinen Wimpernschlag lang zögern würde, sich für ihren Freund dem Zorn der Elemente zu stellen. Er wünschte sich einen Wanderstab. Vielleicht fand er ja unterwegs einen passenden Stecken. Jetzt hieß es erst einmal, gegen die Strömung den Pfad hinaufzuschwimmen! Oh, er sehnte sich so sehr nach einem Dach über dem Kopf, nach einem Feuer in einem Kamin und trockenen Socken! Heißer Tee wäre auch eine Wohltat. Doch all das musste er sich erst einmal verdienen.
Er watete den Hang hinauf, rutschte mehr als dreimal fast aus und fühlte seine Zehen nach der Hälfte der Strecke nicht mehr. Wenn er sich weit vornüberbeugte, blieb Vezza einigermaßen trocken. Sie war ganz still und hielt sich fest. Er fühlte ihre Atemzüge und natürlich alle kleinen Krallen.
Kurz, bevor er die Kuppe des Hanges erreichte und in den Schutz eines Wäldchens gelangen konnte, schien die Wettergöttin der Meinung, dass er zu glimpflich zu entkommen drohte. Sie wechselte von Regengüssen zu einem kraftvollen Hagelschauer. Das war kein niedliches Rieseln, sondern die verdammte Göttin warf mit taubeneigroßen Eisbrocken nach ihm!
Keuchend vor Schmerz versuchte Amerial, das letzte Wegstück rasch hinter sich zu bringen, rutschte aus und prallte mit dem Knie schmerzhaft auf Hagelkörner. Er stemmte sich wieder auf die Beine, zog den Kopf ein und flüchtete unter die schützenden Zweige. Überall krachte es, wenn Hagel auf Holz traf. Kleinere Zweige rissen ab. Aber hier erschien es Amerial trotzdem beinahe friedlich. Er nahm sich einen Augenblick Zeit, um wieder zu Atem zu kommen.
Es war unsinnig, sich zurück zur Kutsche zu wünschen. Die lag auf der Seite und bot auch keinen Schutz. Wahrscheinlich wäre das lahmende Pferd ihm im Matsch nur auf einen Fuß getreten, wenn er versucht hätte, neben dem Kutscher und dem Tier Schutz zu suchen. Nein, so war es besser. Und hoffentlich war es nicht mehr weit bis zum Haus seiner Großmutter.
Er stapfte weiter, und irgendwann gab die Wettergöttin auf, Eis aus den Wolken zu werfen. Stattdessen sorgte sie für neuerlichen Regen, der durch das noch spärliche Frühlingslaub auf Amerial prasselte. Er war nass bis auf die Haut. So sehr sehnte er sich nach einem wärmenden Feuer, nach trockener Kleidung. Vielleicht vorher ein heißes Bad? Oh, wundervolle Vorstellung!
Sein Pfad gabelte sich mit einem Mal, und hier stand kein Wegweiser. Amerial wischte sich Wasser aus dem Gesicht und den Wimpern und starrte voraus. Da waren Lichter zu seiner Rechten. Er roch Rauch von Herdfeuern. Linker Hand folgte der Weg dem Verlauf einer Mauer, die von schmiedeeisernen Einsätzen unterbrochen wurde. Das entschied es. Diese Mauer kannte er nämlich! Ehe der Gärtner ihn damals eingesammelt hatte, war er dieser Umfriedung gefolgt, da er gehofft hatte, solcherart das Torhaus zu erreichen.
Das Haupttor öffnete sich zum Dorf hin, was den Weg nach rechts bedeutete. Allerdings wies der Karrenpfad in die entgegengesetzte Richtung darauf hin, dass es einen zweiten Zugang gab – wohl zum Wirtschaftshof des Anwesens –, der wahrscheinlich näher lag. Entschlossen bog Amerial also nach links ab und folgte im strömenden Regen dem Verlauf der Mauer.
Zufrieden erkannte er, dass er recht gehabt hatte. Bald schlossen sich große Scheunen an, und nur ein paar Schritte weiter ragte das Torhaus auf, das es an Pracht mit dem Haupteingang natürlich nicht aufnehmen konnte, aber immerhin eine gepflasterte Zuwegung sein Eigen nannte.
Es stand offen, was Amerial stumm jubeln ließ. Er war sich nicht sicher, wie einfach ein Wächter zu überzeugen gewesen wäre, dass der Herr über das Anwesen durch die Hintertür Einlass begehrte.
Müde, nass und kalt trottete er über den Wirtschaftshof und tastete in der Manteltasche schon nach dem Schlüssel für das Haupthaus. Gar nicht mehr weit. Er konnte die Umrisse des lang gestreckten Bauwerks schon gegen den stahlgrauen Himmel ausmachen.
Neben einem vermuteten Lagergebäude brannte eine trübe Laterne. Ein Lebenszeichen! Immerhin eines auf dem ganzen Gelände. Das Haupthaus lag leider vollkommen im Dunklen.
Dank der Fürsorge der Kaiserinnen würde es wohnlich sein, ein Holzvorrat beim Kamin wartete auf Amerial … und er hatte keine Ahnung, wie er ein Feuer entzünden sollte, begriff er schlagartig und entsetzt. Er konnte ja kein Feuer mehr werfen, keine magischen Flammen mehr rufen, um die Holzscheite in Brand zu stecken!
Hoffentlich fand er jemand von der Dienerschaft – so es hier noch jemand in Diensten des Hauptgebäudes gab. Aber vielleicht war noch jemand vom kaiserlichen Voraustrupp hier. Sonst … sonst musste er das ganz schnell lernen, wie man Feuer machte. Konnte doch nicht so schwer sein! Das taten im Reich jeden Morgen ungezählt viele Leute!
Ein dunkler Schatten trat ihm in den Weg. »Dies ist Privatbesitz«, grollte eine tiefe Stimme.
Amerial blieb stehen und richtete sich gerader auf.
Sein Gegenüber kam ihm und somit dem gelblichen Lichthof der Laterne ein paar Schritte näher. Wie Gold schimmerte das Haar, und dann erkannte Amerial, dass er es mit einem Elfen zu tun hatte.
Es geschah nicht alle Tage, dass Amerial einem Elfen begegnete. Das musste als Erklärung für seine kurze Fassungslosigkeit genügen.
Natürlich fand dieser Augenblick, in dem er nur sprachlos dastehen und die schlanke Gestalt vor sich anstarren konnte, seine Ursache nicht darin, dass dieser Elf eine Augenweide war. Natürlich nicht! Lederschürze, Ruß auf der Wange, nackte Schultern und Arme … daran konnte es nicht liegen. Auch nicht an den graziös geschwungenen Schlüsselbeinen. Schon mal gar nicht an dem schmalen Gesicht. Das sah ausgesprochen streng und keinesfalls einnehmend aus. Genau!
Amerial schüttelte also souverän die zeitweilige Verwirrung ab und antwortete höflich: »Ich bin Amerial. Ich fürchte, dies ist mein Privatbesitz.«
Als Antwort auf diese kühne Behauptung hob der Elf nur eine seiner schrägen Brauen, was zwar reizvoll, aber keinesfalls ermutigend aussah. Natürlich, Gutsherren schlichen für gewöhnlich bestimmt nicht zum Hintereingang, um ihr Anwesen zu betreten.
Amerial blickte an sich hinab und musste lachen. Er sah aus wie ein Wildschwein frisch aus der Suhle! Er hob den Kopf wieder und lächelte den Elfen entwaffnend an. »So betrachtet … aber ich habe den Schlüssel zum Herrenhaus als Beweis, und ich denke, mein Kommen wurde angekündigt?«
Ein knappes Nicken, aber die Braue blieb erhoben.
»Meine Kutsche erlitt nahe dem Fußweg einen Unfall«, erklärte Amerial und fragte sich gleich zweierlei: Warum stand er hier im Regen und versuchte, einem störrischen Elfen zu beweisen, dass er war, wer er nun einmal war? Und zweitens fragte er sich, wie er seine Identität glaubhaft machen konnte! Ah! Stimmte ja! »Ich trage das kaiserliche Siegel.« So das nicht in einem der anderen Gepäckstücke in der Kutsche lag, die inzwischen entweder aufgerichtet worden oder tiefer im Schlamm versunken war. Er fasste es nicht, dass er – nur wenige Schritte von Kaminfeuer und heißem Tee entfernt – bangen musste, ob er das Heim seiner Vorfahren betreten durfte. Andererseits gefiel ihm der Elf samt seiner Beharrlichkeit. Ob nun trotz oder wegen dieser Sturheit, vermochte Amerial im Augenblick nicht klar zu benennen. Wahrscheinlich trotz dieser. Er hatte kalte Füße, verdammt!
Er wollte sich gerade den Mantelsack von der Schulter streifen, als Vezza sich aus der Deckung wagte, um Regen und einem Elfen zu trotzen.
Die Augen des Elfen weiteten sich angesichts des edlen kleinen Drachen. Er nickte, und die arrogant erhobene Braue kam wieder auf zivilisiertes Niveau. Jede Wette, dass Vezza noch hoheitsvoller dreinblicken konnte als alle Kaiserinnen mit vereinten Kräften?
»Mein Gepäck wird wahrscheinlich morgen ankommen.« Amerial tat so, als würde er seine Taschen nach dem versprochenen Siegel abtasten und als hätte er Vezzas Eingreifen in das stumme Tauziehen gar nicht bemerkt. Sie schnaufte zufrieden und zog sich wieder zurück. Es war einfach zu kalt und nass für ihren Geschmack.
»Verzeih, Herr«, sagte der Elf. Er klang immer noch dezent nach Donnergrollen, aber zumindest hatte er die höfliche Anrede Herr verwandt.
Ab sofort bekam Vezza den Beinamen Siegel der Kaiserinnen, das stand einmal fest.
»Ich arbeite erst seit einem knappen Monat auf dem Gut«, erklärte der Elf. »Warte, Herr, ich hole dir eine Lampe. Im Haus brennt kein Licht.«
Amerial beließ es nicht dabei, den Elfen irgendwo verschwinden zu lassen, sondern folgte ihm. Erst, als er das dunkelrote Glimmen der Esse an einer Seite des halb offenen, unbeleuchteten Raumes entdeckte, begriff er, dass er in der Schmiede stand. Das erklärte die Lederschürze und die nackten Arme. Und überhaupt die Anwesenheit des Elfen!
Sie gehörten zum Kaiserreich – irgendwie. Denn die Elfen lebten in den Gebirgszügen, die sie mit ihren Stollen wie einen Käse mit Löchern versehen hatten. Die besten Schmiede stammten von diesem Volk ab, ebenso die umtriebigsten Händler, die das ganze Jahr auf den Straßen und Märkten anzutreffen waren.
Amerial trat dichter zur Esse und wärmte sich die Hände über der Glut. Vezza quietschte und kämpfte sich aus den Falten des nassen Mantels, sprang auf die gemauerte Einfassung der Feuerstelle und breitete die ledrigen Schwingen aus, um diese und natürlich ihr Bäuchlein in den vollen Genuss der abstrahlenden Hitze kommen zu lassen. Arme Kleine, da Amerial ihr ja keine Feuerbällchen zum Aufwärmen mehr herbeizaubern konnte! Diese Tatsache nagte tatsächlich mehr an ihm als der Verlust für sich selbst, redete er sich gut zu.
Warmes Licht flammte auf, als der Elf einen Span in die glosenden Kohlen hielt und dann den Docht einer Öllampe in Brand steckte. Er stellte die Laterne auf den Amboss, zerrte sich die Schürze über den Kopf und hängte diese an einem Haken an der Wand auf. Schlank, grazil wie alle Vertreter seines Volkes, aber das Laternenlicht hob die Muskeln seiner sehnigen Arme hervor, beschien breite Schultern, ehe der Elf sich wieder umdrehte.
Amerial gab sich einen Ruck. Dass er mit dem Segen seiner Kaiserinnen hier in den Ruhestand gekommen war, wusste bestimmt ohnehin schon mindestens die halbe Dorfbevölkerung dank des Voraustrupps, der für Brennholz und gelüftete Bettdecken gesorgt hatte. Er war kein Magier mehr. Also fragte er: »Kann ich etwas von der Glut mitnehmen? Um die Feuer im Haus zu entzünden?« Notfalls schaffe ich das mit Stahl und Flintstein, hoffe ich. Aber es würde lange dauern, Vezza würde sich scheckig lachen, und ich schlage mir bestimmt auf die Finger oder setze Teppiche in Brand. »Ich war Feuermagier, deswegen könnte es für mich schwierig werden, mit Stein und Zunder zu hantieren.«
»Ich wollte dich nicht alleine auf dem Grundstück herumirren lassen, Herr«, antwortete der Elf leicht vorwurfsvoll. »Ich geleite dich zum Haus und werde Feuer für dich machen.«
Vezza sah ebenfalls empört zu Amerial empor, als würde sein Ansinnen, alleine den Kampf mit einem Kamin aufnehmen zu wollen, sie in ihrem Rang zurücksetzen. Dabei konnte sie selbst auch kein Feuer machen!
»Gib mir dein Gepäck, Herr.«
Amerial gehorchte artig, bevor er noch einmal eine gehobene Braue oder ein verweisendes Schniefen von Vezza kassieren konnte. Er sammelte den Drachen ein, der sofort wieder unter den klammen Mantel kroch und leise bibberte. Kein Wunder, nachdem sie eben so schön an der Esse gesessen hatte.
Dann folge Amerial seinem Führer über den stockfinsteren und mit Pfützen übersäten Wirtschaftshof in Richtung des Hauptgebäudes. Froh, ihn wiedergefunden zu haben, schüttete die Wettergöttin neuerlich wahre Fluten aus den Wolken. Das bedeutete nun auch keinen Unterschied mehr. Noch nasser zu werden, schien unmöglich.
»Verrätst du mir deinen Namen?«, fragte Amerial unterwegs.
»Jarsin.«
Wasser glänzte auf dem nackten Arm des Elfen, und das warme Licht der Öllaterne ließ ihn trotz der Nässe leuchten wie eines der Kleinodien, die Amerial bei einem Elfenhändler in der Marktauslage gesehen hatte. Gold und Edelsteine verwandelten sich in Elfenhänden in wundervolle Schmuckstücke, und ihre Waffenschmiede waren berühmt. Amerial hatte ja selbst keinen Bedarf an Klingen gehabt, aber er wusste, dass Krieger des kaiserlichen Heers eisern etliche Jahre sparten, um eine Elfenklinge erwerben zu können.
»Täuscht der Eindruck, oder bist du gerade außer mir der Einzige hier auf dem Hof?«, fragte er.
»Die anderen wohnen im Dorf, und das Gutshaus hat derzeit keine Bediensteten, Herr.«
Verdammt, darum würde er sich in den nächsten Tagen auch kümmern müssen. Jemand für die Küche, jemand fürs Haus. Es war nicht allzu riesig, wenn Amerial es mit dem kaiserlichen Palast verglich. Oben gab es fünf Schlafzimmer, vier davon eher niedlich und gemütlich, wobei sich immer zwei eine Badestube teilten. Der letzte Raum war deutlich größer und besaß ein eigenes Badezimmer. Das war das Quartier seiner Urgroßmutter gewesen.
Im Erdgeschoss befanden sich die große Halle, ein Studierzimmer und zwei oder drei kleinere Räume sowie Küche und Vorratsräume.
Endlich trat Amerial unter das schützende, von Säulen getragene Vordach, unter dem die riesige Haustür auf ihn wartete. Er zückte den Schlüssel und öffnete unter Jarsins wachsamem Blick den Zugang.
Das Haus war kühl, aber immerhin blieben Regen und Wind draußen. Er atmete auf.
Jarsin legte das Gepäck auf einer Truhe ab und sah sich mit allen Anzeichen der Neugierde um. Dies war wahrscheinlich das erste Mal, dass er das große Haus betrat.
Etwas mühsam schälte Amerial sich aus dem tropfnassen Mantel und erwog, auch die durchweichten Schuhe von sich zu werfen. Allerdings würde das bedeuten, auf nassen Socken über kalten Steinboden marschieren zu müssen, ehe er sich vor einem Kamin oder in der heißen Badewanne aufwärmen konnte. Seine Zehen waren schon taub von der Kälte, und er legte keinen gesteigerten Wert darauf, dass seine gesamten Füße sich in Eisklötze verwandelten. In der Stille des alten Hauses hörte er das Wasser in seinen Schuhen bei jedem Schritt. Wenigstens war es einigermaßen warmes Wasser!
»In welchem Zimmer wünschst du Licht und Feuer, Herr?«, fragte Jarsin, nachdem er durch die offen stehende Tür einen Blick in die große Halle geworfen hatte.
»Oben. Schlafzimmer, Badestube. Da gibt es bestimmt einen Ofen, um Wasser zu erwärmen.« Dessen war er ziemlich sicher. Er war als Kind zuletzt hier gewesen, möglicherweise war der altertümliche Wasserofen inzwischen verrostet oder aus praktischen Gründen schon lange durch eine leichter zu handhabende Apparatur ersetzt worden. Amerial erinnerte sich auf jeden Fall an eine große Wanne und eine Pumpe. Hoffentlich hatte der Mantelsack besser dicht gehalten als sein Mantel!
Vezza sah sich kritisch um, ehe sie auf Amerials Schulter kletterte und dort demonstrativ bibberte. Ein Bad würde sie natürlich ablehnen, aber sie würde sehr vergnügt mit dem Ofen kuscheln und hin und wieder das Seifenstück oder einen Schwamm ins Wasser werfen und leise kichern.
Jarsin nickte und belud sich wieder mit dem Gepäck, orientierte sich kurz und hielt dann auf die hölzerne Wendeltreppe zu. Amerial folgte ihm eilig und lauschte auf das leise quatsch-quatsch aus seinen vor Nässe quietschenden Schuhen.
Falls möglich, wollte er eines der kleineren Schlafzimmer belegen, da dieses rascher erwärmt werden würde. Den großen Raum, den seine Urgroßmutter bewohnt hatte, konnte er beziehen, sobald er ein wenig Personal eingestellt hatte, das dafür sorgen konnte, dass er nicht abends in ein mit Frost bestäubtes Bett kriechen musste.
Also übernahm er oben die Führung und steuerte ein wenig nostalgisch den Raum an, in dem er während seines Aufenthalts als Kind auf Gut Toron gelebt hatte. Jarsin hielt sich dicht bei ihm und leuchtete in den Raum. Ein Himmelbett – wahrscheinlich das gleiche wie damals – mit frisch aussehender Bettwäsche, eine Kleidertruhe und ein wundervoller Kamin begrüßten Amerial. Und da war die Tür zum Bad!
Vezza flatterte los und plumpste auf die Bettdecke, stapfte darüber hinweg bis zum Kopfende und wühlte sich unter die Decke. Arme Kleine!
Der Raum wurde heller, als Jarsin zwei weitere Öllampen entzündete. Natürlich, seine eigene Laterne würde er wieder mit in die Schmiede nehmen wollen. Amerial ließ sich auf einen Sessel fallen und schnürte die Schuhe auf, während der Elf am Kamin mit Holzscheiten, kleineren Hölzchen und zerknülltem Papier hantierte. Gleich würde es nicht nur heller, sondern auch wärmer werden. So der Schornstein ordentlich zog! Keinesfalls würde Amerial in einem verqualmten Zimmer schlafen. Eher … eher zog er in die Schmiede und nächtigte neben der Esse!
Aber der Schornstein schien frisch gefegt, denn schon nach kurzer Zeit prasselten wärmende Flammen im Kamin, fraßen sich durch das Kleinholz und machten sich gierig über die Holzscheite her. Jarsin erhob sich lautlos und trat in die Badestube.
Amerial wackelte mit seinen kalten Zehen, in die spätestens in der Wanne Leben zurückkehren würde. Schon jetzt fühlte die Luft, die er einatmete, sich bereits viel wärmer an. Das Zimmer war klein genug, dass er es in einer halben Stunde sehr gemütlich haben würde. Bestimmt kam dann auch Vezza wieder unter der Decke hervor. Vezza! Gutes Stichwort! Er hatte ja gezielt um den Mantelsack gebeten, weil er wusste, dass er darin ausreichend Wechselkleidung mit sich führte. Aber er glaubte, dass auch ein paar Lebensmittel enthalten sein könnten. So er nicht durch das ganze, kalte Haus wandern wollte, um hoffnungsvoll in die Vorratsschränke der Küche zu spähen, ob der Voraustrupp vielleicht daran gedacht hatte, ihm zumindest Käse und Brot zu überlassen, sollte er vielleicht erst einmal im Mantelsack nachsehen. Vezza war klein, und wie alle kleinen Tiere brauchte sie beinahe beständig etwas zu essen. Und sein eigener Magen knurrte auch leise.
Also stemmte er sich aus dem gemütlichen Sessel, um seinen Mantelsack so nahe wie möglich am Feuer aufzuschnüren. Wäsche, Handtücher, Seife, ein Paar älterer Schuhe – immerhin trocken – und schließlich Fladenbrote, die eigentlich knusprig sein sollten, jetzt aber doch einen leicht aufgeweichten Eindruck machten. Gleichgültig! Die röstete er nachher am Kaminfeuer, sobald dieses Glut gebildet hatte. Eine Hartwurst förderte er noch zutage, die er sich nötigenfalls mit Vezza teilen konnte, falls er ungeschickterweise nichts für sie in diesem Packstück haben sollte. Begeistert würde sie nicht sein! Seine Finger ertasteten eine Papiertüte. Triumphierend zog er diese hervor. Kandierte Fruchtstückchen! Vezzas Leibspeise – gleich nach Honigbrot und frischen Kirschen.
Aus der Badestube vernahm er das leise Quietschen der Handpumpe, und kurz darauf kehrte Jarsin zurück ins Schlafzimmer.
»Die Pumpe liefert klares Wasser, der Ofen ist angeheizt, und ich habe dir Licht gemacht, Herr. Benötigst du sonst noch etwas?«
»Danke, nein. Du hast mir schon so sehr geholfen.«
Jarsin nickte verblüffend hoheitsvoll, als wäre er sich sehr wohl bewusst, dass Amerial ohne seine Hilfe immer noch frierend mit Stein und Eisen schuften würde und beides wahrscheinlich mehrfach fluchend in die Ecke geworfen hätte. »Ich halte morgen Ausschau nach deinem Verwalter«, versprach er, »und werde ihn zu dir schicken, Herr.«
Das konnte Amerial sich mit einem Mal sehr deutlich vorstellen. Nicht, dass Jarsin ihm gegenüber respektlos aufgetreten wäre, nachdem er sicher gewesen war, wirklich den Gutsherrn vor sich zu haben. Herr hier, Herr da. Aber einen einfachen Verwalter würde dieser Elf garantiert scheuchen, damit dieser seiner Aufgabe nachkam. Irgendwie auch kein Wunder, nannte man die Schmiedekunst doch das königliche Handwerk, weil ohne einen fähigen Schmied alles zum Erliegen kam. Gleichgültig, ob das nun auf einem alten Familiensitz mit Landwirtschaft war oder im Heer. Und Elfen waren einfach die besten Schmiede, die man sich vorstellen konnte. Nicht umsonst waren Elfenklingen so begehrt in den Rängen.
»Danke, das wird mir vieles erleichtern.« Er lauerte auf das nächste selbstbewusste Nicken und wurde nicht enttäuscht. Verblüffend, dass ein Elf – noch dazu einer wie Jarsin – sich am Hintern der Welt auf einem alten Anwesen angedient und wahrscheinlich sogar dauerhaft niedergelassen hatte. Vier Wochen war er schon hier!
Amerial zerrte die nassen Socken von seinen Füßen und schlüpfte barfuß in die Reserveschuhe. »Ich begleite dich nach unten, Jarsin. Ich will meinen Mantel holen, damit er trocknen kann.« Und ich will hinter dir die Tür absperren. Meine Magie ist verloren, ich könnte mich gegen einen Einbrecher nur mit … mit einem Nudelholz oder einem abgebrochenen Stuhlbein wehren. Und gar nicht, falls der Kerl mich in der Badewanne überrascht!
»Du solltest auch hinter mir die Tür verriegeln, Herr. Und eine Lampe mitnehmen, da ich meine selbst benötige.«
Amerial fing an, Spaß an dieser Selbstsicherheit zu finden, die durchaus befehlsgewohnt klang. Nass, schmutzig, in eine ziemlich speckige Lederhose, Stiefel und ein ärmelloses Hemd gekleidet, dem ein Knopf fehlte, stand Jarsin doch kerzengerade vor ihm, bewies mit jeder seiner Bewegungen einen fantastischen Gleichgewichtssinn und ein Bewusstsein für den Raum, den er einnahm. Amerial hatte schon genügend Elfen getroffen, um sich nicht an diesem Selbstbewusstsein zu stören. Jeder Elf, dem er bislang begegnet war, hatte sich nämlich aufgeführt, als müssten alle Umstehenden den Boden anbeten, den er beschritt. Selbst elfische Lieferjungen, die bestellte und vor allem bezahlte Klingen in die Kaserne gebracht hatten, waren in der Lage gewesen, über einen General die Nase zu rümpfen, wenn dieser gierig die Hände nach der Waffe ausgestreckt hatte.
Er rüstete sich also mit einer Laterne aus und rief Vezza zu: »Gleich wieder da! Es wird schon wärmer, meine Kleine.«
Dann folgte er Jarsin die Wendeltreppe hinab. Und wenn er schon einmal unten war, die Tür verrammelt und seinen tropfenden Mantel geborgen hatte, konnte er auch gleich in der Küche nachsehen, ob dort Vorräte für ihn hinterlassen worden waren.
»Noch einmal: Danke«, sagte er schlicht an der Tür, als Jarsin zum Himmel spähte, wie um sich gegen einen weiteren Schauer zu wappnen.
Da riss der Elf die Augen verblüfft auf, als hätte er diese Worte nicht erwartet. Er fing sich rasch genug wieder, doch nicht, bevor Amerial nicht den Schimmer eines Lächelns gesehen hatte, der dem markanten Gesicht gut stand und die doch leicht arrogante Miene für einen Augenblick weicher machte. »Schlaf gut, Herr. Oh, und ich vergaß: Willkommen in Toron.« Er nickte Amerial zu, wieder huschte die Andeutung eines Lächelns über sein Gesicht, dann wandte er sich um und stieg rasch und so wundervoll im Gleichgewicht die Stufen hinab, wandte sich nach rechts und hielt auf seine Schmiede zu.
Amerial sah ihm albern nach, bis Jarsin samt Laterne von Gebäudeteilen oder Büschen verdeckt wurde. Dann seufzte er leise, schloss und verriegelte die Tür und betrachtete den nassen Mantel missmutig. Den schleppte er jetzt aber nicht mit in die Küche! Erst einmal sah er dort nach und machte sich mit dem Wirtschaftsteil des Hauses vertraut, an den er nur noch nebelhafte Erinnerungen hatte. Erinnerungen an Kirschkuchen und Plätzchen, die mit Kirschmarmelade jeweils zu zweit aufeinandergeklebt worden waren. Die hatte er noch ziemlich warm naschen können.
Er grübelte, während er durch den langen, dunklen Flur schritt, in den seine Laterne nur eine kleine Blase warmen Lichts trug. Als würde Amerial im Inneren eines wohldosierten Feuerballs spazieren. Verdammt, er vermisste seine Magie! Und dauernd dachte er an sie! Es war Zeit, sich in die Verwaltung des Guts zu stürzen, sich mit allem und jedem vertraut zu machen und einen neuen Sinn im Leben zu finden.
Die Magie war fort. Er hatte sich bewusst dafür entschieden, auch den letzten Funken zum Schutz seiner Kaiserinnen zu werfen, weil sie wichtiger waren als das warme Leuchten in seinem Inneren. Außerdem wollte er doch stark hoffen, dass er selbst mehr war als nur Feuermagie! Genau!
Er stieß die Tür zur Küche auf und stellte seine Laterne auf den großen Arbeitstisch in der Mitte des Raumes. Alles war sauber, die Emailleoberflächen schimmerten milchig weiß, der Kamin war gekehrt und mit frischen Holzscheiten versehen. Und auf dem Tisch standen zwei Körbe aus geflochtener Weide und mit bunten Tüchern abgedeckt.
Er sagte sich sehr vernünftig, dass er ja die Fladenbrote hatte, aber er musste trotzdem nachsehen. Brot, Käse, geräucherter Schinken, Eier und … eine Pastete! Amerial machte sich auf die Suche nach einem Teller und einem Messer, schnitt sich ein Viertel der Pastete ab und sah im zweiten Korb nach, während er sich die Finger ableckte. Obst, ein Krug mit Honig, einer mit Marmelade, Butter, Gemüse. Er nahm ein paar Weintrauben für Vezza mit, schnappte sich seine Pastete und die Laterne und trottete zurück zur Haustür, um auch den nassen Mantel an sich zu nehmen.
Vezza versorgen, den Mantel aufhängen, Pastete zum Abendessen genießen, und dann ging er in die Badewanne und anschließend sofort ins Bett. Ein wundervoller Plan für einen ersten, allzu abenteuerlichen Tag auf dem Landsitz.
Sonnenlicht, das seinen Weg durch den Spalt der Fensterläden fand, und das unverkennbare Geräusch von kleinen, wilden Drachen, die Halme aus dem Reetdach zupften, weckten Jarsin.
Er kuschelte sich etwas tiefer unter die Decke und erwog, sich einfach noch einmal umzudrehen.
Zwei Drachen zankten leise miteinander. Wahrscheinlich war der erwählte Halm störrisch oder erfüllte nicht die Qualitätsansprüche.
Jarsin seufzte, schlug die Decke zurück und setzte sich auf. Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, die im Augenblick nicht besser als ein Drachennest aussehen konnten. Kein Wunder, hatte er sich vor dem Schlafengehen doch nur rasch aus der nassen Kleidung geschält und sich von Kopf bis Fuß mit einem Handtuch abgerubbelt. Wer mit nassen Haaren schlafen ging, musste am nächsten Tag aufpassen, dass ihn keine Drachen auf der Suche nach Nistmaterial umschwirrten. Alte Elfenweisheit.
Er kletterte aus dem Bett, reckte sich genüsslich, ehe er zum Waschtisch ging, kaltes Wasser aus dem Krug in das Becken goss und sich gründlich wusch. Noch ehe er fertig war, hatte er eine Gänsehaut am ganzen Körper. Hastig trocknete er sich ab und schlüpfte in frische Kleidung. In der Schmiede war es warm, aber die Schlafkammer unter dem Dach konnte er so früh am Morgen nur eisig nennen. Er war heilfroh, dass er nicht schon während des Winters nach Toron gekommen war. Die Bäume zeigten bereits zaghaftes erstes Grün, jeden Morgen trällerten Vögel und klauten Drachen Reethalme. Im Sommer musste es hier wundervoll sein, aber noch war ja gar nicht sicher, wie lange Jarsin hierbleiben würde.
Er zögerte, trat zum Fenster und öffnete die Läden. Jetzt hatte er einen reizvollen Blick auf das Herrenhaus. Er blieb am offenen Fenster stehen, während er seine Haare kämmte und schließlich in einem Knoten bändigte, damit sie bei der Arbeit nicht Gefahr liefen, versengt zu werden. Währenddessen kreisten seine Gedanken um Amerial, statt sich einer geistigen Liste der heute zu bewältigenden Arbeiten zu widmen.
Er hatte natürlich von Amerial gehört, ehe der Verwalter verlautbart hatte, dass der vormalige Magier sich hierher zurückziehen würde. Wer hatte das nicht!
Die Verstärkung war nicht rechtzeitig eingetroffen, und mit einem Mal schwebten die beiden ältesten Kaiserinnen in Lebensgefahr. Amerial hatte sich in die Bresche geworfen und wirklich alles gegeben. Ein Wagnis, das aufgegangen war. Und den Verlust seiner Magie bedeutete.
Jarsin stützte sich mit beiden Händen auf der Fensterbank ab, atmete tief die kalte Luft, die schon jetzt nach Rauch und dem Aroma aus der Backstube schmeckte. Einen Monat war das her, und Amerial schien bewunderungswürdig mit der Tatsache umzugehen, dass er kein Magier mehr war und seine Gabe nicht zu ihm hatte zurückkehren können. Natürlich war er nicht in der Lage, selbst so simple Dinge wie ein Kaminfeuer zu entfachen. Er hatte es niemals nötig gehabt, mit einem Feuerstein zu hantieren. Beachtlich fand Jarsin aber, dass der vormalige Magier dieses Unvermögen so offen zugegeben hatte, einem Wildfremden gesagt hatte, dass seine Magie verloren war. Beachtlich wie der ganze Mann, wenn Jarsin ehrlich war.
Und genau die Sorte von Ablenkung, die er gerade nicht gebrauchen konnte.
Er war noch damit beschäftigt, sich hier einzuleben und seinen Platz in der Gemeinschaft zu finden, und es war so viel zu tun! Er hatte keine Ahnung, wer hier zuletzt als Schmied tätig gewesen war, aber die Schmiede selbst hatte einige Ausbesserungsarbeiten benötigt, die Aufträge stapelten sich, als hätte ganz Toron seit Monaten oder noch länger auf Jarsins Ankunft gewartet. Außerdem besserte Jarsin immer noch den Pfusch seines Vorgängers aus …
Gut, er hatte zu tun! Und es wurde nicht weniger Arbeit, je länger er verträumt auf das Herrenhaus blickte und sich fragte, ob Amerial wohl schon aufgestanden war, ob er gut geschlafen und zumindest für das Frühstück Lebensmittel bei sich hatte. Würde er bleiben? Oder fiel ihm bald die Decke auf den Kopf vor lauter ländlicher Idylle, weil er das Leben in der Hauptstadt mit all seinem Trubel und der Aufregung des Hofs gewohnt war?
Jetzt riss Jarsin sich endlich vom Fenster los, schüttelte seine Bettdecken auf und verließ die Schlafkammer. Er musste dem Verwalter auflauern, damit Amerial Hilfe im Haushalt und vernünftige Mahlzeiten bekam! Fladenbrot hatte der Mann aus seinem Mantelsack geholt! Hoffentlich hatte er etwas für den kleinen Drachen eingepackt. Oh, da konnte Jarsin notfalls aushelfen, fütterte er doch die kleinen Wilddrachen, die gerade mit Nestbau beschäftigt waren und deswegen das Reetdach der Schmiede plünderten.
Zufrieden, dass Amerials kleiner Drache nicht vor Magenknurren vergehen musste, eilte Jarsin die enge Wendeltreppe nach unten und trat in seine Küche, um den verkorkten Tonkrug mit Drachenhappen aus dem Schrank zu holen. Elfisches Geheimrezept mit Honig, Nüssen, Sämereien und Fruchtmus, das er von seiner Großmutter gelernt hatte. Ihre Drachenzucht hatte es mit jener der Kaiserinnen aufnehmen können! Die kleinen Wilddrachen waren auf jeden Fall begeistert von den knusprigen Happen. Hoffentlich sagten die Leckerbissen auch der kleinen Kaiserlichen zu. Ihre niedlichen Hörnchen, die sich empor schraubten wie der gedrehte Stoßzahn eines Narwals, wie gedrechselt, hatten es Jarsin einfach angetan.