Magie aus Frost und Flamme - Tanja Rast - E-Book

Magie aus Frost und Flamme E-Book

Tanja Rast

0,0
5,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

»Ich bin Frost. Ich bin die Kälte und der Zorn Rakans, die eisige Klinge in der Kehle des Feindes.« Elfen nehmen keine Gefangenen. So lautet die Warnung an jeden Soldaten des Königreichs Tas, der in die umkämpfte Grenzregion geschickt wird. Deswegen hält der verletzte Soldat Crannoch sein Schicksal für besiegelt, als ein Elf ihn aus dem Schnee klaubt. Doch Frost ist kein gewöhnlicher Elf. Wölfe gehorchen ihm aufs Wort, er verfügt über Eismagie und eine scharfe Zunge. Außerdem glaubt er an die alten Götter und ist entschlossen, den Gefangenen als Waffe gegen die Menschen zu verwenden. Aber als sich die Gelegenheit bietet, sich des Elfen zu entledigen, zögert Crannoch. Nicht nur wegen des Wolfsgeheuls ringsum. Unter all der Häme und Kälte funkelt doch Wärme in Frost. Und vielleicht können sie gemeinsam diesen Krieg beenden …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

Magie

aus Frost und Flamme

 

 

Tanja Rast

 

 

 

Inhaltswarnungen

 

Kann Spuren von Erdnüssen enthalten!

 

Es gibt Inhalte, die Betroffene triggern können, das heißt, dass womöglich alte Traumata wieder an die Oberfläche geholt werden. Deswegen habe ich für diese Personen eine Liste mit möglichen Inhaltswarnungen für alle meine Romane zusammengestellt:

 

www.tanja-rast.de/inhaltswarnungen

Inhaltsverzeichnis
Krönung
I. Tagebuch einer Königin
1. Niederlage und Gefangenschaft
II. Tagebuch einer Königin
2. Der Fall der Überheblichkeit
III. Tagebuch einer Königin
3. Hinter Schutzwällen
IV. Tagebuch einer Königin
4. Elfenattacke
V. Tagebuch einer Königin
5. Priester der alten Götter
VI. Tagebuch einer Königin
6. Der Paladin von Rakans
VII. Tagebuch einer Königin
7. Elfenmagie
VIII. Tagebuch einer Königin
8. Der Telloc
IX. Tagebuch einer Königin
9. Der Verräter aus Tas
X. Tagebuch einer Königin
10. Lagerleben
XI. Tagebuch einer Königin
11. Auf dem Weg
XII. Tagebuch einer Königin
12. Bedrohte Stadt
XIII. Tagebuch einer Königin
13. Mit vereinten Kräften
XIV. Tagebuch einer Königin
14. Erde, Feuer, Eis
XV. Tagebuch einer Königin
15. Ruhe nach der Schlacht
XVI. Tagebuch einer Königin
16. Wölfe und Raben
XVII. Tagebuch einer Königin
17. Das Heer der Magie
XVIII. Tagebuch einer Königin
18. Sturm auf die Burg
XIX. Tagebuch einer Königin
19. Der Plan der Rionda
XX. Tagebuch einer Königin
20. Das Himmelbett

 

Die Autorin
Eine kleine Bitte

Krönung

 

Jedes Mal, wenn wir eine neue Königin von Tas krönen, ist es ein Volksfest, das das Ende unserer Trauer um unsere gestorbene Königin einläuten soll.

Im Heiligtum zu Ehren aller Götter wird unsere neue Herrscherin gesalbt und gekrönt. Sie erhält das Schwert der Verteidigung von ganz Bohannis, den Schlüssel zur Hauptstadt Iver, einen Korb mit Obst, Gemüse, Käse und Brot, der für den Reichtum unseres Landes steht. Und ein kleines, unscheinbares Buch, in mattbraunes Leder gebunden.

Niemand außer den Königinnen weiß, was darin geschrieben steht, aber die Priester nennen es das Tagebuch der ersten Königin von Tas.

Dies ist die Geschichte eines Krieges, einer alten Elfe, einer Frau aus dem Geschlecht von Tas und eines Buches. Und es ist die Legende von Frost, dem unsterblichen Elfenmagier und Diener der alten Götter.

I. Tagebuch einer Königin

 

Bevor ich Alfir begegnete, kannte ich keine Elfen persönlich. Aber Geschichten über sie habe ich von Kindheit an gehört.

Ich bin Iren von Tas. Dies ist nicht nur meine Geschichte, sondern die von Tas und Rakans, von Elfen und Menschen.

Mein Volk floh vor einem Vulkanausbruch. Günstige Winde und Strömungen brachten uns an diese Küste, in ein fruchtbares Flusstal, das wir nach unserem König Tas nannten. Das war einhundert Jahre vor meiner Geburt. Die Elfen, die hier länger lebten, als sie wohl selbst wussten, nahmen König Tas und sein Gefolge, die Flüchtlinge, freundlich auf. Erst später wurden sie feindselig.

Warum das geschah, habe ich nie begriffen. Diese riesige Insel bietet doch Platz für alle, und schon immer sind hier andere Völker und Stämme gelandet und sesshaft geworden. Doch blieben die Elfen fern für mich. Nur in den Geschichten meiner Kinderfrauen wurden sie lebendig.

Viele der Göttersagen, die sie sich bewahren, spiegeln die Geschichten wider, die Menschen sich über jenes Volk erzählen. Manchmal bin ich mir nicht sicher, was Erfindung der Menschen und was wohlüberlegt ausgestreute Lügen der Elfen sind.

Was ich immer und immer wieder hörte: Elfen sind furchtbare Krieger. Sie kämpfen mit allen Mitteln, missachten Werte wie Ritterlichkeit. Frauen greifen ebenso zu den Waffen wie die Männer, und viele Soldaten aus Tas bestätigen, dass sie sich niemals einem härteren Gegner gegenübersahen als einem Elfen. Erschwerend kommt dazu, dass einige von ihnen über eine Art von Naturmagie verfügen, die ebenso ruchlos eingesetzt wird wie Schwert, Pfeil und Bogen.

Elfen nehmen keine Gefangenen. Wer verwundet von seinen Kameraden auf dem Schlachtfeld zurückgelassen werden muss, findet ein rasches Ende von Elfenhand.

1. Niederlage und Gefangenschaft

 

Crannoch

Crannoch sah seine Gefährten davonlaufen wie junge Hunde, die Schwänze eingekniffen, während Kampfgeschrei noch in der klirrend kalten Luft vibrierte. Der Schnee war blutgefleckt, und rund um die stille Gestalt des alten Hauptmanns schmolz das Weiß in einer dunkelroten Lache, von der Dampf aufstieg.

Crannochs Schädel dröhnte noch von dem Hieb, der ihn zu Boden gesandt hatte. Er sah doppelt und konnte gar nicht anders, als still im Schnee zu liegen. Dort haschte er nach seinem zerfasernden Bewusstsein und begriff doch, dass er sich nicht rühren durfte, wenn er auf Überleben hoffen wollte.

Die Elfen – schemenhaft nur auszumachen in weißen Pelzen und inmitten eines Schneegestöbers – setzten den Flüchtenden nach, und das Schlachtfeld verwandelte sich von einer Stätte überraschenden Entsetzens in einen sehr einsamen Ort, der nur vom heulenden Wind und vielen Eiskristallen heimgesucht wurde.

Jetzt bot sich die Gelegenheit zur Flucht. Bevor die Elfen zurückkehrten und beendeten, was sie so Erfolg versprechend begonnen hatten. Falls sie denn alle überhaupt Elfen gewesen waren, denn in der Schar der Angreifer hatten sich auch einige hochgewachsene Gestalten befunden, und hieß es nicht, dass in Rakans Menschen und Elfen Seite an Seite gegen jegliche Vertreter des Königreichs vorgingen?

Crannoch stöhnte leise. Geschmolzener Schnee und Blut aus den eigenen Wunden durchnässte seine Kleidung, machte sie klamm und schwer und würde bald gefrieren, wenn er sich nicht aus seiner misslichen Lage befreite. Aber ein gefallener Kamerad lag quer über seinen Beinen, und scharfer Schmerz zuckte über Crannochs Rücken, als er sich zu bewegen versuchte. Eine Pfeilspitze, die die Lederrüstung durchdrungen hatte? Ein Speer oder ein Dolch? Die Wunde musste tief sein, denn immer noch sickerte Blut unter der Rüstung hervor in den Schnee.

In seinem Kopf drehte sich ein gewaltiger Mühlstein, der auf seiner Achse eierte und immer wieder mit lautem Rumpeln an die Innenseite des Schädels stieß und dort Knochensplitter abhobelte. Gallengeschmack floss in Crannochs Mund, machte Atmen schwer und widerwärtig, da der Gestank ihn schier flutete.

Zusammen mit der eisigen Umklammerung des Wintersturms griff nun Angst nach Crannoch, wie er sie in seinem Soldatendasein noch nie verspürt hatte. Er konnte hier sterben. Nein, er würde hier sterben. Entweder verblutete er, oder die Kälte gab ihm den Rest. Beides stellte eine Verbesserung gegenüber der Gefahr dar, dass die Krieger Rakans zurückkehren und ihn abstechen würden.

Elfen nehmen keine Gefangenen. Und ganz bestimmt keine übergroßen jungen Soldaten, die nicht einmal alleine aufstehen können. Die Mühe, Crannoch durch den Sturm in Sicherheit und ins Warme zu schaffen, würde sich keiner der kleinen Krieger machen wollen. Es würde drei oder vier von ihnen brauchen.

Keuchend stemmte Crannoch die kalten Hände in den matschigen Schnee, spürte, wie halb Geschmolzenes zwischen seinen Fingern emporquoll, biss die Zähne zusammen und mühte sich, sich vorwärts zu ziehen, um dem toten Gewicht zu entkommen, das ihn im Weiß annagelte.

Es fühlte sich an, als wäre das ein Dolch in einem Rücken. Einer aus rot glühendem Stahl, den jemand gerade genüsslich hin und her drehte, um noch ein wenig mehr Schaden anzurichten.

Das Weiß verschwamm von Crannochs Augen, wurde von Nebel eingehüllt, der an den Rändern des Gesichtsfeldes immer grauer und dunkler wurde, bis da lediglich Schwärze blieb.

Er spürte noch den Wind über sich streicheln, hörte das Klagen der Böen, das Pfeifen auf harsch gefrorenem Schnee. Aber auch das verklang, entfernte sich. Oder vielleicht entfernte sich auch Crannoch? Versank er im Weiß?

Er gab sich Mühe, diesen Gedanken festzuhalten, als hätte all das noch eine Bedeutung.

Dann nichts mehr.

 

Stille, ein wenig Wärme, als läge Crannoch unter einer leichten Decke, die das Toben von Schnee und Sturm von ihm abhielt. Aber er fror gar nicht.

Es knirschte leise, als er die Augen zu öffnen versuchte. Schnee und Eis in den Wimpern, vielleicht auch Firn auf der Haut. Crannoch starrte, fühlte warmen Atem auf dem Gesicht, sah, wie der lange Fang sich kräuselte und gebogene Zähne offenbarte, die sich bestimmt gleich in ihn graben würden.

Sein Herz fühlte sich ganz kalt und hart an, als es seine Schläge erhöhte. Crannoch vernahm ein leises Klagen und begriff nach einiger Zeit, da die gelben Augen des Wolfs starr auf ihn gerichtet blieben, dass dieser einsame Laut aus der eigenen Kehle stammen musste. Der Wolf jammerte nicht, er knurrte und fletschte die Fänge.

Aasfresser. Aber kein Blut an der Schnauze. Vielleicht war der alte Hauptmann schon gefroren, während Crannochs Fleisch noch weich und ein wenig warm war?

Stiefel kamen in Sicht. Der Wolf wich einen Schritt beiseite, hob den Blick zu dem, dem die Stiefel gehörten. Die Lefzen glätteten sich, als die nebelgraue Kreatur das Grollen einstellte.

»Lebt der noch?« Eine Stimme, die Crannoch an einen der Priester des Großen Gottes erinnerte. Durch Gesang und Predigten geschult, von goldener Tiefe und Kraft, die sich auch in einem voll besetzten Tempel Gehör verschaffte oder über ein aufmarschiertes Heer hinwegstreicheln würde wie der Segen, den sie sprach. Nur dass die Stimme, die zu dem Wolf gesprochen hatte, nicht sanft, demütig und milde klang, sondern kalt wie die Eiskristalle, die Crannoch bedeckten.

Er versuchte, auf sich aufmerksam zu machen, zu beweisen, dass er noch lebte. Denn alles erschien ihm besser, als von dem Wolf zerrissen zu werden.

Der Mann mit der wundervollen Stimme kniete neben ihm nieder. Eine kräftige Hand packte Crannochs Schulter und drehte ihn beinahe mühelos auf den Rücken, wischte dann Eis und Schnee aus seinem Gesicht.

Crannoch selbst erblickte nicht viel außer einer unförmigen, fellverbrämten Kapuze, einem Wolltuch, das die untere Hälfte des Gesichts vor dem Sturm schützte, sowie zwei Augen, deren leuchtende Farbe ein helles Blau war. Wie Eis. Wie das Glas in den Tempelfenstern, die das Innere des Heiligtums mit Sonnenschein in der Farbe des Sommerhimmels durchfluteten.

»Bitte«, flüsterte Crannoch. Alles, aber nicht der Wolf. Nicht bei lebendigem Leib und vollem Bewusstsein zerfetzt und gefressen werden.

Er konnte nicht genug sehen, sich nur im kalten Leuchten jener Augen verlieren, als spannte sich über ihm der milde Sommerhimmel. War das einer der eigenen Kundschafter? Ein Versprengter wie er selbst?

Der Wolf drängte wieder näher.

»Nein, du darfst ihn nicht fressen. Er kann uns noch nützlich sein.«

Crannoch schluckte hart, gab sich Mühe, die Hand zu heben, um irgendwie die des anderen Mannes zu ergreifen.

Aber der stand einfach auf. »Komm mit, Wolf. Nein, er wird nicht wegkrabbeln. Das kann er gar nicht. Würde mich nicht wundern, wenn er ein paar Zehen und Finger eingebüßt hat.«

Der Nacken tat weh, als Crannoch den Kopf drehte, um den zwei im wirbelnden Schnee verschwindenden Gestalten nachzusehen. Aber etwas in seiner Kehle schien eingefroren, er konnte den beiden nichts nachrufen, nicht um Hilfe oder Gnade flehen. Er blieb im wirbelnden Weiß liegen, bis ein gleichmäßiges Knirschen eine Abwechslung in die Kälte brachte.

Der Wolf zog einen Schlitten, auf dem … Crannoch blinzelte, versuchte, schärfer zu sehen. Eine Zeltplane war über der Ladefläche aufgespannt. Das Gefährt hielt genau neben ihm an. Der Fremde trat an Crannochs Seite, und frischer Schmerz brandete im Rücken auf, als mit Schieben, Drehen und einem unterdrückten Fluch ein großer, angeschlagener Soldat ohne viel Rücksicht auf dessen Befindlichkeiten auf den Schlitten gewuchtet wurde. Crannoch gab sich Mühe, ein wenig zu helfen, aber er war einfach zu erschöpft, zu sehr durchgefroren.

Kaum im Windschutz unter der Plane atmete er auf und spürte ein Zittern in seine unterkühlten Muskeln kriechen, als wäre sein Körper wieder erwacht, hätte überrascht festgestellt, dass noch Leben in ihm steckte, und nun alles gab, um wieder aufzutauen. Crannochs Zähne schlugen schmerzhaft und viel zu schnell aufeinander.

Er lag auf einem weichen Lager von Fellen, und der Fremde zog weiteren Pelz als Decke über ihn. Kein Wind mehr, der ihn zerzauste, beinahe Wärme, doch das Beben hielt an, tat weh und verursachte ein Gefühl vollkommener Hilflosigkeit.

Endlich konnte Crannoch sprechen, obwohl das raue Krächzen kaum verständlich sein mochte. »Wer bist du?«

»Ich bin Frost. Ich bin die Kälte und der Zorn Rakans, die eisige Klinge in der Kehle des Feindes.« Und mit diesen höchst dramatischen Worten, die das Zittern noch weiter verstärkten und Firn in Crannochs Brust wuchern ließen, faltete er die Zeltplane über Crannoch zusammen.

Dunkel, geschützt wie in einer winzigen Höhle, die Crannoch alleine mit der restlichen Körperwärme aufheizen durfte. Er spürte den Schlitten unter sich, der erneut in Bewegung versetzt wurde, krallte die Hände in weiches Fell, kuschelte die Wange in den Pelz und zitterte um sein Leben. Ein klein wenig Wärme hatte er sich tief in seinen Eingeweiden noch bewahrt, und diese sickerte nun allmählich im Schutze von Decken und Plane zurück in seinen Leib, stahl sich wie auf leisen Pfoten in seine Blutbahnen, die er wie warme Fäden in seinen Gliedmaßen spürte.

Atmen fiel leichter, und auf die Plane prasselte weiterer Schneehagel, ein gedämpftes Geräusch, das Crannoch immer müder werden ließ. Wenigstens lag er nicht mehr im blutigen Schnee. Wenigstens sauste der Wind nicht weiter über ihn hinweg, als wollte er ihn unter Weiß begraben oder abschleifen wie die Verwehungen am Wegesrand.

Frost. Ein Name so kalt wie der Winter in Rakans. Und doch hatte er Crannoch gerettet. Sie waren Feinde, aber Frost hatte ihn aus dem Schnee gezogen.

Keine Ahnung, wohin sie unterwegs waren, wofür Crannoch noch nützlich sein sollte, aber er lag sicher verpackt und geschützt auf einem Schlitten, der ihn vom Schlachtfeld forttrug, wo die Leichen der Gefallenen gefroren, bis sie im Frühjahr eine angenehme Überraschung für Aasfresser sein würden.

Crannoch beschloss, für den Augenblick tiefe Dankbarkeit zu empfinden. Frost und seinem schrecklichen Wolf gegenüber. Denn der zog den Schlitten. Bestimmt nur ein Hund, sagte Crannoch sich im Stillen, während Müdigkeit wie mit großen, warmen Händen nach ihm griff und ihn wieder in Dunkelheit zog. Die haben komische Hunde in Rakans. Und widerliches Wetter und merkwürdige Namen. Und verdammte Elfen. Gleichgültig.

 

Bewusstsein, manchmal nur für zwei Wimpernschläge, mitunter ausreichend für Verwirrung, wo er sich befand, was gerade geschah, selten für Begreifen, flackerte in Crannochs schmerzendem Kopf. Ein Keulenhieb hatte ihn getroffen, dessen war er sich hin und wieder beinahe sicher. Und etwas anderes im Rücken. Glaubte er.

Der Duft von Rauch zog ihn schließlich ganz aus der Dämmerung, und der erste bewusste Atemzug fühlte sich nach Wärme an, die ihn nahezu liebevoll ausfüllte. Crannoch schuftete darum, die Lider zu heben. Rauch und ein wenig Licht bissen ihn prompt zur Belohnung in die Augen. Er kniff sie wieder zu und stöhnte leise.

Etwas raschelte neben ihm, und dann fühlte er, wie Zeltbahn und Felle von ihm gehoben wurden. Fröstelnd kuschelte er sich tiefer in die Pelze, auf denen er lag, steckte die Nase in die weichen Falten und fror erbärmlich.

Eine schmale Hand, hart und stark, strich über seine Schläfe, und stechender Schmerz folgte den tastenden Fingerkuppen.

»Der Schädel ist in einem Stück. Du wirst die Beule überleben. Eines vorweg: Greif mich an, und du wirst es bereuen. Schmerzhaft bereuen. Dreh dich auf den Rücken, damit ich dich aus der Kleidung bekomme. Du hast da irgendwo ein Loch in dir, und ich gestatte nicht, dass du verblutest.«

Crannoch unternahm einen zweiten Versuch, mehr von seiner Umgebung zu sehen. Der Mann, der ihn aus dem Schnee geholt hatte, kniete neben ihm auf dem Schlitten, doch das Licht war zu schlecht, als dass Crannoch Einzelheiten hätte ausmachen können.

»Wo bin ich?«, würgte er eine Frage hervor, die ihm genau so lange wichtig erschien, bis er sie ausgesprochen hatte.

»In einem Schneeloch. Es wird bald wärmer, aber wenn wir warten, bis du nicht mehr frierst, könntest du schon tot sein. Hast du verstanden, was ich gesagt habe?«

»Ausziehen.«

»Genau. Ein heller Kopf aus Tas. Wunder geschehen immer wieder. Mögen die Götter mir Geduld schenken.«

Der Wolf grollte, es klang beinahe wie eine Zustimmung. Auf jeden Fall jagte das Geräusch eine Gänsehaut über Crannochs Rücken, und er beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen, die eigentlich ein Befehl gewesen war. Allerdings war er so durchgefroren und von Erschöpfung durchdrungen, dass es wohl beim Versuch geblieben wäre, wenn Frost nicht mit angepackt und ihm geholfen hätte. Es tat weh, auf dem Rücken zu liegen, war aber nicht so entsetzlich schmerzhaft, wie Crannoch befürchtet hatte. Sein Kopf nahm die Bewegung übel, und es fühlte sich an, als würde ein Mahlstrom darin herumkreiseln, der alles durcheinanderwirbelte.

»Augen auf und atmen. Du wirst jetzt nicht ohnmächtig oder kotzt mir die Felle voll. Ich benötige deine Hilfe, um deinen Arsch zu retten.«

Wie konnte jemand mit einer so wundervollen Stimme nur so barsch und gefühllos klingen? Crannoch zwinkerte, und inzwischen hatten seine Augen sich an die karge Beleuchtung so weit gewöhnt, dass er über sich im Schatten einer Kapuze Frosts Gesicht ausmachen konnte. Das Wolltuch verbarg nicht länger die untere Hälfte davon, doch war es immer noch zu dunkel, als dass Crannoch Einzelheiten hätte erkennen können. Eine gerade Nase war für einen Augenblick klar ersichtlich, als Frost den Kopf leicht zur Seite drehte, den Rest verbargen Dunkelheit und die Kapuze.

Schlanke Finger zerrten die Riemen der Lederrüstung auf. Frosts Bewegungen wirkten zielsicher und kräftesparend, als er den Panzer zur Seite legte. Er drückte Knöpfe und Knebel durch Löcher und Ösen und befreite Crannoch schnell und geschickt von Jacke, Wams und Hemd.

»Dreh dich auf die Seite, dann muss ich nur einen Arm aus deiner Kleidung schälen.«

Crannoch nickte frierend. Die Luft mochte von dem winzigen Feuer ein wenig angewärmt worden sein, trotzdem bildete sich eine harte Gänsehaut auf Bauchdecke und Brust.

»Mach schon. Je schneller deine Wunde versorgt ist, desto eher kommst du wieder unter warme Decken.«

»Was ist ein Schneeloch?«, gab Crannoch zurück, weil das eine Frage war, die er stellen konnte, da sie seinen Verstand nicht überforderte. Er schnaufte und gab sich redlich Mühe, sich auf die Seite zu wälzen, wobei er die Finger zuerst in Pelze krallte, dann eine Holzplanke des Schlittens umklammern konnte.

Frost schob und gab ihm somit den letzten Schwung mit, den er benötigte. Seine Finger waren verblüffend warm, als sie Crannochs Arm aus den Ärmeln befreiten und Stoff und Leder über den Rücken hinab zogen.

»Ein Schneeloch ist eine Höhle im Schnee. Die hier habe ich letzten Abend gebaut. Da sie schon einmal stand, erschien es mir das Weiseste, dich für die erste Versorgung und zum Auftauen hierher zu bringen. Wir haben ein kleines Kohlebecken. Es wird den Hohlraum angenehm aufwärmen, und ich werde dir Tee kochen.« Ein verächtliches Schnauben. »So ein kleines Loch streckt einen riesigen Kerl wie dich zu Boden?«

»Eher der Kopf«, behauptete Crannoch und sog zischend Atem ein, als Frost offenbar einen Finger in die Wunde steckte, als würde er nach abgebrochenen Resten der Waffe suchen. »Tu das nicht! Bitte!«

»Keulenschlag, und wenn Holz vom Dorn in dir steckt, wird es faulen. Das möchtest du nicht. Und Wolf möchte das auch nicht, weil es nämlich stinken würde, und seine Nase ist sehr empfindlich.«

Crannoch unterdrückte mühsam einen Fluch, hielt sich am Schlitten fest und fragte sich benommen, ob Frost das ehrlich meinte oder einfach nur ein boshaftes Vergnügen daraus schöpfte, einen Hilflosen zu quälen. Endlich spürte er, wie der Druck in der Wunde nachließ, und Frost hielt ihm in blutigen Fingern einen Holzsplitter vor das Gesicht. Dann drückte er Stoff auf die Wunde.

»Du musst dich aufsetzen. Denke an meine Warnung. Wolf wird entscheiden, was er als Angriff wertet.«

»Schaff ich nicht.«

»Doch, das tust du. Stell dich nicht so an. Ein angeschlagener Kopf und ein kleines Loch im Rücken! Ich würde mit diesen Kratzern noch ein ganzes Dutzend von euch Weicheiern aus Tas dem Erdboden gleichmachen. Und nicht einmal ins Schwitzen geraten.«

Solcherart an der Gurgel seiner Ehre gepackt stemmte Crannoch sich mühsam hoch. Es ging viel besser, als er erwartet hatte, höchstwahrscheinlich hatte die Verletzung vorher so bösartig gestochen und geschmerzt, weil sich das Bruchstück der Keule darin befunden hatte. Weh tat es immer noch, und die Schneeloch genannte Unterkunft kreiselte höchst unvernünftig um ihn herum. Aber er blieb zusammengesunken sitzen, konnte die Arme leicht heben, als Frost ihn dazu anwies. Er spürte den Pelzmantel des Kleineren auf der nackten Haut, als Frost ihn rücklings umarmen musste, um einen stabilen Leinenstreifen um Crannochs Brustkorb zu wickeln, damit die Wundauflage an Ort und Stelle gehalten wurde.

Das Licht des Kohlenfeuers genügte, um die Hände zu betrachten, die einen Knoten knüpften. Sehnig, schlank und eindeutig kraftvoll. Lange Finger mit flachen, hellen Nägeln und rauen Fingerknöcheln. Doch die verräterischen Narben, die Crannoch selbst trug und die er von jedem Schwertkämpfer kannte, fehlten. Falls Frost, wie er behauptete, ein Krieger war, dann beschränkte er sich vermutlich auf Pfeil und Bogen. Bei seiner geringen Körpergröße auch nur vernünftig.

»Siehst du, war doch gar nicht so schlimm. Bleib so sitzen, ich helfe dir wieder in deine Kleidung, und dann packe ich dich warm ein, bis der Tee fertig ist.«

»Danke«, sagte Crannoch schlicht.

Er erntete dafür ein spöttisches Lachen. »Ich bin keiner deiner barmherzigen Betbrüder. Du wirst mir nützlich sein, und dafür musst du am Leben bleiben. Mehr nicht.«

Frost bettete Crannoch wieder auf das weiche Lager und zog Decken und Felle über ihn. Jetzt sah Crannoch mehr von dem schmalen und doch so markanten Gesicht mit der klaren Stirn und den hohen Wangenknochen. Ein eigensinniger Mund, der spröde lächelte, was den Ausdruck von Sturheit und Härte verstärkte.

Frosts Finger flogen verblüffend sanft über Crannochs Haar. »Feuerrot. Kommt diese Farbe oft vor in Tas?«

»Blond. Rot ist selten«, gab Crannoch zurück, obwohl die Frage ihn verwirrte – wie nahezu alles an Frost. »Ich danke dir trotzdem, auch wenn dir das nicht zu behagen scheint. Mein Name ist Crannoch.«

»Crannoch.« Frost ließ die beiden Silben über seine Lippen rollen. »Klingt beinahe wie ein Name aus Rakans. Schade, dass du auf der falschen Seite stehst.«

»Ich stehe im Dienst des rechtmäßigen Königs.«

»Ansichtssache.«

Frost hob die Hände, um die schwere Kapuze zurückzuschlagen. Warm leuchtete der schwache Feuerschein auf streng zurückgekämmtem Haar, das so hellblond war, dass es beinahe eisweiß wirkte. Denn Frost sah zu jung aus, um bereits in Ehren ergraut zu sein. Doch was Crannoch nach Luft schnappen ließ in plötzlichem Begreifen und Unverständnis zugleich, waren die steil und spitz aufstrebenden Ohren. Alles passte zusammen. Kraft und Ausdauer, obwohl der Mann so viel kleiner war als der durchschnittliche Soldat aus Tas. Das arrogante Gehaben, der irregeleitete Stolz auf Rakans, das doch nur ein mit Eis gefüllter Furunkel am Hintern des Königreichs Tas war und mehr Scherereien machte und Leben kostete, als alle seine Bodenschätze wert sein konnten.

»Du … du bist ein Elf!«

Frost riss die eisflimmernden Augen weit auf, als hätte ihn ein Keulenhieb getroffen. Er atmete sogar keuchend ein und legte sich die Hand auf die Brust, als müsste er rasenden Herzschlag beruhigen. »Nein! Wirklich? Du siehst mich fassungslos angesichts dieser Neuigkeit.« Er ließ die Hand sinken. »Es sind die Ohren, nicht wahr? Nicht jeder trägt solch kümmerliche Stummel wie ihr Menschen.«

»Schön, dass ich zu deiner Belustigung beitrage!«, schnappte Crannoch, dessen erstes Erschrecken einer dumpfen Wut Platz machte.

»Nur ein wenig, falls es dich tröstet.«

»Ich dachte, Elfen nehmen keine Gefangenen?«

»Steht das irgendwo in den schlauen Schriftrollen eures Gottes? Würde zu ihm passen. Aber wie man es nimmt: Gefangene sind lästig. Wie ein Klotz am Bein. Sie jammern beständig, wollen gefüttert und umsorgt werden, und aus lauter Dankbarkeit versuchen sie dauernd, zu fliehen oder ihre Wärter umzubringen. Ich hatte mal angedacht, dass es hilfreich sein könnte, ihnen ein Bein abzuhacken, damit sie nicht weglaufen können. Allerdings würde das mehr benötigte Fürsorge und erheblich mehr Jammern mit sich bringen. Es spart wahrscheinlich tatsächlich Arbeit, sie einfach umzubringen.«

Crannoch verschlug es für den Augenblick die Sprache, und er konnte Frost nur fassungslos anstarren.

»Erzählt man sich dergleichen nicht in den Tempeln eures Gottes? Nun bin ich fast enttäuscht. Ich hatte gehofft, für einen Menschenfresser angesehen zu werden, weil du dann vielleicht aus Furcht vor mir keinen Übergriff wagen wirst. Crannoch, sieh mich nicht an wie ein Zwerg, den der Blitz auf dem Scheißhaus geröstet hat! Ich habe dich aus dem Schnee gekratzt und deine Verletzung versorgt – obwohl sie nur ein lächerlicher Kratzer ist. Du wirst gleich Tee und Nahrung von mir erhalten.«

»Aber … Warum?«

»Weil es in Rakans jemanden gibt, der vielleicht gerne ein paar Antworten von dir bekäme. Jemand, dem ich mit Leib, Leben, Seele und Herz diene. Jemand, dessen Mutter ihr vor zwei Jahren verschleppt habt, weil ihr dachtet, das würde uns lähmen. Tut es nicht. Sie würde uns dafür verachten. Zu Recht.«

»Dein … dein Prinz? Taerwin der Rabe?«

»Siehst du, dein angeschlagener Schädel erholt sich schon ein wenig. Der Paladin und seine Schwestern, da ihr ja unsere Rionda verschleppen musstet.«

Fremde Worte, hart und kalt ausgestoßen, die Crannoch nur noch mehr verwirrten. War Rionda der Name der alten Frau, die sich Königin von Rakans nannte?

»Schlaf jetzt, Crannoch, oder ruhe dich zumindest ein wenig aus, während ich mich um den Tee kümmere.«

»Das ist wirklich ein Wolf?«

»Natürlich. Denkst du, ein Hund aus Tas würde in diesem Schnee etwas anderes tun, als sich die Eier abzufrieren?«

»Ich habe inzwischen erfasst, dass du eine Abneigung gegen alles aus Tas hast!«, schnappte Crannoch.

»Alles, was nötig ist, um dich ein wenig aus der Reserve zu locken«, gab Frost ungerührt, aber mit diesem bösen Lächeln zurück. Doch die eisfarbenen Iriden leuchteten, als würde ihm all dies wirklich Freude bereiten.

Crannoch ließ sich in die Felle zurücksinken und musterte dieses fremdartige, boshafte Geschöpf. So viele Unterschiede zu Menschen sah er nicht, aber im Gegensatz zu den Männern, an deren Seite Crannoch aus ihrer Garnison in Terril gekommen war, trug Frost eine helle Haut zu Markte, wirkte in seinen Bewegungen agiler und gleichzeitig graziöser als der beste Soldat, den Crannoch kannte. Die Ohren, der schlanke Körperwuchs, das waren vielleicht die deutlichsten Merkmale. Und die ungewöhnliche Augenfarbe.

»Wir sind über hundert Meilen von eurer Hauptstadt entfernt«, gab er zu bedenken.

»Ich weiß. Ich kenne meine Heimat gut genug. Aber vielleicht ist der Paladin ja auch an einem ganz anderen Ort?«

»Gefangene neigen dazu, Ausbruchsversuche zu unternehmen.«

»Du bist doch dämlich. Schade, ich hatte mir anderes erhofft. Setz dich auf, sonst kippst du dir den Tee nur ins Gesicht.«

»Ich bin keinesfalls dämlich!«

»Mir auf die Nase binden, dass du türmen willst? Sehr niedlich. Erstens kann ich dich fesseln – oder dir wirklich ein Bein abhacken. Zweitens ist Wolf da. Und selbst ohne ihn – wo willst du hinrennen? Du weißt nicht einmal, wo du bist, in welche Richtung du dich wenden musst, um zurück nach Tas zu flüchten. Ich finde dich gerade besonders töricht, was lästig ist, da ich etliche Tage und Nächte in deiner Gesellschaft verbringen muss.« Er seufzte tief und hielt Crannoch einen Teebecher hin.

Er setzte sich langsam auf. Das ging schon sehr viel besser, und auch das Schwindelgefühl trampelte nicht länger wie eine Horde Soldaten durch seinen Kopf. Mit einer gewissen Vorsicht nahm Crannoch das Trinkgefäß entgegen und war sich mit einem Mal ganz sicher, dass Frost nur dieses eine besaß. Wenn der Kerl wirklich mit einem Schlitten durch die Gegend reiste, den er selbst oder der Wolf zog, musste sein Gepäck leicht sein.

Der Tee roch würzig, schmeckte ein wenig bitter und gleichzeitig frisch. Er stillte Crannochs Durst und füllte den Magen mit wohliger Wärme.

»Mehr?«, fragte Frost.

Crannoch nickte. »Bitte.«

»Höflich auch noch. Ich scheine Glück gehabt zu haben, dass du da so herumlagst. Deine Truppe ist nicht vollkommen aufgerieben worden, nicht wahr? Es sind ein paar entkommen?« Er schenkte Tee nach bei dieser Frage.

Crannoch überlegte, wie viel er wirklich offenbaren sollte und durfte. In der Garnison schwirrten die unterschiedlichsten Geschichten über Rakans herum. Eine davon eben jene, dass Elfen keine Gefangenen machten. Andere erzählen von wilden Kriegern, die im Kampfrausch keinerlei Befehl mehr zugänglich waren – Menschen und Elfen. Nur in Rakans lebten Elfen. Angeblich sicher hinter den Fluss Telloc gedrängt, obwohl sie immer wieder in Tas auftauchten, kleinere Ortschaften plünderten und ganze Viehherden verschwinden ließen. Vielleicht waren sie vor den Menschen hier gewesen, möglicherweise gleichzeitig mit ihnen auf der gewaltigen Insel angekommen. Das wusste irgendwie niemand zu sagen, und Crannoch fand, dass diese Auskunft in seiner jetzigen Lage ohnehin keinen Wert besitzen würde.

Er atmete tief durch. Sein Leben lag in diesen kraftvollen Händen, die seine Wunden verbunden, ihm über das Haar gestreichelt und ihn überhaupt erst auf den Schlitten gewuchtet hatten. Im Augenblick, so fand Crannoch, schuldete er sich selbst und seinen Aussichten auf Überleben mehr Loyalität als dem Herrscher in der fernen Hauptstadt Iver von Tas – wer auch immer dort gerade auf dem Thron saß. Er nickte also. »Unser Hauptmann ist gefallen, dazu ein paar andere Kameraden, die ich aus der Garnison von Terril kannte. Aber ein Dutzend oder so könnte entkommen sein. Genauer kann ich es nicht sagen. Der Schneesturm, die Kämpfenden …«

»Das ist kein Schneesturm gewesen. Ein kleines Gestöber.«

»Von allen Elfen, die mich hätten aus dem Schnee klauben können, musste es ausgerechnet ein eingebildeter Klugscheißer sein!«

Frost lachte. Nicht länger auf diese trockene humorlose Art, sondern offenkundig erheitert. Crannoch gewann die Gewissheit, dass der Kerl sich geschmeichelt fühlte und aus solchen Attacken auf seine Person ehrliches Vergnügen zog. Nun, das konnte er haben! Wenn dies half, dass er vielleicht einen Augenblick lang unaufmerksam wurde … Crannoch trank seinen Tee. In der derzeitigen Lage und dank der eingeschränkten Beweglichkeit wegen des Lochs in seinem Rücken würde es ihm schon reichen, wenn Frost dabei blieb, ihn anständig zu behandeln.

Er schluckte den Rest Tee und reichte den Becher zurück. Wie er es sich gedacht hatte: Frost füllte das Behältnis erneut und trank nun selbst. Immer noch trug er dicke Kleidung aus Fell und Leder, die die Konturen des Körpers verschleierte, doch hockte er in so vollkommenem Gleichgewicht da, dass diese Haltung mühelos erschien. Crannoch kannte es von sich selbst, dass ihm irgendwann ein Bein einschlief und beim Aufstehen die Knie schmerzten. Zu groß, zu schwer.

Frost verstaute den Becher in einem Lederbeutel, aus dem er dann Brotfladen und dünn geschnittene Streifen Trockenfleisch hervorholte. »Das wird für heute Abend reichen müssen. Wolf wird morgen gewiss auf die Jagd gehen.«

Crannoch nahm das angebotene Essen gerne an und bedankte sich höflich. Ihm gefiel, dass diese gewöhnlichen Umgangsformen immer noch unerwartet für Frost erschienen.

Der Elf legte Kohlen nach und setzte sich dann neben Crannoch auf den Schlitten, streckte lange Beine aus und warf dem Wolf einen Streifen Trockenfleisch zu.

Crannoch aß und betrachtete seinen Gefangenenwärter – und das Vieh, das sich aufführte, als wäre es Frosts Schoßhund.

Arglos waren beide nicht, und hinter seiner Kaltschnäuzigkeit und beständigen Provokation verbarg Frost gewiss Wachsamkeit. Selbst die berüchtigte Zähigkeit der Elfen konnte ihm nicht beistehen, sobald Crannoch sich ausreichend erholt hatte und den Vorteil von Größe, Masse und Kraft in die Waagschale warf. Niedlich, dagegen einen Köter und einen Dolch einsetzen zu wollen.

Er schluckte den letzten Bissen und musste einen Fluch unterdrücken, als Frost zeitgleich eine Rolle Lederriemen unter den Fellen hervorkramte.

»Was wird das?«, schnappte Crannoch.

Frost hob in übertriebener vorgeblicher Überraschung die Brauen. »Du scheinst doch sehr dämlich zu sein – oder von mir zu denken, ich wäre es. Ich werde dich fein säuberlich anbinden, denn wenn du denkst, dass ich auf dem Fußboden schlafe und dir alleine den Schlitten überlasse, irrst du dich. Und ich werde nachts nicht gerne erwürgt.«

»Du hast doch deinen Wunderwolf.«

»Kann es sein, dass du gerade versuchst, mich auf die gleiche Stufe deiner Geistesgaben zu ziehen, wo du mich dann durch den langjährigen Erfahrungsschatz an geballter Dummheit zu schlagen gedenkst? Pass auf, Crannoch, ich zeige dir etwas. Und dann wirst du ganz brav stillhalten, während ich dich am Schlitten anbinde. Wir werden zu dritt Körperwärme teilen und morgen wundervoll erholt erwachen. Und alle drei lebendig. Klingt doch gut, oder?«

Crannoch betrachtete das kalte Lächeln und die funkelnden Augen voll Unbehagen. »Was willst du mir zeigen?«

»Den Grund, warum ich nicht die geringste Angst vor dir verspüre«, antwortete Frost, und seine Stimme klang wie das Schnurren einer großen, blutbespritzten Raubkatze, die genüsslich und vor allem demonstrativ ihre Krallen ausfährt.

Er hatte einfach keine Ahnung, was ihn erwartete, aber dieses Selbstzufriedene machte ihm Angst, beschleunigte seinen Herzschlag, und als Frost eine Hand in seine Richtung ausstreckte, zuckte Crannoch sogar kurz zurück.

Des Elfen Lächeln war ein Sonnenaufgang über verschneiter Einöde, glitzernd und prachtvoll. Frost drehte die Handfläche nach oben und beugte leicht die Finger. Immer noch dieses Lächeln, das wunderschön und entsetzlich zugleich war. Wie ein jagendes Raubtier, dessen Körperbeherrschung und Kraft Bewunderung verdiente, obwohl Crannoch um die Fänge und Klauen wusste.

Eis tanzte auf Frosts Haut, bildete eine Schicht Raureif, aus der sich eine sich langsam drehende Säule wirbelnder Eisflocken erhob, bis Crannoch die Kälte spüren konnte. Das ist kein Schneesturm gewesen. Ein kleines Gestöber. Nein, ein Mahlstrom aus Eis, der sich nun verbreiterte und schlagartig, als Crannoch vor Entsetzen kaum noch atmen konnte, in sich zusammenfiel. Winzige Schneeflocken fielen seitlich von Frosts Hand auf die Pelze und Decken, und dort, wo sich eben noch der winzige Wirbelsturm aus Firn gedreht hatte, stand klein und tödlich glitzernd eine Figur aus klarem Eis. Ein winziger Wolf, den massigen Schädel in den Nacken gelegt, als würde das Raubtier den kalten Mond anheulen.

Wie ein Echo der Kälte überrieselte es Crannoch, hinterließ im Gefolge des Schauders harsche Gänsehaut, die sich wie mit winzigen Stacheln in den Stoff der Kleidung zu bohren und zu haken versuchte. Er atmete zittrig aus.

Frost blies auf den verbliebenen Rest Raureif und Eis, und alles löste sich auf. »Gut, dass wir das geklärt haben. Ich werde dich jetzt anbinden.«

Crannoch nickte und fühlte sich wie erschlagen. Er hatte Gerüchte über die Naturmagie der Elfen gehört. Einige mussten die Zauberei im Dienste des Heeres von Tas wirken, aber dieser Elf war nicht in Ketten und gefügig. Alles andere als gefügig! Crannochs Gedanken flatterten wie erschrockene Tauben im Schlag auf und ab, während er Frost zu fassungslos und entsetzt für Widerworte die Hände hinstreckte und sich mit der Lederschnur fesseln ließ. Vor Jahrhunderten, ehe der Große Gott sich offenbarte, lange vor der Flucht über das Meer sollten auch in Tas Magier gewirkt haben. Der Große Gott hatte dieses Treiben verdammt.

Doch das hier … Er schluckte hart, ließ sich von Frost zurück in die Felle drücken und es widerstandslos geschehen, dass der Elfenmagier ihn an den hölzernen Rahmen des Schlittens band.

Zu wie viel war Frost in der Lage? Was mehr konnte er vollbringen als eine niedliche mit Eis gefüllte Windhose in der hohlen Hand und eine Eisfigur, die aus dem Miniaturtoben des kalten Elements auftauchte?

Doch im jetzigen, tatsächlich angeschlagenen Zustand, mochte das Loch im Rücken auch noch so lächerlich sein, wagte Crannoch keinen Versuch, um mehr über Frosts Gabe herauszufinden. Nicht einmal Widerworte, um den Magier zu erheitern und aus der Reserve zu locken.

Frost deckte ihn sorgfältig wieder zu und beugte sich dann leicht über ihn, da Crannoch nun auf der Seite liegen musste, damit sie zu dritt überhaupt genug Platz auf dem Schlitten fanden. Warm flog der Atem des Elfen über Crannochs Wange. »Hab ich dich jetzt ganz und gar eingeschüchtert? Ich verspreche, dass ich kein Menschenfresser bin. Ich werde nachts nicht einmal an dir knabbern.«

Der fast verspielte Tonfall ermutigte Crannoch wieder ein wenig. »Ich werde dich wecken, wenn all der Tee wieder nach draußen will.«

»Tu das! Du darfst dann in eine Ecke des Schneelochs pinkeln. Nachts möchtest du das nicht im Freien versuchen, glaub mir!«

Crannoch biss sich auf die Innenseite der Wange, aber Frost, der dicht an ihn lehnte und eine Hand auf seine Schulter gelegt hatte, spürte die Erschütterungen unterdrückten Gelächters trotzdem und fragte mit einem Lächeln in der großartigen Stimme: »Was?«

»Gelbe Eiszapfen«, brachte Crannoch mühsam hervor und wurde mit einem Lachen belohnt, das die Kälte, die die Magie in ihn gepflanzt hatte, schmelzen ließ.

Frost verpasste der Schulter einen nahezu freundlichen Klaps, bevor er und Wolf unter die Decken krochen. Eine Gänsehaut überlief Crannoch, da zusammen mit den beiden Körpern auch Kälte unter die Felle gelangte, aber noch mehr überrieselte es ihn abwechselnd warm und kalt, als Frost dicht an ihn heranrückte und sich anschmiegte. Nur vernünftig, die Körperwärme zu teilen, dicht zusammenzurücken. Trotzdem …

Crannoch dachte an kaltblaues Flimmern, das unbeschwerte Lachen und die winzige Wolfsfigur aus Eis. Frost hatte etwas Schönes geschaffen, obwohl er hatte beeindrucken und einschüchtern wollen.

II. Tagebuch einer Königin

 

Wie oft mir von Kindesbeinen an gesagt wurde, meine Abkunft wäre meine Bestimmung und Pflicht, kann ich gar nicht mehr sagen. Heute erfüllt mich dieser Satz mit kalter, hilfloser Wut.

Ich gehöre der fünften Generation an, die nach der Flucht über das Meer in Tas geboren wurde. Meine Abstammung lässt sich schnurgerade bis zu König Tas zurückverfolgen.

Ein König ist der erste Diener seines Reiches und seines Volks. So steht es im Goldenen Buch des Großen Gottes, ohne dessen Gnade und Führung kein König diese Pflicht erfüllen kann. So wurde ich es gelehrt. Von meinen Kinderfrauen und Lehrern, von meinem eigenen Vater. Immer wieder, bis es mir in Fleisch und Blut überging. Und die erste Dienerin des Königs ist seine Hohe Gemahlin.

Meine erste Ehe wurde am Tag meiner Geburt besiegelt. Mein Gatte war damals zwei Jahre alt und der einzige Sohn des Königs. Außerdem war er mein entfernter Vetter. Er starb am Fluss Telloc im Kampf gegen die Elfen, als ich drei Wochen vor der Geburt unseres Kindes stand.

Das Reich hielt den Atem an. Ich erinnere mich gut an die lauernde Stille, das Abwarten, ob ich einen Erben gebären würde. Die prüfenden Blicke der Adeligen nicht nur zu mir, sondern auch zum König, wie lange er es nach dieser Nachricht wohl noch machen würde. Wie Aasfresser sammelten sie sich in unserer Hauptstadt Iver. Diese Stadt war mein Heim, seitdem ich alt genug war, um bei Hofe erzogen zu werden. Noch unter König Tas wurde Iver gegründet. Den Legenden nach auf den Ruinen einer älteren Siedlung. Wobei niemand mehr zu sagen vermochte, ob es Überreste einer Stadt der Elfen waren oder ob vor uns schon einmal Menschen an der Küste von Bohannis gestrandet waren und hier ihre erste Stadt bauten.

Jetzt war ich alleine in Iver. Nur noch der alte König hielt seine Hand über mich. Denn auch mein Vater fiel am Fluss Telloc in der gleichen Schlacht wie mein Gatte.

Ich musste mich in den Schatten nahe den Vorhängen verstecken, mich hinter dem dicken Stoff verbergen, um die Berichte der Überlebenden zu hören. Wie grau der König im Gesicht wurde, als ihm vom Tod seines Sohnes erzählt wurde. Ich selbst hatte keine Nachricht erhalten. Dass mein Vater ebenfalls zu den Toten gezählt wurde, erfuhr ich erst in meinem Versteck.

Dies war das erste Mal, dass ich von der verheerenden Wirkung der Elfenmagie hörte. Stets war ich behütet worden und hatte nie erfahren, wie die Schlachten verliefen, welche Verluste Tas hinnehmen musste, mit welchen Kniffen die Elfen gegen unsere Soldaten vorgingen. Jetzt hörte ich, dass sie ruchlose Krieger waren, aus dem Hinterhalt auftauchten und Verwirrung in die Reihen unserer Soldaten brachten. Schnell wie Schatten, ihren alten Göttern verhaftet, die Gefallen an Blutvergießen fanden und im Kampf gestorbene Krieger angeblich huldvoll in ein Totenreich aufnahmen.

Ich hörte von der Naturmagie der Elfen, während ich lauschte und mich fürchtete, jemand würde mich in meinem Versteck entdecken.

Ein Hagel aus feurigen Brocken ging auf unsere Soldaten nieder. Die flammenden Steine setzten Lederrüstungen, Kleidung und Haare in Brand, trafen auch die Zelte hinter den Linien, vernichteten Vorräte, Pfeile und Kriegsmaschinen. Als wäre das noch nicht genug, brach die Erde auf. Der Fluss Telloc strömte in diese Spalten und riss mit sich, wer auch immer sich nicht schnell genug in Sicherheit bringen konnte. So auch meinen Vater.

Die Berichte klangen fantastisch, wie die Ausgeburten von Albträumen, aus denen es kein Entrinnen gibt. Ich hörte von einem Elfen, der über die Winde befahl und deswegen auf ihnen reiten konnte.

Doch die Berichte über die vernichtende Wirkung der Eismagie hat mich das Fürchten gelehrt. Die Überlebenden sagten, nach Feuer, Erdspalten und dem Toben des Flusses kehrte Stille ein. Die Männer duckten sich hinter ihre Schilde, erwarteten den Angriff. Vielleicht eine Welle Pfeile, möglicherweise Elfenkrieger, die sie nun für ausreichend geschwächt hielten. Sie waren bereit. Aber nicht für das, was dann über sie hinwegzog.

Es war ein Schneesturm voll Hagel und Graupel. Eiseskälte, die den Atem lähmte.

Kälte ist eine grauenhafte Waffe, der niemand lange etwas entgegenzusetzen hat. Wasser kann man entkommen, wenn man ein guter Schwimmer ist. Flammen können erstickt werden, aus Erdspalten kann ein Mann sich befreien. Aber die volle Wucht der Kälte aus Rakans dringt in Muskeln und Knochen, lähmt das Herz, friert Finger und Zehen ab und schmerzt so sehr, dass auch der Tapferste ihr erliegt.

Eis bildet Barrieren, verschließt Zugänge und schlägt den Stärksten nieder, der unter seiner Last erstickt, sich nicht mehr rühren kann, bis die Kälte ihn vernichtet.

Frost ist die Waffe der Eismagier aus Rakans.

Im Eishagel starb mein Gatte.

Ich floh aus dem Thronsaal, ehe ich alle Einzelheiten hören konnte, die den König zu Boden ringen mussten.

Zwei Wochen später brachte ich meine Tochter Carmin zur Welt. Und wurde der Spielball der Adeligen, wurde zu einer in Seide gehüllten und mit Juwelen geschmückten Spielfigur auf dem Brett der Machtspiele. Denn der König hatte keinen Erben, und ich bin die letzte Frau aus dem Geschlecht von Tas. Die Frau mit dem Stammbaum, die ihrem Gatten die Krone bringt.

2. Der Fall der Überheblichkeit

 

Crannoch

Frost verschleppte ihn immer tiefer in die verschneite Wildnis von Rakans.

Der Fluss Telloc fiel zurück und war schon nach zwei Tagen nicht mehr als eine Erinnerung. Die uralte Grenzlinie zwischen Rakans im Osten und seinem Nachbarn und ewigen Gegner Tas. Tas, das sich vom Bohannismassiv bis hinab zur Südküste erstreckte, die fruchtbaren Täler vom Haldfluss und vom Kellianfluss umschloss und die grüne Ebene für sich beanspruchte. Tas, das Reich der Sonne und des Großen Gottes. Meilenweit entfernt vom kalten Wind, der von Norden her über den Schnee strich und Crannoch zittern ließ.

Solange Frost ihm noch gestattet hatte, unter vielen Decken, Pelzen und der Zeltplane auf dem Schlitten zu reisen, während der Wolf diesen zog und Frost verblüffend leichtfüßig nebenherlief, war der Wind halbwegs erträglich gewesen. Doch in der letzten Nacht in einem gegrabenen Loch in einer mehr als sieben Fuß aufragenden Schneeverwehung hatte Frost die Wunde erneut untersucht und am nächsten Morgen auch für Crannoch Fußmarsch verordnet.

Immer noch mit vor der Bauchdecke gefesselten Händen und mittels eines Stricks am hinteren Teil des Schlittens angebunden musste er nun also durch die weiße Wüste stapfen.

Anders als Frost brach er meistens durch die harsche Eiskruste, die sich auf dem Schnee gebildet hatte. Der Elf schien über den Firn zu schweben, aber Crannoch schuftete um jeden Schritt. Er bezweifelte, dass sie an diesem Vormittag mehr Meilen schafften, als hätte er nach wie vor auf dem Schlitten gelegen.

Er war lange Märsche unter vollem Gepäck gewohnt, die gesamte eigene Habe und die Ausrüstung, die der König bezahlte, auf dem Rücken. Unter sengender Sonne oder im herbstlichen Regen. Das war der Unterschied. Schon die Garnisonsstadt Terril war ihm kalt und unwirtlich erschienen, umgeben von Wäldern und Bergen, nahe am Telloc. Doch die volle Wucht des Winters hatte er erst diesseits des Flusses zu spüren bekommen.

Es war zu hell. Der Schnee glitzerte wie Katzengold in einem Bachlauf. Obendrein füllte er jede Falte von Crannochs Stiefeln, Hosen und der unteren Hälfte seines Mantels mit harten Klumpen, die Stoff und Leder gegen die Haut rieben, bis diese wie Feuer brannte und an manchen Stellen gnädigerweise taub wurde.

Unter Leinenhemd und Leder schwitzte Crannoch, während er sich mühsam hinter dem Schlitten einher schleppte und den so mühelos mit dem Wolf Schritt haltenden Elfen im Geiste immer mehr verfluchte.

Endlich geruhte der spitzohrige Mistkerl, einen Blick über die Schulter zurückzuwerfen. Die Brauen hoben sich, und Frost rief nach dem Tier vor dem Schlitten, das anhielt. Crannoch stemmte sich drei Schritte durch den hohen Schnee vorwärts, bis er die Hände auf den hölzernen Bogen am Ende des Gefährts legen und sich aufstützen konnte.

»Ich hatte nicht gedacht, dass du uns so sehr aufhalten würdest«, sagte Frost und trat heran. »Ein großer, starker Kerl wie du. Ungünstig, dass du so tief einsinkst.«

»Das tut mir auch fürchterlich leid«, behauptete Crannoch, kaum dass er ausreichend Atem für diese kleine Bissigkeit hatte sammeln können.

»Und das ist auch gut und angemessen«, gab Frost mit todernster Miene zurück, bevor sein Lächeln aufflammte. »Uns fällt etwas ein. Sieh nach vorne, da ist ein Wäldchen, in dem ich eine Rast einlegen möchte. Die verschneiten Tannen bieten uns Windschutz und Unterschlupf. Vielleicht kann Wolf überredet werden, den Schlitten mit dir hinten auf den Kufen zu ziehen. Wenn wir zu vom Wind freigelegten Gebieten kommen, wirst du wieder laufen.«

»Das klingt nach einem Plan. Und unvermutet rücksichtsvoll.«

»Ich halte den Gedanken, dich hinter dem Schlitten durch den Firn zu schleifen, für abstoßend. Macht man das so in Tas?«

»In Tas liegt im Winter erheblich weniger Schnee! Meistens regnet es nur«, gab Crannoch gereizt durch diese unvermutete Attacke zurück. Nicht, dass er sich in den letzten Stunden nicht mehrfach überlegt hatte, wann Frost es wohl merken würde, wenn er hinter dem Schlitten zusammenbrach. Und wie er nach ein paar Meilen aussehen würde.

»Höchst ungefällig von Tas. Aber im Sommer schleift ihr eure Gefangenen über staubige Straßen, hoffe ich?«

»Was du immer für erbauliche Ideen hast!«

Das Lächeln gefror. »Ich habe genug Männer gesehen, die gebrochen aus der Gefangenschaft über den Telloc flohen, um zu Hause zu sterben. Ich habe die Narben gesehen, die Peitschen und glühende Eisen auf ihren Körpern hinterlassen haben. Euer Gott soll so sanft und gütig sein, aber die Verbrechen in seinem Namen sind so viele wie Schneeflocken in dieser Ebene.«

»Und was haben du und dein Prinz mit mir vor?« Er spuckte den anmaßenden Titel nahezu aus. Taerwin von Rakans war ein Vasall, nicht mehr, denn das Königshaus von Tas herrschte über Bohannis. Mehr oder weniger. Aber ein Halbwilder mit dem Beinamen der Rabe hatte in Tas ganz gewiss nichts zu sagen.

»Paladin«, korrigierte Frost ungerührt. »Er wird dir Fragen stellen wollen, denke ich. Über die Garnisonen jenseits des Flusses. Über Truppenstärken. Ich verstehe von solchen Dingen nichts. Ich bin nur ein einfacher Elf, der seinem Paladin dient.«

»Und wenn ich nicht antworte?«

»Mein Paladin wird seine Mutter befreien, Crannoch. Sie wird wieder in Rakans herrschen und die Grenze gegen die Anmaßung von Tas verteidigen. Mit oder ohne deine Hilfe.«

»Dann kannst du mich gleich hier und jetzt abstechen oder gefrieren oder was dir sonst so einfällt, Frost. Denn ich habe nicht vor, deinem Prinzen zu helfen. Er kann gerne Peitschen und glühende Eisen zum Einsatz bringen …« Er stockte, denn etwas in Frosts Gesicht veränderte sich. Ein kaltes Leuchten in den blauen Augen, eine Härte auf dem schmalen, ausdrucksvollen Gesicht, der Mund ein einziges Hohnlächeln.

»Du denkst, dass Elfen Menschenfresser sind und mein Paladin ein Schlächter. Aber du bist nach Rakans gekommen – mit anderen Soldaten. Was wollt ihr hier? Ein paar Frauen abschlachten? Ein paar Häuser verbrennen? Noch mehr Sklaven nehmen, um unsere Bergwerke auszubeuten? Tas überzieht das ganze Reich mit Krieg, um die Predigten des ach so milden Gottes mit Schwert und Feuer jedem aufzuzwingen. Verzeih, dass ich Rücksicht auf dich nehme und für meinen Paladin die Hand ins Feuer lege, dass er dich nicht in die Folterkammern schleifen lässt, nur weil du nicht unseren Schrei nach Freiheit hören willst. Und jetzt stell dich auf die Kufen und halt dich fest, denn ich habe nicht vor, hier anzuwachsen.« Er wandte sich mit einem Ruck ab und ging nach vorne zu dem nebelgrauen Wolf, der der Unterhaltung aufmerksam gelauscht hatte, die gelben Augen fest auf Crannoch gerichtet, die kleinen, dreieckigen Ohren gespitzt.

Crannoch fühlte sich, als wäre ein durchgegangenes Ochsengespann über ihn hinweg getrampelt. Keines der Gespräche, das er in den letzten Tagen mit Frost geführt hatte, hätte ihn auf diesen Ausbruch voller Bitterkeit und Hass vorbereiten können.

Seine Finger waren kälter noch, als die unwirtliche Winterlandschaft das begründen konnte, und Crannoch musste auf seine Hände blicken, ob sie den Haltegriff wirklich sicher umfassten, bevor er sich breitbeinig auf die Kufen des Schlittens stellte, den Kopf leicht einzog und nach Wärme in seinen schützenden Kleidungsschichten fahndete. Ihm war, als hätte Frost seine Magie auf ihn abgefeuert und ihn vollkommen mit Eis ausgefüllt.

Der Elf wandte halb den Kopf, dann beugte er sich zum Wolf hinab, streichelte über den massigen Nacken des Tieres, das die Liebkosung und vielleicht einige geflüsterte Worte zum Anlass nahm, einen Laut zwischen Heulen und Grollen hervorzustoßen und sich wieder in die Lederleinen des Geschirrs zu werfen. Nahezu fröhlich hatte der Ton geklungen.

Doch hinten auf dem Schlitten herrschte eisiges Schweigen, das Crannoch einhüllte und ihm das Atmen schwer machte.

Beinahe lautlos glitt der Schlitten über den vereisten Schnee, und leichtfüßig rannte Frost nebenher, Schneeflocken auf den Pelzen seiner Kleidung, jede Bewegung im vollkommenen Gleichgewicht, wie Crannoch das nur von den besten Soldaten aus Tas kannte – wie er selbst es wohl niemals erlangen würde. Er war sich der eigenen Kraft bewusst, aber nicht in der Lage, solche Körperbeherrschung zu erreichen.

Das Wäldchen kam näher. Der Schlitten beschleunigte, als der Wolf einen Abhang hinab sauste, wobei er sich tief auf die Hinterläufe senkte. Die Rute halb erhoben, Schnee wie glitzernde Edelsteine in der klaren Luft.

Dann ein metallisches Schnappen, ein schrilles Winseln, und in einer Wolke von Schnee ging der Wolf zu Boden, wurde beinahe vom Schlitten überfahren.

Frost rief: »Wolf!« Mit einer Stimme wie goldener Donnerhall, volltönend wie ein Gong im großen Tempel, den der Elfenmagier mühelos mit Worten füllen könnte, auch wenn jedes davon Lästerung an dem Großen Gott bedeuten würde.

Ein zweites Schnappen, als der Elf zu seinem gestürzten Wolf aufholen wollte, und Frost fiel mit einem Schrei, in dem sich Wut und Schmerz vereinten, in den Schnee, der sich rot färbte. Und trotzdem versuchte der Kerl, wieder auf die Beine zu kommen.

Crannoch schnappte nach Luft, und wieder kreisten Vögel in seinem Kopf, wirbelten Gedankenfetzen durcheinander. Er sprang von den Kufen, kam um den Haltebogen herum und zerrte das Seil über diesen, um mehr Spielraum zu erlangen.

Der Wolf winselte erneut schrill und strampelte, um sich unter dem Schlitten zu befreien.

Frost hatte es immerhin auf die Knie geschafft. Aber er kauerte in einer sich vergrößernden Lache aus schmelzendem Schnee, der sich mit seinem Blut vollsog. Natürlich hatte der verdammte Elf nur Augen für seinen Schoßhund. Sah nicht zu Crannoch, der ihn fast erreicht hatte und den Dolch hinten im Gürtel des Magiers zum Ziel hatte.

Der Strick war gerade lang genug, dass Crannoch die Finger um das Waffenheft schließen konnte. Genau in dem Augenblick wandte Frost sich auf einem Knie halb um, riss die Augen in einem mit einem Mal kalkweißen Gesicht weit auf und bleckte angriffslustig die Zähne, als wäre er selbst ein Wolf.

Eisschuppen wucherten auf Crannochs Ärmeln und Handschuhen, pflanzten sich in rasender Geschwindigkeit fort auf die Brust, schnürten ihn ein, ließen den Mantel tonnenschwer werden und sandten tödliche Kälte durch Stoff und Leder.

Crannoch rang nach Atem, der eisig in ihm brannte, ihm die Tränen in die Augen trieb, sah noch den wilden Triumph auf Frosts allzu bleichem Gesicht und trat zu. Der Stiefel traf Frost zwischen den Schulterblättern und schleuderte ihn zurück in die rote Suppe aus Schneematsch und Blut. Crannoch verlagerte sein Gewicht auf diesen Fuß, der zwischen Leben und einem grausigen Sterben als Statue aus Eis entschied, drückte Frost in den Schnee und säbelte gleichzeitig in wachsender Panik an seinen Fesseln.

Ein Fangeisen. Die kannte er. Er selbst hatte Dutzende davon auf einem Karren gesehen, der gen Rakans gerollt war. Wolfsfallen. Elfenfallen. Grenzsicherung auf die grausame Art. Wer immer in ein solches Eisen trat, starb einsam in Kälte.

Ein Blick zum Wolf, der mit gefletschten Fängen versuchte, unter dem Schlitten hervorzukommen. Kaum rote Sprenkel im Schnee. Aber Frost blutete wie ein Schwein und kämpfte gegen Crannoch, der ihn immer noch niederhielt.

Die Fesseln fielen. Crannoch warf sich auf Frost, bohrte nun das Knie statt des Stiefels in dessen Rücken, packte die Kapuze und brüllte: »Halt still! Du blutest aus!«

Er musste brüllen, denn der Wolf heulte, knurrte und grollte. Und verstummte mit einem Mal, da er Antwort erhielt. Weit entfernt noch, aber der grausige Gesang der großen Raubtiere war unverkennbar. Ein eisiger Schauder lief über Crannochs Rücken.

Was immer er tun wollte, er musste es schnell erledigen. Und er hatte keine Ahnung, nach welcher der vielen Möglichkeiten er greifen wollte und sollte. Oh, er wusste genau, welche er nutzen musste, ging es nach seinem toten Hauptmann, nach dem König in Iver, dem Soldateneid und den Geboten des Großen Gottes.

Frost umbringen, um ganz sicherzugehen, dass der Magier dies nicht überlebte, zurück nach Tas, Bericht erstatten von Taerwins Anmaßung, einen Soldaten des Königs befragen zu wollen, die Macht in Rakans an sich gerissen zu haben und immer noch nur an Widerstand zu denken, an die Befreiung seiner Mutter. Vom Untergang der Patrouille erzählen, ein Schulterklopfen für Tapferkeit erhalten und gleich auf den nächsten Einsatz nach Rakans geschickt werden.

Frost verarzten und zurück nach Tas schaffen. Peitschen und glühende Eisen hin oder her. Gerede von Freiheit und Unterdrückern hin oder her.

Die Gegenwehr unter ihm wurde schwächer. Das Heulen aus der Ferne klang schon näher, und der Wolf vor dem Schlitten hatte ihn nur noch nicht umgebracht, weil die Kette des Fangeisens ihn auf Abstand hielt.

Auf dem Knie drehte Crannoch sich halb herum, hörte ein wutentbranntes Keuchen von Frost und starrte das Eisen an, das viele Blut und begriff, dass er nur eine einzige Möglichkeit hatte. Er fand nicht zurück nach Hause, und gleichgültig, ob er zu flüchten versuchte, die Wölfe würden ihn einholen, einkreisen und umbringen.

»Halt still!«, fauchte er den Magier noch einmal an, obwohl Frost sich kaum noch rührte. Crannoch musste hoffen, dass dies keine Finte war, dass der verdammte Kerl ihn nicht gleich in einen Eisberg verwandelte, sobald Crannoch das Gewicht von ihm nahm, um das Fangeisen zu öffnen.

Ein Stoßgebet an den Großen Gott wagte er nicht. Zeitverschwendung, und wahrscheinlich stieß es ohnehin auf taube Ohren, da er dessen Geboten zuwiderhandeln wollte und sie beide das ganz genau wussten.

---ENDE DER LESEPROBE---