Ein Schreiner, ein Anhalter & ein Geist - Tanja Rast - E-Book

Ein Schreiner, ein Anhalter & ein Geist E-Book

Tanja Rast

0,0
6,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In einer Hauruck-Aktion zieht Vincent auf einen einsam gelegenen Resthof, den sein Onkel ihm zur Verfügung stellt. Genug Platz zum Leben und für Vincents Schreinerwerkstatt. Die Mieter seines Onkels sind dort irgendwie immer nach kurzer Zeit abgesprungen. Pech für sie, Glück für Vincent! Bei der letzten Umzugsfahrt mit dem voll beladenen Anhänger ist er einfach nur noch hundemüde. Er nimmt einen Anhalter mit und hofft, dass dieser ihn wachhalten wird.

Doch Philipp ist mindestens ebenso müde wie der nette Autofahrer, der ihn bei strömendem Herbstregen einsammelt. Er pennt friedlich im warmen Auto ein, bis er von Donnerknall neben Vincent erwacht, der ebenfalls aus tiefem Schlummer hochschreckt. Und wo um alles in der Welt sind sie jetzt? Rothenbüll? Noch nie gehört!

Ein Baum fällt um, und damit sitzen sie auf dem Bauernhof erst einmal fest. Könnte schlimmer sein, befindet Philipp, da sein Gastgeber einfach ein Schatz ist. Allerdings scheinen die stets so rasch entfleuchten Mieter guten Grund für ihr Verhalten gehabt zu haben, denn in diesem Haus stimmt etwas ganz gewaltig nicht ...

Die Romane aus Klaxdonnersbüll sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden. Da aber immer wieder die Paare aus den vorherigen Romanen kleine Gastauftritte haben, macht es einfach mehr Spaß, die Bücher der Reihe nach zu lesen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltswarnungen

Kann Spuren von Erdnüssen enthalten!

Es gibt Inhalte, die Betroffene triggern können, das heißt, dass womöglich alte Traumata wieder an die Oberfläche geholt werden. Deswegen habe ich für diese Personen eine Liste mit möglichen Inhaltswarnungen für alle meine Romane zusammengestellt:

www.tanja-rast.de/inhaltswarnungen

Info für Screenreader-Nutzende

Zur Verbesserung der Barrierefreiheit habe ich diese Seite eingefügt, da es für ALT-Texte je nach Anbieter ein enges Zeichenlimit gibt, das keine wirklichen Bildbeschreibungen zulässt. Außerdem ist es technisch derzeit nicht möglich, einen ALT-Text für das Cover zu setzen.

Bildbeschreibung Cover:

Ein Schreiner, ein Anhalter & ein Geist von Tanja Rast. Das Wort Geist ist in Schnörkelschrift ausgeführt. Vor einem nebelverhangenen Waldweg in Herbstfarben steht ein junger Mann mit kurzen, dunklen Haaren in einer abgetragenen Allwetterjacke. Er blickt direkt in die Kamera und lächelt schüchtern.

Design des E-Books:

Keine Grafiken im Romantext. Der jedem Kapitel vorangestellte Name des Perspektivträgers ist in Schnörkelschrift ausgeführt. Das Logo der Autorin ist eine Rose auf einem Schwert.

Sonstiges:

Autorinporträt ist dunkel gehalten vor einem dunklen Hintergrund, kurze, rote Haare, schwarzes T-Shirt. Im Anhang befinden sich die Cover der beworbenen Bücher:

Elfenstein: Muskulöser junger Mann mit kurzen, dunklen Haaren und Bart, nackter Oberkörper vor einer Bergkulisse mit Morgenrötehimmel in Mauve und anderen Rosatönen.

Ein Omega zum Verlieben: Dreigeteiltes Cover: Oben ein Porträt eines jungen Mannes mit kurzen, dunklen Haaren in einem dicken blauen Pullover, dessen Kragen er mit beiden Händen bis zu seinen Wangen hochzieht, rechts ein robust aussehender Mann in Allwetterkleidung. Auf einem Holzbalken quer durchs Bild der Titel. Unter dem Balken eine Landschaftsaufnahme eines luxuriösen Ferienhauses an einem See, ringsum Wald.

Geliebter Dieb: Dunkles Cover mit Porträtaufnahme eines jungen Mannes unter einer Kapuze. Er blickt direkt in die Kamera.

Inhaltsverzeichnis
Inhaltswarnungen
Info für Screenreader-Nutzende
1. Müde im Regen
2. Donner und Doria
3. Pfefferminz und Krabben
4. Erster Kaffee
5. Lasagne
6. Suche nach einer Werkstatt
7. Gute Vorsätze
8. Nacht auf dem Land
9. Sonntagsfrühstück
10. Kartoffelauflauf mit Spinat
11. Heinzelmännchen
12. Nachtwache
13. Lagebesprechung auf dem Sofa
14. Melodie der Freiheit
15. Erkundungen im Dorf
16. Invasion der Donuts
17. Klabauterkater
18. Blaues Perlmutt
19. Nächtliche Begegnung
20. Spurensuche
21. Wurzelrückkehr
22. Erkundungen
23. Rosen und Spitze
24. Karten auf den Tisch
25. Warten auf den Spuk
26. Marianne
27. Post aus Lübeck
28. Wundervolle Pläne
29. Gut Rothenbüll
30. Überraschung
31. Der Schlüssel
32. Neue Impulse
33. Puzzlesteinchen
34. Gedanken zu Wackelzähnen
35. Einmal nur
36. Johannas Tagebuch
37. Schicksal am Werk
38. Opa Philipp
Epilog Kratzbaumimperium
Die Autorin
Der Club der Geisterfreunde von Klaxdonnersbüll und Umgebung
Eine kleine Bitte
Danke
Bücher, die mitgespielt haben
Impressum

1. Müde im Regen

Vincent

Er ging auf dem Zahnfleisch, funktionierte nur noch auf Automatik, weil er seine Sachen aus Wohnung und Werkstatt holen musste, ehe der Vermieter die Schlösser austauschte und alles einkassierte, was zurückgeblieben war. Reizendes Kerlchen mit Wutmanagementproblemen vom Feinsten. Und es war Vincent wirklich schnurzpiepegal, woher der Knilch seine Aggressionen hatte, er war noch nie zuvor mit einem Baseballschläger bedroht worden!

Dabei lag er komplett im Zeitplan! Nur konnte es dem rabiaten Mistkerl einfach nicht schnell genug gehen, nachdem er Vincent wegen Eigenbedarf gekündigt hatte. Von seiner Kaution hatte Vincent sich im Geiste auch schon verabschiedet. Kraft, Geld und Nerven für einen Prozess hatte er schon mal gar nicht, und es war auch keine hohe Kaution. Eine Monatsmiete, scheiß drauf! Einfach nur alles einpacken und weg.

Ohne Onkel Peter wäre es schwierig geworden, irgendwo unterzukommen, wo Vincent auch arbeiten konnte. Und arbeiten musste er, wollte er nicht am Hungertuch nagen oder seinen Eltern auf der Tasche liegen!

Sein Rücken tat weh, weil er als Letztes seine Werkbank und einen Haufen anderen Kram verladen hatte, die besser zu zweit bewegt worden wären. Die Tischkreissäge war auch so ein viel zu schweres Trumm. Wahrscheinlich hatte er seinen kleinen Kastenanhänger gnadenlos überladen. Doch das war jetzt wirklich der Rest. Das Auto war voll bis zum Dach, der Anhänger dito, und Vincent schlich über Landstraßen, um die Autobahn zu vermeiden, auf der es unweigerlich schlimmer wäre, würde er eine Panne erleiden.

Es war dunkel, es regnete, die Scheibenwischer quietschten, und Vincent lauschte, ob irgendein ominöses Geräusch einen Federbruch oder so ankündigen wollte.

Das Radio spielte Filmmusikartiges von der SD-Karte, das Navi glomm im Nachtmodus. Eigentlich kannte Vincent den Weg nach Rothenbüll inzwischen, aber da er heute über Landstraßen kriechen wollte, hatte er das Navi sicherheitshalber programmiert. Außerdem war er müde, und selbst die monotone Stimme von Rita, wie er die wegweisende Dame nannte, war besser als gar nichts.

Von Eutin aus war er über Plön und Preetz gefahren, da gab es ohnehin keine Autobahn, aber üblicherweise wäre er ab Kiel auf diese gefahren. Jetzt hatte er bereits Gettorf umfahren und kroch gerade nach Eckernförde hinein. Seine Augen waren so müde! Na, die durften sich hinten anstellen. Alles an ihm war müde! Vielleicht sollte er irgendwo anhalten, sich ein wenig strecken, frische Luft tanken. Aber es regnete, also ließ er nur die Fenster ein Stückchen hinab, um im Auto durchzulüften. Schon viel besser. Ein paar Regentropfen bekam er auch ab und redete sich ein, dass das sehr erfrischend wäre.

Nach Eckernförde kam Schleswig dran, dann weitergondeln bis Flensburg, wo er üblicherweise auch die Autobahn hätte verlassen müssen, um auf immer schmaler werdenden Straßen weiterzufahren. Er schaffte das. Und er musste heute auch nicht mehr ausladen. Der Anhänger war stabil und wasserdicht. Werkbank und Co durften darin übernachten, so! Das meiste war ja schon im Haus. Vor allem sein Bett! Halt! Nicht ans Bett denken!

Er schlürfte den Rest lauwarmen Kaffee, den er noch im Becher hatte.

Dann ließ er sich von Rita durch Eckernförde lotsen, bis links das Windebyer Noor in Sicht kam. Nun, er wusste, dass es da war, sehen konnte er es nicht, weil es hinter den Straßenlaternen und Bäumen im Dunkeln lag.

Nass und verlassen erstreckten sich Straßen und Bürgersteige. Bei dem Sauwetter war natürlich nur Vincent unterwegs. Nein! Halt! Da vorne stapfte jemand unter der Last eines riesigen Rucksacks, drehte sich halb, als die Scheinwerfer den Bürgersteig erhellten, streckte den Daumen hoch und hielt ein Pappschild, das ziemlich durchweicht aussah und die Buchstaben FL für Flensburg als Beschriftung trug.

Flensburg. Noch ein gutes Stück Weg. Und Vincent war saumüde. Jemand, mit dem er sich unterhalten konnte, klang nach einer verdammt guten Idee! Er setzte den Blinker nach rechts und fuhr an die Seite. Jetzt sah er den Anhalter im Seitenspiegel, der ganz fassungslos dreinblickte und dann zum Auto sprintete. Der Mann war pitschnass, der Rucksack wahrscheinlich zu groß, als dass er noch irgendwie hinten Platz finden könnte. Egal. Irgendwie bekamen sie das hin.

Vincent ließ das Fenster noch ein Stückchen weiter hinab und beugte sich zur Seite, als der Anhalter hoffnungsvoll zu ihm hereinsah.

»Moin«, sagte Vincent. Moin ging immer, auch abends um halb neun, wie er wusste. »Ich will bis Flensburg und dann Richtung Westen. Aber der Wagen ist ziemlich voll.«

»Flensburg ist perfekt! Da muss ich nämlich hin. Ich kann den Rucksack vorne in den Fußraum zwischen die Knie nehmen. Sie sind gerade mein Retter im Regen, echt.«

Vincent mochte sein Gesicht, das schüchterne Lächeln, das trotzdem so verblüffende Strahlkraft besaß. Eilig betätigte er die Taste für die Zentralverriegelung. Sein Auto spielte sich gerne als Bodyguard auf, behauptete er immer, und verrammelte die Türen, damit niemand den Papa klauen konnte. »Dann los! Ich freue mich über Gesellschaft.«

Der Anhalter zerrte sich die Trageriemen von den Schultern, öffnete die Tür, verstaute den Rucksack und zog dann auch die nasse Jacke aus, um danach irgendwie ins Auto zu gelangen und den Rucksack zwischen die Beine zu nehmen. Die Jacke stopfte er auch noch in den Fußraum. Die Tür schloss sich – gerade noch so! Jetzt war das Auto bestimmt auch über sein Gewichtslimit gekommen. Egal, Vincent fuhr ohnehin langsam. Das Sauwetter gestattete auch nicht mehr.

»Sitzheizung?«, fragte er höflich. »Ich hab die Wärme im Auto ein bisschen gedrosselt, weil ich vorhin echt müde wurde.« Kein Wunder, er war seit morgens um sechs auf den Beinen, hatte die letzten Sachen in Auto und Anhänger gestopft, die Wohnung noch einmal durchgefegt, obwohl er sehr viel lieber benutzte Katzenstreu in verborgenen Winkeln versteckt hätte. Er hatte nur keine zur Hand gehabt, weil er keine Katze hatte. Sonst hätte er das aus reiner Rachsucht für den Baseballschläger vielleicht echt gemacht!

»Oh, gerne! Ich bin gerade für jeden Fitzel Luxus zu haben!« Der Anhalter stopfte die Jacke noch ein bisschen tiefer, nachdem Vincent den kleinen Radregler für die Sitzheizung auf volle Pulle gedreht hatte.

»Falls es zu warm wird, einfach ein bisschen runterdrehen«, sagte Vincent und deutete auf das Rädchen. Dann setzte er den Blinker links, sah sorgfältig nach, ob vielleicht doch noch jemand unterwegs wäre, und zog wieder an. Ein Blick in den Rückspiegel, ja, der Anhänger war auch immer noch da. Sehr gut.

»Philipp«, stellte der Anhalter sich vor. Ein schlanker, nicht allzu großer Mann mit schwarzen Haaren und blaugrauen Augen, wie Vincent gesehen hatte, als Philipp eingestiegen war und die Innenbeleuchtung des Autos ihn etwas klarer gezeigt hatte.

»Vincent«, erwiderte er, und da er irgendwie fand, dass er eine Erklärung für das bis zum Stehkragen vollgestopfte Auto liefern musste, setzte er hinzu: »Ich ziehe gerade um. Genau genommen mache ich das seit anderthalb Wochen, aber das hier ist der allerletzte Rest. Ich glaube, ich werde eine Woche lang nur zwischen Bad, Bett und Küche pendeln und mich einfach erholen.«

»Alleine einen Umzug gewuppt?«, fragte Philipp nach und riss die Augen weit auf vor Entsetzen.

»Ja, und musste schnell gehen. Mein Vermieter hat mich wegen Eigenbedarf vor die Tür gesetzt, könnte man sagen.« Das mit dem Baseballschläger behielt er für sich. Das klang ja für ihn selbst schon unglaublich. »Und da ich auch Platz für meine Werkstatt und jede Menge Kram und den Anhänger brauche, war die Wohnungssuche nicht ganz einfach.«

»Das kenne ich irgendwoher«, antwortete Philipp mit einem leisen Lachen und kuschelte sich ein bisschen tiefer in den Sitz. Die Heizung darin brauchte immer einen kleinen Augenblick, aber so langsam sollte er die Wärme spüren.

»Auch auf Wohnungssuche?« Und dann nur mit dem unförmigen Rucksack bewaffnet?

»Sozusagen.« Philipp starrte ein wenig finster durch die Windschutzscheibe, auf die munter weiterhin Regentropfen platschten, die der Wischer energisch zu vertreiben suchte. »Ich komme erst einmal bei einem Kumpel unter.«

Das klang nicht begeistert. Vielleicht war auch der Kumpel nicht arg erpicht auf einen Untermieter? Vincent biss sich auf die Zunge, um keine neugierigen Fragen zu stellen. Bis Flensburg kam Philipp auf jeden Fall warm und sicher. Vielleicht trocknete sogar seine Jacke ein bisschen.

Sie tuckerten jetzt immerhin schon jenseits von Eckernförde über die Landstraße. Die Scheinwerfer erhellten waagerecht wehenden Regen, und außer ihnen war niemand unterwegs. Wie ausgestorben wirkte die Strecke, daran änderte auch die karge Beleuchtung nichts, als sie Fleckeby passierten. Gar nicht mehr weit bis Schleswig, machte Vincent sich Mut. Er war nämlich immer noch müde, und das Gespräch war ins Stocken geraten, verdammt. Dabei hatte er auf eine lebhafte Unterhaltung gehofft, die ihn wachhalten würde, sodass er den Rest der Strecke schaffte, ohne irgendwo anhalten und zwei, drei Stunden pennen zu müssen. Er wollte heute noch bei dem Resthof ankommen, den Onkel Peter ihm zugeschanzt hatte. Wobei: Das Wort Onkel mochte dieser gar nicht hören. Vincent grinste. Mamas Bruder, das war besser und ging.

»Mein Onkel hat vor ein paar Jahren einen Resthof in einem winzigen Kuhkaff gekauft.« Jetzt hatte er doch Onkel gesagt, aber es war unkomplizierter so, und Peter war ja nicht in Hörweite. »Ein Schnäppchen, wie er meinte. Er wollte die vormaligen Stallungen zu Wohnungen ausbauen lassen. Er selbst lebt in Peru«, erklärte er.

»Peru?«

»Arequipa. Er hat mir Bilder geschickt. Häuser aus weißem Tuffstein, im Hintergrund ein Vulkan, blauer Himmel und ein Fluss einmal quer durch die Stadt. Er war schon immer Weltenbummler, und jetzt ist er backengeblieben, sagt er.«

»Das klingt nach Postkartenmotiven! Und ist er bei den Wohnungen an gründlicher, deutscher Bürokratie gescheitert?«

»Nein, am Geld. Er hatte das Wohnhaus schon mehrfach vermietet, sagt aber, dass die Leute da immer wieder flott ausziehen. Nun, es liegt am Hintern der Welt, wirklich. Ich weiß noch nicht einmal, ob die Straße zum Haus hin im Winter geräumt wird. In den letzten zwei Jahren hatte er auf jeden Fall sechs Mieter. Er hat gejubelt, als er hörte, dass ich aus meinem Häuschen bei Eutin wegmuss. Fand ich ein bisschen herzlos. Aber war natürlich trotzdem ein Glücksfall.«

Philipp lachte müde. »Ja, fürs Landleben muss man geschaffen sein. Ich hätte nichts dagegen, aber man muss ja auch irgendwie zur Arbeit kommen – und überhaupt etwas in der Nähe finden.«

»Ich bin selbstständig. Deswegen die Lasterladung, die ich gerade spazieren fahre: größtenteils Werkzeuge. Ich restauriere Möbel, ich bin Schreinermeister.« Noch ganz brandneu, und vielleicht war es gut, dass er sich in Eutin noch nicht wirklich etwas aufgebaut, sondern noch ganz am Anfang gestanden hatte. Das könnte er in Rothenbüll ändern.

»Echt? Schockschwerenot, so ein Zufall! Ich auch! Also, nicht Meister. Aber ich bin Schreinergeselle. Die Meisterprüfung ist so abartig teuer, das schiebe ich noch ein wenig vor mir her.«

Unterkommen bei einem Freund in Flensburg, kein eigenes Auto, gestartet mindestens in Eckernförde. Verdammt, Philipp war offenkundig nicht nur sozusagen auf Wohnungssuche, sondern auch auf der Suche nach einem neuen Job. Und lediglich mit dem Rucksack ausgerüstet. Vincent verkniff sich erneut eher mühsam eine Frage, die einfach nur neugierig geklungen hätte.

»Schweineteuer«, bestätigte Vincent also. »Meine Familie hat zusammengelegt, sonst hätte ich das wohl auch nicht geschafft. Für Werkzeuge und so haben sie mich auch ein wenig gesponsort, und ich habe alles gebraucht gekauft.« Und da er seine Familie nun einmal erwähnt hatte und Philipp eben erschrocken nachgefragt hatte, ob Vincent den Umzug wirklich ganz alleine gemeistert hatte, setzte er hinzu: »Meine Eltern wohnen in Wilhelmshaven, und Papa ist gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe.«

»Und jetzt fängst du wieder von vorne an. Tut mir echt leid.«

Sie passierten gerade das Hinweisschild auf das Museum von Haithabu, und gleich würde der Wikingerturm in Sicht kommen. Schleswig war so gut wie erreicht. Das Schöne war, dass Vincent nicht durch die Stadt eiern musste, sondern einfach an ihr vorbeifahren konnte. Oh, das erinnerte ihn an etwas, das er klären musste!

»Wo musst du in Flensburg hin? Ich sollte das Navi programmieren. Die nördliche Ecke von Schleswig-Holstein ist mir nicht wirklich vertraut. Klar, die Strecke von Eutin zum Haus kenne ich mittlerweile gut. Normalerweise nehme ich die Autobahn, aber der Anhänger ist jetzt so voll und schwer, dass ich Landstraße sicherer fand.«

Philipp riss die Augen weit auf. »Irgendwo am Stadtrand reicht! Irgendeine Bushaltestelle, dann schaffe ich den Rest. Ich kenne mich in Flensburg auch nicht wirklich aus. Aber ich meine, mein Kumpel wohnt in einer besonders schmalen Gasse. Das musst du nicht machen mit Anhänger und allem. Womöglich ist es eine Sackgasse mit einem Dutzend Autos im Wendehammer!«

»Das wäre wirklich ungünstig! Ich kann gut mit dem Anhänger rückwärtsfahren, aber falls es zu eng ist, wird das echt ein Problem. Alternativ bliebe nur, das Ding abzuhängen und von Hand zu wenden.«

»Proppenvoll mit Werkzeug und dementsprechend schwer! Nein, bitte nicht! Bushaltestelle am Stadtrand, das wird schon.«

Vincent sah auf die Uhr im Armaturenbrett. Abends fuhren in Randbezirken eher weniger Busse, wusste er. Aber nötigenfalls ließ er Philipp kurz raus, damit dieser nachsehen konnte, ob die auserkorene Bushaltestelle noch angefahren wurde. Sonst fuhren sie ein Stückchen weiter nach Flensburg rein, das war ja machbar.

Philipp mitten in der Pampa auszusetzen, war nicht in Ordnung! Irgendwie fühlte Vincent sich jetzt nämlich für ihn verantwortlich.

Sie ließen Schleswig hinter sich, Philipp kramte ein paar Kekse mit Schokolade aus seinem Rucksack, die sie sich teilten und schweigend vertilgten. Das Gespräch versandete erneut, bis Vincent zur Seite sah und erkannte, dass sein Anhalter friedlich eingepennt war.

Vincent sah die Schatten unter Philipps Augen, die leicht eingefallenen Wangen, wie sich dieses Gesicht nun im Schlaf entspannte, sodass die harten Linien um den Mund weicher wurden.

Was auch immer Philipp und seinen Rucksack auf die Straße getrieben hatte: Der arme Kerl war zu Tode erschöpft, genoss die Sitzheizung und trocknete gerade ein bisschen.

Vincent beschloss heldenhaft, ihn pennen zu lassen, bis Flensburg erreicht war. So weit war es gar nicht mehr, und eine Mütze Schlaf, ehe Philipp sich durch einen fremden Busfahrplan kämpfte und dann womöglich noch eine halbe Stunde durch Flensburg schaukelte, erschien Vincent das Beste. Nicht, dass Philipp nachher im Bus einschlief und seinen Haltepunkt verpasste. Er sollte ja gerne heute noch bei seinem Kumpel ankommen!

Also biss er selbst die Zähne zusammen, konzentrierte sich auf die Straße, auf das Fahren, das Gewicht des Anhängers und sein treues Automobil, das die Last klaglos wegschleppte. Es war ja gar nicht mehr weit! Nach Flensburg vielleicht noch eine halbe Stunde zwischen Feldern, Knicks und kleinen Straßen, bis Vincent den Resthof erreichte. Möglicherweise war er dann sogar noch wach genug, um sich zumindest eine Scheibe Brot mit Käse zu belegen, ehe er sich in seinem Bett zusammenrollte. Guter Plan! Das Möbel stand ja schon und war mit Bettwäsche ausgestattet, das hatte er gestern erledigt und die letzte Nacht in der Wohnung im Schlafsack auf einer Isomatte gelitten.

Rita meldete sich nun öfter, da Vincent die Bundesstraße verlassen hatte. Manche ihrer Hinweise waren albern, fand er, aber er war dankbar, dass sie mit ihm sprach.

Seine Augenlider waren schwer wie Blei, und er fuhr immer langsamer. Es war gar nicht mehr weit! Er feuerte sich an, noch ein wenig durchzuhalten.

»Halten Sie sich rechts, um auf Dorfstraße zu bleiben.«

So witzig, Rita. Die Dorfstraße machte nur einen leichten Knick nach rechts. Würde er geradeaus oder nach links fahren, landete er in einem Vorgarten!

»Folgen Sie dem Straßenverlauf.«

»Ich hatte nicht vor, auf dem Acker Runden zu drehen«, gab er zurück. Das hatte er ihr schon oft gesagt, und jetzt bemerkte er erst, dass der Witz vollkommen abgenutzt war. Außerdem hörte sie ja ohnehin nicht auf ihn.

Es goss immer noch wie aus Kübeln, und Vincent klammerte sich am Lenkrad fest, blinzelte durch nasse Dunkelheit und kroch weiter auf sein neues Heim zu.

Er war schon durch Prillsande gefahren. Leider hatte das dortige Bistro bereits geschlossen, sonst hätte er sich da einen Kaffee und ein Wasser geholt. Das Wasser, um es sich ins Gesicht zu kippen. Den Kaffee, um die allerletzten paar Kilometer noch zu schaffen.

Irgendwo sollte es nach rechts abgehen. Nach Rothenbüll. Vincent kniff ganz kurz die Augen zu und riss sie wieder auf. Brannten immer noch. Und das machte er nicht noch einmal. Erstens brachte es nichts, zweitens hatte es ihn übermenschliche Anstrengung gekostet, die Lider wieder hochzukriegen! Nicht lustig!

»Nach fünfhundert Metern rechts abbiegen nach Rothenbüll.«

»Danke, Rita. Ich schimpfe nie wieder mit dir. Ich verzeihe dir sogar das eine Mal, als du mich dreimal durch den Rendsburger Kanaltunnel geschickt hast. Ehrenwort.«

Eine Windböe rüttelte Auto und Anhänger durch, als Vincent abbog. Gar nicht mehr weit. Gar nicht mehr weit. Das Mantra des Abends, echt.

Er musste einmal ganz durch Rothenbüll hindurch. Gut, es war noch nicht einmal ein Dorf. Aber es hatte eine Tischlerei. Notfalls konnte er sich dort bewerben. Und da vorne rechts ging es ab zum Gut und zum Reitstall. Sightseeing auf dem Land. Der Reitstall! Trommelwirbel und Tusch!

Vincent und sein treues Auto schleppten sich die Dorfstraße entlang. Da links war das Haus mit der riesigen Sonne aus Keramikfliesen an der Front. Jetzt sah er nur eine matte Ahnung davon, aber wenn die Sonne darauf schien, war es eine Augenweide.

Das Ortsausgangsschild kam in Sicht. Ein Wunder, dass dieses Kaff gelbe Schilder hatte und nicht nur grüne Hinweise, dass hier Leute wohnten.

Rita wies ihn freundlich auf den Waldweg hin, und so konnte er nach links in diese schmale Schneise zwischen zwei Knicks einbiegen. Große, alte Bäume dämpften das Dauerprasseln des Regens auf das Wagenblech ein wenig.

Im nächsten Augenblick rumpelte das Auto halb in den Graben, und Vincent holte es mit einem erschrockenen Keuchen zurück auf den Fahrdamm.

Von wegen im nächsten Augenblick! Er war eingepennt! Sekundenschlaf! Beim Klabautermann! Das war lebensgefährlich!

Und das Adrenalin wegen des Beinahe-Unfalls verrauchte auch sofort wieder und machte bleierner Müdigkeit Platz, die alles andere vorher in den Schatten stellte.

Noch ein knapper Kilometer bis zu Peters Bauernhof.

Zu weit. Zu müde. Zu gefährlich.

Mit wirklich allerletzter Kraft hielt Vincent Ausschau nach einer Feldeinfahrt, in die er Auto und Anhänger bugsieren konnte. Und dann pennte er. Punkt, aus, keine Diskussion. Sonst fuhr er den Wagen zu Schrott und sich selbst gleich mit.

Da!

Er blinkte sogar, als er sich an den Straßenrand stellte.

Er hatte den Eindruck, dass Rita ihn fragend ansah. Egal!

Er stellte den Motor ab, schaltete das Licht aus und Rita gleich ebenfalls, und dann kuschelte er sich in die Restwärme der Sitzheizung, machte die Augen zu und spürte, wie er in Dunkelheit versank.

2. Donner und Doria

Philipp

Ein Knall, der selbst das Bett erzittern ließ, schreckte Philipp aus einem leicht verworrenen Traum auf. Eben hatte er noch im eiskalten Wasser des Nordatlantiks gepaddelt, um ein Rettungsboot zu erreichen, da hinter ihm gerade die Titanic versank.

Jetzt klang es ringsum, als hätte jemand einen Eimer Glasmurmeln in einen laufenden Betonmischer gekippt. Und er war gefesselt!

Etwas kreischte wie eine Ausgeburt der Hölle, und neben Philipp, als er noch versuchte, sich von seiner Fessel zu befreien, die ihn nicht an ein Bett, sondern einen Stuhl band, grunzte etwas.

Ihm brach kalter Schweiß aus allen Poren, da das Kreischen sich wiederholte. Und … wo zum Henker war er?

Er konnte seine Beine nicht bewegen, auf denen etwas Schweres lag, und dann erklang eine entfernt vertraute Stimme: »Was, beim Klabautermann?«

Verschwommen. Nein, schlaftrunken.

Und das war keine Fessel, sondern ein Sicherheitsgurt. Jetzt endlich machte es Klick in Philipps Kopf. Auto. Der nette Autofahrer: Vincent. Und Schleswig-Holstein spielte herbstlichen Weltuntergang. Das klang nach fies großen Hagelkörnern, die aufs Auto knallten.

Das Kreischen wiederholte sich schon wieder.

»Sind wir schon da?«, fragte Philipp, und die Frage klang so banal und albern!

Vincent schnappte nach Luft, verschluckte sich an dem Atemzug, hopste halb im Sitz herum und hustete.

Zu gerne hätte Philipp ihm hilfreich auf den Rücken geklopft, aber dazu war es zu eng. Und jetzt wurde ihm endlich klar, dass das sein Rucksack und seine Jacke waren, die seine Beine lähmten.

Vincent beruhigte sich wieder, klopfte sich selbst einmal auf die Brust und krächzte: »Es tut mir so leid! Ich hab dich komplett vergessen!«

Es kreischte wieder auf der Motorhaube, und nun konnte Philipp dort einen Schemen ausmachen. Katze. Kreischend auf der Motorhaube. »Vergessen?«, echote er verständnislos. Sein Kopf schlief wohl noch halb. Jetzt schalteten sich drei weitere Gehirnzellen hinzu und gestikulierten aufgeregt in Richtung Motorhaubenmieze. »Wo sind wir? Flensburg? Bushaltestelle?«

»Nein. Rothenbüll. Waldweg.«

Philipp glotzte ihn an, während er diese Auskunft im Kopf herumdrehte, ob sie in irgendeinen Speicherort passen wollte. Nein, wollte sie nicht. »Ich bin eingepennt?«

»Ich fürchte. Und ich hab dich vergessen. Und dann musste ich rechts ran, weil ich Sekundenschlaf hatte.«

»Rothenbüll ist da, wo der Resthof steht?«

»Halber Kilometer noch. Es tut mir so leid. Ich … ich würde den Anhänger gerne abstellen, dann fahre ich dich nach Flensburg.«

Philipp nickte. Flensburg. Wo er hoffentlich unterkommen würde. Er sah auf seine Uhr. Ups, sehr wahrscheinlich nicht! René würde sich bedanken, wenn er ihn um drei Uhr früh aus dem Bett scheuchte, um dann in der Küche auf dem Fußboden zu nächtigen. Er fasste einen Entschluss. »Ich hole die kreischende Mieze ins Auto.«

»Es hagelt.«

»Findet sie bestimmt ungemütlich. Und du kannst nicht losfahren, während sie da sitzt.«

Vincent nickte.

Ein Blitz zerriss den Himmel malerisch und zeigte das Geschöpf auf der Motorhaube, das patschnass und mager aussah und aus riesigen Kulleraugen durch die Windschutzscheibe starrte.

»Katze reinholen«, wiederholte Philipp. »Rest klären wir dann.« Vielleicht gab es hier irgendwo eine Ferienpension oder so. Oder Vincent ließ sich erweichen, Philipp in einer der Scheunen schlafen zu lassen. Oder im Auto. Oder in der Küche.

Er befreite sich vom Sicherheitsgurt, strampelte die Beine frei und kletterte mühsam und steif wie Opa Horst aus dem Wagen.

Hagel und Regen versuchten, ihn zu Boden zu ringen. Die Bäume ringsum rauschten wie in einem Orkan.

»Komm her, du Kreischmieze«, sagte Philipp und grapschte sich kurzentschlossen die Katze, drückte sie an sich und hechtete zurück ins schützende Auto. Er zog die Tür ins Schloss, und wo er gerade noch gestanden hatte, krachte ein eindrucksvoller Ast neben dem Wagen in die Brennnesseln.

Vincent sah zur anderen Seite, dann nach vorne, startete den Wagen und fuhr verblüffend rasant an. Der Wagen mühte sich aus dem aufgeweichten Untergrund, in dem er sich ein paar Stunden die Reifen in den Bauch und in den Matsch gestanden hatte.

Philipp hielt einfach nur die tropfnasse Katze fest, die das Köpfchen unter sein Kinn drückte und hingebungsvoll bibberte.

Und dann erklang ein Rauschen wie von Meereswellen bei Sturm, gleich darauf ein dumpfes Rumms, das Philipp durch den Sitz hinweg spürte, danach ein Knacken und Knirschen.

»Baum umgestürzt. Ich hab es im Seitenspiegel gesehen. Quer über die Straße. Genau da, wo wir eben noch parkten. Der hätte uns begraben. Im wahrsten Sinne des Wortes.«

Philipp wurde ganz flau. Er sah in seinen Außenspiegel und machte hinter sich … nun, eine schwarze Riesenhecke aus. Das war wohl der gefallene Baum. Der dicke Ast neben dem Wagen hatte ihm ja schon gereicht. Quasi der Vorbote des Unheils. Er drückte die Katze fest an sich, die sich jetzt an einem Schnurren versuchte.

Nach einem leisen Räuspern sagte Vincent: »Ich war so müde, ich hätte wohl bis Mittag gepennt. Oder bis der Baum uns zu Mus verarbeitet hätte, zumindest. Verdammt. Ähm. Da fällt mir ein: Das Ding blockiert die Straße. Den Weg, wie auch immer. Bis das weggeräumt ist, kann ich dich beim besten Willen nicht nach Flensburg fahren.«

Eine kleine Steinlawine fiel Philipp vom Herzen. René hatte ohnehin nicht begeistert geklungen, als Philipp ihn für ein paar Tage um Asyl angefleht hatte, aber um diese Uhrzeit wäre er garantiert nicht gastfreundlich.

»Darf ich dir einen Schlafplatz auf dem Sofa anbieten?«, fragte Vincent. »Und es lag ehrlich nicht in meiner Absicht, dich zu kidnappen! Ich war nur so saumüde, und nachdem du eingepennt bist, bin ich nur noch auf Automatik gefahren, weil ich in mein Bett wollte. Ich habe dich einfach total vergessen! Es tut mir leid, und ich weiß, dass das echt unglaubwürdig klingt!«

»Ich überlegte eben, wie ich dir schonend beibringen soll, dass mein Kumpel mir nachts um drei nicht aufmachen wird. Ich wollte schon fragen, ob ich in einer Scheune oder so pennen darf.«

»Kommt ja gar nicht in die Tüte! Ich habe dich in dieses Kuhkaff verschleppt, dann will ich zumindest ein guter Gastgeber sein. Das Haus sieht aus wie Kraut und Rüben, weil ich einfach nur alles hineingestopft habe. Ich wohne da ja noch nicht wirklich. Meine Umzugskartons haben es sich dort aber schon nett eingerichtet, hoffe ich. Vielleicht kochen sie uns Tee.«

»Das wäre sehr lieb von ihnen. Und Sofa klingt nach Luxus. Bei meinem Kumpel hätte ich im Schlafsack auf dem Küchenboden genächtigt.«

»Da würde ja nicht einmal ein Klabautermann pennen wollen!«

Ein kleines Jammertal über einfach alles tat sich unter Philipp auf, und er stand am Rand und kämpfte um sein Gleichgewicht. Die Mieze auf dem Schoß machte sich schwer, um ihn zu halten, und gurrte ihn vergnügt an. Das half. Und die Aussicht auf Tee kochende Umzugskartons und einen Schlafplatz auf dem Sofa. »Ja, ist alles gerade ein wenig vertrackt bei mir«, sagte er. Das war zwar die Untertreibung des Jahrhunderts, aber egal!

»Das Gefühl hatte ich unterwegs schon. Und habe nicht gefragt, um nicht aufdringlich zu sein. Falls du erzählen willst, höre ich zu. Mir hilft es, wenn ich Dinge, die für mich alleine zu schwer sind, ein wenig ablade.«

»Danke«, murmelte Philipp und fragte sich, ob es sehr auffallen würde, sollte er ein paar Tränen ins Fell der Mieze vergießen. Er biss die Zähne zusammen. Erst einmal hatte er einen sicheren Schlafplatz. Das war jede Menge wert!

»Da sind wir. Wie gesagt: Das Haus sieht wüst aus. Aber das Sofa steht schon an seinem Platz, und bestimmt finde ich Handtücher und Bettwäsche.«

»Ich hab meinen Schlafsack.«

»Dann wollen wir hoffen, dass er trocken geblieben ist. Ich bin mir ziemlich sicher, wo Wolldecken sein könnten. Bei aller Hetze habe ich die Kartons beschriftet. Die meisten, glaube ich.«

Der Wagen rollte nun langsamer, und Philipp sah nach draußen. Der Resthof, den Vincents Umzugskartons bewohnten, war das allerletzte Haus im Waldweg. Vielleicht sogar das Einzige. Die Straße endete hier einfach und führte auf die Hofstelle.

Geradeaus lag das Wohnhaus, gut zu erkennen an den Säulen, die die Treppe flankierten und ein Vordach hielten. Rechter Hand erstreckte sich ein vermutlicher Stallbau, vielleicht auch eine Scheune mit großen Toren, durch die ein Trecker passen würde. Als das Scheinwerferlicht diese Tore streifte, wiesen sie das klassische Bauernhofgrün mit weißen Zierleisten auf.

»Ich überlege gerade, wie dicht ich das Auto an das Gebäude fahren möchte. Windschutz ist gut und schön, aber wenn das Dach darauf fällt, wäre das eher ungünstig.«

»In die Scheune fahren?«

»Ich habe den Schlüsselbund noch nicht zur Gänze sortiert. Okay, ich stelle das Auto in den Carport und bete, dass der Anhänger die Nacht – oder das, was von ihr noch übrig ist – heil übersteht. Und dass der Carport sich nicht zusammenfaltet.« Vincent sah zu dem nassen Etwas an Philipps Brust. »Ich habe natürlich kein Katzenklo. Und kein Katzenfutter. Wir nehmen die Mieze trotzdem erst einmal mit rein, finde ich. Sie ist nass. Und sie hat uns das Leben gerettet. Ich weiß nicht, ob ich ohne das Luftschutzsirenenkreischen rechtzeitig aufgewacht wäre.«

Die Mieze maunzte bekräftigend, als wäre ihr durchaus bewusst, dass sie ein Held war.

»Würdest du sie oder ihn kurz halten, bitte, während ich aussteige und den Rucksack auf meinen Rücken wuchte?«, fragte Philipp, als das Auto in einem keinesfalls vertrauenerweckenden Carport stand. Der Wind rüttelte noch immer am Anhänger, und das Schütteln übertrug sich auch auf den Wagen, obwohl dieser ebenfalls schwer beladen war.

»Wollen wir hoffen, dass sie damit einverstanden ist«, antwortete Vincent und nahm das nasse Bündel entgegen.

Keine Gegenwehr, nur zufriedenes Schnurren, als das Tier sich nun an eine etwas trockenere Brust drückte und wie ein Baby in Vincents Arm lag. Dieser riskierte einen prüfenden Blick. »Kater. Boah, ist der nass! Wie lange er wohl schon auf der Motorhaube stand, bis wir wach wurden?«

»Nass und durchgefroren.«

»Das Haus hat eine funktionierende, sehr neue Heizung. Wir kriegen den Lütten aufgewärmt und trocken. Ich weiß, wo die Handtücher sind. Und ich habe Aufschnitt und Krabben im Kühlschrank.« Er legte die Stirn in Falten. »Hoffe ich. Aber ja, die sollten da sein. Oder in der Kühlbox auf der Rückbank. Die nehme ich gleich mit. Lebensretter sollten satt schlafen gehen.«

Philipp riss sich von dem reizenden Anblick los, den die beiden auf dem Fahrersitz boten. Der wache Blick des Katers, Vincents schlanke Hand, die den Kleinen streichelte.

Er wuchtete sich aus dem Auto, zerrte den Rucksack und die klamme Jacke aus dem Fußraum, schulterte Ersteren und klemmte sich Letztere unter den Arm. Er beugte sich vor, um das Katzentier wieder zu nehmen, scheiterte aber an der zu niedrigen Türöffnung.

»Ich steige aus und reiche ihn dir«, versprach Vincent und schwang sich aus seinem Auto.

Sie trafen sich am Heck des Wagens. Vincent reichte den Kater über die Anhängerdeichsel an Philipp, und dieser drückte das Tier wieder an sich und wartete, bis Vincent eine Kühlbox und eine handliche Reisetasche aus dem allzu vollen Auto gezerrt hatte.

»Ich kann beim Ausladen helfen«, bot er an. Sie hatten ja keine Ahnung, wann der Baum weggeräumt werden würde. Er wusste nicht einmal, wer das machte. Die Feuerwehr? Der Baumbesitzer? Gehörten Bäume jemand? Und wie stöberte man die Person auf? Und wenn das eine kleine Omi war, die mit einer Rosenschere anrückte und verzweifelt guckte?

»Ey, jetzt fühle ich mich echt wie ein Kidnapper!«

Philipp lachte. »Bitte nicht! Ich bin doch selbst schuld, weil ich einfach eingepennt bin.« Er äugte unter dem Dach des Carports auf den Hof. Es goss natürlich immer noch. Das Wasser fiel in regelrechten Schwaden von den Dächern, die Regenrinnen liefen allesamt über.

»Sprint zur Haustür?«, fragte Vincent und hielt einen Schlüssel hoch. »Hab den Richtigen gefunden. Und da ist ein Vordach. Vorsichtig bitte auf den Stufen. Roter Ziegelstein, der bei Nässe gerne rutschig ist.«

»Halt dich gut fest, kleiner Terez. Nicht, dass du noch ein Eisbad bekommst«, sagte Philipp leise zu dem Schnurrbündel in seinen Armen.

Nicht leise genug.

»Terez? Der Elf, der im eisigen Bach landet? Passt!«

Philipp starrte ihn an.

Vincent riss nun auch die Augen auf. Schlagartig sah er gar nicht mehr verschlafen aus, sondern lief sogar ein bisschen rot an.

»Er wird«, brachte Philipp ein wenig mühsam hervor, »in einer nach faulen Eiern stinkenden heißen Quelle wieder aufgetaut. Ich bin mir sehr sicher, dass unser Lebensretter das übel nehmen würde.«

»Handtücher, Heizung, Krabben«, versprach Vincent mit belegter Stimme. Dann stieg er über die Deichsel hinweg zu Philipp und zog den Kopf ein, weil ein neuerlicher Hagelschauer niederging. »Das reicht langsam mal«, murrte er.

»Volle Zustimmung.« Ihm war ein bisschen schwindelig, aber das konnte er auf Müdigkeit und Hunger schieben. Oder auf dieses unerwartete doppelte Coming-out. War es doch gewesen, oder? Vielleicht hatte Vincent auch eine Schwester, die Schwulenromanzen las. Oder seine Mutter. Ja, das konnte sehr gut sein. Dann hatte eben nur Philipp sein Coming-out gehabt. Er riss sich zusammen, und als Vincent vortrat, folgte er ihm sofort, wobei er eine Hand über Terez’ kleinen Kopf hielt, um diesen vor bösartigem Hagel zu schützen.

Sie waren beide so nass wie der Kater, als sie die Haustür erreichten und somit unter das schützende Vordach gelangten.

»Mistwetter. Aber ich hab gestern der Heizung gesagt, dass sie nicht auf Sparflamme, sondern Normalbetrieb arbeiten soll. Das ist bestimmt kuschelig im Haus«, versprach Vincent.

Ein bisschen rot war er immer noch. Also hatte er das Buch vielleicht doch selbst gelesen? Ey, reiß dich zusammen! Eine Nacht Asyl, Tee, belegte Brote, Sofa. Morgen beim Ausladen helfen. Es ist schietegal, ob er auch schwul ist oder nicht. Und selbst, falls es nicht schietegal wäre, heißt das überhaupt nichts! Nur, weil zwei Männer schwul sind, sind sie nicht sofort ein Paar! So ein Unfug! Im Gegenteil wäre es einfach angenehm, einen schwulen Bekannten zu haben. Wenngleich nur für die Dauer des Asyls. So, und nun Schluss mit dem Thema!

Dann entdeckte er den Napf und den Katzenfuttersack. »Sieht so aus, als würde eine liebe Seele den Kater füttern.«

Vincent betrachtete das kleine Katzenlager, denn das war es. Ein Körbchen stand ebenfalls unter dem Dach, daneben ein Sack Katzenstreu. Sogar eine Spielmaus lag da. »Oder eine vollkommene Arschlochseele hat Terez hier samt Hausstand ausgesetzt, weil mein Einzug nicht unbemerkt geblieben ist. Okay, wir haben Katzenstreu. Das ist schon einmal etwas. Die Krabben bekommt er trotzdem – es sei denn, du willst sie auf Toast. Ich hab welchen.«

»Kleine Lebensretter haben Vorfahrt.«

»Finde ich auch.« Vincent schloss die Haustür auf und überließ Philipp den Vortritt.

Er trat ins Haus und atmete auf. Es war wirklich angenehm warm. Muckelig, wie seine Oma sagen würde.

Terez maunzte und sah sich aus großen Kulleraugen um.

»Die Küche ist rechts«, sagte Vincent und tastete nach einem Lichtschalter.

Eine moderne LED-Lampe ging an und beleuchtete vorteilhaft eine große Diele. Terrazzoboden, viele Umzugskartons und zerlegte Möbel. Eine breite Holztreppe führte an der linken Seite nach oben. Philipp ertappte sich bei dem höchst unvernünftigen Gedanken, dass sie zu zweit – Schreinermeister und Schreinergeselle – alle Möbel im Handumdrehen aufgebaut haben würden.

Dann sah er Vincent das erste Mal bei voller Beleuchtung, und sein Herz schien für einen kleinen Augenblick einen Aussetzer zu haben.

Natürlich größer als er selbst, was echt nicht schwer war, schlank, lange Beine, einfach nett gebaut. Er hatte ein bisschen Bart, der seine hohen Wangenknochen betonte. Das sah gut aus! Seine Haare waren irgendwie warm und dunkelblond. Wie Haferstroh! Akkurater Undercut, und der Rest war lang und in einem dezent unordentlichen Knoten gebändigt. Die Unordnung konnte am Wetter liegen, das sie beide ja nett zerzaust hatte. Mannhaft widerstand Philipp der Versuchung, nach seinen eigenen Haaren zu tasten, die bestimmt Modell vom Winde verweht waren. Und nass. Wahrscheinlich lagen sie platt an seinem Kopf an. Egal!

»Willst du deinen Rucksack erst einmal hier abladen?«, fragte dieser Mix aus Halbelf – wegen des Barts, Elfen hatten ja keine – und Wikinger freundlich.

Philipp nickte und hoffte verzweifelt, dass er nicht allzu offensichtlich starrte. Dann fiel ihm ein, dass er ja noch Terez im Arm hatte. »Oh, kannst du mir den Kleinen abnehmen?«

»Klar.«

Vergnügt schnurrend ließ Terez sich erneut transferieren und patschte gleich darauf nach einem kugelförmigen Edelstein, den Vincent am Lederband über dem Strickpulli trug.

Philipp ließ seine Jacke kurzerhand fallen und schälte sich die Trageriemen des großen Rucksacks von den Schultern. Dabei konnte er wieder Vincent beobachten, wie liebevoll dieser Terez unter dem Kinn krabbelte. Oh, und den Kater konnte er auch etwas genauer sehen, weil sie jetzt ja Licht hatten.

Die Fellfärbung ließ eher eine Milchkuh vermuten, denn Terez trug lässig einen Pelzmantel im Kuh-Tarnfleck in Schwarz-Weiß. Zwei Pfötchen waren weiß, zwei schwarz, das um Vincents Handgelenk geschlungene Schwänzchen war geringelt wie eine gestrickte Socke. Auch die Ohren waren unterschiedlich gefärbt. Niedlich!

Endlich konnte Philipp den Rucksack zu Boden stellen, wo das Packstück leider umgehend damit begann, eine Pfütze um sich herum zu bilden.

Vincent winkte lässig ab, als Philipp deswegen gerade eine Entschuldigung stammeln wollte. »Das ist hier alles dezent angeschmutzt und chaotisch. Ich habe die letzten anderthalb Wochen wirklich nur Sachen hergekarrt, ins Haus gestopft und garantiert viele dreckige Schuhabdrücke allüberall verteilt. Ich gebe dir den Lebensretter zurück. Krabben! Und Tee für uns und belegte Brote. Zumindest mein Magen ist nämlich wieder aufgewacht, obwohl der Rest von mir immer noch ein wenig in Watte verpackt ist. Sobald das Teewasser angeschaltet ist, suche ich Handtücher.«

Philipp war sich beinahe sicher, dass Terez kicherte, als er schon wieder den Arm wechselte. Aber er schnurrte und kuschelte sich an, spähte zu Philipp empor und fröstelte sehr überzeugend.

Vincent und die Kühlbox gingen voraus, und in der Tür zur Küche schnappte Philipp wieder einmal nach Luft. Die Küche war gigantisch!

Vincent lachte angesichts dieser Reaktion. »Ja, hier müsste man Kilometergeld kriegen, wenn man sich nur einen Pfannkuchen macht! Die Sitzecke ist schon richtig aufgebaut, und da bollert auch ein Heizkörper. Ist Pfefferminztee okay? Den habe ich nämlich vorgestern schon ausgepackt, die anderen Sorten müsste ich suchen. Und ich bete und hoffe gerade, dass ich mehr als einen Becher im Schrank stehen habe! Sonst kriegst du zuerst. Du siehst grauenhaft durchgefroren aus. Wie lange bist du schon durch Eckernförde gewandert?«

»Gute halbe Stunde«, gab Philipp zu und setzte sich mit Terez im Arm möglichst nahe beim Heizkörper auf die schlichte Sitzecke. Die sah nicht nach Möbelhaus aus! »Selbst gebaut?«, fragte er.

Vincent nickte. »Noch für meine alte Küche. Für diese hier ist sie fast zu klein, finde ich. Aber wann habe ich schon mal zwanzig Leute zu Besuch? Also reicht sie. Vielleicht kriege ich es ja irgendwann über den Kopf, eine Neue, Größere zu bauen, die dann auch farblich besser passt. Die Einbauküche war nämlich schon da, und ich mag sie.«

»Und die zwei Türen da hinten?«

»Vorratskammer, der ich neue Regale spendieren werde, sobald meine Werkstatt einsatzbereit ist. Das andere ist so eine Art Zwischenraum für schmutzige Gummistiefel. Da gibt es eine Verbindungstür zu den großen Stallungen. Hab leider den Schlüssel noch nicht gefunden. Es sind Garderobenhaken und ein Waschbecken vorhanden. Und ein Abfluss im Boden. Gar nicht mal schlecht geplant. Meine Waschmaschine habe ich da auch noch hineingestopft. Passt, wackelt, hat Luft.« Er kramte im Schrank und fand mehr als einen Becher und auch die Teebeutelpackung. Vincent füllte Wasser in einen Edelstahlwasserkocher und schaltete diesen ein. »Fast vergessen: Das Gästeklo geht von der Diele ab. Die Tür geradeaus von der Haustür aus gesehen. Okay, ich suche jetzt Handtücher für den kleinen Frösterködel und auch für uns. Gleich wieder da.«

3. Pfefferminz und Krabben

Vincent

Schreck, Müdigkeit und Kälte steckten Vincent noch in den Knochen, während er Pappkartons umschichtete, um jenen mit den Handtüchern zu erreichen. Sein Magen knurrte, seine Lider fühlten sich immer noch tonnenschwer an.

Wäre er alleine – kein Philipp, kein Terez im Haus – wäre er einfach nur ins Bett geklatscht. Ähm. Nein, dann läge er jetzt zermatscht in seinem Auto und hätte ewige Ruhe.

Ein Schauder überlief ihn, und er musste beim Graben im Kartonstapel innehalten und sich über die Arme reiben, die sich unter dem leicht klammen Pullover eisig anfühlten. Es widerstrebte ihm ausdrücklich, der Arschlochseele, die den kleinen Kater hier ausgesetzt hatte, irgendwie dankbar zu sein. Aber ohne Terez auf der Motorhaube wären sie jetzt vielleicht wirklich tot.

Einmal tief durchatmen. Sie waren nicht tot. Kein Einziger aus diesem ungewöhnlichen Trio, das sich hier versammelt hatte. Dann ertappte Vincent sich bei dem ziemlich verschrobenen Gedanken, dass es hoffentlich eine Weile dauern würde, bis der Baum aus dem Weg geschafft werden konnte. Umweltschutz oder Hunderte umgekippte Bäume in der Umgebung. Oder … Feuerwehrauto kaputt. Plötzlicher Spritmangel für Kettensägen.

Dabei hatte er Philipp verschleppt! Nicht absichtlich, wirklich nicht, aber er hatte keine Ahnung, ob Philipp ihm das glaubte. Oder es ihm morgen, nachdem er ausgeschlafen hatte, noch glaubte.

Er schüttelte die Beklommenheit durch reine Willenskraft ab, zerrte den richtigen Umzugskarton endlich aus dem Stapel und bewaffnete sich mit zwei flauschigen Duschlaken, um Terez abzutrocknen. Bekamen Katzen nicht immer schlagartig Lungenentzündungen, wenn sie nass wurden? Hoffentlich nicht!

Nach ganz kurzer Bedenkzeit holte er noch zwei Handtücher für Philipp und sich selbst und eilte dann zurück in die Küche.

Seine beiden Gäste saßen immer noch kuschelnd und frierend auf der Küchenbank.

»Hier. Die Duschlaken sind für Terez, fürchte ich.«

Philipp lachte und rollte den kleinen Kater sogleich gemütlich ein, ehe er das Handtuch entgegennahm und seine Haare ein wenig trocken rubbelte.

Vincent tat es ihm gleich und schlang dann das Haargummi frisch um den aufgelösten Knoten.

Der Wasserkocher klickte, und so goss er den Tee auf und brachte beide Becher zur Sitzecke. »Wie müde bist du? Noch eine Scheibe Brot? Und Terez muss die versprochenen Krabben bekommen.«

Philipp lächelte wie schuldbewusst. »Mir ist eben aufgefallen, dass ich seit gestern Abend … also nicht vorhin in Eckernförde, sondern den Abend davor – vorgestern war das? Also, dass ich seitdem nichts mehr gegessen habe. Scheibe Brot wäre himmlisch!«

»Du kannst auch mehr haben! Bei allen Klabautern, dein Magen muss ja jenseits der Kniekehlen hängen!«

»Reicht wirklich. Ich bin nämlich auch verflixt müde. Ich muss gleich noch den Rucksack plündern und den Schlafsack aufschütteln.«

Vincent hatte Zweifel, ob alles trocken sein würde. Aber notfalls hatte er den Karton mit den Wolldecken bei der Suche nach jenem mit den Handtüchern ja gefunden. Und falls auch Philipps Wäsche klamm geworden war, bekam dieser eben eine Jogginghose und ein T-Shirt aus Vincents Beständen. Er würde zwar darin versacken, aber besser, zu viel als zu wenig Platz in Klamotten!

Er nahm erst einmal einen Schluck vom Pfefferminztee – so viel Zeit musste sein – und holte dann einen Teller, Brot, Butter und ein Messer aus dem Küchenschrank, brachte alles zu Philipp, suchte eine kleine Schale und dann Käse, geräucherten Schinken und die Krabben aus der Kühlbox. Er wedelte fragend mit der Käsepackung. »Oder möchtest du lieber etwas Süßes? Hab auch Honig und Schokopampe da.«

»Käse!«, stieß Philipp aus, und es klang nach einem sehnsuchtsvollen Stoßseufzer reinen Glücks.

Vincent lachte und brachte alles zum Tisch, überlegte kurz und holt sich selbst auch Teller und Messer. Sein Magen rumpelte nämlich auch gerade höchst hungrig.

Mit einem leisen, fragenden Maunzen hob Terez den Kopf aus den Duschlaken. Ihm war da doch etwas versprochen worden! Das wusste er ganz genau!

Zumindest interpretierte Vincent den vorwurfsvollen Blick so. Er beeilte sich also, die Krabben in die Schale zu kippen und diese neben Philipp auf die Bank zu stellen. »Geht das so?«

»Er klettert bestimmt gleich von meinem Schoß, um es zu erreichen.« Philipp strich sich schon Butter auf die erste Brotscheibe.

Doch Terez blieb, wo er war, streckte ein weißes Pfötchen aus und schaufelte sich die Krabben geradewegs aus dem Schüsselchen ins Mäulchen.

Vincent lachte. »Sieh dir den an! Der ist doch oberniedlich, wie kann man so jemand aussetzen?«

»Er ist auch die totale Schmusebacke, und ich habe bislang kein einziges Krällchen zu spüren bekommen.« Philipp biss von seinem Brot ab und seufzte erleichtert. »Das hab ich gebraucht. Ich hatte so ein Loch im Bauch. Jetzt futter ich alle deine Vorräte auf. Tut mir leid.«

»Keinesfalls! Selbst falls wir wegen des umgestürzten Baums ein paar Tage lang hier festsitzen sollten, habe ich genug im Haus, damit wir nicht Terez’ Trockenfutter knuspern müssen.«

Der Kater hob den Kopf und maunzte vorwurfsvoll.

»Man miaut nicht mit vollem Schnütchen, Terez«, sagte Philipp, ehe er sein Brot in Rekordgeschwindigkeit verputzte.

»Ich lege dir gleich noch Handtücher ins Badezimmer hier unten. Mein Schlafzimmer ist oben, und da ist auch ein Bad, sodass wir uns nach dem Tee nicht in die Quere kommen«, erklärte Vincent. Ihm fielen hier echt gleich am Küchentisch die Augen zu.

»Hast du irgendwie eine Kiste für Terez’ Katzenstreu?«

»Ich glaube, da steht so eine alte Wäschewanne im Wirtschaftsraum. Hole ich gleich. Und sein Kissen und den Napf für Wasser und Trockenfutter.«

»Und das einsame Spielzeug. Schockschwerenot, das macht mich ganz fertig, dass jemand diesen süßen Knopf hier ausgesetzt hat. Vielleicht solltest du auch im Briefkasten nachsehen, ob der Jemand eine tragische Nachricht hinterlassen hat.«

»Morgen. Gut, es ist schon morgen. Also: nach dem Schlafen und einem gigantischen Frühstück. Jetzt mach ich echt nur Grundversorgung. Ich gehe auf dem Zahnfleisch.«

Philipp nickte, äugte zum Brot und schien zu überlegen, ob es sehr unverschämt wäre, noch eine Scheibe zu essen.

Vincent schob ihm alles in Reichweite. »Du hast seit über vierundzwanzig Stunden nichts gegessen. Sei nicht zu bescheiden, bitte. Dann frage ich mich nämlich, ob ich grauenerregend wirke und den Eindruck erwecke, dir nichts zu gönnen.« Er trank seinen Rest Tee. »Ich hole jetzt Terez’ Kram, und danach verkrümeln wir uns auf unsere Schlaflager. Falls du vor mir aufwachst: Mein Käse ist dein Käse. Mach dir einfach etwas zu essen, okay? Alle Schränke stehen dir offen, ich verberge nirgends Schmugglerware.«

»Okay. Danke. Ehrlich und aufrichtig: danke.«

Vincent ertappte sich gerade noch rechtzeitig, dass er Philipp tröstend eine Hand auf die Schulter legen wollte. Oder noch schlimmer: Ihm mit einer Fingerkuppe über die Wange streicheln wollte! Und das, nachdem sie beide dank der Namensgebung für Terez wussten, dass sie beide schwul waren! Und obendrein war Philipp hier durch Vincents Nachlässigkeit gestrandet! Aber garantiert machte Vincent jetzt nichts, was irgendwie falsch interpretiert werden oder Philipp gar unter Druck setzen könnte! Das wäre ja noch schöner!

Also sagte er stattdessen ein bisschen lahm: »Gern! Ich hole jetzt Terez’ Sachen und bastel ihm ein Klokistchen. Und dann: Schlafen! Wie ein Stein, echt!«

»Ich auch! Satt und warm! Ich gucke auch gleich, wie es meinem Schlafsack geht.«

»Sonst habe ich die Wolldecken gefunden. Wenn du schon auf dem Sofa nächtigst, sollst du es gemütlich haben! Oben ist tierisch viel Platz, aber ich habe keine Möbel für das zweite große Zimmer, konnte also noch kein Gästezimmer einrichten.«

»Wie hättest du auch ahnen sollen, dass der Baum umkippt!« Philipp lächelte versonnen, streichelte Terez, der sich sein Ohr wusch, und nahm sich dann eine zweite Brotscheibe.

Vincent musste sich echt losreißen. Er eilte in die Diele, schloss sicherheitshalber die Küchentür hinter sich, obwohl er nicht erwartete, dass Terez freiwillig das warme Plätzchen gegen das scheußliche Wetter da draußen tauschen wollte.

Während er die klägliche Katerausstattung ins Haus holte und dabei noch ein Katzenklo entdeckte, das sich vorhin wohl hinter dem Streusack versteckt hatte, dachte er vor allem an Philipp.

Diesem war offenbar ein fieses Schicksal zugestoßen, sodass er versucht hatte, einmal quer durch Schleswig-Holstein zu trampen, um bei einem Kumpel unterzukommen, der – so viel hatte sich Vincent immerhin trotz seiner eigenen Erschöpfung aus Untertönen zusammengereimt – nicht ganz so begeistert schien, dass er Philipp aufzunehmen hatte. Dazu die karge Ausstattung, die ähnlich kärglich war wie diejenige von Terez! Ein großer Rucksack! Das war alles.

Vincent war in den letzten anderthalb Wochen mindestens einmal täglich von Eutin hierher in die ländliche Einöde geeiert, um Sachen abzuliefern. Gut, auch viel Werkzeug, Holz und alte Möbel, die er restaurieren wollte. Aber das meiste waren einfach seine Möbel, Kleidung, Habseligkeiten, Geschirr und so gewesen. Ein relativ normaler Haushalt, wie er fand. Eben das, was man hatte, wenn man die Wohnung wechselte und in der vorherigen schon ein paar Jahre gelebt hatte. Klar, er hatte auch tüchtig ausgemistet und lange gehorteten Kram entsorgt, was er bislang aus Bequemlichkeit unterlassen hatte. Ein Umzug war ihm aber als gute Gelegenheit erschienen. Brachte ja nichts, eine ganze Anhängertour auf Sachen zu verschwenden, die er dann spätestens hier wegwarf.

Aber Philipp hatte nur den Rucksack. Seine Jacke sah ein wenig abgewetzt aus und hatte ihn auch nicht mehr trocken gehalten. Und Vincent wollte wetten, dass sein zauberhafter Gast nasse Socken hatte!

Zauberhaft. Na, großartig! Er konnte dieses unangemessene Adjektiv natürlich auf seine Müdigkeit schieben. Aber die wahrscheinlichere Ursache waren Hormone und Attraktion.

Und das war ganz und gar unmöglich und auch unfair!

Philipp mochte sagen, dass Vincent nicht mit einem umstürzenden Baum hätte rechnen können. Das stimmte sogar. Aber Tatsache war, dass er ihn vergessen und deswegen mit nach Rothenbüll genommen hatte. Kidnapping! Philipp war lediglich zu lieb, um so zu denken. Oder er tat es doch und hielt nur die Klappe, weil er hoffte, doch noch heil in Flensburg abgeliefert zu werden.

»Hast du echt gut gemacht, Vincent Preis«, murmelte er.

Und jetzt dachte er einfach nicht weiter nach. Zählte sich nicht die Punkte an Philipp auf, die ihm unbestreitbar gefielen. Er wusste, dass er das gleich oben vor dem Einschlafen nachholen würde. Schwärmerischer Grübelzwang, echt großartig.

Und da trat Philipp auch schon in die Diele, um bei den Katersachen zu helfen. »Oh! Sogar ein Kistchen war da?«

»Hatte sich hinter dem Streusack versteckt. Und wir waren beide zum Umfallen müde, weswegen wir es übersehen haben. Ach, wir sind es immer noch. Lass uns den Kleinen schnell versorgen, damit wir endlich schlafen können. Ich habe Sorge, auf der halben Treppe in mich zusammenzusacken und auf den Stufen zu pennen.«

»Ich hab auch schon alles im Kühlschrank verstaut. Und du hast eine Spülmaschine!«

»Habe ich? Wow! Der Dank gebührt meinem Onkel Peter.«

Terez thronte in weiche Duschlaken gehüllt auf der Sitzbank und sah ihnen neugierig zu, während sie Streu in die Kiste füllten, Philipp das kleine Körbchen auf die Bank stellte und Vincent Trockenfutter ins leergeputzte Krabbenschälchen und Wasser in Terez’ ausgesetzten Futternapf füllte.

»Du bleibst heute Nacht hier. Ich glaube, du kannst hier keinen Quatsch machen. Und du hast es warm und alles da, was du brauchst. Sogar deine Spielmaus«, erklärte Vincent und platzierte das abgeliebte Spielzeug zwischen Terez Pfötchen in einer Falte des Frotteetuchs.

Der Kater schnurrte, stupste seine Hand mit dem Köpfchen an und zog die Maus dann wie einen Teddybären an sich.

»Er ist so niedlich«, sagte Philipp leise.

»Total.«

»Be… behältst du ihn?«

»Ich schmeiße ihn garantiert nicht raus. Als ich meine Bude übergabefein machte, habe ich mir sehnlichst eine Katze herbeigewünscht, um benutzte Streu und ekelige kleine Würstchen in finsteren Ecken zu verstecken.«

Philipp lachte und schlug sich die Hand vor den Mund.

»Ja, sehr unerfreulicher Vermieter, und die Beendigung des Mietverhältnisses war ebenso unerfreulich. Ich kann manchmal ein klein bisschen rachsüchtig sein, fürchte ich.« Vincent tastete nach dem Lichtschalter. »Schlaf fein, Terez. Sobald der Baum weg ist, kaufen wir dir Dosenfutter.«

Der Kater maunzte vergnügt, und Vincent schaltete das Licht aus und schloss sorgfältig die Tür. Die Küche war wie die Diele mit Terrazzoboden gesegnet, von dem sich eine eventuelle Bescherung mühelos entfernen ließ. Bis auf die Badezimmer wies der Rest des Hauses sorgfältig restaurierte Holzböden auf, da musste ein kleiner Kater keinen See oder Haufen hinterlassen.

Philipp schnürte bereits seinen Rucksack auf und zerrte eine unförmige Wurst daraus hervor. Er tastete und erstarrte, grub tiefer und zog mit einer zitternden Hand ein vor Nässe fleckiges graues T-Shirt hervor. Und dann brach er in Tränen aus.

Vincent überwand die Distanz mit zwei langen Schritten, kniete neben dem am Boden kauernden Philipp nieder und zog ihn in seine Arme, ehe er groß nachdenken konnte. »Hey, damit habe ich gerechnet und schon einen Plan B«, murmelte er beruhigend.

»Der Verkäufer hat gesagt, er ist wasserdicht.« Philipp schniefte, in seiner Stimme lag ein rührendes Zittern.

»Er meinte damit bestimmt einen Nieselregen. Keinen sintflutartigen Guss, wie er über Eckernförde tobte. Du hängst das morgen zum Trocknen auf. Jetzt nicht mehr. Sonst pennen wir hier beide mit deinem nassen Rucksack als Kopfkissen ein. Und hier ist keine Fußbodenheizung.«

Philipp gab einen halb erstickten Laut von sich, bei dem Vincent nicht ganz sicher war, ob es ein verzweifeltes Lachen oder ein Schluchzen war.

»Plan B: Ich hab den Karton mit den Wolldecken ja schon gefunden. Und jetzt kommst du mit nach oben und kriegst von mir Jogginghose, T-Shirt und warme Stricksocken, damit du gemütlich schlafen kannst. Und Handtücher fürs Bad holen wir auch gleich noch.«

Philipp nickte, schniefte leise und murmelte: »Danke. Ich weiß nicht … danke.«

»Es ist alles okay. Glücklicherweise bist du kleiner als ich, wirst also nicht wie eine Presswurst in meinen Klamotten aussehen.«

Da, das war doch wirklich ein kleines Lachen gewesen, oder?

»Lass das alles liegen. Müde. Beide. Komm, Klamotten holen. Und dann pennen wir. Ich freu mich so auf mein Bett.« Er stand auf und zog dabei Philipp ebenfalls auf die Beine.

»Freu mich aufs Sofa, wirklich. Ich falle dir voll zur Last.«

»Tust du nicht. Und du hast sogar Hilfe beim Ausladen angeboten. Ich fühle mich wie der hinterletzte Ausbeuter.« Mit diesen Worten zog er Philipp zur Treppe und die Stufen empor. Er war so hundemüde! Aber gleich konnten sie beide schlafen! Warm und gemütlich und nicht im Auto, das empfindlich ausgekühlt war. Die Sitze sahen genau so lange gemütlich aus, bis man ein paar Stunden in ihnen geschlafen hatte, fand Vincent.

Er führte Philipp oben ins Schlafzimmer, das aus dem breiten, immerhin bezogenen Bett, einem zerlegten Kleiderschrank, Kommoden und Regalen in Einzelteilen sowie einem mittleren Gebirge Umzugskartons und mit Kleidung gefüllten Müllsäcken bestand.

Philipp sah prompt noch müder aus und wischte sich mit einem ja ebenfalls feuchten Ärmel über die Augen.

Kurzerhand kippte Vincent zwei der Kleidersäcke aus, weil die nicht beschriftet waren. Aber goldrichtig. Da waren die Jogginghosen. Er wählte eine aus weichem Baumwollstoff aus, der auf der Innenseite leicht angeraut war, sodass die Hose sich besonders warm und angenehm anfühlte, dazu ein weißes T-Shirt und nach ein wenig Suchen bunt geringelte Socken, die er selbst gestrickt hatte. »Das wird dir alles zu groß sein«, sagte er ein wenig verlegen, als er Philipp das Stoffbündel reichte.

»Trocken und warm. Danke.«

Die Schatten unter seinen Augen hatten eigene Schatten, echt. Vincent vermutete, dass er nicht besser aussah.

»Ich komme mit runter – Festbeleuchtung ausschalten, nachdem ich dich mit Wolldecken und Handtüchern versorgt habe. Komm rasch, bevor ich einfach aufs Bett kippe und auf der Stelle weg bin.«

Philipp kicherte müde und tapste ihm hinterher. Die Treppe nach unten, zu den Kartons. Vincent drückte ihm Handtücher in die Hand und schleppte dann die Wolldecken ins Wohnzimmer. Hier sah es auch sehr nach Umzugschaos aus, aber die beiden Ledersofas standen schon genau da, wo er sie haben wollte. Auf dem Sessel stand unvermeidlich ein Umzugskarton, aber das Sitzmöbel brauchte Philipp ja nicht.

Er breitete eine Wolldecke auf dem Sofa aus, stopfte sie in die Ritze zwischen Sitzfläche und Rückenlehne, damit Philipp nicht auf dem Leder fror, suchte die Sofakissen und legte zwei weitere Wolldecken bereit.

»Zähneputzen fällt aus«, murmelte Philipp in dem Augenblick auch schon und kam auf bunten Socken ins Zimmer.

Beim Klabautermann, er sah hinreißend aus in den viel zu großen Klamotten. Die Jogginghose – es war eine ohne Bündchen am Knöchel, weil Vincent die hasste – hatte er sogar umgekrempelt, und das weite T-Shirt betonte seine schlanke Gestalt nur noch mehr.

»Hab dir ein Nest gebaut. Ich schalte das Licht bei der Tür aus, sobald du das Sofa erreicht hast. Schlaf fein. Bis in ein paar Stunden.«

»Viele Stunden«, stimmt Philipp zu und kuschelte sich auf das Sofa. Er seufzte wohlig und streckte sich aus, zog die Decken über sich und seufzte noch einmal.

Vincent lächelte ein bisschen verträumt, als er das Licht ausschaltete und die Tür hinter sich schloss.

Er wankte nach oben, schaltete auf seinem Weg weitere Lampen aus und schaffte es oben gerade noch, sich aus Turnschuhen, feuchten Socken, Pullover und Jeans zu schälen, ehe er ins Bett kroch.

Entgegen seiner festen Überzeugung, sich noch einige Zeit mit sehr fruchtlosem Grübeln über Philipp zu beschäftigen, schlief er auf der Stelle ein.

4. Erster Kaffee

Philipp

Etwas Kaltes stupste ihm beharrlich aufs Augenlid, und dazu erklang ein sanftes, rhythmisches Brummen.

Philipp lag warm, weich, bequem in einem duftenden Kokon aus Kuscheligkeit, und so benötigte er doch noch eine Weile, ehe er ein Auge öffnen konnte, um Terez ins freche Gesicht zu blicken.

Der Kater maunzte vergnügt und kletterte nun auf Philipp, um mehrfach über ihn hinwegzustampfen und leise zu maunzen.

»Hunger?«, fragte Philipp leise. Das klang nach der wahrscheinlichsten Begründung für diese freundliche Aufdringlichkeit. Erstaunlich nur, dass Vincent den Kater aus der Küche befreit und als lebenden Wecker ins Wohnzimmer gelassen hatte, ohne ihm vorher Frühstück anzubieten, denn Terez hatte ihm garantiert kundgetan, dass er da ein Loch im Bauch hatte, das dringend gefüllt werden müsste.

Philipp wälzte sich unter Wolldecken und Kater zur Seite und angelte nach seinem Smartphone, das er neben dem Sofa auf dem Fußboden abgelegt hatte.

Schockschwerenot, das Ding war mausetot! Akku alle! Kein Wunder. Er konnte sich nicht klar erinnern, wann er es zuletzt geladen hatte, wie viel Akkustand es noch gehabt hatte, als er seinen Rucksack gepackt und das Haus verlassen hatte.

Terez steckte ihm nun die kalte Nase ins Ohr und schnurrte aus Leibeskräften.

»Ich komm ja schon«, murrte Philipp und robbte mit Terez auf der Schulter vom Sofa. Dann sprang der Kater doch lieber zu Boden und sauste voraus zur Wohnzimmertür, die einen Spaltbreit offenstand. Hatte Vincent sie am Vorabend geschlossen? Keine Ahnung!

Philipp reckte sich ausgiebig und merkte dabei, dass der Tee dringend den Notausgang suchte. Uff! Auf dicken Socken eilte er also in die Diele und hielt Ausschau nach Vincent, schnupperte, ob er schon Kaffee riechen würde. Aber da war nur Terez, der in der offenen Küchentür von einer Seite des Türrahmens zur anderen pendelte und niedlich gurrte.

»Gleich. Ich platze sonst.«

Ein empörtes Katerquaken verfolgte ihn bis ins Badezimmer, und Philipp schnaufte erleichtert, als er auf dem Porzellanthron saß. Der Tee hatte gestern … heute … vor ein paar Stunden so gutgetan. Wie lange hatte Philipp gepennt? Er hatte keine Ahnung, weil das Handy ja platt war. Lange genug, dass Terez nach Krabben und Trockenfutter schon wieder hungrig war.

Er spülte, wusch sich die Hände, klatschte sich ein wenig Wasser ins Gesicht und knautschte seine Haare mit feuchten Fingern halbwegs in Fasson. Frühstück! Nicht nur für die Mieze, sondern auch für sich, denn sein Magen knurrte schon wieder.

Terez lauerte ihm vor der Badezimmertür auf, lief Kreise um ihn, maunzte unmelodisch und hoppelte schließlich auf dem letzten Wegstück voraus in die Küche, wo er sofort zu seinem Napf sauste und sehr anklagend hineinsah.

Philipp hingegen blickte verdutzt um sich, denn Vincent war nicht, wie er erwartet hatte, in der Küche.

Okay. Mein Käse ist dein Käse. Und er hatte Philipp deutlich aufgefordert, sich etwas zu essen zu nehmen, sollte dieser vor Vincent erwachen. Das machte er dann jetzt auch! Aber erst fütterte er den ausgehungerten Kuhkater, der sich auch umgehend auf das Trockenfutter stürzte.

»Wie lange bist du hier schon alleine gewesen, Terez?«

Der Kater kaute geräuschvoll weiter.