Das Amulett des Todes - Ben Lehman - E-Book

Das Amulett des Todes E-Book

Ben Lehman

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Beschreibung

Während Wanninger sich bei Kaffee und Kuchen für ein paar Wochen verabschiedet, weil er an der Hüfte operiert wird, ahnt das Team der K3 noch nicht, auf welchen schwierigen und tiefe Spuren bei der K3 hinterlassenden Fall es diesmal stößt. Denn in einem Münchner Luxushotel, dem Dardano-Hotel, wird die berühmte Tennisspielerin Jasmin Landau brutal vergewaltigt und ermordet. Und: Das Herz fehlt. Das einzige Stück, das am Tatort gefunden wird, ist ein Anhänger, eine Art Tier mit grünen und blauen Steinchen auf einem goldfarbenen Blechträger. Ansonsten findet sich nichts außer Gummispuren. Eine heiße Spur, die es zu geben scheint, gehört zu einem anderen Fall, einer Vergewaltigung. Eine weitere führt zu einem ermordeten Mann, der auch ohne Herz aufgefunden … und bei dem ebenfalls ein Amulett gefunden wurde. In nächtelanger Kleinarbeit durchsucht die K3 die Videos des Dardano-Hotels nach Hinweisen auf den Mörder. Aber niemand findet einen Hinweis – außer Lena Paulsen, die zu später Stunde noch aufbricht, um diesen zu überprüfen. Ab diesem Zeitpunkt gerät alles ins Wanken und pure Verzweiflung macht sich breit in der K3 und bei Sven Paulsen, Lenas Ehemann. Und dann kommt auch noch das dicke Ende … Ein Kriminalroman, der betroffen macht, nachdenklich stimmt und nicht nur unter die Haut geht. Ein Roman, der verdeutlicht, welchen Gefahren Kripobeamte tagtäglich ausgesetzt sind und welche Bürden sie mit ihrem Beruf auf sich nehmen.

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

29.

30.

31.

32.

33.

34.

35.

Ben Lehmans Krimis aus München:

Ben Lehmans Provinz-Krimis

Impressum:

Texte: © Copyright by Ben Lehman Umschlag: © Copyright by Ben Lehman Verlag: Ben Lehman

Von-der-Tann-Straße 12 82319 Starnberg [email protected]

Das Amulett des Todes

Vierter München-Krimi

Prolog

München hat verschiedene Gesichter. Viele Bewohner, aber auch Gäste, lieben genau deswegen diese einmalige Stadt. Wie begeistert sind die Massen zum Beispiel vom jährlich stattfindenden Oktoberfest, das allerdings, typisch bayrisch, überwiegend im September stattfindet. Die ganze Welt reißt sich um den Rest der meist ausverkauften, sündhaft teuren Sitzplätze in einem der Riesenzelte, die in Wirklichkeit gewaltige Architekturwunder für Tausende Bierfans, um nicht zu sagen Saufkumpane, sind. Warum tun sie sich das eigentlich an? Klar, dort tanzt nämlich der Bär, und wer es erlebt hat, kann das verstehen. Auch ein Spaziergang an einem Sonntagnachmittag während des Oktoberfests über die Theresienwiese ist bei Gott alles andere als ein Vergnügen. Trotzdem kommen Jahr für Jahr immer mehr Besucher aus aller Herren Länder, um wenigstens einmal dabei gewesen zu sein.

Auch die vielen Sportereignisse während des ganzen Jahres wie Fußball, Tennis, Leichtathletik, Segeln, Rudern und so weiter bewegen die Massen. Die geografische Lage Münchens bietet wirklich alles. Die Alpen vor der Haustür, wenigstens bei Föhnlage meint man das, erst recht das Voralpenland, locken im Winter Skifahrer von weit her, im Sommer die Naturfreunde und Bergsteiger. Nicht zuletzt die bayerischen Seen, Chiemsee, Starnberger- und Ammersee, begeistern die Menschen – warum denn nach Mallorca fliegen?

Auch kulturell ist München unübertrefflich. Das Nationaltheater verpflichtet die größten Gesangstars unserer Zeit, die Philharmonie die besten Orchester der Welt. Unzählige Theaterbühnen und Kunstgenüsse aller Richtungen, die fast nicht aufzuzählen sind, laden ein. Dann noch das Olympiagelände. In der Olympiahalle geben sich Popstars aus aller Welt quasi die Klinke in die Hand.

Auch wenn manch einer nicht ganz genau weiß, wo München liegt, Oktoberfest und Schwabing kennen sie alle oder behaupten sogar, schon einmal dort gewesen sein. Nicht wenige bleiben danach für immer und bringen oft noch ein Dutzend Freunde mit. Diese Stadt wächst nicht, sie explodiert.

Aber, wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Diese begehrte Stadt ist inzwischen, fast schleichend, äußerst gefährlich geworden. München ist längst ein Schmelztiegel vieler Nationen, mit einem unüberhörbaren und kaum zuordenbaren Sprachgewirr. Der Zuzug aus aller Welt, natürlich auch aus dem eigenen Lande, ist gerade in letzter Zeit dramatisch angestiegen. Doch nicht jeder Neuankömmling hegt edle Absichten.

Unzählige unaufgeklärte Verbrechen füllen die Akten der Münchener Kriminalpolizei und fast täglich kommen neue hinzu. Trotzdem werden die Akten von Gewaltverbrechen niemals geschlossen – und das ist gut so. Noch heute, nach 35 Jahren, wird wegen des entsetzlichen Attentats während des Oktoberfests ermittelt. Die Olympiade 1972 endete im Chaos mit sehr vielen Opfern, die unvergessen sind und es bleiben. Viele brutale Verbrechen beherrschen immer wieder die Tageszeitungen, leider nur für wenige Tage, danach werden die Titelseiten der Zeitungen für neue Kriminalfälle freigemacht. Die alten Verbrechen geraten schnell in Vergessenheit, Gott sei Dank nicht bei der Münchner Kriminalpolizei.

Deshalb gibt es im Polizeipräsidium an der Ettstraße Expertengruppen mit erfahrenen Kriminalisten, die regelmäßig, neben ihrer oft brutalen Tagesarbeit, alte, ungelöste Fälle hervorkramen und wieder und wieder Untersuchungen aufgrund neuester Erkenntnisse oder Ermittlungsmethoden durchführen. Diese Ermittler müssen Polizisten mit Leib und Seele sein, damit sie die oft schrecklichen Erlebnisse tagsüber verkraften und nach Feierabend verdrängen können, schließlich haben auch sie ein Privatleben. Zum Beispiel glänzte die Abteilung K3, unter der Leitung des erfahrenen Chefermittlers Sepp Wanninger, zuletzt wiederholt durch Aufklärung schwierigster Kriminalfälle, denen deshalb der Weg in die längerfristige Zwischenablage erspart blieb. K3 ist eine kleine Gruppe, bestehend aus dem leitenden Hauptkommissar Sepp Wanninger und seinen drei Mitarbeitern Lena Paulsen, Thomas Huber und Florian Moser. Gerade jetzt gibt es einige wichtige Veränderungen im Team, wenigstens vorübergehend, meint man. Leider steht das Team vor einem Kriminalfall, den zu lösen alle Kraft erfordern wird, falls sie es überhaupt schaffen. Keiner ahnt, dass danach nichts mehr wie früher sein wird.

1.

Jasmin Landau war seit ein oder zwei Jahren der Profi im deutschen Tenniszirkus überhaupt. Sie gewann fast jedes Match und war in der Weltrangliste steil nach oben geklettert. Im Augenblick peilte sie Platz drei an. In Düsseldorf zu Hause, befand sie sich nun in München und bereitete sich auf das Münchener Tennisturnier des Jahres vor. Der Centrecourt des TC Varitos, nahe dem Englischen Garten, wurde gerade auf Hochglanz poliert. Viele dem Tennissport verbundene Unternehmen bauten ihre Informationsstände auf, um einen Happen dieses hochrangigen Events abzubekommen, der sich später in noch größerem Umsatz niederschlagen könnte. Das vornehme Zelt, in dem alle Empfänge, Ehrungen und Veranstaltungen stattfinden sollten, war nahezu fertiggestellt. Am nächsten Morgen sollten die ersten Ausscheidungswettkämpfe beginnen. Die Qualifikanten waren bereits seit Tagen riesig aufgeregt.

Jasmin Landau war sowieso gesetzt, sonst wäre sie erst gar nicht angereist. Das dicke Antrittsgeld nebst Kostenerstattung für das Nobelhotel hatte sie bereits eingesackt. Täglich trainierte sie stundenlang auf einem eigens ihr zur Verfügung gestellten Sandplatz in der Sportschule des Tennisverbands. Wenn alles gut lief, davon ging sie selbstverständlich aus, war ihr auch noch die saftige Siegesprämie nebst der gespendeten Nobelkarosse sicher. Nach einer ausgiebigen Dusche in der Sportschule fuhr sie täglich in ihr Luxushotel in der Münchener Innenstadt und schwamm noch eine halbe Stunde im geheizten Pool auf der Dachterrasse. Das Abendessen wurde speziell nach einem für sie ausgetüftelten Ernährungsplan für Leistungssportler zubereitet, dazu trank sie stilles Mineralwasser.

Sie blickte auf die Uhr.

Vor dem Zubettgehen hatte sie sich mit ihrer besonderen und langjährigen Freundin Katja, in München zu Hause und ebenfalls Tennisspielerin, jedoch ohne nennenswerte Erfolge, auf ein Glas Sprudel in der netten Bar im Keller, oh, Verzeihung, in der Event-Etage, verabredet. Katja wartete bereits da, als Jasmin den dezent beleuchteten Raum betrat. Sie umarmten sich herzlich.

„Endlich bist du mal wieder hier“, lächelte Katja. „Du jettest ja inzwischen um die ganze Welt. Fast jede Woche lese ich im Sportteil deinen Namen. Leider komme ich nun wirklich zu kurz, das musst du schon zugeben.“

„Schoooon …, aber seit einiger Zeit wird es immer stressiger, meine Liebe“, entgegnete Jasmin. „So sehr ich den Erfolg mag, aber so richtig zu Hause bin ich inzwischen nirgendwo mehr.“

„Was hatten wir früher für eine schöne Zeit. Wie gerne und wie oft hast du mich besucht! So wunderbare Tage und erst die Nächte ...“

„Ja, ja, ich weiß, Katja, aber das wird sich wieder ändern, ich verspreche es dir. Wenn ich hier gewinne, stehe ich auf Platz drei in der Weltrangliste. Oft überlege ich, ob ich nicht aufhören sollte, sobald ich die Nummer eins geworden bin, dann ...“

„Aber Jasmin“, erschrak Katja, „du wirst doch nicht …“ Katja schüttelte entsetzt den Kopf. „Auch wenn ich deine Anwesenheit in meiner, nein, in unserer Wohnung, noch so sehr wünsche. Man hört doch nicht auf, wenn man einen Thron bestiegen hat. Ich würde das ohne Ende genießen. Du doch auch, das weiß ich. Schließlich kenne ich dich besser als irgendwer. Lass mich deine Managerin sein und dich überallhin auf der Welt begleiten.“

Jasmin überhörte den letzten Satz. „Ach, liebe Katja, vergiss mein Alter nicht. Ich werde nächste Woche neunundzwanzig, da …“

„Das ist doch kein Alter, Liebes.“

„Sagst du! Meine Knochen reden eine andere Sprache. Und dauernd diese Verletzungen, oft schrecklich schmerzhaft.“

„Das gehört eben dazu. Glaubst du vielleicht, dass deine Gegnerinnen nicht die gleichen Probleme haben?“

„Natürlich haben sie die auch, vielleicht andere, die müssen aber nicht so schmerzhaft sein. Überlege bitte, manche Mädchen sind fünf oder mehr Jahre jünger als ich. Das sind im Sport Welten, Katja, meinst du, ich erkenne das nicht?“

„Ich schlage vor, du erklimmst erst einmal den Tennisolymp und dann reden wir weiter. Aber wir müssen uns auf jeden Fall wieder regelmäßig treffen, oder hast du eine andere …?“

„Um Gottes willen, nein!“

Sie unterhielten sich noch einige Zeit, dann brach Katja auf, da sie noch eine weitere Verabredung hatte. Jasmin wollte noch ihr Glas austrinken.

Kaum war Katja verschwunden, hockte sich ein jüngerer, besonders gut aussehender Mann mit Brille neben sie. Er bestellte einen doppelten Whisky pur. Als der Barkeeper das Getränk über den Tresen geschoben hatte, nahm er einen kräftigen Schluck, atmete erleichtert aus und glotzte daraufhin starr in die bräunliche Flüssigkeit.

Jasmin beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, sie hatte selten einen so attraktiven Mann gesehen, auch wenn sie sich für Männer weniger interessierte. Warum, in Gottes Namen, starrte er dauernd in sein Glas? Nach einiger Zeit stöhnte er tief und griff in seine linke Jackentasche. Dabei berührte er anscheinend unabsichtlich Jasmin mit dem Ellenbogen und erschrak. „Oh, entschuldigen Sie, habe Sie gar nicht gesehen“, murmelte er abwesend.

Jasmin reagierte absichtlich nicht.

Daraufhin drehte er den Kopf nach links und schien Jasmin bewusst zu bemerken: „Wenn ich gewusst hätte …“

„Ist schon in Ordnung, ich wollte sowieso gerade gehen. Herr Ober!“

„Nein wirklich“, stotterte er, „ich würde Ihnen gerne noch einen Drink anbieten, ich meine, sozusagen als Widergutmachung.“

„Noch eine Flasche Wasser?“, lächelte Jasmin und deutete auf ihr Glas.

„Ich dachte …“

„Nein, nein, falsch gedacht, ist kein Champagner. Als Sportlerin kann ich mir das nicht leisten.“

„Sportlerin? Welchen Sport üben Sie denn aus?“

„Die meisten kennen mich. Sie interessieren sich vielleicht nicht für Tennis.“

„Nein, ja, das heißt …“

„Kein Problem“, lächelte Jasmin, „gibt ja schließlich nicht nur Sport, ist aber meine Welt.“

„Dann habe ich Sie gewiss schon einmal in der Zeitung gesehen …?“

Jasmin schüttelte sanft den Kopf. „Sie brauchen nicht krampfhaft versuchen …!“

Sie verabschiedete sich vom Barkellner, mit dem sie fast jeden Abend ein paar Worte wechselte und verließ die Bar.

2.

Sie holte den Lift und wandte sich im sechsten OG nach links, ihren digitalen Schlüssel zur Suite Nummer 605 bereits in der Hand. Sie öffnete die Tür, trat ein und wollte gerade die Tür hinter sich schließen, als sie aus den Augenwinkeln registrierte, dass jemand hinter ihr stand. Sie drehte sich um und erschrak: „He, was wollen Sie?“

Es war ein Mann. Er hatte eine Gummimaske übergestülpt, eine grässliche Fratze mit blutunterlaufenen Augen, knochigem Gesicht und gefletschten Zähnen. Er war etwas größer als Jasmin. Offensichtlich hatte er einen muskulösen Körperbau. In der Hand hielt er eine Sporttasche.

„Los, hauen sie ab, ich rufe sofort den Hausdienst!“

„Immer mit der Ruhe, liebes Jasminchen.“ Die Stimme war akzentfrei und klang dumpf unter der Maske. Es war irgendwie ein gewisser Singsang.

Geistesgegenwärtig machte Jasmin einen Sprung zum Telefon, hatte den Hörer sofort in der Hand, leider kannte sie die Telefonnummer der Rezeption nicht auswendig. Blitzartig schlug ihr der Kerl, der ihr direkt gefolgt war, den Hörer aus der Hand. Als Leistungssportlerin, auch mit etwas Judopraxis, reagierte Jasmin umgehend und eiskalt. Sie packte den Typ am Arm und schleuderte ihn mit einem Hüftschwung durch die Luft. Er stürzte zu Boden und fluchte, weil sie ihn überrascht hatte. Blitzschnell sauste sie zur Tür und riss sie wieder auf, doch der Mann war sofort aufgesprungen und holte sie ein, bevor sie den Raum verlassen konnte. Er packte sie am Arm, zog sie zurück, gab der Tür mit dem linken Fuß einen Tritt, dass sie krachend ins Schloss fiel. Gleichzeitig griff er mit der anderen Hand ihr Genick und drückte sie zu Boden, er war leider wirklich sehr stark.

„Was wollen Sie von mir?“, keuchte Jasmin mit sich überschlagender Stimme und versuchte hochzukommen. Doch der Kerl drückte ihr brutal das rechte Knie in die Wirbelsäule. „War nicht schlecht, Jasminchen“, schnaufte er. „Aber nicht gut genug. Schaffst du kein zweites Mal mehr, garantier ich dir.“

„Bitte! Ich kenn Sie doch gar nicht. Was soll das?“

Mit äußerster Gewalt riss er ihren rechten Arm nach hinten, dann auch den linken, irgendwoher hatte er ein Klebeband, es dauerte nur Sekunden bis er es um beide Handgelenke geschlungen hatte, unlösbar.

„Mann! Verdammt noch mal! Reden Sie endlich! Was wollen Sie? Wollen Sie Geld?“ Jasmin kroch schreckliche Angst den Hals empor.

„Dich will ich, Jasminchen! Du arrogante Tussi!“

„Ich kenn Sie doch überhaupt nicht!“

„Und ob du mich kennst. Tausendmal habe ich an dich gedacht, jeder Brief blieb unbeantwortet. Bei jedem Anruf hast du sofort aufgelegt. Bei manchem Spiel saß ich in der ersten Reihe und habe dir zugewinkt. Du hast nicht ein einziges Mal reagiert. So seid ihr alle. Blöde Weiber! Auf einen scheiß Ball hauen und schon seid ihr die Größten.“

Jasmin jammerte: „Was glauben Sie, wie viele Sportfreunde mir zujubeln, müssen Sie doch verstehen, dass ich nicht jeden einzelnen anschauen kann. Das geht doch gar nicht!“

„Ha, ha, ha!“, blubberte es aus der Maske. „Jetzt musst du mich aber anschauen.“

Jasmins Gedanken überschlugen sich. „Kann ich aber nicht. Nehmen Sie doch endlich diese widerliche Maske ab, vielleicht erkenne ich Sie, wenn Sie immer in der ersten Reihe saßen. Kann doch sein. Bitteee!“

„Kann doch sein, bitteee“, äffte es dumpf aus der Gummimaske. „Mein Gesicht bekommst du zu sehen“, ein schreckliches Gelächter folgte, Schauer liefen über Jasmins Rücken „kurz bevor du sterben wirst.“

„Sie wissen nicht, was Sie sagen“, schrie sie heraus, „machen Sie sich doch nicht unglücklich!“

„Das bin ich schon. Jetzt komm hoch!“

Er packte Jasmin an den hinten zusammengebundenen Armen, hob sie mit Leichtigkeit hoch und warf sie aufs Bett.

„Ich schrei um Hilfe! Hilfeeee! Hilfeeee!“

Er packte das zweite Kopfkissen und drückte es ihr auf den Mund. Jasmin bekam keine Luft mehr. Kurz bevor sie meinte, ohnmächtig zu werden, riss er das Kopfkissen zur Seite. Sie keuchte röchelnd nach Luft, gleichzeitig hatte er wieder jenes ekelhafte Klebeband in der Hand. Trotz ihres nach Luft ringenden Mundes drückte er das widerlich stinkende Band auf ihr Gesicht.

„Kriegst ja durch die Nase noch genug Luft“, drang es zynisch dumpf aus der Gummimaske. Aus seiner linken Tasche holte er ein paar hauchdünne Latexhandschuhe und stülpte sie über. Jasmin beobachtete es mit Entsetzen.

Dann griff er in seine mitgebrachte Sporttasche und zog ein Teppichmesser heraus. Jasmin riss bestürzt die Augen auf, als er begann, ihr ganz langsam, dabei unendlich irre kichernd, die Kleidung vom Leib zu schneiden. Sie begann hemmungslos zu weinen.

„Heul nicht, damit du nicht vorher erstickst! Es soll doch schön werden – mit uns beiden, gell, Jasminchen?“

Können Menschen so unmenschlich sein?, dachte Jasmin.

Als er sein Werk beendet hatte, blickte er sie weise nickend an. „Schön siehst du aus, wie du so vor mir liegst, so ganz ohne, hi, hi, hi. Hätte ich mir so gar nicht vorgestellt.“

Dann umwickelte er das rechte Fußgelenk mit dem Klebeband und fixierte es am rechten Bein des Bettgestells, anschließend das linke Fußgelenk am linken Teil des Bettgestells. Jasmin lag mit gespreizten Beinen vor ihm und konnte ihre Tränen nicht mehr beherrschen, auch nicht wegwischen.

Der Maskierte begann sich auszuziehen, sie erkannte, dass er auf der Haut einen dünnen Gummianzug trug. Nur die Maske behielt er auf. Mit einem Blick auf seinen Überzug kicherte er: „Muss ich später nicht alles so sorgfältig reinigen …, wird bestimmt eine riesige Sauerei.“

Jasmin meinte, dass ihr Herz jetzt zerspringen müsse.

„Jetzt machen wir uns ein paar schöne Stunden, mein liebes Jasminchen. Ich habe mich super vorbereitet, richtig gedoped, damit ich dich nicht enttäuschen muss.“

Was dann begann, war noch harmlos.

3.

„Schon wieder eine Einladung vom Chef“, wunderte sich Lena. Es war gerade mal ein paar Wochen her, als Sepp Wanninger, leitender Hauptkommissar der Mordkommission München, Abteilung K3, sein dreißigjähriges Dienstjubiläum mit großem Trara und duftenden Speisen und Getränken gefeiert hatte. „Sieht fast so aus, als wäre er auf den Geschmack gekommen“, grinste sie.

„Früher war er ziemlich geizig“, brummte Thomas Huber. Er und seine Kollegen, Lena Paulsen und Florian Moser, waren kurz vor der erfolgreichen Aufklärung des letzten Kriminalfalls ebenfalls zu Hauptkommissaren befördert worden.

„Geizig ist gemein, Thomas“, schimpfte Lena. „Wie oft hast du denn schon mal was ausgegeben?“

Thomas überlegte krampfhaft, was er antworten sollte. Schließlich schüttelte er den Kopf und knurrte. „Bin ich hier der Chef oder wer?“

„Darum geht´s aber nicht“, kritisierte ihn Lena.

Florian mischte sich ein. „Ich finde unser Chef ist okay Ist doch völlig wurscht, wer wie oft was ausgibt. Schließlich sind wir nicht die Allerärmsten, jeder kann sich an Essen und Trinken leisten, worauf er Lust hat. Meiner Ansicht nach ist es ihm richtig schwer gefallen, uns das Du anzubieten.“

„Musste er doch nicht.“ Thomas hatte an diesem Tag nicht die allerbeste Laune.

Lena winkte ab. „Fang dich wieder, Thomas. Ich wundere mich nur, wieso er heute Nachmittag Kaffee und Kuchen spendieren will. Was könnte der Grund sein? Heute ist erst Donnerstag und Geburtstag hat er auch nicht.“

„Wir werden es sicher erfahren“, murmelte Thomas und starrte auf seinen Aktenberg.

In diesem Augenblick öffnete Wanninger die Tür. „Ich komme gerade von der Rechtsmedizin. Der Jablonka kommt auch und stellt uns seinen neuen, jungen Kollegen vor. Dr. Heidkamp geht nämlich demnächst in den Vorruhestand.“

„Du hast uns noch nicht verraten, warum du heute Kaffee und Kuchen spendierst“, entgegnete Lena.

Wanninger grinste hinterhältig. „Mir ist eben danach.“

„Wieviel Tassen und Teller benötigen wir? Schließlich sollten wir das ordentlich vorbereiten, bevor deine Gäste kommen, oder?“, meinte Lena.

„Na ja, einige, so vielleicht zehn oder zwanzig.“ Wanninger zuckte die Schultern.

Thomas riss die Augen auf. „Ach!“

„So genau wollte ich es gar nicht wissen“, reagierte Lena. „Dann holen wir mal fünfundzwanzig Gedecke. Ist das in Ordnung?“

Wanninger nickte.

„Vielleicht begleiten mich die Herren freundlicherweise in die Küche? Oder ist es unter eurer Würde, ein paar Tassen zu tragen?“ Lena zog Thomas von seinem Stuhl hoch und nickte Florian zu. „Ihr seid doch hier die starken Männer!“

Gegen 14 Uhr tauchte Wanningers Frau auf, mit einer Torte und zwei Kuchen, alles sorgfältig verpackt. „Schön, euch wiederzusehen“, grüßte sie, nachdem sie die Tür geschlossen hatte.

Lena blickte sie fragend an. „Frau Wanninger, Ihr Mann will uns den Anlass nicht verraten. Vielleicht sollten Sie …?“

„Nein, nein, nicht nötig“, unterbrach Wanninger. „Also, passt auf. Das Gehen fällt mir in letzter Zeit immer schwerer.“

„Du humpelst doch schon immer“, brummte Thomas.

„Oh, wie charmant“, pfiff ihn Lena an.

„Lass nur, Lena“, winkte Wanninger ab. „Er hat schon Recht. Aber inzwischen geht es bald gar nicht mehr. Ich bekomme eine neue Hüfte. So, jetzt wisst ihr es. Ich möchte mich heute von euch verabschieden.“

Lena, Thomas und Florian glotzten ihn überrascht an.

„Heißt das …?“, sagte Florian.

„Genau, das heißt es. Ich werde euch für kurze Zeit allein lassen. Deshalb, zum Abschied, Kaffee und Kuchen, damit ihr mich nicht sofort vergesst.“

Thomas wollte nicht noch einmal in ein Fettnäpfchen treten, deshalb sagte er: „Dann ist das aber nur ein Abschied für kurze Zeit. Wir kommen dich natürlich besuchen. Und ein paar Wochen später bist du wieder hier.“

Wanninger nickte zustimmend. „Ich denke, zwei bis drei Monate. Operation, ein oder zwei Wochen Erholung, dann Reha. Also alles halb so schlimm.“

Lena hatte Wanninger genau beobachtet. „Aber richtig gerne gehst du nicht ins Krankenhaus, wenn ich mich nicht irre.“

Wanninger stöhnte. „Wie wahr, wie wahr. Wenn ich es doch schon hinter mir hätte.“

„Ich schlage vor, wir bereiten jetzt den Kaffeetisch vor, sonst kommen die Gäste und wir quatschen immer noch rum“, meinte Lena. „Weiß unser hoher Chef Dr. Dobler das bereits?“

„Jaaaaa …“, zögerte Wanninger, seine Mitarbeiter blickten überrascht auf.

„Gibt es da ein Problem?“, wollte Thomas wissen.

„Allerdings. Ich denke, ich sollte jetzt mit euch darüber reden, bevor er aufkreuzt.“

„Ach!“, wunderte sich Florian. „Da bin ich gespannt.“

„Es ist nämlich so.“ Wanninger wurde erkennbar verlegen. „Dobler wollte euch vorübergehend einen anderen Kollegen vor die Nase setzen.“

„Waaaas?“, ging Thomas auf. „Kommt überhaupt nicht in die Tüte.“

„Das habe ich ihm auch gesagt“, antwortete Wanninger heftig nickend. „Aber, er ist nun mal unser oberster Chef.“

„Was soll das heißen?“ Lena hielt kurz die Luft an.

„Ganz einfach. Ich habe es abgelehnt, äääh …, in eurem Interesse.“

„Super, Sepp“, nickte Thomas. „Dann ist ja alles in bester Ordnung.“

„Äääh ... Nicht ganz. Dobler möchte einen Ansprechpartner haben, nicht drei.“

„Na gut“, entgegnete Thomas und winkte ab. „Ich mach das schon.“

„Dachte ich zuerst auch.“ Wanninger kniff das linke Auge verlegen zusammen. „Aber dann habe ich mir überlegt, dass das eine schlechte Lösung wäre.“

Thomas hob aufmerksam den Kopf. „Ja, wieso denn?“

„Na ja“, wog Wanninger ab. „Ich dachte, wenn Thomas die Ansprechperson ist, könnte Florian beleidigt sein, er ist eben solange wie du beim K3.“

Florian reagierte nicht, ein Zeichen dafür, dass Wanningers mit seiner Überlegung nicht ganz falsch lag. Thomas entgegnete stattdessen: „Nein, nein, das kriegen wir garantiert hin.“

„Andererseits“, fuhr Wanninger fort, ohne auf Thomas‘ Bemerkung einzugehen, „wenn Florian derjenige wäre ..., was würdest du dazu sagen, Thomas?“

Darauf antwortete Thomas nicht und starrte an die schon seit Jahren fleckige Wand.

„Eben“, nickte Wanninger. „Deshalb habe ich Dr. Dobler ganz einfach Lena vorgeschlagen.“

Beide männlichen Kollegen glotzten ihn daraufhin entsetzt an, auch Lena vergaß zu atmen.

Wanninger fuhr schnell fort: „Lena hat einen gesunden Menschverstand, sie hat ein hervorragendes Fachwissen und sie hat für uns manchen unangenehmen Auftrag übernommen, vor dem ihr euch drücken wolltet. Könnt ihr euch erinnern?“

Wieder reagierte keiner, auch Lena war immer noch sprachlos.

Wanninger nickte nur kurz. „Dachte mir schon, dass ihr so reagiert. Deshalb habe ich das mit Dr. Dobler so abgesprochen. Wenn ihr heute ihm gegenüber eine blöde Bemerkung macht, habt ihr sofort eine externe Vertretung am Hals. Wenn ihr das möchtet, bitte. Und es ist sowieso nur für kurze Zeit. Vielleicht passiert während meiner Abwesenheit überhaupt nichts Aufregendes, dann könnt ihr in aller Ruhe mal wieder ein paar alte Fälle untersuchen, verschiedene neue Ermittlungsmethoden überdenken und so weiter.“

Dr. Dobler erschien etwas später, etliche Kolleginnen und Kollegen ließen sich bereits Frau Wanningers Kuchen schmecken. Dr. Jablonka stellte seinen neuen Mitarbeiter vor, ein junger Arzt, namens Dr. Alexander Gerstenkron. Er war mittelgroß, schwarzhaarig mit himmelblauen Augen, doch mit einer riesigen rechteckigen Brille mit dunklem, dickem Gestell auf der Nase.

Thomas‘ Laune hatte sich überhaupt nicht verbessert. „Netter Name“, murmelte er mit eiserner Miene. Florian hieb ihm den Ellenbogen in die Seite, natürlich bekamen das alle mit und kicherten verlegen, ausgenommen Dr. Gerstenkron, der so tat, als hätte er die Bemerkung überhaupt nicht mitgekriegt. Um die Situation etwas zu entspannen, stellte er sich bei Lena, Thomas und Florian mit einer tiefen Verbeugung und seinem Vornamen vor: „Ich bin der Alex.“ Ein netter Zug von ihm. Florian zog die Stirn in Falten: „Ich heiße Florian und hatte auch mal so eine riesige Brille.“

„Und jetzt?“, antwortete Alexander.

„Ich trag heute Haftschalen, da bin ich im Polizeieinsatz flexibler und auch beim Sport.“

„Ja, ja“, nickte Alexander. „Beim Sport trage ich ebenfalls Haftschalen, meistens auch, wenn ich mit meiner Freundin abends ausgehe. Sonst soll ich sie aufsetzen, meine Freundin hat die Brille nämlich persönlich ausgesucht.“

„Ist sie vielleicht Designerin?“, wollte Thomas dummerweise wissen.

„Nein, sie arbeitet beim Finanzamt.“

Das hätte er besser nicht gesagt, das ungebremste Prusten war nicht zu überhören.

„Überhör das einfach“, grinste Lena noch immer, „meine Kollegen sind wirklich noch sehr kindisch.“

Alex Gerstenkron nickte gütig, seine große Brille wackelte verdächtig.

Dr. Dobler legte seine Kuchengabel auf den Teller und erklärte: „Herr Wanninger, wir müssen Sie jetzt leider für ein paar Wochen entbehren, erholen Sie sich gut. Angeblich sind Hüftoperationen überhaupt nicht gefährlich, werden jedes Jahr tausendfach durchgeführt. Und wenn bei uns in den nächsten Wochen nichts Dramatisches passiert, können Ihre Mitarbeiter sich mit einigen älteren, ungelösten Fällen befassen. Ich werde Frau Paulsen ein oder zweimal pro Woche kurz zu mir bitten, dann reden wir über alles.“

Lena nickte, wenn auch leicht verlegen, dabei ein schneller Blick zu Thomas und Florian, die gelangweilt an die Decke starrten.

Dobler bekam diese Reaktion mit und erklärte: „Es war übrigens Herrn Wanningers ausdrücklicher Wunsch, dass ich keine externe Vertretung abkommandiere. Das ist doch auch in Ihrem Sinne, oder?“ Dobler blickte Lena, Thomas und Florian an, die konnten nicht anders, als zustimmend, wenn auch ungewöhnlich verhalten, zu nicken. „Dann wäre ja alles besprochen, ich muss wieder. Alles Gute, Herr Wanninger und toi, toi, toi.“

4.

„Mann, hast du heute eine Stinklaune!“

Lena zog die Stirn in Falten, als Thomas mit einem geknurrten „Morg‘n“ die Bürotür hinter sich zuknallte.

„Wirklich nicht“, brummte er und ließ sich keuchend auf seinen Stuhl plumpsen. „Schlecht geschlafen …, scheiße geträumt …, sonst nichts.“

„Na gut, wenn´s weiter nichts ist. Dann können wir ja loslegen.“

„Und? Was befiehlt die Chefin?“

„Thooooomas!“ Lena verschluckte sich fast. „Vergessen, was Dobler gestern gesagt hat?“

Thomas schüttelte sich kurz. „Nein, entschuldige, Lena, mir geht´s heute wirklich nicht gut. Jenny hat mich auch genervt.“

Lena reagierte entsprechend: „Kann deine Freundin gut verstehen, wenn du zu ihr ebenso ekelhaft bist wie zu uns.“

Florian hatte reglos zuhört. Nun räusperte er sich kurz: „Ich schlage vor, dass wir uns jetzt auf unsere Arbeit konzentrieren. Wetten, dass es dir dann gleich wieder besser geht, Thomas?“

„Na gut“, nickte er und deutete auf einen Stapel Akten, die am rechten Schreibtischrand geschlichtet lagen. „Ich habe mich gestern Abend eingelesen. Ich habe hier zwei Fälle gefunden, die mich erst interessiert und später sehr nachdenklich gemacht haben. Ich meine, wir sollten sie uns vornehmen.“

„Und zwar?“, wollte Florian wissen.

„Hier.“ Thomas nahm die oberste Akte und legte sie vor sich auf den Schreibtisch. „Ein merkwürdiger und noch immer ungeklärter Fall aus dem vergangenen Jahr.“

Lena und Florian horchten auf und standen sofort hinter ihm.

„Eine Frau wurde vergewaltigt. Sie konnte den Mann nur von seiner Figur beschreiben, weil er irgendeine Maske trug, Faschingsmaske aus Gummi oder sowas Ähnliches. Ein kräftiger, offenbar durchtrainierter Typ. Sie behauptet, dass er gezischt hätte, dass er sie später umbringen wolle. Als sich ein paar Spaziergänger näherten, schrie sie um Hilfe, da ist er abgehauen. Wer weiß, was der Kerl tatsächlich im Sinne hatte. Es gibt zwar DNA-Spuren, die wurden auch durch unsere Computer gejagt, leider ohne Erfolg.“

„Wahrscheinlich ein Erstlingstäter“, vermutete Florian.

„Oder er war immer besonders vorsichtig und konnte deshalb nicht identifiziert werden“, überlegte Lena.

---ENDE DER LESEPROBE---