Teuflische Pläne - Ben Lehman - E-Book

Teuflische Pläne E-Book

Ben Lehman

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Beschreibung

Sylvia Weber, Buchhalterin bei newlabels, einem der angesehensten Modegeschäfte Münchens, findet in der Tiefgarage eine Leiche. Offensichtlich ein Selbstmörder, der sich aufgehängt hat: ein durchtrainierter, großer Mann. Schnell jedoch stellen die Rechtsmediziner fest, dass es sich nicht um einen Selbstmord handelt, sondern um einen aufgehängten Toten. Welches Motiv steckt hinter diesem Mord? Der Tote sollte offensichtlich zur Schau gestellt werden. Aber warum? Wem sollte er eine Warnung sein? Wanninger und sein Team bekommen zusätzlich zu ihrem anderen Fall nun auch noch diesen aufs Auge gedrückt, was bei niemandem Begeisterung auslöst, denn der andere Fall ist hoffnungslos genug: ein ertrunkener Asylant, der deutliche Verletzungsspuren am Körper aufweist, die darauf hindeuten, dass er mit Absicht unter Wasser gedrückt worden war. Doch weil niemand etwas gesehen haben will und keiner Deutsch spricht, ist die K3 noch keinen Schritt weiter in ihren Ermittlungen. Und die Stimmung sinkt gänzlich gegen Null, als Kerstin Mahler, ehemals K2, Wanningers Team als Unterstützung zugewiesen wird, da keiner sie besonders mag und Thomas sowie Wanninger schon einmal Auseinandersetzungen mit ihr hatten, die sie lieber vergessen würden. In neuer personeller Besetzung geht die K3 diesen schwierigen Fall an und stößt auf eine Ungereimtheit nach der anderen. Für den Toten wurde von einer Firma eine Wohnung angemietet. Warum? Keiner kann etwas über ihn aussagen, keiner weiß, was er beruflich machte. Zusätzlich taucht auch noch ein amerikanischer Diplomat auf, der den Ermordeten in Deutschland suchte. Und als wäre das nicht genug, bleibt es nicht bei einem Toten. Wird die K3 das Puzzle zusammensetzen? Denn diesmal wird das BKA eingeschaltet, um den Fall zu übernehmen. Und ein Fallanalytiker wird der K3 auch noch vor die Nase gesetzt. Verderben zu viele Köche den Brei oder schafft es die K3 auf ihre eigene unnachahmliche Art, denn Fall zu lösen? Ein teuflischer Fall, ein Spinnennetz an Beziehungen, ein Buch, das man in einem Rutsch durchlesen muss.

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Inhaltsverzeichnis

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

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39.

40.

Ben Lehmans Krimis aus München:

Ben Lehmans Provinz-Krimis

Impressum:

Texte: © Copyright by Ben Lehman Umschlag: © Copyright by Ben Lehman Verlag: Ben Lehman

Von-der-Tann-Straße 12 82319 Starnberg [email protected]

Teuflische Pläne

Fünfter München-Krimi

1.

Man sah auf den ersten Blick, dass er sich erhängt hatte.

2.

Obwohl gerade noch bester Laune, einen super Song auf den dezent geschminkten Lippen, erschrak sie kurze Zeit später wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Sylvia Weber war an diesem Tag eigentlich ziemlich früh auf dem Weg zu ihrem neuen Arbeitsplatz, den sie vor wenigen Monaten mithilfe eines guten Bekannten ergattert hatte. Immer wieder lächelte sie still vor sich hin, wenn sie sich auf dem Weg zur Arbeit daran erinnerte, dass Pflügler ausgerechnet ihr davon erzählt hatte. Schließlich hätte er es auch irgendeiner anderen Bekannten sagen können. Sie war eben zur richtigen Zeit am richtigen Platz gewesen. Doch heute bahnte sich Schreckliches an, sie wusste es nur noch nicht. Wäre sie an diesem Morgen besser etwas später aufgebrochen, dann wäre ihr so manches erspart geblieben.

Eigentlich konnte sie es noch immer nicht so richtig fassen, dass sie überraschend schnell erste Buchhalterin in diesem edlen Designergeschäft mit eigenem Top-Label geworden war, auch wenn ihr ein glücklicher Zufall zu Hilfe gekommen war. Sie sah nämlich besonders ansprechend aus, besonders für Männer. Ein echt toller Aufstieg im Vergleich zu ihrer früheren Tätigkeit in der Metallbranche. Statt von Schrauben, Nägeln, Blechen, Werkzeugen und anderem toten Zeug plötzlich von den Reichen und Schönen unserer Welt umgeben zu sein, ein Traum. Was gab es Schöneres als diesen Job? Einfach zum Schwärmen. Wie die Beraterinnen und Berater aus dem Verkauf bei newlabels in der Theatinerstraße, musste auch sie, nein, durfte sie, obwohl im Büro tätig, die Kreationen aus den neuesten Modekollektionen direkt nach Produktfreigabe erwerben und auch täglich tragen. Klar, nur der wohlhabenden Kundschaft wegen, die immer die Kleidung aller Mitarbeiter kritisch beäugte. Natürlich kam jede Angestellte diesem verlockenden Angebot sehr gerne nach, man weiß ja schließlich, was man seiner Position schuldig ist. Und wie sie seitdem die Männer auf der Straße oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln, egal ob jung oder alt, anstarrten. Da machte U-Bahnfahren neuerdings wirklich Freude, völlig schnuppe wie voll die Züge waren. Sie unterschied sich einfach deutlich von anderen Frauen, die, wenig vornehm ausgedrückt, in Sack und Asche rumrennen. Dabei waren zum Glück die Einstandspreise für Mitarbeiterinnen geradezu unglaublich klein, alles fast so lächerlich niedrig wie beim Klamotten-Anton in der Neuhauser Straße. Da griffen natürlich alle Beraterinnen mit Freude zu.

Doch an diesem Morgen war bereits nach dem Aufwachen alles wie verhext gelaufen. Noch schläfrig, verpasste sie dem Wecker unabsichtlich einen Schlag. Der flog als Antwort in hohem Bogen durch das Schlafzimmer, die zwei Batterien AA segelten durch die Gegend, sie verschwanden irgendwo. Sogar die Kaffeemaschine streikte, weil die Kapsel klemmte. Dann eben nicht, im Büro gibt’s Gott sei Dank immer Kaffee der edelsten Marken. Als sie später den Marienplatz überquerte, musste sie wiederholt verschiedenen Lieferanten in ihren riesigen Fahrzeugen ausweichen, trotz Fußgängerzone. Ob die es alle schaffen würden, bis spätestens zehn Uhr verschwunden zu sein? Kaum. Die Morgensonne strahlte fast widerlich gleißend auf den Rathausturm, heute hatte sie auch noch die Sonnenbrille vergessen.

Wieso klingelte sie ausgerechnet an diesem Tag nicht am Personaleingang, wie sonst fast immer? Sie kam doch nie mit ihrem alten Polo zur Arbeit, deshalb hatte sie in der Tiefgarage sowieso nichts zu suchen. Für die unanständig hohe Monatsmiete eines Tiefgaragenstellplatzes in der Münchner Innenstadt kann man sich etliche neue Fummel anschaffen und diese später im Secondhand meistbietend verscherbeln. Einige Freundinnen mit gleicher Kleidergröße bedrängten sie oft schon im Vorfeld, wenn die neue Kollektion gerade auf den Markt kam. Der Teufel musste sie geritten haben, dass sie ausgerechnet an diesem heißen Sommertag durch die Tiefgarageneinfahrt ging, vielleicht, weil es dort unten immer so schön kühl war, im Gegensatz zu draußen.

Als sie um den dicken Stützpfeiler schlenderte, sah sie ihn. Er war an der Mauer heruntergerutscht, als die Lebensgeister sich von ihm verabschiedet hatten, bis die brutale Schlinge den schweren Körper gebremst hatte. Das Seil war oben um ein Heizungsrohr gewickelt, in kaum zwei Meter Höhe. Irgendwie automatisch überlegte Sylvia, dass es ihm bei seiner Körpergröße sicher nicht schwergefallen war, das Seil an diesem Heizungsrohr zu befestigen. Vielleicht musste er sich ein wenig auf die Zehenspitzen stellen. Aber wieso bringt sich jemand ausgerechnet in der Tiefgarage von newlabels um? Zuerst starrte sie sekundenlang mit angehaltenem Atem auf den zusammengesackten Körper. Sein Mund war weit geöffnet, doch von der aufgedunsenen Zunge verschlossen. Als sie erkannte, was da geschehen war, konnte sie endlich Luft holen und schrie ihren Schock voller Entsetzen heraus. Gerade kurvte der vornehme Verkaufsleiter von newlabels, Jason Kandler, mit seinem Porsche-Cabrio um die Ecke. Als er Sylvia so erledigt dastehen und schreien sah, rief er erschrocken aus dem heruntergelassenen Seitenfenster: „Sylvia! Um Gottes Willen, was fehlt dir?“

„Da!“ Sylvia deutete auf die Leiche, die Kandler aus seinem Fahrzeug wegen des Stützpfeilers noch nicht sehen konnte. Wieder mal sprang er mit einem seiner oft praktizierten, eleganten Sätze über die geschlossene Tür seines Cabrios, er sah eigentlich fast immer elegant aus, und rannte auf Sylvia zu, obwohl er üblicherweise vornehm dahinschritt, manchmal sogar dahinschwebte. In dem Augenblick, als er um den dicken Stützpfeiler trat, sah auch er ihn hängen und wurde leichenblass. Alle wussten, dass Jason Kandler äußerst zart besaitet war. Er hatte bisher garantiert noch nie eine Leiche so hautnah gesehen.

„Mein Gott! Sylvia, los, komm, wir müssen …“

Er packte sie am Arm und zog sie hinter sich her zum Lift. Zittrig und blass fingerte er mit der anderen Hand an seinem Mobiltelefon herum. Aber es ging nichts. Oben angekommen, riss er die Tür auf. „Jetzt! Endlich ein Netz.“ Er wählte die 110 und schrie sein Entsetzen in das Mikro. Dann dauerte es nur kurze Zeit, bis der erste Streifenwagen vor dem inzwischen geöffneten Haupteingang in der Theatinerstraße quietschend bremste. Vier Beamte rissen die Türen auf und preschten zum Eingang. Kandler, noch immer leichenblass, hielt sie auf. „Los …, da! Kommen Sie!“ Er deutete Richtung Lift und begleitete die Beamten zitternd zur Tiefgarage. Inzwischen hatten sich etliche morgendliche Fußgänger versammelt. Neugierig waren sie stehen geblieben und reckten die Hälse. „Was ist denn da los?“, wollte einer wissen, doch niemand beachtete ihn.

Unschlüssig umkreisten die Polizisten den Leichnam. „Der ist tot“, bemerkte einer ziemlich überflüssig.

Ein zweiter nickte. „Eben. Sollen wir ihn …?“

Der Dritte schüttelte den Kopf. „Dürfen wir nicht anfassen. Du weißt doch …“

Der Vierte griff entschlossen zum Telefon und verschwand umgehend nach oben, um eine Verbindung herstellen zu können.

Wenig später tauchten die Rechtsmediziner der Mordkommission, Dr. Jablonka und Dr. Gerstenkron, auf.

„Wieder so ein armer Teufel, der nicht mehr weiter wusste.“ Jablonka schüttelte traurig den Kopf. „Und das im angeblich so reichen Deutschland. Diese idiotischen Statistiken. Dann lassen Sie uns mal an die Arbeit gehen, Alex.“ Alexander Gerstenkron zog gerade die dünnen Latexhandschuhe über, danach öffnete er den Einsatzkoffer. „Leichenstarre ist noch nicht abgeklungen“, murmelte er und betrachtete die Leiche sorgfältig von oben bis unten. „Keine sichtbaren Verletzungen, keine Hämatome, keine Abschürfungen.“

Jablonka nickte. „Ist auch meine Meinung. Viel können wir während der Leichenstarre sowieso nicht tun. Dann wollen wir mal die Details aufnehmen …, da kommt gerade der Fotograf, der darf zuerst ran, anschließend hauen wir wieder ab und lassen ihn uns später auf den Tisch legen.“

„Ich untersuch ihn noch nach irgendwelchen Verletzungen“, entgegnete Gerstenkron.

„Gut, Alex, ich rufe inzwischen unseren Boss, Dr. Dobler, an. Vielleicht sollte er vorsichtshalber ein paar Leute von der Spusi herschicken.“

„Trotz des Selbstmords?“, wunderte sich Gerstenkron.

„Ja, warum nicht? Ist sicher besser. Soll er entscheiden.“ Er hatte bereits sein Mobiltelefon in der Hand und schimpfte, wie die anderen vorher: „Kein Netz. Alex, ich geh mal raus auf die Straße!“

Der Referatsleiter Dr. Dobler, Chef der Mordkommission München, war sofort am Telefon. „Jablonka hier, Morg´n Chef. Wir haben hier eine Leiche, hat sich in der Tiefgarage des Klamottenladens newlabels in der Theatinerstraße erhängt. Armer Teufel. Vielleicht sollten Sie vorsichtshalber jemanden herschicken. Die Streifenpolizisten sind doch mit so was überfordert.“

„Okay, mach ich, Jablonka“, antwortete Dobler und legte auf.

3.

Hauptkommissar Josef Wanninger, Chef der meist erfolgreichen Abteilung K3 der Mordkommission München, fluchte ärgerlich: „Das hätte der Dobler uns wirklich ersparen können. Manchmal meine ich, dass es ihm Freude bereitet, uns dauernd rum zu hetzen.“

Wanninger war zwar der heimliche Star unter den Ermittlern der Mordkommission, wollte darauf jedoch nicht angesprochen werden. Vom Wesen ziemlich kauzig, Kolleginnen und Kollegen der Kripo hatten sich daran längst gewöhnt, arbeitete er bei seinen oft schwierigen Fällen immer sorgfältig, bedacht und normalerweise erfolgreich. Manch aussichtslose Fälle hatte er, Doblers Meinung nach, erst nach oft viel zu langer Zeit gelöst. Darüber gab es nicht selten überflüssige Diskussionen. Doch so blieb der Weg dieser Akten in die Ablage der offenen Fälle erspart. Die Leitung der Kripo gab ihre Zufriedenheit mit Wanningers Arbeit ungern zu und drückte jedes Mal auf noch mehr Tempo, Chefs sind oft so. Doch Wanninger war Perfektionist und ging seinen Weg, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Mit seinen Kollegen, Thomas Huber und Florian Moser, war er ein eingespieltes Team. Eine weitere Kollegin, Lena Paulsen, mussten sie vor einiger Zeit in grenzenloser Trauer zu Grabe tragen. Lena war die ideale Ergänzung der kleinen Gruppe gewesen. Mit ihrer Klugheit, ihrem Scharfsinn und ihrer Freundlichkeit hatte sie manchen Irrweg erkannt und nicht selten zur Lösung schwieriger Fälle beigetragen. Die drei Männer glaubten lange Zeit, diesen Verlust nicht verkraften zu können. Selbst Wanninger, der manch schwierige Zeit erlebt hatte, war wochenlang geneigt, seine berufliche Laufbahn an den Nagel zu hängen und seinen gewiss verdienten Vorruhestand zu beantragen. Nie zuvor war ein K3-Mitarbeiter im Dienst ermordet worden, Lena war damals die Erste. Auf Dr. Doblers Drängen hatte sich Wanninger schließlich überreden lassen, seine Tätigkeit fortzusetzen, oft mit traurigem Blick. Er war seitdem nicht mehr so ganz der Alte. Dobler erreichte schließlich sogar, dass eine junge Polizistin, die gerade ihre Polizeischule beendet hatte, vorübergehend im K3-Team zur Einarbeitung aufgenommen wurde. Simone Boese war zwar eine sympathische und engagierte junge Frau, doch definitiv kein richtiger Ersatz für die ermordete Lena Paulsen. Wanninger hatte von Dr. Dobler verlangt, dass die Tätigkeit von Simone Boese vorübergehend ist und bleibt, Dobler hatte es versprochen. Um die entstandene Lücke von Lena Paulsen zu schließen, war Wanninger zusätzlich ein weiterer Kollege aus dem Ermittlerteam K7, Max Grundmann, den alle ganz gut leiden mochten, zugeteilt worden. Trotzdem war die Gruppe aufgrund weiter steigender Belastung nach wie vor unterbesetzt.

„Reg dich nicht auf, Sepp“, reagierte Thomas auf Wanningers Schimpfen, „dann haben wir dem Dobler mal einen kleinen Gefallen erwiesen. Vielleicht sind alle anderen Kollegen tatsächlich gerade voll im Einsatz. Nun haben wir bei ihm was gut. Sind doch nur ein paar Stunden Arbeit.“

„Was soll das?“, schimpfte Wanninger, „Wir haben zehn Ermittlerteams …“

„Zwölf“, korrigierte Thomas.

„Noch schlimmer, immer schickt er uns so blöde Fälle. Mit dem Badeunfall kommen wir auch keinen Schritt weiter. Das war doch garantiert kein Unfall. Irgendeiner seiner Asylantenkumpels hat ihn wahrscheinlich unter Wasser gedrückt. Die lösen doch Streitereien auf ihre Weise. Die Hämatome am Körper des Toten sprechen eine deutliche Sprache. Und dauernd müssen wieder andere Dolmetscher her. Diese Kerle kommen doch alle von Gott weiß woher und sprechen irgendein Kauderwelsch.“

Florian mischte sich ein und versuchte Wanninger zu beruhigen. „Ich meine auch, dass wir die paar Stunden Einsatz wegen des Selbstmords nicht auf die Goldwaage legen sollten. Ich bin derselben Meinung wie Thomas, wir haben bei Dobler jetzt was gut. Das sollten wir uns besser aufheben. Wenn du ihn jetzt anpfeifst, Sepp, verpufft das alles.“

Wanninger stutzte kurz, dann äußerte er. „Na gut, aber beim nächsten Mal …“ Er hob bedeutungsvoll die Augenbrauen, dann winkte er ab.

Gerade öffnete der Rechtsmediziner Dr. Jablonka die Tür und trat ein. „Hallo, Freunde“, grinste er und ging direkt auf Wanninger zu.

„Dann weiß ich schon Bescheid“, knurrte Wanninger. „Wenn du uns Freunde nennst, bedeutet das garantiert nichts Gutes.“

„Sei doch nicht immer so misstrauisch, Sepp, wir sind doch Freude, oder nicht?“ Jablonka ließ sich seine gute Laune, die ihn immer auszeichnete, nicht verderben. Damit verdrängte er die oft brutalen Aufgaben seines schwer nachvollziehbaren Jobs als Rechtsmediziner. „Ich wollte euch einfach mal wiedersehen.“

„Dann rück schon raus, Heini!“

„Gibt’s bei euch keinen Kaffee?“

„Könnte ich machen“, reagierte Simone Boese.

„Nichts da!“, brummte Wanninger grimmig, „Sie werten die Aussagen auf Ihrem Schreibtisch aus. Heini, was gibt’s?“

„Wenn du heute so eine Stinklaune hast, dann bitte! Ich hau besser gleich wieder ab. Ich wollte euch nur einladen, einen Blick auf den Erhängten zu werfen. Alex hat ihn gerade in der Mache.“

„Na also, dacht ich´s mir doch. Ein Erhängter, kein Selbstmörder“, grinste Wanninger nun süffisant, „kenn ich dich, oder kenn ich dich nicht, Heini? Wieso kommst du sofort wieder zu uns? Lass Dobler erst entscheiden.“

„Hat er schon, jawohl, Sepp, hat er schon. Alles bereits erledigt. Begleitet mich einfach, ihr könnt bei uns eine Tasse Kaffee trinken. Unsere neue Kollegin Susanne macht das gerne für euch.“

Wanninger stand mühsam auf, er spürte seine kürzlich durchgeführte Hüftoperation noch immer deutlich, besonders, wenn er zuvor längere Zeit gesessen hatte, und knurrte: „Ich trink doch im Leichenhaus keinen Kaffee.“

„Mein Gott, seit wann bist du dermaßen überempfindlich?“

„Ich dachte, du kennst mich.“

„Gut, dann vielleicht die Kollegen?“

Bevor Jablonka in der Rechtsmedizin die Tür öffnete, hörten sie bereits laute Jazzmusik.

„Bei euch geht’s aber lustig zu“, wunderte sich Thomas Huber.

Jablonka grinste. „Alex hat sich inzwischen prima eingearbeitet. Er behauptet, dass ihm bei Jazzmusik alles viel leichter von der Hand geht.“

„Mit alles meinst du wahrscheinlich eure schreckliche kleine Kreissäge?“, vermutete Wanninger.

„So schrecklich ist die gar nicht. Ist eins unserer wichtigsten Hilfsmittel. Und Alex beherrscht sie wirklich ganz ausgezeichnet. Stellen Sie den Lärm ab, Alex!“ Jablonka deutete auf den CD-Player, der auf dem Fensterbrett stand.

Gerstenkron drückte die Stopptaste. „Vier Gäste, welche Ehre.“

„Keine Ehre“, murrte Wanninger. „Der bestand darauf“, dabei deutete er auf Jablonka.

Simone starrte seit einiger Zeit auf den Blechtisch, auf dem die inzwischen geöffnete Leiche aus der Tiefgarage lag und krächzte: „Alex, wieso schneidest du einen Selbstmörder auf?“

Gerstenkron grinste überlegen. „Verstehe, du hast so was vielleicht noch nie gesehen?“

Simone schüttelte den Kopf und wurde immer blasser.

„Bevor wir Selbstmord diagnostizieren“, erläuterte Gerstenkron, „müssen wir immer hundertprozentig sicher sein, dass es einer war. Sonst gibt’s Ärger mit dem Boss.“

„Und? Seid ihr sicher?“

„Eben nicht.“

Wanninger hatte sie beobachtet. „Simone, möchten Sie lieber wieder rausgehen? Nicht, dass Sie uns hier noch umkippen.“

„Nein, nein, geht schon.“

„Wieso seid ihr nicht sicher?“, wollte Thomas wissen.

Gerstenkron grinste hinterhältig. „Nun ja.“ Er konnte sich trotz seiner ziemlich blutrünstigen Arbeit nicht beherrschen und lachte laut los. „Weil wir es noch nie erlebt haben, dass sich einer das Genick bricht und anschließend Selbstmord begeht.“

„Sag bloß!“, erschrak Florian.

„Es gibt keinen Zweifel, er ist an Genickbruch gestorben. Nun könnt ihr euch mal darüber Gedanken machen, wie er danach in der Tiefgarage an den Haken gekommen ist.“

„Und warum er ausgerechnet dort aufgehängt wurde“, ergänzte Thomas.

„Natürlich. Aber ihr seid die Ermittler. Wir liefern euch nur das Material.“

Thomas trat dicht an den Blechtisch heran und murmelte: „Alt ist der noch nicht.“

„Richtig“, bestätigte Alex. „Ich schätze, dass er so zwischen 30 und 40 Jahre alt ist. Wir werden ihn noch genauer untersuchen. Aber da ist noch was Auffälliges.“

„Und zwar?“, wollte Simone wissen, die inzwischen dicht an der Leiche stand, sie hatte sich wieder im Griff.

„Schaut ihn euch mal genauer an. Dieser Mann hat einen durch und durch trainierten Körper. Ich würde sagen, ein richtig sportlicher Typ, fast ein Athlet.“

„Was sollen wir daraus schließen?“ Simones Farbe wechselte inzwischen zu leuchtendem Rot.

„Keine Ahnung. Ich wollte euch nur darauf aufmerksam machen. So einem sportlichen Typ brichst du nicht einfach mal das Genick. Ausgenommen, er wurde von einem Gleichstarken überrascht.“

„Hm …“, überlegte Thomas. „Als er gefunden wurde, hatte er abgetragene, ärmliche Kleidung an. Wie passt das zusammen?“

Alex grinste. „Sportlich heißt nicht gleich reich. Dann macht euch mal verschiedene Gedanken!“

„Wie sieht es mit Spuren aus?“

„Jede Menge, die Frage ist nur, von wem?“

„Hattest du behauptest, dass Dobler uns den Fall zuschanzen will, oder war das ein Hörfehler?“, wandte sich Wanninger an Jablonka.

„Kein Hörfehler. Hat er ganz sicher gesagt“, nickte der.

„Wir werden ja sehen“, murrte Wanninger.

Kaum zurück in ihrem Büro, trat Dr. Dobler bereits ein, anscheinend sehr guter Laune. „Hallo zusammen! Ich grüße euch.“

„Sie können gleich zur Sache kommen, Chef“, entgegnete Wanninger mit eisiger Miene. „Wir kommen soeben aus der Rechtsmedizin.“

„Auch gut“, entgegnete er. „Ich wollte Sie eigentlich schonend darauf vorbereiten. Dann eben nicht. Herr Wanninger, ich kann nicht anders, K3 muss den Fall übernehmen. Die personelle Situation möchte ich mit Ihnen jetzt gerne besprechen.“

Wanninger schluckte kurz. „Wenn ich das richtig verstanden habe, hat sich unser Max Grundmann schwerer verletzt, als ursprünglich geglaubt, und wird leider längere Zeit ausfallen. Ich denke, das können wir ohne ihn wirklich nicht schaffen.“

„Habe ich mir auch überlegt“, erklärte Dobler. „Ich verspreche es Ihnen, lieber Herr Wanninger, morgen haben Sie Ersatz. Bitte enttäuschen Sie mich nicht, bitte.“ Er wartete eine Sekunde, als keine Reaktion folgte, fuhr er fort. „Gut, dann ist das jetzt ausgemacht. Ich muss wieder, also bis dann.“

Lange blickten sie auf die geschlossene Tür.

Wanninger fauchte vor sich hin.

„Der war aber schnell weg“, murmelte Simone.

Thomas fixierte Wanninger, dann kicherte er: „Dem hast du es aber gesagt.“

Wanninger bekam einen roten Kopf und zog ihn ein. Doch er antwortete nicht.

Am nächsten Morgen erschien der angekündigte personelle Ersatz für Max Grundmann. Die Tür wurde aufgestoßen, hereinkam, mit einer Tasche voll diverser Utensilien, die Kollegin Kerstin Mahler, bisher K2.

„Guten Morgen zusammen“, lächelte sie. „Herr Dobler hat mich gebeten, bei Ihnen auszuhelfen, Herr Wanninger, bis Kollege Grundmann wieder genesen ist.“

Wanninger und Thomas erschraken sichtlich.

„Äääh …, wusste gar nicht …“, stotterte Wanninger. Schließlich gab er sich einen Ruck. „Guten Morgen, Frau Mahler, bitte nehmen Sie dort Platz.“ Er deutete auf Max Grundmanns Schreibtisch.

„Danke, ich hol noch schnell meine restlichen Unterlagen.“

Als Frau Mahler die Bürotür geschlossen hatte, schimpfte Thomas los: „Mit der will ich garantiert nichts zu tun haben, sag ich dir gleich. Die hat mich mal dermaßen blöd angequatscht, dass ich ihr am liebsten eine runtergehauen hätte.“

Wanninger zögerte erst, dann murmelte er: „Kann ich verstehen, mir geht es nicht viel besser. Aber ich kann sie nicht ablehnen, weil wir das alles allein nicht schaffen werden. Wie sollte ich Dobler klarmachen, dass wir sie nicht leiden können?“

„Na gut. Mein Vorschlag wäre“, entgegnete Thomas blitzschnell, weil er mit dieser Antwort gerechnet hatte, „dass wir zwei Teams bilden. Das müssen wir sowieso. Florian ermittelt mit der Mahler und ich mit Simone.“

„Ja freilich“, regte sich Florian auf. „Du schnappst dir die schöne Frau und mir bleibt die Giftspritze. Warum nicht umgekehrt?“

Thomas sprang mit hochrotem Kopf hoch. „Wenn du mir das antust, Sepp, kündige ich zum nächsten Termin. Und das ist mein voller Ernst.“

Wanninger stöhnte. „Florian, können wir das nicht vorübergehend so vereinbaren, bis Max wieder gesund ist. Thomas dreht ja jetzt schon fast durch.“

Florian stierte auf seine Schreibtischplatte. „Vielleicht kündige ich auch.“

„Ach komm, Florian, mach es mir nicht so schwer“, entgegnete Wanninger. „Ich verspreche dir, dass es nur vorübergehend sein wird.“

4.

Am nächsten Tag besprach Wanninger mit den Kollegen dieses Vorgehen. „Frau Mahler, wir müssen zwei Ermittlerteams bilden, Dr. Dobler hat uns einen weiteren Fall aufs Auge gedrückt.“

„Hab ich bereits vernommen“, entgegnete sie.

„Ich habe mir gedacht, dass Sie mit Florian zusammenarbeiten und Thomas mit Simone. Die ist bei uns zwar noch recht neu, aber irgendwie muss sie gerade jetzt noch mehr in die Tagesarbeit eingebunden werden. Vielleicht sind Sie mit dieser Lösung einverstanden?“

„Bin ich, Herr Wanninger“, lächelte sie. „Thomas und ich vertragen uns vielleicht irgendwann auch mal wieder, oder, Thomas?“

Thomas nickte fast unmerklich, wobei er Frau Mahlers Blick auswich.

„Dann wäre das beschlossen“, ergänzte Wanninger zufrieden. „Frau Mahler und Florian übernehmen bitte den Fall des ertrunkenen Asylanten. Alle Zeugen müssen noch einmal eingehend vernommen werden. Bitte seid nicht zu tolerant. Ich bin mir sicher, dass die sehr viel mehr wissen, als sie freiwillig rausrücken. Lasst euch nicht auf der Nase rumtanzen. Nehmt auch die Übersetzer ordentlich ran, die Asylanten sprechen doch tausend verschiedene Dialekte.“

„Darauf freu ich mich heute schon“, brummte Florian mit ärgerlichem Gesichtsausdruck.

„Gut“, nickte Wanninger, ohne auf Florians Bemerkung einzugehen. „Thomas und Simone kümmern sich um den Erhängten aus der Tiefgarage. Holt euch von der KTU den Bericht, Spuren und so weiter, von der Rechtsmedizin deren Bericht und dann geht’s los.“

„Und was machst du?“, wollte Florian wissen.

„Als Erstes bespreche ich unser Vorgehen mit Dobler, dann mit Jablonka, dann mit dem Chef der zuständigen KTU-Gruppe, die die Untersuchung durchgeführt hat. Anschließend stehe ich dort zur Verfügung, wo es am meisten brennt.“

Florian und Frau Mahler brüteten über den Akten des ertrunkenen Asylanten.

„Ehrlich gesagt“, meinte Frau Mahler, „kann ich mir nicht vorstellen, wie wir den Fall lösen können. Wir haben keinen einzigen Zeugen, der eine vernünftige Aussage macht.“

„Leider“, bestätigte Florian. „Ich schlage vor, dass wir die Übersetzer anrufen und für morgen Vormittag eine weitere Vernehmung ansetzen. Die sollen die Kerle mitbringen, wir wissen doch nicht einmal, wo sie zurzeit untergebracht sind. Wir müssen deutlich machen, dass wir von ihnen absolute Ehrlichkeit erwarten. Vielleicht sollten wir auch die Möglichkeit einer Abschiebung erwähnen, könnte doch sein, dass einer weiche Knie bekommt.“

„Welchen Ermittlungsrichter bitten wir um Teilnahme?“

„Ääähm, ich arbeite oft mit Richter Meier zusammen.“

„Gut, ich rede mit ihm.“

Am nächsten Morgen warteten Florian, Frau Mahler und Richter Meier im Anhörungsraum 1. Kurze Zeit später erschienen die Übersetzer Rami Oberdorn und Resul Jussuf. Sie hatten fünf Asylanten im Schlepptau und stellten sie vor, vier Männer und eine Frau, die angeblich mit dem Opfer bekannt oder sogar befreundet gewesen waren.

„Das Ehepaar Lumbuba“, Übersetzer Oberdorn deutete auf die beiden Schwarzafrikaner, der Mann mit einer Frisur aus vielen Zöpfchen, sie kahlgeschoren, „kommt aus Eritrea, er heißt Haile, seine Frau Makeda.“

„Dann darf ich die drei Herren arabischer Herkunft vorstellen“, sagte der zweite Übersetzer Resul Jussuf in leicht versnobten Ton. „Die Herren aus Syrien“, er deutete auf die beiden links sitzenden, bärtigen Männer, „sind Hussein Jaffa und Sharif Ben Gossera. Jener Herr“, er deutete auf den dritten, „kommt aus Afghanistan, sein Name ist Fath Modis.“

Richter Meier eröffnete die Anhörung. „Ist wahrscheinlich alles bekannt, ich wiederhole es noch einmal. Also, laut den Ermittlungsunterlagen waren etliche Männer gemeinsam am Wochenende am Langwieder See, um Alkohol zu trinken und sich zu erholen.“ Er hob kurz die Augen und kräuselte die Stirn, die beiden Übersetzer nickten zustimmend. „Der Ertrunkene, um den es heute geht, war ein Mann aus Syrien, namens Mohammad al Said. Er wollte angeblich im See schwimmen gehen und ist dabei zu Tode gekommen. KTU und Rechtsmedizin fanden heraus, dass Spuren darauf hindeuten, dass er unter Wasser gedrückt worden ist. Da die hier anwesenden Personen zu dieser Zeit zugegen waren, soll herausgefunden werden, was tatsächlich geschehen ist. Die beiden Beamten der Mordkommission, Frau Mahler und Herr Moser, werden die Befragung durchführen. Bitte!“

„Ich würde vorschlagen“, meldete sich Frau Mahler, „dass wir die Gruppen getrennt vernehmen. Ich könnte mit dem arabisch sprechenden Übersetzer Herrn Jussuf und den Männern aus Syrien und Afghanistan in den Nebenraum gehen. Was halten Sie davon, Herr Meier?“

„Sehr guter Vorschlag, dann gibt es weniger Sprachen. Danke Frau Mahler.“

Sie stand auf und verließ mit den vier Männern den Raum.

„Herr …“, Florian schaute auf seinen Block, „Herr Rami Oberdorn …, versteht das Ehepaar …“, wieder prüfte er, „das Ehepaar Lumbuba ein wenig Deutsch oder Englisch?“

„Wenig“, wollte er antworten, doch der Mann aus Eritrea unterbrach, „gut Deutsch lernen, gut Englisch talken.“ Dabei nickte er heftig.

„Ja, ja“, winkte Oberdorn ab.

„Ich hätte gerne eine Schilderung von jenem Zusammensein, das mit dem Tod des Mohammad al Said endete.“

Oberdorn übersetzte dem Ehepaar Lumbuba Mosers Frage. Es entstand eine längere Diskussion, die immer heftiger wurde. Schließlich beendete Richter Meier die Auseinandersetzung. „Also, was ist so schwierig an dieser einfachen Frage, Herr Oberdorn?“

„Nix Frage“, rief jedoch Lumbuba, „nix wissen …“

„Herr Oberdorn!“, pfiff Meier diesen an.

Oberdorn antwortete: „Er behauptet, nichts zu wissen. Mohammad sei nicht sein Freund gewesen.“

„Darum geht es noch nicht“, rief Meier genervt. „Er soll schildern, was er gesehen hat.“

„Nix sehen, nix Freund, looking schön Frau.“ Dabei deutete er auf seine Frau, die fette Makeda, die eindrucksvoll nickte und ihn am Hals tätschelte.

„Herr Oberdorn.“ Meier war jetzt äußerst nervös. „Ich will wissen, was er und seine Frau gesehen haben, sonst gar nichts.“

Florian mischte sich ein: „Sagen Sie dem Mann, dass er in Deutschland zu Ehrlichkeit verpflichtet ist, andernfalls kann Haft, auch umgehende Abschiebung drohen.“

Oberdorn übersetzte, daraufhin folgte ein wirres Kauderwelsch, das nicht enden wollte.

„Das hätten Sie besser nicht angedeutet“, knurrte Meier.

„Die sagen doch sonst nichts“, zischte Florian zurück.

Nach längerer, immer lauterer Diskussion sprang schließlich der Farbige hoch und rief mit enormer Lautstärke in hoher Fistelstimme Meier zu: „Nix du abschieben, du nix wissen von Eritrea. Banditen, alle. Du gar nix verstehen, alles Mörder, wir beide gut Bürger, schön Makeda und ich und …“

„Ruuuheee!“, brüllte Meier aus Leibeskräften. „Oberdorn, erklären Sie dem Kerl, dass hier eine richterliche Anhörung stattfindet. Wenn er sich nicht sofort mäßigt, schicke ich beide auf der Stelle in Arrest.“

Oberdorn schoss daraufhin blitzschnell hoch, drückte Lumbuba auf seinen Stuhl und redete dabei auf ihn ein. Lumbuba starrte mit weit aufgerissenen, weiß blitzenden Augen, sichtlich entsetzt und ängstlich zu Richter Meier und diskutierte danach wieder lang und breit mit Oberdorn, dann mit seiner Frau, jedoch deutlich leiser. Nach einiger Zeit bedeutete Oberdorn ihm, zu schweigen, und erklärte ruhig: „Herr Lumbuba behauptet, gar nichts zu wissen und nichts gesehen zu haben. Er hätte sich nur um seine liebe Frau gekümmert und habe mit keinem Blick gesehen, was währenddessen im Wasser geschehen ist. Im Übrigen kenne er jenen Mohammad fast gar nicht und könne sich auch nicht vorstellen, wieso er ertrunken ist. Er wisse also auf keinen Fall das Geringste, doch die anderen, im Nebenraum anwesenden Männer seien alles Freunde gewesen.“

Danach nickte er Lumbuba wohlwollend zu. Der riss noch immer die Augen weit auf, umarmte seine dicke Frau, wobei er nur den halben Umfang schaffte, und murmelte: „Nix wissen, nix kennen Mohammad. Frau auch nix kennen.“

Richter Meier stöhnte und sagte leise zu Florian: „Und jetzt?“

Florian antwortete ebenso leise: „Keine Ahnung. Entweder er lügt wie gedruckt, oder er hat wirklich nichts gesehen. Wir werden es ihm nicht nachweisen können.“

Daraufhin flüsterte Meier Florian zu: „Ich denke eher, dass er lügt. Sie bleiben noch hier und befragen die beiden weiter, ich gehe inzwischen zu Frau Mahler, vielleicht war sie erfolgreicher.“

Meier stand auf und verließ den Raum.

„Wohin geht er?“, wollte Oberdorn wissen.

Florian lächelte süffisant. „Herr Meier wird herausfinden, ob Herr Lumbuba die Wahrheit gesagt hat. Oberdorn übersetzte, Lumbuba wurde deutlich stiller.

Als Meier die Tür zum Nebenraum öffnete, war dort ebenfalls gerade eine heiße Diskussion im Gange. Frau Mahler zog die Augenbrauen demonstrativ hoch, als sie Meier erblickte.

„Wie ist der Stand?“ Meier musste fast brüllen, damit Frau Mahler ihn verstehen konnte.

„Sie sehen es ja“, rief sie zurück.

„Ruhe jetzt!“, donnerte Meier, schlagartig zuckten die drei Männer zusammen. „Herr …“, er blickte kurz auf seinen Notizblock, „Herr Jussuf, was geht hier vor?“

„Wir versuchen gerade herauszufinden, wer von den drei Herren etwas gesehen hat.“

„Und? Wer hat was gesehen?“

„Das ist es ja“, erwiderte Jussuf. „Herr Jaffa erklärte gerade, dass er Mohammad sehr gut kannte, sie waren sogar befreundet. Er schwört jedoch, dass Mohammad gewiss nicht unter Wasser gedrückt worden sei. Die Polizei muss sich geirrt haben. Mohammad hätte kurz zuvor seinen Freunden erklärt, dass er jetzt schwimmen gehen wolle. Er habe gesagt, es seien so viele Menschen, die im See schwimmen, dann will er das ebenfalls machen.“

„Heißt das, er konnte schwimmen?“, wollte Meier wissen.

„Weiß ich nicht. Er hätte jedenfalls gesagt, wenn das alle können, könne er es auch. Er habe die gleichen Rechte wie die Deutschen, deshalb wolle er unbedingt schwimmen gehen.“

„Und was sagen die beiden Männer aus Syrien?“

„Sie haben keine Ahnung und hätten Mohammad eigentlich kaum gekannt.“

„Was machen wir jetzt?“, raunte Meier Frau Mahler zu.

„Auf keinen Fall das Gesicht verlieren“, flüsterte sie zurück.

Meier nickte und erklärte dann laut und deutlich: „Herr … Jussuf, bitte sagen sie den drei Männern, dass sie sich zu unserer Verfügung halten müssen. Wir werden morgen weitere Zeugen vernehmen und sie dann noch einmal vorladen.“

„Welche Zeugen?“, wunderte sich Jussuf.

„Darüber möchte ich jetzt nicht reden …, ist noch vertraulich“, antwortete Meier und verabschiedete die vier Männer ziemlich schnell. Dasselbe erklärte er im Nachbarzimmer Oberdorn, dort verließ die kleine Gruppe ebenfalls den Raum. Lumbuba konnte sein zufriedenes Grinsen nur schwer unterdrücken.

Als Meier mit Florian und Frau Mahler allein war, atmete Meier sehr tief aus und sagte dann: „Sie sehen mich erledigt wie selten zuvor. Wir sind nicht einen Schritt weitergekommen. Ihr wisst, wie viele Flüchtlinge wir in den nächsten Monaten oder Jahren noch zu erwarten haben. Mir wird heute schon ganz schlecht, wenn ich an die Befragungen bei leichten oder schwereren Delikten denke. Die werden uns alle auslachen und garantiert nichts gesehen oder gehört haben und überhaupt nicht verstehen, was wir von ihnen wollen. Wir leben ganz einfach in einem anderen Kulturkreis. In ihren Ländern wird nicht lange gefackelt, eine kurze Anhörung und dann …“ Er machte eine eindeutige Geste. „Dass es bei uns viel gesitteter zugeht, haben sie alle längst erkannt. Ihr habt gesehen, wie Lumbuba hämisch gegrinst hat, als er gehen durfte. Vielleicht war er es. Macht‘s gut, auf Wiedersehen.“

Meier verließ hängenden Kopfes den Raum.

„Herr Wanninger wird sich freuen, wenn wir ihm von der Anhörung berichten“, murmelte Frau Mahler.

„Der kann ganz schön ausrasten, das kann ich Ihnen sagen.

---ENDE DER LESEPROBE---