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Ben Lehman

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Beschreibung

Mord in Obergrandau, einer kleinen Stadt im Berchtesgadener Land. Das Opfer ist ein Gast aus dem vornehmen Hotel Post. Sie wurde vergiftet. Schnell hat Hauptkommissar Hühnerbein, genannt Hühner, einen Täter gefasst: Walter Schmidtbauer, sympathischer Taxifahrer mit abgebrochenem Politik-Studium und Verehrer schöner Frauen, doch im Leben bisher ein Versager. Er landet im Gefängnis. Der reiche Siegfried Lang will ihm aus der Patsche helfen. Vielleicht aus Eigennutz? Plötzlich beginnt für Walter ein fast endloser Leidensweg. Er wird zwar das Gesicht von Langs Ökohof und sein Konterfei ziert alle Litfaßsäulen, alle nennen ihn jetzt Walt, doch er schlittert von einer Misere in die Nächste. Erst der Mordverdacht, dann ein angeblicher Selbstmordversuch, kurz darauf wird er schon wieder wegen Mordes verdächtigt. Keine Aussicht für Walter, gäbe es nicht gute Freunde, die im Hintergrund in Obergrandau die Geschicke lenken, echte Spezln halt. In Oberbayern gehen die Uhren manchmal etwas anders. Nicht nur der Dialekt, den der lustige Ermittler Lenz Zrenner spricht, ist für "Nordlichter" gewöhnungsbedürftig, auch die Methoden des Hauptkommissars Hühner sind noch nicht so fortschrittlich, wie zum Beispiel in München. Die Fortsetzung, ein merkwürdiger Unfall in Obergrandau, ist in Vorbereitung und erscheint bald. Schön, wenn Dir die oberbayerische Geschichte gefällt. Ich freue mich über jede Beurteilung - danke im Voraus. Ben Lehman

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Inhaltsverzeichnis

1.

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42.

München Krimis von Ben Lehman

Impressum:

Texte: © Copyright by Ben Lehman Umschlag: © Copyright by Ben Lehman Verlag: Ben Lehman

Von-der-Tann-Straße 12 82319 Starnberg [email protected]

1.

Nachdem Walter das Fahrziel erreicht hatte, drehte er den Kopf zu seinem wohlbeleibten Fahrgast nach hinten und brummte entnervt: „Sieben achtzig“.

Er war heute bereits die vierte Kurzstrecke gefahren, stundenlang hatte er vergeblich auf eine etwas lohnendere Tour gehofft. Als Taxifahrer hast du es alles andere als leicht: Am Parkplatz rumhängen, blöd über nichts quatschen und endlos Zigaretten rauchen, bis sich endlich mal ein Fahrgast erbarmt. Aussuchen kannst du dir den sowieso nicht. Und dann immer die gleiche Scheiße: An der Ampel stoppen, die natürlich immer dann rot wird, wenn du es eilig hast oder wenn ein Penner seinen Vorwärtsgang sucht und ihn nicht findet, dann ist die Ampel auch schon wieder rot. Sich von anderen Autofahrern grundlos beschimpfen lassen – sogar Radler quatschen dich blöd an, wenn du keinen Meter Abstand hältst, und dann erst die Fußgänger! Und noch tausend andere Dinge, die dir den Arbeitsalltag so richtig versauern können.

Der Fahrgast wühlte in seiner Geldbörse. „Hab ich nicht“, keuchte er und blickte dann in das hintere Fach, das prall gefüllt war, wie Walter aus dem Augenwinkel sehen konnte.

„Hundert? Sie können doch wechseln.“ Er hob die Augenbrauen, zog einen Hunderter heraus und hielt ihn Walter vor die Nase.

Walter schoss das Blut in die Birne.

„Was glaubt ihr eigentlich, was unsereins einnimmt? Geben Sie her, das Wechselgeld kriegen Sie, sobald ich genug kassiert habe. Ich ruf Sie garantiert an!“

„Unverschämtheit, Sie primitiver Taxler, Sie! Alles Verbrecher heutzutage. Früher landeten solche wie du im Knast.“

„Dort kennst du dich bestimmt super aus“, keifte Walter zurück.

Der Fahrgast ließ den Hunderter wieder verschwinden und zog einen Zehner heraus.

„Na also, geht doch!“ Walters Laune war auf dem Tiefpunkt. Er holte zwei Euros von seinen spärlichen Einnahmen, reichte sie nach hinten und wartete darauf, dass der Widerling endlich verschwand.

„Ist das alles?“ Der Dicke suchte vergeblich nach einem Papiertaschentuch und zog dann den Rotz hoch, die laufende Nase war aber nicht zu bremsen. Hoffentlich fand Walter nicht später wieder alles auf dem Rücksitz.

Der Typ setzte den rechten Fuß aus dem Wagen. „Dann behalt den Rest und mach dir einen schönen Abend, aber sauf nicht zu viel!“

Walter konnte nicht anders. „Zwanzig Cents Trinkgeld soll ich versaufen? Wie denn? Dann fress dir doch lieber den Ranzen noch voller, Fettarsch!“

„Beleidigen lasse ich mich nicht. Und von so einem wie dir schon gar nicht.“

„Ja? Was bin ich denn für einer?“

Der Dicke hörte das jedoch nicht mehr, weil er im selben Augenblick die hintere Wagentür zustieß.

„Auch gut.“ Walter atmete einmal durch und beendete kurz darauf diesen trostlosen Arbeitstag. Dann schlurfte er grollend nach Hause.

Er hasste seine kleine Wohnung in der Mühlengasse in dem verschlafenen Ort Obergrandau, nahe Bad Reichenhall. Keiner hatte eine Ahnung, woher der unpassende Name Mühlengasse kam. Eine Mühle gab es hier jedenfalls nicht und hatte es auch nie gegeben. Walter war in Bad Reichenhall geboren und liebte seine Heimatstadt. Wegen seiner Anstellung als Taxifahrer war er vor einem Jahr nach Obergrandau gezogen. Davor war er von einem ziemlich erfolglosen Aufenthalt in Washington DC zurückgekehrt, niemand wollte dort einem halbfertigen Politikstudenten einen Job anbieten. Obergrandau war seine letzte Rettung gewesen.

Die Ausstattung seiner Wohnung war sagenhaft, also im negativen Sinne. Winzig, Souterrain, halbhohe Fenster, das hintere vergittert, weil es die Kinder beim Fußballspielen auf dem Hof bereits mehrmals zerdeppert hatten. Ein klappriges Bett, ein wackeliger Schrank, ein Tisch und zwei Stühle – das Mobiliar stammte noch vom Vormieter. Es hatte sich für den Kerl nicht gelohnt, das wurmstichige Zeug mitzunehmen. Etwas Besseres als so ein schäbiges Loch konnte Walter sich im Augenblick nicht leisten, hoffentlich nicht für immer.

Zum Entspannen ging er deshalb lieber ins Gasthaus Huberwirt im Nebenhaus, blieb oft stundenlang sitzen und dachte über sein wenig erfolgreiches Leben nach, das er sich einmal ganz anders vorgestellt hatte. Beim Huberwirt bekam er einen strammen Max nach Art des Hauses, also eine Scheibe Leberkäs mit Spiegelei und Ketchup, und eine Portion Kartoffelsalat für fünf neunzig. Der Kartoffelsalat war stadtbekannt, er wurde täglich von der Frau des Pächters Wildmoser frisch zubereitet, mit Essig, Öl und Zwiebeln, wie man es in Bayern eben liebt. Mayonnaise im Kartoffelsalat wollte hier keiner, auch wenn mancher es in Hamburg oder Düsseldorf schon einmal probiert hatte. Rosi, die gut gebaute Bedienung, wusste natürlich, dass Walter auf Ketchup stand und die rote Soße in ausreichender Menge haben wollte. Genau genommen bestand er darauf, sonst konnte er giftig werden. Und weil eine Bedienung weiß, was man einem Stammgast schuldig ist, warf Rosi ihm oft schon ein halbes Dutzend Beutel Ketchup auf den Tisch, bevor er sein Bier bestellt hatte.

„Sonst vergesse ich´s wieder“, gackerte sie und blinzelte dem gutaussehenden jungen Gast freundlich zu.

Heute war die Gaststube brechend voll, man feierte den runden Geburtstag des Polizisten Max Weber unter angetrunkenem Grölen. Inmitten der Gruppe stand auf einem Extratisch ein Fünfzigliterfass helles Bier. Jeder konnte zapfen, sobald sein Bierkrug leer war, was regelmäßig der Fall war, schließlich gibt´s nicht so oft Freibier. Das Fass musste bereits gekippt werden, damit der Krug noch komplett gefüllt werden konnte. Ein Gast übergab sich gerade, was von seinen Kollegen brüllend kommentiert wurde. Rosi sauste gerade, sichtlich verärgert, mit einem Eimer Wasser und mehreren Putzlappen heran und schimpfte über die maßlose Sauferei der Polizisten.

Walter wandte sich angeekelt ab. Im Nebenzimmer setzte er sich auf einen freien Platz neben einen Typen, den er vom Sehen kannte – „darf ich?“ –, und stierte kurz darauf in sein Bier.

Der Gast nickte: „Heute stinkig, Walter?“ Er grinste ihn von der Seite an.

„Ha? Was?“ Walter erschrak. „Wieso Walter?“

„Wie soll ich dich sonst nennen?“

„Wer sind Sie, … du?“ So angeduzt zu werden konnte er gar nicht leiden. Manche Fahrgäste schienen zu glauben, dass Taxifahrer Menschen zweiter Klasse sind, und duzten auch ihn immer wieder. Dann erfuhren sie aber jedes Mal recht schnell, dass ein ehemaliger Student der politischen Wissenschaften sehr deutliche Worte draufhat.

„Rate mal“, feixte der andere.

„Lass mich in Ruhe! Ich kenn dich nicht.“ Walter starrte wieder in sein Bier. Gerade brachte Rosi sein Essen. Während sie den Teller hinstellte, blickte Walter gedankenverloren auf ihren prallen, hochgeschnallten Busen. Ob der bei dieser Bewegung jetzt gleich aus dem knappen Dirndl heraushüpfen würde? Das wäre mal eine angenehme Abwechslung beim Huberwirt. Leider nicht.

„Guten Appetit!“

„Danke, Rosi.“ Walter öffnete den ersten Ketchup-Beutel.

Sein Sitznachbar befasste sich wieder mit seinem Stapel Papier. Doch er konnte es nicht lassen. „Bist schon ein seltsamer Vogel, Walter, mit deiner Ketchup-Fresserei. Du könntest echt mehr aus dir machen!“

Walter hob den Kopf, starrte ihn an und schmatze weiter. Doch das Schweigen hielt er nicht lange durch. „Wenn ich gegessen habe, erzähl ich dir was“, brummte er, während er ein weiteres Ketchup-Tütchen aufriss.

Der Nachbar kicherte. „Ich freue mich schon darauf. Dann lernen wir uns endlich besser kennen. Ich beobachte dich seit geraumer Zeit.“

Walter warf ihm einen kurzen Blick zu, dann aß er weiter.

„Ich könnte dir helfen“, sagte der Gast trotzdem.

Walter schwieg.

„Ich meine es im Ernst.“

Was sollte diese blöde Bemerkung? Walter biss sich auf die Unterlippe und entschied dann, erst einmal freundlich zu antworten: „Und wieso? Wie soll ich das verstehen?“

„So bin ich eben, ein echter Menschenfreund.“

„Wie genau, will ich wissen.“

„So wie ich es gesagt habe.“

„Hab´s nicht verstanden.“

„Frag deine Freundin. Du hast doch eine?“

„Was geht dich das an?“

„Nichts, war nur eine Frage. Wenn du heute zu ihr gehst, iss nicht wieder Wurstsalat mit Zwiebeln und Ketchup, wie gestern.“

Walter stutzte, überlegte kurz, dann meinte er: „Siehst doch, dass ich einen strammen Max esse, schon mit Ketchup, aber ohne Zwiebeln, oder hast du Tomaten auf den Augen?“

„Gut, gut. Wollte es nur erwähnen. Gestern wusstest du es allerdings nicht.“

„Hatte ich vergessen“, brummte Walter, „geht dich aber nichts an. Ketchup mag ich eben lieber als Zwiebeln.“

„Reden wir über deine Freundin. Wie heißt sie eigentlich?“

Walter hätte auch ganz anders antworten können. Doch jetzt war er müde und schlecht gelaunt, außerdem wollte er sein Essen nicht kalt werden lassen.

„Leila“ brummte er, während er ein großes Stück Leberkäs dick mit Ketchup bestrich und in den Mund schob.

„Ach ja, die liebe Leila“, grinste sein Nachbar, „kenne ich.“

Walter entschied von diesem Augenblick an endgültig zu schweigen. Dieses hirnlose Gequatsche war ihm echt zu blöd. Nach einer anstrengenden Taxischicht bist du einfach fertig und brauchst kein Gespräch mehr.

Er stand auf. „Dann bis morgen, vielleicht.“

Später besuchte er Leila, sie wohnte auf der anderen Straßenseite, ein paar Häuser weiter. Ihre Wohnung war ebenso klein wie Walters, allerdings lag sie im Dachgeschoss und bot einen wunderschönen Ausblick auf den kleinen Park hinter dem Haus.

„Schön, dass du mich besuchen kommst.“

„Freust du dich?“

„Hast du Zwiebeln gegessen?“

Walter stutzte, dann murmelte er: „Wieso? Natürlich nicht. Strammer Max, wie immer ohne Zwiebeln.“ Doch dann lächelte er, denn Leila trug ein durchsichtiges Negligé, kein Höschen darunter und keinen BH. Walters Grinsen wurde breiter. „Toller Busen“, sagte er und griff zu.

„He, he, nicht so eilig. Setz dich erst einmal. Willst du was trinken?“

„Was hast du denn?“

„Einen offenen Weißwein von gestern, schmeckt aber garantiert noch gut.“

„Du hattest gestern Besuch?“

„Ja, doch.“

„Wen?“

„Kennst du nicht, ist ein alter Freund.“

„Und worüber habt ihr gesprochen? Oder habt ihr …?“

„Lass diese blöde Fragerei. Wir haben über die Arbeit gesprochen.“

„Ich weiß nur, dass du für einen Supermarkt arbeitest. Was genau machst du da eigentlich?“

„Bin in der Buchhaltung, aber nur vier Tage die Woche.“

„Aha, also Buchhalterin.“

„Nicht direkt. Ich vergleiche die Kassenbelege mit den Einnahmen.“

„Geld zählen ist nicht schlecht“, stellte Walter schmunzelnd fest.

„Fällt dir nichts Besseres ein, als mich über meine Arbeit auszufragen? Ich bin froh, dass ich den Job habe. Du hörst damit jetzt auf, oder du gehst besser wieder in dein Verlies!“

Nach einem Blick auf Leilas ansprechende Figur entschied Walter, nicht zu gehen. „Einen komischen Kerl habe ich heute im Huberwirt kennengelernt. Hat mich blöde angequatscht.“

„Ich kann mir gut vorstellen, wie du reagiert hast, Walter. Das muss ich jetzt nicht so genau wissen. Komm jetzt, aber zerreiß mein Negligé nicht! Hat einen Haufen Geld gekostet.“

Walter zog sich blitzschnell aus. Leila schlüpfte vorsichtshalber selbst aus ihrem durchsichtigen Nichts und stand vor ihm. Eine tolle Figur, die er mit Händen von oben bis unten berührte. Dann warf er sie aufs Bett und lag auch schon neben ihr. Leila lächelte leise und öffnete die Schenkel.

„Bleibst du heute Nacht bei mir?“ fragte sie später.

Er nickte und küsste sie wieder.

2.

Sehr viel besser gelaunt als am Vortag startete er am nächsten Morgen sein Taxi. Der Diesel stotterte zuerst und blies eine dicke, schwarze Rauchwolke aus dem Auspuff. Bald tuckerte er jedoch in beruhigender Regelmäßigkeit. Er dachte an die wilde Nacht mit Leila – was für eine Frau! Sie hatte gewiss noch viel mehr drauf, das musste er unbedingt herausfinden. Er konnte sein Glück immer noch kaum fassen, dass er diese attraktive junge Frau vor gerade mal drei Wochen ins Café Guglhupf am Marktplatz hatte einladen dürfen, nachdem sie am Bahnhof bei ihm eingestiegen war – obwohl er, wie immer, finanziell klamm gewesen war. Und heute war sie seine Freundin. Echt schöne Frauen gibt’s in Obergrandau nicht so viele.

An diesem Tag lief alles wie am Schnürchen. Er hatte kaum Standzeiten und überwiegend gute Touren. Keine Arschlöcher als Fahrgäste wie den Fetten vom Vortag. Auch nicht nur Kurzstrecken vom Bahnhof ins nächste Hotel oder von Obergrandau nach Untergrandau für sieben sechzig, sondern sogar zwei Fahrten nach Bad Reichenhall und eine nach Berchtesgaden. Es gab mehrmals gutes Trinkgeld. Ein Saudi oder so was Ähnliches wollte nach Ankunft des Elf-Uhr-Zuges vom Bahnhof ins erste Hotel am Platz gebracht werden. Walter empfahl das prominente Hotel zur Post, dort gab´s für jeden angeschleppten Gast eine angemessene Provision, sobald der eingecheckt hatte. Die Tour kostete einundzwanzig Euro fünfzig, der Typ gab ihm dreißig und wollte das Wechselgeld allen Ernstes nicht annehmen. Stattdessen lächelte er, richtete seinen Turban und stieg aus. Walter wollte seine Koffer herausheben, aber der Hoteldiener James war schneller und nickte Walter zu.

„Auf Wiedersehen, goodbye“, rief ihm Walter nach, und „thank you, sir.“

Wenig später brachte ihm James ein Kuvert.

Eine gutaussehende Dame, nicht mehr die Jüngste, winkte ihm zu. „Sind Sie frei?“

Walter nickte. „Wo darf´s denn hingehen?“

„Ins Café Rialto. Wissen Sie, ich liebe italienisches Eis, das Champagner Sorbet dort ist ein Gedicht, besonders, wenn es von Mario serviert wird. Sollten Sie mal probieren. Worüber freuen Sie sich so?“

„Netter Gast gerade und prima Trinkgeld, darüber kann man sich doch freuen.“

„Kriegen Sie von mir aber auch“, sagte sie mit angenehm tiefer Stimme. „Sie sehen übrigens gut aus, junger Mann. Sind Sie Student?“

„Äääh …“, stotterte er überrascht, dann dachte er, ja, warum nicht: „Doch, bin ich, ja.“

„Was studieren Sie denn?“

„Politische Wissenschaften.“ Wohlweislich verschwieg er, dass er das Studium längst an den Nagel gehängt hatte.

„Eine gute Wahl für einen jungen Studenten, der mal aufsteigen will.“ Sie lächelte. „Vielleicht werden Sie mal Minister. Finanzminister vielleicht?“

„Das ist mein Nahziel“, gluckste Walter, inzwischen war er aufgetaut.

„Wir müssen unbedingt mal darüber reden. Könnte für Sie wichtig sein, also, ich meine für Ihre Zukunft. Wie heißen Sie?“

„Wie ich heiße?“

„Ja, wie?“

„Walter.“

„Übermorgen Abend, Walter? Hier in der Hotelhalle, dann besprechen wir ein paar Dinge. Okay?“

Walter nickte vollkommen überrascht und freute sich kurz darauf über ein dickes Trinkgeld.

„Danke. Vielen Dank, gnädige Frau.“

„Aber doch nicht gnädige Frau! Fragen Sie übermorgen Abend nach Melissa aus der Suite 132. Um acht?“

Walter nickte verblüfft und hielt den Atem an, bis sie im Café Rialto verschwunden war. Hinter der Tür wedelte ihm noch einige Zeit ein Vorhang Erfolg versprechend zu.

Er konnte nicht ahnen, welches Schicksal ihn mit dieser reichen Dame erwartete.

Bevor er sein Taxi in die Garage fuhr, zählte er sein Trinkgeld und wollte es kaum glauben. Zweiundzwanzig Euro sechzig, der Tag war absolut spitze gewesen.

Bevor er in seine Stammkneipe aufbrach, zog er sich um, ein buntes Hemd zur schwarzen Jeans.

Obwohl das Lokal ziemlich leer war, blickte er vorsorglich ins Nebenzimmer. Tatsächlich! Der Kerl saß wieder dort, vertieft in seinen Papierkram. Mit einem etwas unsicheren Grinsen setzte er sich, sagte „hallo“ und bestellte eine Tomatensuppe, dazu eine Scheibe Brot und ein leichtes Weißbier.

„Wo bleibt das Ketchup?“, stichelte der Mann.

„Zur Suppe? Quatsch!“

„Wieso nicht aufs Brot, damit es nicht so staubt? Ich beobachte dich seit Tagen und frage mich, wie man solche Mengen Ketchup vertilgen kann.“

„Rosi hat mich heute nicht vergessen, falls du das meinst, weil ich schon vorher meine Suppe bestellt hatte, oder siehst du hier vielleicht Ketchup?“

Er schüttelte den Kopf. „Aber sonst immer.“

„Ein Leben ohne Ketchup ist natürlich möglich, aber sinnlos.“

„Das kenn ich irgendwie anders. Hast du von Loriot abgekupfert. Geschäfte heute gut gelaufen? Du wirkst so aufgeräumt.“

Walter nickte und löffelte weiter.

„Suppe ist eine gute Wahl. Mit vollem Bauch bist du zu träge. Das kann Leila nicht leiden.“

Walter spürte, wie Zorn in ihm hochstieg. „Was weiß denn du von Leila?“

„Viel. Ich kenne sie noch besser als dich.“

„Du kennst mich überhaupt nicht, verstanden?“

„Nicht verstanden, Walter. Ich kenne dich besser, als du glaubst. Weil du mein Mieter bist!“

„Dein was soll ich sein?“

„Du kennst nicht einmal deinen Vermieter? Schäm dich! Hier, deine Selbstauskunft!“ Der Mann zog ein Blatt Papier aus seinem Stapel und wedelte damit vor Walters Nase herum.

Darauf wusste er nichts zu antworten und löffelte erst einmal seine Suppe weiter. Sollte er den Kerl jetzt blöd anquatschen oder besser die Klappe halten? Er kam zu dem Schluss, dass es ungeschickt wäre, den Typen zu verärgern. Er konnte ja nicht ausschließen, dass der die Wahrheit gesagt hatte.

„Natürlich kenne ich meinen Vermieter, aber ich lass mich nicht verarschen. Sag mir deinen Namen oder, besser, zeig mir deinen Ausweis.“

„Aha. Der Herr Politikstudent hat kombiniert.“

Walter stutzte. Woher wusste der das? Ja, klar.

Der Nachbar zog seine Geldbörse heraus, die ziemlich prall gefüllt wirkte. Daraus zog er eine Visitenkarte hervor:

Siegfried Lang – genau, das war der Name seines Vermieters – und eine Telefonnummer.

„Kannst du behalten, Walter, damit du meinen Namen nicht vergisst.“ Lang grinste mit kaum verhohlenem Triumph.

„Tschuldigung …, Herr …“

„Siegfried ist okay. Meine Freunde nennen mich Sigi. Hast mich ja gestern schon geduzt.“

„Wieso sitzen …, sitzt du hier im Gasthaus? Ist deine Wohnung ebenso scheiße wie meine?“

„Nicht scheiße, aber langweilig und einsam. Außerdem gehört mir auch dieses Haus. Also bin ich hier genauso zu Hause, und dieser Tisch ist immer für mich reserviert. Wenn nicht, kann ich durchaus ärgerlich werden.“

Walter erstarrte förmlich, der Rest seiner Suppe war kalt geworden. Er schüttelte ungläubig den Kopf und erinnerte sich dann. „Und wie … äääh, wie willst du mir helfen? Hast du schon zweimal gesagt.“

„Ganz einfach. Ich finde, du siehst gut aus, hast Benehmen, wenn du magst, hast auch ein wenig rumstudiert und solltest nicht für den Rest deines Lebens Taxi fahren, sondern mehr aus dir machen. Bist ja nicht blöd. Denk mal darüber nach! Irgendeine Tätigkeit mit Perspektive, falls du eine Idee hast. Und immer auf dich achten! Deshalb hatte ich dir auch empfohlen, keine Zwiebeln zu essen, bevor du Leila oder eine andere Frau besuchst. Leila ist wirklich ein nettes Mädel … und hübsch ist sie, auch wenn sie beruflich … äääh, wie soll ich es sagen, also … einen besseren Job haben könnte.“

Walter starrte ihn ungläubig an. „Wieso redest du so um den heißen Brei herum? Ich habe kein Wort verstanden.“

„Sagte ich doch. Denk über dich nach. Falls dir nichts Vernünftiges einfällt, besprechen wir das mal. Ich habe immer gute Ideen.“

Walter nickte und schwieg.

Als Leila ihm später die Tür öffnete, erwartete sie ihn zu seiner Enttäuschung in Jeans und Bluse, einer schicken Hochsteckfrisur, super geschminkt, erkennbar ausgehbereit, die Jacke schon in der Hand.

„Gehen wir irgendwohin?“

Er zögerte kurz, nickte und meinte dann: „Wohin möchtest du gehen?“

Sie lächelte. „Am liebsten ins Rialto. Möchte mal wieder einen Eiskaffee trinken. Kennst du das Rialto?“

„Klar. Ich war allerdings selbst noch nicht drin. Aber meine Fahrgäste mögen es.“

„Dann wird’s Zeit.“

Das Rialto war gut gefüllt. Walter und Leila quetschten sich an den einzigen freien kleinen Tisch.

„Hallo Leila.“ Der Kellner berührte vertraut ihre Schulter, bevor er die Bestellung aufnahm. „Geht´s gut?“

„Geht schon. Bring mir einen Eiskaffee, mit Schuss, Mario.“

„In Ordnung. Wie immer.“ Er lächelte verschmitzt. „Und der Herr?“

„Zwei Kugeln Champagnersorbet.“

„Oh“, Leila stieß ihn in die Seite, „du kennst dich aber aus. Das beste Eis des Hauses.“

„Eine Kundin hat mir das empfohlen. Wieso kennst du den Kellner so gut?“

„Ich kenne ihn eben. Kann mich schließlich nach der Arbeit nicht immer vergraben. Genügt das?“

Walter reagierte nicht. Später, als das Eis vor ihm stand, fragte er dann doch nach, denn die Andeutung seines Vermieters ging ihm nicht aus dem Kopf: „Die Kasse im Supermarkt zu überprüfen ist nicht so einfach.“

„Ja und?“

„Da musst du gut rechnen können.“

„Kann ich, war schließlich nicht in der Baumschule. Und jetzt frag mich nicht dauernd über meine Arbeit aus. Ich habe Feierabend – und du auch.“

„Kaufst du den Wein in deinem Supermarkt?“

„Ich klaue nicht, wenn du das meinst.“

„Entschuldige“, stotterte er.

„Mein Eiscafé ist spitze.“ Leila lächelte ihn verführerisch an. „Gehen wir anschließend zu mir?“

Die Nacht war unglaublich. Und Walters Ausdauer überraschte ihn selbst.

„Du hast heute keine Zwiebeln gegessen“, stöhnte Leila nach der zweiten Runde. „Du bist heute super drauf.“

„Du merkst es, wenn ich Zwiebeln gegessen habe?“

„Aber bitte, Walter! Nicht merken, riechen! Ich habe übrigens beschlossen, dich ab heute Walt zu nennen, okay?“

„Wieso Walt?“

„Weil Walter langweilig ist und altmodisch und blöd klingt. Walt ist viel moderner. Jeder kennt den Namen und denkt vielleicht dann an den berühmten Walt Disney. Wenn ich dich mal jemandem vorstelle, werde ich sagen ‚das ist Walt, mein Freund. Wir kennen uns seit unserer USA-Reise.“

„Das ist doch Blödsinn. Ich war allein in den USA. Damals kannte ich dich noch gar nicht.“

„Ist doch völlig egal. Du liebst mich doch, oder?“

„Aber klar, Leila. Ich bin so froh, dass ich dich habe. Du bist die schönste Frau in Obergrandau und meine ganz persönliche Traumfrau. Vor allem nachts.“

„Aber nicht nur nachts, gell!“

„Nein, nein. Du hast gesagt, Walt ist moderner. Bin ich als Walter vielleicht nicht modern?“

„Überhaupt nicht, Walt. Und auch deine Kleidung, da fällt mir echt keine treffende Bezeichnung ein, ohne dich zu beleidigen.“

Walter dachte nach. Das musste geändert werden. „Kennst du Siegfried Lang?“

„Natürlich. Sigi ist mein Vermieter.“

„Deiner auch?“

„Der hat einen Geldscheißer, aber ich mag ihn trotzdem.“

„Oder gerade deshalb?“

„Werde nicht gemein, Walt, sonst nenne ich dich wieder Walter.“

„Übrigens habe ich morgen keine Zeit, habe Spätschicht.“

„Wieso denn? Das hattest du doch noch nie, Walt.“

„Ist aber so!“

„Dann passt das prima. Ich habe nämlich auch keine Zeit.“

3.

Am nächsten Tag dachte Walter lange nach. Über Leila und ihre männlichen Bekannten, die bei ihr Wein tranken, über Siegfried Lang, der mehr aus ihm machen wollte, und über Melissa von Suite 132 im Hotel Post und ihre Einladung, die er noch nicht einordnen konnte. Und wieso kannte der Kellner aus dem Rialto Leila so gut? Richtig vertraulich hatte er ihr auf die Schulter geklopft. Beinahe hätte er in Gedanken einen Radfahrer gerammt, während er in eine Seitenstraße einbog. Der warf sich zum Glück zur Seite, sprang hoch, zeigte ihm den Stinkefinger und fluchte so schrecklich, wie es nur aggressive Radler draufhaben. Walter öffnete das Seitenfenster und schrie: „Scheißkerl! Sei froh, dass ich dich nicht plattgemacht habe.“

Der Radfahrer fuhr erneut den Stinkefinger aus, drohte mit der Faust und schrie: „Arschloch, blödes! Scheiß Dieselstinker“, sprang wieder auf sein Fahrrad und flitzte um die nächste Ecke.

Stundenlang stand Walter danach am Bahnhof und wartete wie alle anderen Taxifahrer auf Züge. Sie diskutierten und rauchten in Gruppen und beobachteten jeden Fahrgast mit Koffer, in der Hoffnung, dass endlich wieder einer nach einem Taxi rief.

„Ich habe schon lange die Schnauze voll“, meinte Paul, der bereits seit Jahrzehnten diesen Beruf ausübte. „Ein Hungerlohn ist das. Eigentlich will ich ja endlich mit dem Rauchen aufhören, aber in diesem Scheißberuf ist das die einzige Abwechslung.“

„Reg dich ab!“ Maria war die einzige Frau in der Gruppe. „Was sollen wir erst sagen? Nicht einmal den Mindestlohn zahlt er mir. Du bist wenigstens dein eigener Herr und entscheidest sogar deine Fahrzeiten selbst.“

„Du hast gut reden. Du wackelst einfach ein bisschen mehr mit deinen Titten, da stehen ja vor allem die älteren Fahrgäste darauf. Meinst du vielleicht, wir kriegen das nicht mit? Oder kauf dir ein Taxi, dann geht´s dir genauso gut wie mir. Wirst schon sehen, welche Kosten und Steuern dann auf dich zukommen.“

„Kaufen? Ich? Ein Taxi? Können vor lauter Lachen, Paul. Wenn du mir das Geld vorstreckst, bin ich sofort dabei.“

„Hast wohl keine gute Bank, weil du mich anhaust, Maria.“

„Nein, habe ich nicht und anhauen würde ich dich schon dreimal nicht. Deswegen habe ich auch zum nächsten Ersten gekündigt. Da verkauf ich doch lieber Klamotten. Dort grapscht mich auch keiner an, ihr könnt euch nicht vorstellen, wie mir das schon lange auf den Geist geht.“

„Auch nicht schlecht, dann können wir uns endlich wieder ordentliche Witze ohne schlechtes Gewissen erzählen.“

„Macht ihr doch sowieso. Als würdet ihr euch mit euren schweinischen Witzen zurückhalten. Wie lange machst du denn noch, Walter?“ Sie wandte sich an ihn. „Du hast doch sogar studiert, oder?“

„Jaja“, brummte Walter, „schon, aber jetzt bin ich hier.“

Vincent, ein blasser Student, meinte: „Aber unser beider Zukunft sieht ganz anders aus, Walter, gell?“

Walter antwortete nicht.

Auch aus dem nächsten Regio stiegen keine Fahrgäste aus, die nach einem Taxi Ausschau hielten. Erst recht kein Saudi, der ein dickes Trinkgeld versprochen hätte.

Walter dachte an sein bevorstehendes Treffen im vornehmen Hotel Post.

Er kleidete sich sorgfältig, dabei erinnerte er sich an Leilas Kommentar, dass ihr über seine altmodische Kleidung keine treffende Bemerkung einfällt. Leider war seine vorhandene Auswahl an Kleidungsstücken wenig üppig. Wieder ging er ins Gasthaus Huberwirt, setzte sich wie selbstverständlich neben Siegfried Lang, begrüßte ihn kurz und bestellte eine Cola und ein Schinkenbrot.

„Seit wann trinkst du Cola?“, wunderte sich Siegfried, „Cola hebt den …, du weißt schon, oder?“

„Hab ich nicht nötig.“

„Heute schon, oder? Besuchst du nicht Leila?“ Er grinste.

„Die hat heute keine Zeit.“

„Weiß ich doch.“

„Wieso?“

„Ich habe sie zum Essen eingeladen.“

Walter verschluckte sich fast an seinem Schinkenbrot, das er dick mit Ketchup bestrichen hatte.

„Wieso?“, widerholte er idiotischer weise, nachdem er ausgiebig gehustet hatte.

Siegfried ging darauf nicht ein. „Du hast heute irgendwas Wichtiges vor, so schick, wie du dich gemacht hast, schwarze Jeans und dunkles Shirt. Eine andere?“

„Ich treffe mich mit einem Geschäftsfreund.“

„Wen meinst du denn damit? Deine Taxlerkollegen siehst du doch den ganzen Tag. Ist es nicht eher eine Freundin?“, bohrte Siegfried.

„Und wenn schon.“

„Also doch! Ist sie nett?“

„Wir haben was zu besprechen.“ Im selben Moment ärgerte sich Walter, das hätte er besser nicht gesagt.

„Keine Angst. Leila erfährt es von mir nicht.“

Walter zog den Kopf ein.

„Im Hotel Post?“

„Wieso kommst du gerade auf die Post?“

„Weil du hier immer in Räuberzivil rumrennst.“

Walter antwortete nicht.

„Gut so“, nickte Siegfried. „Darüber reden wir morgen.“

Punkt acht betrat Walter mit Herzklopfen das Hotel Post. Er kannte bislang nur den Empfangsbereich, wo er oft seine Vermittlungsprovision abholte. Für ein Posthotel richtig vornehm, dachte er, als er den feudalen Gastraum betrat und sich suchend umblickte.

Tatsächlich. Sie saß an der Bar, ein Glas Sekt in der Hand und drehte sich gerade um. Als sie Walter erblickte, winkte sie ihm zu und deutete auf den freien Hocker neben sich. Walter näherte sich langsam.

„Guten Abend …, ich weiß Ihren Namen gar nicht.“

„Melissa heiße ich, das weißt du doch ...“

Er errötete. „Guten Abend, Melissa. Schön, Sie zu sehen.“

Melissa schien mindestens bereits beim zweiten Sekt angelangt zu sein, da ein leeres Glas vor ihr auf der Theke stand. Sie lächelte: „Schön, dich zu sehen, wolltest du doch sagen, oder?“

Walter nickte und setzte sich auf den Hocker.

„Für den Herrn auch einen Champagner, Roberto“, rief Melissa dem Ober zu.

„Kommt sofort, Melissa!“

„Dann auf dein Wohl, lieber Walter.“

Sie hob ihr Glas, nachdem der Kellner Walters Champagner gebracht hatte.

„Auf dein Wohl.“

Es war Walters erster Champagner, er hatte ihn sich anders vorgestellt.

„Wie geht es dir? Anstrengenden Tag gehabt?“

„Passt schon. Prost.“

Walter wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. So eine Einladung hatte er noch nie erlebt, sogar mit Champagner, wer weiß, wie teuer der war. Er beschloss, seine charmanteste Seite hervorzukehren, und setzte sein schönstes Lächeln auf, das bisher immer gewirkt hatte. „So eine schöne Bluse“, sagte er und schämte sich im nächsten Moment, weil ihm nichts Besseres eingefallen war.

„Gefällt sie dir?“

„Und ob.“ Walter wurde sicherer. „Worüber wollen wir reden?“ Er wagte es sogar, ihr zuzuzwinkern.

„Du gefällst mir, Walter, das habe ich dir ja schon gesagt.“ Sie rückte etwas näher zu ihm. „Vielleicht könnte ich mehr aus dir machen.“

Walter nickte überrascht, lächelte und dachte daran, dass Siegfried Lang es ganz ähnlich formuliert hatte.

„Aha.“ Er blieb vorsichtig.

„Ja“, Melissa rückte näher, „ich möchte einen meiner Geschäftsführer feuern. Den Job könntest du doch übernehmen. Hättest du Lust?“

„Ääääh …“ Walters Herz machte einen gewaltigen Sprung oder so etwas Ähnliches, „ja, doch …, vielleicht.“

„Nicht vielleicht, Walter. Sicher. Ich erklär es dir. Aber nicht hier. Die Kellner haben immer so große Ohren.“ Mit den Händen formte sie diese in der Luft. „Wir können ja anschließend ins Rialto gehen. Ich muss mir nur noch eine Jacke holen. Komm doch rasch mit, damit du hier nicht so allein rumhockst! Am Ende schleppt dich noch irgendeine Schickse ab, bevor ich zurückkomme.“

Sie zog Walter vom Hocker und hinter sich her zum Lift. Oben angekommen, öffnete sie ihre Tür und schob Walter regelrecht hinein. Noch nie hatte er so ein feudales Hotelzimmer gesehen.

„Schönes Zimmer.“ Mehr brachte er nicht heraus.

„Ist die schönste Suite im Hotel.“ Sie lächelte. „Wenn ich hier absteige, sag ich immer: ‚Meine Präsidentensuite, bitte, Herr Oberhofer.‘ Setz dich auf die Couch, es gibt noch ein Gläschen Schampus.“

Melissa stand auf und nahm eine angebrochene Champagnerflasche aus dem Kühlschrank. „Auf dein Wohl, lieber Walter“, sagte sie und saß auch schon direkt neben ihm, mit Körperkontakt. „Wir müssen noch unser Du besiegeln.“

Sie legte den Arm um Walters Hals und küsste ihn erst vorsichtig und, nachdem Walter den Mund geöffnet hatte, leidenschaftlich. Sie berührte sein Gesicht: „Ein schöner Mann bist du, Walter.“

„Meine Freunde sagen ‚Walt‘ zu mir.“ Sofort ärgerte er sich, das hätte er besser nicht gesagt, weil es Leilas Idee gewesen war.

„Dann nenne ich dich auch Walt. Ist viel moderner, unbedingt. Ab heute bist du Walt, mein Geschäftsführer. Was sagst du dazu?“

Walter fühlte sich wie im falschen Film. „Geschäftsführer von was?“

„Du wirst mein Vermögen verwalten, das ist alles. Kannst du doch! Ich sehe dir das an. Du hast ja studiert. Wir werden uns gut verstehen.“

Sie nahm Walters Hand und führte sie an ihren beachtenswerten Busen. Als Walter zupackte, stöhnte sie leise und küsste ihn wieder. Walter spürte, dass sich bei ihm was regte. Er begann, Melissas Bluse aufzuknöpfen, vorsichtig.

„Ich helfe dir“, sagte sie, als Walter beinahe an dem raffinierten Knopfsystem gescheitert wäre.

Nachdem er ihren BH geöffnet hatte, sah er wohlgeformte Brüste, vielleicht zu wohlgeformt ... Sie stand auf, stand vor ihm, ein schöner Anblick. Walter beschäftigte sich umgehend mit ihren restlichen Kleidungsstücken.

„Jetzt steht eine nackte Frau vor dir“, lächelte Melissa, „wie gefalle ich dir?“

„Super!“ Das war nicht gelogen. Blitzschnell entledigte er sich seiner Kleider und stand nun vor Melissa mit anschwellendem Untergeschoss.

Es wurden feurige Stunden.

Später sagte sie: „Morgen regeln wir das Geschäftliche, Walt, einverstanden?“

„Ich kann es mir noch gar nicht vorstellen. Was werde ich tun müssen, wo werde ich wohnen oder leben? Wo bist du überhaupt zu Hause? Du bist doch nicht von hier.“

In Walters Kopf schwirrte es wild durcheinander.

„Morgen, Walt, alles morgen. Ich bereite einen Vertrag vor, den wir morgen unterzeichnen. Dann gilt er. Morgen Abend, vielleicht um sieben?“

Walter nickte sprachlos.

„Und anschließend besiegeln wir unsere Vereinbarung mit ein paar netten Stunden, okay? Wie viel möchtest du eigentlich verdienen? Nenn mir eine Zahl.“

Walter schluckte. Nachdem er den Mund mehrmals geöffnet und geschlossen hatte, sagte er: „Weiß ich nicht. Schreib du die Summe auf. Ich bin einverstanden.“

„Gut, gut. So machen wir es.“

„Ich muss los“, sagte er nach einem Blick auf seine Uhr, es war bereits elf, „habe morgen Frühschicht. Dabei bin ich total durcheinander.“

„Schön“, entgegnete Melissa, „wirklich schön, wenn du durcheinander bist. Ich freue mich schon auf morgen.“

Walter torkelte förmlich nach Hause, obwohl er stocknüchtern war. Nie und nimmer kann ich jetzt schlafen, dachte er und betrat sein Gasthaus. Trotz der späten Stunde saß Siegfried Lang wieder an seinem Stammtisch. Walter ließ sich auf einen Stuhl am Nachbartisch plumpsen und atmete tief.

„War´s so schlimm?“

„Noch viel schlimmer.“

„Spann mich nicht auf die Folter.“ Siegfrieds Kopf ging hoch.

„Vielleicht bin ich bald nicht mehr hier“, sagte Walter nachdenklich, „aber mehr sag ich nicht.“

„Soll ich das als mündliche Kündigung deiner Wohnung verstehen?“

„Nein, um Gottes willen! Ist noch viel zu früh. Ich sag´s dir morgen, wenn ich den Vertrag unterschrieben habe.“

„So ernst?“

„Ich glaub schon.“ Walter zögerte kurz, dann sagte er: „Ich werde Geschäftsführer, also vielleicht. Morgen Abend unterschreibe ich den Vertrag. Dann kündige ich meine Wohnung und ziehe weg.“

Siegfried blickte lange vor sich hin.

„Ehrlich gesagt, Walter, das würde mir sehr leidtun. Ich hätte mit dir auch so einiges vorgehabt. Aber gut, dann eben nicht. Hoffentlich vergisst du Leila nicht, mein Lieber. Ich muss schlafen. Gute Nacht, bis morgen. Soll ich die Daumen drücken?“

Walter nickte. „Gute Nacht.“

4.

Walter wälzte sich die ganze Nacht von einer Seite auf die andere. An richtigen Schlaf war nicht zu denken. Kaum eingenickt, war es auch schon wieder vorbei. Schweißgebadet wachte er mindestens hundert Mal auf. Seine Gedanken kreisten von einem Extrem ins nächste. Einmal sah er sich als großen Firmenboss mit Anzug und Krawatte an einem riesigen Schreibtisch sitzen, darauf fünf Telefone, die alle gleichzeitig klingelten, dann wieder als fluchenden Taxifahrer, dessen Fahrzeug nicht anspringen wollte, obwohl mehrere Fahrgäste ungeduldig warteten und schimpften. Zuletzt dachte er an Leila. Wie sollte er ihr das erklären und wie würde sie darauf reagieren? Vielleicht traurig, vielleicht einfach nur wütend mit den Worten: „Du hast mich nur benutzt, du gemeiner Schuft du!“

Übel gelaunt und alles andere als ausgeschlafen, begann er seine Taxifrühschicht. Es wurde ein normaler Arbeitstag mit wenig Trinkgeld und ausreichend Ärger, entweder wegen des Fahrpreises oder wegen der verstopften Straßen oder beidem. Obwohl Walter immer korrekt den Taxameter einschaltete, musste er ständig Diskussionen wegen der Höhe des Fahrpreises führen, für den er überhaupt nicht zuständig war. Dann war an Trinkgeld nicht mehr zu denken.

Um Punkt sechs saß er beim Huberwirt, wenige Minuten später kam Siegfried angehumpelt.

„Hast du dich verletzt?“, wollte Walter wissen.

„Hab ich nicht“, schnauzte er.

„Warum schreist du mich an? Du humpelst doch.“

„Schon immer, Mann!“

„Wusste ich nicht.“

„Dann weißt du es jetzt.“

„Ja, ja.“

„Du wirst also heute einen Vertrag als Geschäftsführer unterschreiben.“

Walter nickte.

---ENDE DER LESEPROBE---