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Endlich Ferien. Nico kann es kaum erwarten, dass sein bester Freund Jakob bei ihm wohnen wird, weil dessen Eltern mal wieder verreisen. Gemeinsam schwimmen gehen, Eis essen, durch den Hafen streifen und die Boote bewundern, am PC spielen – Nico freute sich darauf. Tindi, Nicos vorwitzige Schwester, lästert schon über Nico, weil er Jakobs Ankunft kaum erwarten kann. Tindi, eigentlich Tindara, ist 13 Jahre und somit ein Jahr älter als ihr Bruder. Sie geht ihm oft gehörig auf die Nerven. Aber heute überwiegt Nicos Freude und als Jakob ankommt, fangen die Ferien endlich richtig an. Während Jakob und Nico noch überlegen, was sie denn jetzt unternehmen wollen, ist Tindi schon längst mit ihren beiden Freundinnen Alina und Maria unterwegs zum Geigenunterricht. Und dabei machen sie eine Beobachtung, die für großen Rummel und für Aufregung bei der Polizei sorgt und am nächsten Morgen in der Zeitung steht. Jakob und Nico haben endlich entschieden, zum Hafen zu fahren, um die Schiffe und das Leben auf den Schiffen zu beobachten. Beide fasziniert das lebhafte Treiben im Hafen immer wieder und die beiden Jungen können gar nicht genug bekommen. Schließlich erreichen sie den alten Fischereihafen, in dem es wirklich ekelhaft stinkt. Wasserratten wuseln herum, Fischernetze werden geflickt. Aber was ist das? Winkt hinter dem Bullauge des abgetakelten Kahns Krabbe nicht ein verletzter Mann um Hilfe? Bevor die beiden Jungen mehr erkennen können, werden sie von der übel stinkenden Besatzung der Krabbe verjagt. Das alte vergammelte Schiff, der verletzte Mann und die merkwürdige Besatzung, von denen keiner ein Fischer oder ein richtiger Matrose sein kann, beschäftigten Jakob und Nico von da an während der ganzen Ferien und die beiden Jungen geraten selbst in ernsthafte Gefahr. Aber alleine kommen die beiden nicht weiter. Und so geschieht etwas Seltenes: Tindi, Alina, Maria, Nico und Jakob werden ein starkes Team, auf das sich Kommissar Bald, der die Ermittlungen leitete, verlassen kann. Und letztlich gelingt es ihnen gemeinsam, das Geheimnis der Krabbe aufzudecken.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Inhaltsverzeichnis
1. Endlich Ferien
2. Eine merkwürdige Beobachtung
3. Gemeine Entführung
4. Mutprobe
5. Der fiese Jack
6. Gefährliche Verhandlung
7. Fragen über Fragen
8. Märchen oder Wahrheit?
9. Kommissar Bald
10. Geheime Besprechung
11. Ein ausgeklügelter Plan
12. Zoobesuch mit Überraschung
13. Kommissar Bald schlägt zu
14. Der verrückte Herr Wertmann
15. Nicos Traum
16. Eine neue Theorie
17. Der große Einsatz
18. Professor Martell
19. Die Websters
Impressum:
Texte: © Copyright by Ben Lehman Umschlag: © Copyright by Ben Lehman Verlag: Ben Lehman
Waldstraße 32 82335 Berg [email protected]
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus!
Das wird immer wieder behauptet, stimmt jedoch leider gar nicht. Es ist ein reines Märchen, von irgendeinem Wichtigtuer erdacht. Genau genommen gibt es fast nie das geringste Anzeichen, wenn ein ungewöhnliches Ereignis auf dich zukommt. Im Gegenteil, die Wahrheit ist, dass vorher das Leben oft dermaßen stinklangweilig verläuft, dass der Betroffene einschlafen könnte. So erging es dem zwölfjährigen Nico Keller. Den ganzen Morgen hing er gähnend herum. Und warum? Weil jeder Junge schon am ersten Ferientag etwas erleben möchte – irgendetwas Tolles, vielleicht sogar ein Abenteuer. Warum der dünne, dunkelblonde Junge nicht bereits auf seinem Fahrradsattel saß und davon preschte? Immerhin war der Tag wie geschaffen für tolle Unternehmungen. Die Sonne strahlte, als wollte sie ihm zurufen: „Hier bin ich, willst du die Ferien total verschlafen?“
Es gab einen ganz einfachen Grund. Sein bester Freund Jakob hatte ihn gemein versetzt. Ärgerlich wanderten Nicos Blicke immer wieder zur Armbanduhr. Bestimmt schon hundert Mal. Der Minutenzeiger schien festgeklebt. Stöhnend klopfte er auf das Zifferblatt.
Tindi, seine Schwester, die eigentlich Tindara hieß und ziemlich frech war, grinste spöttisch: „Du weißt wohl heute überhaupt nicht, was du mit dir anfangen sollst? Warum bist denn so griesgrämig?“
Seine Antwort glich dem Knurren des Nachbarhundes: „… jaaa, jaaa! Du sitzt doch genauso blöd rum.“ Er warf Tindi einen vernichtenden Blick zu.
Doch das beeindruckte sie wenig: „Friss mich doch“, gackerte sie. Tindi und Nico lauerten gerne auf gegenseitige Schwächen und zählten heimlich ihre Punktsiege.
„Lass ihn in Ruhe“, versuchte die Mutter zu schlichten, „sonst gibt’s wieder Streit. Das brauchen wir heute wirklich nicht. Ich kann Nico schon verstehen. Es war ausgemacht, dass Jakob um zehn Uhr bei uns ist. Jetzt ist es gleich Mittag. Aber er wird schon kommen, die Ferien sind schließlich lang genug.“
Die Mutter war wie immer gelassen. Zum Glück ahnte sie noch nicht, welch aufregende Tage ihr bevorstanden.
Als es später an der Haustür klingelte, sprang Nico mit einem Satz hoch und flitzte los. Tindi war oft schneller an der Haustür, das wollte er an diesem Tag verhindern.
Natürlich stand Jakob vor der Tür, wer sonst. Er keuchte unter der schweren Last seiner riesigen dunkelblauen Reisetasche. Das Gewicht zog seine rechte Schulter nach unten, er verzog schmerzhaft das Gesicht: „Mann, ist die schwer.“
„Na endlich“, maulte Nico, „und viel zu spät!“
Jakob hatte eine freundlichere Begrüßung erwartet.
Er überlegte kurz, was er antworten sollte und äußerte schließlich beiläufig: „Hallo, hier bin ich.“
„Nicht zu übersehen, los, komm rein!“
Nico zog ihn am Ärmel hinter sich her. Jakob blieb nichts anderes übrig, als zu folgen. Er stolperte ein paar Schritte. Die Tasche schleifte am Boden und hinterließ auf dem Veloursteppich eine dunkle Spur.
Tindi beobachtete die lustige Ankunft vergnügt und bemerkte: „Nico dachte, du kommst überhaupt nicht. Wo warst du denn so lange?“
„Ging nicht früher …“, pfiff Jakob zurück, „meine Eltern …“. Er fügte unwirsch hinzu: „Hör auf! Ach was, ist doch sowieso egal.“
Sein Gesichtsausdruck erklärte alles. Da hatte es bei Jakob zuhause anscheinend schon am frühen Morgen Stunk gegeben.
„Nico ist das nicht egal.“ Tindi war mal wieder richtig ekelhaft. „Was bringst du denn da alles angeschleppt? Ich dachte, du bleibst nur zwei Wochen?“
Jakob ersparte sich eine Antwort und schaute scheinbar durch Tindi hindurch.
Natürlich freute sich Nico. Da Jakob aber so spät aufgekreuzt war, spielte er erst einmal die beleidigte Leberwurst. Tatsächlich war es jedes Mal ein großes Ereignis, wenn sein Freund einige Tage bei ihm wohnen durfte. Deshalb dauerte es gar nicht lange, bis sich sein Gesicht wieder aufhellte. Er lächelte sogar Tindi an, das war aber ein Versehen.
„He, du grinst ja schon wieder! Übertreib nicht gleich“, kicherte Tindi.
Nico bekam rote Ohren und wandte sich ab.
Jakob stand verloren im Zimmer herum, die schwere Reisetasche in der Hand.
„Und?“, zuckte er die Schultern, „was jetzt?“
„Weiß ich doch nicht.“
Nico redete manchmal dummes Zeug. Vorher konnte er es nicht erwarten, bis Jakob auftauchte, und jetzt wusste er nicht, was er mit seinem Gast anfangen sollte.
Zum Glück kam gerade Nicos Mutter um die Kurve gesaust. Als Jakob geklingelt hatte, war sie noch in der Küche mit Kartoffeln schälen beschäftigt.
„Herzlich willkommen, lieber Jakob“, rief sie freundlich, dabei fuchtelte sie mit dem Kartoffelschäler, den sie versehentlich in der Hand behalten hatte, in der Luft herum. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie froh Nico ist, dass du endlich hier bist.“
Nico murmelte etwas Unverständliches.
„Dein Bett in Nicos Zimmer wartet schon lange auf dich, Jakob. Du kennst dich ja bei uns aus. Brauchst einfach nur einzuziehen. Pack deine Tasche aus und dann könnt ihr beide was unternehmen.“
Zu Nico gewandt meinte sie: „Komm Nico, lass deinen Gast nicht so herumstehen. Führe ihn in dein Zimmer und hilf ihm beim Auspacken, … und lass ihn die schwere Tasche nicht allein schleppen.“
Schon flitzte sie wieder um die Ecke, um in der Küche das Mittagessen vorzubereiten.
Nicos Mutter war eine nette Frau. Sie mochte Jakob gerne, weil er liebenswürdig und klug war. Nico und Jakob waren echte Freunde und bereits seit dem Kindergarten unzertrennlich. Nico war froh, dass seine Mutter heute nicht wieder Jakob als Vorbild hingestellt hatte, wie schon so oft. Das brachte ihn jedes Mal auf die Palme, weil es überhaupt nicht stimmte. Genau genommen war Jakob keine Spur besser als er.
In Nicos Zimmer ging es inzwischen lustig zu. Die beiden Freunde gackerten entspannt und der Ferienbeginn zeigte sich bereits jetzt von seiner schönen Seite, denn die Warterei hatte nun ein Ende. Schließlich hatten sie lange genug darauf hin gefiebert, dass Jakob zwei Wochen bei Nico wohnen durfte. Ihre Eltern hatten das so ausgemacht, nicht zum ersten Mal. Jakobs Eltern waren nämlich berühmt, angeblich sogar auf der ganzen Welt. Immer wieder waren sie irgendwo unterwegs. Jetzt mussten sie nach New York fliegen. Jakobs Eltern waren natürlich froh, ihren Sohn in so guten Händen zu wissen. Linda und Patrick Keller empfanden das nie als Belästigung. Ganz klar, dass das den beiden Freunden mehr als recht war.
Nachdem sie mit einem gewagten Satz auf Nicos Bett gelandet waren, konnten sie endlich Pläne für die nächsten Tage schmieden.
„Wir könnten doch …“, schlug Jakob vor.
„Abgemacht “, gackerte Nico, „sowie du deine Sachen verstaut hast.“
„Lass mich erst ausreden“, protestierte Jakob.
Nico versuchte, die schwere Reisetasche auf Jakobs Bett zu wuchten, vergeblich. „Mann, hast du Steine mitgebracht?“, schnaufte er und drehte sich zu Jakob um.
Der dunkelhaarige Jakob feixte: „Schwächling! Ich konnte sie ganz allein herschleppen. Komm mein Freund, ich helfe dir.“
Darüber ärgerte sich Nico, er schnaubte verächtlich.
Gemeinsam schafften sie es schließlich.
„Erklär mir lieber, wo ich meine ganzen Sachen unterbringen soll.“
Nico deutete auf die drei Fächer, die seine Mutter leergeräumt hatte. Jakob schüttelte den Kopf: „Das reicht niemals.“
„Dann weiß ich es auch nicht.“
Tindi öffnete die Tür und schob ihren Kopf herein: „Ich soll euch fragen, ob ihr einen Orangensaft trinken möchtet. Ihr habt doch bestimmt schwer geschuftet.“ Als sie sah, dass Jakobs Tasche noch immer unberührt herumstand, grinste sie:
„Oder habt ihr noch gar nicht angefangen?“
„Meine Schwester Tindi. Immer neugierig!“, schimpfte Nico, „kannst uns ja helfen!“
„Fällt mir nicht ein, Kleiner!“
„Oh …, meine Schwester“, fauchte Nico. „Nur, weil sie ein Jahr älter ist.“
Jakob Blicke sausten hin und her.
„Habe mir schon gedacht, dass ihr überfordert seid“, kicherte Tindi und schlug die Tür zu.
„Ja, hau ab“, rief ihr Nico hinterher und wandte sich Jakob zu: „damit sie nichts tun muss, streckt sie höchstens ihren braunen Wuschelkopf zur Tür rein. Dann kann sie sofort wieder verschwinden.“
„… und wie schnell!“, Jakob riss die Augen auf: „Hoffentlich klemmt sie sich nicht mal den ganzen Kopf ein. Mann, da würde sie vielleicht jodeln.“
Nico meinte seelenruhig „Reine Übung. Das schafft sie jedes Mal.“
Das Mittagessen besänftigte alle. Frau Keller hatte zu Jakobs Begrüßung ein Lieblingsgericht ihrer Kinder zubereitet: Spaghetti mit Tomatensoße.
Nico aß, bis er nicht mehr konnte: „Hoffentlich können wir uns heute Nachmittag noch bewegen“, stöhnte er und deutete auf seinen prallen Magen.
„Wäre das erste Mal“, stichelte Tindi.
Nico verzog sich mit Jakob wieder in sein Zimmer und gähnte. Das Mittagessen zeigte seine bleierne Wirkung.
„Mittagsschlaf kommt nicht in Frage“, knurrte Jakob und kratzte sich am Rücken.
„Mist, die Spaghetti sind schuld“, ärgerte sich Nico, „ist gleich wieder vorbei.“
„Also! Dann los!“, drängte Jakob.
„Bleibt aber geheim“, flüsterte Nico.
„Wieso geheim?“
„Ist doch klar. Meinst du, ich posaune jede Kleinigkeit in der ganzen Familie rum?“
„Wovon redest du …?“
„Von Tindi natürlich. Sie und ihre Freundinnen erzählen uns ihre Geheimnisse auch nicht.“
„Was hältst du von schwimmen?“, schlug Jakob vor.
„Das Wasser ist heute bestimmt kalt.“
„Oder Rad fahren?“
„Vielleicht?“
„Lesen.“
„Besser nicht.“
„Mit anderen Jungen treffen?“
„Müssen wir erst ausmachen. Das dauert.“
„In den Hafen fahren?“
„Schon besser“, stimmte Nico endlich zu.
„Mann, jetzt bin ich aber froh, mir fällt fast nichts mehr ein.“
„Dann los!“
Der nahe Hafen war für die beiden Freunde immer ein Anziehungspunkt. Von Nicos Haus war es nur ein Katzensprung, deshalb kannte er jeden Winkel.
„Hoffentlich will deine Schwester nicht mitkommen?“, überlegte Jakob.
„I wo“, Nico verwarf die Sorge seines Freundes. „Wir haben doch ausgemacht, ihr nichts zu erzählen. Außerdem ist Tindi heute Nachmittag beim Geigenunterricht. Komm jetzt endlich!“
„Aber wir fahren!“
„Klar, laufen dauert viel zu Lange.“
Schnell erreichten sie den Hafen. Fünf Minuten in die Pedale treten und schon tauchten die ersten Masten der Schiffe auf. An einem so sonnigen Nachmittag gibt es für zwei Jungen kaum etwas Interessanteres, als in einem Hafen zu bummeln und alles Mögliche eingehend zu untersuchen. Sie trafen zwei Klassenkameraden, die schon wieder auf dem Heimweg waren.
„Hallo Linus“, begrüßte ihn Nico, „gibt’s was Neues?“
„Nein, heute nicht“, Linus deutete auf seinen Begleiter, „Paul hat keine Zeit mehr, er muss zum Fußballtraining.“
Jakob spielte im selben Verein Fußball: „Ich kann heute nicht“, bedauerte er.
„Wenn du im Hafen rumfährst, kannst du auch zum Training kommen!“, antwortete Paul mit Stirnrunzeln.
„Geht nicht“, erwiderte Jakob, „meine Mutter hat mich beim Trainer entschuldigt. Ich bin heute zu Nico gezogen, meine Klamotten pack ich morgen aus.“
„Wieso zu Nico gezogen?“
„Du weißt doch, meine alten Herrschaften müssen mal wieder …“
Paul meinte: „So schön möchte ich es auch mal haben. Meine Eltern sind immer zu Hause.“
„So schön ist das gar nicht“, Jakob zog die Augenbrauen hoch. „Also, das mit Nico schon, aber sonst nicht.“
„Na gut, ich sag’s Herrn Jost, falls er es vergessen hat.“ Paul und Linus schwangen sich auf ihre Räder und entfernten sich.
„Schwindler!“, gackerte Nico, „Klamotten noch nicht ausgepackt.“
„Pst!“, zischte Jakob.
Später befestigten Jakob und Nico ihre Fahrräder an einem Laternenmast. Die Schlüssel verschwanden in den Hosentaschen. Vor ihnen öffnete sich die große, weite Welt. Im vorderen Hafenbecken lagen die mächtigen Schiffe aus aller Herren Länder. Die meisten waren an einer Pier festgemacht, weiter draußen lagen einige vor Anker.
Fast unvorstellbar, was da für unterschiedliche aber auch herrliche Schiffen zu sehen waren. Neue, alte, kleine, große, vergammelte, aber auch schöne. Jakob konnte sich kaum satt sehen: „Ich sollte öfter hierher kommen.“
Überall geschäftiges Treiben an Bord. Behälter ein- und ausladen. Sachen irgendwo hinbringen und wieder andere irgendwo herholen. Befehle hallten über die Decks, manchmal schien es, als befolgte sie keiner. Gabelstapler fuhren eilig hin und her und schlugen plötzlich auf der Stelle einen Haken. Kräne rasselten eklig laut mit schweren, verrosteten Ketten, bevor sie riesige bunte Container mit allerlei Aufschriften an Bord hievten. Hinten, am großen Pier, legte gerade ein gewaltiges Schiff an, das von irgendwoher kam. In Zeitlupentempo näherte es sich der Pier. Es dauerte lange, bis es endlich sicher festgezurrt war. Andere lichteten ihre Anker und verschwanden nach nirgendwo. Jakob war total begeistert: „Mann, ist das toll hier! Einfach super.“
Sie bestaunten die vielen, umhereilenden Menschen aus aller Welt. Junge, alte, dicke, dünne, weiße, schwarze und gelbe. Eines hatten fast alle gemeinsam: Der Schweiß lief ihnen in Strömen von der Stirn und hinterließ deutlich sichtbare, glänzende Spuren.
„Du hast keine Ahnung, wie die schuften müssen“, erklärte Nico und schob sich einen Kaugummi in den Mund.
„Bin doch nicht blind, Herr Reiseführer“, grinste Jakob.
„Ich meinte doch nur“, knurrte Nico und hielt Jakob die Hand entgegen: „Wie wär’s mit einem Kaugummi?“
„Klar.“
Die schönsten Schiffe waren die Segelboote, die lagen natürlich im vornehmen Yachthafen. Elegant wiegten sie sich in der sanften Dünung.
„Vielleicht dürfen wir diese Yacht anschauen?“, deutete Jakob auf einen wunderschönen Segler.
„Liegt schon länger hier. Ich habe mal gefragt. Da wirst du abgewimmelt“, bedauerte Nico.
Später erreichten sie den alten Fischerhafen. An manchen Ecken stank es ekelhaft. Es lagen dort nicht nur verfaulte Fische herum, sondern auch noch alles Mögliche, das da gar nicht hingehörte, wie Flaschen, Dosen, Zeitungen und sogar ein alter Kühlschrank. Natürlich war es verboten, Abfall einfach wegzuwerfen, aber es scherte sich keiner drum. Wenn mal ein Aufseher auftauchte, waren die Schuldigen längst über alle Berge.
Eine Wasserratte huschte nervös hin und her, als hätte sie etwas ungeheuer Wichtiges zu erledigen, wusste aber anscheinend nicht genau, wohin sie wollte. Eine zweite folgte ihr. Blitzschnell kam es zu einer kurzen, aber heftigen Rangelei. Sie pfiffen und quietschen und überschlugen sich. Danach lief jede in eine andere Richtung davon. Ratten gibt es in jedem Hafen und sie sind immer eilig unterwegs.
Jakob verfolgte die beiden Tiere interessiert und meinte nachdenklich: „So hässlich, wie Mädchen immer behaupten, sind Ratten gar nicht.“
Nico nickte zustimmend: „Vor allem sind sie äußerst klug.“
„Genau – sie sind schnell und schlau. So schlau, dass mancher Mensch sich einiges abschauen könnte“, meinte Jakob.
Nico grinste hämisch: „… zum Beispiel unser Nachbar, Herr Wertmann.“
Jakob kannte einige von Nicos Erlebnissen mit Herrn Wertmann. Seit dessen Frau gestorben war, machte er oft idiotische Sachen.
„Das Neueste habe ich dir noch gar nicht erzählt“, Nico prustete in Erinnerung an diesen Vorfall.
„Los! Erzähl!“
„Vergangene Woche habe ich bei Herrn Wertmann geklingelt. Ich sollte ihm seine Zeitung bringen, weil sie jemand auf die Treppe gelegt hatte.“
„Ja, und? Warum ist das lustig?“
Nico schüttelte sich vor Lachen: „Weil du keine Ahnung hast, wo er sie verstaute.“
„Woher soll ich das wissen?“
„Im Kühlschrank, kannst du dir das vorstellen?“
„Im Kühlschrank? Du spinnst, Nico!“
„Ich schwör’s“. Nico hob seine rechte Hand. „Ich sagte: ‚Bei uns liegen keine Zeitungen im Kühlschrank.‘ Daraufhin erklärte er mir ganz im Ernst, dass es wichtig sei, Zeitungen gut zu kühlen, weil sonst die Druckerfarbe herausläuft. Ich soll mir das unbedingt merken.“
„Jetzt reicht’s, Nico“, schimpfte Jakob ärgerlich.
„Glaub mir doch. Er hat es gesagt. Mir hat’s auch gereicht. Ich wollte ganz schnell verschwinden, weil ich nicht wusste, welche verrückten Sachen er noch auf Lager hat.“
„Und, bist du?“
„Fast“, Nico schüttelte den Kopf. „Ich kam nur bis zur Tür. Er verlangte, dass ich mir die Füße auf dem Fußabtreter säubern soll.“
„Aber du warst doch schon in der Wohnung.“
„Eben. Das ist es ja. Herr Wertmann hat seinen Fußabtreter in der Wohnung liegen.“
„Und, was hast du gemacht?“
„Die Füße abgetreten. Was sonst. Dann bin ich abgehauen. Mich kriegt keiner mehr in seine Wohnung.“
„Der ist doch verrückt, oder?“ Jakob wollte es nicht so richtig glauben.
Nico stöhnte: „Ja, schon. Früher war Herr Wertmann ganz anders. Eigentlich war er in Ordnung.“
„So was kann dir mit Ratten nicht passieren“, grübelte Jakob, „schade, dass Mädchen das nicht verstehen.“
Nico stimmte ihm zu: „Meine Schwester ist genauso. Sie flippt aus, wenn ihr eine Ratte über den Weg lauft. Deswegen mag sie den Hafen nicht so gern.“
Jakob antwortete gelassen: „Wir Jungen gehen damit wirklich cooler um.“
Die Freude beobachteten zwei Fischer, die ihre Netze flickten. Eine verdammt langweilige Tätigkeit. Jakob starrte auf ihre Finger. Es war unmöglich zu erkennen, wie sich die Fischer in dem unübersehbaren Berg von Netzen zurechtfinden konnten. Schließlich setzten sie anscheinend irgendwo die dicke Nadel an. Einer der Fischer hatte einen kalten Zigarrenstummel im Mund, auf dem er dauernd herumkaute. Ein paar braune Krümel hingen in seinem Bart.
„Na, ihr beiden“, sprach der Fischer mit den Krümeln die Freunde an, „alles klar?“
„Und ob“, grinste Nico.
„Ihre Zigarre brennt nicht mehr“, meinte Jakob.
„Hab’ ich noch gar nicht gemerkt“, scherzte der Fischer. Daraufhin lachten sich beide halb kaputt und klopften sich auf die Schenkel. Jakob und Nico schauten sich verständnislos an, sie hatten diesen Witz nicht verstanden.
„Wie Herr Wertmann“, murmelte Nico, „genau, wie Herr Wertmann.“
Sie beschlossen, weiterzugehen.
„Möchtest du später einmal Fischer werden?“, fragte Nico.
„Wie kommst du denn darauf?“, rief Jakob entsetzt, „du weißt doch, ich will Pilot werden, … glaube ich wenigstens“, fügte er zögernd hinzu.
„Ja, richtig. Deine Eltern düsen ja immer irgendwo auf der Welt herum. Ich möchte das nicht.“
„Hast du vielleicht eine bessere Idee?“
„Überhaupt keine. Als ich klein war, wollte ich Lokomotivführer werden, aber das finde ich inzwischen auch doof.“
„Vielleicht Fußballstar?“
„Ja, vielleicht.“
Der Gestank in dem Hafenbereich, in dem sie sich gerade aufhielten, war brutal. Jakob flüsterte angewidert: „Pfui Teufel, das hält doch kein Mensch aus. Warum führst du mich hier her?“
„Brauchst nicht zu flüstern, das ist den Fischern völlig egal, die riechen das sowieso nicht mehr.“
„Aber ich. Abscheulich …, zum Kotzen.“
„Hab’ dich nicht so“, murrte Nico überlegen. „Das gehört zum Hafen. Die alten Lastwagen in der Stadt stinken genauso. Da regst du dich auch nicht auf.“
„Das ist was Anderes. Jetzt komm endlich“, drängelte Jakob, während er sich immer noch die Nase zuhielt.
„Meinetwegen.“ Nico folgte ihm langsam. Er schielte jedoch noch nach hinten zu den Fischern. „Ich könnte stundenlang zuschauen. Wir haben’s doch nicht eilig.“
„Aber der Gestank …“
Sie stiegen über herumliegende Seile.
Nico warnte: „Tritt ja nicht auf Fischernetze. Das können die überhaupt nicht leiden.“
Einige Boote weiter, hinter einem riesigen Abfallcontainer, entdeckte Jakob einen merkwürdigen Kahn: „Mensch, Nico, schau mal dort. Hast du schon mal so ein vergammeltes Boot gesehen?“
Nico antwortete: „Nein, das kenne ich nicht. Ist bestimmt neu hier. Ein Fischerboot ist das sowieso nicht, eher eine Fischerbootruine.“
„… und mindestens tausend Jahre alt“, schätzte Jakob, „ich kann mir nicht vorstellen, dass die damit noch auf hohe See hinausfahren.“
„Tun sie doch sowieso nicht. Die hängen bestimmt den ganzen Tag in der Kabine rum und saufen Rum.“
„Schau mal, diese verfaulten Taue! Beim nächsten Windhauch reißen die garantiert.“ Jakob konnte es nicht fassen.
„Na und“, antwortete Nico gelangweilt. „Dann ist’s eben endgültig aus. Der nächste Liegeplatz ist schon bekannt“, grinste er, „steht schon am Bug angeschrieben.“
Jakob schaute in die angedeutete Richtung und nickte: „Genau. Das ist der richtige Name für diese Schrottbeule: Krabbe. Morgen liegt sie ein Stockwerk tiefer, bei den anderen Krabben. Da gehört sie sowieso hin.“
Als sie vorbeigingen, sahen sie die Besatzung, sofern diese Bezeichnung zutraf. Total verdreckte Matrosen, die mit irgendwelchen Kisten hin- und her schlingerten, als befänden sie sich auf hoher See. So widerwärtige Typen hatten die beiden Jungen in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen. Die Klamotten zerfetzt, mit ihren ungewaschenen und zerzausten Haaren hätten sie eher unter eine Brücke zu Pennern gepasst.
„Da siehst du es! Total betrunken. Habe ich doch gesagt“, knurrte Nico.
Jakob blieb mit offenem Munde stehen und flüsterte, obwohl die Matrosen das sowieso nicht hören konnten:
„Die stinken bis hierher. Bestialisch.“
Nico gab sich weltmännisch, weil er sich ziemlich oft im Hafen aufhielt. „Das ist nichts Neues. Wenn du öfter herkommst, siehst du solche Gestalten immer wieder.“
„Was schleppen die bloß hin und her?“, wunderte sich Jakob.
„Weiß nicht, aber Fische haben die in den Kästen auf keinen Fall.“
Die Jungen beobachteten das unappetitliche Treiben an Bord. Einer der Matrosen, mit einem zerrissenen, weiß-schwarz-verdreckten T-Shirt bekleidet, wurde auf die beiden aufmerksam und schaute misstrauisch zu ihnen herüber.
„Der will was von uns“, zischte Jakob, „komm, wir hauen ab.“
„Mach dir nicht gleich in die Hose, der kennt uns doch nicht“, meinte Nico, „wir gehen jetzt gemütlich weiter und tun so, als hätten wir sie gar nicht gesehen. Dann brauchen sie nicht mehr rüber zu gaffen.“
Der zweite Matrose, in einer durchlöcherten Jeans, die früher vielleicht einmal blau war, fluchte unanständig, der dritte, ein Dunkelhäutiger irgendwoher aus Afrika, stimmte ein. Der erste schnauzte die beiden anderen an, sie sollen nicht herumgrölen, sondern ihre Arbeit verrichten. Der zweite Matrose fluchte daraufhin in einer fremden Sprache, der dritte versetzte ihm einen Stoß, dass er das Gleichgewicht verlor und in eine Ecke torkelte.
Die Jungen setzten angewidert ihren Weg fort, die Matrosen wandten sich wieder ihrer seltsamen Beschäftigung zu. Sie maulten und fluchten weiter. Vielleicht taten das alle Matrosen.
Nach ein paar Schritten erreichten sie das Heck der Krabbe. Es ähnelte ebenfalls mehr einem Schrotthaufen. Eisenstangen, alte Benzinkanister, verbeulte Dosen, vergammelte Teppiche, abgebrochene Holzbalken und weiß der Himmel, was dort alles herumlag.
Im unteren Deck gab es einige runde Luken. Die meisten Scheiben waren zerbrochen. Andere, die die Jahre überstanden hatten, waren seit ewigen Zeiten weder mit Wasser, geschweige denn mit einem Fensterleder erschreckt worden. An einer Luke tauchte plötzlich eine Hand auf. Dann ein Arm. Dann ein Kopf mit einem Verband. Der Kopf drehte sich schmerzhaft gequält herum. Jakob meinte, aus den Lippenbewegungen das Wort „Hilfe“ zu erkennen.
„Nico, hast du das gesehen?“, erschrak Jakob.
„Nein, was denn?“, stotterte Nico, der bereits wieder eine Gruppe Fischer beobachtete.
„Dort, guck doch, die zweite Luke von rechts. Da hat einer um Hilfe gerufen. Ich hab’s von seinen Lippen abgelesen“. Jakob konnte sich kaum mehr beruhigen.
„Mann, dreh doch nicht durch“, beruhigte ihn Nico, „das hat er bestimmt nicht.“
„Was denn sonst?“
„Wahrscheinlich hat er ‚Hallo‘ gerufen“, antwortete Nico.
„Du spinnst total, ich hab’s doch gesehen.“
„Vielleicht wollte er dir einen schönen Tag wünschen.“
„Jetzt hör endlich auf!“
Jakob war stehen geblieben und schimpfte: „Klar, mit dem Verband um den Kopf wollte er uns einen schönen Tag wünschen.“
Was aber dann passierte, ließ beide erstarren: Jener Kopf tauchte ein zweites Mal auf. Dieses Mal sahen es beide Jungen deutlich. Wieder kam der Kopf langsam hinter der trüben Scheibe hoch, das Gesicht zur Fratze verzerrt. Nach wenigen Sekunden tauchte einer der widerlichen Matrosen auf und prügelte brutal auf den Mann ein. Dann sank der Kopf wieder nach unten. Auch der Matrose war nicht mehr zu sehen. Alles war still, nichts regte sich mehr.
Die beiden Jungen blickten sich bestürzt an. Sie wussten nicht, was sie davon halten sollten. Langsam wanderten ihre Blicke wieder zu der schmutzigen Luke. Nichts! Doch auf dem Vorderdeck entstand plötzlich Bewegung. Zwei der Matrosen deuteten feindselig zu den beiden Jungen herüber. Aber warum? Dann brüllte ein Matrose aus Leibeskräften:
„Haut endlich ab, ihr Schlawiner, sonst setzt’s was!“ Gleichzeitig stürmten zwei der Matrosen in Richtung Bordwand, um von Bord zu steigen. Das konnte unangenehm werden. Da blieb nur noch blitzartige Flucht.
„Los!“ Nico packte Jakob am Ärmel und spurtete los. Jakob hinterher.
Nach einem ausreichenden Sicherheitsabstand blieben sie keuchend stehen. Die Krabbe war nicht mehr zu sehen.
„Meinst du immer noch, dass der Mann ‚Hallo“ gerufen hat?“, rief Jakob entsetzt.
„Nicht eigentlich“, druckste Nico herum, „ich dachte, … ja, vielleicht hast du recht. Ich bin mir nicht mehr sicher.“
„Und der Matrose? Wollte der uns vielleicht auch begrüßen und hat dabei versehentlich jene Person mit dem Verband niedergeschlagen? Die Matrosen auf dem Vorderdeck vielleicht auch? Ein Gruß an uns? Damit wir nichts falsch verstehen, wollten sie sogar persönlich zu uns kommen. Nico, wach auf! Da ist ein Verbrechen passiert!“
Nico blieb nachdenklich stehen: „Zuerst habe ich’s nicht so genau gesehen. Aber jetzt …, ich kann mir das einfach nicht vorstellen. Über den Verband habe ich mich schon gewundert.“
Das übrige Treiben im Hafen hatte damit für sie jeden Reiz verloren. Sie interessierten sich nicht einmal mehr für die Wasserratte, die ihren erbeuteten Fisch im Stich ließ und flüchtete, als Jakob ihr beinahe auf den langen Schwanz getreten wäre. Die beiden Jungen konnten sich alles Mögliche vorstellen, verwarfen schließlich ihre Gedanken und beschlossen, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Welch ein Fehler!
Zu Hause angekommen, war Tindi inzwischen vom Geigenunterricht eingetroffen, sie hatte ihre Freundinnen Alina und Maria mitgebracht, beide hatten gepflegte lange Haare. Seit einiger Zeit lernten die ebenfalls Geige spielen. Wenn die drei gemeinsam musizierten, klang es oft abscheulich.
Sie kicherten und scherzten, wie es Mädchen manchmal tun. Nico stöhnte, bei drei gackernden Mädchen fühlte er sich überflüssig. Heute trugen sie auch noch ähnliche grüne T-Shirts und machten einen auf dreifaches Lottchen. Es wäre Nico im Augenblick lieber gewesen, mit Jakob zu diskutieren. Leider bestand die Mutter darauf, gemeinsam ein Glas Orangensaft zu trinken.
„Habt ihr Wasserratten gesehen?“, gackerte Tindi, Alina und Maria kicherten immer noch.
„Klar“, brummte Nico und zog eine Grimasse, „sogar eine ganz fette.“
„Iiiih“, klang es mehrstimmig, aber lustig.
„Die hat sogar nach euch gefragt“, gluckste Nico.
Jakob hätte gerne gesagt, dass er sich eine Wasserratte als Haustier wünschte. Im letzten Moment verbiss er sich aber diese Bemerkung, immerhin wollte er noch einige Tage im Hause Keller wohnen.
Nicos Mutter entschied, das Thema Wasserratten zu beenden, sie mochte sie nämlich genauso wenig. Ihr anschließender Versuch, einen gemeinsamen Plan für die nächsten Ferientage zu entwickeln, misslang vollkommen. Weder die Mädchen, noch Nico oder Jakob wollten sich auf irgendetwas festlegen, schon lange nicht auf einen gemeinsamen Besuch im Tierpark.
„Ich gehe nur in den Tierpark“, feixte Nico, „wenn wir auch zu den Ratten und Mäusen gehen.“
Jakob lachte unanständig.
Es klingelte an der Tür. Tindi sprang wie immer sofort auf. Sie wollte als Erste wissen, wer zu Besuch kam. Herein traten Jakobs Eltern, Familie Webster. Jakobs Mutter war, wie immer, wenn sie auf Reisen ging, mit verschiedenen goldenen Kettchen behängt und mit Ringen bestückt. Dass beide ein schlechtes Gewissen hatten, erkannte Jakob sofort an deren Nasenspitzen, ihr feines Gehabe täuschte darüber nicht hinweg. Zuerst eierten sie herum und faselten ziemlich wirres Zeug. Seinen Vater kannte Jakob sowieso immer nur nervös, heute jedoch zappelte er mehr denn je. Sie wollten sich angeblich nur bei Familie Keller bedanken, weil Jakob während ihrer bevorstehenden Geschäftsreise schon wieder Kellers großzügige Gastfreundschaft in Anspruch nehmen durfte.
„Ist doch selbstverständlich, liebe Philomena“, flötete Linda Keller. „Jakob ist uns immer herzlich willkommen. Was ist eigentlich dieses Mal der Anlass für eure Reise?“
„Ach, meine liebe Linda“, schnaufte Jonathan Webster, Jakobs Vater, gehetzt. „Eine große Ausstellung in New York …, weißt du, in New York! Ich kann dir sagen …“ Er hob bedeutungsvoll seinen Zeigefinger.
„Aha“, antwortete Linda Keller.
„Und ich bin die wichtigste Person, eigentlich habe ich überhaupt keine Zeit wegen …“
„Das tut mir sehr leid“, unterbrach ihn Frau Keller. „Wir sollten uns mal wieder richtig Zeit nehmen und über alles reden.“
„Wirklich gerne“, antworteten Philomena und Jonathan Webster wie aus einem Munde.
„Aber die Zeit …, mein Gott, wenn ich nur wüsste, wann. Ihr seid immer so nett zu uns.“
Jonathan Webster rutschte auf seinem Stuhl hin und her.
Philomena schubste Jonathan: „Und zu unserem Liebling.“
Jonathan nickte eifrig: „Natürlich, besonders zu ihm.“
Jakob war die Sache unangenehm. Er hasste die immerwährende Hetzerei seiner Eltern, die ihn schon sein Leben lang begleitete. Warum hatten sie für ihn nie Zeit, so wie Nicos Eltern. Schließlich sprang Jakobs Vater auf und war nach kurzem, ungeduldigem Abschied verschwunden.
„Du darfst ihm das nicht verübeln “, versuchte Jakobs Mutter seinen überraschenden Aufbruch ein wenig zu entschuldigen. „Er ist so ein berühmter Mann. Alle Welt will was von ihm, da kann ein Mensch schon seltsam werden.“
„Bitte, mach dir deswegen keine Sorgen“, lächelte Linda Keller, „wir kennen uns schließlich sehr lange.“
„Wie nett du das sagst.“
Jakobs Mutter blieb noch auf einen kleinen Plausch sitzen. „Was tust du denn den ganzen lieben Tag, meine liebe Linda? Du gehst doch nicht etwa zur Arbeit? Bitte, liebe Linda, bloß nicht. Fang das erst gar nicht an. Schau mich an!“
Linda Keller lächelte sanft: „Nein, nein, meine liebe Philomena.