ENTHAUPTET - Ben Lehman - E-Book

ENTHAUPTET E-Book

Ben Lehman

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Gerade an Wannigers 30. Dienstjubiläum bekommt die K3 einen Mordfall, der es in sich hat. Gefunden wurde ein ramponierter Kopf, der schon länger vom Körper abgetrennt war, aber eine Vermisstenanzeige gibt es nicht. Zumindest zunächst nicht. Ein paar Tage später meldet Luca Tadori seine Frau Chiara als vermisst. Er hatte sie vor einer Woche nach einem Streit zum letzten Mal gesehen und gedacht, sie wäre bei ihrer Schwester. Dort ist sie aber nicht. Ist Chiara wirklich nur verschwunden? Oder wurde sie ermordet? Hat sie vielleicht einen Liebhaber und ist bei ihm untergetaucht, denn wie sich herausstellt, wollte sie sich scheiden lassen. Und auch ihre Schwester und ihre Freundin wissen von Affären. Wanninger und sein Team haben Fragen ohne Ende, finden aber zunächst keine Antworten. Plötzlich geht es nicht mehr nur um einen Kopf ohne Körper und um eine Vermisste, sondern um eine ganze Familiensippe und deren dunkle Geheimnisse. Und als hätte die K3 nicht genug zu tun, ist zwischenzeitlich auch noch ein Banküberfall mit Mord aufzuklären, der eine überraschende Wendung bringt. Wer dieses Buch in die Hand nimmt, sollte darauf gefasst sein, es nicht mehr weglegen zu können. Man ist gleich mittendrin im Geschehen und fiebert mit Wanniger und seinem Team, wie all die Ungereimtheiten zusammenhängen und ob sie überhaupt aufgeklärt werden können. Ein gruseliges Lesevergnügen!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

29.

30.

31.

32.

33.

34.

35.

Ben Lehmans Krimis aus München:

Ben Lehmans Provinz-Krimis

Impressum:

Texte: © Copyright by Ben Lehman Umschlag: © Copyright by Ben Lehman Verlag: Ben Lehman

Von-der-Tann-Straße 12 82319 Starnberg [email protected]

Enthauptet

Dritter München-Krimi

1.

Der Tag startete mit einem seltenen Event. Die Vorbereitungen hatten bereits Tage zuvor begonnen, doch er wusste zunächst davon nichts. Der leitende Hauptkommissar Sepp Wanninger, Abteilung K3 der Mordkommission München, Abteilung für schwierige Mordfälle, war an diesem Tag genau dreißig Jahre im Dienst. Referatsleiter Dr. Dobler hatte zugestimmt, dass Kollegen um neun Uhr morgens zu einer Brotzeit im Amt eingeladen werden durften. Wanninger erschien an diesem Tag um acht Uhr dreißig am Arbeitsplatz. Seine Mitarbeiter, die Kommissare Lena Paulsen, Thomas Huber und Florian Moser verwandelten bereits seit einer geschlagenen Stunde Wanningers großes Büro in einen gemütlichen Frühstücksraum. Als er die Tür öffnete, blieb er erschrocken stehen und schimpfte: „Ihr seid wohl verrückt? Wo soll ich denn heute arbeiten?“

„Können Sie ab heute nachmittags wieder hier“, schnaufte Thomas, während er einen weiteren Kasten Bier auf den Beistelltisch wuchtete.

„Wieso Alkohol? Gab´s bei mir in dreißig Jahren nicht ein einziges Mal im Dienst.“

„Doch, heute schon!“

„Am Ende werde ich noch wegen Alkohol am Arbeitsplatz rausgeworfen, das wollt ihr wohl?“

„Der Dobler hat´s erlaubt. Nun beruhigen Sie sich endlich, Chef.“ Auch Lena wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Freuen Sie sich doch mal. Sieht das nicht hübsch aus?“

„Ja, ja, schon, aber …“

„Florian bringt gleich die Weißwürste, danach lassen wir Sie hochleben.“

In diesem Augenblick stieß Florian die Tür auf und schleppte einen riesigen Kessel mit duftenden Weißwürsten herein: „Senf kommt gleich.“

„Ihr seid wirklich von allen guten Geistern verlassen“, erschrak Wanninger, „wer soll das denn alles verputzen?“

„Wir und die anderen“, sagte Florian etwas außer Puste, nachdem er den Kessel abgestellt hatte.

„Welche anderen?“

Florian grinste vielsagend: „Warten Sie´s ab!“

Daraufhin verschwand Lena kurz nebenan in ihrem Zimmer und kam mit einem herrlichen Blumenstrauß zurück.

„Lieber Herr Wanninger“, begann sie und drückte ihm den Blumenstrauß in die Hand, „keine langen Reden, das haben Sie ja nicht so gerne. Aber bevor alle anderen aufkreuzen, möchten wir Ihnen zu Ihrem 30-jährigen Dienstjubiläum ganz herzlich gratulieren. Wir alle sind riesig froh, mit Ihnen zusammenarbeiten zu dürfen.“

Begeistert drückten sie ihm die Hand, Lena, Thomas und Florian.

„Jetzt bin ich sprachlos. So ein Getue, nur, weil ich alter Esel es hier immer noch aushalte.“ Wanninger schüttelte den Kopf. „Und ihr habt euch in solche Unkosten gestürzt.“

„Kosten, Chef, nicht Unkosten“, berichtigte Thomas. „Im Übrigen ist von uns nur der Blumenstrauß. Die Brotzeit hat der Referatsleiter spendiert. Und …, alter Esel haben wir überhört, da müssen schon noch ein paar Jährchen ins Land ziehen.“

„Total unnötig“, murmelte Wanninger mit Blick auf den reich gefüllten Tisch, „wahrscheinlich kommt sowieso keiner, da muss jeder von uns zehn Paar Weißwürste runterschlingen. Spätestens heute Mittag ist uns kotzübel.“

„Ich habe für jeden Besucher zwei Paar eingeplant“, erklärte Florian.

„Zwei Paar?“, erschrak Wanninger, „der ganze Kessel ist doch voll?“

„Sie müssen heute garantiert viele Hände schütteln, kostet Kraft“, grinste Thomas.

„Mann, oh Mann, ihr könnt euch vorstellen, wie sehr ich mich darauf freue“, jammerte Wanninger.

„Klar“, kicherte Lena, „schließlich kennen wir Sie lange genug.“

Die Glocke vom Turm der benachbarten Frauenkirche schlug neun Uhr.

Die Tür ging auf und herein trat der Referatsleiter Dr. Dobler.

„Um Gottes Willen“, rutschte es Wanninger versehentlich heraus.

„Was für eine tolle Begrüßung, Wanninger“, grinste Dobler. „Soll ich wieder gehen?“

„Entschuldigung“, Wanninger errötete, „es ist nur, weil …“ Dabei blickte er kritisch auf die drei Bierkästen.

„Ist heute genehmigt, lieber Wanninger.“ Dobler klopfte ihm auf die Schulter. „Herzlichen Glückwunsch zum 30. Dienstjubiläum. Auch im Namen unseres Polizeipräsidenten darf ich Ihnen recht herzlich gratulieren.“

„Der kommt aber nicht?“, meinte Wanninger verlegen.

Dobler hatte verstanden. „Keine Sorge, lieber Wanninger …“ Die Tür ging auf und es drängten ein halbes Dutzend Kollegen herein. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, ging sie wieder auf und der nächste Haufen drückte herein.

„Ihr wusstet das alle …?“, wunderte sich Wanninger. „Wer hätte das gedacht. Die Sitte, die Drogenleute …, wer kommt denn noch alles, Mann oh Mann, ich fasse es nicht.“

Der etwas schüchterne Wanninger schüttelte so viele Hände wie nie zuvor. Lena und Florian boten jedem Besucher zwei paar Weißwürste an. „Senf ist hier“, erklärte Lena, „süß und mittelscharf.“

Thomas öffnete Bierflaschen. „Weißbier oder Helles?“

„Habt ihr kein Dunkles?“ Gerade kam der Pathologe Dr. Jablonka herein, gefolgt von seinem Kollegen Dr. Heitkamp.

„Natürlich, Thomas“, Wanninger hatte es gehört, „hättet ihr doch wissen müssen, falls unsere Rechtsmediziner kommen, aber bei uns gibt’s nur Helles und Weißbier, Heini.“

„Drei Dunkle habe ich mitgebracht, ich wusste doch …“, rief Thomas.

„Gottseidank“, murmelte Wanninger, „meine Kollegen denken an alles.“

„Alles Gute, lieber Sepp“, Jablonka hatte ein strahlendes Lächeln aufgesetzt, „ohne dich wäre es hier kaum auszuhalten.“

Dobler runzelte die Stirn und wartete auf eine weitere Äußerung Jablonkas.

„Wieso denn das?“, wunderte sich Wanninger, „ihr schnippelt doch immer nur an Leichen herum, damit habe ich wirklich nichts am Hut. Ihr wollt es doch nicht anders.“

„Und? Wer liefert uns das Material zum Schnippeln?“

„Material ist ziemlich gemein, Jablonka“, mischte sich nun Dobler ein. „Immerhin ist mit jedem unserer Fälle eine Menge Trauer verbunden.“

„Weiß ich doch, Chef“, antwortete Jablonka mit hochgezogenen Augenbrauen, „aber wir tun auch nur unsere Pflicht.“

„War ja nicht ernst gemeint“, ruderte Dobler zurück.

„Hier“, Thomas hielt Wanninger einen Teller mit einem Paar Weißwürsten und einer Brezen hin, „das letzte Paar habe ich für Sie aufgehoben.“

„Waaas?“, erschrak Wanninger, „schon alle Weißwürste verdrückt?“

„Sie sagten heute Morgen, jeder zehn Paar. Und jetzt bleibt für Sie nur noch ein einziges Paar.“

„Guten Appetit, lieber Sepp.“ Jablonka klopfte ihm auf die Schulter. „Iss nur, du brauchst viel Kraft für die nächsten Fälle.“

„Hoffentlich hast du nicht schon wieder ein paar Leichen in petto?“

„I wo“, grinste Jablonka hinterhältig, „nicht eine einzige, also ich meine keine richtig komplette Leiche. Kannst vollkommen beruhigt sein.“

„Wäre am heutigen Tag auch ganz schön gemein.“

„Versteht sich.“

Wanninger blickte Jablonka kritisch an. „Aber …, wenn du so merkwürdig grinst …“

„Ich grins doch gar nicht“, grinste er. „Wie gesagt, keine komplette Leiche, höchstens ein paar Leichenteile.“

„Mann, Heini. Kannst du uns damit nicht wenigstens bis morgen verschonen? Verdirb mir nicht mein letztes Jubiläum.“

Wieso letztes?“

„Diese Kosten …!“

„… habe ich genehmigt und übernommen“, unterbrach Dr. Dobler.

„Willst du vielleicht andeuten, dass du dich schon bald verdrücken willst?“

„Noch nicht, aber irgendwann musst du dir sowieso ein anderes Opfer suchen. Mein voraussichtliches Ruhegehalt wird mir schon lange jährlich mitgeteilt, ich hoffe, dass es dann reicht.“

Jablonka stutzte. „Sag bloß, du bist schon so alt? Herr Dobler, ich beantrage, dass Wanninger noch, na ja, sagen wir mal viele Jahre aufgebrummt bekommt.“

Dobler roch jedoch den Braten. „Hab schon verstanden, wahrscheinlich genau so lange, bis auch Sie in den Ruhestand gehen, oder? Nichts da, Jablonka, bei uns geht alles nach Plan.“

„Ja, wenn Sie von Planung reden, muss ich unbedingt gleich morgen mit Wanninger über den Kopf reden.“

Lena hatte es gehört. „Bitte ärgern Sie heute unseren lieben Chef nicht, Doc, sonst kriegen Sie es mit uns zu tun.“ Dabei deutete sie auf Thomas und Florian.

„Vorsicht!“, konterte Jablonka, „ihr kennt meine Waffen.“

„Sie meinen die Skalpelle?“

„Und meine kleine Kreissäge. Die ist ebenfalls seeeehr gefährlich!“

„Hör jetzt mit dem Quatsch auf“, schimpfte Wanninger. „Was soll das für ein Kopf sein?“

„Schluss, Jablonka“, mischte sich Dobler ein, „lassen Sie den armen Wanninger wenigstens heute in Ruhe.“

„Er wollte doch unbedingt …“

„Bitte …! Jablonka!“ Nach diesem scharfen Ton verstummte er.

Am Nachmittag wurde Wanningers Büro wieder in ein Arbeitszimmer zurückverwandelt. Lena konnte es kaum fassen. „Es wurde doch nur gegessen und getrunken. Seht euch diesen Saustall an. Dabei waren hier nur erwachsene Menschen.“

„Selbst schuld“, grinste Wanninger, „ihr wolltet es so. Nun räumt mal schön auf. Ich kann euch leider nicht unterstützen, in meinem hohen Alter …“

„Ja, ja, hohes Alter haben wir alle“, entgegnete Thomas schlagfertig.

2.

„Damit ihr gleich Bescheid wisst, ab heute werde ich jeden Morgen hier an meinem Schreibtisch einen Blick in die Zeitung werfen“, erklärte Wanninger am nächsten Morgen und öffnete die Morgenzeitung. „Mann, was habe ich heute für einen Brummschädel.“

„Ging´s denn gestern Abend noch weiter?“

„Und wie! Vielleicht lass ich mich von Dobler nach Hause schicken. Einen Monat oder zwei, wegen totaler Erschöpfung.“

„Tun Sie uns das bitte nicht an“, jammerte Lena.

Gerade riss Dr. Jablonka die Tür auf. „Ah, unser Sepp hat Langeweile. Du weißt ab heute wahrscheinlich nicht mehr so ganz genau, was du machen sollst.“

„Du schon wieder!“, rief Wanninger. „Hast du vielleicht deinen geheimnisvollen Kopf mitgebracht?“

„Meinen Kopf habe ich immer bei mir, wie du siehst. Aber den anderen habe ich mir nicht getraut mitzubringen“, kicherte er, „wegen deines schwachen Nervenkostüms. Aber ich wollte mit dir darüber ein paar Worte wechseln. Ganz im Ernst, Sepp.“

„Na, dann nimm Platz. Stört dich hoffentlich nicht, wenn meine Mitarbeiter anwesend sind. Da muss ich mir nicht wieder alles merken, du weißt, wie vergesslich ich seit gestern bin.“

Jablonka setzte sich auf einen der Stühle und berichtete: „Also, das ist eine richtig mysteriöse Angelegenheit.“ Er wartete und beobachtete den Gesichtsausdruck der vier Kriminalisten.

„Wieso?“, wollte Thomas wissen.

„Wie ich gestern schon andeutete“, fuhr Jablonka fort, „die haben uns einen ramponierten Kopf gebracht. Sieht nicht mehr so toll aus.“

„Einen Kopf?“, erschrak Florian, „ohne …, äääh, sonst nichts?“

„Männlich oder weiblich?“, wolle Lena wissen.

Er zuckte die Schultern. „Schwierig, kann man nicht mehr so deutlich erkennen. Ich habe ein Foto mitgebracht, das zeig ich euch lieber später, bevor ich gehe.“

„Bestimmt eine Frau“, ging Lena auf, „wir Frauen sind wirklich arm dran. Es gibt so viele brutale Kerle.“

„Lass ihn erst mal ausreden“, meinte Thomas.

„Trotzdem“, Lena schüttelte sich entsetzt, „wenn es nur ein Kopf ist, dann wurde garantiert eine Frau enthauptet. Versteht ihr, geköpft, oh Gott.“

Jablonka überhörte diese Bemerkung. „Das Merkwürdige ist, dass es keine Vermisstenmeldung gibt. Ich habe schon überall nachgefragt.“

Thomas fixierte Jablonka gespannt. „Wo wurde der Kopf gefunden?“

„Nahe der Isar, bei Thalkirchen. Etwas abseits in einem Gebüsch. Wäre vielleicht nie entdeckt worden. Ein Jäger ging zufällig vorbei, sein Hund schlug an.“

„Du willst also sagen, dass wir über diesen Kopf rein gar nichts wissen?“ Wanninger zog die Augenbrauen hoch.

„So ist es.“

„Und der restliche Körper?“

„Leider Fehlanzeige.“

„Und warum erzählst du uns das?“

„Ich dachte, ihr seid die Abteilung für besondere Fälle in der Mordkommission.“

„Trotzdem“, entgegnete Wanninger, „du könntest doch auch mal zu einer anderen Abteilung gehen, nicht immer zu K3.“

„Mein lieber Sepp, wir versorgen nicht nur euch. Falls du es vergessen hast, wir sind als Rechtsmedizin für die gesamte Kripo zuständig und ihr seid nur eine Abteilung der Mordkommission. Die anderen Abteilungen sind völlig ausgelastet, sagt zumindest der Dobler, und gestern hatte ich erfahren, dass ihr gerade auf dem Trockenen sitzt.“

„Ach ja?“, knurrte Wanninger. „Auf dem Trockenen? Weil ich gestern eingeladen hatte und alles gesoff…, ich meine getrunken wurde? Wieviel Bier hast du eigentlich geschluckt?“

„Nur ein Dunkles, mehr gab´s leider nicht, aber das war gestern.“

„Vielleicht erklärst du uns noch, was wir jetzt tun sollen?“

„Keine Ahnung. Aber ich kann doch einen Kopf ohne Körper nicht einfach so rumliegen lassen. Glaubt ihr vielleicht, ich verstau ihn in der Asservatenkammer?“

„Kannst ihn dir einfrieren!“

„Wir sollten die Späßchen zur Seite lassen, Sepp.“ Jablonka wurde ernst. „Dobler hat entschieden, dass K3 den Fall übernimmt. Er hat euch übrigens riesig gelobt, kommt bei ihm nicht so oft vor. Wir werden den Kopf genauestens untersuchen, DNA und so weiter. Dann brauchen wir einen Fachmann, der das Gesicht rekonstruiert.“

„So schlimm?“ Lena war blass geworden.

„Leider ja. Und dann müssen wir gemeinsam nachdenken, wie wir dem Verbrechen auf die Spur kommen können.“

„Schwierig, schwierig Doc, wenn es überhaupt keinen Hinweis gibt.“ Florian schüttelte den Kopf.

„Schon“, bestätigte Jablonka, „nützt aber nichts. Nun seid ihr gefragt. Also, dann macht´s gut. Übrigens, hier ist das Bild.“

Damit verschwand Dr. Jablonka.

Alle vier beugten sich über das Foto.

„Grausam“, Lena schüttelte angewidert den Kopf, „so viel Brutalität. Kann dir einfach nur schlecht werden.“

Wanninger betrachtete das Foto lange, dann meinte er: „Der Kopf wurde sauber abgetrennt. Das hat jemand gemacht, der weiß, wie es geht.“

„Irgendein wildes Tier scheint auch dran gewesen zu sein“, vermutete Thomas.

„Und Würmer“, ergänzte Thomas. Lena schnaubte vernehmlich und warf ihm einen bösen Blick zu.

Am nächsten Tag führte der Rechtsmediziner Dr. Heitkamp aus, dass der Tod vor mehr als einer Woche eingetreten sein dürfte. DNA und Blutgruppe waren festgestellt worden, ebenso alle erkennbaren Details wie Augenfarbe und so weiter. Das Alter der Person wurde auf 25 bis 35 Jahre geschätzt. Der Kopf sei mit einem großen Messer oder vielleicht einer Machete abgetrennt worden.

„Also kein Affekt?“, wollte Wanninger wissen.

„Eher nicht. Natürlich müssen der Mörder und die Person, die den Kopf abgetrennt hat, nicht ein und dieselbe gewesen sein. Vielleicht ein Auftragsmord oder wenigstens eine Auftragsarbeit an einen Metzger.“

„Toller Auftrag“, flüsterte Lena angewidert.

„Irgendwelche weiteren Spuren, die man dem Täter zuordnen könnte, wurden bis jetzt nicht gefunden.“

„Keine Fußspuren am Fundort oder sonst etwas Brauchbares?“

Heitkamp schüttelte den Kopf. „Aber es wird weitergesucht.“

„Dann stehen wir im Augenblick ziemlich ratlos da“, überlegte Thomas.

Dr. Heitkamp nickte und verabschiedete sich. „Ein Zeichner, der dem Kopf ein Gesicht geben kann, ist noch nicht gefunden. Da gibt es nur wenige mit dieser Erfahrung. Die Computersimulation wird gerade erstellt, vielleicht könnt ihr damit was anfangen.“

3.

Die Polizeiinspektion Neuhausen rief im Präsidium an. Da fast alle Leitungen besetzt waren, wurde das Gespräch von der Zentrale zur Abteilung K3 geleitet. Florian nahm den Hörer ab. „Moser“, meldete er sich.

„Polizeiinspektion Neuhausen. Bei uns ist eine Vermisstenmeldung eingegangen“, teilte der Beamte mit. „Der Name des Anrufers ist Luca Tadori, er vermisst seine Frau.“

„Sie sind aber bei der Mordkommission gelandet.“

„Ich kann nichts dafür, ich hatte Ihrer Kollegin in der Zentrale gesagt, dass es sich um eine Vermisstenmeldung handelt. Sie sagte, dass alle anderen Leitungen belegt seien.“

„Na gut“, antwortete Florian. „Sagen Sie mir Name und Adresse, ich geb das weiter.“

„Ja, er heißt Luca Tadori und wohnt in der Winthirstraße in Neuhausen. Telefonnummer habe ich ebenfalls.“

„Seit wann vermisst er seine Frau?“

„Das weiß er nicht genau. Er behauptet, er dachte, dass sie zu ihrer Schwester gefahren ist. Heute Morgen hätte er dort angerufen und erfahren, dass sie nicht eingetroffen ist. Nun macht er sich große Sorgen.“

„Okay, ich kümmere mich darum.“

Wanninger hatte zugehört und meinte: „Sie können ja mal hinfahren.“

„Wieso ich?“

„Dauert doch nur eine Stunde, Florian. Sagen Sie besser nicht, dass Sie von der Mordkommission kommen, damit er nicht einen Riesenschreck bekommt. Vielleicht ist sie inzwischen auch schon wiederaufgetaucht.“

Florian meldete sich telefonisch an und fuhr anschließend in die Winthirstraße. Er klingelte an der Haustür bei Tadori. Es war ein größeres Wohngebäude mit kleinen Balkons, die ähnlich Bienenwaben an der Wand hingen. Die Familie Tadori wohnte in der 4. Etage. Er fuhr mit dem Lift nach oben, Luca Tadori erwartete ihn bereits an der Tür.

„Hallo Herr Tadori“, grüßte Florian. „Moser ist mein Name. Die Polizeiinspektion Neuhausen hat uns informiert, dass Sie Ihre Frau vermissen. Ist sie vielleicht inzwischen wieder nach Hause gekommen?“

Tadori war ein mittelgroßer, eher schmächtiger Mann, offensichtlich italienischer Abstammung, dunkle Haare, feurige Augen. Er zwinkerte nervös mit den Augenlidern und schüttelte den Kopf. „Leider noch nicht. Ich weiß auch nicht, wo sie abgeblieben ist.“

„Seit wann vermissen Sie sie?“

„Habe ich Ihrem Kollegen bereits gesagt, dass ich es nicht weiß.“

„Aber Sie müssen doch wissen, wann Sie Ihre Frau zuletzt gesehen haben.“

„Ja, klar. Das war vor ungefähr einer Woche. Ich dachte, dass sie zu ihrer Schwester gefahren ist, weil …, ääääh …“

„Ja, weil?“

Er zögerte. „Also …, wir hatten gestritten. Meine Frau regt sich oft schnell auf. Ich konnte sie nicht beruhigen. Daraufhin hat sie sich angezogen und ist gegangen, ohne noch ein Wort zu verlieren.“

„Und wieso dachten Sie, dass sie zu ihrer Schwester gefahren ist?“

„Weil sie dort immer hinfährt, wenn wir …, äääh, wenn wir unterschiedlicher Meinung sind.“

„Gut“, nickte Florian, „etwas mehr müssen Sie mir aber schon erzählen. Wie sollen wir sonst mit den Ermittlungen beginnen? Worüber hatten Sie gestritten?“

„Es geht immer um das gleiche, wegen Kinder.“

„Wegen Ihrer Kinder?“

„Nein, wir haben keine Kinder, aber sie möchte unbedingt welche.“

„Sie nicht?“

„Doch, ja, nein. Das spielt aber jetzt keine Rolle. Wenn sie wieder da ist, reden wir nochmal darüber.“

„Und sie hat die Wohnung verlassen, weil Sie sich nicht einigen konnten?“

„Ja, sie hat erst rumgeschrien und dann ...“

„Hat sie irgendetwas mitgenommen, Wäsche, Kleidung oder sonst was?“

„Weiß ich nicht. Hab nicht aufgepasst, ich war genauso stinksauer wie sie.“

„Könnten Sie das vielleicht herausfinden? Ich meine, dass Sie im Kleiderschrank nachschauen.“

„Ja, ja, kann ich. Mach ich später. Aber ich weiß sowieso nicht, was sie immer mitnimmt, wenn sie zu ihrer Schwester fährt.“

„Na, Sie wissen schon recht wenig.“

„Sagte ich doch gerade …“

„Bitte ein Foto Ihrer Frau!“

„Hier.“ Er holte ein Bild aus seiner Brieftasche und überreichte es Florian. „So sah sie aus, als wir uns kennenlernten. Heute ist sie nicht mehr blond.“

„Dann bitte ein neueres Foto!“

„Muss ich erst suchen. Mein Gott, mach ich gleich, bringe ich Ihnen.“

„Gut, dann hätte ich gerne die Adresse Ihrer Schwägerin.“

„Schreibe ich Ihnen auf.“

„Was machen Sie beruflich, Herr Tadori?“

„Ich arbeite in unserem Obst- und Gemüsegeschäft.“

„Ist das ihr eigenes Geschäft?“

„Ja, gehört der Familie.“

„Arbeitet Ihre Frau dort auch?“

„Nein, tut sie nicht. Sie hat mir früher oft morgens im Großmarkt geholfen. Zuletzt nicht mehr. Arbeitet jetzt in einem Büro.“

„Hat das Büro nicht nach ihr gefragt?“

„Nein, weil sie zurzeit Urlaub hat.“

„Okay“, nickte Florian, „wie heißt Ihre Frau mit Vornamen?“

„Chiara, Chiara Tadori.“

„Fällt Ihnen irgendetwas ein, was für unsere Ermittlungen wichtig sein könnte?“

Er schüttelte wieder den Kopf. „Nein, wirklich nichts.“

„Gut, Herr Tadori, dann belassen wir es erst einmal dabei. Ich werde die üblichen Nachforschungen anstellen lassen, Unfallstationen, Krankenhäuser und so weiter. Dann hören Sie wieder von uns, von mir oder einem meiner Kollegen.“

Florian war froh, als er die Wohnung von Tadori verlassen konnte, ein Besuch ohne hilfreiche Erkenntnisse. Als er in die Ettstraße zurückfuhr, dachte er, eigentlich weiß ich jetzt genauso viel oder wenig wie vorher.

Wanninger brütete gerade über einem älteren ungelösten Fall, als Florian eintrat. „Und?“, wollte er wissen. „Ist die Frau wiederaufgetaucht?“

„Nein, ist sie nicht. Den Weg hätte ich mir ersparen können. Der Ehemann weiß überhaupt nichts, behauptet er wenigstens. Seine Frau ist bereits vor ungefähr einer Woche nach einem Streit abgehauen und er hat wahrscheinlich die ganze Zeit vor sich hin gemault.“

„Das ist doch nichts Ungewöhnliches, Florian. Wenn Sie mal verheiratet sind, können Sie den Mann bestimmt ein wenig besser verstehen.“ Wanninger grinste verschmitzt. „Fragen Sie doch mal nach, ob sie irgendwo gelandet ist, Krankenhaus und so weiter.“

„Und warum soll ich das machen?“

„Weil Sie den Mann gerade kennengelernt haben. Ist doch blöd, wenn jedes Mal ein anderer Beamter bei diesem Tadori aufkreuzt und die gleichen Fragen stellt.“

„Von mir aus“, maulte Florian und klemmte sich ans Telefon. Doch eine Chiara Tadori war weder in einem Krankenhaus bekannt noch stand ihr Name in einem Unfallbericht. Es gab auch keine unbekannten Einlieferungen in den Krankenhäusern.

„Ist sie denn mit dem Auto weggefahren?“, wollte Wanninger wissen.

„Hab ich nicht gefragt“, knurrte Florian ärgerlich, aufgrund stundenlangen Telefonierens ohnehin erledigt.

Lena hatte interessiert zugehört. „Ich denke, wir sollten den Tadori ein wenig genauer unter die Lupe nehmen. Ist schon sehr merkwürdig, wenn die Ehefrau seit einer Woche verschwunden ist und er immer noch den Beleidigten spielt. Mein Mann würde mich garantiert am nächsten Tag überall suchen.“

„Ihr seid auch noch nicht so lange verheiratet“, antwortete Florian.

„Ach ja? Da kennst du dich wohl aus?“

„Nein, aber der Chef.“

Wanninger räusperte sich. „Ich denke, dass es nicht um euch beide geht. Mein Vorschlag ist, dass ihr gemeinsam Herrn Tadori aufsucht und alle weiteren offenen Fragen stellt. Wäre das eventuell möglich?“

„Na gut“, antwortete Florian griesgrämig, „dann kümmert sich eben neuerdings die Mordkommission um eine vermisste Person. Vielleicht nehmen wir einen Spürhund mit.“

„Keine schlechte Idee“, grinste Wanninger, „und die Waffen nicht vergessen!“

Thomas überlegte. „Vielleicht hat sie einen Freund, bei dem sie untergetaucht ist?“

„Ja, das wäre auch nichts Ungewöhnliches“, stimmte Wanninger zu.

Also meldeten sich Lena und Florian wieder telefonisch bei Tadori an und fuhren in die Winthirstraße.

„Haben Sie neue Nachrichten?“ Tadori machte einen besorgten Eindruck, als die beiden Polizisten eintraten.

Florian reichte Tadori die Hand. „Meine Kollegin, Frau Paulsen. Leider noch nichts, Herr Tadori, oder besser Gott sei Dank, denn bestimmt taucht sie in Kürze wieder auf.“

Lena begrüßte Tadori ebenfalls. „Wir haben in allen Krankenhäusern nachgefragt und in allen Polizeiinspektionen. Der Name Ihrer Frau taucht nirgendwo auf. Das sollte eher eine positive Nachricht sein.“

„Für weitere Ermittlungen benötigen wir von Ihnen genauere Informationen“, erklärte Florian, „wir müssen Sie über Ihr Umfeld befragen.“

„Was heißt Umfeld? Ich habe doch schon alles gesagt“, regte sich Tadori auf.

„Ich wundere mich“, begann Lena, „dass Sie Ihre Frau erst nach einer Woche vermissen. Mein Mann würde mich bestimmt schon am nächsten Tag suchen.“

„Sie fragen immer das Gleiche.“ Tadori schien genervt.

„Ist Ihre Frau mit dem Auto weggefahren?“

„Ja, ich glaube.“

„Sie glauben?“ Florians Stimme wurde eine Spur schärfer. „Herr Tadori, ich schlage vor, dass Sie jetzt ein wenig deutlicher werden. Es könnte sonst der Verdacht entstehen, dass Sie sehr genau wissen, wo Ihre Frau geblieben ist.“

„Wirklich nicht, verdammt noch mal“, maulte Tadori erkennbar unsicher, „ich mach euch jetzt einen Espresso, dann schau ich in der Tiefgarage nach.“

„Ja, gute Idee“, nickte Lena, „und wegen fehlender Kleidung und Wäsche überprüfen Sie bitte den Schrank Ihrer Frau.“

Der Espresso stand nach wenigen Minuten auf dem Tisch. Tadori schien erleichtert, kurz verschwinden zu können.

„So einen Espresso können nur Italiener“, lächelte Lena.

Kurz danach tauchte Tadori wieder auf. „Ihr Auto ist weg“, erklärte er.

„Jetzt die Wäsche!“, forderte Lena.

Als er aus dem Schlafzimmer zurückkehrte, schüttelte er den Kopf. „Ich weiß es wirklich nicht, weil ich nie in ihrer Wäsche rumkrame. Das mag sie auch nicht.“

„Kann es sein, dass Ihre Frau einen Freund hat?“ Damit überraschte Florian ihn total.

Tadori schoss mit feuerrotem Kopf hoch. „Was? Wo denken Sie hin? Meine Frau doch nicht.“

„Da wäre Ihre Frau weder die erste noch die letzte“, entgegnete Florian.

Tadori stand noch immer vor ihnen. „Mann, wir sind Italiener. Wenn sie mich betrügen würde, dann …“ Er unterbrach sich und hielt die Hand vor den Mund.

„Genau, das könnte doch sein, Herr Tadori …“ Florian wurde lauter als sonst. „Was wäre denn, wenn Ihre Frau Sie betrügen würde?“

„Nichts, das ist mir nur so rausgerutscht.“

Lena machte eine heimliche Bewegung zu Florian. „Herr Tadori, Sie geben uns jetzt bitte Folgendes: Kfz-Kennzeichen des Autos, Name und Adresse Ihrer Schwägerin und Name und Adresse des Arbeitgebers Ihrer Frau.“

„Name und Adresse meiner Schwägerin habe ich Ihrem Kollegen schon gegeben.“ Leicht zynisch fügte er hinzu: „Vielleicht hat er den Zettel verloren.“

Auf Florians Stirn bildete sich eine senkrechte Falte, doch er sagte nichts. Als Tadori die übrigen Informationen notiert hatte, verließen ihn Lena und Florian wieder.

„Ganz schön peinlich“, bemerkte Lena im Hausflur, „wo ist denn die Adresse von Tadoris Schwägerin?“

„Auf meinem Schreibtisch“, brummte Florian verlegen.

„Dann fahr ich am besten mal zu Chiara Tadoris Schwester“, erklärte Lena ihrem Chef, nachdem sie sich mit Florian besprochen hatte.

„Ja, ist in Ordnung. Vielleicht ergibt sich endlich mal irgendein Anhaltspunkt. Florian, Sie schreiben den Pkw zur Fahndung aus, wie war das Kennzeichen?“

„M-CT-99. “

„Aha CT, Chiara Tadori. “

„Der Kopf, von dem uns der Doc berichtet hat?“, überlegte Thomas.

„Was ist damit?“

„Ob das ihr Kopf ist?“

„Wird geprüft. Aber wir sollten nicht sofort mit dem Schlimmsten rechnen“, winkte Wanninger ab. „Immerhin werden in München täglich irgendwelche Leute vermisst. In der Regel tauchen sie nach ein paar Tagen wieder auf. So, wie ihr den Tadori geschildert habt, ist die Frau wahrscheinlich bei ihrem Freund untergetaucht. Die Schwester ist garantiert eingeweiht, Lena wird das herausfinden.“

Chiara Tadoris Schwester, Luisa Schuster, wohnte in Schleißheim in einem kleinen Reihenhaus. Sie öffnete die Tür.

„Grüß Gott, Frau Schuster“, stellte sich Lena vor. „Ihr Schwager, Luca Tadori, vermisst seine Frau.“

„Ja, ich weiß, bitte treten Sie näher.“

Sie bot Lena eine Tasse Kaffee an.

„Es stellen sich verschiedene Fragen, Frau Schuster. Wir meinen, dass Sie uns gewiss ein wenig behilflich sein könnten.“

„Ich weiß auch nicht, wo Chiara jetzt ist“, antwortete Frau Schuster.

„Vielleicht taucht sie in den nächsten Stunden oder Tagen wieder auf“, begann Lena vorsichtig. „Wir haben inzwischen Herrn Tadori zweimal befragt, es sind uns verschiedene Ungereimtheiten aufgefallen.“

„Ach ja, welche?“

„Herr Tadori gibt zu, dass es mit seiner Frau wiederholt zu Streit gekommen ist. Angeblich ist sie deswegen mehrmals zu Ihnen gefahren.“

„Jaaaa, das stimmt“, zögerte sie zunächst und nickte verhalten.

„Dieses Mal aber nicht?“

„Nein.“

„Wir könnten uns vorstellen, dass Frau Tadori noch irgendjemanden kennt, bei dem sie sich aufhalten könnte.“

„Meinen Sie einen Mann, also einen Freund?“

„Ja, genau.“

„Das ist völlig ausgeschlossen. Ich wüsste es. Wir hatten keine Geheimnisse.“

„Könnte man sagen, dass die Ehe der Tadoris nicht so optimal ist?“

„Das ist sehr vornehm ausgedrückt“, antwortete Frau Schuster. „Chiara will sich schon seit einiger Zeit scheiden lassen.“

„Weiß ihr Mann davon?“

„Natürlich. Wir alle sind Italiener, da fliegen schon mal die Fetzen. Da sagt man auch manchmal was Doofes.“

Lena überlegte kurz, dann entschloss sie sich zu fragen: „Könnten Sie sich vorstellen, dass ihr Mann ihr etwas angetan haben könnte?“

„Luca?“ Frau Schuster schüttelte entschieden den Kopf und lachte los. „Auf keinen Fall. Er ist zwar manchmal aufbrausend, genau wie seine Brüder, aber ansonsten ist er in Ordnung. Sie verstehen sich ganz einfach nicht mehr. Chiara wünscht sich ein Kind und Luca möchte, dass sie im Familienbetrieb arbeitet.“

„Das eine schließt doch das andere nicht aus. Ein Kind ist kein Hinderungsgrund für so eine Tätigkeit. Im Gegenteil, es schweißt vielleicht eher zusammen, könnte ich mir vorstellen. Oder nicht?“

„Ja, schon“, zögerte Frau Schuster, „früher hat sie Luca immer wieder mal morgens in der Großmarkthalle geholfen, jetzt nicht mehr. Aber da ist noch etwas …“

„Ach ja?“

„Chiara hasst Lucas Brüder und würde niemals mit ihnen arbeiten wollen. Ich glaube, da war mal was, so genau hat sie mir das nicht erzählt. Sie hat sich wahrscheinlich geschämt. Lucas Bruder Alfredo ist ebenfalls verheiratet. Nun, meine Schwester ist eine sehr schöne Frau, Alfredos Frau ist …, äääh …, eher das Gegenteil. Und Mario wechselt sowieso regelmäßig seine Freundinnen.“

„Sehr interessant. Und Sie meinen, dass sie ihre Schwager nicht leiden kann, weil einer mal zudringlich war? Wieviel Brüder sind es denn?“

„Sie sind drei Brüder, Mario ist der Jüngste, dann Luca. Alfredo ist der Älteste. Und dann gibt es noch eine jüngere Schwester, Renata.“

„Könnte Chiaras Verschwinden mit einem der Brüder zusammenhängen?“

Frau Schuster wehrte ab: „Glaube ich nicht. Was immer war, es liegt lange zurück.“

„Luca Tadori sagte uns, dass er im eigenen Obst- und Gemüsebetrieb der Familie arbeitet. Welcher Beschäftigung gehen denn seine Brüder nach?“

„Genau genommen sind die Brüder sehr erfolgreich. Es gibt insgesamt fünf Geschäfte in verschiedenen Stadtteilen. Die Brüder haben sich die Aufgaben geteilt. Luca kümmert sich um den Einkauf im Großmarkt. Mario, das ist vielleicht der Netteste, er macht den Verkauf. Er sorgt dafür, dass der Verkauf in allen Geschäften reibungslos klappt, dass die Verkäuferinnen freundlich zu den Kunden sind und nichts in deren eigene Taschen fließt. Sie verstehen?“ Frau Schuster machte eine eindeutige Handbewegung und grinste. „Mario hat seine Augen überall.“

„Und Alfredo?“

„Ja, der Alfredo“, sie wiegte den Kopf hin und her, „Alfredo ist der Finanzchef. Ich mag ihn nicht so sehr, er ist ein richtiger Macho. Und knallhart, sogar zu den eigenen Brüdern und der ganzen Familie. Wenn irgendetwas nicht nach seiner Pfeife läuft, rastet er aus. Sie können sich nicht vorstellen, wie der brüllen kann.“

„Hm, gut zu wissen.“

„Ich möchte aber nicht, dass er erfährt, dass ich …“

„Nein, Frau Schuster, keine Sorge.“

„Ich hätte vor Alfredo nämlich ebenfalls Angst.“

Lena beobachtete Frau Schuster einige Zeit genau und wechselte dann das Thema: „Wenn Luca Tadori täglich in den Großmarkt fährt, hat das doch gewiss einen Einfluss auf das Familienleben, vor allem, wenn ihn seine Frau nicht mehr begleitet.

---ENDE DER LESEPROBE---