Tomaten-Terror - Ben Lehman - E-Book

Tomaten-Terror E-Book

Ben Lehman

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Beschreibung

Ein unerklärlicher Unfall in Obergrandau. Ein alter Pkw rast in eine Verkehrsampel. Der Fahrer steigt anscheinend aus und wird erschossen. Ein seltsamer Zeuge redet nur wirren Unsinn. Keiner kennt das Mordopfer. Dann wird ein Mann in der Kreisstadt Bad Reichenhall vermisst. Das ist tatsächlich der Tote aus Obergrandau, aber sein Name ist nirgendwo registriert. Wer ist er und warum wurde er ermordet? Eines Morgens wird die neue Ketchup-Fabrik von Siegfried Lang erpresst – Forderung: eine Million Euro – trotz Zahlungsbereitschaft wird die gesamte Produktion vergiftet. Die Suchen nach dem Ermordeten und seinem Mörder, sowie den Erpressern der Ketchup-Fabrik scheinen unlösbare Probleme zu sein. Hauptkommissar Hühnerbein, genannt Hühner, und seine Mitarbeiter Siegel und Weber treten lange Zeit auf der Stelle.

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Inhaltsverzeichnis

Tomaten-Terror

1.

2.

3.

4.

5.

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7.

8.

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59.

60.

München Krimis von Ben Lehman

Impressum:

Texte: © Copyright by Ben Lehman Umschlag: © Copyright by Ben Lehman Verlag: Ben Lehman

Von-der-Tann-Straße 12 82319 Starnberg [email protected]

Tomaten-Terror

Zweiter Provinz-Krimi

1.

Üblicherweise betrat Hauptkommissar Hühnerbein morgens sein Büro missmutig, weil er nie richtig ausgeschlafen schien. Bevor er seinen selten stressigen Arbeitstag in Angriff nehmen konnte, lechzte er immer nach einem Haferl starken Kaffee. Allerdings hasste er die uralte Kaffeemaschine im Flur, die oft grundlos ihren Dienst einstellte, unerklärlicherweise immer dann, wenn sie dringend benötigt wurde. Deshalb verlangte er vorsorglich seinen Kaffee mit dem Handfilter gebrüht, schließlich war er der Chef. Sein Mitarbeiter Gottfried Siegel konnte das besonders gut, weil er für Hühnerbeins Morgentasse ohne Rücksicht auf den Staatshaushalt vier Löffel Kaffeepulver, manchmal auch fünf in den Filter einfüllte. Das machte ihm einen Höllenspaß. Irgendwann musste dem Chef die Brühe doch mal zu stark werden, vielleicht kippte er dann aus den Latschen. Bis heute jedoch nichts dergleichen. Je stärker der Kaffee, desto eher konnte man mit ihm normal reden.

An diesem Tag war aber alles anders. Hühner, also Hühnerbein, hatte die Tür aufgerissen und war erregt hereingestürmt.

„Aber hallo“, wunderte sich Siegel, „geht´s dir nicht gut? Hast du schlecht geschlafen?“

„Seid ihr immer noch hier?“, pfiff Hühner seine Kollegen an.

„Wieso immer noch?“ Siegel grinste schelmisch, weil Hühnerbeins Mokka längst vor sich hin dampfte. „Ist doch erst halb neun. Sollen wir jetzt schon Feierabend machen, Chef?“

„Quatsch, Gotti! Das würde euch so passen!“, rief Hühnerbein, „macht, dass ihr wegkommt! Ein schwerer Verkehrsunfall, der muss umgehend aufgenommen werden. Es soll sogar einen Verletzten gegeben haben.“

Siegel zuckte die Schultern und schielte zu seinem Kollegen Max Weber. „Längst bekannt. Wir schuften schon seit fast einer Stunde. Unsere Arbeit macht sich schließlich nicht von allein. Und den Verkehrsunfall packen wir anschließend an. Eilt doch nicht. Der Ermordete rennt uns schon nicht davon.“

„Der Ermordete?“, ging Hühnerbein entsetzt auf. „Ich dachte, ein Verletzter. Bist du dir sicher, dass einer ermordet wurde? Was ist denn da passiert?“

„Wegen eines Verletzten ruft man normalerweise den Notarzt und die Polizeistreife. Wir sind bekanntlich die Mordkommission, Chef. Es hat halt einen Toten gegeben, deshalb müssen wir hin. Und da soll irgendetwas seltsam sein, sagt der Doktor.“

„Hat das der Notarzt in unser Polizei-Intranet geschrieben, oder woher wisst ihr das? Muss ich sofort prüfen!“ Hühnerbein griff in seine Jackentasche und zog ein Handy heraus. Er wischte souverän darauf herum.

„Oha“, rief Weber, „seit wann hast du ein Smartphone?“

Hühnerbein grinste überlegen. „Gell, da schaut´s? Bin ich euch mal wieder einen großen Schritt voraus. Wie immer.“

Siegel und Weber hoben gleichzeitig ihre Mobiltelefone hoch. „Und? Was haben wir in der Hand? Meinst du, das wäre eine Fernsteuerung für den Fernseher?“

„Ich dachte, äääh …“ Hühnerbein fiel keine passende Antwort ein.

Vorsichtig fragte Weber. „Und? Kommst du damit schon einigermaßen klar? Ist schließlich nicht so einfach mit dieser Andrea oder wie die Tante heißt.“

„Android“, berichtigte Siegel.

„Klar doch.“ Hühnerbein nickte. „Hab eben eine kluge Tochter, die weiß alles und hilft natürlich ihrem gestressten Vater. Wenigstens die ersten Schritte. Alles Weitere kann ich schon selbst. Bin schließlich nicht blöd.“

„Du hast eine Tochter?“, wunderte sich Siegel. „Von der hast du uns noch nie erzählt.“

„Ihr habt mich noch nie gefragt.“

„Du machst aus deinem Privatleben schon immer ein Staatsgeheimnis. Im Gegensatz zu uns. Wir sind miteinander immer offen und ehrlich.“

„Ach ja, seit wann denn?“

„Schon immer. Wie heißt denn dein kleiner Nachwuchs?“

„Kleiner Nachwuchs? Chiara“, erklärte er stolz, „Ja, Chiara heißt sie, und sie studiert Informatik in Rosenheim.“

Die Mitarbeiter grinsten sich heimlich zu. Siegel murmelte dann total ernst: „Sag bloß!“

„Wenn ich jetzt endlich meinen Kaffee bekomme könnte? Und ihr verschwindet jetzt erst mal und machte eure Arbeit.“

Weber reagierte verschnupft. „Kaffee steht schon ewig auf deinem Schreibtisch, wenn er nicht bereits kalt geworden ist. Du hast übrigens Besuch. Sie wartet seit einer halben Stunde und hat schon dreimal gefragt, wo du bleibst.“

„Besuch? Um diese Zeit?“

„Sie dachte, du arbeitest ab acht Uhr morgens, weil du immer schon um halb acht von zu Hause verschwindest und zehn Minuten später am Arbeitsplatz sein müsstest.“

„Äääh … ich? Wieso weiß sie das?“

„Frag sie!“

Hühnerbein öffnete die Tür zu seinem Büro und warf sie hinter sich zu.

„Hast du das gehört?“, gackerte Siegel los. „Hühners Tochter heißt Chiara, Chiara Hühnerbein. Das arme Mädchen. Vielleicht hat sie auch noch dünne Hühnerbeine. Hoffentlich findet sie mal einen Mann mit einem normalen Namen.“

Weber nickte grinsend. „Vielleicht Entenbrust. Chiara Entenbrust-Hühnerbein. Klingt doch nicht schlecht, oder?“

„Sag gleich Schweinshaxe, weil du die besonders gerne magst.“

Daraufhin setzten sie sich in Bewegung.

„Wer weiß, wie die Chiara aussieht. Hoffentlich nicht so wie der Herr Papa.“

„Kann gar nicht sein“, reagierte Siegel, „unseren Hühner gibt’s nur ein einziges Mal auf der ganzen Welt.“

In Hühnerbeins Arbeitszimmer saß seine Nachbarin von gegenüber, Renate Kleinhofer.

„Renate? Was machst du denn hier?“

„Ja warten tu ich auf dich. Was denn sonst?“

„Ach geh“, entgegnete Hühnerbein, „du bist doch noch nie bei mir eingedrungen.“

„Eingedrungen, sagst du? Ja, soll ich vielleicht gleich wieder verschwinden und einen Antrag in dreifacher Ausfertigung stellen, Herr Hauptkommissar?“

„Nein, nein, bleib nur. Ich trink rasch meinen Kaffee. Ist eh schon fast kalt. Danach muss ich dringend ein Verbrechen aufklären.“

„Dein Kaffee steht schon lange hier. Du frühstückst doch immer schon zu Hause. Brauchst du dann gleich noch ein zweites Frühstück? Überarbeiten tut ihr euch hier gewiss nicht, Gerhard, wenn ihr schon um acht Uhr Kaffeepause macht.“

„Es ist halb neun, liebe Renate.“

„Aber der Kaffee steht seit acht Uhr hier. So lange warte ich bereits auf dich.“

„Gut, gut“, erwiderte Hühnerbein jetzt in seinem geschäftlichen Ton mit entsprechender Polizistenmiene. Wieso hockte die bereits um acht Uhr in der Früh in seinem Büro?

Er zwang sich, freundlich zu bleiben: „Was führt dich denn zu mir, liebe Renate? Ist was passiert?“

„Nein lieber Gerhard. Ich wollte dich nur was fragen.“

„Ach ja?“

„Ja, deine Tochter studiert doch in Rosenheim irgendwie Info oder so was Ähnliches.“

„Ja, Informatik. Das ist eine ganz moderne Wissenschaft. Wieso interessiert dich das?“

„Ich weiß das doch eh schon lange, deine Frau redet über nichts Anderes. Sie ist schon sehr stolz auf eure Chiara.“

„Ich auch, Renate, ich auch. War das alles?“

„Wieso? Ich habe doch noch gar nichts gefragt. Willst du mich jetzt rauswerfen?“

Hühnerbein schüttelte den Kopf und schlürfte seinen kalten Kaffee.

„Also, ich wollte dich was fragen, Gerhard.“

Hühnerbein blickte nervös auf die Uhr.

„Mein Sohn Rupert studiert auch in Rosenheim, wie eure Chiara.“

„Ach ja, wusste ich nicht.“

„Ja, er studiert auch irgendwas ganz Modernes mit Grafik. Aber der Schulweg ist halt sein Problem. Von Obergrandau nach Rosenheim ist es schon recht weit. Unsere Kinder könnten doch zusammen hinfahren. Was hältst du davon? Du hast doch deiner Chiara einen Polo geschenkt.“

„Genau, ich habe ihr ein Nichtraucherauto gekauft, weil sie versprochen hat, nicht mehr zu rauchen, wenn sie ein Auto bekommt.“

„Weiß ich. Aber weil der Sprit so verdammt teuer ist, könnten sie sich leicht die Kosten teilen. Hätten beide was davon, und mein Rupert müsste nicht immer ewig mit Bus und Bahn unterwegs sein.“

Hühnerbein zuckte die Schultern. „Wieso kommst du damit zu mir? Du quatschst doch sonst auch über alles mit der Inge.“

„Deine Frau sagt, ich soll dich fragen, weil du sonst wieder sauer reagierst.“

Hühnerbein knurrte. „Ist mir richtig wurscht“, brummte er in sich hinein, „ich verstehe nicht, warum ich sauer sein soll, wenn sich die beiden die Spritkosten teilen. Rede mit der Inge oder mit der Chiara und deinem Rupert. Die sind schließlich alt genug.“

„Und was meinst du persönlich dazu?“

„Habe ich gerade gesagt, ist mir wurscht. Und jetzt lass mich meine Arbeit machen.“

„Die Chiara raucht nicht mehr, oder?“

„Nein, habe ich gerade gesagt. Nicht im neuen Auto.“

„Der Rupert schon. Er braucht morgens immer eine Gute-Morgen-Zigarette, sonst ist er saugrantig.“

„Ich sagte gerade, dass ich Chiara ein Nichtraucherauto geschenkt habe.“

„Ja eben. Deswegen soll ich doch mit dir reden.“

„Es ist ein Nichtraucherauto“, bellte Hühnerbein, „sonst ist es weg.“

„Aber Inge meint auch …“

Hühnerbein stand unwillig auf. „Ich kann nicht länger blöd rumquatschen. Muss mich jetzt um den Mord kümmern. Mach´s gut, Renate.“

Er schob sie zur Tür.

Renate Kleinhofer blieb nichts Anderes übrig. „Ja, ich habe schon verstanden. Die Tasse Kaffee ist eh leer. Dann überarbeite dich nicht. Servus, Gerhard.“

Siegel und Weber nahmen ihre Jacken vom Haken und verließen ihr Büro.

„Gehen wir die paar Meter zu Fuß, Max?“, wollte Siegel wissen.

Weber schüttelte den Kopf. „Wir müssen den Dienstwagen nehmen und schalten die Sirene ein, weil es ein dienstlicher Einsatz ist.“

Es waren nur wenige hundert Meter bis zur Unfallstelle an der Kreuzung Luisen- und Herzogstraße. Dort angekommen, schaltete Siegel die Sirene aus, das Blinklicht ließ er weiterlaufen. Sie setzten ihre Dienstmützen auf und stiegen aus. Ein alter Opel Kadett war an die Ampel geknallt und hatte sie so schwer beschädigt, dass sie schräg in der Verankerung hing und umzukippen drohte. Den Verkehr der Kreuzung regelte jetzt ein Polizist.

Dr. Klaus Riesner, Internist mit eigener Praxis, an diesem Tag als Notarzt für Obergrandau und Umgebung im Einsatz, beugte sich über den Mann, der neben dem Fahrzeug auf dem Bürgersteig lag. Er erhob sich und begrüßte die Polizeibeamten. „Grüß euch. Schön, dass ihr endlich kommt.“

„Ging nicht schneller, Klaus“, erklärte Max Weber, der Dr. Riesner aus dem Sportverein kannte, „wir haben zurzeit alle Hände voll zu tun. Wieso liegt der eigentlich auf dem Bürgersteig? Wie sollen wir sorgfältig ermitteln, wenn ihr ihn aus dem Fahrzeug gezogen habt?“

„Hat niemand rausgezogen, soviel ich weiß. Frag ihn selbst, wieso er auf dem Bürgersteig liegt“, grinste Riesner, „ich. Ich habe ihn so vorgefunden.“

„Habt ihr den angerührt?“, rief Siegel einem Streifenpolizisten zu, der gerade seine Dienstmütze vom Kopf nahm, nachdem von da an, sein Kollege die weitere Arbeit übernehmen sollte.

Der schüttelte den Kopf. „Der lag so da, als wir kamen.“

„Und wer hat euch gerufen?“

„Der Mann mit dem Hund.“ Der Beamte deutete zu einem Mann, der an einer Litfaßsäule lehnte, ein verschroben wirkender Kerl.

„Wir kommen gleich zu Ihnen“, rief ihm Weber zu.

Siegel betrachtete den kaputten Kadett. „Das ist ein echt teurer Schaden – und dann noch die kaputte Ampel.“

Weber nickte. „So zerdeppert landet die alte Kiste garantiert in der Schrottpresse. Rausgeschleudert worden ist der Typ wahrscheinlich nicht, obwohl beide Türen offen sind. Sieht irgendwie nach Flucht aus. Hat einer von euch die Türen geöffnet? Waren sie geschlossen, als ihr ankamt?“

Riesner zuckte die Schultern. „Ich habe sie nicht angerührt.“

„Waren die Türen offen oder geschlossen?“, sprach Siegel wieder den Streifenpolizisten an.

„Die waren offen, als wir kamen.“

„Wie lange könnte er tot sein?“, wandte sich Siegel an den Arzt.

„Schätzungsweise vier bis fünf Stunden, mindestens“, meinte Dr. Riesner.

Siegel überlegte. „Und wieso donnert der in die Ampel? Vielleicht war der Kerl total besoffen? Das müssen wir überprüfen, Doc! Also, der Unfall muss folgendermaßen passiert sein. Der Mann ist im Vollrausch an die Ampel geknallt und hat sich schwer verletzt. Aussteigen konnte er gerade noch, er hatte vielleicht Angst, dass das Fahrzeug in Flammen aufgeht. Ist schon öfter passiert. Die paar Meter hat er es noch geschafft, dann ist er tot zusammengebrochen.“

Weber nickte zustimmend. „Ja, so könnte es gewesen sein. Er wollte die 110 anrufen, konnte es aber nicht mehr.“

„Ein Handy habe ich hier nicht gefunden“, bemerkte Dr. Riesner.

„Ja, also dann“, überlegte Siegel, „dann müssen wir danach suchen.“

„Sollen die Polizisten übernehmen“, schlug Weber vor.

„Vielleicht hat er eine Telefonzelle gesucht.“

„Es gibt hier in der Nähe keine“, erklärte Riesner.

„Wir wissen das, aber er wusste das wahrscheinlich nicht, weil er hier fremd war.“

Riesner schüttelte den Kopf. „Reine Spekulation.“

„Und die Todesursache?“

Dr. Riesner blickte die Polizisten lange an. Dann sagte er: „Hat offensichtlich mit dem Unfall nicht direkt zu tun. Er wurde erschossen.“

Siegel ächzte. „Was? Erschossen? Oh Gott. Wenn das der Hühner erfährt, dreht er durch.“ Er schaute von einem zum anderen: „Dann muss ich meine Annahme korrigieren. Es wird ganz anders gewesen sein. Er ist gegen die Ampel gedonnert, dann ist er ausgestiegen und hat sich erschossen. Also Selbstmord.“

„Du redest heute wirklich einen echten Schmarrn, Gotti“, schimpfte Max.

„Wieso denn? Vielleicht liegt die Waffe hier irgendwo rum?“

Riesner schüttelte den Kopf. „So einfach ist die Sache nicht. Ich sagte doch, er wurde erschossen, kein Selbstmord. Aus ein bis zwei Meter Entfernung, mindestens, so lange Arme hat niemand. Hätte er Selbstmord begangen, gäbe es an seiner Hand Schmauchspuren. Sind aber keine zu erkennen. Ich bin mit meiner Untersuchung fertig, morgen schicke ich euch den Bericht. Dann könnt ihr jetzt mit eurer Arbeit beginnen. Die Leiche muss anschließend in die Gerichtsmedizin nach Bad Reichenhall gebracht werden. Macht´s gut!“

Siegel und Weber gingen zu dem wartenden Zeugen. „Sie heißen?“

„Manfred Weizenbauer. Sagt´s einfach Manni zu mir, so nennen mich hier alle.“ Er grinste. „Und der da ist der Bonzo.“ Dabei zeigte er auf einen mittelgroßen braun-schwarzen Mischlingshund mit einem weißen Fuß und altersbedingter weißer Schnauze.

„Sie haben die Polizei gerufen!“, begann Weber. „Was haben Sie gesehen?“

„Ja nix hab ich gseng. I geh mit dem Bonzo Gassi, da hängt dieser Karrn in der Ampel, und der da“, er deutete auf den Toten, „liegt auf der Straßn und rührt si net. Des war´s. Sonst nix.“

„Und Sie waren sich sicher, dass er tot ist?“

„Freili, er war ja eiskoit.“

„Aha“, Weber nickte, „er war eiskalt, und dann haben Sie die Polizei gerufen?“

„Ja muass i doch, sonst war koaner von eich kemma. Kann i jetzt geh? Der Bonzo muass schon lang. Am End scheißt er no auf d`Straßn, direkt vor da Polizei.“

Siegel und Weber grinsten sich unentschlossen an und ließen Weizenbauer gehen, nachdem sie seine Personalien aufgenommen hatten. Daraufhin zogen sie Latexhandschuhe über und begannen, das Fahrzeug eingehend zu untersuchen und zu fotografieren.

„Das waren aber zwei“, meinte Max.

„Ist doch klar. Mindestens“, nickte Gotti.

„Wieso mindestens?“

„Kann auch sein, dass drei oder vier im Auto saßen, die sich dann verdrückt haben. Einer ist gefahren, und ein anderer hat geschossen. Der Dritte liegt hier.“

Danach untersuchten Sie die Taschen des Toten. „Schon seltsam“, überlegte Max, „keine Papiere, keine Geldbörse, kein, was weiß ich.“

„Wird nicht einfach“, stimmte Gotti zu.

2.

Der Taxifahrer Walter Schmidtbauer, gebürtig aus Bad Reichenhall, war jahrelang ein echter Loser gewesen. Ein bedeutender Politiker zu sein, war mal sein angestrebtes Ziel gewesen. In Gedanken hatte er sich bereits ganz weit oben gesehen. Aber der gutaussehende junge Mann war leider schon immer ein fauler Sack gewesen. Statt für seine Prüfungen zu lernen, trieb er sich lieber in Diskos herum, mit schönen Mädchen, am liebsten eine links und eine rechts. Nach einigen Semestern Politikstudium, die ihn genau genommen langweilten, merkte er, dass er kaum mehr verstand, worüber in der Uni diskutiert wurde. Die Zwischenprüfung konnte er sich deshalb abschminken. So brach er sein Studium leichtfertig ab und machte sich auf den Weg in die USA. Das ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, meinte er. Doch in Washington wollte kein Mensch irgendetwas von einem verkrachten deutschen Studenten der politischen Wissenschaften wissen. Um nicht zu verhungern, nahm er jeden Job an, für den er ein paar Dollars erzielen konnte: Er verkaufte Hamburger, mähte Rasen bei reichen Leuten, wusch Leichen, auch Autos in einer Tankstelle, oft nicht nur verschmutzt, sondern schweinisch versaut und mit halbverfaultem Irgendwas, bis ihm klar wurde, dass sein Leben so nicht weitergehen konnte. Also beendete er dieses Trauerspiel.

Zurück in Deutschland, ging es ihm allerdings zunächst nicht viel besser. Als ihm schließlich ein Job als Taxifahrer in Obergrandau im Berchtesgadener Land angeboten wurde, nahm er diesen in Gottes Namen erst einmal an. Der reiche Siegfried Lang, von manchen Mitbürgern gehasst, von anderen als Wohltäter gepriesen, auf jeden Fall ein durchtriebener Fuchs, vermietete ihm ein kleines, ziemlich schäbiges Appartement im Souterrain eines seiner Häuser. Es kostete nicht viel.

Trotz seines jahrelangen Scheiterns hatte Walter sein sympathisches und anziehendes Wesen bewahrt. Eine seiner Schwächen war neben der Liebe zu schönen Frauen die ungezügelte Lust zu Ketchup, er verdrückte es in großen Mengen zu fast allen Gerichten, ausgenommen natürlich zu Kaiserschmarrn. Es störte ihn überhaupt nicht, dass Kopfschütteln die Reaktion aller zufälligen Beobachter war. Auch Siegfried Lang schüttelte verwundert den Kopf, wenn Walter sich im Gasthaus Huberwirt nach seiner Taxischicht von der attraktiven Kellnerin Rosi unaufgefordert Mengen von Ketchup-Beuteln zu fast jedem Essen auf den Tisch werfen ließ. Siegfried Lang, einer der reichsten Bürger von Obergrandau, überlegte lange, bis er zu der Überzeugung kam, dass er diesem sympathischen jungen Mann eine Perspektive anbieten könnte, natürlich hauptsächlich zu seinem eigenen Vorteil, denn er war nicht nur ein erfolgreicher, sondern auch ein ausgekochter Geschäftsmann.

Walter wurde daraufhin zum Gesicht von Langs Hofgut mit durchschlagendem Erfolg, auch dank der fotografischen Leistung von Langs Mitarbeiterin Sandra Dorfmeister. Bald kannte jedermann in Obergrandau Walters Gesicht, weil er von allen Litfaßsäulen charmant herunterlächelte. Unglücklicherweise baute Walter dennoch immer wieder irgendwelchen Bockmist, der ihn sogar für kurze Zeit ins Gefängnis brachte. Seine hübsche Freundin Leila, ebenfalls Mieterin in einem Haus Siegfried Langs, war oft fassungslos – und doch liebte sie ihren Walt, wie sie ihn getauft hatte.

Walters Ketchup-Begeisterung brachte Siegfried Lang auf den Gedanken, sein Biolandgut um eine Anlage zur Ketchup-Produktion zu erweitern, auch wenn Geschäftsführer Dr. Dampfer eine krachende Pleite voraussagte. Doch Lang beschloss trotzdem, wie immer, seine Überlegungen in die Tat umzusetzen und machte sich an die Planung. Er schlug Walter auch vor, dass er später für die Produktionsanlage die Verantwortung als Geschäftsführer übernehmen solle, weil er schließlich nicht blöd war. Walter wähnte sich bereits im siebten Berufshimmel. Doch zunächst musste er weiterhin Taxi fahren, um seinen Lebensunterhalt bestreiten und Langs Miete bezahlen zu können.

Der Taxistandplatz am Bahnhof Obergrandau war auch an diesem Tag übervoll, die Taxler warteten auf den nächsten Regio aus Rosenheim. Als der schließlich eintraf, rief leider nur eine einzige Frau nach einem Taxi. Vincent, ein schmächtiger Student, der ohne Unterstützung seiner Eltern sein Leben fristete, öffnete zuvorkommend die Tür seiner Limousine und fuhr mit seinem Gast davon.

Die übrigen Taxler – Maria, Karin, Paul, Mehmet und Walter – hatten das Nachsehen.

„Ich verdrück mich wieder“, erklärte Paul, der sein eigenes Taxi fuhr, „der nächste Zug kommt erst in zwei Stunden. Bis dahin hau ich mich aufs Ohr.“

„Du hast leicht reden, du Unternehmer, du“, schimpfte Maria, eine attraktive Taxlerin.

„Ach, Maria“, erwiderte Paul, „wie oft hast du das schon gesagt. Ich dachte, du wolltest deinen Job aufgeben und demnächst Klamotten verkaufen. Stattdessen hängst du hier immer noch rum und jammerst.“

„Nicht Klamotten verkaufen, Paul. Ich habe es mir überlegt, ich mach jetzt was ganz Anderes. Morgen unterschreibe ich meinen Vertrag, und dann klär ich euch auf.“

Mehmet, ein flegelhafter Taxler, kicherte. „Wahrscheinlich gehst du in eine Peepshow und wackelst mit dem, was du hast …“

Maria wandte sich an Walter. „Du kannst dir nicht vorstellen, Walter, wie ich den primitiven Mehmet vermissen werde.“

„Freut mich, freut mich riesig, Maria, wenn du mich vermisst. Wir können uns doch mal privat treffen und ein bisschen machen, was du gerne möchtest.“

„Dich werde ich gewiss nicht treffen, Arschloch!“, pfiff sie zurück und wandte sich wieder Walter zu. „Schade, Walter, dass der Lang Sigi mich nicht brauchen kann. Aber ab morgen wird sowieso alles anders.“

„Ich bin auf deinen neuen Job total gespannt. Warum ist das denn so ein Geheimnis, Maria?“

„Ich bin zu Verschwiegenheit verpflichtet.“

„Verschwiegenheit? Dann gehst du bestimmt zum Geheimdienst nach Pullach?“

„I wo. Ich soll nur bis zur Unterschrift die Klappe halten, und das habe ich versprochen. Der Job ist für mich sehr wichtig, und da muss ich aufpassen, dass ihn mir keiner vor der Nase wegschnappt. Ich finde Taxifahren schon lange zum Kotzen. Und das blöde Gequake von dem da wird endlich Vergangenheit sein.“ Sie deutete auf Mehmet.

„Ich muss zurzeit zwar auch noch Taxi fahren, Maria“, Walter zuckte die Schultern, „aber nicht mehr sehr lange …, hoffe ich zumindest.“

„Du hast es bald geschafft!“ Maria lächelte. „Walt, das Ökogesicht von Langs Biohof.“

„Ach, Maria, das ist alles noch nicht ganz sicher.“

„Aber in Grandau und Umgebung kennt dich jeder. Und der Lang Sigi braucht dich. Wenn du ihn im Stich lässt, geht sein Laden den Berg runter.“

„Du übertreibst, Maria. So ist das wirklich nicht. Aber ich mag meinen Job beim Sigi schon sehr gerne.“

„Musst nur aufpassen, dass du nicht wieder irgendwo reinrasselst, wegen Mord oder so. Ich könnte mir vorstellen, dass der Lang dich irgendwann nicht mehr raushaut.“

„Wirklich nicht, Maria. Passiert mir nie wieder! Und meine Unschuld hat sich immer bewiesen. Ich wünschte jedoch, ich könnte von meinen zwei Jobs besser leben. Kannst du das verstehen, Maria?“

„Ja klar. Geht mir nicht anders, deswegen werde ich auch die Kurve kratzen“, nickte Maria, „was ist eigentlich mit deiner Freundin Leila?“

„Was soll mit der sein?“

„Heiratest du sie bald?“

„Keine Ahnung. Ich glaube, sie will nicht.“

„Pass auf, dass sie dich nicht mal sitzen lässt. Die sieht echt gut aus und ist eine ganz Nette.“

„Schon.“

„Liebst du sie?“

Walters Telefon klingelte. Sigfried Lang war am Apparat. „Walter, ich brauche dich. Wir müssen über unsere neue Produktionsanlage reden. Ich habe gerade den Kaufvertrag unterschrieben.“

Walter stupste Maria an. „Maria, meine Zukunft hat gerade begonnen.“

„Sag bloß!“

„Doch, ich erzähl es dir morgen.“

Aufgeregt betrat Walter Langs Vorzimmer. Die Sekretärin deutete ihm einzutreten. Siegfried Lang saß mit einem Herrn im dunkelblauen Anzug bei Kaffee und Plätzchen.

Walter trat näher. „Grüß Gott.“

„Walter! Das ist Herr Dr. Eisenhofer. Er vertritt die Maschinenfabrik Krönauer in Regensburg. Herr Dr. Eisenhofer, das ist Walter Schmidtbauer, unser künftiger Fachmann für die neue Produktionsanlage.“

Walter und Dr. Eisenhofer begrüßten einander mit einem festen Händedruck. Eisenhofer hatte eine angenehme, tiefe Stimme, trug eine randlose Brille, über die er hinwegschauen konnte. Er nahm sie ab und sagte: „Freut mich, einen Kollegen kennenzulernen.“

„Schön wär´s“, erwiderte Walter. „Eigentlich muss ich erst eingewiesen werden.“

„Klar.“ Eisenhofer lächelte, „weiß ich doch. Aber Herr Lang sagte mir, dass Sie studiert haben und handwerklich geschickt seien. Da habe ich keine Sorge, dass Sie in kurzer Zeit jeden Handgriff beherrschen.“

„Setz dich“, forderte Lang ihn auf, „und bediene dich.“

Walter zog sich eine Tasse heran und goss Kaffee ein.

„Ich habe dir bereits am Telefon gesagt, dass ich den Kaufvertrag unterschrieben habe. Du wirst eine Woche zur Firma Krönauer nach Regensburg gehen und unsere künftige Anlage zur Produktion von Ketchup bis ins Detail kennenlernen. Wenn sie später hier installiert ist, übernimmst du die Verantwortung“, er hob drohend die Hand, „und stellst Mitarbeiter ein.“

Dr. Eisenhofer sagte: „Wir besprechen jetzt die Termine. Sie werden in unserem Firmengebäude eine kleine Gästewohnung bekommen. Essen können Sie in unserer Firmenkantine, uns schmeckt es dort immer ganz gut.“

Nachdem alles besprochen und die Ausbildung terminiert war, verabschiedete sich Dr. Eisenhofer.

„Also, Walter. Da jetzt unsere gemeinsame Zukunft besiegelt ist, wirst du deinen Job als Taxifahrer zum Monatsende kündigen. Du gehst nach Regensburg und wirst der große Ketchup-Zampano.“

„Bin ich doch jetzt schon.“ Walter grinste.

„Beim Vertilgen schon. Also, ab diesem Termin wirst du auch ein Gehalt bekommen. Wir schließen einen regulären Vertrag mit allem Tamtam. Danach wirst du für die neue Produktionsanlage verantwortlich sein.“

„Ich kann es noch gar nicht fassen.“

„Freust du dich?“

„Und wie! Aber ein ganz klein wenig traurig bin ich schon. Meine Taxler-Kollegen werde ich sehr vermissen.“

„Na ja, kannst ja öfter mal Taxi fahren, dann könnt ihr Gedanken austauschen. Lass uns jetzt die vertraglichen Einzelheiten besprechen.“

Die Polizeibeamten Siegel und Weber erstatteten Hühnerbein Bericht.

„Es war doch Mord“, begann Siegel, „auch wenn du gleich wieder ausflippst, weil dir Morde zuwider sind. Aber ein Verkehrsunfall war das auch noch.“

„Was fällt dir ein, Gotti? Ich bin noch nie ausgeflippt.“

„Habe ich anders in Erinnerung.“

„Hoffentlich habt ihr an der Unfallstelle nichts Wichtiges übersehen.“

„Davon kannst du ausgehen. Auf jeden Fall war es sowohl ein Verkehrsunfall als auch ein Mord.“

„Wann ist der Mord passiert?“

„Irgendwann halt, in der Früh.“

„Gotti, ich muss schon sehr bitten! Das war eine dienstliche Frage.“

„Dann frag den Doktor.“

„Doktor wer?“

„Äh …, wie heißt der gleich wieder, Max?“

„Dr. Riesner. Du kennst ihn doch, weil du von ihm kürzlich wegen Schnupfen krankgeschrieben wurdest.“

Hühnerbein stutzte, und Gotti schüttelte den Kopf. „Das war privat. Er hat gesagt, dass er morgen seinen Bericht schickt.“

„Also jetzt redet endlich! Ich will wissen, was dort genau passiert ist.“

Siegel erklärte: „Also. Da ist ein Kerl mit seinem Auto gegen die Ampel gedonnert.“

„Garantiert besoffen“, kommentierte Hühnerbein.

„Denken wir auch. Dann ist er ausgestiegen, ging ein paar Schritte und wurde erschossen. Sagt der Doktor.“

„Und was sagt ihr?“

„Nichts. Weil er der Doktor ist und ihn untersucht hat. Wir haben anschließend den Pkw unter die Lupe genommen, Fotos gemacht und ihn abschleppen lassen. Und dann wurde uns Verschiedenes klar.“

„Wieso?“

„Weil wir so sorgfältig gearbeitet haben, wie wir es im letzten Workshop in Reichenhall gelernt haben. Du warst ja nicht dabei.“

„Einer muss schließlich arbeiten“, murmelte Hühnerbein. „Was war das für ein Fahrzeugtyp?“

„Ein alter Opel Kadett.“

„Wer hat ihn erschossen?“

Weber und Siegel zuckten die Schultern.

„Was soll das heißen?“

„Das soll heißen“, erklärte Weber, „dass außer dem Toten niemand anwesend war. Sagt der Doktor auch.“

„Aha! Zeugen?“

„Ja, schon. Aber den kannst du vergessen. Weil er nichts gesehen hat.“

„Sagt er das?“

„Er behauptet, dass der Mann schon tot war, als er vorbeikam. Wir konnten ihn nicht so richtig vernehmen. Das hatten wir aber vor, Gerhard, ganz bestimmt.“

„Der ist euch also abgehauen? Und ihr beide habt blöd hinterhergeglotzt?“

„Nein, nein, der Bonzo konnte nicht länger warten.“

„Also noch ein Zeuge?“

„Nein, sein Hund. Der Mann, Weizenbauer heißt er – der war übrigens richtig lustig, so eine Art Waldbauernbub, wenn du verstehst, was ich meine – wie auch immer, der hat jedenfalls gesagt, dass der Bonzo jetzt dringend Gassi muss, sonst scheißt er vielleicht direkt vor der Polizei auf die Straße.“

Weber und Siegel unterdrückten verzweifelt ein Grinsen.

Hühnerbeins Gesichtszüge versteinerten sich auf der Stelle. „Blödmänner! Dann hättet ihr den Kerl auf der Stelle festnehmen müssen.“

„Und der Bonzo hätte vor unseren Augen …“

„Die Polizei wird nicht verscheißert, merkt euch das!“

„Jetzt beruhige dich wieder, Gerhard“, sagte Siegel, da Hühnerbeins deutlich erkennbare Halsschlagadern Schlimmes befürchten ließen.

„Beruhigen? Gotti, ich bin ganz ruhig. Den Kerl bestellt ihr ein. Morgen, verstanden? Habt ihr das Fahrzeug ordentlich untersucht?“

„Klar, wie schon gesagt. Sind wir Profis oder nicht?“

„Und? Nichts entdeckt?“

„Und ob.“

„Aha. Alles dokumentiert.“

Siegel nickte. „Wir haben jede Menge Fotos gemacht. Möchtest du die jetzt sehen?“

„Später. Jetzt schreibt ihr erst einmal euren Bericht.“

„Wieder langweiliger Büro Kram ohne Ende“, maulte Siegel, „ich mach das bald nicht mehr mit.“

„Raus mit euch!“

„Ich dachte, du willst unseren Bericht hören?“

„Was denn noch?“

„Erzähl du, Max“, stupste ihn Gotti an.

„Da war noch was“, begann Max Weber.

Hühnerbein klopfte mit dem Kugelschreiber auf die Tischplatte.

„Du regst mich auf, wenn du so nervös bist, Gerhard.“

Hühnerbein legte den Kugelschreiber auf den Schreibtisch und starrte Weber wartend an.

„Wir haben im Auto Blutspuren gefunden. Der Doktor untersucht sie, um festzustellen, ob sie vom Toten sind.“

Hühnerbein zuckte die Schultern. „Na und? Werden schon von dem Ermordeten sein. Von wem denn sonst?“

„Das ist ja das Merkwürdige. Die Blutspuren wurden auf dem Beifahrersitz gefunden.“

„Oha!“, entkam es Hühnerbein. „Sag bloß, dass er auf dem Beifahrersitz erschossen wurde.“

„Wenn die Blutspuren von ihm sind, wird es so sein.“

„Das heißt dann aber, dass ein anderer Kerl gefahren ist.“

Weber nickte.

„Wurden Fingerabdrücke am Lenkrad gefunden?“

„Logisch, mehrere.“

„Dann wisst ihr, was ihr zu tun habt. Morgen vernehmen wir diesen Hundehalter. Wie hast du gesagt, Waldbauernbub?“

3.

Walters Freundin Leila war eine ansprechende junge Frau. Attraktiv, mittelgroß, lange dunkle Haare, lange Beine und eine Figur, nach der man sich umdrehte, wenn sie die Straße entlangschlenderte, meist modern und geschmackvoll gekleidet. Von ihren schulischen Leistungen her war sie nicht die Allerklügste, meinte Lang, jedoch mit einer guten Portion Allgemeinwissen und Menschenkenntnis ausgestattet. Ihre Beobachtungsgabe hatte Walter wiederholt überrascht, aber auch in Schwierigkeiten gebracht. Lange Zeit war sich Walter nicht sicher gewesen, ob die schöne Leila ihm allein gehörte, bis sie ihm von ihrer schweren Kindheit und Jugend erzählte und wieso sie seit dieser Zeit ihren Geburtsnamen Annemarie nicht mehr tragen wollte. Damals hatte ihr Siegfried Lang wie ein Vater zur Seite gestanden. Bis zum heutigen Tage war sie ihm dafür dankbar und hatte sich vorgenommen, ihn niemals im Stich zu lassen, sollte der alleinstehende Herr jemals Hilfe benötigen.

Walter umarmte und küsste sie, als er sie am Abend besuchte. Sie hatte die Haare mit einem roten Band zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

„Liebst du mich, Walt?“

„Wieso fragst du?“, entgegnete Walter ziemlich uncharmant, „ich habe dich doch gerade geküsst.“

„Weil du mich seit zwei Tagen nicht mehr besucht hast.“

„Ich bin viel Taxi gefahren“, entgegnete er, „das macht todmüde, der Straßenverkehr wird in Grandau immer schlimmer. Dann fall ich abends halbtot ins Bett.“

„Du lügst!“, schimpfte Leila. „Ich bin einige Male am Bahnhof vorbeigegangen und habe euch beobachtet. Ihr habt alle immer nur rumgestanden, gequatscht und geraucht.“

„Quatschen ist auch verdammt anstrengend, und rauchen möchte ich mir sowieso schon lange abgewöhnen. Lieber fahre ich Taxi, als stundenlang auf einen Fahrgast zu warten.“

„Ja, das kann ich verstehen. Aber heute bist du nicht todmüde, oder?“

„Nein.“ Er grinste und betrachtete die schöne Frau von oben bis unten.

„Wollen wir auf ein Eis ins Rialto gehen?“

Walter nickte. „Vorher?“

„Seitdem Mario dort nicht mehr bedient, gibt es viel weniger Gäste. Er war dort ein richtiger Star.“

„Klar“, nickte Walter, „die schönen Frauen gehen jetzt woanders hin. Alle haben Mario geliebt. Nun hockt er im Knast und wartet, bis sie ihn irgendwann wieder laufen lassen.“

„Das kann aber dauern. Bei Mord kommt keiner so schnell raus.“

„Und dann lieben ihn die schönen Frauen nicht mehr, weil er zehn oder mehr Jahre älter geworden ist, die Damen allerdings auch.“

„Jetzt kannst du dich ja beim Rialto bewerben, siehst mindestens genauso gut aus wie der Mario. Dann lieben dich alle schönen Frauen. Und Taxifahren geht dir schon lange auf den Senkel, hast du gerade gesagt.“

„Senkel kannst du es auch nennen. Ich bezeichne das anders. Aber, im Rialto zu bedienen ist für mich nichts“, Walter grinste, „bin schließlich Akademiker.“

„Aha, seit wann?“

Walter winkte ab. „Immerhin habe ich heute beim Sigi meinen Vertrag unterschrieben.“

Leila sprang auf und umarmte ihn. „Endlich, Walt! Endlich ist es so weit. Jetzt wirst du bald wer.“

„Bin ich schon lange. Hast du vergessen, dass ich das Gesicht von Langs Biohof bin?“

„Wie könnte ich das vergessen. Von jeder Litfaßsäule grinst du mich blöd an. Ich zieh schon immer den Kopf ein, damit ich das nicht sehen muss.“

„Du bist die Einzige, der mein Lächeln nicht gefällt“, maulte Walter.

„Du lächelst nicht, du grinst blöd. Ich kenn dich viel besser. Und ich glaube, dass du dich nur sehr ungern von Sandra Dorfmeister fotografieren lässt. Ich sehe dir an, wie schwer es dir fällt, dauernd zu grinsen. Stimmt´s denn nicht?“

„Nein, das stimmt nicht. Sandra ist eine tolle Frau.“

„Klar, darauf kommt´s dir in erster Linie an. Sie sieht ja auch super aus.“

„Gar nicht.“

„Und ob. Meinst du, ich sehe nicht, wie du sie immer anhimmelst?“

„Sie ist eben eine super Fotografin. Ich muss sie natürlich anschauen, nicht anhimmeln, sonst werden die Bilder nichts. Schau dir die Fotos mal ganz genau an.“

„Habe ich schon oft genug. Meine Meinung kennst du, und jetzt gehen wir ins Rialto.“

„Und dann?“

Leila umarmte und küsste ihn wieder. „Dann kommen wir zurück und machen uns noch einen schönen Abend. Einverstanden, Walt?“

Walter nickte gerne. „Ja, einen schönen Abend bis morgen früh.“

Das Rialto war ziemlich leer. Ein junger Mann, dem Aussehen nach ebenfalls Italiener, wie früher Mario, trat an ihren Tisch.

„Bon giorno, amici“, grüßte er lächelnd, „was darf ich euch bringen?“

„Du bist neu?“, fragte Leila, „ich habe dich hier noch nie gesehen.“

„Nicht neu, Bella, schon eine Woche hier. Ich bin Alfredo, Alfredo Meier, Bruder von Mario.“

„So, so“, nickte Walter, „schon eine ganze Woche.“

„Ja, eine Woche. Mein Bruder leider verhindert, muss wichtige Arbeiten für unsere Eltern in Italien verrichten. Bis er wieder hier ist, bediene ich euch sehr gerne, meine lieben Gäste.“

Leila stupste Walter an. „Sag nichts.“

Doch Walter antwortete. „Wir wissen, warum Mario verhindert ist. Grandau ist eine kleine Stadt, und …“

Leila hieb ihm den Ellbogen in die Seite, Walter erschrak und stotterte. „Br… bring uns bitte einen Eisbecher Rialto und zwei Kugeln Champagnereis mit Sahne.“

„Subito, liebe Gäste.“

In ihrem Büro besprach sich am nächsten Morgen Hühnerbein mit Siegel und Weber, kurz bevor Manfred Weizenbauer, der nach dem Unfall die Polizei verständigt hatte, erschien.

„Was sollen wir den Weizenbauer fragen, wenn er aufkreuzt?“, wollte Max Weber wissen.

„Falls er aufkreuzt“, bemerkte Gottfried Siegel.

„Er kommt.“ Hühnerbein klang scharf. „Und wenn nicht, dann wird ihn das Gesetz mit voller Härte treffen.“

„Du musst nicht immer gleich mit der Keule zuhauen, Gerhard“, entgegnete Siegel, „kann doch sein, dass er es einfach vergessen hat. Er ist ja nicht mehr ganz taufrisch. Willst du ihn dann dafür einsperren? Das ist doch echt lächerlich.“

„Ja, du bist hier immer der Gute, der Sanfte, der Nette, der einfühlsame Gotti. Aber wir haben auch eine Verpflichtung, nämlich den Mord aufzuklären, weil wir die Mordkommission sind. Und da kenne ich kein Pardon. Wir müssen an unsere langjährigen Erfolge anknüpfen, verstanden?“

„Brems dich mal wieder, Gerhard“, Siegel schüttelte den Kopf, „so riesig waren unsere Erfolge bisher eh nicht. Da haben schon andere beigetragen.“

„Spielt im Nachhinein keine Rolle. Wir haben alle Verbrechen in Obergrandau restlos aufgeklärt. So steht es in den Akten, und die gehen ganz nach oben. Da fragt keiner, ob vielleicht irgendein privater Schnüffler auch was herausgefunden hat.“

„Oha! Privater Schnüffler ist aber schon recht gschert, Gerhard“, maulte Siegel, „weil der Joe Merz als Privatdetektiv sehr erfolgreich ist. Sonst hätte der Lang Siegfried ihn nicht angeheuert. Das weißt du ganz genau. Außerdem war er früher mal mein Nachbar, und zwar ein echt netter. Polizist ist er auch mal gewesen. Ich treffe mich heute noch manchmal mit ihm beim Huberwirt auf ein Bier.“

„Du wolltest sagen mindestens ein Bier. Und dann quatschst du wahrscheinlich wichtige Geheimnisse aus.“ Hühnerbein hatte bereits einen feuerroten Kopf.

„Jetzt krieg dich wieder ein, Gerhard. Ich weiß genau, was ich sagen darf und was nicht.“

Max stand auf und klopfte Hühnerbein beruhigend auf die Schulter. „Ich dachte, wir wollen über den Mord an der Ampel reden.“

„Genau“, Hühnerbein ruderte zurück, „also, was habt ihr gesehen?“

„Das haben wir dir bereits erklärt, außerdem steht es in unserem Bericht“, erklärte Siegel, „wir haben gesehen, dass ein altes Auto gegen die Ampel gedonnert ist und dass ein Kerl erschossen auf dem Bürgersteig lag. Wer das Auto gelenkt hat, wissen wir noch nicht. Und die Todesursache erfahren wir, sobald der Bericht von der Pathologie Reichenhall da ist.“

„Wissen wir, wer der Ermordete ist? Das steht nicht in eurem Bericht.“

„Weil wir erst vorhin herausgefunden haben, auf wen das Fahrzeug zugelassen ist.“

„Und zwar?“

Siegel sagte: „Der Name ist Kathi Mangel, hier die Adresse: Am Anger 53.“

„Ich dachte … ein Mann?“

„Ja, ja“, unterbrach Siegel, „der Tote war schon ein echter Mann, kein Transvestit oder so was. Das hätte der Arzt auch sofort erkannt.“

„Wie erkennst du denn einen Transvestiten?“, wollte Hühnerbein wissen.

„An der Kleidung natürlich, an was sonst?“

„Und wenn so einer normal gekleidet ist?“

Siegel wollte diese Gedanken nicht weiterverfolgen. „Also, der Tote war ein Mann, und die Halterin ist eine Frau. Zufrieden?“

Hühnerbein nickte.

„Sobald wir mit dem Manni fertig sind, besuchen wir die Frau Mangel.“

„Wer ist jetzt schon wieder der Manni?“

„Eben, dieser Manfred Weizenbauer. Er sagte, wir sollen Manni zu ihm sagen, weil ihn alle so nennen.“

„Habt ihr?“

„Nein, haben wir nicht, weil wir im Dienst waren.“

In diesem Augenblick klopfte es, und Weizenbauer, ein etwas verhutzeltes Männlein, steckte den Kopf schüchtern durch die geöffnete Tür.

„Derf i?“

„Ja, kommen´s rein“, rief Hühnerbein, „hocken Sie sich auf diesen Stuhl.“

Hühnerbein blickte auf den Bericht. „Sie heißen Manfred Weizenbauer?“

Er nickte. „So hoaß i.“

„Sie waren als Erster an der Unfallstelle und haben die Polizei verständigt. Sehr lobenswert.“

Er nickte wieder und grinste verhalten.

„Was ist dann passiert?“

„Kemma sands, die Schandarm.“

„Aha. Also die Polizeibeamten sind gekommen und dann?“

„Dann sand di da kemma.“ Er deutete auf Siegel und Weber. Die beiden nickten zustimmend.

„Erzählen Sie uns, was Sie beobachtet haben.“

„Ja nix. Weil der scho tot war. Fragns den Dr. Riesner, der war a dort und hat´n untersucht.“

„Und Sie haben weiter nichts beobachtet?“

„Na, habts den Taxler scho gfragt?“

Hühnerbein hob überrascht den Kopf und blickte auf seine Mitarbeiter. „Über einen Taxifahrer habt ihr mir nichts gesagt.“

Siegel und Weber schüttelten gleichzeitig den Kopf.

„Das fällt Ihnen erst jetzt ein?“, wandte sich Siegel an den Zeugen.

„Ihr habts mi net gfrogt. Aber, weiter vorn is a Taxi gstandn, und da hot oana grad die Tür zuagschlagn. A Mercedes wars.“

„Aha!“, meinte Hühnerbein. „Haben Sie die Autonummer gesehen?“

„Scho, aba nur an Teil. Der war vo do, BGL, und hint 13, glaub i.“

„Glauben Sie oder wissen Sie das?

„Des woaß i, weil i auf dreizehn wohn, und der Bonzo is dreizehn Jahr oit.“

Hühnerbein blickte zu seinen Mitarbeitern. „Siegel und Weber, das erledigt ihr auf der Stelle.“

Die beiden nickten.

„War sonst noch was?“, wandte er sich wieder an Weizenbauer.

„Scho. Da Bonzo hat miassn. Des hab i dena ah scho gsagt.“

„Doch, Chef“, mischte sich Siegel ein. „Stimmt genau. Der Herr Weizenbauer …“

„Alle sagn Manni zu mir, derfts ihr a.“

Siegel fasste zusammen. „Der Herr Weizenbauer Manni hat nur die Polizei gerufen, wie es seine Bürgerpflicht ist. Zum Unfall kann er gar nichts sagen, weil der schon lange vorher passiert ist.“

Hühnerbein knurrte, dann erlaubte er dem Zeugen, sich wieder zu entfernen.

Als er die Tür geschlossen hatte, schimpfte Hühnerbein. „Wieso unterstützt du den Zeugen, Gotti? Ich hatte ihn gefragt und nicht euch. Jetzt fahrt ihr zu der Fahrzeughalterin und vernehmt sie. Und dann legen wir endlich Tempo vor. Bis jetzt wissen wir ja gar nichts. Und dann kümmert ihr euch um die Taxinummer. Vielleicht gibt´s die gar nicht.“

Weber schaute ihn beleidigt an. „Ist der Bericht vom Arzt schon da?“

Hühnerbein schüttelte den Kopf.

„Na also. Dann warten wir weiter, und Gotti und ich besuchen jetzt die Halterin des Fahrzeugs.“

„Und dann kümmert ihr euch um die Taxinummer.“

4.

Kathi Mangel, die Halterin des Opel Kadett, war eine mittelalte Frau, leicht gebeugt, wahrscheinlich von jahrelanger schwerer Arbeit, jedoch mit wachen Augen, die hin- und her flitzten. Sie lebte allein in einer kleinen Dreizimmerwohnung am Rande von Obergrandau im zweiten Stock. Sie erklärte sofort, dass das Fahrzeug am Vortag gestohlen worden sei. „Direkt da vor meiner Haustür. Stellts eich des vor.“

Weber wollte wissen: „Haben Sie den Diebstahl der Polizei gemeldet?“

„Ja freilich. Wissts ihr des net? A Kollege vo eich war do und hat ois aufgschriebn. I hab gmoant, ihr wissts über solch gemeine Verbrechen Bescheid. A echts Kapitalverbrechen war des, i glaube, so nennt man so was.“

Weber schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Ein Kapitalverbrechen ist was anderes.“

„Aber, das Auto war mein ganzes persönliches Kapital, verstanden? Für mich war das ein Kapitalverbrechen.“

„Verstanden“, reagierte Weber, „war trotzdem kein Kapitalverbrechen. Autodiebstahl ist bei uns Sache der Polizei, wir kommen von der Mordkommission.“

„Waaas? Is mit dem Auto wer ermordet worden?“

„Nicht direkt.“ Weber zögerte. „Aber darüber dürfen wir noch nicht sprechen. Morgen steht es sicher im Grandauer Tagblatt.“

„Aha. Aber heit ist des no geheim?“

„Nein, ja.“ Siegel zuckte mit den Schultern. „Haben Sie was gesehen?“

„Und ob. Mei Auto war weg, des kann i vo meim Schlafzimmerfenster aus seng. Möchtens ummi schaugn?“

„Das glauben wir Ihnen. Können Sie sich vorstellen, wer Ihr Auto gestohlen hat?“

„Also so was! Glauben Sie, dass i dann die Polizei braucht hätt? I woaß genau, wia ma sich gegen Schlawiner wehrt. Außerdem hab i an Schwager, der ist Baggerführer. Wenn ich den um was bitt, dann rauscht´s im Karton!“

„In Ordnung, Frau Mangel. Wir werden die Angelegenheit weiterverfolgen.“

„Vergesst net, mit die andern Kollegn zu redn, weil die ois ganz genau notiert haben.“

„Danke, Frau Mangel.“

Siegel und Weber verabschiedeten sich und verließen das Haus.

„Den Weg hätten wir uns sparen können. Der Hühner hätte wissen müssen, dass der Diebstahl bereits aufgenommen wurde“, beschwerte sich Siegel.

„Na ja, Gotti. Hast du je erlebt, dass der Hühner irgendwas weiß?“

„Kann mich nicht erinnern. Trotzdem stehen wir jetzt blöd da. Was würdest du vorschlagen, Max, wie wir weiter vorgehen sollen?“

Weber zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Wir warten erst einmal auf den Bericht der Rechtsmedizin, und dann sehen wir weiter.“

„Aber, da steht doch nur drin, dass der Mann ermordet wurde. Und das wissen wir auch jetzt schon.“

„Ja, genau. Wir müssten erst einmal wissen, wer der Tote überhaupt ist. Vielleicht wird jemand vermisst.“

„Gute Idee. Dann sollten wir auch die Waffe suchen. Sobald wir sie haben, wissen wir mehr. Wenn die Nummer nicht rausgefeilt wurde, finden wir vielleicht den Eigentümer.“

„Und der behauptet dann wieder, dass ihm die Waffe gestohlen worden ist, so wie das Auto der Frau Mangel.“

„Kann schon sein. Dann schicken wir ganz einfach den Hühner hin, damit er ihn so richtig zerlegt. Inzwischen sollte ein Foto im Grandauer Tagblatt erscheinen. Irgendjemand kennt den Mann ganz sicher.“

„Das soll der Hühner machen. Der Mann von der Presse, dieser Holz, ist doch ein Freund von ihm.“

„Du meinst, weil der Hühner ihn kürzlich so zusammengeschissen hat?“

Die beiden Polizisten grinsten einander vielsagend an.

Es war eine gewaltige Aufregung, als Walter seinen Taxlerkollegen erklärte, dass er in Kürze seine Tätigkeit beenden werde.

„Echt schade“, meinte Paul.

„Bis Ende des Monats bleibe ich euch ja noch erhalten“, beruhigte ihn Walter.“

Mehmet grinste. „Gut für uns, dann sind wir nur noch fünf, bleibt mehr Kohle für uns.“

„Vier“, entgegnete Maria, „weil ich auch weg sein werde.“

„Das auch noch“, stöhnte Karin, die erst seit kurzer Zeit das Taxi eines Obergrandauer Geschäftsmanns fuhr.

„Rückst du endlich mit deinem Geheimnis raus, Maria?“, wollte Vincent wissen.

Maria nickte, und Karin jammerte. „Wieso tust du mir das an, Maria? Jetzt bin ich die einzige Frau gegen drei Männer.“

„Drei Männer stimmt nicht ganz.“ Maria grinste. „Mehmet ist eine ganz andere Marke …, was weiß ich, was der ist, und Paul beschützt dich garantiert.“

„Wenn er hier ist, vielleicht ...“

„Verlass dich auf mich, Karin!“ Paul legte ihr den Arm um die Schultern.

Mehmet war wütend. „Ich soll eine ganz andere Marke sein? Was denn für eine? Bin hier der einzige richtige Mann, damit ihr das wisst, und Vincent wird erst irgendwann mal ein Mann sein.“

„Du musst es ja wissen“, schimpfte Vincent.

„Jetzt rück endlich raus, Maria“, forderte Paul.

Maria gackerte nur und winkte ab.

„Sehr interessant“, reagierte Mehmet, „also doch Nachtclub.“

Marias Gesichtszüge versteinerten. „Du wolltest ihn nach Anatolien zurückschicken, Paul. Und jetzt ist er immer noch hier.“

„Nach Anatolien kannst du gehen, Maria. Ich bin Deutscher, verstanden? Und zwar ein gebürtiger Deutscher, sogar ein Oberbayer. Du nicht, weil du aus Niederbayern kommst.“

„Jetzt lass doch gut sein“, schimpfte Paul. „Maria, jetzt rede endlich.“

„Ihr werdet es nicht glauben. Ich habe echt das große Los gezogen.“

„Super, Maria“, lächelte Paul, „das hast du wirklich verdient. Also kein Klamottenladen?“

„Nein, ihr Lieben. Ich werde zur Polizei gehen.“

Walter zuckte zusammen.

Vincent fasste sich als Erster. „Mensch, Maria, du wirst Beamtin! Das ist echt das große Los. Und mit Pensionsanspruch. Ich gönn dir das.“

„Finanziell erst später. Erst muss ich mich hocharbeiten. Trotzdem freue ich mich darauf wie wild.“

Mehmet kicherte schon wieder. „Genau, du musst dich erst die Stange hocharbeiten.“

Paul hieb ihm mit dem Ellenbogen in die Seite, dass er jaulend wegsprang. „Das war ein tätlicher Angriff. Ich zeig dich an, du.“

„Ja, ja“, sagte Paul gleichgültig. „Such dir einen Zeugen.“

„Dann haltet ihr wieder alle zusammen.“

„Bleibst du in Obergrandau?“, wollte Walter wissen.

„Natürlich, aber ich sag dir nicht, wer mein Chef wird, Walter.“

„Das auch noch“, erschrak Walter, „dann kann es nur dieser Hühner sein.“

„Der ist es“, lächelte Maria, „ich habe ihn kennengelernt. Er kann richtig nett sein.“

„Ach ja?“

5.

Kurz vor Feierabend öffnete Hühnerbein die Tür zu seinen Mitarbeitern. „Morgen ist der Erste, da kommt unsere Neue“, erklärte er beiläufig.

„Nanu? Ich dachte, wir entscheiden so wichtige Personalfragen immer gemeinsam“, wunderte sich Siegel.

„Dachte ich auch“, bellte Hühnerbein zurück, „das haben die ganz oben in Reichenhall entschieden. Ich durfte ihr nur ‚Grüß Gott‘ sagen, damit ich nicht überrascht bin, wenn sie plötzlich vor der Tür steht. Morgen ist ihr erster Arbeitstag, eine Frau Maria Heindl, schaut nicht schlecht aus.“

„Das beurteilen wir lieber selbst“, reagiert Weber, „wo du oft hinschaust.“

„Wie du meinst.“

„Und was soll die hier machen?“

„Was heißt hier machen? Arbeiten natürlich. Ihr jammert doch immer über die vielen Schreibarbeiten. Sie wird euch entlasten, dann könnt ihr euch endlich voll um den Mord kümmern.“

„Tun wir doch sowieso. Willst du sie auf die Polizeischule schicken?“

„Nur, wenn sie sich qualifiziert, haben die da oben gesagt.“ Sein Gesichtsausdruck sprach Bände.

Siegel und Weber grinsten einander an. „Und, was ist mit dir? Gehst du dann mit.“

„Hier ist der Bericht der Rechtsmedizin“, wechselte Hühnerbein das Thema mit einer steilen Falte auf der Stirn.

Weber vermutete: „Da steht sicher drin, dass er tot ist.“

„Was wir doch für tolle Kriminalisten haben“, Hühnerbein war an diesem Morgen alles andere als gut drauf, „aber Max, da wird nicht nur festgestellt, dass er tot ist, sondern auch, dass er erschossen wurde.“

„Wieso grinst du plötzlich so komisch, Gerhard?“, wollte Weber wissen. „mit was für einer Waffe wurde er erschossen? Hoffentlich nicht mit einer Polizeipistole?“

„Kann schon sein ...“

„Dann raus mit der Sprache, oder willst du ausnahmsweise mal heimlich und ganz allein ermitteln?“

„Würde ich echt gerne, aber mein Schreibtisch quillt bald über. Ich grinse, weil das kein normaler Revolver und auch keine normale Pistole war.“

„Was meinst du mit normal?“

„Weil es die Kugel aus einer uralten Waffe war, die es heute nicht mehr gibt, sagt der Doktor.“

„Nein! Der will das wissen? Der Doktor?“

„Doch! Er meint, vielleicht Erster oder Zweiter Weltkrieg.“

„Vielleicht aus dem Dreißigjährigen Krieg?“

„Quatsch!“

„Und so ein Ding schießt noch?“

„Das habt ihr ja gesehen.“

„Wir haben übrigens auch eine Neuigkeit. Die haut dich gleich vom Hocker, Gerhard.“

„Mich kann gar nichts vom Hocker hauen, bin schon lange genug Kriminalist. Ich dachte, das wisst ihr.“

„Halt dich trotzdem fest. Rate mal, wem das Taxi mit der Endnummer 13 gehört.“

Hühnerbein stöhnte laut und bellte dann vernehmlich. „Wem wohl?“

Max nickte: „Hab ich´s nicht angekündigt? Du ahnst es bereits, obwohl ich seinen Namen noch nicht genannt habe.“

„Kann doch nur dieser Schmidtbauer sein, oder? Dieser Affenarsch verfolgt mich bis in den Traum.“

Seine Mitarbeiter nickten.

„Du Ärmster, deswegen bist du morgens nie ausgeschlafen“.

„Nie?“

„Ich wollte sagen selten.“

„Der Kerl wird sofort festgenommen, verstanden! Und zwar auf der Stelle“, knurrte Hühner mit hochrotem Kopf los, „dem werde ich es zeigen!“

„Geht leider nicht“, erklärte Max. „Wir waren gerade in seiner Wohnung in der Mühlengasse, um ihn zu befragen. Aber der Kerl war ausgeflogen.“

„Dann wird sofort nach ihm gefahndet!“

„Nicht nötig. Wir haben anschließend bei Siegfried Lang angerufen“, führte Max aus, „weil der bald sein Chef ist. Der Schmidtbauer besucht gerade einen Lehrgang in Regensburg. Er soll das neue Ketchup-Unternehmen leiten, das hier bald in Betrieb genommen werden soll. Jetzt wird er in Regensburg ausgebildet.“

„Dass ich nicht lache. Der soll ein Unternehmen leiten? Viel schneller wird er wieder mit unserem Knast Bekanntschaft machen ..., den kennt er ja bereits, da muss er nicht erst ausgebildet werden.“

„Also ist Fahndung nicht nötig, Gerhard“, fuhr Max fort, „weil er übermorgen wieder in Grandau sein wird. Dann greifen wir ihn uns sofort. Der Lang steht uns dafür gerade, hat er gesagt, dass er das Land nicht verlässt. Das haben wir ihm aber so was von klargemacht.“

„Ihr doch nicht. Der Lang lässt sich von niemandem was klarmachen, erst recht nicht von euch“, brummte Hühner, „aber, sein Wort in Gottes Ohr.“

Im Grandauer Tagblatt erschien am darauffolgenden Tag ein Aufruf mit einem großen Foto:

Wer kennt diesen Mann?

Bei einem Verkehrsunfall an der Kreuzung Luisen-/Herzogstraße wurde ein Mann tot aufgefunden, circa 40 Jahre alt. Da er keine Ausweispapiere bei sich trug, wird die Bevölkerung um Unterstützung gebeten. Wo wird ein Mann dieses Alters vermisst? Wer diese Person kennt oder zu kennen glaubt, wird gebeten, sich beim Redakteur des Grandauer Tagblatts, Herrn Manfred Holz, zu melden. Natürlich kann auch jede Polizeidienststelle kontaktiert werden. Die Staatsanwaltschaft hat eine Belohnung von 200 Euro ausgelobt.

„Schon wieder so ein unerwarteter Toter und keiner kennt ihn“, zeterte Ludwig Oberhofer, seit wenigen Monaten Geschäftsführer des ersten Hotels am Platz in Obergrandau, Hotel Post. „Ich dachte, das gibt`s bei uns nie wieder. Da denke ich mit Schrecken an unsere Leichen hier im Hotel und die bösen Geister, die mich nächtelang im Traum verfolgt haben.

---ENDE DER LESEPROBE---