Das Leben in meinem Sinn 1 - Susanna Ernst - kostenlos E-Book

Das Leben in meinem Sinn 1 E-Book

Susanna Ernst

4,7
0,00 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein bezaubernder Roman über eine unglückliche Liebe und die Macht des Schicksals - Teil 1 des sechsteiligen Serials! Scheinbar zufällig kreuzen sich die Lebenswege des schüchternen Schauspielers Ben Todd und seiner weitaus bekannteren Kollegin Sarah Pace beim Dreh zu einer neuen Fantasy-Serie. Während die beiden gemeinsam durch alle Phasen von der Produktion bis zur erfolgreichen Vermarktung ihrer Fernseh-Show gehen, verliebt sich Ben Hals über Kopf in Sarah. Heimlich und hoffnungslos, denn sie ist vermeintlich glücklich mit dem Vater ihrer Tochter verlobt. Da viele Dinge im Leben allerdings nicht so zufällig geschehen, wie sie auf den ersten Blick erscheinen, eröffnen sich Ben und Sarah bald schon ungeahnte Wege. Ganz in ihrem Sinn... oder etwa nicht?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 94

Bewertungen
4,7 (12 Bewertungen)
9
2
1
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Susanna Ernst

Das Leben in meinem Sinn

Serial Teil 1

Knaur e-books

Über dieses Buch

[home]

Für Mariella und Giuliano

Liebt das Leben und vertraut auf die Chancen,

die es euch bietet. Jeden Tag.

Ich liebe euch.

[home]

 

 

 

Komm, begleite mich ein Stück …

 

Wie eine Feder, getragen vom sanften Wind, gleite ich hoch über den Köpfen der Menschen dahin. Unsichtbar, unbemerkt, schwerelos.

 

Es stimmt tatsächlich, sie sehen aus wie Ameisen. Genauso winzig, nur sehr viel unkoordinierter. Geschäftig rennen sie in alle Himmelsrichtungen. Die für London so charakteristischen Taxis und Busse kriechen zwischen anderen Fahrzeugen in langen Kolonnen dahin, dicht an dicht gedrängt, hupend. Sie verleihen den Adern dieser Stadt ihren eigenen metallenen Glanz. Der Berufsverkehr schimmert schwarz-rot.

Von oben betrachtet ist die Welt doch am schönsten.

Ich beobachte das hektische Treiben auf den Straßen, aber ich bin so weit davon entfernt, dass es mich nicht berührt, geschweige denn stresst.

Nein, ich lächele nur amüsiert angesichts dieses Bildes. Es sieht wirklich so aus, als habe man eine Schaufel voll Menschen wahllos irgendwo abgeladen, und diese Menge, ein jeder für sich, versucht jetzt kopflos, wieder in eine vertraute Struktur zurückzufinden.

Einige Kinder, ein dunkelblond gelocktes Mädchen und drei rothaarige Jungs, stehen auf einem großen Platz tief unter mir, lassen Luftballons aufsteigen und winken ihnen nach. Während sich die Jungs bald schon wieder abwenden und lautstark nach einem weiteren Eis vom nahegelegenen Stand verlangen, schaut das Mädchen mit dem wirren Lockenkopf noch lange hinter ihrem Ballon her. Als ahne die Kleine, dass seine Reise bedeutungsvoll sein wird, starrt sie ihm aus weit aufgerissenen, hellgrünen Augen nach. Hoffnungsvoll.

Es ist ein süßer Anblick, der mich für einige Zeit fesselt.

Nun, ihren roten Ballon, der sich zwischen all den anderen in die Lüfte emporhebt, und besonders seine wertvolle Fracht – die Postkarte, die an der langen Schnur unter ihm im Wind trudelt – habe ich tatsächlich bereits erwartet. Sie sind Teil meines Plans.

Mein Plan, richtig!

Also nehme ich meinen Weg wieder auf, rufe dem kleinen Mädchen unter mir ein lautloses »Bis bald!« zu und werde sanft weitergetragen. Über altehrwürdige Bauten hinweg, den breiten Fluss, der immer leicht trüb aussieht, die großen Parkanlagen und sich enger und enger verzweigende Straßen, bis zum Rande der Stadt. Dorthin, wo die Häuser flacher und die Dächer steiler werden. Schließlich kann man sogar einige Vorgärten erkennen. Auf einem Sportplatz spielen Halbwüchsige Fußball. Sie schreien und rufen, und ihre Energie und Unbekümmertheit tut so gut, dass ich für einen Moment verweile.

Aber bald geht meine Reise weiter. Immer dem roten, mit Heliumgas gefüllten Luftballon nach, so könnte man meinen. Was natürlich ein Trugschluss wäre, denn ich folge ihm nicht. Nein, ich leite ihn.

Mein Weg führt mich entlang einer breiten Allee bis zu einer gelben Vorstadt-Villa im viktorianischen Stil, über deren Dach mich mein Freund, der Wind, mühelos hinweghebt. Auf mein Kommando hin teilt er sich und lässt einen seiner unzähligen Arme geschickt kreisen. Der Ballon – und mit ihm auch die Karte – wird in den Luftstrudel gesogen und sinkt langsam herab. Die lange Schnur verheddert sich in einem Buchsbaum unmittelbar vor der Villa.

Punktlandung!

Von hier oben kann ich ihn zwar nicht sehen, aber ich weiß, wie traurig der kleine Junge ist, der im Obergeschoss dieses großen gelben Hauses auf seinem Bett liegt und aus tränengefluteten Augen die hohe Zimmerdecke anstarrt. Der Blick des Mädchens ging in den offenen Himmel – grenzenlos –, seiner hingegen scheint gefangen zu sein. Ich kenne die Verzweiflung und Ängste dieses Jungen nur allzu gut. Und ich habe durchaus vor, ihm zu zeigen, dass er nie so einsam war, wie er sich auch in diesem Moment wieder fühlt. Doch noch ist die Zeit nicht reif dafür.

Also lobe ich den Wind für seine Präzision und lasse den im Buchsbaum verfangenen Ballon zufrieden zurück, ohne mich ein weiteres Mal nach ihm umzudrehen. Denn die Weichen sind nun gestellt.

Schnell verlasse ich Raum und Zeit. Im Handumdrehen befinde ich mich in einem neuen Jahrzehnt, in einer viel jüngeren Stadt, auf der anderen Seite der Welt.

Hier liegt die vorläufige Bestimmung meiner Reise, hier lasse ich mich nieder. Lautlos schwebe ich über die breite Terrasse und durch den Spalt des angelehnten Fensters eines taubenblauen Hauses. Das Schlafzimmer bietet mir einen gewohnten Anblick: Der dunkle Parkettboden ist mit diversen Kleidungsstücken bedeckt, auf dem Nachttisch stapeln sich Bücher, und am Fußende des Doppelbettes lehnt eine alte Gitarre. Daneben, auf einer durchgewetzten Decke, liegt ein Hund und schnarcht leise vor sich hin.

Sicher und völlig unbemerkt gelange ich zu meinem Bestimmungsort und geselle mich zu dem schlafenden Mann, der mich vor langer Zeit schon lautlos rief.

Ich kenne ihn bereits sein Leben lang, er jedoch hat mich noch nicht kennengelernt und wird es auch nicht. Meine Anwesenheit wird nur eine leise Ahnung hinterlassen. Doch auch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Lediglich ein sanfter, kaum wahrnehmbarer Windhauch verkündet dem Unwissenden mein Erscheinen und lässt ihn in genau diesem Moment einmal tief durchatmen.

Wer ich bin? Nun, das ist momentan noch nicht wichtig. Es geht um ihn. Um meinen Schützling, meinen Menschen. Ob ich ein Engel bin? Eine schöne Vorstellung, aber … nein!

Doch ich möchte dir etwas vorschlagen: Begleite ihn gemeinsam mit mir, dann wirst du auch mich kennenlernen.

Einverstanden? Na, dann los!

 

ER und das, was du von ihm wissen solltest: Er ist groß, sehr athletisch gebaut und fällt mit seinem wirren dunkelblonden Haar und den tiefblauen Augen definitiv in die Sparte »attraktiv«.

Er ist neunundzwanzig Jahre und zwei Monate alt, im Sternzeichen der Fische geboren und damit ziemlich schüchtern und nicht unbedingt der Entschlossenste.

Er ist der Sohn eines amerikanischen Diplomaten und einer deutschen Konzertpianistin. Seine ältere Schwester hätte er in frühen Kindheitstagen ohne zu blinzeln gegen einen eigenen Hund eingetauscht. Heute ist er froh, es damals nicht getan zu haben.

Er liebt chinesisches Essen, den leichten Wind an lauen Sommerabenden, gute Bücher, die frische Luft am Morgen, den Klang seiner alten Gitarre, das knarrende Geräusch von Schnee unter seinen Sohlen und seinen Hund Jack. Und – was er jedoch nur selten erzählt, weil er denkt, es ließe ihn spießig wirken – er wandert gerne in den Bergen, bleibt dann stundenlang auf dem Gipfel und beobachtet die untergehende Sonne.

Klamotten sind ihm völlig gleichgültig – nur bequem muss es sein.

Und, was wohl am wichtigsten ist: Er hat ein gutes Herz … allerdings mit einem tiefen Riss.

Ich gebe nun das Wort an Schützling Nr. 583.745.233.069

alias Ben Anthony Todd …

[home]

Ben

Der leise, unverwechselbare Klang meiner Gitarre hallt durch den Raum. Behutsam zupft sie die Saiten.

Es dauert eine Weile, bis ich mich an die stechende Helligkeit gewöhnt habe, doch ich begnüge mich mit einem Blinzeln und balle meine Hände zu Fäusten, um mir nicht versehentlich über die Augen zu reiben.

Nicht bewegen!, befehle ich mir und lasse mich reglos von der tiefstehenden Novembersonne blenden.

Nein, die dünnen Vorhänge bieten dem Licht keine ernst zu nehmende Barriere. Beinahe ungebrochen flutet es meinen Schlafraum und lässt die in der Luft tanzenden Staubpartikel schimmern. Ein netter Nebeneffekt meiner grenzenlosen Unordentlichkeit.

Als sich in dem funkelnden Weiß endlich Konturen abzeichnen und zunehmend an Schärfe gewinnen, eröffnet sich mir das schönste Bild von allen: Sie sitzt auf der äußersten Kante meines Bettes, direkt zu meinen Füßen. Die langen Haare sind gewellt und über ihre Schulter nach vorn gelegt, das Laken locker um ihre schmale Taille geschlagen, sie ist ganz konzentriert. So sitzt sie da.

Nackt – und wunderschön.

Mit den Fingern ihrer linken Hand umfasst sie den Hals des Instruments. Zwischen ihren Augen bildet sich eine kleine, steile Falte, wann immer sie die Positionen ihrer Griffe überprüft und korrigiert. Sie knabbert auf ihrer Unterlippe herum, während sie die Akkorde anschlägt. Wieder und wieder, bis sich die Haltung ihrer Finger entspannt und fließende, harmonische Töne den Raum erfüllen.

Ein Lächeln bildet sich auf meinem Gesicht.

Das ist eine der Eigenschaften, die ich so sehr an ihr liebe – ihren Unwillen, auf halber Strecke aufzugeben. Irgendetwas aufzugeben, bis es nicht absolut richtig und gut ist.

Ewig könnte ich so daliegen, gebannt von ihrem Anblick und zu ängstlich, mich zu strecken oder auch nur zu gähnen – will ich sie doch auf keinen Fall darauf aufmerksam machen, dass ich bereits wach bin.

Nein, sie soll in ihrer Versunkenheit bleiben, solange ich ihr nur zusehen darf.

Mein Blick fällt von ihrem Profil auf die unansehnliche, alte Gitarre. Dieses glückliche Stück Holz, gegen dessen Rückseite sich ihre Brüste drücken. Könnte diese Gitarre sprechen, Gott weiß, sie wüsste mehr über mich zu berichten, als sonst jemand auf dieser Welt. Seit meiner Teenagerzeit hat sie mich durch alle Höhen und Tiefen begleitet. Und ja, einige dieser Tiefen waren verdammt tief.

Wie oft habe ich das verblichene Instrument, an dessen Oberfläche sogar schon die Lackschicht absplittert, in meinen Händen gehalten? Genauso, wie es jetzt in ihren liegt.

Doch meine Finger waren schwerer als ihre, so viel schwerer. Und ungeschickter, trotz der jahrelangen Übung, trotz der Routine, die ich hätte haben müssen.

Gemeinsam saßen wir damals auf der Veranda vor dem Haus meiner Schwester, während ich mit steifen Fingern versuchte, bedeutungsvolle kleine Botschaften – in zittrige Töne eingebettet – von meinem in ihr Herz zu schleusen. Vergeblich. Immer wieder vergeblich, wie es schien. Sie lauschte, lächelte wissend, stand auf … und ging.

Weg von mir. Zurück zu ihm.

Als sich mein Aufenthalt dem Ende neigte und der Abschied nahte, redete ich mir ein, es würde nicht halb so schlimm um mich stehen, wie ich damals annahm.

Ich hoffte, mich zu irren, und sagte mir immer wieder, es würde ein Leichtes werden, mich emotional und gedanklich von dieser jungen Frau zu lösen, wenn ich sie nur nicht mehr jeden Tag sehen müsste.

Aus den Augen, aus dem Sinn, so hieß es doch …

Es dauerte nicht lange, da fand ich mich in der Wohnung meines besten Freundes wieder, klimperte traurige Akkorde auf meiner geduldigen Gitarre und trank ein Bier nach dem anderen, in der Hoffnung, die Lösung meiner Probleme im Verlust meiner Selbstkontrolle zu finden.

Ich stürzte mich beinahe wahllos in Rollen, die ich unter anderen Umständen nie angenommen hätte, nur um nicht Ich selbst sein zu müssen. Der Idiot, der sich wider besseren Wissens in ein bereits vergebenes Mädchen verliebt hatte.

Entgegen meiner Erwartungen hatte Randy mich nicht verspottet. Nicht ein einziges Mal. Ich frage mich bis heute, ob es wirklich möglich ist, dass ein Mensch einen anderen so gut kennt.

Was für ein Vollidiot du doch warst, Ben!, flüstere ich meinem vergangenen, wehmütigen Ich nun in Gedanken zu. Dich stumm und reglos nach ihr zu sehnen, während sie zwei Tagesreisen entfernt mit jemand anderem zusammen war.