Das Pulverfass explodiert - Edith Parzefall - E-Book

Das Pulverfass explodiert E-Book

Edith Parzefall

0,0
5,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

1620: Auf dem Weg ins aufständische Böhmen zieht die Katholische Liga durch Österreich. Als Linz den kaiserlichen Truppen kampflos die Tore öffnet, glaubt Floryk Loyal sich und die Seinen vorerst sicher. Doch Söldner nehmen sich, was sie begehren … In dieser Lage müssen Floryk und Mila entscheiden: Sollen sie zum katholischen Glauben konvertieren oder die Stadt verlassen? In Linz wird es für sie zunehmend gefährlich. Johannes Kepler hat seine Wahl längst getroffen. Er verlässt mit seiner Familie die Stadt, schon um seine Mutter Katharina vor einem württembergischen Gericht verteidigen zu können. Sie ist wegen Hexerei im Haus ihrer Tochter verhaftet worden und schwebt in höchster Gefahr. René Descartes hingegen hat sich von der Katholischen Liga anwerben lassen und erlebt die blutige Schlacht am Weißen Berg vor Prag hautnah mit. Die dramatischen Erlebnisse desillusionieren den jungen Studenten der Kriegskunst für den Rest seines Lebens.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum
Handelnde Personen
Glossar
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
Nachwort
Über die Autorin

 

 

 

 

Das Pulverfass explodiert

Druckerschwärze und Schwarzpulver, Band 3

 

von Edith Parzefall

 

 

Impressum

 

 

 

 

Copyright © 2021 Edith Parzefall

Ritter-von-Schuh-Platz 1, 90459 Nürnberg, Deutschland

E-Mail: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Lektorat: Marion Voigt

Umschlag: Kathrin Brückmann

 

Handelnde Personen

Hauptfiguren:

Simon und Milana: Sohn und Tochter des Druckers Wenzel Zajíc. Die Geschwister dürfen allerlei erleben und erlernen.

Floryk Loyal: Kaufmann im Dienst der Nürnberger Familie Imhoff, der bisher jedem Krieg erfolgreich ausgewichen ist.

Marika: Floryks Ehefrau und ehemalige Geliebte Wallensteins.

Lazarus Furtner: Leiter des Imhoff’schen Handelskontors in Linz.

Stefan Heideck: Onkel von Simon und Milana in Linz.

 

Prominente Akteure

Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein oder Wallenstein: ein böhmisch-mährischer Landadliger, der seinem König und Kaiser treu ergeben ist.

Johannes Kepler: Hofastronom, Astrologe, Mathematiker, Naturphilosoph und Verteidiger seiner Mutter Katharina Keplerin, die der Hexerei bezichtigt wird.

René Descartes: Mathematiker, Naturphilosoph, Ingenieur und Wahrheitssucher.

Ferdinand II.: Frisch zum Kaiser gewählter Erzherzog von Innerösterreich und offiziell noch König von Böhmen, wo er mithilfe von Jesuiten die Rekatholisierung des Landes vorangetrieben hat, bis es zum Aufstand gekommen ist.

Herzog Maximilian von Bayern: Gründer der Katholische Liga, von der allerdings auf Wunsch des Kaisers nur noch ein Rumpfbündnis übrig ist, als sie am dringendsten benötigt wird.

Graf Johann T’Serclaes von Tilly: oberster Heerführer der Katholischen Liga.

Graf Heinrich Matthias von Thurn: Defensor des protestantischen Glaubens, Mitglied der Ständevertretung Böhmens, Heerführer der Protestantischen Union und einer der Anführer des Aufstands gegen König Ferdinand.

Georg Erasmus von Tschernembl: Freiherr und Ständevertreter in Oberösterreich, der sich für die freie Wahl des Glaubens einsetzt.

Franz Seraph von Dietrichstein: Kardinal und Bischof von Olmütz, der Hauptstadt Mährens, der aus einem österreichischen Adelsgeschlecht stammt und nun in arge Bedrängnis gerät.

Karl von Žerotín: Schwager von Wallenstein, Diplomat, Großgrundbesitzer und Angehöriger des mährischen Herrenstands.

Fürst Karl von Liechtenstein: Statthalter des Kaisers in Prag.

Karl Bonaventura, Graf von Buquoy (frz. Charles Bonaventure de Longueval, Comte de Buquoy, auch Bucquoy, Bucquoi): französischer Feldherr in spanischen Diensten, den der Kaiser zum Oberbefehlshaber seiner Streitkräfte ernennt.

Don Baltasar de Marradas: spanischer Adeliger und Feldherr in kaiserlichen Diensten.

Ambrosio Spinola: oberster Heerführer der spanischen Truppen in den Niederlanden.

Ernst von Mansfeld: Condottiere im Dienst Savoyens und der Protestantischen Union.

Kurfürst Friedrich von der Pfalz: zum König von Böhmen gewählter Anführer der Protestantischen Union, die vor allem auf Betreiben seines Beraters Christian von Anhalt gegründet wurde.

Kurfürst Johann Georg von Sachsen: einer der mächtigsten protestantischen Fürsten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, scheut aber davor zurück, sich dem Aufstand anzuschließen.

Andreas Imhoff: Ratsherr zu Nürnberg und Bruder von Wilhelm Imhoff, dem Leiter des Handelsunternehmens.

Stefan Fadinger: Bauer und Rebell in Oberösterreich.

Adam Graf von Herberstorff: bayerischer Statthalter des Kaisers zu Linz.

Ludwig Camerarius: Sohn eines Nürnberger Arztes, Jurist und Berater von Kurfürst Friedrich.

 

 

Glossar

Arkebuse oder Hakenbüchse bezeichnet ein kurzes Vorderladegewehr, das im 17. Jahrhundert allmählich von der längeren Muskete abgelöst wurde, die auch größere Kaliber abfeuern konnte. Der Namen gebende Haken diente zum Umhängen, aber auch dazu, den Rückstoß abzufangen, wenn man sie damit an einer Mauer oder einem Ast einhängte.

Böhmische Brüder oder Brüder-Unität wurde die religiöse Gemeinschaft der Anhänger des Reformators Jan Hus genannt. Allerdings spaltete sich diese nach der Hinrichtung ihres Anführers. Im Verlauf der Hussitenkriege bekämpften sich die beiden Hauptrichtungen auch gegenseitig, obwohl es primär gegen Katholiken gehen sollte. Aus dem gemäßigteren Flügel gingen die Utraquisten hervor.

Condottiere war die italienische Bezeichnung für Söldnerführer, die ihre eigenen Heere unterhielten, die sie nach Bedarf an verschiedene Herrscher verdingten. Ein Konzept, das sich unter den italienischen Städterepubliken etabliert hatte und allmählich in ganz Europa durchsetzte, da bis zum Beginn des Dreißigjährigen Kriegs kein Herrscher über ein stehendes Heer verfügte.

Defensoren waren ein Kollegium, das speziell zum Schutz der nicht katholischen Christen gegründet wurde, als die Gegenreformation immer mehr voranschritt.

Felleisen: Ranzen oder Rucksack, wie ihn Postreiter oder Handwerksgesellen auf Wanderschaft benutzten.

Glimpf: gute Art, Anstand, Schonung, Mäßigung, Gegenteil von Unglimpf.

Garaus: Torschluss.

Jurament: Treueeid.

Zum Königreich Böhmen gehörten neben Böhmen auch Mähren und Schlesien sowie die Ober- und Niederlausitz. Ab 1526 unterstanden die böhmischen Kronländer dem Haus Habsburg, das damals Casa Austria oder Haus Österreich genannt wurde und über lange Zeit die Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation stellte.

Kartaune oder Viertelbüchse bezeichnete ein Vorderladergeschütz, dessen Name sich aus dem italienischen »quartana bombarda« ableitete, da es Kugeln abfeuerte, die nur ein Viertel der hundertpfündigen Hauptbüchsenkugeln wogen.

Knollfink war damals ein gängiges Schimpfwort für einen dummen oder groben, ungeschickten Menschen.

Kürassier nannte man einen Soldaten der schweren Reiterei, der Helm und Eisenrüstung trug, die allerdings wegen der körperlichen Einschränkungen immer unbeliebter wurde.

Pike: Spieß oder Lanze von fünf bis sechs Meter Länge, wobei die Spitze aus ganz unterschiedlichem Material bestehen konnte. Piken wurden vor allem gegen Reiterangriffe sehr wirkungsvoll eingesetzt.

Podagra: aus dem Griechischen stammende Bezeichnung für die Gicht.

Petarde: eine frühe Explosivwaffe, um Tore oder Mauern zu brechen. Sie ähnelte einem Eimer, den man mit Schwarzpulver füllen und an das Hindernis schrauben oder hängen konnte.

Ständevertretung: Jedes Land der böhmischen Krone hatte als Gegengewicht zur Zentralgewalt des Königs auch parlamentarische Vertreter. Auf Reichsebene entsprach dies dem Reichstag. In Böhmen bestand sie aus jeweils zehn Abgeordneten der drei Stände Herren, Ritter und Bürger.

 

 

1. Kapitel

In welchem Herzog Maximilian von Bayern Angst und Schrecken, aber auch Hoffnung und Zuversicht verbreitet.

Linz am Samstag, den 18. Juli 1620

 

Floryk Loyal summte zufrieden vor sich hin, während er im Linzer Kontor der Familie Imhoff die Bestellungen durchschaute. Für ihn hatte sich in jeder Hinsicht alles zum Besseren gewandt, seitdem er vor gut zwei Jahren aus Prag weggegangen war. Nie hätte er sich träumen lassen, binnen so kurzer Zeit eine schöne, kluge Frau zu heiraten, die ihm einen Sohn schenkte und sein Leben vollkommen machte. Dabei wollte er nur vor dem Krieg davonlaufen – wie so oft. Beinah hätte er das Klopfen des Kontorleiters überhört, der nicht lange wartete und den Kopf hereinstreckte.

»Hast du ein paar Minuten, Floryk?«

»Was gibt’s denn, Lazarus?«

»Der Freiherr von Tschernembl möchte dich sprechen.«

»Natürlich.« Floryk schob die Papiere beiseite und sprang auf. Wenn einer der mächtigsten Männer von Österreich ob der Enns ihn sprechen wollte, musste es wichtig sein.

Lazarus Furtner ließ den Freiherrn eintreten und schloss die Tür von außen.

Ohne jeden Gruß platzte Georg Erasmus von Tschernembl sogleich mit der Nachricht heraus: »Herzog Maximilian von Bayern marschiert gen Linz.«

Floryk sank auf den Stuhl, während ihm die schiere Angst in Mark und Bein kroch. »Das Heer der Katholischen Liga rückt an?«, keuchte er. Wieso überraschte es ihn? Eigentlich hatten sie schon letztes Jahr damit gerechnet, aber nachdem nun so viel Zeit vergangen war …

Tschernembl nickte grimmig und setzte sich ihm gegenüber an den Schreibtisch. »Maximilian hat einen Boten mit einem Schreiben an die Ständevertreter vorausgeschickt. Er kommt im Auftrag von Kaiser Ferdinand. Wir sollen auf jeglichen Widerstand verzichten und ihm stellvertretend für seinen Vetter huldigen.«

Floryks Zunge klebte am Gaumen. Nur mit Mühe konnte er die Frage aussprechen: »Was werdet Ihr tun, Baron?«

Tschernembls Nasenflügel blähten sich, die grauen Augen schienen Floryk zu durchbohren. »Ich breche heute noch gen Eggenburg auf, doch werden meine Amtsbrüder alles daransetzen, Maximilian und seinen Heerführer – kein Geringerer als Graf Tilly – so lange als möglich hinzuhalten. Wir müssen Zeit gewinnen.«

»Eggenburg? Dann wollt Ihr Euch zu den Truppen der aufständischen Böhmen durchschlagen?«

Der Freiherr nickte. »Hier kann ich nicht mehr viel ausrichten. Das Ligaheer wird sicher die Pässe besetzen. Danach wird es schwierig, nach Böhmen oder Mähren zu gelangen. Wir müssen dem zuvorkommen, womöglich selbst die Pässe bewachen, doch uns stehen nur dreitausend Mann zur Verfügung.«

Floryk schluckte schwer, als ihm die Frage in den Sinn kam, weshalb Tschernembl ausgerechnet mit ihm reden wollte, einem einfachen Kaufmann im Dienst der Nürnberger Familie Imhoff. »Was wünscht Ihr von mir?«

Wieder dieser eindringliche Blick. »Kann ich Euch vertrauen, Loyal?«

Er atmete tief durch. »Ja.«

»Die Kaufmannspost ist noch in Betrieb?«

Dann sollte er nur Dokumente befördern lassen? Erleichtert lächelte er. »Ja, wir finden immer einen Weg.«

Tschernembl legte ein Felleisen auf den Tisch. »Wenn Ihr das zur Weiterverteilung nach Nürnberg bringen lasst, wäre ich Euch zutiefst verbunden. Darin befindet sich auch ein Schreiben an den Rat der Reichsstadt.«

»Selbstverständlich, Baron.«

Sie erhoben sich und schüttelten einander die Hand.

»Viel Erfolg«, sagte Floryk.

»Danke, Gott sei mit Euch.«

»Und mit Euch.«

Sowie Tschernembl die Schreibstube verlassen hatte, kam der Leiter des Handelskontors herein. »Was ist passiert, Floryk?«

»Das Ligaheer dringt nach Linz vor – unter Führung des Herzogs von Bayern und mit Graf Tilly als dessen Feldherrn.«

Lazarus schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, glitzerten sie feucht. »Dann sind wir verloren. So einer Übermacht können wir nicht viel entgegensetzen. Was macht der Freiherr von Tschernembl?«

»Sich dem Aufstand der Böhmen anschließen.« Er hob das Felleisen hoch. »Wir sollen Botschaften für ihn gen Nürnberg schicken.«

»Und von dort nach Prag, Heidelberg und in andere protestantische Gebiete, nehme ich an?«

»Ja, davon gehe ich aus. Wann bricht der nächste Bote in Richtung Norden auf?«

»Morgen.«

»Gut, bringst du ihm die Briefe?«

»Natürlich. Was wirst du tun?«, fragte Lazarus. »Fliehen? Oder in Linz bleiben und riskieren, dass du unter einer Besatzungsmacht leben und zum alten Glauben konvertieren musst?«

»Ehrlich, ich weiß es nicht, aber ich rede gleich mit meiner Frau.«

»Grüß Marika von mir.«

Floryk klopfte seinem Freund auf den Rücken. »Mach dir nicht zu viele Sorgen, Lazarus. Irgendwie wird es weitergehen.«

»Hm …«

Erfüllt von düsteren Gedanken – trotz seiner aufmunternden Worte – schlenderte Floryk durch die Gassen von Linz zu dem Häuschen, das er vor über einem Jahr für sich und seine Familie gemietet hatte. Mussten sie schon wieder das Lager abbrechen und fortziehen? Dabei war sein Sohn erst elf Wochen alt! Er sah die großen grünbraunen Augen von Frantzl im pausbäckigen Gesichtlein vor sich, und ihm wurde das Herz noch schwerer.

Vor seinem Heim angelangt zögerte er kurz, dann trat er ein. Marika erwartete ihn so früh am Nachmittag noch nicht. Er sah sich in der Stube und der Küche um. Auf dem Herd stand ein großer Topf mit Wasser, das Essgeschirr war abgewaschen. Bestimmt hatte seine Frau sich mit dem Kleinen hingelegt. Schlaf war für sie zu einem kostbaren Gut geworden, doch auch er wurde nachts sofort wach, wenn das Büblein weinte. Dabei konnte er sonst jede Art von Lärm ignorieren und schlafen wie ein Bär in seiner Winterhöhle.

Floryk ging hinauf ins obere Stockwerk. Es war unheimlich still im ganzen Haus. Auch von seiner Ziehtochter Mila war nichts zu sehen und zu hören. Er betrat das Schlafgemach und fand sein Weib im Bett, den Säugling mit einem Arm umfassend. Beide schlummerten. Eine lange Strähne von Marikas schwarzem Haar ringelte sich über den Körper seines Sohnes, als wollte sie ihn zusätzlich beschützen. Floryk ließ sich auf ein Knie nieder, um die beiden aus der Nähe zu betrachten. Womit verdiente er dieses wunderbare Weib nur? Und nun hatte sie ihm auch noch ein Kind geschenkt. Der andächtige Moment wurde von neuerlicher Sorge zerstört. Was sollten sie tun? Wieder vor dem Krieg davonlaufen oder bleiben und das Beste hoffen?

Dielen knarrten hinter ihm. Ein Blick über die Schulter verriet ihm, dass Mila hereinschlich. Ihr verschmitztes Lächeln gefror, als sich ihre Blicke trafen. »Was ist passiert?«, hauchte sie.

Er konnte und wollte es noch nicht aussprechen, schüttelte den Kopf und wandte sich wieder seiner Frau und dem kleinen Frantz zu. Da schlug auch Marika die Augen auf. »Floryk? Ist es schon so spät?«

»Nein, ich bin früher nach Hause gekommen. Und tatsächlich erwische ich dich mit einem anderen Kerl im Bett.«

Sie lächelte. »Du hast wirklich allen Grund, eifersüchtig zu sein.« Dann verfinsterte sich ihre Miene. »Was ist geschehen?«

Nun ließ es sich nicht mehr hinauszögern. Floryk winkte Mila heran, bevor er antwortete: »Der Herzog von Bayern rückt mit dem Heer der Katholischen Liga an, im Auftrag des Kaisers. Er verlangt, dass die Ständevertreter von Österreich ob der Enns ihm an Ferdinands Stelle huldigen.«

»Dann ist es so weit.« Marika setzte sich auf, ohne das Büblein zu wecken, betrachtete es zärtlich. »Wir haben Glück, dass sie erst jetzt kommen. Frantzl ist schon etwas robuster, und ich hab mich gut von der Geburt erholt.«

Mila setzte sich neben sie. »Du meinst, wir sollen fortgehen?« Im Alter von gerade mal dreizehn Jahren hatte die Maid schon viel erlebt und erfahren. Ihre blauen Augen richteten sich forschend auf Floryk. »Nach Nürnberg?«

Wenn er das wüsste! Milas Bruder Simon war nach Prag zurückgekehrt, zusammen mit dem kriegsversehrten Vater der beiden. Tschernembl würde dorthin fliehen, doch die Hauptstadt Böhmens konnte sicher nicht lange gehalten werden, falls die Liga dort einmarschierte. Zwar hatten Dänemark und die Vereinigten Niederländischen Provinzen den protestantischen Kurfürsten Friedrich als König von Böhmen anerkannt, doch militärische Hilfe schickten sie ihm nicht. »Was haltet ihr davon, wenn wir hierbleiben?«, dachte er laut.

Milas Augen weiteten sich. »Aber dann müssen wir beide bestimmt zum alten Bekenntnis konvertieren, dabei bist du Hugenotte und ich im Glauben der Böhmischen Brüder erzogen worden.«

Floryk nickte langsam. »Selbst Heinrich von Navarra hat den katholischen Glauben angenommen, um den Thron besteigen und den Frieden in Frankreich wiederherstellen zu können.«

»Er war auch Hugenotte?«, fragte die Maid.

»O ja, der gute König Heinrich wurde er genannt, und er hat im Edikt von Nantes den Menschen seines Landes Religionsfreiheit zugesichert.«

Marika schmunzelte. »Und auf welchen Thron hast du es abgesehen, mein Liebster?«

Floryk lachte auf. »Kein Thron wäre mir so teuer wie die Sicherheit meiner Familie.«

Mila schlug vor: »Wollen wir Johannes Kepler besuchen? Der weiß vielleicht Rat, immerhin ist er auch schon mindestens einmal wegen seines Glaubens vertrieben worden.«

»Vor allem sollte der Gelehrte erfahren, was vor sich geht.« Floryk strich seinem Sohn mit zwei Fingern über die rosige Wange.

»Ich bleib hier«, erklärte Marika. »Wenn wir Frantzl jetzt schon wecken, quengelt er ewig.«

Mila seufzte. »Du hast es gut, du bist schon katholisch.«

»Ja, wenn der Herzog einmarschiert, ist das sicher ein Vorteil, trotzdem bin ich nicht erpicht darauf, unter bayerischer Besatzung zu leben.«

Floryk sah Mila ernst an. »Möchtest du lieber zu deinem Vater und deinem Bruder nach Prag gehen? Der Freiherr von Tschernembl könnte dich womöglich mitnehmen.«

Lange überlegte sie, dann schüttelte sie den Kopf. »Dorthin wird das Ligaheer als Nächstes ziehen, oder nicht?«

»Wahrscheinlich schon.«

Sie stand auf. »Gehen wir zu Kepler.«

 

* * *

 

Warm eingepackt machte sich Mila mit Floryk auf den Weg. Sie wusste selbst nicht recht, was sie sich von dem kaiserlichen Hofastronom und Mathematiker erhoffte, doch es war ihr ein Bedürfnis, mit dem Mann zu sprechen. Johannes Kepler hatte Graz verlassen, weil er nicht konvertieren wollte, als der jetzige Kaiser dort vor vielen Jahren Erzherzog wurde und alle seine Untertanen den alten Glauben annehmen mussten. Sie wollte ebenfalls nicht konvertieren, doch eher aus Trotz denn aus Überzeugung. So viele Menschen kämpften und starben dafür, sich frei für eine Religion entscheiden zu dürfen, und das sollte ihnen auch gewährt werden – ohne Kampf. Schließlich hatten ihnen frühere Kaiser genau das versprochen.

Auf dem Weg ein Stück den Schlossberg hinauf sah sie Floryk von der Seite an. Machte es ihm wirklich so wenig aus, Katholik zu werden, wie er vorgab? Nein, seine Stirn lag in tiefen Falten, das rotblonde schulterlange Haar umrahmte sein grimmig verschlossenes Gesicht.

Plötzlich fragte er, ohne sie anzusehen: »Hoffst du, Kepler ermutigt dich, zu konvertieren, obwohl er als Lutheraner nicht einmal die Konkordienformel unterschreiben und sich damit ganz und gar Luthers Lehren verschreiben will?«

»Vielleicht. Irgendeinen Rat erhoffe ich mir jedenfalls. Schade, dass seine Mutter aus Linz fortgegangen ist. Mit Katharina würde ich noch lieber reden.«

»Anklage ist gegen die Gute noch nicht erhoben worden?«

»Nein, Gott sei Dank, obwohl es so viele Zeugen gibt, die sie der Hexerei bezichtigen.«

Floryk nickte. »Das hohe Ansehen ihres Sohnes schützt sie, doch es wird noch ein langer, steiniger Weg für sie.«

»Und du willst den leichtesten Weg nehmen?«, fragte sie ein wenig vorwurfsvoll.

»Wenn ich nur wüsste, welcher das ist.« Floryk atmete tief durch. »Ich weiß noch nicht einmal, wo es überhaupt langgeht.«

Da musste sie doch lächeln. »Du bist so furchtbar ehrlich, dass man dir nicht böse sein kann.«

Floryk zog sie an ihrem blonden Zopf. »Und du bist viel zu klug für dein Alter.«

Sie feixte: »Und für eine Maid sowieso?«

»Na und wie. Hoffentlich merkt Kepler das nicht.«

Sie grinsten einander an, doch als das Haus des Gelehrten in Sicht kam, riss sich Mila zusammen. Kepler traute Frauen zwar allerlei praktische Arbeiten zu, hatte Mila letztes Jahr sogar in der Druckerei helfen lassen, doch von seiner Forschung sollte Weibsvolk lieber nichts mitkriegen.

Floryk klopfte an die Tür. Keplers Frau Susanna öffnete, grüßte freundlich und musterte Floryk aufmerksam. »Ihr wollt sicher meinen Mann sprechen, werter Loyal.«

»Wenn ich nicht störe.«

»Das kann man nie wissen.«

»Kommt herauf!«, schallte eine Stimme die Stiege herunter.

»Mila!«, quäkte Sebald, der auf allen vieren aus der Küche gekrabbelt kam, obwohl er auch schon laufen konnte.

Hin- und hergerissen zerzauste sie ihm nur die Haare und sprang die Treppe hinauf. Floryk folgte lachend. »Ich dachte ja, der junge Kepler würde dich mehr interessieren.«

»Heute nicht.« Mit pochendem Herzen betrat sie das Studierzimmer des Gelehrten.

Kepler sah sie verwundert an. »Oh, du kommst auch zu mir, Mila?« Seine Wangen glühten in der warmen Stube, die Augen funkelten im schmalen Gesicht. Der schmächtige Mann war kaum größer als sie, und doch sprühte er vor Leben und Kraft.

Sie nickte. »Ich brauche Euren Rat.«

»Ich auch«, sagte Floryk, und er erzählte, was vor sich ging.

Kepler deutete zu dem zweiten Stuhl im Zimmer und überließ es ihnen, wer sich setzte. »Das sind schlimme Nachrichten, sie kommen jedoch wenig überraschend.« Sein Blick schweifte über die Bücher und Papiere auf dem Schreibtisch. »Hier konnte ich so wunderbar arbeiten. Meine besten Werke sind in Linz entstanden. In Ruhe und Frieden.«

Mila fuhr mit den Fingern über den ersten Band der Harmonices Mundi. Beim Druck dieser Reihe hatte sie in der Offizin des Hans Plank helfen dürfen. Sie fragte: »Werdet Ihr diesmal zum katholischen Glauben konvertieren?«

Kepler schüttelte den Kopf. »Nein, ich …« Er sah sie an und lächelte. »Ich suche Gott nicht in den Lehren des Vatikans oder eines reformierten Predigers. Ich suche den Allmächtigen in seiner Schöpfung.«

Mila presste die Lippen aufeinander. Was sollte sie mit dieser Aussage anfangen? Vielleicht hatte er doch recht damit, dass seine Forschungen nicht gut für weibliche Gemüter waren.

Kepler fragte: »Ihr wünscht also meinen Rat?«

Sie nickten beide, und Floryk setzte sich auf den Stuhl.

Kepler schüttelte den Kopf. »Wenn sich die Menschen nur wieder darauf besännen, wie die ersten Christen gelebt haben. Sie haben das Wort Gottes verbreitet und versucht, Jesus nachzufolgen. Sie wären niemals auf die Idee verfallen, die alleinige Deutungshoheit zu beanspruchen.«

Ratlos blickte Mila zu Floryk. Der lächelte jedoch und fragte: »Ihr wollt mit uns eine neue Religionsgemeinschaft gründen?«

»Nur allzu gern, werter Loyal, doch dafür hab ich keine Zeit. Ich will forschen!« Sein Gesicht verdüsterte sich. »Allerdings muss ich jederzeit damit rechnen, dass Anklage gegen meine Mutter erhoben wird. Ich verstehe nicht, warum der Vogt von Leonberg so lange wartet. Vielleicht wird er den Schritt niemals wagen, doch die Ungewissheit zermürbt mich, und meine Mutter sicher noch mehr.«

»Katharina lebt hoffentlich nicht ganz allein in Württemberg?«, fragte Floryk.

»Nein, das wäre nicht gut. Sie wohnt bei meiner Schwester und ihrem Mann, dem Vikar von Heumaden. Wir konnten ihr immerhin ausreden, wieder in ihr Häuschen in Leonberg zu ziehen, wo der Vogt ihr das Leben schwer machen könnte. Doch solange sie sich auf Württemberger Territorium aufhält, kann ihr wenigstens niemand vorwerfen, sie wollte sich einer Verhaftung entziehen.«

»Vielleicht sollte sie genau das tun.« Floryks Stimme klang belegt. Er räusperte sich. »Fliehen.«

»Mutter ist alt. Wohin soll sie gehen? Linz kommt nicht mehr infrage, jetzt da sich das Heer der Katholischen Liga nähert.«

»Wohin werdet Ihr gehen, wenn Österreich ob der Enns besetzt wird und wir alle vor die Entscheidung gestellt werden, zu konvertieren oder wegzuziehen?«, wollte Floryk wissen.

Kepler seufzte. »Ich weiß es nicht. Vielleicht kann ich Lehrer in Tübingen werden, doch dazu müsste ich wiederum die Konkordienformel unterschreiben.«

Mila fragte: »Würdet Ihr uns verachten, wenn wir bleiben und konvertieren?«

Die Augenbrauen des kleinen Mannes schossen nach oben. »Wie käme ich dazu? Manches gefällt mir am katholischen Glauben sogar besser. Überhaupt, was kümmert es dich, wie ich in Glaubensfragen denke?« Er sah sie eindringlich an. Auch Floryk musterte sie neugierig.

»Ihr und Eure Mutter seid Vorbilder. Stark, unbeugsam …«

Der Gelehrte schnaubte und richtete den Blick auf Floryk. »Vorbilder! Wovon spricht das Kind?«

Floryk schmunzelte. »Für mich seid Ihr ein Leuchtturm der Vernunft.«

»Das wird ja immer aberwitziger. Ihr seid Träumer, alle beide.«

Floryk erhob sich. »Wir überlassen Euch wieder Eurer Arbeit.«

»Ja.« Auch Mila hatte genug gehört. »Danke.«

»Wofür?« Kepler schüttelte verwundert den Kopf.

»Für alles«, antwortete sie mit einem Lachen und ging hinaus.

Noch im Korridor fragte Floryk: »Und, was haben wir nun gelernt?«

»Dass es keine Rolle spielt, welchen Glauben wir annehmen oder ablehnen, nur wie wir leben, ist wichtig.«

»Tiefschürfende Erkenntnis, Mila!«

Ob er sich über sie lustig machte? »Fragt sich nur noch, wo wir leben wollen.«

»Hauptsache, in Ruhe und Frieden«, antwortete er.

»An einem Ort, an dem ich was lernen darf, obwohl ich ein Mädchen bin.«

Floryk lächelte. »Nürnberg?«

»Und ich darf auf die Lateinschule in Altdorf gehen?«

»Das wäre eine Möglichkeit.«

Hoffnungsvoll gestimmt schlenderte sie mit Floryk in Richtung Hauptplatz. Vor Onkel Stefans Haus fragte Mila: »Schauen wir rein?« Seinetwegen waren sie schließlich von Frankfurt nach Linz gezogen.

»Dein Oheim ist gerade bestimmt mit Schreibarbeiten im Landhaus schwer beschäftigt. Briefe und Gesuche an den Herzog von Bayern …«

»Dann sollten wir dort vorbeischauen. Vielleicht sehen wir ihn.« Als einer der Schreiber für die Ständevertretung der Landschaft Oberösterreichs wusste er sicher schon viel mehr als sie beide, wenngleich der Onkel auch sehr verschwiegen sein konnte.

Vor dem Landhaus tummelten sich einige Leute, doch Schildwachen versperrten den Durchgang zum Innenhof.

»Wir sind offenbar nicht die Einzigen, die auf Neuigkeiten hoffen«, meinte Floryk. »Da ist ein Amtsdiener. Fragen wir ihn.«

Mila hielt sich etwas im Hintergrund, um nicht als unziemlich neugierige Maid zu gelten.

»Wie ist die Lage?«, fragte Floryk unverblümt.

»Unverändert. Die Herren sind derzeit nicht zu sprechen. Sie arbeiten an einer Entgegnung und werden darauf beharren, dass uns Herzog Maximilian im Namen des Kaisers Religionsfreiheit und die anderen traditionellen Privilegien zusichert, bevor sie ihm huldigen.«

»Das wird der Herzog nicht tun. Sind die Ständevertreter gewillt, ein Heer aufzustellen und die Landschaft zu verteidigen?«

»Das müssen wir. Unsere Bauern greifen ebenfalls zu den Waffen, und wir werden dafür sorgen, dass sie genug davon haben.«

Mila bemerkte, wie Floryks Adamsapfel mehrfach auf- und abhüpfte. Ihr selbst wurde es ganz flau im Magen. Schweigend gingen sie nach Hause.

 

 

2. Kapitel

In welchem Wallenstein fürchterlich leidet, während sich andere schrecklich ärgern.

Budweis am Dienstag, den 21. Juli 1620

 

In Schweiß gebadet wimmerte Albrecht von Wallenstein vor Schmerzen. Jeder Knochen im Leib tat ihm weh, wie er so auf der Feldpritsche lag, zur Untätigkeit verdammt. Das war nicht die elende Podagra, die ihn im April heimgesucht hatte. »Václav!«, krächzte er aus staubtrockener Kehle.

Sein Diener eilte herbei. »Darf ich jetzt den Medicus holen, Herr?«

»Ja, ich geb auf. Haben wir noch Weizenbier?«

Václav sah sich im Zelt um, als könnte er hier welches entdecken. »Ich fürchte nicht, Herr. Soll ich Gerstenbier bringen?«

»Das schlägt mir auf den Magen, mehr Qualen brauch ich wirklich nicht.«

»Ich hol den Arzt, dann lass ich einen Kräutertrunk aufbrühen. Je nachdem, was er empfiehlt.«

»Mach«, murmelte Albrecht und schloss die Augen. Er versuchte, an etwas Schönes zu denken, stellte sich vor, sein Körper wäre nicht da. Marika fuhr ihm durchs Haar und küsste ihn sanft. Eine kalte Hand auf seiner Stirn ließ ihn hochschrecken. Nur ein Traum! Marika war lange fort. Stattdessen stand der Arzt über ihn gebeugt. »Ihr habt Fieber, werter Wallenstein.«

»Ach?« Darauf wäre er von allein auch gekommen. »Ich fühl mich wie damals, als mich die ungarische Krankheit niedergestreckt hat. Zuerst dachte ich, es wär wieder die vermaledeite Podagra.«

Der Mann betrachtete Albrechts Hände und Füße. »Eure Gelenke zeigen keine Auffälligkeiten. Mir scheint, Ihr habt zu sehr dem Essen und Trinken gefrönt.«

Wäre er nicht zu schwach, würde Albrecht nach dem Gehstock neben seiner Pritsche greifen und auf den nutzlosen Wicht eindreschen. »Tut etwas, dass die Schmerzen aufhören«, knurrte er.

»Jawohl.«

Albrecht schloss wieder die Augen, doch es geschah nichts. »Worauf wartet Ihr?«

Der Geruch von Essig, dann ein nasser Lappen auf seiner Stirn. »Ich lasse Euch einen Trank zubereiten, der etwas Linderung verschafft und vor allem das Fieber senkt. Doch das Einzige, das langfristig hilft, ist Mäßigung bei Wein und fettem Essen.«

Albrecht stöhnte. »Mir ist wirklich nichts vergönnt.«

»Habt Ihr denn schon die Neuigkeiten vernommen? Morgen brechen wir auf und ziehen mit dem ganzen Heer gen Österreich unter der Enns. Derweil sind die Truppen der Katholischen Liga unter Graf Tilly in Österreich ob der Enns einmarschiert. Der Herzog von Bayern begleitet das Heer persönlich. Wir nehmen die aufmüpfigen Österreicher in die Zange.«

»Gut.« Welch Ironie. Kaum zwei Wochen war es her, dass die Katholische Liga und die Protestantische Union einen Nichtangriffspakt geschlossen hatten, und schon rührte sich etwas. Weder Böhmen noch Österreich ob und unter der Enns gehörten zur Liga, nur die Kurpfalz. Erstere durften also angegriffen werden, und um Letztere konnten sich die spanischen Verwandten von Kaiser Ferdinand kümmern.

Der Arzt lächelte, als hätte er seine Gedanken erraten. »Reiten werdet Ihr wohl in den nächsten Tagen noch nicht können.«

Albrecht entfuhr ein Lachen, doch das bescherte ihm Schmerzen, als stünde sein Schädel in Flammen. »Ladet mich auf einen Karren. Ich will schließlich das Ende dieses Kriegs miterleben.«

»Ja, bald können wir alle wieder nach Hause.«

Nach Hause. Seine beschlagnahmten Güter wieder in Besitz nehmen, sich eine Frau suchen … Was für eine erfreuliche Vorstellung. Vor Aufregung blieb Albrecht wach, bis Václav ihm einen garstig schmeckenden Kräutertrank brachte. In kleinen Schlucken würgte er das Gesöff hinunter. Er musste wieder gesund werden! »Hast du den Arzt gefragt, was ich essen darf?«

Sein Diener schaute äußerst unbehaglich drein und nickte. »Eure Laune wird sich noch um einiges verschlechtern, bevor es Euch besser geht. Mäßigung bei Speis und Trank hat der Medicus verlangt.«

Albrecht schloss die Augen. »Wenn wir endlich diesen leidigen Aufstand beenden, bin ich gern bereit zu fasten.«

Václav schnaubte. »Ich werde Euch daran erinnern, Herr.«

»Du hast so ein Glück, Bursche.«

»Wieso?«

»Weil ich siech darniederliege und dir keine Tracht Prügel verpassen kann«, murmelte er und atmete tief durch.

»Stimmt«, flüsterte Václav und wechselte den nassen Lappen. »Schon ganz warm.«

Unwillkürlich musste Albrecht an Keplers Horoskop denken. Der Astronom hatte ihm für dieses Jahr eine venerische Krankheit vorhergesagt, doch wo war die Frau, bei der Albrecht sie sich hätte holen können? Mit Beschwerden durch übermäßiges Essen und Trinken lag Kepler schon besser, und für die prophezeiten Verletzungen durch Kämpfe gäbe es bald Gelegenheit. Er musste schleunigst gesund werden.

 

* * *

Retz am Donnerstag, den 23. Juli 1620

 

Heinrich Matthias Graf von Thurn setzte sich mit kleiner Leibgarde vom böhmisch-mährischen Lager ab und ritt gen Retz. Er musste die Ständevertreter von Österreich unter der Enns überzeugen, sich dem Aufstand gegen Kaiser Ferdinand anzuschließen. Nur gemeinsam waren sie stark genug. Bald erreichten sie das Weinstädtchen nahe der mährischen Grenze. Der Turm des merkwürdig anmutenden Rathauses, das eigentlich eine Kirche hätte werden sollen, wies ihnen den Weg. An den Fenstern der Wohnhäuser nahm er huschende Bewegungen wahr. Späher? Kurz darauf ertönte ein Hornsignal, das ihr Erscheinen offenbar ankündigte. Als sie den Hauptplatz erreichten, standen einige wohlgekleidete Herren vor dem Rathaus. Unter den Versammelten entdeckte Heinrich bekannte Gesichter. Nur ein Mann schritt ihm lächelnd entgegen: Georg Erasmus von Tschernembl. Welch Freude, ihn wiederzusehen. Der Freiherr hatte Mut und Verstand, aber auch das Herz am rechten Fleck.

An der Tränke schwang sich Heinrich aus dem Sattel und umarmte den Kampfgefährten. »Baron, ich bin froh, dass Ihr Linz rechtzeitig verlassen konntet.«

»Ich auch, wenngleich mein Herz dabei blutet, Graf Thurn.«

Heinrich legte ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter. »Nun wird auch Eure Heimat in diesen vermaledeiten Krieg hineingerissen. Das bedauere ich sehr, doch was hätten wir tun können?«

»Vor dem Tyrannen niederknien«, antwortete Tschernembl mit grimmiger Miene. »Und das werde ich niemals.«

Heinrich blickte zu den unschlüssig herumstehenden Herren. »Wie werden sich die Ständevertreter entscheiden? Nach einem freudigen Willkommen sieht mir das nicht aus.«

»Kommt, das sollen sie Euch ins Gesicht sagen.«

Dann wollten sie sich tatsächlich Ferdinand unterwerfen? Heinrich bedeutete seinen Männern, zurückzubleiben, und schritt mit dem Freiherrn auf das Rathaus zu. Sein Unmut wuchs, je näher er den Feiglingen kam. Die mächtigsten Männer von Österreich unter der Enns begrüßten ihn freundlich, aber zurückhaltend. Heinrich tat es ihnen nach. Über eine Freitreppe gelangten sie in einen Saal über der ursprünglich geplanten Kapelle. Am großen Tisch versammelt wollte offenbar keiner recht mit der Sprache herausrücken. Heinrich wartete ab, ahnte nach Tschernembls Worten sowieso, was kommen würde. Fieberhaft überlegte er, was er noch vorbringen konnte, um die Angsthasen zu motivieren.

Buchheim ergriff schließlich das Wort. »Werter Graf von Thurn, Ihr wisst, wir mussten vor den kaiserlichen Truppen aus Horn hierher fliehen. Jetzt da auch noch das Heer der Katholischen Liga durch Österreich ob der Enns marschiert und jeglichen Widerstand niederschlägt, können wir Kaiser Ferdinand nicht länger die Huldigung verweigern. In einer Woche, am 30. Juli, müssen wir uns in Wien einfinden.«

»Ihr müsst?«, fragte Heinrich barsch und blickte in die Runde.

»Wenn wir nicht wollen, dass unser schönes Land unter der Enns noch mehr verwüstet wird, dann müssen wir diese letzte Gelegenheit für eine freiwillige Unterwerfung wahrnehmen.« Er seufzte. »Im Mai hat Ferdinand uns noch im Gegenzug Religionsfreiheit angeboten, doch diese Chance haben wir verspielt.«

»Das Versprechen wäre sowieso nichts wert gewesen. Die Jesuiten lehren, dass man Vereinbarungen mit Häretikern brechen darf.« Heinrich stand auf, kämpfte seinen Zorn nieder. Es hatte keinen Sinn. »Dann gibt es nichts mehr zu besprechen.«

Die Herren begleiteten ihn nicht hinaus. Aus Scham über ihre Schwäche? Er wollte es hoffen. Bei der Tränke auf dem Marktplatz erwarteten ihn seine Männer. Tschernembl hatte sein Ross satteln lassen, zwei weitere Männer ebenfalls. Dabei hatte Heinrich gehofft, mit wesentlich mehr Kämpfern zurückzukehren. Doch er musste um jeden einzelnen froh sein. Seine Gefolgsleute schauten ihn erwartungsvoll an. Dann hatte Tschernembl nichts verraten, vielleicht doch noch auf einen Sinneswandel gehofft?

Heinrich schritt zu dem kleinen Haufen und verkündete: »Österreich unter der Enns ist für unsere Sache verloren.«

Tschernembl seufzte und blickte zurück zum Rathaus. »Ein Land, in dem Katholiken und Reformierte lange friedlich zusammengelebt haben.«

»So sollte es immer sein, doch bald wird es hier nur noch Katholiken geben.«

Heinrichs Männer murrten, einer hob die geballte Faust gen Rathaus und rief: »Das werdet ihr noch bereuen.«

Sie stiegen auf und ritten zurück zum böhmischen Ständeheer unter Heinrichs Kommando.

 

* * *

Prag am Montag, den 27. Juli 1620

 

Simon putzte die Lettern und sortierte sie sorgsam in den Kasten, als der Postbote mit einem dicken Felleisen die Druckerei betrat.

»Ein Brief für den jungen Herrn«, scherzte der und reichte Simon auch noch zwei weitere, die für seinen Vater bestimmt waren.

»Für mich?«, wunderte er sich. Der konnte nur … Fürwahr, der Brief kam aus Linz! Unter seine Freude mischte sich sogleich Sorge. Aus Österreich ob der Enns hörte man dieser Tage nichts Gutes. Er ging ins Kontor der Druckerei, legte Vaters Post auf den Tisch und öffnete Floryks Nachricht mit zittrigen Fingern. Hoffentlich ging es allen gut. Besonders um seine Schwester Mila bangte er. Ah, Floryk versicherte ihm sogleich, alle seien wohlauf und Marika habe Anfang Mai einen gesunden Sohn zur Welt gebracht. Wie schön! Mila machte bestimmt ein riesiges Aufheben um das Büblein. Er sah sie geradezu vor sich.

Weiter berichtete Floryk, Herzog Maximilian und Graf Tilly führten das Heer der Katholischen Liga gen Linz. Davon hatte Simon schon erfahren, doch nicht, wie schlimm es stand. Österreich ob der Enns hatte der Armada des Bayernherzogs gerade einmal dreitausend Soldaten und bewaffnete Bauern ohne Kampferfahrung entgegenzusetzen. Dennoch wollte Floryk vorläufig mit Marika, Mila und dem kleinen Frantz in Linz ausharren.

Ein Flugblatt hatte sein Freund ebenfalls mitgeschickt. Er faltete es auf, in der Erwartung etwas Politisches und Geistreiches zu sehen, wenn Floryk es der Mühe wert fand. Als er den Text las, blieb ihm jedoch das Lachen im Halse stecken. Die Dänen würden König Friedrich von Böhmen retten, indem sie tausend Pickelheringe nach Prag sendeten, hieß es darin. Die Niederländischen Provinzen wollten zehntausend Stück Butter beisteuern und Friedrichs Schwiegervater, König Jakob von England, hunderttausend Gesandte schicken. Davon liefen hier wahrlich genug herum, fand Simon, aber wenigstens hatte das Königspaar auch ein Regiment Schotten mitgebracht.

Simon seufzte und ging zu seinem einbeinigen Vater, der missgelaunt auf einer Pritsche in der Druckerei hockte. Als er ihm das Flugblatt zeigte, entlockte es dem Grantler tatsächlich ein Schmunzeln, doch auch er wurde schnell wieder ernst. »Ja, so sieht es aus«, brummte Vater. »Nur wird dadurch keine alte Sau gerettet.«

»Und eine junge Sau erst recht nicht.« Simon setzte sich neben ihn. »Warum bist du heut schon den ganzen Tag so schlecht gelaunt?«

»Gestern Abend ist ein alter Kamerad vorbeigekommen, mit einem Krug Wein. Er ist inzwischen auch abgedankt worden. Seine linke Hand ist zerschmettert, deshalb wollte er sich als Werber nützlich machen. Doch immer weniger Männer sind bereit, für Böhmen zu kämpfen. Sie sehen einen calvinistischen König, der rauschende Feste feiert und die Güter von Katholiken einziehen lässt, weil nicht genug Geld da ist, um die Soldaten zu bezahlen. Dabei hat Friedrich allen Religionsfreiheit versprochen, und sein Hofprediger Scultetus verteufelt unsere utraquistischen Priester als Krypto-Katholiken.«

»Was ist das denn?«

Vater schnaubte. »Heimliche Katholiken. Wozu hätten wir dann diesen Aufstand gegen Ferdinand und die Beschneidung unserer Religionsfreiheit anzetteln sollen?«

»Wenigstens haben wir Prager Scultetus daran gehindert, die Statuen auf der Brücke über die Moldau zerschlagen zu lassen, wie er es mit den Heiligenfiguren im Veitsdom gemacht hat, der Schuft.«

»Ein kleiner Sieg. Und doch ist uns unser Königspaar so fern wie nie zuvor. Die Königin in ihren feinen französischen Gewändern wirkt so fremd, und ihr Englisch versteht kaum jemand hier. Außer ein paar Brocken hat sie noch kein Deutsch gelernt, von Böhmisch ganz zu schweigen. Es wird nicht gut gehen, Simon. Drei Monate sind die beiden mit prächtigem Gefolge durchs Land gereist und haben sich dem Volk gezeigt, doch niemand vertraut auf sie. Kaum einer will für einen Calvinisten und seine englische Prinzessin zur Waffe greifen.«

Das klang gar nicht gut, so hoffnungslos. Simon atmete tief durch. »Ich bin jetzt vierzehn, also könnte ich meine Lehre abschließen und mich dann anwerben lassen.« Vater hatte schon zweimal für seine Heimat gekämpft, da durfte er sich auch nicht länger drücken.

»Tu’s nicht, Junge. Du hast gesehen, wie es im Krieg zugeht, und wir sind nicht stark genug, um uns noch lang dem Kaiser zu widersetzen. Du sollst nicht in einer aussichtslosen Schlacht niedergemetzelt werden.« Er schüttelte den Kopf. »Deiner Schwester würde es das Herz brechen. Ihr geht’s gut? Schreibt Loyal etwas zur Lage im Reich?«

»Ja, noch sind alle wohlauf, aber das Ligaheer wird bald Linz erreichen. Floryk und Marika wollen ausharren. Am Ende wird Mila noch Katholikin.«

»Gott bewahre!«, rief Vater und hob beide Hände in gespieltem Entsetzen.

Simon grinste, da rief Meister Stano: »He, Simon, du Faulpelz, ich dachte, du willst Drucker werden.«

»Ich komme.« Er eilte zu ihm. »Kann ich bald mein Gesellenstück machen? Wer weiß, wie lange es noch dauert, bis Prag erobert wird.«

Stano schnaubte. »Ein paar Monate wirst du schon noch brauchen und der Bayernherzog hoffentlich auch.«

 

 

3. Kapitel

In welchem jeder Widerstand zwecklos scheint.

Linz am Samstag, den 1. August 1620

 

Von Unrast erfüllt, besuchte Floryk früh am Morgen den Onkel von Mila und Simon, der Schreiber im Landhaus war. Der Mann saß direkt an einer der wichtigsten Informationsquellen. Stefan Heideck öffnete selbst die Tür, schaute ihn finster an und sagte: »Sie haben es getan.«

Verwirrt sah Floryk ihn an. »Getan? Wer, was?«

Heideck wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. »In Österreich unter der Enns haben siebenunddreißig Ritter und dreiunddreißig Herren evangelischen Glaubens vorgestern zusammen mit den katholischen Ständevertretern Ferdinand als ihrem Erzherzog und Kaiser gehuldigt.«

Floryk schloss die Augen. Natürlich. Doch war nicht wirklich etwas anderes zu erwarten gewesen mit dem Ligaheer im Anmarsch aus dem Norden und den kaiserlichen Truppen im Süden …

»Immerhin dürfen die Adligen ihren Glauben behalten, ihre Untertanen wohl eher nicht. Komm rein.«

Floryk folgte ihm in die gute Stube, wusste nicht, was er sagen konnte. So hockten sie vor ihren Humpen dünnen Biers und starrten trübsinnig vor sich hin. Kurz steckte Rosa, die einstige Magd, nun Ehewirtin des Schreibers, den Kopf herein, lächelte bei Floryks Anblick und schloss die Tür wieder, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Schließlich fragte Floryk: »Wie nah sind die Truppen der Katholischen Liga?«

»Vielleicht noch drei bis vier Tagesmärsche vor Linz. Unsere Bauern kämpfen erbittert, natürlich sind auch einige Fähnlein abgestellt, die sie unterstützen, doch wir haben in ganz Österreich ob der Enns nur dreitausend Söldner. Lange können wir die Liga damit nicht aufhalten. Schaffen wir eh nicht, aber immerhin machen wir es ihnen etwas schwerer, Linz zu erreichen. Und derweil werden höfliche Botschaften zwischen Liga und Ständevertretung hin- und hergeschickt.«

»Du bleibst hier, wenn sie die Stadt besetzen?«

»Vorläufig ja. Nur weiß ich nicht, ob ich es über mich bringe zu konvertieren. Rosa ist da offener oder verfügt über ein schlichteres Gemüt.« Reumütig blickte er zur Tür, doch sein Weib erschien nicht, um ihn für seine Worte zu rügen. »Wie steht’s mit dir und den Deinen?«

»Wir wissen es auch noch nicht.« Er leerte seinen Krug. Aus unerfindlichen Gründen drängte es Floryk, etwas zu tun, sich selbst einen Eindruck zu verschaffen. Er stand auf. »Ich reite hinaus, dem Heer entgegen.«

Heideck richtete sich auf. »Was? Aber wieso? Du kannst ja doch nichts machen.«

»Stimmt, aber ein Feind, den man wenigstens gesehen hat, ist nicht ganz so beunruhigend.«

»Ach, Floryk, der Anblick wirft dich womöglich aus dem Sattel. Außerdem wird Linz ihnen ohnehin die Tore öffnen. Zum Kampf kommt es gar nicht erst. Wozu auch? Unsere Lage ist hoffnungslos.«

»Trotzdem.«

Heideck musterte ihn misstrauisch. »Falls du daran denkst, dich davonzumachen: Die meisten Pässe hat Herzog Maximilian besetzen lassen.«

Angewidert verzog Floryk das Gesicht. »Ich lass doch hier nicht einfach meine Familie zurück.« Was dachte der Kerl von ihm?

»Dann ist es ja gut.«

Seinen Unmut niederkämpfend verabschiedete er sich und ging nach Hause, direkt in den Stall, um eines der beiden Rösser zu satteln.

Kurz darauf kam Mila wie zufällig hereingeschlendert.

---ENDE DER LESEPROBE---