Der eingebildete Kranke - Kein Drama nach Molière - Anno Stock - E-Book

Der eingebildete Kranke - Kein Drama nach Molière E-Book

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Beschreibung

Paris, 1673. Ein Mann zwischen Angst und Erwachen. Argan lebt in ständiger Furcht vor dem Tod. Umgeben von Ärzten, Apothekern und unzähligen Behandlungen, verbringt der wohlhabende Pariser seine Tage damit, imaginäre Leiden zu beklagen. Um einen Mediziner dauerhaft an seiner Seite zu haben, plant er, seine Tochter Angélique mit dem unbeholfenen Arzt Thomas Diafoirus zu verheiraten – gegen ihren Willen und gegen ihr Herz, das längst einem anderen gehört. Doch seine treue Dienerin Toinette durchschaut das Spiel der Manipulation. Mit Mut, List und einer spektakulären Verkleidung als Arzt beginnt sie, Argans sorgsam konstruierte Welt der Angst zum Einsturz zu bringen. Als auch seine zweite Ehefrau Béline ihr wahres, geldgieriges Gesicht zeigt, muss Argan sich der schmerzhaften Wahrheit stellen: Sein Leben war eine Lüge. Zwischen medizinischer Satire und berührendem Familiendrama entfaltet sich die Geschichte eines Mannes, der lernen muss, dass wahre Heilung nicht aus Pillen und Aderlässen kommt, sondern aus der Ehrlichkeit zu sich selbst. Eine zeitlose Geschichte über Befreiung, zweite Chancen und den Mut, das eigene Leben zurückzuerobern.

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Seitenzahl: 211

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der eingebildete Kranke - Kein Drama nach Molière

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Der eingebildete Kranke – Kein Drama nach Molière

Kapitel 1: Die Rechnung

Kapitel 2: Töchterliche Pflichten

Kapitel 3: Heiratspläne

Kapitel 4: Toinettes List

Kapitel 5: Der Musiklehrer

Kapitel 6: Die wahren Absichten

Kapitel 7: Die Diafoirus

Kapitel 8: Lateinische Liebeswerbung

Kapitel 9: Béralde greift ein

Kapitel 10: Streit der Weltanschauungen

Kapitel 11: Toinette als Ärztin

Kapitel 12: Die gespielte Krankheit

Kapitel 13: Der falsche Tod

Kapitel 14: Enttäuschung und Erkenntnis

Kapitel 15: Argans Wandlung

Kapitel 16: Die Lösung

Epilog

Impressum neobooks

Der eingebildete Kranke – Kein Drama nach Molière

Ein historischer Roman

Kapitel 1: Die Rechnung

Der Morgen des 12. März 1673 brach über Paris herein wie jeder andere auch – mit dem Gestank der Gossen, dem Geschrei der Marktfrauen und dem Klagen der Kranken. Doch während die Stadt erwachte, saß Argan bereits seit zwei Stunden in seinem Lehnstuhl und rechnete.

Er rechnete nicht etwa seine Einnahmen oder Ausgaben des Haushalts. Nein, Argan führte eine viel wichtigere Buchführung: die seiner medizinischen Behandlungen. Mit zusammengekniffenen Augen studierte er die Rechnung seines Apothekers Fleurant, Zeile für Zeile, als hinge sein Leben davon ab – was er tatsächlich glaubte.

„Ein kleines Klistier, beruhigend, zusammengesetzt und zubereitet nach Vorschrift", murmelte er und fuhr mit dem Finger über das Papier. „Dreißig Sols." Er nickte anerkennend. Ein fairer Preis für die Rettung seiner Eingeweide.

Das Zimmer, in dem Argan seinen Morgen verbrachte, spiegelte die Obsession seines Bewohners wider. Überall standen Fläschchen, Tiegel und medizinische Instrumente. An den Wänden hingen anatomische Zeichnungen neben Bildern von Heiligen – als könne göttlicher Beistand die irdische Medizin ergänzen. Der schwere Vorhang vor dem Fenster war nur einen Spalt geöffnet; zu viel frische Luft, so hatte ihm sein Arzt Purgon versichert, könne die Säfte des Körpers durcheinanderbringen.

„Ein gutes, reinigendes Klistier zur Ausspülung und Säuberung des Unterleibs", las Argan weiter. Er zögerte, die Stirn in Falten legend. „Dreißig Sols." Wieder dreißig Sols. War das nicht dasselbe wie zuvor? Nein, nein – das erste war beruhigend, das zweite reinigend. Ein enormer Unterschied. Die medizinische Wissenschaft war eine präzise Kunst, das wusste jeder gebildete Mann.

Draußen im Gang ertönten Schritte. Leichte, schnelle Schritte, die Argan sofort Unbehagen bereiteten. Das war Toinette, seine Dienstmagd, und wenn sie so energisch daherkam, bedeutete das meist Ärger. Ärger bereitete ihm Stress, Stress störte seine Verdauung, und eine gestörte Verdauung – nun, das konnte tödlich enden.

„Monsieur?", rief Toinette durch die Tür. „Monsieur Argan, seid Ihr wach?"

„Natürlich bin ich wach!", rief er zurück, wobei seine Stimme einen gereizten Ton annahm. „Ich bin seit Stunden wach. Ein kranker Mann schläft nicht wie ein gesunder Lümmel bis in den Vormittag hinein!"

Die Tür öffnete sich, und Toinette trat ein. Sie war eine Frau von etwa dreißig Jahren, mit dunklen, lebhaften Augen und einer Haltung, die mehr Selbstbewusstsein ausstrahlte, als sich für eine Bedienstete schickte. Aber Argan hatte sich längst damit abgefunden – gute Dienstboten, die sich mit den Launen eines chronisch Kranken auskannten, waren rar.

„Verzeiht", sagte sie mit einer Verbeugung, die gerade tief genug war, um nicht unverschämt zu wirken. „Madame Béline lässt fragen, ob Ihr zum Frühstück herunterkommt."

„Frühstück!" Argan wedelte mit der Hand, als könne er den Gedanken verscheuchen wie eine lästige Fliege. „Wie soll ich an Essen denken, wenn ich diese Rechnung studiere? Weißt du, Toinette, was die Medizin kostet? Was es bedeutet, in diesem Jahrhundert krank zu sein?"

„Ich weiß, was es bedeutet, die Rechnungen zu bezahlen", entgegnete Toinette trocken. „Deshalb fragt Madame auch, ob Ihr die Anweisung für den Haushalt noch gebt oder ob sie—"

„Gleich, gleich!", unterbrach Argan sie. „Erst muss ich das hier verstehen. Hör zu: Ein mildes Mittel zur Stärkung – ein halber Écu."

„Das sind drei Livres", bemerkte Toinette.

„Ich weiß, was ein halber Écu ist!", fauchte Argan. „Glaubst du, ich kann nicht rechnen? Nach dem milden Mittel kommt ein gutes, zusammengesetztes Stärkungsmittel – zwölf Sols."

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, und zum ersten Mal an diesem Morgen huschte ein zufriedenes Lächeln über sein Gesicht. Die Rechnung war umfangreich – drei eng beschriebene Seiten –, und das erfüllte ihn mit einer seltsamen Genugtuung. Jede Zeile war ein Beweis seiner Leiden, jede Summe ein Zeugnis dafür, wie ernst seine Lage war.

„Ihr habt diesen Monat bereits mehr für Medizin ausgegeben als für alles andere zusammen", wagte Toinette zu bemerken. „Madame Béline macht sich Sorgen um—"

„Béline macht sich Sorgen um mein Wohlergehen", korrigierte Argan sie scharf. „Sie ist eine hingebungsvolle Ehefrau, nicht wie manche, die nur meckern und zweifeln." Er warf Toinette einen bedeutungsvollen Blick zu.

Toinette presste die Lippen zusammen, sagte aber nichts. Sie kannte ihren Herrn gut genug, um zu wissen, wann Schweigen klüger war als Widerspruch. Stattdessen trat sie ans Fenster und schob den Vorhang ein Stück weiter auf, sodass mehr Licht in den Raum fiel.

„Was machst du da?", rief Argan alarmiert. „Zieh den Vorhang zu! Das Licht ist schlecht für meine Augen, und die Zugluft wird meinen Tod bedeuten!"

„Es ist keine Zugluft, Monsieur. Es ist März, und draußen blüht Paris auf."

„Paris blüht auf", wiederholte Argan höhnisch. „Und mit ihm alle Miasmen und Krankheiten! Weißt du, wie viele Menschen in dieser Stadt jeden Tag sterben? An Fieber, an der Pest, an den Dämpfen aus den Gossen?"

„Dann solltet Ihr vielleicht das Haus verlassen und frische Luft schnappen, statt hier in diesem Grab zu sitzen und Rechnungen zu studieren."

Argan starrte sie mit offenem Mund an, als hätte sie vorgeschlagen, er solle nackt über die Pont Neuf tanzen.

„Frische Luft?", wiederholte er ungläubig. „Frische Luft ist Gift für einen Mann in meinem Zustand! Monsieur Purgon hat ausdrücklich gesagt—"

„Monsieur Purgon sagt vieles", unterbrach ihn Toinette. Ihre Stimme war ruhig, aber es schwang eine Schärfe darin mit, die Argan nicht entging.

„Er ist ein Arzt!", donnerte Argan. „Ein gelehrter Mann! Er hat in Montpellier studiert! Was verstehst du von Medizin?"

„Genug, um zu wissen, dass ein Mann, der den ganzen Tag in einem dunklen Zimmer sitzt und sich einredet, er sei todkrank, nicht gesund wird."

Die Stille, die auf diese Worte folgte, war eisig. Argan richtete sich in seinem Stuhl auf, so gerade, wie es sein imaginärer Hexenschuss erlaubte. Seine Wangen färbten sich rot – ein deutliches Zeichen seiner Empörung.

„Hinaus!", zischte er. „Hinaus aus meinem Zimmer! Und schick mir Angélique. Wenigstens meine Tochter hat noch Respekt vor ihrem Vater."

Toinette knickste – diesmal mit mehr Eleganz – und verließ den Raum. Als die Tür sich hinter ihr schloss, wandte Argan sich wieder seiner Rechnung zu, doch die Konzentration war dahin. Die Worte verschwammen vor seinen Augen, nicht wegen einer Krankheit, sondern wegen der Wut, die in ihm kochte.

Wie konnte sie es wagen? Wie konnte diese einfache Dienstmagd seine Leiden in Frage stellen? Er, Argan, der mehr Ärzte konsultiert hatte als die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben! Er, der die medizinische Wissenschaft zu schätzen wusste wie kein anderer!

Mit zitternden Händen legte er die Rechnung auf den kleinen Tisch neben sich und griff nach dem Glöckchen. Das silberne Klingeln hallte durch das Haus – ein Klang, den jeder Bewohner nur zu gut kannte. Es war Argans Notruf, sein Signal, dass der Herr des Hauses Aufmerksamkeit benötigte.

Diesmal erschien nicht Toinette, sondern Angélique. Sie war eine junge Frau von neunzehn Jahren, mit sanften braunen Augen und einer Anmut, die sie von ihrer verstorbenen Mutter geerbt hatte. Ihr Kleid war schlicht, aber sauber, und ihr Haar war zu einem ordentlichen Knoten hochgesteckt.

„Vater?", sagte sie und trat ans Bett. Ihre Stimme war besorgt, wie immer, wenn er nach ihr rief. „Geht es Euch nicht gut?"

„Nicht gut?", wiederholte Argan und ließ sich theatralisch in die Kissen zurücksinken. „Wie könnte es mir gut gehen, wenn selbst meine eigene Dienstmagd meine Leiden verhöhnt? Wenn niemand in diesem Haus versteht, was ich durchmache?"

„Vater, das ist nicht wahr", sagte Angélique sanft und setzte sich auf die Kante des Stuhls. „Wir alle sorgen uns um Euch. Madame Béline besonders."

Bei der Erwähnung seiner zweiten Ehefrau hellte sich Argans Miene auf. Béline. Ja, sie verstand ihn. Sie teilte seine Sorgen, bestärkte seine Ängste, unterstützte jeden Arztbesuch. Sie war die perfekte Gefährtin für einen kranken Mann.

„Béline ist ein Engel", murmelte er. „Ein wahrer Engel. Nicht wie deine Mutter – Gott hab sie selig –, die immer dachte, ich würde übertreiben."

Angélique schwieg. Sie hatte ihre Mutter kaum gekannt – die Frau war gestorben, als sie noch ein Kind war. Aber die wenigen Erinnerungen, die sie hatte, waren warm und liebevoll. Ihre Mutter hatte gelacht, viel gelacht, und das Haus mit Leben erfüllt. Jetzt, mit Béline als Stiefmutter, waren die Räume stiller geworden, ernster, kontrollierter.

„Was hältst du hiervon?", fragte Argan plötzlich und schob ihr die Apothekerrechnung hin. „Schau dir das an. Ein kleines Klistier, beruhigend – dreißig Sols. Ein gutes, reinigendes Klistier – noch einmal dreißig Sols. Monsieur Fleurant ist ein gewissenhafter Apotheker. Jede Behandlung ist präzise dokumentiert."

Angélique überflog die Rechnung mit einem Blick, der mehr Besorgnis als Bewunderung ausdrückte. Sie sah Zahlen, Summen, endlose Listen von Pulvern, Tinkturen und Klistieren. Die Gesamtsumme am Ende der dritten Seite ließ sie innerlich zusammenzucken.

„Das ist... sehr umfangreich, Vater."

„Umfangreich!", triumphierte Argan. „Siehst du? Sogar du erkennst den Ernst meiner Lage. Ein gesunder Mann braucht keine solche Behandlung. Aber ich – ich muss kämpfen, jeden Tag, jede Stunde."

„Vielleicht", begann Angélique vorsichtig, „könnte eine einfachere Behandlung—"

„Einfacher?", unterbrach Argan sie, und sein Ton wurde schrill. „Du klingst wie Toinette! Wie mein Bruder Béralde, dieser Ignorant! Einfacher! Als könne man Krankheiten mit ein bisschen Kräutertee und guten Wünschen heilen!"

Er begann zu husten – ein trockener, dramatischer Husten, der mehr Performance als Symptom war. Angélique reichte ihm sofort ein Glas Wasser, das auf dem Nachttisch stand, und wartete geduldig, bis der Anfall vorüber war.

„Siehst du?", keuchte Argan, nachdem er getrunken hatte. „Siehst du, wie es mir geht? Meine Lunge! Mein Herz! Alles schwach, alles krank!"

Angélique legte ihre Hand auf seine. Sie war warm und fest, und für einen Moment beruhigte die Berührung den alten Mann.

„Ihr solltet ruhen, Vater", sagte sie sanft. „Die Rechnung kann warten. Monsieur Fleurant wird verstehen, wenn—"

„Nein!", Argan zog seine Hand zurück. „Die Rechnung muss heute bezahlt werden. Ein Arzt, ein Apotheker – sie müssen pünktlich bezahlt werden, sonst verlieren sie das Vertrauen. Und ohne Vertrauen gibt es keine Behandlung. Verstehst du das nicht?"

Er stand auf, plötzlich voller Energie, und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Dabei murmelte er vor sich hin, rechnete halblaut, addierte und subtrahierte. Angélique beobachtete ihn mit einer Mischung aus Zuneigung und Verzweiflung. Dies war ihr Vater – ein Mann, der sich selbst zum Gefangenen seiner Ängste gemacht hatte.

„Es macht über dreiundsechzig Livres", verkündete Argan schließlich. „Dreiundsechzig Livres und vier Sols für einen einzigen Monat! Aber was ist Geld gegen die Gesundheit? Was sind ein paar Münzen, wenn das Leben auf dem Spiel steht?"

Er drehte sich zu Angélique um, die Augen fiebrig glänzend.

„Und genau deshalb", fuhr er fort, jetzt mit einer Bestimmtheit in der Stimme, die Unheil verhieß, „habe ich eine wichtige Entscheidung getroffen. Eine Entscheidung, die deine Zukunft betrifft, meine Tochter."

Angéliques Herz setzte einen Schlag aus. Sie kannte diesen Ton. Es war der Ton, mit dem ihr Vater Ankündigungen machte, gegen die es keinen Widerspruch gab.

„Meine Zukunft?", wiederholte sie leise.

„Ja!", Argan rieb sich die Hände, zufrieden mit sich selbst. „Ich habe lange darüber nachgedacht. Ein kranker Mann wie ich braucht Sicherheit. Er braucht die Gewissheit, dass immer ein Arzt in seiner Nähe ist. Und was wäre besser, als einen Arzt in die Familie zu holen?"

Die Worte hingen schwer in der Luft zwischen ihnen. Angélique wurde blass.

„Ein Arzt?", flüsterte sie.

„Genau! Monsieur Diafoirus hat einen Sohn, Thomas. Ein junger, vielversprechender Mediziner. Und er wird dein Ehemann werden."

Die Welt schien für einen Moment stillzustehen. Draußen hörte man die Rufe der Straßenhändler, das Klappern von Hufen auf Kopfsteinpflaster, das normale Leben einer Stadt, die sich nicht um die Tragödien einzelner Herzen kümmerte.

„Aber Vater", begann Angélique, ihre Stimme zitterte, „ich... ich habe nie von diesem Thomas gehört. Ich kenne ihn nicht."

„Du wirst ihn kennenlernen!", versicherte Argan ihr fröhlich. „Er kommt heute Nachmittag mit seinem Vater zu Besuch. Ein ausgezeichneter junger Mann, wie mir versichert wurde. Etwas schüchtern vielleicht, aber was macht das schon? Er ist Arzt! Das ist alles, was zählt!"

„Vater, bitte—"

„Keine Widerrede!", Argan hob warnend den Finger. „Ich habe mich entschieden. Das ist zu deinem Besten. Du wirst einen geachteten Mann heiraten, einen Gelehrten. Was könntest du dir mehr wünschen?"

Liebe, dachte Angélique verzweifelt. Ich könnte mir Liebe wünschen.

Aber sie sprach es nicht aus. Sie kannte ihren Vater gut genug, um zu wissen, dass solche Sentimentalitäten ihn nur verärgern würden. Stattdessen senkte sie den Blick und nickte stumm.

„Gut", sagte Argan zufrieden. „Sehr gut. Nun geh und sag Madame Béline, dass ich die Anweisung für die Haushaltskasse gleich gebe. Und schick mir Toinette – ich muss ihr verzeihen. Ein kranker Mann kann es sich nicht leisten, im Streit mit seinem Personal zu leben."

Angélique erhob sich mechanisch, knickste und verließ das Zimmer. Als sie im Flur stand, lehnte sie sich gegen die kühle Wand und kämpfte gegen die Tränen an, die in ihr aufstiegen.

Ein Arzt. Ihr Vater wollte sie mit einem Arzt verheiraten, einem Mann, den sie nie gesehen hatte, nur um seine eigene hypochondrische Sicherheit zu gewährleisten.

Und während in der Ferne die Glocken von Notre-Dame läuteten, wusste Angélique, dass ihr Leben sich gerade für immer verändert hatte.

Kapitel 2: Töchterliche Pflichten

Angélique fand Zuflucht in dem kleinen Garten hinter dem Haus. Es war kein großer Garten – die meisten Pariser Stadthäuser verfügten nur über einen schmalen Hof –, aber für sie war er ein Paradies. Hier, zwischen den Rosenstöcken und dem kleinen Brunnen, konnte sie atmen, konnte sie nachdenken, konnte sie für einen Moment vergessen, dass sie die Tochter eines Hypochonders war.

Sie setzte sich auf die steinerne Bank unter dem blühenden Apfelbaum und faltete die Hände im Schoß. Die Nachricht ihres Vaters hallte noch immer in ihrem Kopf nach: Ein Arzt. Thomas Diafoirus. Heute Nachmittag.

„Mademoiselle Angélique?"

Die Stimme ließ sie zusammenzucken. Sie blickte auf und sah Toinette, die mit einem Korb voller frischer Wäsche aus dem Haus kam. Die Dienstmagd legte den Korb ab und setzte sich neben Angélique auf die Bank, ohne um Erlaubnis zu fragen – eine Vertraulichkeit, die sie sich im Laufe der Jahre erarbeitet hatte.

„Er hat es Euch gesagt", stellte Toinette fest. Es war keine Frage.

Angélique nickte stumm.

„Der junge Diafoirus", fuhr Toinette fort und begann, die Wäsche zu falten. „Ich habe von ihm gehört. Sein Vater prahlt überall in der Stadt mit ihm. Angeblich hat er mit neunzehn Jahren seinen Abschluss gemacht."

„Das ist doch gut", murmelte Angélique mechanisch. „Ein gelehrter Mann."

„Gelehrt, ja", sagte Toinette mit einem spöttischen Unterton. „Aber man sagt auch, er könne kaum einen Satz sprechen, ohne dass sein Vater ihn unterbricht und korrigiert. Er soll schüchtern sein wie ein Kirchenmäuschen und so unbeholfen in Gesellschaft, dass er bei einem Bankett einmal seinen Wein über die Gastgeberin geschüttet hat."

Trotz ihrer Verzweiflung musste Angélique fast lächeln. „Ihr hört zu viel Klatsch auf dem Markt."

„Klatsch hat oft einen wahren Kern", entgegnete Toinette. „Aber das ist nicht der Punkt, nicht wahr? Der Punkt ist, dass Euer Vater Euch mit einem Mann verheiraten will, den Ihr nicht liebt."

Bei diesen Worten brach der Damm. Tränen schossen Angélique in die Augen, und sie wandte schnell den Kopf ab, aber es war zu spät. Toinette hatte es gesehen.

„Ach, mein Kind", sagte die Dienstmagd sanft und legte einen Arm um die junge Frau. „Ich weiß es. Ich weiß von Cléante."

Angélique fuhr herum, die Augen weit aufgerissen. „Woher—"

„Ich bin nicht blind", sagte Toinette mit einem kleinen Lächeln. „Glaubt Ihr wirklich, mir wäre nicht aufgefallen, wie Ihr jeden Mittwoch zum Markt wollt? Wie Ihr immer den Weg an der kleinen Kirche vorbei wählt, wo zufällig ein gewisser junger Mann oft zu finden ist?"

Angéliques Wangen färbten sich rot. Sie hatte gedacht, sie sei so diskret gewesen, so vorsichtig. Aber natürlich hatte Toinette es bemerkt. Toinette bemerkte alles.

„Ihr werdet es Vater nicht sagen", flüsterte Angélique. Es war halb Bitte, halb Feststellung.

„Natürlich nicht", versicherte Toinette ihr. „Euer Geheimnis ist bei mir sicher. Aber Ihr müsst mir alles erzählen. Wer ist dieser Cléante? Wie habt Ihr ihn kennengelernt?"

Angélique zögerte. Es war gefährlich, darüber zu sprechen, gefährlich, das zarte Pflänzchen ihrer Liebe den Blicken anderer auszusetzen. Aber gleichzeitig sehnte sie sich danach, jemandem ihr Herz zu öffnen, und wenn es jemand in diesem Haus gab, dem sie vertrauen konnte, dann war es Toinette.

„Es war vor drei Monaten", begann sie leise, der Blick auf ihre gefalteten Hände gerichtet. „Ich war mit Louison – Ihr wisst, die Tochter des Bäckers – auf dem Weg zum Markt. Es hatte geregnet, und die Straßen waren schlammig. Plötzlich kam eine Kutsche um die Ecke gerast, viel zu schnell, und ich rutschte aus."

Sie hielt inne, und ein zartes Lächeln umspielte ihre Lippen bei der Erinnerung.

„Er fing mich auf. Ich wäre gestürzt, aber er war plötzlich da und hielt mich. Ich blickte auf und sah... die freundlichsten Augen, die ich je gesehen hatte. Braun wie Kastanien im Herbst, und sie lachten, als er fragte, ob ich verletzt sei."

„Ein wahrer Held", bemerkte Toinette trocken, aber nicht ohne Wärme.

„Er begleitete uns zum Markt", fuhr Angélique fort, jetzt mehr zu sich selbst sprechend als zu Toinette. „Und wir sprachen. Oh, wie wir sprachen! Über Bücher, über Musik, über alles und nichts. Er ist Sohn eines Notars, wisst Ihr, gebildet und kultiviert. Er liebt die Poesie und kann Verse rezitieren, die einem das Herz brechen."

„Natürlich kann er das", murmelte Toinette. „Alle jungen Männer können das, wenn sie ein Mädchen beeindrucken wollen."

„Aber bei ihm war es echt", beharrte Angélique. „Er meinte es ernst. Und seither... seither treffen wir uns. Immer mittwochs, wenn ich zum Markt gehe. Manchmal nur für ein paar Minuten, manchmal länger, wenn Louison für uns Wache hält. Wir haben nie... es war immer anständig, immer respektvoll. Aber..."

„Aber Ihr habt Euch verliebt", beendete Toinette den Satz.

„Ja", flüsterte Angélique. „Ich habe mich verliebt."

Die beiden Frauen saßen schweigend nebeneinander, während über ihnen die Apfelblüten im leichten Wind tanzten. In der Ferne hörte man das Geschrei von Kindern, die auf der Straße spielten, und das Klappern von Geschirr aus der Küche.

„Und was werdet Ihr jetzt tun?", fragte Toinette schließlich.

„Was kann ich tun?", Angéliques Stimme war voller Verzweiflung. „Mein Vater hat entschieden. Heute Nachmittag kommt dieser Thomas Diafoirus, und ich soll ihn heiraten. Ein Arzt für einen Hypochonder – die perfekte Verbindung."

„Perfekt für ihn vielleicht", sagte Toinette scharf. „Aber was ist mit Eurem Glück?"

„Das Glück einer Tochter liegt im Gehorsam", antwortete Angélique bitter und wiederholte damit die Worte, die ihr ganzes Leben lang eingetrichtert worden waren. „Eine Tochter gehorcht ihrem Vater, bis sie ihrem Ehemann gehorcht. So ist die Ordnung der Dinge."

„Die Ordnung der Dinge", wiederholte Toinette mit Verachtung. „Die Ordnung der Dinge hat noch nie eine Frau glücklich gemacht. Aber hört zu, meine Liebe, gebt noch nicht auf. Euer Vater mag entschieden haben, aber die Hochzeit ist noch lange nicht vollzogen. Viel kann passieren zwischen heute und dem Altar."

Angélique blickte auf, ein Funke Hoffnung in ihren Augen. „Was meint Ihr?"

„Ich meine", sagte Toinette mit einem verschmitzten Lächeln, „dass ich nicht umsonst zwanzig Jahre in diesem Haushalt diene. Ich kenne Euren Vater besser als er sich selbst kennt. Und ich weiß, wie man einen kranken Mann von seinen fixen Ideen abbringt."

„Toinette, Ihr werdet doch nicht—"

„Ich werde gar nichts tun", unterbrach Toinette sie rasch. „Zumindest nicht jetzt. Erst müssen wir sehen, wie dieser junge Diafoirus ist. Vielleicht – und ich sage nur vielleicht – wird er sich selbst disqualifizieren. Junge Ärzte können erstaunlich töricht sein, besonders wenn sie nervös sind."

Bevor Angélique antworten konnte, öffnete sich die Hintertür des Hauses, und Madame Béline trat heraus. Sie war eine Frau in ihren späten Dreißigern, gut erhalten und sorgsam gekleidet. Ihr Kleid war aus teurem Brokat, und ihr Haar war kunstvoll frisiert. Doch ihre wahre Schönheit lag nicht in ihrem Äußeren, sondern in ihrer Fähigkeit, genau das Gesicht aufzusetzen, das die Situation erforderte.

In diesem Moment war es das Gesicht besorgter Zuneigung.

„Angélique, meine Liebe!", rief sie aus und eilte über den Hof. „Ich habe dich überall gesucht! Dein Vater ist ganz aufgeregt wegen des bevorstehenden Besuchs. Er braucht dich."

Toinette erhob sich und knickste. „Madame."

Béline schenkte ihr kaum einen Blick. Ihre gesamte Aufmerksamkeit galt Angélique, die ebenfalls aufgestanden war.

„Du siehst blass aus, Kind", sagte Béline und nahm Angéliques Gesicht in die Hände. „Ist alles in Ordnung? Die Neuigkeit über deine bevorstehende Verlobung – ich hoffe, sie hat dich nicht zu sehr überrascht?"

„Nein, Madame", log Angélique. „Ich bin nur... es ist alles sehr plötzlich."

„Natürlich ist es das", seufzte Béline und legte einen Arm um Angéliques Schultern, während sie sie zurück zum Haus führte. „Dein Vater ist ein impulsiver Mann, wenn es um sein Wohlergehen geht. Aber du musst verstehen, meine Liebe, er meint es gut. Er will nur das Beste für dich."

Das Beste für sich selbst, dachte Angélique, aber sie sagte es nicht laut.

„Monsieur Diafoirus und sein Sohn haben einen ausgezeichneten Ruf", fuhr Béline fort, während sie durch die Hintertür ins Haus traten. „Der alte Herr Diafoirus ist Leibarzt mehrerer bedeutender Familien, und der junge Thomas – nun, sie sagen, er sei ein Wunderkind der Medizin."

„So jung und schon Arzt", murmelte Angélique.

„Genau!", Béline drückte ihre Schulter. „Stell dir vor, meine Liebe, du wirst die Frau eines Arztes! Die Leute werden dich respektieren, dich beneiden. Und für deinen armen Vater – oh, welch eine Erleichterung! Immer einen Mediziner im Haus zu haben, jemanden, der sich um seine Leiden kümmern kann."

Sie passierten die Küche, wo die Köchin bereits damit begonnen hatte, ein aufwendiges Mittagsmahl vorzubereiten. Der Duft von gebratenem Geflügel und frischem Brot erfüllte die Luft, aber Angélique hatte keinen Appetit.

„Ich möchte, dass du dein bestes Kleid anziehst", sagte Béline, als sie die Treppe zum ersten Stock hinaufstiegen. „Das blaue vielleicht, mit den Perlen. Es lässt deine Augen strahlen."

„Ist das wirklich nötig?", fragte Angélique. „Es ist doch nur ein Besuch, keine—"

„Nur ein Besuch?", Béline lachte leise. „Meine liebe, naive Angélique. Dies ist der wichtigste Besuch deines Lebens! Der junge Mann kommt, um dich zu sehen, um sich von deinen Vorzügen zu überzeugen. Natürlich hat dein Vater bereits alles arrangiert, aber trotzdem – ein guter erster Eindruck ist entscheidend."

Sie erreichten Angéliques Zimmer, einen kleinen, aber gemütlichen Raum mit Blick auf die Straße. Béline öffnete sofort den Kleiderschrank und begann, Kleider herauszuziehen.

„Das blaue, ja. Und dazu die weißen Schuhe. Dein Haar sollten wir hochstecken, aber nicht zu streng. Jung und unschuldig, das ist der richtige Eindruck."

Angélique beobachtete ihre Stiefmutter mit einer Mischung aus Faszination und Unbehagen. Béline war immer so organisiert, so kontrolliert. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Jedes Detail war durchdacht, jede Geste kalkuliert.

„Madame", sagte Angélique leise, „darf ich Euch etwas fragen?"

„Natürlich, meine Liebe", antwortete Béline, ohne von ihrer Kleiderauswahl aufzublicken.

„Wart Ihr... wart Ihr glücklich, als Ihr meinen Vater geheiratet habt?"

Die Frage hing in der Luft wie ein Messer. Béline hielt inne, das blaue Kleid noch in den Händen. Dann drehte sie sich langsam um, und ihr Gesicht hatte einen Ausdruck angenommen, der schwer zu deuten war.

„Glücklich?", wiederholte sie. „Was für eine seltsame Frage."

„Ich meine nur...", stammelte Angélique, „Ihr wart doch sicher aufgeregt? Nervös? Es muss schwer gewesen sein, in ein fremdes Haus zu kommen, eine Witwe mit Kindern zu heiraten..."

„Ach, ich verstehe", sagte Béline und ihre Stimme wurde weicher, fast mütterlich. „Du hast Angst. Das ist natürlich, vollkommen natürlich. Aber sieh, meine Liebe, das Glück in der Ehe kommt nicht von romantischen Gefühlen – solche Dinge sind für Romane und Theatersstücke. Das wahre Glück kommt von Sicherheit, von Stabilität, von der Gewissheit, dass man versorgt ist."

Sie legte das Kleid aufs Bett und trat zu Angélique. „Als ich deinen Vater heiratete, war ich eine Witwe ohne Vermögen. Mein erster Mann – Gott hab ihn selig – hatte mir nichts hinterlassen außer Schulden. Ich brauchte Sicherheit, und Argan bot sie mir. Liebe ich ihn? Nun, ich respektiere ihn, ich sorge mich um ihn, ich tue meine Pflicht als Ehefrau. Ist das nicht genug?"

„Aber—", begann Angélique.

„Es gibt kein Aber", unterbrach Béline sie sanft, aber bestimmt. „Du bist jung, Angélique. Du hast romantische Vorstellungen im Kopf, ausgelöst durch die Geschichten, die Toinette dir erzählt, oder die Lieder, die du auf der Straße hörst. Aber die Realität ist anders. Die Realität ist, dass eine Frau einen Mann braucht, der sie versorgen kann. Und ein Arzt – ein Arzt ist eine ausgezeichnete Partie."

Sie strich Angélique eine Haarsträhne aus dem Gesicht, eine Geste, die beinahe zärtlich wirkte.

„Vertrau mir", sagte sie. „Ich will nur das Beste für dich. Und das Beste für diese Familie."

Damit drehte sie sich um und verließ das Zimmer, das blaue Kleid über dem Arm. Angélique blieb allein zurück, umgeben von Stille und Zweifeln.

Langsam trat sie ans Fenster und blickte hinunter auf die belebte Straße. Pariser Alltagsleben pulsierte dort – Händler priesen ihre Waren an, Kinder spielten, Frauen tratschten an den Brunnen. Alles schien normal, gewöhnlich, unverändert.