Der Notarzt 265 - Karin Graf - E-Book

Der Notarzt 265 E-Book

Karin Graf

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Beschreibung

In der sonst so beschaulichen Nachbarschaft der Familie Gärtner kommt es seit einiger Zeit immer wieder zu Zwischenfällen. Der ehemalige Richter Arthur Kirchmeyer terrorisiert seine Nachbarn von Tag zu Tag mehr. Schon längst vermuten die Anwohner, dass der alte Mann "nicht mehr ganz richtig im Kopf" ist, aber niemand wagt es, entsprechende Schritte einzuleiten, denn Arthurs Tochter Sarah Kirchmeyer ist eine eiskalte Staatsanwältin, die über weitreichende Beziehungen verfügt.

Sie hat den Nachbarn klargemacht, dass sie jedem schaden wird, der gegen ihren Vater aussagt. Die berechnende Frau hat nämlich ihre ganz eigenen Pläne, und dafür darf niemand erfahren, wie es um ihren Vater wirklich steht.

Wolfgang Gärtner instruiert seine besorgte Frau Christa, sich da nicht einzumischen. Schließlich könnte die Staatsanwältin einiges tun, um Wolfgangs anstehende Beförderung zum Vize-Stadtrat zu verhindern.

Dann kommt es zu einer Katastrophe: Charlotte, die zehnjährige Tochter der Gärtners, macht sich mit ihrem Fahrrad auf den Weg zu einer Freundin. Doch Charlotte wird am Abend nicht heimkehren, denn auf dem Weg zu ihrer Freundin fährt sie am Haus des alten Richters vorbei, und dort passiert etwas Schreckliches ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Sie wollte nur kurz zu einer Freundin …

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/gorillaimages

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2904-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Sie wollte nur kurz zu einer Freundin …

Plötzlich muss Dr. Kersten um das Leben des kleinen Mädchens kämpfen

Karin Graf

In der sonst so beschaulichen Nachbarschaft der Familie Gärtner kommt es seit einiger Zeit immer wieder zu Zwischenfällen. Der ehemalige Richter Arthur Kirchmeyer terrorisiert seine Nachbarn von Tag zu Tag mehr. Schon längst vermuten die Anwohner, dass der alte Mann „nicht mehr ganz richtig im Kopf“ ist, aber niemand wagt es, entsprechende Schritte einzuleiten, denn Arthurs Tochter Sarah Kirchmeyer ist eine eiskalte Staatsanwältin, die über weitreichende Beziehungen verfügt.

Sie hat den Nachbarn klargemacht, dass sie jedem schaden wird, der gegen ihren Vater aussagt. Die berechnende Frau hat nämlich ihre ganz eigenen Pläne, und dafür darf niemand erfahren, wie es um ihren Vater wirklich steht.

Wolfgang Gärtner instruiert seine besorgte Frau Christa, sich da nicht einzumischen. Schließlich könnte die Staatsanwältin einiges tun, um Wolfgangs anstehende Beförderung zum Vize-Stadtrat zu verhindern.

Dann kommt es zu einer Katastrophe: Charlotte, die zehnjährige Tochter der Gärtners, macht sich mit ihrem Fahrrad auf den Weg zu einer Freundin. Doch Charlotte wird am Abend nicht heimkehren, denn auf dem Weg zu ihrer Freundin fährt sie am Haus des alten Richters vorbei, und dort passiert etwas Schreckliches …

Das Geräusch klang in der friedlichen und idyllischen Wohngegend nahe am Frankfurter Stadtwald so völlig fehl am Platz, dass Peter und Lea ein paar Sekunden lang nur erstarrt dasaßen, als plötzlich ein Schuss die abendliche Stille zerriss.

„Was war das?“ Lea König, die Kinder- und Jugendpsychologin, presste eine Hand auf ihr heftig pochendes Herz. „Eine Fehlzündung von einem Motorrad oder so?“

„Nein!“ Dr. Peter Kersten, der Leiter der Notaufnahme an der Frankfurter Sauerbruch-Klinik, schüttelte den Kopf. Er hatte die eine Stunde, die ihm noch blieb, ehe er zum Nachtdienst aufbrechen musste, nutzen wollen, um mit seiner Lebensgefährtin gemütlich zu Abend zu essen. „Das war ein Schuss.“

Lea nickte. Genau das war auch ihr erster Gedanke gewesen.

„Oben im Wald?“, erkundigte sie sich, obwohl sie genau wusste, dass es sich dabei um reines Wunschdenken handelte.

„Viel näher“, bestätigte Peter ihre Befürchtung. „Es klang fast so, als wäre es direkt vor dem Haus gewesen.“

„Herr Kirchmeyer … von gegenüber …?“ Lea rubbelte sich abwechselnd die nackten Unterarme, auf denen sich jetzt eine Gänsehaut ausbreitete, sodass sich all die feinen weißblonden Härchen sträubten. „Er wird doch nicht …?“

„Herrgott!“ Peter sprang auf, als ein weiterer Schuss ertönte und der Schreckensschrei einer Frau zu hören war. „Vielleicht dreht er jetzt völlig durch!“, rief er und rannte aus der Küche.

„Sei vorsichtig, Schatz!“, mahnte die Psychologin, eilte hinter dem Notarzt her in die weitläufige Eingangshalle ihrer Villa, blieb jedoch sicherheitshalber hinter der Tür stehen, durch die Peter jetzt nach draußen rannte.

„Hierher! Hallo! Hier!“, rief Peter Kersten laut und streckte einen Arm winkend nach oben. „Frau Kirchmeyer, kommen Sie zu uns! Das Gartentor ist offen! Schnell!“

Lea machte die Tür weit auf, als sie hörte, wie jemand laut keuchend den Kiesweg entlangrannte. Sie breitete die Arme aus, als eine junge Frau in leicht gebückter Haltung, beide Hände schützend über ihren Kopf gelegt, mit einem solchen Affenzahn in die Eingangshalle geschossen kam, dass sie mit ziemlicher Sicherheit gegen das nächstbeste Hindernis geprallt wäre, hätte die Psychologin sie nicht aufgefangen.

„Alles in Ordnung. Hier sind Sie in Sicherheit, Sofie“, murmelte Lea beruhigend, während sie die bildhübsche junge Frau noch immer festhielt und ihr über Rücken und Haare strich, bis sie spürte, dass sich die Frau langsam ein wenig beruhigte.

„Herrgott!“, murmelte sie fassungslos. „Er hat doch nicht etwa auf Sie geschossen? Sagen Sie mir bitte, dass er das nicht getan hat!“

„Ach du meine Güte, Ihr Knie!“, stieß der Notarzt fast zeitgleich aus, ehe Sofie Kirchmeyer Leas Frage beantworten konnte. „Sie bluten ja!“

„Ich … ich bin gestürzt, als er zum ersten Mal auf mich geschossen hat.“ Ihr Atem ging noch immer viel zu schnell und stoßweise.

„Kommen Sie erst mal hier herein.“ Lea legte der geschockten Frau einen Arm um die Taille, führte sie in die Küche und drückte sie sanft auf einen der Stühle nieder, während Peter Verbandszeug aus dem Medizinschränkchen im Bad holte.

„Kaffee? Oder soll ich Ihnen lieber Tee kochen?“

„Kaffee. Gerne. Danke, Lea.“ Sofie Kirchmeyer stieß ein paarmal hintereinander zischend die Luft aus, lehnte sich zurück und hielt dann ihre Hände hoch, die so stark zitterten, dass Lea sie nur verschwommen sehen konnte.

„Da! Sehen Sie?“ Das Geräusch, das Sofie von sich gab, lag irgendwo zwischen ungläubigem Lachen und verzweifeltem Schluchzen. „Jetzt weiß ich, wie sich Todesangst anfühlt! Oder … oder … wie es einem Wildschwein zur Jagdsaison geht.“

„Kein Wunder!“ Peter Kersten zog mit dem Fuß einen Schemel zu sich heran und setzte sich so, dass er Sofies linkes Knie, in dem eine tiefe Wunde klaffte, direkt vor Augen hatte. „Achtung, das könnte jetzt ein bisschen brennen.“

Sofie Kirchmeyer hielt den Atem an und biss die Zähne fest zusammen, als der Notarzt ein Desinfektionsmittel auf ihr verletztes Knie sprühte.

„Das muss genäht werden.“ Peter pickte mit einer Pinzette kleine Kieselsteinchen aus der blutenden Wunde und säuberte sie dann mit Wasserstoffperoxid. „Ich lege Ihnen jetzt einen provisorischen Verband an und nehme Sie dann gleich mit in die Sauerbruch-Klinik. Sie müssen, glaube ich, ohnehin in diese Gegend, oder?“

„Ja. Ich wohne in Sachsenhausen. Gar nicht weit von Ihrer Klinik entfernt. Danke!“ Sofie schaute auf, als Lea einen Becher voll heißem Kaffee vor sie auf den Tisch stellte, und bedankte sich erneut.

„Wie kommt Ihr Vater dazu, auf Sie zu schießen?“, fragte Lea König fassungslos. Hatte er einen Anfall oder so etwas in der Art?“ Sie warf Peter einen fragenden Blick zu. „Kommen bei Alzheimer oder Demenz Aggressionsanfälle vor?“

„Verfolgungswahn, klar“, nuschelte der Notarzt, der sich die Verbandsschere zwischen die Zähne geklemmt hatte, während er mit einem Finger das Ende des Verbands festhielt und mit der anderen Hand den Anfang auf der Klebstreifenrolle suchte.

„Ja, Verfolgungswahn, ganz genau!“ Sofie Kirchmeyer stieß ein heiseres Lachen aus. „Neuerdings hält er mich für eine feindliche Spionin. Genau genommen hat er mich eine speindliche Fionin genannt, ehe er sein Jagdgewehr aus dem Schrank holte und mich wie einen tollwütigen Hund abknallen wollte.“

Sie trank einen Schluck Kaffee, wobei sie die Hand, mit der sie den Becher hochhob mit der anderen Hand festhalten musste, weil ihr Zittern sonst den Kaffee zum Überschwappen gebracht hätte.

„Es war dumm von mir, hierherzukommen“, flüsterte sie, als sie den Becher wieder abgesetzt hatte. „Zu mir war er ja schon vor seiner Erkrankung nicht besonders nett. Für ihn hat es immer nur Sarah, meine ältere Schwester, gegeben. Sie ist in seine Fußstapfen getreten und ist heute Staatsanwältin. Ich bin bloß eine arbeitslose Kräuterhexe.“

„Arbeitslos?“ Der Notarzt zog die Augenbrauen hoch. „Haben Sie nicht erst vor Kurzem eine eigene Praxis als Heilpraktikerin eröffnet?“

„Ja, ha, ha!“ Sofie rang sich ein gequältes Lachen ab. „Die hatte ich genau drei Wochen lang.“

Sie deutete mit einer ruckartigen Kopfbewegung zum Fenster, durch das man eine Ecke des gegenüberliegenden Hauses sehen konnte.

„Als ehemaliger oberster Richter hat er noch immer sehr gute Beziehungen. Und Sarah unterstützt ihn voll und ganz bei seinen Bemühungen, mir zu beweisen, dass ich ein Nichts bin. Gemeinsam haben sie mir Ämter auf den Hals gehetzt, von denen ich noch nicht einmal wusste, dass es sie gibt.“

Sie leerte ihren Kaffeebecher mit einem großen Schluck.

„Das Ergebnis war, dass ich meinen Kredit sofort zurückzahlen musste, weil sie mich als kreditunwürdig verleumdet haben. Die Praxis musste ich schließen, weil angeblich die Brandschutzeinrichtungen und Fluchtwege nicht dem neuesten Standard entsprachen. Jetzt wird gerade überprüft, ob ich mir mein Diplom nicht erschwindelt habe und ob ich psychisch überhaupt dazu in der Lage bin, auf Menschen losgelassen zu werden.“

„Und Ihre Schwester hilft ihm dabei?“ Lea blieb fassungslos der Mund offen stehen. „Was ist das denn für ein …?“ Sie schluckte den Kraftausdruck, der ihr auf der Zunge lag, hinunter. „… ein reizendes Herzchen?“

„So war sie schon immer. Eifersüchtig und egozentrisch.“ Sofie seufzte und senkte traurig den Kopf. „Und jetzt kommt wohl noch das Erbe hinzu. Vater hat einen ganzen Haufen Geld angesammelt. Das will sie wohl alles für sich allein haben. Sie führt einen sehr aufwendigen Lebensstil. Teure Autos, Designerklamotten, Luxusreisen. Dafür reicht ihr Monatsgehalt nicht aus.“

Sie rührte mit dem Löffel hektisch in dem leeren Becher herum.

„Meinetwegen soll sie auch alles haben!“, rief sie unter Tränen aus. „Ich bin an dem Geld überhaupt nicht interessiert! Aber es genügt ihr nicht, wenn ich eine Verzichtserklärung unterschreibe. Sie will, dass er ein neues Testament verfasst, in dem er mich ausdrücklich enterbt. Und bis sie ihn so weit hat, dürfen natürlich weder Demenz noch Alzheimer bei ihm diagnostiziert werden. Obwohl er vermutlich beides hat, so, wie er sich benimmt.“

„Inzwischen terrorisiert er hier das ganze Viertel!“, sagte Lea seufzend. „Letzte Woche hat er in seinem Garten die Rosenbüsche geschnitten – und zwar so, wie Gott ihn schuf. Splitterfasernackt. Und vorgestern hat er aus dem obersten Fenster eine Kuckucksuhr nach Paul Pawlik geworfen, weil der mit dem Roller ein paarmal die Gasse auf und ab gefahren ist. Ihr Vater dachte, er wolle ihn ausspionieren, um später bei ihm einzubrechen.“

Lea schüttelte den Kopf.

„Der Junge ist sieben!“ Sie schaute auf, als Peter sein Handy vom Tisch nahm. „Was hast du vor, Schatz?“

„Ich melde diesen Vorfall natürlich!“, erwiderte der Notarzt. „Ich verlange, dass er zumindest entwaffnet wird! Es kann doch nicht angehen, dass ein schwer dementer Mann mit Jagdwaffen spielen darf! Was, wenn er mit seinem blöden Gewehr ein Kind erschießt?“

„Es wird nur nichts bringen“, murmelte Sofie. „Bestimmt hat er schon Sarah angerufen. Sie wird schneller hier sein als die Polizei und wie immer alles so verdrehen, dass ich die einzige Schuldige bin.“

„Das werden wir ja sehen!“, zischte Peter empört. „Die ganze Straße weiß doch über Arthur Kirchmeyer Bescheid. Eltern verbieten ihren Kindern, an seinem Haus vorüberzugehen. Manche Leute nehmen einen weiten Umweg in Kauf, weil sie Angst vor ihm haben. Der Mann ist krank! Er weiß doch gar nicht mehr, was er tut! Er gehört in eine spezielle Einrichtung. Oder zumindest sollte man ihm eine geeignete Betreuung zur Seite stellen.“

„Sobald er Sarah die Villa und seinen gesamten Besitz überschrieben hat, wird er schneller weg sein, als er bis drei zählen kann.“

Sofie streckte ihren linken Arm aus, als der Notarzt auch noch eine Abschürfung an ihrem Ellbogen säubern und verbinden wollte.

„Allerdings im billigsten Pflegeheim, das es gibt“, fügte sie bitter hinzu. „Auch das möchte ich gerne verhindern. Er ist zwar kein besonders netter Mensch, aber er ist immerhin mein Vater. Ich will nicht, dass er irgendwo ans Bett gefesselt und Tag und Nacht unter Drogen gesetzt wird. Das hat er nicht verdient. Kein Mensch auf der ganzen Welt hat so etwas verdient!“

„Und deswegen wollten Sie ihn besuchen?“, hakte Lea nach. „Um ihn zu überreden, sich eine gute Pflegerin ins Haus zu nehmen oder sich in einem guten Seniorenwohnheim einzuquartieren, solange er noch frei über sein eigenes Geld verfügen kann?“

„Ja, das auch.“ Sofie ließ ihren Kopf so tief sinken, dass ihre Stirn beinahe an den Rand des Kaffeebechers stieß, den Lea erneut gefüllt hatte. „Er hat sich zum ersten Mal seit vielen Jahren an meinen Geburtstag erinnert“, erzählte sie leise und stockend. „Er hat mir ein Päckchen geschickt. Wissen Sie, was drinnen war?“

„Was denn?“, fragten Lea und Peter gleichzeitig.

„Eine tote Maus.“

***

Seit Dr. Florian Wilde im erstaunlich jungen Alter von nur fünfunddreißig Jahren die Leitung der Psychiatrischen Abteilung an der Frankfurter Sauerbruch-Klinik übernommen hatte, war man auf dieser Station seines Lebens nicht mehr sicher.

Diese Erfahrung machte Prof. Lutz Weidner, der Chefarzt der Sauerbruch-Klinik, als er im Zuge seines allabendlichen Rundgangs durch sein Krankenhaus die Psychiatrie betrat.

Kaum hatte er den Code eingegeben, die Tür geöffnet und einen Fuß auf den breiten Korridor gesetzt, kam ein etwa elfjähriges Mädchen, das einen roten Sturzhelm auf dem Kopf und Rollerscates an den Füßen trug, in einem solchen Affenzahn auf ihn zu gerast, dass er es gerade noch schaffte, sich flach gegen die Wand zu drücken, um einen Zusammenstoß zu verhindern.

„Aufpassen und hinter der Absperrung bleiben, Opa!“, ermahnte ihn das Mädchen kichernd, ehe es rasant um die Ecke bog und seine wilde Fahrt fortsetzte.

„Herrgott!“ Lutz Weidner presste eine Hand auf sein laut pochendes Herz. Er blickte nach unten. Tatsächlich war der breite Korridor mit gelbem Klebeband in eine Fahrbahn und einen Fußgängerbereich unterteilt worden, und an manchen Stellen konnte er sogar Zebrastreifen sehen.

„Unglaublich!“ Der Professor wollte weitergehen, als er erneut der Gefahr ins Auge blickte. Ein etwa zwölfjähriger Junge – ebenfalls auf Rollschuhen und mit Sturzhelm, Knie- und Ellbogenschützern ausgerüstet – kam angebrettert.

„Wo ist sie?“, verlangte der Junge keuchend zu wissen, ohne sein halsbrecherisches Tempo auch nur geringfügig zu drosseln. „Elli? Wo?“

„Ähm …“ Der Chefarzt deutete mit dem Daumen zu dem Korridor, der an der Tür im rechten Winkel von diesem hier abzweigte.

Er wollte etwas sagen, doch da war er auch schon wieder allein. Nur der Luftzug, der seine Krawatte an der Spitze etwas anhob, zeugte noch von der gefährlichen Begegnung.

„Heiliger Strohsack!“ Er machte ein paar zaghafte Schritte – jederzeit auf das Schlimmste gefasst – und spähte dann vorsichtig durch die offene Tür in den Aufenthaltsraum, um nachzusehen, ob er Dr. Wilde darin entdecken konnte.

Zu spät erkannte er den gefiederten Pfeil, der direkt auf ihn zugeschossen kam und ihn mitten auf der Stirn erwischte. Zum Glück war das Geschoss eher klein und hatte an seinem Ende eine Saugglocke aus Gummi statt einer Spitze.

„Heiliger Stroh …“ Weiter kam der Chefarzt nicht, denn in diesem Augenblick stürzte sich eine laut brüllende wilde Horde auf ihn.

„Sie sind umzingelt!“, schrie ein kleiner Junge, der höchstens vier oder fünf Jahre alt sein konnte. Sein Gesicht war mit roten und grünen Streifen bemalt, und er hatte ein paar abgeknickte Krähenfedern im Haar stecken.