Der Notarzt 458 - Karin Graf - E-Book

Der Notarzt 458 E-Book

Karin Graf

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Beschreibung

Dr. Peter Kersten hat in seinem Leben als Notarzt schon viel gesehen, und es gibt kaum einen Anblick, der ihn noch erschrecken könnte. Vielmehr sind es die Schicksale einiger seiner Patienten, die ihn tief in seinem Innersten treffen und bei denen er mitunter kämpfen muss, um nicht die Fassung zu verlieren. So ist es auch, als Dr. Kersten die zehnjährige Josephine Brinkmayer kennenlernt.
Das zarte Mädchen sieht jünger aus, als es ist, und doch blickt es ihn mit alt und müde wirkenden Augen an, die schon viel durchgemacht zu haben scheinen.
Bei ihrem Besuch in der Notaufnahme versteckt sich die Kleine zunächst hinter der Tür, als müsse sie sich erst selbst Mut zusprechen. Und was der Notarzt dann herausfindet, versetzt ihn in größte Alarmbereitschaft ...


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Inhalt

Cover

Das Mädchen hinter der Tür

Vorschau

Impressum

Das Mädchen hinter der Tür

Dr. Kerstens dramatischer Fall um ein Kind in Not

Karin Graf

Dr. Peter Kersten hat in seinem Leben als Notarzt schon viel gesehen, und es gibt kaum einen Anblick, der ihn noch erschrecken könnte. Vielmehr sind es die Schicksale einiger seiner Patienten, die ihn tief in seinem Innersten treffen und bei denen er mitunter kämpfen muss, um nicht die Fassung zu verlieren. So ist es auch, als Dr. Kersten die zehnjährige Josephine Brinkmayer kennenlernt.

Das zarte Mädchen sieht jünger aus, als es ist, und doch blickt es ihn mit alt und müde wirkenden Augen an, die schon viel durchgemacht zu haben scheinen.

Bei ihrem Besuch in der Notaufnahme versteckt sich die Kleine zunächst hinter der Tür, als müsse sie sich erst selbst Mut zusprechen. Und was der Notarzt dann herausfindet, versetzt ihn in größte Alarmbereitschaft ...

Als Notarzt eines so stark frequentierten Krankenhauses wie der Frankfurter Sauerbruch-Klinik konnte man mitunter die kuriosesten Vorfälle erleben.

Doch was sich an diesem Freitagnachmittag zutrug, so etwas war Dr. Peter Kersten, dem Leiter der Notaufnahme, noch nie zuvor begegnet.

Wie fast immer, wenn das Wochenende vor der Tür stand, war das Wartezimmer seit kurz nach Mittag heillos überfüllt. Viele, die schon die ganze Woche lang an irgendeinem Zipperlein laborierten, wollten sich noch rasch absichern, ehe sie ins Blaue oder ins Grüne aufbrachen, damit sie nicht irgendwo fernab von jeglicher medizinischer Hilfe eine böse Überraschung erlebten.

So kam es, dass Peter und jedes einzelne Mitglied seines Teams alleine in je einem Behandlungsraum einen Patienten nach dem anderen abfertigten.

Schwester Angelika, die Pflegerin, die heute Dienst am Anmeldeschalter hatte, schätzte schon bei der Anmeldung den Schweregrad der jeweiligen Erkrankungen oder Verletzungen ein.

Die leichtesten Fälle verwies sie an die beiden noch relativ neuen Assistenzärzte. Die etwas schwierigeren Angelegenheiten schickte sie zu Oberschwester Nora, Schwester Annette oder dem Sanitäter Jens, während sie alles, was ihr irgendwie bedenklich vorkam, den beiden Behandlungsräumen zuwies, in denen Dr. Peter Kersten und Dr. Elmar Rösner zugange waren.

Der achtjährigen Josephine Brinkmayer fehlte nach Angelikas Bemessen zwar nicht wirklich etwas Ernsthaftes, doch irgendwie hatte das Anmeldegespräch mit deren Mutter Laura sie ein bisschen verstört.

Und da die Beziehungen zwischen manchen Eltern und deren Kindern nicht wirklich als normal bezeichnet werden konnten und sie hier in der Notaufnahme schon so manches Mal ein Kind aus untragbaren Verhältnissen erlöst hatten, teilte sie diesen Fall Peter zu.

Sie wollte dem kleinen Mädchen, das ihrer Meinung nach Hilfe brauchte, ein paar Minuten mit dem Notarzt alleine geben. Also führte sie Mutter und Tochter zu dem betreffenden Behandlungsraum, und als der Notarzt die Tür öffnete, tat sie so, als ob ihr gerade noch etwas Wichtiges eingefallen wäre.

»Ach, du meine Güte, ich bin heute ein bisschen konfus. Ich brauche Sie noch einmal vorne am Schalter, Frau Brinkmayer. Ich habe völlig vergessen, mit Ihrer Versicherungskarte Josefines Krankenakte abzurufen. Die brauchen wir aber unbedingt. Und ein paar Fragen zu Allergien und so weiter hätte ich dann auch noch.«

Angelika Kessler nahm es auf sich, dass die Frau seufzend die Augen verdrehte und sie offensichtlich für ein wenig unterbelichtet hielt. Sie hatte selbst zwei halbwüchsige Jungs zu Hause, für deren Wohl und Sicherheit sie noch weit mehr als das in Kauf genommen hätte.

»Es tut mir sehr leid, Frau Brinkmayer.« Sie beugte sich zu dem kleinen Mädchen hinab. »Denkst du, du schaffst es auch ohne Mami? Es dauert nur ein paar Minuten, dann kommt sie schon wieder zu dir. Okay?«

»Okay!« Das Mädchen nickte und guckte seiner Mutter nach, die der Pflegerin den Flur entlang zurück zum Wartezimmer folgte, durch das man zum Anmeldeschalter gelangte.

Dann schaute sie zu Peter Kersten auf.

»Ich brauche ein paar Sekunden, um mich vorzubereiten«, sagte sie. »Geht das?«

»Alles, was du willst, junge Dame«, erwiderte der Notarzt schmunzelnd. »Willst du dazu alleine sein? Soll ich drinnen auf dich warten?«

»Ja, bitte.« Sie nickte ernst und trat hinter die halb offene Tür, als Peter in den Behandlungsraum zurückgekehrt war.

Wie und worauf sie sich vorbereiten wollte? Peter hatte keine Ahnung. Sie hatte ihn darum gebeten, und selbstverständlich respektierte er auch die Wünsche seiner kleinen Patienten.

Vielleicht hatte sie ja irgendeine besondere Methode, um sich selbst Mut zu machen. Vielleicht wollte sie ihn aber auch einfach nur hinhalten, um draußen vor der Tür auf ihre Mutter zu warten.

Zwar hatte Angelika Kessler ihm zu verstehen gegeben, dass er mit dem Mädchen eine Weile alleine sprechen sollte, weil sie den Verdacht hatte, dass es irgendwelche Probleme gab, welche die Kleine in Anwesenheit der Mutter niemals ansprechen würde, aber er würde den Teufel tun und sie zu was auch immer nötigen.

Also wartete er auf das Mädchen hinter der Tür. Es war ganz still draußen. Nach etwa einer halben Minute hörte er, wie sie tief Luft holte. Und dann trat sie ein.

Genau genommen trat ein völlig anderes Mädchen ein. Noch genauer genommen war es – abgesehen von Äußerlichkeiten – gar kein kleines Mädchen mehr.

Die Kleine lächelte so doll, dass alle ihre Zähne zu sehen waren. Sie schien um eine ganze Kopflänge gewachsen zu sein, doch das lag nur daran, dass sie sich streckte, die Schultern weit zurück und die Brust heraus drückte.

Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und trippelte mit wiegenden Schritten in den Behandlungsraum.

Als Peter dachte, der seltsame Auftritt sei nun vorüber, legte sie erst so richtig los. Sie hob ihr Kleidchen hoch und stellte einen Fuß auf den Stuhl, den Peter sich an die Untersuchungsliege herangeschoben hatte. Dann begann sie zu singen.

»Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, denn das ist meine Welt und sonst gar nichts.«

Sie strich sich wie eine Stripteasetänzerin von den Knöcheln bis zum Oberschenkel über das Bein, leckte sich mehrmals sehr lasziv die Lippen, und ihre Stimme klang rauchig und lockend.

Dann nahm sie das Bein vom Stuhl, und es folgte eine Steppeinlage. Tappiti-tappitit-tapp-tippiti-tippiti-tipp ...

Als Peter endlich aus seiner Erstarrung erwachte, war sie bereits bei »Männer umschwirr'n mich wie Motten das Licht ...« angelangt.

Er hob eine Hand hoch.

»Josephine! Das war sehr ... hübsch, und du singst sehr schön, aber ...«

Er verstummte, als er sah, wie ihre Augen sich vor blankem Entsetzen weiteten. Und dann brach sie in ein heftiges Schluchzen aus.

»Ich war nicht gut genug? Es tut mir so leid! Darf ich es noch einmal versuchen? Bitte! Ich kann auch etwas anderes singen. Whitney Houston oder Madonna. Oder wenn Sie mich lieber als kleines Mädchen mögen, dann singe ich ›Pack die Badehose ein‹. Ich kann Ihnen auch den Text vorsprechen! Ich kann ihn auswendig, auch wenn ich die meisten Wörter nicht kenne. Bitte geben Sie mir noch eine Chance! Bitte! Bitte!! Bitte!!!«

Peter hatten noch nie zuvor so sehr die Worte gefehlt wie jetzt. Er hatte keinen blassen Schimmer, was hier eigentlich los war.

»Eine Chance wofür, Josephine?«, fragte er sanft, als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte.

»Sie können mich Jojo nennen. Das ist mein Künstlername. Jojo Brink. Und ...« Sie brach ab und kicherte. »Ich weiß nicht mal genau, wofür. Mama hat es mir nicht gesagt. Ist mir eigentlich auch ziemlich egal. Eine Rolle in einem Film, Werbung, Theater, ich bin überall gut. Bitte glauben Sie mir! Bitte! Bitte!! Bitte!!!«

Langsam begann es Peter zu dämmern, was dieser merkwürdige Auftritt sollte. Und insgeheim gratulierte er Schwester Angelika für ihre untrügliche Intuition.

Was er hier vor sich hatte, war kein achtjähriges Mädchen, sondern ein bestens abgerichtetes Zirkuspferd, das wie ein Pawlowscher Hund sofort loslegte, sobald es durch eine Tür trat. Und routiniert, wie sie war, ging das vermutlich schon seit Jahren so.

»Ich glaube dir alles, mein Schatz«, beantwortete er ihr unterwürfiges Flehen. »Aber ich glaube auch, dass hier ein Missverständnis vorliegt. Du bist hier in der Notaufnahme der Sauerbruch-Klinik, und ich soll dich untersuchen, weil deine Mutter sich Sorgen macht, dass dir möglicherweise irgendetwas fehlt.«

»Uuups!« Sie schlug sich eine Hand vor den Mund und guckte ihn erschrocken an. »Sie sind gar kein Produzent, und das hier ist kein Vorsprechen?«

»Ich bin Arzt. Und es geht hier um deine Gesundheit. Kannst du mir sagen, was dir fehlt? Hast du irgendwelche Schmerzen? Bist du oft müde? Fühlst du dich denn krank? Hast du eine Ahnung, was deiner Mutter Sorgen bereitet?«

Sie nickte, dann zuckte sie mit den Schultern.

»Ich bin zu fett.«

Erneut fehlten dem Leiter der Notaufnahme die Worte.

»Du bist ... wie bitte?«

»Fett.« Sie senkte den Kopf so tief, dass ihr Kinn ihre Brust berührte.

»Ich habe neulich die Rolle in so einer Serie nicht gekriegt, weil der Produzent meinte, ich sei zwar richtig gut, aber zu pummelig, und sie wollten ein schlankes Mädchen. Mama war ziemlich sauer auf mich. Jetzt bekomme ich nur noch Salat zu essen, aber das Fett geht einfach nicht runter.«

Jetzt musste Peter sich erst einmal setzen, denn eine unbändige Wut auf die Mutter dieses Kindes drohte ihm den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

Aber nicht nur auf die Mutter war er wütend, sondern auch auf jenen Teil seiner Kollegen, die bei jedem neuen Schwachsinn voller Begeisterung mitmachten, ohne erst einmal darüber nachzudenken.

Nachdem in den letzten Jahrzehnten Tausende junge Mädchen in die Magersucht getrieben worden waren, machte man sich jetzt über die jüngeren Kinder und neuerdings sogar über Babys her.

Unzählige ärztliche Ratgeber, in denen man nachlesen konnte, dass der Babyspeck allerspätestens mit einem Jahr weg sein musste, überschwemmten neuerdings den Markt. Wenn ein einjähriges Kind noch Speckröllchen am Körper hatte, erfuhr man darin, dann sei das ein Alarmzeichen für das Entstehen einer krankhaften Fettsucht.

Dabei hatte die seriöse Wissenschaft längst herausgefunden, wofür der sogenannte Babyspeck notwendig war. Nämlich für die optimale Entwicklung des Gehirns, das gerade in den ersten Lebensjahren ständig ungeheure Mengen an Energie aus den Fettdepots benötigte, um bestmöglich wachsen und reifen zu können.

»Als Arzt kann ich dir sagen, Jojo, dass du keinesfalls zu dick bist«, erklärte er dem unglücklichen Mädchen. Du bist von oben bis unten und rundherum genau richtig. Dein Körper leistet gerade jetzt Schwerstarbeit und benötigt die Reserven. In den kommenden Jahren wirst du auch noch kräftig wachsen, und da ...«

»Werde ich nicht«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich bekomme jeden Tag so eine eklige Tablette, die macht, dass ich nicht mehr wachse.«

Und schon wieder fiel Peter aus allen Wolken. Ein Medikament zur Unterdrückung des Wachstumshormons? Wie konnte man einem gesunden Kind so etwas nur antun?

»Weißt du denn, warum du nicht wachsen sollst?«

Sie nickte. »Weil es für kleinere Mädchen mehr Rollen oder Werbung und all so was gibt. Die Agentur hat zu Mama gesagt, dass ich ab ungefähr zehn Jahren vermutlich weniger Aufträge bekommen werde. Erst später mit fünfzehn oder so wird's dann wieder besser. Und Mama hat gesagt, dass wir uns so eine lange Pause nicht leisten können. Und ...«

Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum.

»Ich ... ich bin ja nun schon zehn Jahre alt.«

»Ach, bist du?« Peter warf einen Blick auf das Krankenblatt, das Angelika ihm übergeben hatte. Er hatte sich eingebildet, darauf stünde ... Aber ja, er hatte es sich nicht nur eingebildet. »Hier steht, dass du acht bist.«

Sie nickte verlegen.

»Das ist für die Produzenten, damit ich weiter Aufträge bekomme. Künstler dürfen ihr wahres Alter verheimlichen, wissen Sie?«

»Tatsächlich?«

Sie nickte. »Wenn so eine Schauspielerin zum Beispiel fünfzig ist und etwas mit ihrem Gesicht machen lässt, wodurch sie wie dreißig aussieht, darf sie auch dreißig in ihrem Reisepass stehen haben. Bei Schauspielerinnen und all solchen ist das nämlich wichtig fürs Geschäft.«

»Ich verstehe«, erwiderte Peter knapp und rang sich ein Lächeln ab. Was ihm jetzt tatsächlich durch den Kopf ging, das konnte er vor Jojo nicht aussprechen. Es wäre nämlich kein einziger Ausdruck dabei, der gerade noch irgendwie als jugendfrei durchginge.

Wie immer, wenn es sich um psychische oder soziale Probleme handelte, die ein Kind betrafen, suchte er den Rat seiner Lebensgefährtin, der Kinder- und Jugendpsychologin Dr. Lea König.

Er entschuldigte sich bei Jojo dafür, dass er schnell mal telefonieren müsse. Als er Lea am Telefon hatte, fragte er sie, ob sie jetzt gleich ein paar Minuten Zeit hätte.

Da die beiden längst ein eingespieltes Team waren, genügten Lea diese Frage und die Dringlichkeit, die sie in seiner Stimme erkannte, völlig. Sie brauchte gar nicht erst nachzufragen, um was es sich denn handelte.

»Ich bin in zehn Minuten bei dir. Halte die Eltern oder wen auch immer so lange hin«, erwiderte sie nur und legte auf.

***

»Guck mal, Vivien, die Kleine hier wäre ideal. Die hat ihre erste Werbung mit drei Monaten gedreht und es seither auf rund dreihundert Aufträge gebracht. Die kleineren Sachen wie Fotos oder Statistenrollen nicht mitgezählt. Und süß sieht sie auch aus.«

»Wie alt?«

»Acht.«

»Du meine Güte!« Vivien schauderte. Dreihundert größere und vermutlich ebenso viele kleine Aufträge in acht Jahren, das konnte nur bedeuten, dass das arme Kind absolut keine Freizeit mehr hatte.

Die fünfunddreißigjährige Vivien Brinkmayer war leitende Redakteurin bei einem lokalen Fernsehsender und gerade damit beschäftigt, sogenannte Kinderstars für eine kritische Dokumentation über dieses Thema ausfindig zu machen.

Dieses Thema war ihr eine Herzensangelegenheit, denn ihre zehnjährige Nichte Josephine, die Tochter ihrer sieben Jahre älteren Schwester Laura, war eines jener armen Kinder.

Vivien und ihre ältere Schwester Laura waren immer schon verschieden wie Tag und Nacht und inkompatibel wie Hund und Katz gewesen.

Laura war nicht dumm. Sie war nur träge, um nicht stinkfaul zu sagen. Faul, aber raffiniert und rücksichtslos.

Als Vivien zur Welt gekommen war, war Laura anfangs regelrecht entsetzt darüber gewesen, dass da jemand daherkam, der ihr den Platz streitig machen wollte. Doch sehr bald hatte sie erkannt, dass so eine kleine Schwester auch recht nützlich sein konnte.

In den ersten Jahren, in denen mit Vivien noch nicht viel anzufangen gewesen war, hatte Laura sie einfach nur dazu benutzt, jegliche Schuld auf sie abzuwälzen.

Die zerbrochene Vase im Wohnzimmer? Das war Vivien! Der Kuchen, der aus dem Kühlschrank verschwunden war? Vivien hat ihn genommen! Der verschüttete Saft, der in die Ritzen des Parkettbodens sickerte? Vivien hat mein Glas umgestoßen! Vivien hat mein Zimmer so verwüstet. Ich hatte es zuvor aufgeräumt. Vivien hat das Fenster mit dem Ball eingeschlagen.

Als Vivien dann ungefähr drei Jahre alt gewesen war, hatte Laura sie regelrecht zu ihrer persönlichen Sklavin abgerichtet.