Die ganz Großen - Georg Markus - E-Book

Die ganz Großen E-Book

Georg Markus

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Beschreibung

Die großen Film- und Theaterstars waren - im Gegensatz zu den Fernsehlieblingen von heute - unnahbar, sie wurden dem Publikum als überdimensionale Helden präsentiert. In ihrem Inneren freilich waren auch sie Menschen wie du und ich, die vom Schicksal nicht verschont blieben. Georg Markus fand einen Weg der Annäherung. Viele wie Paula Wessely, Paul und Attila Hörbiger, Curd Jürgens, Heinz Rühmann, Johannes Heesters u.a. kannte er persönlich, anderen Oskar Werner oder Romy Schneider ging er auf die Spur, entdeckte Höhen und Tiefen ihres Lebens. So entstand ein faszinierendes Buch, das die Lieblinge des 20. Jahrhunderts zeigt, wie man sie bisher nicht kannte.

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GEORGMARKUS

Die ganz Großen

Meine Erinnerungenan die Lieblingedes Publikums

1. Auflage September 20002. Auflage November 20003. Auflage Dezember 20004. Auflage Januar 2001

© 2000 by Amaltheain der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH,Wien · MünchenAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel, MünchenUmschlagillustration: Paul SchirnhoferHerstellung und Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger& Karl Schaumann GmbH, HeimstettenGesetzt aus der 12,5/17 Punkt GoudyDruck und Binden: Wiener Verlag, HimbergPrinted in AustriaISBN 3-85002-448-2eISBN 978-3-902998-50-7

INHALT

WO BLEIBEN DIE GANZ GROSSEN?

Vorwort

Abschied von einer Legende

DAS JAHRHUNDERT DER WESSELY

oder Der Zauber einer Schauspielerin

Die Volksschauspieler

»WIE NEHM’ MA’N DENN?«

Sein Fach hieß »Moser«

ER HAT FÜR UNS GESPIELT

Wie ich Paul Hörbigers Memoiren-Schreiber wurde

DIE TRAGÖDIE EINES KOMÖDIANTEN

Alexander Girardi, das Naturereignis

»Die anderen sind auchvom Theater«

DER TEUERSTE RING DER WELT

Josef Meinrad. Das letzte Interview.

VERGESSEN WIR EINMAL DEN KAISER

Katharina Schratt, die Schauspielerin

»WAS ICH BIN, VERDANKE ICH DER PAULA«

Eine Begegnung mit Attila Hörbiger

»DU WIRST DOCH NICHT AUCHAUF MICH HEREINFALLEN«

Die ganz Großen des Burgtheaters

TANTE HILDA GREIFT EIN

Ein Gespräch mit der 102-jährigen Rosa Albach-Retty.Und wie es dazu kam.

VOM WIRTSHAUSTISCHIN DEN THEATERHIMMEL

Die ganz Großen des Theaters in der Josefstadt

DER ZAUBERER DES THEATERS

»Der Menschenfresser« Max Reinhardt

»KOMME SOFORT, HABE FRAUFÜR DICH GEFUNDEN«

Die Thimigs

»EMPFINDSAMER ALS DIE ANDEREN«

Aufstieg und Fall des Oskar Werner

Musikalisches Zwischenspiel

»ICH GEH NICHT INS MAXIM«

Johannes Heesters, geb. Danilo

DER HERR INSPEKTOR UND DER OPERNSTAR

Ljuba Welitsch heiratet – und lässt sich wieder scheiden

CARUSO & CO.

Die Helden des hohen C

Die ganz Grossen des Films

EIN SCHAUSPIELER ALS RENAISSANCEFÜRST

Curd Jürgens – Weltstar und Lebemann

»ICH WAR NICHT MEHR ROMY«

Vom Leben und Sterben einer Legende

»ABER SELBST GELACHT HAT ER NICHT«

Heinz Rühmann, ein Komödiant von höchsten Gnaden

ZWEI STUNDEN LANG VERGESSEN KÖNNEN

Die Ufa und ihre Stars

»WAS BLEIBT, IST DIE EINSAMKEIT«

Der Mythos Marlene Dietrich

AUS DER TRAUM!

Die Kinolieblinge der Wien-Film

Hollywood in Rot-Weiss-Rot

DER REGIE-SIR

Ein Nachmittag mit Billy Wilder

VON »HIGH NOON« BIS »CASABLANCA«

Österreicher in der Filmmetropole

WENN STERNE VERBLASSEN

Legende und Wirklichkeit der Hedy Lamarr

Die ganz Grossen des Kabaretts

SCHAU’N SIE SICH DEN AN

Erinnerungen an Karl Farkas

»IN EINEM KLEINEN CAFÉ IN HERNALS«

Hermann Leopoldi, Klavierhumorist

ER HÄTTE SO GERNE GELACHT

So erlebte ich Maxi Böhm

DAS GEGENTEIL VOM HERRN KARL

Helmut Qualtinger, wer sonst?

Quellenverzeichnis

WO BLEIBEN DIE GANZ GROSSEN?

Vorwort

Keine Frage, auch unsere Zeit hat ihre Stars, hat wunderbare Schauspieler. Die außergewöhnlichen Persönlichkeiten jedoch, deren Auftreten allein uns schon einen kalten Schauer verspüren ließ, ehe sie noch ein Wort gesprochen haben, die gibt es nur noch ganz selten. Von Paula Wessely und Attila Hörbiger, von Oskar Werner und Heinz Rühmann, von Greta Garbo und Marlene Dietrich ging ein solcher Zauber aus. Schwerlich kann man sich vorstellen, dass ein heutiger Bühnenstar vermittelt, was Hedwig Bleibtreu bei den Burgtheaterauftritten ihres Kollegen Josef Kainz empfand: »Nach jeder Vorstellung habe ich den weiten Weg nach Döbling zu Fuß gehen müssen. Es war einfach nicht möglich, in der Straßenbahn nach Haus zu fahren, so aufgeregt hat einen der Mann.«

Sicher, große Persönlichkeiten gibt es nach wie vor, doch sie sind – nicht nur am Theater, sondern auch in der Politik, in der Forschung, im Sport und in vielen anderen Bereichen – rar geworden. Woran liegt es, dass die alles überragenden Erscheinungen immer seltener anzutreffen sind?

Zweifellos ist unsere Zeit viel zu schnelllebig, um eine Persönlichkeit über Jahrzehnte wachsen zu lassen, wie das früher der Fall war. Heute wird ein Star sehr schnell »gemacht« und kann daher ebenso schnell wieder »verlöschen«. Andererseits sind wir durch Film und Fernsehen anspruchsvoll geworden. Wodurch sich die Frage erhebt, ob wir all die »Götter« von einst auch heute noch als solche gelten lassen würden.

Das Fernsehen freilich hat viel dazu beigetragen, die Leitbilder ihrer Faszination zu berauben. Im Theater ist man elegant gekleidet, doch wenn uns Uschi Glas oder Harald Juhnke im Wohnzimmer besuchen, behalten wir die »Patschen« an. Diese Alltäglichkeit bringt es mit sich, dass die Stars unserer Tage fast schon zu »Menschen wie du und ich« geworden sind. Diese scheinbare Nähe stellt zwar vielleicht eine erfreuliche – demokratische – Entwicklung dar, hat den Lieblingen des Publikums aber viel von ihrem Nimbus genommen.

Je ferner sie ihrem Publikum waren, desto mehr wurden sie geliebt, verehrt, bewundert. So schreibt Stefan Zweig in seinen Erinnerungen, dass die Köchin seiner Eltern im Jahre 1897 schluchzend ins Zimmer stürzte, weil sie soeben erfahren hatte, dass die berühmte Burgschauspielerin Charlotte Wolter verstorben war. »Das Groteske dieser wilden Trauer bestand selbstverständlich darin, dass diese alte, halb analphabetische Köchin nicht ein einziges Mal im Burgtheater gewesen war und die Wolter nie auf der Bühne oder im Leben gesehen hatte.«

Den Verlust herausragender Bühnenfiguren zu beklagen, ist nicht der heutigen Zeit vorbehalten. Max Reinhardt erkannte schon in den dreißiger Jahren: »Was dem Theater wie aller Kunst am meisten Not tut, ist die Persönlichkeit.«

Dass diese »Not« seither nicht gelindert wurde, bestätigen zwei kompetente Stimmen unserer Tage: »Es gibt bei uns keine Stars mehr, deretwegen man ins Kino gehen würde«, meinte der Regisseur Karl Hartl Ende der siebziger Jahre, als sich der Untergang der von ihm gegründeten Wien-Film abzeichnete. Und Oskar Werner stellte am Ende seines Lebens resignierend fest: »Am Theater ist der wundervolle Zauber verloren gegangen, weil die großen Persönlichkeiten fehlen.« Jahrhundertschauspieler wie eine Elisabeth Bergner, ein Raoul Aslan, ein Albin Skoda oder ein Oskar Werner eben, haben ihre Rollen nicht gespielt, sie waren Julia, Mephisto oder Hamlet. Werner Krauß trug in seinem linken Schuh monatelang Einlagen, ehe er am Burgtheater als Richard III. auftrat, um sich auch privat ans Hinken zu gewöhnen.

Auch wenn es heute vermutlich sogar mehr gute und hervorragende Schauspieler gibt als in früheren Zeiten, so ist die Blütezeit der »Giganten« wohl vorbei. Mimen wie Gründgens oder Bassermann wachsen nicht mehr heran. Darunter leidet das Theater, und das dürfte wohl auch ein Grund dafür sein, dass Regisseure Mittel und Wege suchen, um ohne diese einzigartigen Erscheinungen auszukommen. So haben plötzlich Inszenierung, Bühnenbild und Kostüm einen Stellenwert bekommen, den sie früher am Theater nie hatten.

Mein Lebensweg und mein Beruf als Journalist brachten es mit sich, dass ich die Gelegenheit hatte, einige der letzten Jahrhundertkünstler – wie Paula Wessely, Attila und Paul Hörbiger, Josef Meinrad, Rosa Albach-Retty, Curd Jürgens, Heinz Rühmann, Johannes Heesters, Vilma Degischer, Hermann Thimig, Helmut Qualtinger und Karl Farkas, aber auch das Regiemonument Billy Wilder – persönlich kennen zu lernen. Die Begegnungen mit diesen ganz Großen sind unauslöschlich in mir gespeichert. Und ich habe viele der Gespräche, die ich mit ihnen führte, auf Band aufgenommen, um in Erinnerung zu bewahren, was nicht verloren gehen soll.

Ihnen und einigen anderen ganz Großen ist dieses Buch gewidmet.

GEORG MARKUS

Wien, im Juli 2000

ABSCHIEDVON EINER LEGENDE

DAS JAHRHUNDERTDER WESSELY

oderDer Zauber einer Schauspielerin

Über die Frage, wann das alte Jahrhundert tatsächlich zu Ende ging, wurde viel gerätselt. Am 31. Dezember 1999, sagen die einen. Am 31. Dezember 2000, meinen die anderen. Theaterfreunde freilich lassen weder den einen noch den anderen Tag gelten. Für sie endete das Jahrhundert am 11. Mai 2000, exakt um 21.30 Uhr. Da ist die große Paula Wessely gestorben. Damit also war das Jahrhundert vorbei und ein neues begann.

Denn das 20. Jahrhundert, das war die Wessely. Unsere Großeltern haben schon geschwärmt von ihr, und wir taten es, seit wir denken können. Gerhart Hauptmann und Carl Zuckmayer schrieben ihr die Rollen auf den Leib; George Bernard Shaw drängte darauf, sie kennen zu lernen; und Ingrid Bergman antwortete, als man sie fragte, wer ihr Vorbild sei: »Die Wessely!«

Ich hatte oft die Freude, dieser Frau, der Wessely, zu begegnen, beruflich und privat. Und es war jedesmal ein Erlebnis. Einmal, im Juni 1991, wurde im Hotel Sacher eine Edition ihrer besten Filme auf Video vorgestellt. Ich saß an diesem Abend neben ihr und fragte sie, irgendwann nach dem Dessert, beiläufig, ob sie sich die Filme zu Hause ansehen würde.

»Ja, Maskerade«, antwortete Paula Wessely, »Maskerade möchte ich gerne noch einmal sehen. Aber leider – ich besitze kein Videogerät.«

Eher aus Höflichkeit denn in der Annahme, sie würde von meinem Angebot Gebrauch machen, erwiderte ich, dass ihr mein Recorder jederzeit zur Verfügung stünde.

Ein paar Wochen später erschien sie tatsächlich in meiner Wohnung. Und sah sich Maskerade an.

Ich wusste an diesem Nachmittag nicht recht, auf welche Wessely ich mehr achten sollte – auf die neben mir sitzende oder auf die im Film agierende, fand aber einen guten Mittelweg.

Nach einer halben Stunde etwa – im Ballsaal, bei ihrer ersten Begegnung mit Adolf Wohlbrück – holte die junge Wessely in ihrer Rolle als Leopoldine Dur zu einer wunderbar grazilen Handbewegung aus, mit der sie aber im Rückblick nicht ganz zufrieden schien. »Zu dumm«, unterbrach die neben mir sitzende Paula Wessely die im Film agierende, »zu dumm, das hätte ich anders machen sollen.« Und sie zeigte mir vor, wie’s vielleicht besser gewesen wäre.

Auch wenn die kleine Begebenheit nicht wirklich weltbewegend war, bleibt mir unvergesslich, dass die – wie viele meinen – größte Schauspielerin des Jahrhunderts, als sie ihren berühmtesten Film wieder sah, mit einer kleinen Handbewegung, die sie vor sechzig Jahren durchführte, nicht ganz zufrieden war.

Das alte Winzerhaus in der Himmelstraße am Stadtrand von Wien, in dem sie ihr halbes Leben verbrachte, strahlt so viel Ruhe aus und ist voll von Erinnerungen. Die Erzählungen der Paula Wessely waren mit keinem anderen Gespräch zu vergleichen. Da war das Ereignis, einer Jahrhundertkünstlerin zu begegnen, da war der Zauber ihrer Sprache, der Klang, dieser einzigartige Klang.

Für ein Interview mit der Wessely – so man je das Glück hatte, eines zu bekommen –, musste man sich viel Zeit nehmen. Man ging hin, sprach mit ihr, nahm alles, was sie sagte, auf Band auf, schrieb es zu Hause nieder, kam wieder zu ihr zurück. Korrigierte das Geschriebene, kam noch einmal, korrigierte das Korrigierte … Bis der letzte I-Punkt stimmte, bis alles so da stand, wie sie ihre Worte im Druck vorzufinden gedachte. Ja, wenn jemand ein Leben lang so präzise ist im Rollenerarbeiten, in der kleinsten Bewegung, in jeder Nuance des gesprochenen Wortes, dann ist er auch präzise, wenn es gilt, etwas aus diesem Leben niederzuschreiben. Es war anstrengend, zweifellos. Aber faszinierend.

Sie erzählte damals aus ihren Erinnerungen an Kindheit und Jugend, über ihre Eltern und die Tante Josefine – gesprochen: »Tant’ Josefin’«. Sie sprach über ihr Leben mit Attila Hörbiger, ihre Film- und Theaterstationen (»Karriere dürfen Sie nicht schreiben, das klingt so schrecklich eitel«), über ihre Töchter, über die Religion und den Tod.

»Manchmal komme ich mir vor, als wäre ich hundert«, schmunzelte Paula Wessely, als sie mir – rund ein Jahr nach unserem gemeinsamen »Maskerade-Erlebnis« – die Erinnerungen an ihr Leben anvertraute. Die langen Gespräche damals, die sich über mehrere Wochen hinzogen, waren gleichzeitig das letzte große Interview ihres Lebens. So viel hatte sie erlebt, dass sie selbst es nicht fassen konnte, erst 85 Jahre alt zu sein.

Von Millionen bewundert, angehimmelt zu werden, das war ihr nicht in die Wiege gelegt worden. Sie kam als Tochter des Fleischermeisters Carl Wessely und seiner Frau Anna, geb. Orth, am 20. Jänner 1907 in der Vorstadt Wien-Sechshaus zur Welt. Ihre Tante, die große k. u. k. Hofschauspielerin Josefine Wessely, war die Schwester ihres Vaters, doch sie war, als Paula geboren wurde, schon seit zwanzig Jahren tot. »Dennoch hörte und las ich in meiner Jugend viel von der Tant’ Josefin’ und vom alten Burgtheater, an dem sie engagiert war. Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages selbst dort auftreten würde. Die Scheu vor dem großen Haus war ungeheuer.« Josefine Wessely wurde als Luise Miller, als Klärchen und als Gretchen gefeiert. Sie starb im Alter von nur 27 Jahren während eines Theatergastspiels in Karlsbad.

»Mein Vater«, setzte Paula Wessely fort, »war ein begeisterter Theatergeher, meine Mutter wäre gar zu gerne Tänzerin geworden.« Mit fünfzehn, in der Bürgerschule, wusste Paula bereits, »dass das Theater mein Wirkungskreis in späteren Jahren werden soll«.

Dabei wollte sie ursprünglich Lehrerin werden. »Ich habe als Kind gerne Schule gespielt. Mir war aber sehr bald klar, dass ich für den Lehrberuf viel zu ungeduldig gewesen wäre. Die Entscheidung fiel durch meine Deutschlehrerin Madeleine Gutwenger, die mich zum Vorsprechen in die Akademie für Musik und darstellende Kunst brachte.«

Durch Zufall fiel mir vor ein paar Jahren eine Ausgabe der Theaterzeitschrift Die Bühne vom 11. Dezember 1924 in die Hände, in der sich ein Kritiker unter dem Titel »Theater der Schauspielschüler« als Prophet in Sachen Schauspielkunst versuchte. In seinem Bericht von einer »Übungsaufführung der Akademie für darstellende Kunst« glaubte der Rezensent in Wallensteins Lager die »Marketenderin Mizzi Vlck als kommende Hansi-Niese-Begabung« zu erkennen. Für nicht minder talentiert hielt er »die Damen Duhm, Hradsky und Buschek sowie die Herren Schwandner, Zechel und Aichinger«.

Unnötig zu erwähnen, dass kein einziger der von dem Kritiker »entdeckten« Künstler in die Theatergeschichte eingegangen ist. Neben der Betrachtung in der Bühne findet sich jedoch ein Foto der gesamten Schauspielklasse, also auch jener Damen und Herren, die der Kritiker nicht für würdig befunden hat, als Begabungen zu erwähnen.

Und auf diesem Foto ist klar und deutlich Fräulein Paula Wessely zu erkennen.

Womit besagtem Kritiker eine der bedeutendsten Schauspielerinnen des Jahrhunderts nicht weiter aufgefallen wäre. Die Wessely schmunzelte, als ich ihr den Artikel zeigte. »Ist doch ein Glück, dass mich der Herr Redakteur nicht erwähnt hat. Sonst wär’ vielleicht nichts aus mir geworden.«

Karl Paryla, ihr Jahrgangskollege in der Akademie, erinnerte sich freilich, dass »ihr außergewöhnliches Talent vom ersten Tag an spürbar war«.

Als Siebzehnjährige spielt sie eine Hofdame in George Bernard Shaws Heiliger Johanna. »Die Ehrfurcht vor den Schauspielern war so groß, dass ich es nicht wagte, meinen Fuß ins Konversationszimmer des Deutschen Volkstheaters zu setzen. Denn dort saßen die Schauspieler, die die großen Rollen spielten, und vor ihnen hatten wir tiefen Respekt.«

Zwei Jahre später ist sie am Deutschen Theater in Prag, wo der Kritiker Max Brod, ergriffen durch ihr Spiel, ankündigt: »Nächstesmal werde ich wohl schon ›die Wessely‹ schreiben.« Max Reinhardt holt sie nach Wien und Salzburg, und sie ist »die Wessely«, als ihr 1932 mit Rose Bernd in Berlin der Durchbruch gelingt.

»Reinhardt stand ich zum ersten Mal im legendären Elferzimmer des Theaters in der Josefstadt gegenüber. Man hatte mir vorher verraten: Er bringt junge Schauspieler sehr gerne in Verlegenheit, indem er nichts sagt. Glücklicherweise hatte ich die Kraft, auch nichts zu sagen. So sind wir also eine Zeit lang stumm dagesessen. Dann hat er als erster geredet, mir ein paar Fragen gestellt – und von da an gehörte ich dem Theater in der Josefstadt an.«

1933 ist sie das Gretchen in Reinhardts legendärer Faust-Inszenierung in Salzburg, im darauf folgenden Jahr wird sie durch Maskerade über Nacht weltberühmt. »Am Film faszinierten mich die Möglichkeiten, etwa in der freien Natur zu drehen. Ich war vor Maskerade schon zehn Jahre am Theater, hatte aber ein Gesicht, das als nicht fotogen galt. Willi Forst hat mir ein Tor geöffnet, als er den Mut hatte, mich in Maskerade zu besetzen. Es war mein Glück, zur richtigen Zeit dazugekommen zu sein, als der Stummfilm vom Tonfilm abgelöst wurde.« Episode, Späte Liebe, Der Engel mit der Posaune, Cordula waren weitere Stationen ihres Filmschaffens.

Mitunter ist man enttäuscht, wenn man großen Schauspielern privat begegnet. Was an ihnen fasziniert, ist oft doch »nur« gespielt. Ganz anders war es bei Paula Wessely, die ihr Visavis auch im persönlichen Gespräch bezaubern, durch ihre Ausstrahlung gefangen nehmen konnte. Unsere Gespräche fanden in ihrem Garten, im schattigen Innenhof oder in der Bibliothek ihres Hauses in der Grinzinger Himmelstraße statt. Dieses Haus passte auch in einzigartiger Weise zu ihr. Es ist elegant, ohne schick zu sein, riesengroß und doch verwinkelt. Als Kind bin ich, von Wienerwaldtouren kommend, immer wieder daran vorbei marschiert, und meine Eltern haben jedesmal darauf hingewiesen, dass hinter diesen Mauern die berühmteste Schauspielerin des Landes lebte. Ich war sehr beeindruckt, wenn auch eher von der geheimnisvollen Nachricht und den Mauern des lang gestreckten Gebäudes mit dem breiten, dunkelgrünen Tor – zumal ich keine Ahnung hatte, was eine »berühmte Schauspielerin« sein mochte.

Jetzt aber, als ich das Haus von innen sah und ihr gegenüber saß, da wusste ich es längst. Ich hatte sie im Burgtheater gesehen oder in Aufzeichnungen ihrer großen Rollen. Als Genia Hofreiter im Weiten Land, als Mrs. Arbuthnot in Eine Frau ohne Bedeutung, als Nora Melody in Fast ein Poet. »Meine Theaterauftritte, das sind Erinnerungen an eine andere Zeit«, sagte sie. »Inzwischen ist so viel passiert, so viel versunken am Theater und in der Welt überhaupt. Gleichgeblieben ist nur der Mangel an guten und publikumswirksamen neuen Bühnenstücken. Abgesehen davon nimmt das Theater nicht mehr die Stellung ein, die es zu meiner Zeit hatte. Das tut mir weh, denn es hat mir und meiner Generation so viel Freude bereitet.«

Zurück nach Prag, 1926. Dort lernt sie Attila Hörbiger kennen. »Ich war neunzehn Jahre alt, wurde als blutjunge Schauspielerin des Deutschen Theaters vom Ehepaar Dittrich liebevoll als ›Kind im Haus‹ aufgenommen. Wir wohnten Smečka – so hieß die Straße – Nummer 33. Vom Wenzelsplatz links hinein, das weiß ich noch. Durch die Familie Dittrich, er war Professor für Gerichtsmedizin, und beide waren unglaubliche Theaterliebhaber, begegnete ich damals, wenige Jahre nach dem Zusammenbruch der Monarchie, einem bunten Kreis interessanter Menschen. Die Gesellschaft in Prag war doch ganz anders als die in Wien. Ich habe ungeheuer viel gelernt, was mir menschlich und in meinem Beruf zugute kam, auch deshalb war Prag so wichtig für mich.«

Rund fünfzehn Prozent der Prager waren deutschsprachig, »ein phantastisches Publikum«, für das sie Komödien und Klassiker spielte. Die neuen Herren hieß das Stück, in dem sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem jungen Schauspieler namens Attila Hörbiger auf der Bühne stand. Damals, in Prag, Premiere 10. September 1926. »Wir hatten eine Liebesszene, ich lief auf ihn zu und rannte ihn fast um. Von einer Beziehung keine Rede, ich wusste nicht viel mehr von ihm, als dass er sportbegeistert war, irgendwas mit Fußball. Erst in Wien haben wir uns näher kennengelernt, an der Josefstadt.«

Neun Jahre nach dem ersten Treffen in Prag sollten sie heiraten.

Noch im hohen Alter – er war schon gestorben – freute sie sich, »wenn ich Gelegenheit habe, einen Film mit Attila im Fernsehen zu sehen. Da sehe ich nicht nur den Schauspieler Attila Hörbiger, sondern auch meinen Mann. Es ist wie ein Wunder, ihn lebendig vor mir zu haben, und mir kommen eine Fülle von Gedanken über die Zeit, wie es damals war, auch außerhalb der Dreharbeiten, als dieser Film entstanden ist.« Sie sah zum Fenster hinaus, in den schönen Grinzinger Garten inmitten der Weinberge, als blickte sie den vielen Stunden nach, die sie da unten mit ihm verbracht hatte. »Ich kann gar nicht glauben, dass er nicht mehr da ist. Er hatte die seltene Gabe, auch das Negative positiv zu sehen.«

Eine Gabe, die ihr wohl fehlte.

1936 erhält Paula Wessely ein Traumangebot aus Hollywood, sie lehnt ab und hat es nie bereut. Es gab mehrere Gründe dafür, auch private. »Für mich galt, auch im Film, was Helene Thimig einmal im Salzburger Café Tomaselli zu mir sagte: ›Man kann in einer fremden Sprache nur Theater spielen, wenn man sie von Kindheit an spricht.‹ Die Warner Brothers verlangten, ich müsste zwei Jahre Englisch lernen – das Risiko schien mir zu groß, um dafür meine hiesige Film- und Theaterlaufbahn aufzugeben.«

Die ging mit Riesenschritten voran. Millionen Frauen kleideten sich, trugen ihr Haar wie sie. Die Wessely wurde zum Idol. Doch das waren nur die äußeren Zeichen einer Karriere (verzeihen Sie, Paula Wessely, jetzt hab ich das »eitle« Wort doch niedergeschrieben). Einer Karriere, die hart erarbeitet war. »Zugeflogen ist mir nichts, ich hab’ es mir sehr schwer gemacht, habe mir auf den Proben jede Rolle erkämpfen müssen. Mir ging es um die Glaubwürdigkeit in der Darstellung, das war alles. Zufrieden war ich selten. Theater, Film, Erfolg – vieles war dann ganz plötzlich da.«

In den Jahren der Naziherrschaft wirkte sie in einem Propagandafilm mit, den sie besser nicht gedreht hätte. Und den man ihr später zum Vorwurf machte. Sie wollte das in unserem Gespräch nicht beschönigen, es lag ihr nur daran, »dass am Ende meines Lebens nicht das von mir übrig bleibt, und sonst gar nichts. Ja, es war ein Fehler, ein schwerer Fehler, dass ich nicht den Mut aufgebracht habe, abzulehnen. Es tut mir leid, dass ich die Dreharbeiten nicht abgebrochen habe – welche Konsequenzen das für mich und meine Familie auch immer gehabt hätte.«

Sicher: Damit konnte sie den Film Heimkehr nicht ungeschehen machen. Aber es war ein klares Wort. Das von ihren Gegnern – allen voran Elfriede Jelinek in dem Tendenzstück Burgtheater – nicht akzeptiert wurde. Simon Wiesenthal, zweifellos die oberste Instanz in diesen Fragen, bezeichnete das Jelinek-Stück als Höhepunkt einer »miesen Hetzjagd«. Zumal bekannt ist, dass das Ehepaar Wessely-Hörbiger Freunden zur Ausreise verhalf, seine gefährdete Sekretärin weiter beschäftigte und sich dafür einsetzte, dass diese mit ihrem jüdischen Ehemann zwischen 1938 und 1945 in ihrer Wohnung verbleiben konnte. Nach dem »Anschluss« kaufte Paula Wessely formell die Villa Kalbeck, um sie so vor der sicheren »Arisierung« durch die Nazis zu schützen. Florian Kalbeck bestätigte mir gegenüber, dass die Wessely auf diese Weise das Hab und Gut der Familie gerettet hat.

Paula Wessely wirkte sehr ernst, sehr betroffen, wenn sie über diese Zeit und das, was man ihr vorhielt, sprach. Die Angriffe haben ihr den Frieden der letzten Jahre geraubt, sie hat unvorstellbar darunter gelitten.

»Glauben Sie«, fragte sie mich und klopfte dabei eindringlich mit der Hand auf das kleine Kaffeetischchen ihres Wohnzimmers, »glauben Sie, Fritz Kortner, der seine Heimat verlassen musste, hätte nach dem Krieg mit mir gearbeitet, wenn auch nur ein einziger Punkt der Anschuldigungen, die ich mir gefallen lassen muss, zugetroffen hätte?«

Kortner. 1964 spielt sie unter seiner Regie am Burgtheater in dem Ibsen-Stück John Gabriel Borkmann. Die kleine Geschichte sei erzählt, um zu zeigen, dass die Wessely nicht nur sehr ernst sein konnte, sondern – was nur wenige wussten – auch über ein beachtliches Quantum feinen Humors verfügte. Kortner war für seine ausführliche Probenzeit bekannt. Nach zwei Wochen aufreibender Vorbereitungen erscheint Paula Wessely in der Kanzlei des Burgtheaterdirektors Ernst Haeusserman: »Es ist wirklich großartig«, sagt sie, »was Kortner alles sagt. Und wie er es sagt. Und diese Gründlichkeit. Heute, nach 14 Probentagen, sind wir glücklich auf Seite sieben des Rollenbuches angelangt. Sagen Sie, Herr Direktor, ist eigentlich auch daran gedacht, dass es in diesem Stück je eine Aufführung geben wird?«

Es war daran gedacht, und es gab auch eine. »Als Frau Wessely ihre Verzweiflung über ein verdorbenes Leben mit ganzer Seele und Stimme darbot«, heißt es in einer Rezension, »da reichte Theater weit über Kalkuliertes hinaus in Bezirke, die sonst nur der Musik geöffnet sind.«

Am 13. Oktober 1984 hatte sie – als Hoffnung in Ferdinand Raimunds Der Diamant des Geisterkönigs – ihre letzte Premiere am Burgtheater, es folgte eine Serie umjubelter Leseabende, 1987 zog sie sich für immer zurück. Ob sie die Bühne vermisste, fragte ich sie. »Eigentlich nicht. Eines Tages war’s für mich ganz klar, dass ich aufhöre. Ich sollte die Fürstin Ettin in Molnárs Olympia spielen, eine Rolle, die mir seinerzeit viel Vergnügen bereitet hat. Als ich dann achtzig war, habe ich mir das nicht mehr zugetraut, weil die körperlichen Kräfte nachließen. Es war mir beschieden, im richtigen Moment aufgehört zu haben.«

Als Paula Wessely im Herbst 1992 am Wiener Rosenhügel der österreichische Filmpreis für ihr Lebenswerk verliehen wurde, durfte ich die Laudatio halten. Wir setzten uns vorher zusammen, sie legte Wert darauf, dass ich jedes Wort der Bewunderung, der Wertschätzung, der Betonung ihrer Größe vermeide. Ich habe es dann doch nicht ganz geschafft und gesagt, was sie uns allen bedeutet. Ihren strafenden Blick werde ich nie vergessen.

Sie dankte bescheiden unter Standing Ovations, wie ich sie davor und danach nie wieder erlebte. Wenn sie an die Leistungen der wirklich Großen – der Ärzte, der Forscher und Erfinder – dachte, so sagte sie, »dann war das nicht sehr viel, was ich den Menschen geben konnte«.

Zurück wieder in die Himmelstraße Nr. 24. Sie sitzt, während sie Bilanz zieht, im ersten Stock des Hauses, der immer ihr Bereich war. Im Parterre logierte Attila Hörbiger, jetzt lebt dort ihre Tochter Maresa. »Es war ein buntes, gnadenreiches Leben«, sagt die Wessely und streift mit einem Blick die vielen Bücher ihrer Bibliothek. »Zwei Kriege, viel Leid, aber auch sehr viel Freude durch Beruf und Familie. Drei gesunde Kinder zur Welt gebracht zu haben, das hat mich mit Stolz erfüllt. Aber es war mir immer bewusst, dass ich ihnen zu wenig Zeit widmen konnte. Heute bin ich glücklich und dankbar, dass alle drei als Schauspielerinnen einen sehr, sehr guten Weg gehen. Sie setzen jetzt die Tradition aus meiner und aus der Familie meines Mannes fort. Anfangs war es für sie belastend, immer wieder mit mir verglichen zu werden. Gott sei Dank ist es ihnen gelungen, sich vollkommen zu lösen und einen eigenständigen Weg zu gehen. Jetzt im Alter mache ich für meine Töchter dieselben Ängste durch, die ich seinerzeit um das Gelingen meiner eigenen Rollen durchgestanden habe.«

Hin und wieder sah man die Doyenne des Burgtheaters auch in ihren letzten Lebensjahren noch durch Grinzing schreiten, von Einheimischen und Touristen bewundert wie eine Königin. Sie lebte nicht wie ein Star, wie eine Diva, sondern sehr bürgerlich. »Manchmal«, vemerkte, sie, »scheint es in Wien so zu sein: Ist man wer, haben sie’s nicht gern. Ist man niemand, passt es ihnen auch nicht. Ich persönlich muss den Menschen dankbar sein, dass sie mir über eine so lange Zeit so viel liebevolle Anhänglichkeit zeigen.«

Paula Wessely war gläubig und befasste sich zuletzt intensiv mit dem Sterben. »Ich lese darüber in den Schriften bedeutender Theologen«, sagte sie, »ich lande aber doch wieder bei meinem Kinderglauben nach altkatholischem Bekenntnis. Und so erhoffe ich mir, im Jenseits all den Menschen, die ich geliebt habe, wieder zu begegnen.«

Als sie dann, im Mai 2000, am Ende ihres Jahrhunderts und am Anfang des neuen, im Alter von 93 Jahren gestorben war, fragten viele, warum die Wessely – ausgerechnet die Wessely! – nicht mit einer großen Trauerfeier verabschiedet worden sei. Sie hatte ihre Töchter in ihrem Letzten Willen ersucht, nur ja nicht, wie das bei Ehrenmitgliedern des Burgtheaters üblich ist, im Foyer des Bühnenhauses aufgebahrt und dann um das Gebäude getragen zu werden. Paula Wesselys schriftlich deponierte Begründung lautete: Sie hätte sich nie als reine Burgschauspielerin, sondern vielmehr als österreichische Schauspielerin gesehen. Sie hätte auch gefunden, es gäbe Berufenere, die dem Burgtheater mehr gedient haben. Und sie war der Auffassung, dass ein so großes Zeremoniell zu teuer wäre.

Sie dachte schließlich, dass ihr Abgang »ein privater« sein sollte.

»Privat« war dann auch die Trauerfeier in der kleinen Grinzinger Kirche, in der nur Familie und enge Freunde Platz fanden. Der Abschied war so ruhig, so schlicht, wie das Leben, das sie gerne geführt hätte. Sie selbst hatte noch alles minuziös geplant, von der ökumenischen Einsegnung mit zwei katholischen und zwei altkatholischen Priestern, bis hin zu Schuberts »Streichquintett«, dargeboten von fünf Herren der Wiener Philharmoniker. Es waren dieselben Klänge, mit denen man einst Attila Hörbiger verabschiedet hatte.

»Privat« ist schließlich auch der Ort ihrer letzten Ruhe. Werner Krauß, Curd Jürgens, Hans Moser, Paul Hörbiger und viele andere der ganz Großen wurden am Wiener Zentralfriedhof bestattet. Alle recht nah beisammen, in Ehrengräbern, als stünde der letzte – gemeinsame – Auftritt noch bevor. Paula Wessely hingegen ließ sich an der Seite ihres Mannes, in Grinzing, begraben. Fernab von den Freunden und Kollegen aus der alten Zeit.

»Manchmal«, schreibt Joachim Kaiser in seinem Nachruf in der Süddeutschen Zeitung, »gibt es auch Gründe, die ein höheres Alter vorteilhaft erscheinen lassen. Und wäre es nur der, die Wessely noch erlebt zu haben – und dafür dankbar zu sein.«

DIEVOLKSSCHAUSPIELER

»WIE NEHM’MA’N DENN?«

Sein Fach hieß »Moser«

Man verwendet das Wort »unersetzlich« vielleicht allzu leichtfertig. Einige Jahre nach dem Ableben eines großen Künstlers stellt sich dann oft heraus, dass auch er zu »ersetzen« ist. Nicht als Mensch und Persönlichkeit, aber doch in seinem Beruf. Selbst die Darsteller der klassischen Rollen haben ihre Nachfolger gefunden. Wenn die Erinnerung an die ganz Großen auch noch so wehmütig stimmen mag – andere spielen ihre Rollen, müssen ihre Rollen spielen.

Aber wer ist Hans Mosers Nachfolger?

Auch nach so vielen Jahren scheint das Wort »unersetzlich« für ihn keineswegs übertrieben. Es wird keinen geben, der sein »Fach« übernimmt. Ein Fach, das in keine der üblichen Kategorien des Theaters und des Films einzustufen ist. Sein Fach ist nicht das des Komikers oder Charakterdarstellers. Sein Fach heißt »Moser«. Und es konnte im Film nur einmal, ein einziges Mal, besetzt werden. Oder wäre eine Neuverfilmung des Dienstmanns mit einem anderen denkbar?

Könnte irgend jemand sonst seinen Tanzlehrer Hofeneder in Wir bitten zum Tanz spielen? Oder die tragikomische Figur des Dieners in Herrn Josefs letzte Liebe?

Meinen Zugang zu Hans Moser fand ich über Paul Hörbiger, der mir viel von ihm erzählte, von den Extempores, mit denen die beiden ihre Rollen bis fast zur Unkenntlichkeit verändert hatten, aber auch von der tiefen Menschlichkeit, die Moser außerhalb des Studios zeigte. Geliebt hab’ ich ihn schon früher, wenn er in seinen Filmen, sich mehrmals um die eigene Achse drehend, über den Bildschirm huschte.

Als im Herbst 1989 – also ein Vierteljahrhundert nach Mosers Tod – der künstlerische Nachlass des Volksschauspielers freigegeben wurde, wurde mir die Ehre zuteil, mit der Veröffentlichung betraut zu werden. Der Moser-Schatz war bis dahin in Kisten und Kartons verpackt. Tausende Fotos und Erinnerungsstücke lagerten jahrzehntelang in einer leer stehenden Wohnung aus Mosers Besitz, ohne dass irgendjemand davon Kenntnis hatte. Mehr als sechzig Jahre hatte seine Ehefrau Blanca alles gesammelt: jedes einzelne Bühnen- und Filmfoto der langen Karriere ihres Mannes, Kinoplakate und Theaterzettel, Hunderte handgeschriebene Rollenhefte, Kritiken und Zeitungsausschnitte. Aber auch Kurioses wie das »Polizeiliche Führungszeugnis für Herrn Hans Moser-Julier«, Bahn- und Flugbilletts seiner Reisen und ein Arztrezept aus dem Jahre 1928. Oder den Kaufvertrag seiner Villa, Mosers Burgtheatervertrag (öS 17 000,- brutto pro Monat) und sämtliche Honorarnoten seiner Filmengagements (für Hallo Dienstmann, 1951 gedreht, erhielt er als Gage 200 000 Schilling).

Da lagen sie also vor mir, die riesigen, prall gefüllten schwarzen Kartons, und ich konnte nicht fassen, was Österreichs großer Volksschauspieler neben seinen Filmen noch alles hinterlassen hatte. »Wie nehm’ ma’n denn«, stand da in verwinkelter Kurrentschrift auf einem vergilbten Blatt Papier – zwischen Filmplakaten und alten Rechnungen steckte Mosers eigenhändig verfasstes Manuskript des Dienstmanns, der berühmten Szene, die er sich 1923 auf den Leib geschrieben hatte.

In einer anderen Kiste fand ich einen dramatischen Brief an Hitler, in dem er in verzweifelten Worten für seine jüdische Frau interveniert und den »Führer« anfleht, »die für Juden geltenden Sonderbestimmungen gnadenweise zu erlassen«.

Doch Hitler kannte keine Gnade – Blanca Moser musste emigrieren, lebte viele Jahre von ihrem Mann getrennt.

Im »Polizeilichen Führungszeugnis« aus dem Jahre 1948 ist eingetragen, dass Moser »weder als Bettler (!) noch als Mitglied der NSDAP« eingestuft wurde. 1960 ersuchte der als sparsam bekannte Schauspieler die Erzdiözese Wien in einem Brief um »Erlass der Kirchensteuer«, weil er – wie er schreibt – »seit zwei Jahren nichts verdiente, weder beim Film noch am Theater«.

Dabei hatte er in diesen beiden Jahren sieben Filme gedreht …

Hans Mosers Leben stellte sich mir nun in den vielen Dokumenten und Aufzeichnungen seines Nachlasses dar. Zuallererst erstaunt, wie lange es dauern sollte, bis man die wahre Größe dieses Mannes erkannt hatte. Es war ein schmerzlicher Weg, der ihn erst in reifen Jahren zum Erfolg und damit zu den Rollen führte, die er so unnachahmlich spielte.

Er wurde am 6. August 1880 als Sohn des Franz und der Serafina Julier in Wien geboren. Die Mutter war Wienerin und betrieb am Naschmarkt ein kleines Milchgeschäft. Den Vater, einen gebürtigen Ungarn, hatte es als jungen Mann in die Haupt- und Residenzstadt verschlagen, wo er als Maler und Bildhauer arbeitete. Dem Umstand, dass seine Vorfahren ursprünglich aus Frankreich stammten, verdankte Hans Moser – der wienerischste aller Schauspieler – seinen so unwienerischen Namen Julier.

»Schauspieler willst werden? Mit der Stimm’ und der Figur?« Das war die erste Reaktion des Vaters, als er erfuhr, dass sein Sohn nach Abschluss der Handelsschule zur Bühne wollte. Auch die Aussage von Direktor Gutmayer – dem Leiter der privaten Theaterschule Otto – war alles andere als ermutigend: »Talent haben S’ keines, junger Mann, aber wenn S’ wollen, können S’ bleiben!« Diese »Gnade« wurde Johann Julier zuteil, weil sich die Theaterschule in einer finanziellen Notlage befand und das monatliche Schulgeld in Höhe von fünfzehn Gulden dazu beitrug, das künstlerische Lehrinstitut über Wasser zu halten. Den tatsächlichen Schauspielunterricht erhielt er dann von einem entfernten Verwandten, dem Hofschauspieler Josef Moser, der als Episodist am Burgtheater engagiert war. Ihm zu Ehren sollte sich Johann Julier später Hans Moser nennen.

Mit siebzehn Jahren war er also ein mehr oder weniger ausgebildeter Schauspieler und verließ seinen Posten in der Buchhaltung eines Lederwarengeschäfts, um zum Theater zu gehen. Damals, knapp vor der Jahrhundertwende, existierten drei Kategorien von Bühnenhäusern: die großen Theater in Berlin, Wien und Prag, von denen ein Anfänger nur träumen konnte, sowie hervorragende deutschsprachige Bühnen in der sogenannten »Provinz«: Reichenberg, Aussig, Czernowitz, Pilsen, Graz, Linz. Doch auch dort hatte kein Prinzipal Interesse an dem 1,58 Meter kleinen, ambitionierten Schauspieler aus Wien.

Blieb nur die »Schmiere«, die unterste Stufe des Theaterbetriebs. Schmutzige Gasthaussäle in Friedek-Mistek, Guben, Namslau, Neutitschein. Hans Moser war dazu verdammt, dort aufzutreten. Jahre vergingen, und er kehrte immer wieder – mit kurzen Unterbrechungen durch etwas bessere Engagements in der »Provinz« – zurück zur »Schmiere«. Er spielte die jugendlichen Liebhaber, für deren Darstellung er wirklich nicht geschaffen war, hatte aber auch Chor- und Statisterieverpflichtung, musste Kulissen schieben und Theaterzettel austragen.

Einmal sah er eine Chance, dieser Tätigkeit zu entkommen. Josef Jarno war im Jahre 1902 auf ihn aufmerksam geworden und engagierte den damals 22-Jährigen an das Wiener Theater in der Josefstadt. Doch selbst der große Theatermann erkannte Mosers Genie nicht, bemerkte nicht die komödiantische Begabung dieses Mannes, ließ ihn fünf Jahre lang in winzigen Episodenrollen auftreten.

Enttäuscht und verzweifelt verließ Moser seine Heimatstadt und bereiste wieder »Provinz« und »Schmiere«, wo man ihm wenigstens etwas größere Rollen anvertraute. Keiner wollte an ihn glauben, nur er selbst wusste von seinem Talent, wie er viel später – 1926, bereits als berühmter Mann – in einem Zeitungsinterview feststellte, das ich in einer der Kisten fand. »Eines möchte ich schon sagen: Das, was ich heute kann, habe ich vor zwanzig Jahren schon gekonnt. Um kein Haar war ich damals anders als heute, ganz gewiss nicht.«

1910 lernte er die Frau kennen, die sich sowohl für sein Privatleben als auch für sein berufliches Fortkommen als Glücksfall erweisen sollte. Blanca Hirschler, zehn Jahre jünger als er, nahm seine Karriere in die Hand. Gemeinsam klapperten sie Kabaretts, Varietés und Nachtlokale ab, sie studierte mit ihm neue Rollen ein, handelte Verträge aus, kümmerte sich um Engagements. Vor allem aber machte sie ihm Mut und half, seine Depressionen zu überwinden.