Die Hörbigers - Georg Markus - E-Book

Die Hörbigers E-Book

Georg Markus

0,0

Beschreibung

Die erste Biografie der bedeutendsten Schauspielerfamilie des deutschen Sprachraums. Spannend von der ersten bis zur letzten Seite: Bestellerautor Georg Markus schrieb mit diesem Buch ein einzigartiges Stück Theater-, Film- und Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts: -Der unvergleichliche Aufstieg einer Familie. Ihre Triumphe am Theater, ihre Schicksalsschläge, ihre Niederlagen -Die Geschichte einer Liebe: Warum Paula Wessely und Attila Hörbiger lange nicht heiraten konnten -Die Karriere der Ausnahmeschauspielerin Paula Wessely und die große Krise ihres Lebens -Zwei Brüder und ihre unterschiedlichen Lebenswege: Theaterstar Attila und Filmstar Paul Hörbiger -Der mysteriöse Tod des dritten Bruders entzweit die Familie: Jahrzehntelange Gerichtsprozesse folgen -Zum ersten Mal: Paula Wesselys Entnazifizierungsakt, die Zeugenaussagen, der Privatnachlass, die Korrespondenz -Und die große Lebensbeichte der Wessely: "Was ich getan habe, ist durch nichts zu verantworten" -Alle Generationen auf einen Blick: vom "Vater der Welteislehre" über Christiane Hörbiger bis zu den "jungen Hörbigers"

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 401

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



GEORG MARKUS

Die Hörbigers

Biografie einer Familie

Danksagung

Der besondere Dank des Autors geht an Elisabeth Orth, Christiane Hörbiger und Maresa Hörbiger, weiters an Gerhard Tötschinger sowie an Paul Hörbigers Töchter Christl Ptack und Monica Tramitz, seinen Sohn Thommy Hörbiger und an die dritte Generation Cornelius Obonya, Sascha Bigler, Manuel Witting, Christian Tramitz, Mavie Hörbiger.

Für wichtige Informationen stellten sich weiters zur Verfügung: Michaela Jaray, Robert Jungbluth, André Heller, Oliver Rathkolb, Eric Pleskow, Judith Holzmeister, Erika Pluhar, Gerhard Blasche, Veronika Botay, Antonia Homschak-Kalbeck, Judith Pór-Kalbeck, Wolfgang Teschner, Monika Jagos, Christina Köstner.

Weitere Quellen: die Privatnachlässe von Paula Wessely, Attila Hörbiger und Paul Hörbiger sowie Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik, Wiener Stadt- und Landesarchiv (Erich Denk), Deutsches Bundesarchiv/ehemals Berlin Document Center, Archiv der Österreichischen Bundestheater (Oliver Lang), Archiv des Burgtheaters (Rita Czapka), Archiv der Salzburger Festspiele (Franziska-Maria Lettowsky), Theater in der Josefstadt (Sigrid Peer), Filmarchiv Austria (Peter Spiegel), Paul-Hörbiger-Archiv Felix Felzmann, Hoerbiger Holding AG Zug/Schweiz (Ludwig Schönefeld), Österreichische Nationalbibliothek, Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (Elisabeth Klamper), Österreichisches Theatermuseum, Institut für Gewerkschafts- und AK-Geschichte der AK (Brigitte Pellar) sowie das Kurier-Archiv (Helmut Vogrin, Ewald Wukovits).

Besuchen Sie uns im Internet unter:www.amalthea.at

1. Auflage September 20062. Auflage November 20063. Auflage Januar 2007

© 2006 by Amalthea Signum Verlag, WienAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: Kurt Hamtil, verlagsbüro wienUmschlagfotos: Paul Schirnhofer (1), Gerhard Bartl (2)Herstellung und Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger& Karl Schaumann GmbH, HeimstettenGesetzt aus der 10,5/13,5 Punkt Stempel GaramondDruck und Binden: CPI Moravia Books GmbH KorneuburgPrinted in AustriaISBN: 978-3-85002-565-2eISBN: 978-3-902998-56-9

INHALT

»BEI DEN WINDSORS IST ES NICHT ANDERS«

Vorwort

NICHT LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK

Die Geburtsstunde einer Dynastie

»MUSSTE SIE PAULA HEISSEN?«

Ihr Weg zum Theater

»WAS NIMMST DU FÜR EINEN KÜNSTLERNAMEN?«

Paul und Attila werden Schauspieler

DER MORDANSCHLAG

Letzte Ölung für Paul Hörbiger

HANS ODER ATTILA?

Paula Wessely muss sich entscheiden

DIE LEISEN TÖNE DER WESSELY

Im Ensemble von Max Reinhardt

»EINE GROSSE LEIDENSCHAFT«

Gemeinsam an Schnitzlers Grab

»TANGO AUF EINER STRADIVARI«

Paula Wesselys Durchbruch

WILHELM TELL MIT HITLERGRUSS

Berlin, im Jahre 1933

»WARUM GERADE ICH?«

Paula Wessely in »Maskerade«

»DER BESTE JEDERMANN«

Attilas große Chance

PAUL HÖRBIGER IST VERDÄCHTIG

Spitzel beobachten den Volksschauspieler

GOEBBELS SCHICKT BLUMEN

Das erste Kind

»SPIELT DA WIRKLICH DIE FRAU WESSELY?«

Die Achse Wien–Salzburg–Berlin

UNTER DEM SCHUTZ DER PARTEI

Attila Hörbiger kann nicht widerstehen

»PROSIT 1939, IHRE HERMINE EHRENSTEIN!«

Die Sekretärin bedankt sich

DER FALL KALBECK

Hilfe oder »Arisierung«?

»WIR KAUFEN NICHT BEI JUDEN«

»Heimkehr«

ZU SEHR INS ÖSTERREICHISCHE FAHRWASSER

»Gottbegnadete Künstler«

EIN SCHECK FÜR DEN WIDERSTAND

Paul Hörbiger im Gefängnis

ENDLICH WIEDER SCHNITZLER

Schutt schaufeln im zerstörten Wien

»ATTILA, DU KANNST ES DIR LEISTEN«

Entnazifizierung

DER ZUSAMMENBRUCH

Paula Wesselys Nervenkrise

BRUDERZWIST IM HAUSE HÖRBIGER

Alfreds mysteriöser Tod

»DER ENGEL MIT DER POSAUNE« …

… und andere Nachkriegsfilme

DAS KÖNIGSPAAR

Attila Hörbiger und Paula Wessely an der »Burg«

»DER MANN VON PAULA WESSELY«

Konkurrenz im Hause Hörbiger

FAMILIE HÖRBIGER KAUFT EINE KONDITOREI

oder Alle Töchter gehen zum Theater

»ZUFÄLLIG MITEINANDER VERWANDT«

Und noch eine Generation

ABSCHIED AUF UNGARISCH

Paul Hörbigers letzte Lebensjahre

»GEMMA DENKMALZERTRÜMMERN«

Elfriede Jelineks Abrechnung

»DAS AUDITORIUM TOBT«

Paula Wesselys letzter Auftritt

ANHANG

DIE FAMILIEN HÖRBIGER UND WESSELY

Stammbaum

DER »CLAN« IM ÜBERBLICK

Zeittafel

Quellenverzeichnis

»BEI DEN WINDSORS IST ES NICHT ANDERS«

Vorwort

Kaum eine Familie wird verehrt wie diese. Und kaum eine so heftig kritisiert. Die Verehrung gilt dem künstlerischen Potenzial, die Kritik hat mit der dramatischen Geschichte des 20. Jahrhunderts und vor allem damit zu tun, wie sich einzelne Mitglieder der Familie Hörbiger im politischen Umfeld ihrer Zeit verhielten.

Dieses Buch will weder verherrlichen noch verteufeln. Es stützt sich auf Fakten und Dokumente, auf Aussagen von Familienmitgliedern, Zeitzeugen und Betroffenen. Die großteils bisher unveröffentlichten Dokumente lassen eine zum Teil neue Sicht der Familiengeschichte zu, belegen Licht- und Schattenseiten der größten, wohl auch bedeutendsten Schauspielerdynastie des deutschen Sprachraums. In langen Gesprächen und mit beeindruckender Offenheit standen mir die Töchter des Ehepaares Hörbiger-Wessely sowie Töchter und Sohn von Paul Hörbiger über ihre Eltern Rede und Antwort. Darüber hinaus waren alle Familienangehörigen – wirklich alle – bereit, diesem Buchprojekt wertvolle Informationen zur Verfügung zu stellen.

Neben der Theater- und der Filmgeschichte spielt in dieser ersten Biografie der Familie Hörbiger auch die Zeitgeschichte eine große Rolle. Dieses Buch gewährt Einblick in den Aufstieg einer Reihe von Ausnahmekünstlern, erzählt aber auch die private Geschichte einer Familie, die sich mir bei den Recherchen und während des Schreibens streckenweise wie ein Kriminalroman darbot: In den zwanziger Jahren wurde auf Paul Hörbiger ein Eifersuchtsattentat verübt, das er beinahe nicht überlebte. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam einer der vier Hörbiger-Brüder auf mysteriöse Weise ums Leben – die Prozesse um seinen Gifttod dauerten zwölf Jahre und entzweiten den sonst so harmonisch wirkenden »Clan«. Paula Wesselys Leben war von mehreren Nervenkrisen überschattet, die an die Substanz der Familie gingen. Schließlich mussten sie und ihr Mann Attila Hörbiger sich nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs einem »Entnazifizierungsverfahren« stellen, das hier zum ersten Mal umfassend dokumentiert ist: durch Betroffene und prominente Zeitzeugen, die ihre Aussagen nach 1945 dem Alliierten Rat und in Gerichtsakten hinterlassen hatten.

Als äußeren Anlass für das Erscheinen dieses Buches könnte man Paula Wesselys hundertsten Geburtstag am 20. Jänner 2007 nennen. Der innere und wahre Anlass ist es aber, dass mir zum ersten Mal die Möglichkeit gegeben wurde, die persönlichen Nachlässe von Paula Wessely und den Brüdern Attila und Paul Hörbiger aufzuarbeiten. Sowohl die Familie als auch wichtige Archive in Wien und Berlin gewährten mir Einblick in das künstlerische und private Leben dieser Generation. Eine weitere Informationsquelle war schließlich Paula Wesselys bislang unveröffentlichte Korrespondenz, die mir von ihren Töchtern und dem Österreichischen Theatermuseum zur Verfügung gestellt wurde.

Paula Wessely kann die Aufarbeitung des Tiefpunkts in ihrem Leben nicht erspart werden: 1941 spielte sie die Hauptrolle in dem Nazi-Propagandafilm Heimkehr. Gleichzeitig belegen aber Briefe, Dokumente und Zeugenaussagen zum ersten Mal in allen Details, wie sie und ihr Mann ihre Stellung im Dritten Reich dazu verwendeten, verfolgten Menschen zu helfen – in manchen Fällen wohl auch lebensrettend. Paul Hörbiger hatte sich diesbezüglich nie zu verteidigen: Er saß in den letzten drei Monaten des »Tausendjährigen Reichs« im Gefängnis, weil er eine Widerstandsbewegung unterstützt hatte.

Das ist die eine Generation – jene, die im Mittelpunkt dieses Buches steht. Bemerkenswerte Familienmitglieder gab es auch in der Generation davor, in der es einen bedeutenden Forscher und Erfinder sowie eine berühmte Schauspielerin gab, die man auch schon »die Wessely« nannte. Dazu kommen die Kinder und Enkel, die ebenfalls außergewöhnliche Karrieren bei Bühne und Film machten. Um dem Leser den Überblick zu erleichtern, seien hier die Mitglieder der Familie genannt, die Film-, Theater- und Zeitgeschichte schrieben oder schreiben:

• Josephine Wessely (1860–1887), Schauspielerin am k.u.k. Hofburgtheater, Tante der Paula Wessely.

• Hanns Hörbiger (1860–1931), Konstrukteur, Privatgelehrter, Schöpfer der Welteislehre, Vater von Paul und Attila Hörbiger.

• Paul Hörbiger (1894–1981), Volksschauspieler (Hofrat Geiger, Hallo Dienstmann, Der alte Richter), Burgschauspieler.

• Attila Hörbiger (1896–1987), Burgschauspieler (Fast ein Poet, Nathan der Weise, Lumpazivagabundus, Jedermann).

• Paula Wessely (1907–2000), gilt als bedeutendste Schauspielerin des 20. Jahrhunderts (Rose Bernd, Liebelei, Faust, Maskerade, Der Engel mit der Posaune), Burgschauspielerin.

• Elisabeth Orth (*1936), Burgschauspielerin (Die heilige Johanna, Egmont, Don Carlos, Das Goldene Vließ, Hamlet, Mutter Courage, Maria Stuart).

• Christiane Hörbiger (*1938), einer der populärsten Film- und Fernsehstars des deutschen Sprachraums (Das Erbe der Guldenburgs, Schtonk, Donauwalzer, Alles auf Anfang, Tafelspitz, Julia – eine ungewöhnliche Frau).

• Maresa Hörbiger (*1945), Burgschauspielerin (Liebelei, Käthchen von Heilbronn, Faust, Die Katze auf dem heißen Blechdach). Gründerin und Leiterin des Kultursalons Hörbiger.

• Elisabeth Orths Sohn Cornelius Obonya (*1969), Burgschauspieler (Die See, Die Jungfrau von Orleans, Minna von Barnhelm, Das weite Land).

• Christiane Hörbigers Sohn Sascha Bigler (*1968), Filmregisseur und Drehbuchautor (Domina Lisa, Österreich ist ein bissl anders, Tom Turbo, Kurz- und Experimentalfilme).

• Maresa Hörbigers Sohn Manuel Witting (*1977), Schauspieler am Theater in der Josefstadt (Bunbury) sowie in TV-Serien (Kommissar Rex, Tatort, Das Traumhotel, Soko Donau).

• Paul Hörbigers Sohn Thommy Hörbiger (*1931), Schauspieler und Textdichter (Merci Cherie, 17 Jahr blondes Haar).

• Paul Hörbigers Enkel Christian Tramitz (*1955), populärer Film- und Fernsehschauspieler (Der Schuh des Manitu, Bullyparade, Tramitz and friends).

• Paul Hörbigers Enkel Nicolas Geremus (*1959), Erster Geiger der Wiener Symphoniker und Komponist.

• Paul Hörbigers Enkelin Mavie Hörbiger (*1979), zählt zu den großen Jungtalenten in deutschen Film- und Fernsehproduktionen (Solo für Klarinette, Liebesluder, Napoleon, Vera Brühne, Drei Schwestern Made in Germany).

Die Liste der prominenten Hörbigers ist beeindruckend – und dabei noch gar nicht vollständig, zählen doch auch der Regisseur Wolfgang Glück, die Schriftsteller Rolf Bigler und Gerhard Tötschinger sowie die Schauspieler Hanns Obonya und Dieter Witting zum »Clan«.

Die Grundlagen zur Aufarbeitung ihrer Biografien lieferten mir die »Hauptdarsteller« selbst: Paula Wessely und Attila Hörbiger erzählten mir in ihren letzten Jahren in einer Reihe ausführlicher Gespräche aus ihrem Leben. Und bei Paul Hörbiger, dessen Memoiren ich 1979 schrieb, hatte ich ein ganzes Jahr lang Gelegenheit, ihn zu befragen. Diese Nähe zu den drei Großen ihrer Generation hinderte mich jedoch nicht, mich in diesem Buch kritisch mit ihren Lebensstationen auseinanderzusetzen. Sämtliche der heute lebenden Familienmitglieder wussten das von Anfang an und unterstützten mich in meinen Recherchen dennoch tatkräftig. Auch sie empfanden es als richtig und wichtig, dass deren Lebensgeschichten aufgearbeitet werden.

Was man Paula Wessely neben der Rolle, die sie im Dritten Reich und vor allem in dem Film Heimkehr spielte, vorwarf und vorwerfen konnte, war die Tatsache, dass sie in den 55 Jahren, die sie nach dem Zusammenbruch der Naziregimes am Leben war, nie die Gelegenheit wahrnahm, klare und eindeutige Worte der Distanzierung zu finden. Einmal, ein einziges Mal, tat sie es doch – und sie können Paula Wesselys Aussage hier zum ersten Mal in einem Buch lesen (ab Seite 316). Die Schauspielerin hatte 1976 einem überaus glaubwürdigen Zeitzeugen gegenüber in mehrwöchigen Gesprächen eine Art Lebensbeichte abgelegt. Und sie scheute nicht davor zurück, die Schuld für ihr Verhalten auf sich zu nehmen, Reue zu zeigen und keinen Milderungsgrund gelten zu lassen.

Der Mann, dem sie sich anvertraute, war André Heller – der mir nun ihre diesbezüglichen Aussagen zur Verfügung stellte. Aussagen, die das Wesen und die Einstellung der Schauspielerin, dem Nationalsozialismus gegenüber, doch in einem anderen Licht erscheinen lassen, als man bisher annehmen musste. »Ich wäre der Letzte, der einen Grund hätte, eine uneinsichtige Nazikultur-Kollaborateurin zu verteidigen«, sagte André Heller, als er mir Paula Wesselys »Lebensbeichte« vorlegte. »Ich tue es ausschließlich deshalb, weil es wirklich so geschehen ist«.

Michael Heltau hat am Vorabend von Paula Wesselys 85. Geburtstag den »Clan« mit königlichem Geblüt verglichen: »Dass eine Familie, die eine Wessely und viele Hörbigers hat, sehr animierend für Storys ist, liegt auf der Hand. Das ist bei Dynastien so. Bei den Windsors ist es nicht anders.«

Auch die haben nicht nur sonnige Stunden erlebt.

GEORG MARKUSWien, im August 2006

NICHT LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK

Die Geburtsstunde einer Dynastie

Es war das bestgehütete Geheimnis von Wien. Zwei Schauspieler wollten heiraten und niemand sollte es erfahren. Also trafen sie zu früher Morgenstunde im Steinernen Saal des Wiener Rathauses zusammen, um sich trauen zu lassen. Man schrieb den 23. November 1935, und das ist somit der Tag, der zwei außergewöhnliche Familien miteinander verbinden und die bedeutendste Theaterdynastie des deutschen Sprachraums begründen sollte.

Jedoch, die ganze Geheimhaltung half nichts. Die Künstler waren bereits viel zu prominent, um ein solches Ereignis verbergen zu können. So konnte man schon tags darauf einem »Originalbericht« des Neuen Wiener Journals entnehmen: »Gestern Vormittag fand im Rathaus die Trauung Paula Wesselys und Attila Hörbigers statt. Die Tatsache ihrer Verlobung war längst in Künstlerkreisen bekannt geworden, doch hatten die beiden den Zeitpunkt der Trauung selbst vor dem engsten Freundeskreis geheim gehalten.«

Und so hatte sich die Eheschließung herumgesprochen: »Als die beiden Künstler aus dem Wagen stiegen, wurden sie von einigen Passanten erkannt, worauf sich vor dem Tor des Rathauses zahlreiche Menschen ansammelten, die die Rückkunft des neu vermählten Paares abwarteten. Der schlichten Feier selbst wohnten nur die Trauzeugen – Schauspieler Hans Jaray und Attila Hörbigers Bruder Alfred – bei.«

Warum, fragt man sich sieben Jahrzehnte und zwei Schauspielergenerationen später, sollte die Trauung dieses jungen und damals schon berühmten Paares geheim bleiben?

Sicher haben Paula Wessely und Attila Hörbiger nie zu jenen Künstlern gezählt, die mit ihren privaten Angelegenheiten die Öffentlichkeit suchten. Aber das war nicht der eigentliche Grund.

Vielmehr sollten dem Publikum die näheren Umstände der Heirat verborgen bleiben. Da war einmal Attila Hörbigers erste Ehe, die man nur drei Tage zuvor mit Müh und Not durch das Bundeskanzleramt der Republik Österreich für null und nichtig hatte erklären lassen.

Und: Paula Wessely war guter Hoffnung – die Geburt ihrer ersten Tochter stand bevor. So etwas wollte man in den prüden dreißiger Jahren nicht unbedingt an die große Glocke hängen. Also bitte, nur keine Reporter, keine Fotografen, keine Zeitungsmeldungen.

Und dann das: Nicht nur das Neue Wiener Journal, auch Der Wiener Tag und Das Neuigkeits-Welt-Blatt berichteten von der sensationellen Hochzeit.

Paula Wessely war zu diesem Zeitpunkt vor allem durch ihren Film Maskerade eine Berühmtheit und Attila Hörbiger als Jedermann der Salzburger Festspiele. Beide zählten zum renommierten Ensemble Max Reinhardts, doch während man sie bereits »die Wessely« nannte, konnte man zu ihm nicht gut »der Hörbiger« sagen, weil das die ohnehin vorhandene Verwechslungsgefahr mit seinem berühmten Bruder Paul noch vergrößert hätte.

»Wir hatten uns Jahre davor zum ersten Mal in Prag getroffen, wo wir beide engagiert waren«, erinnerte sich die Wessely 1992 in einem langen und ausführlichen Gespräch, in dem sie mir aus ihrem Leben erzählte. Das Stück, in dem sie und Attila Hörbiger damals gemeinsam auf der Bühne standen, hieß Die neuen Herren, Premiere 12. September 1926. »Wir hatten eine Liebesszene, ich lief auf ihn zu und rannte ihn fast um. Von einer Beziehung keine Rede, ich wusste nicht viel mehr von ihm, als dass er sportbegeistert war, irgendwas mit Fußball. Erst in Wien haben wir uns dann näher kennen gelernt.«

Sie hatte ihm auf Anhieb gefallen, schon damals beim ersten Treffen in Prag. Paula Wessely war keine klassische Schönheit, aber eine beeindruckende junge Frau, die sofort sein Interesse fand. Und auch er, der athletisch gebaute, selbstbewusste Bühnenheld, war ihr gleich sympathisch gewesen. Aber Liebe auf den ersten Blick war’s nicht, Gott behüte: ein verheirateter Mann! Er schwor zwar, dass die Ehe mit seiner Frau Consuelo nur auf dem Papier bestünde, aber das sagen sie ja alle.

CHRISTIANE HÖRBIGER: »Meine Eltern waren durch eine wirklich große Liebe verbunden, die so lange sie lebten anhielt. Und das trotz mancher Krise, die sie gemeinsam durchleiden mussten. Politische Krisen waren darunter und ein Krieg, große private Turbulenzen und drei Töchter, mit denen es vielleicht auch nicht immer ganz leicht war. Darüber hinaus hatten sie aber auch eine ganz natürliche Konkurrenz zu überwinden, wie dies bei einem Schauspielerpaar unvermeidlich ist. Das und noch viel mehr hat diese Liebe ausgehalten und meine Eltern alles in allem glücklich gemacht.«

Vom Kennenlernen bis zur Hochzeit sollten neun Jahre vergehen. Neun Jahre, die ihre Liebe auf eine harte Probe stellten. Scheidungen im heutigen Sinn waren in Österreichs Erster Republik für Katholiken nicht möglich, die Ehe galt als unauflöslich – es sei denn, sie wurde von der Kirche annulliert. Doch die Chancen dafür waren gering.

Nicht nur, dass er verheiratet war, hatte auch Paula Wessely einen Verehrer, und der scheute keine Mühen, sie regelmäßig in Prag zu besuchen. Sein Name war Siegfried Breuer, auch er sah gut aus und schien einen viel versprechenden Weg vor sich zu haben. Er und Paula hatten gleichzeitig an der Wiener Schauspielakademie studiert und sich später bei gemeinsamen Engagements wieder getroffen, irgendwann war aus jugendlichem Flirt Verliebtheit geworden. Dieser Siegfried Breuer, der eine beachtliche Filmkarriere machen sollte, war der Sohn des berühmten Hofopernsängers Hans Breuer, wodurch er schon seit seiner Kindheit eine enge Beziehung zum Theater hatte. Siegfried bemühte sich sehr um Paula, doch eines Tages kam es zu einer Begebenheit, die ihr missfiel.

MARESA HÖRBIGER: »Ich weiß aus den Erzählungen meiner Mutter, dass sie einmal mit dem Siegfried Breuer nach einer Vorstellung in ein elegantes Restaurant zum Essen ging, was in der damaligen Zeit, jung wie sie waren, etwas Besonderes war. Als der Ober die Rechnung brachte, wurde sie ihr von Siegfried unterm Tisch zugeschoben, meine Mutter sollte zahlen! Sie war schrecklich enttäuscht, weil es damals selbstverständlich war, dass der Herr die Dame einlädt. Sie hat ihn dann kaum noch gesehen und seine Reisen von Wien nach Prag wurden seltener, bis sich ihre Wege trennten.«

Die Wessely wird ihrem Verehrer wohl keine Träne nachgeweint haben, musste sie doch später erfahren, dass Siegfried Breuer insgesamt fünfmal verheiratet war – unter anderem mit den Schauspielerinnen Eva-Maria Meinecke und Maria Andergast.

Paula Wessely war neunzehn, als sie und Attila Hörbiger einander zum ersten Mal begegneten. Am 20. Jänner 1907 als zweite Tochter des Ehepaares Anna und Carl Wessely in Wien zur Welt gekommen, schien sich eine Laufbahn als Schauspielerin – noch dazu als die bedeutendste ihrer Zeit – vorerst nicht abzuzeichnen. Ihr Vater war bürgerlicher Fleischhauermeister auf der Sechshauser Straße im fünfzehnten Bezirk, die Mutter half im Geschäft mit. Sämtliche Vorfahren des Ehepaares waren Handwerker, ein Großvater Schuster, der andere Müller. Väterlicherseits stammte die Familie aus Pirnitz in Mähren, wo sie noch »Vesely« hieß, mütterlicherseits aus Großweikersdorf bei Tulln in Niederösterreich.

Studiert man den Stammbaum etwas genauer, findet sich dennoch ein Ast, der zum Theater führt, ein ziemlich kräftiger sogar. Carl, der Fleischhauer, hatte eine ältere Schwester, die zu ihrer Zeit als große Schauspielerin gefeiert wurde: Josephine Wessely war mit 18 Jahren Mitglied des Hofburgtheaters geworden und hatte dort eine glänzende Karriere gemacht. Auch sie wurde schon »die Wessely« genannt. Doch Josephine war, als Paula zur Welt kam, seit zwei Jahrzehnten tot. Sie starb 1887, nur 27 Jahre alt, während eines Gastspiels in Karlsbad, angeblich »an gebrochenem Herzen«, weil sie die Liaison mit einem verheirateten Grafen nicht verkraftet hatte. Der Wiener Theaterklatsch munkelte hingegen von den Folgen eines missglückten Schwangerschaftsabbruchs.

»Ich hörte und las in meiner Jugend viel von der ›Tant Josephin‹ und vom Burgtheater«, erzählte Paula Wessely. »Ich hätte nie gedacht, dass ich hier eines Tages selbst auftreten würde.« Als es dann doch soweit war, stand über all die Jahre ein Bildnis der berühmten Tante auf Paulas Schminktisch.

Josephine Wessely wird als beeindruckende Persönlichkeit beschrieben, die sowohl die Sentimentale als auch den kecken Backfisch im Lustspiel verkörpern konnte. Die gebürtige Wienerin war nach ihren Lehrjahren in Leipzig zurück in ihre Heimatstadt und hier gleich ans Burgtheater gekommen. »Endlich wieder ein Gemüt, beinahe ein Temperament«, rief ihr Direktor Franz von Dingelstedt zu, der von ihrem Können so überwältigt war, dass er seinem Leipziger Kollegen August Förster in einem Brief überschwänglich mitteilte: »Ihnen gebührt als Förderer dieses echten, schönen, seltenen Talentes der Dank und die Erkenntlichkeit des Burgtheaters, dem sie ihren Besitz nicht nur gegönnt, sondern zugewendet haben.« Josephine Wessely wurde als Luise, als Klärchen, als Emilia Galotti bejubelt. Und sie glänzte als Gretchen neben den ihr ebenbürtigen »Theatergöttern« Adolf von Sonnenthal und Josef Lewinsky. Kritik und Publikum waren gleichermaßen hingerissen vom »harmonischsten Gretchen, das wir je besessen haben«.

Ähnliches wird man ein halbes Jahrhundert später über das Gretchen ihrer Nichte Paula lesen können. In der Familie hieß es, dass diese das Gesicht und die Art zu sprechen von der Mutter geerbt hatte, die so berühmte Klangfarbe ihrer Stimme jedoch von der legendären Tante.

Während Josephine die bislang einzige Berühmtheit in der Familie Wessely gewesen war, gab es bei den Hörbigers zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Personen, die das Zeug hatten, in die Geschichte einzugehen. Da war einmal Attilas um zwei Jahre älterer Bruder Paul, ein junger Schauspieler, der 1926, gerade als Paula und Attila einander in Prag kennen lernten, von Max Reinhardt nach Berlin geholt wurde. Aber auch Pauls und Attilas Vater war ein weit über Österreichs Grenzen hinaus bekannter Mann: Hanns Hörbiger, mit einem langen Bart und den Titeln Professor und Ingenieur versehen, hatte sich durch zahlreiche Erfindungen und Patente einen Namen gemacht, viel mehr aber noch durch die von ihm entwickelte Welteislehre. Er war 1860 in Atzgersdorf bei Wien als Spross einer alten Tiroler Familie zur Welt gekommen, deren einst im Familienbesitz befindlicher Hörbighof in der Wildschönau es heute noch gibt. Hanns Hörbiger hatte in seiner Jugend mit ansehen müssen, wie schwer es seiner Mutter Amalia fiel, allein für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Sein aus Frankreich stammender Vater war ein Orgelschnitzer namens Leeb gewesen, der nach Wien gekommen war, um der Kirchenorgel von Alt-Lerchenfeld den letzten Schliff zu geben. Das Instrument selbst stammte aus der Hand des angesehenen Orgelbauers Alois Hörbiger. Im Verlauf der Zusammenarbeit lernte Herr Leeb Alois Hörbigers Tochter Amalia kennen und lieben. Als sie ein Kind von ihm erwartete, war Herr Leeb freilich schon über alle Berge. Er hat vermutlich nie davon erfahren, dass er einen Sohn hatte.

Und dieser Sohn war der späterhin so berühmte Hanns Hörbiger.

»Abstammungsnachweis nicht voll erbracht, aber ohne Bedenken«, ist der von der nationalsozialistischen Reichskulturkammer angelegten »Akte Paul Hörbiger«* zu entnehmen. »Der einzige Grund, warum ich diesen idiotischen Ariernachweis nie erbrachte«, erklärte der Volksschauspieler in seinen 1979 veröffentlichten Memoiren, »war die außereheliche Geburt meines Vaters. Mir persönlich wäre diese Tatsache eher wurscht gewesen, aber meine Mutter hat damals noch gelebt, und in ihrer Generation dachte man über solche Dinge noch anders als heute.«

Hanns Hörbiger hatte schon als dreizehnjähriger Realschüler sein Bett in den Garten geschoben, um »Himmelsbeobachtungen« anzustellen. Seine Forschungen führten ihn in späteren Jahren zu der Ansicht, dass eine riesige Eisschicht der Ursprung der Erde gewesen sei. Als das Eis mit heißen Elementen kollidierte, sei es zu einer gewaltigen Explosion gekommen, die die Bildung der Planeten zur Folge hatte. Alles irdische Leben, schloss Hanns Hörbiger in seiner Welteislehre, stammte aus dem All.

Doch Hanns Hörbiger setzte auch in seinem »Brotberuf« völlig neue Maßstäbe. Als junger Ingenieur ließ er sich die bahnbrechende Erfindung des »ersten reibungsfrei geführten Stahlplattenventils« patentieren, das als revolutionäre Innovation einen nicht unbedeutenden Anteil am Aufbau der modernen Industriegesellschaft hatte. Gleichzeitig beschäftigte er sich als Konstrukteur der Langschen Maschinenfabrik mit der Planung sowohl einer U-Bahn als auch eines Pavillons für die Millenniums-Ausstellung, die zum tausendsten Geburtstag Ungarns im Jahre 1896 eröffnet werden sollten. Während des mehrjährigen Budapest-Aufenthalts der Familie brachte Hörbigers Frau Leopoldine, geb. Janak, die künftighin so berühmten Söhne zur Welt. Paul 1894 und Attila zwei Jahre später.

CHRISTL PTACK, die Tochter von Paul Hörbiger: »Weder Paul noch Attila konnten, solange sie in Budapest lebten, auch nur ein deutsches Wort sprechen. Der ungarischen Erziehung entsprechend, waren sie mit ihren Eltern per Sie, nur Hans Robert, der älteste Bruder, durfte du sagen. Ihrer Mutter, die sie immer mit ›Édesanyám‹ – ›Meine süße Mama‹ – ansprachen, galt ihre ganze Liebe. Zweifellos waren ihr Attila und Paul besonders nahe, auch später, als sie zum Theater gingen. Denn das Theater war ihre große Leidenschaft, sie war immer wieder auf Laienbühnen aufgetreten und wäre am liebsten selbst Schauspielerin geworden. In Paul und Attila sah sie dann wohl auch ein bisschen die Erfüllung ihrer eigenen Träume.«

Das Ungarische blieb den Brüdern ihr Leben lang vertraut. Als Attila Hörbiger mit über sechzig Jahren am Akademietheater einen leicht vertrottelten, aber liebenswerten k.u.k. Generaladjutanten in Franz Molnárs Komödie Olympia spielte, vermerkte Friedrich Torberg, dass er die Rolle »großartig, mit ungeahnten Dimensionen und brillanter Dialektbeherrschung« angelegt hätte, was nicht verwunderlich wäre, »da er ja schließlich in Budapest zur Welt gekommen ist«. Und auch viel später noch, an Pauls Totenbett, werden sich die Brüder der gemeinsamen Sprache ihrer Kindheit erinnern.

Die Buben übersiedelten während ihrer Volksschulzeit – schweren Herzens, weil sie Angst vor der neuen Sprache hatten – mit ihren Eltern und den beiden älteren Brüdern nach Wien, wo der Herr Papa nun sein eigenes Konstruktionsbüro gründete. Die Familie bezog eine Wohnung im vierten Stock des Hauses Schönbrunner Straße 249 in Meidling, in dem auch das Ehepaar Alfred und Valerie Martinz mit seinem Töchterchen Consuelo wohnte. Consuelo war damals fünf, Attila sieben. Die Spielgefährtin aus den Kindheitstagen sollte seine erste Frau werden.

Und das, obwohl sie sich bald wieder aus den Augen verloren, da Alfred Martinz mit seiner Familie den Wohnsitz in seine Geburtsstadt Pola* auf der Halbinsel Istrien verlegte.

Jahre später trafen sie einander wieder. Attila hatte sich erinnert, dass Consuelos Vater Sprech- und Stimmunterricht erteilte. Mittlerweile bereits beim Theater, gab es für ihn Nachholbedarf, da er bis dahin keine Schauspielausbildung erhalten hatte. Also fuhr Attila Hörbiger in den alten Kriegshafen Pola, nahm ein paar Stunden bei Herrn Martinz – und verliebte sich in dessen Tochter.

Am 14. Juni 1924 wurde geheiratet, Attila war jetzt 28, Consuelo 26 Jahre alt. Als er zwei Jahre später in Prag die Wessely traf, soll es schon wieder vorbei gewesen sein mit der großen Liebe.

CHRISTIANE HÖRBIGER: »Meine Mutter war sicher nicht der Grund für das Scheitern der ersten Ehe meines Vaters. Die Voraussetzungen waren von Anfang an nicht gut. Consuelo hatte Schwierigkeiten mit dem Gehör und musste ihren Beruf als Opernsängerin aufgeben. Mein Vater hat immer gesagt, dass er für sie eher Mitleid als Liebe empfand. Aber sie blieben Freunde, auch dann noch, als sie bereits getrennt waren. Und ihre Freundschaft hielt, solange sie lebten und übertrug sich auch auf meine Mutter, mit der Consuelo in späteren Jahren sehr guten Kontakt hatte. Ich sehe die erste Frau meines Vaters noch vor mir, wie sie uns an den Bahnsteig des Westbahnhofs brachte, als wir im Herbst 1944 nach Tirol flüchteten, weil in Wien die Bomben fielen. Mama war damals schwanger, sie erwartete meine jüngere Schwester Maresa.«

* Das Original befindet sich im Deutschen Bundesarchiv (ehemals Berlin Document Center).

* heute Pula, Kroatien

»MUSSTE SIE PAULA HEISSEN?«

Ihr Weg zum Theater

Paula Wesselys Eltern war es vergönnt, den unvergleichlichen Aufstieg ihrer Tochter miterleben und viele ihrer Aufführungen besuchen zu können. Dabei standen Anna und Carl Wessely täglich von früh bis spät in ihrer Fleischerei auf der Sechshauser Straße 14. Fürs Theater und für die Welt der Komödianten hatten sich die beiden seit ihren Kindheitstagen begeistert. Carl – in der Familie »der schöne Carl« genannt – besuchte in seiner Jugend mit großer Leidenschaft Wiens Deutsches Volkstheater am Weghuberpark, das 1889 für die »kleinen Leute« eröffnet worden war, die sich davor scheuten, in die gutbürgerliche »Josefstadt« oder gar ins aristokratische Burgtheater zu gehen. Carls Abgott war der Schauspieler Rudolf Tyrolt, der die Wiener Volkstypen auf unvergleichliche Weise verkörperte. In manchen Stücken hatte er ihn so oft gesehen, dass er die Texte seiner Rollen mitsprechen konnte.

Paulas Mutter Anna, geb. Orth, wiederum war als Kind durch ihre große tänzerische Begabung aufgefallen. Sogar Willy Fränzl, der Ballettmeister und ehemalige Solotänzer der Wiener Hofoper, ein Nachbar der Familie Orth, zeigte sich von ihrem Können beeindruckt, doch sie verzichtete auf die Aufnahme ins Corps de ballet, weil ihr Bruder es als Schande empfunden hätte, »so jemanden« in der Familie zu haben. Eine »Balletteuse« wäre seiner Karriere als Lehrer im Weg gestanden, meinte er. Und gegen Ende des 19. Jahrhunderts war es natürlich das Mädchen, das zu verzichten hatte.

Anna und Carl Wessely ließen ihr Kind nach altkatholischem Ritus in der Pfarre St. Salvator zu Wien auf den Namen Paula taufen. »Musste sie Paula heißen?«, wird Alfred Kerr 25 Jahre später schreiben, »nun, bitte das macht nichts«. Wir wissen nicht, was Berlins berühmtester Kritiker anlässlich der Aufsehen erregenden Premiere von Gerhart Hauptmanns Schauspiel Rose Bernd gegen den Namen Paula einzuwenden hatte, wir wissen nur, dass die Rezension, die dem Naserümpfen folgte, eine einzige Hymne war.

Besagte Paula – die auch noch Maria und Anna hieß – verbrachte die Kindheit an der Seite ihrer Eltern und ihrer um sechs Jahre älteren Schwester Marie in warmer, ungetrübter Atmosphäre. Sie besuchte die Volks- und Bürgerschule, wurde als heiteres, ausgelassenes Kind, nicht jedoch als »Wunderkind« beschrieben. Paula war immer Klassenbeste, brachte nur »Einser« mit nach Hause. In der »Vorzugsschülerin« sieht ihre Tochter Christiane den Ursprung ihres großen Lebensproblems, das Jahrzehnte später auf die bereits berühmte Wessely zukommen sollte.

CHRISTIANE HÖRBIGER: »Die Mama hat immer nur Einser gehabt, zuerst in der Schule, und das hat sich dann später fortgesetzt. Sie wollte in allem perfekt sein, in der Arbeit am Theater und beim Film, aber auch beim Aufbau ihrer Familie. Das ging so lange gut, bis man ihr nach dem Krieg ihre Mitwirkung an dem Propagandafilm Heimkehr vorhielt. Da ist sie dann zusammengebrochen. Und später, in ihren letzten Lebensjahren, noch einmal, als die Zeit des Nationalsozialismus von der Geschichtsschreibung schonungslos aufgearbeitet wurde. Da hat sie dann zum ersten Mal eine schlechte Note bekommen. Sie war eine Frau, die alles vorbildlich machen wollte. Und am Schluss erkannte, dass ihr das nicht vollends gelungen ist.«

Theater gespielt hat sie schon in der Bürgerschule. »Wenn wir Schule spielten, ließen mir meine Klassenkameradinnen stets die Aufgabe zukommen, unsere Lehrerin darzustellen«, erinnerte sich Paula Wessely. »Ich nahm diese, meine erste Rolle, sehr ernst, thronte auf einem improvisierten Pult, führte pedantisch genau das ›Klassenbuch‹, in dem ich die Leistungen und das Betragen meiner Mitschüler lobte und tadelte und sie auch sonst recht streng behandelte.« So mancher von Paula Wesselys »Klassenbuchvermerken« ist erhalten geblieben: »Engel Julie, nicht bei der Sache«, steht da in gestochen klarer Schrift, »Gruss Blanka, sehr ausgelassen« an anderer Stelle. Eine Mitschülerin hinterließ, dass Paula einmal, gramvoll über deren fiktives Zeugnis gebeugt, ausrief: »Na, Tochacek, schöne Noten sind das nicht, die du heuer nach Haus bringst!«

Nichts deutete vorerst darauf hin, dass das aufgeweckte Mädchen den Wunsch hegte, zum Theater zu gehen. Es sah seinen Berufsweg vielmehr als Lehrerin. Paula Wessely träumte davon, auch »im wirklichen Leben« zu unterrichten. »Allerdings wurde mir bald klar, dass ich für den Lehrberuf viel zu ungeduldig gewesen wäre. Die Entscheidung fiel durch meine wunderbare Deutsch- und Geschichtelehrerin.« Sie hieß Madeleine Gutwenger und sollte eine ganz entscheidende Rolle im Leben der Wessely spielen.

Wie alle in der Klasse bekam Paula im Literaturunterricht die Aufgabe, ein Gedicht zu rezitieren. Ihr Auftritt war so eindrucksvoll, dass sie die volle Aufmerksamkeit ihrer Mitschüler errang, allen war klar, dass hier etwas Einzigartiges passierte. Die kleine Paula hatte sämtliche Zuhörer, Kinder wie Lehrerin, durch den Vortrag einiger harmloser Reime in ihren Bann gezogen.

Als sie damit fertig war, ging sie vom Katheder zurück in ihre Bankreihe. Es entstand eine kleine Pause, die Frau Gutwenger mit den Worten beendete: »Kein Wunder, du hast ja auch eine berühmte Namensschwester.«

Paula protestierte sogleich lautstark: »Nein, bitte sehr, das war meine Tante!«

Madeleine Gutwenger kommt das Verdienst zu, erkannt zu haben, dass diese Schülerin schauspielerisches Talent hatte und jetzt vermutete sie, dass ihr dieses förmlich im Blut lag. »Als im letzten Schuljahr unsere großen Dichter zu Wort kamen, zeigte Paula Wessely ein sicheres Urteil, ein tiefes Verständnis der Zusammenhänge und sittlichen Ernst, kurz eine überragende Reife«, erinnerte sich die Lehrerin später. »Als es dann an die Berufsberatung ging, legte ich ihrer Mutter meine Gründe vor, die mich veranlassten, in dem jungen Mädchen die Voraussetzung für eine künstlerische Lebensbahn zu finden.«

Die theaterbegeisterten Eltern hatten nichts dagegen einzuwenden, ganz im Gegenteil, die Idee gefiel ihnen, vermuteten sie doch bei ihrer Tochter längst schon eine besondere Beobachtungsgabe: Wann immer die Dreizehn-, Vierzehnjährige im Geschäft aushalf, soll sie die Eintretenden mit anderen Augen angesehen haben, als es das Personal tat. Ganz genau verfolgte sie Gruß, Art der Bestellung und wie sich die Kundschaft sonst noch benahm. Wie eine kleine Schauspielerin eben, die die verschiedenen Typen mit ihren Besonderheiten und sprachlichen Eigenheiten studierte. Und wenn’s nicht klappen sollte mit dem Theater – in der elterlichen Fleischerei würde sie jederzeit Aufnahme finden!

CHRISTIANE HÖRBIGER: »Die Eltern meiner Mutter waren einfache Leute, aber zu Hause wurde Hochdeutsch gesprochen, was für ihre berufliche Entwicklung sicher sehr wichtig war. Den sprachlichen Schliff erhielt sie durch ihre Lehrerin Madeleine Gutwenger, deren Bedeutung für sie gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Später wurde es in gewisser Weise ein Problem für meine Mutter, dass mein Vater aus einem ›besseren Haus‹ stammte als sie. Der Papa hat sie das nie spüren lassen, er war immer besonders nett zu Mamas Eltern und nahm sie selbstverständlich ins Haus auf, als sie nicht mehr allein leben konnten. Meine Mutter hat ihre Eltern geliebt, aber unbewusst war da immer ein verteidigender Ton, wenn sie über sie sprach.«

Am glücklichsten war Paula Wessely, wenn sie mit ihrer Schulklasse Galerien und Museen, vor allem aber die Wiener Bühnen besuchen durfte. Als unvergesslich bezeichnete sie die Vorstellung von Raimunds Der Bauer als Millionär, in der Alexander Girardi kurz vor seinem Tod im April 1918 als Fortunatus Wurzel am Burgtheater brillierte. Und nach einer Minna von Barnhelm-Aufführung am Volkstheater entrang sich ihr der Stoßseufzer: »Es gibt halt doch nichts Schöneres, als ein großer Schauspieler zu sein!« An ihre Lehrerin Madeleine Gutwenger gewandt, bekannte sie noch: »Mit Klitsch und Onno zu spielen, wäre für mich die Erfüllung aller Träume!«*

Paula ging noch zur Bürgerschule, als sie die Gelegenheit zu ihrem ersten öffentlichen Auftritt hatte. Am 18. Mai 1922 gab sie bei einer schulischen Wohltätigkeitsveranstaltung die Agnes in Hermann Sudermanns Einakter Fritzchen, wobei dem Rezensenten der Reichspost »das Frl. Wessely wegen ihres natürlichen Spiels« auffiel.

Jetzt wusste sie schon, wohin sie wollte. »Das Theater ist es, das mein Wirkungskreis in späteren Jahren sein soll«, schrieb Paula Wessely in einer Hausaufgabe, der sie den Titel Rückblick und Ausblick gab. Weiter unten heißt es dann: »Es ist eigentlich nicht meine Art, mir die Zukunft recht schön auszumalen. Denn ich denke dann immer an die fürchterlichen Enttäuschungen, deren gerade mein voraussichtlicher Beruf so reich ist und so erspare ich mir die Luftschlösser. Nur das eine steht fest, dass ich alle Kraft an das Studium setzen werde, um das zu erreichen, was mein Wunsch ist.«

Das 15-jährige Mädchen konnte nicht ahnen, dass dieser Wunsch in Erfüllung gehen und alles übertreffen sollte, wovon es, auch ohne Luftschlösser, geträumt hatte. Paula sprach in der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst vor und zwar in einem Kleid, das von ihrer älteren Schwester Marie eigens für diesen Anlass geschneidert worden war. Sie hatte ein Gedicht von Ferdinand von Saar, eine Szene aus Grillparzers Weh dem, der lügt und einen Monolog aus Goethes Iphigenie vorbereitet. Madeleine Gutwenger, die sie an die Schauspielakademie begleitete, soll angesichts ihres Vortrags und in Anspielung auf die berühmte Tante Josephine ausgerufen haben: »Die wird eine zweite Wessely!«

Paula wurde aufgenommen und erhielt im Wintersemester 1922/23 ihren ersten Unterricht. Einer ihrer Lehrer an der Akademie war Rudolf Beer, der auch ihr erster Theaterdirektor werden sollte. Zwischendurch nahm sie Privatstunden bei der über achtzig Jahre alten Schauspielpädagogin Valerie Gréy, zu deren Schülern Jahrzehnte davor der große Josef Kainz und auch die Tante Josephine gezählt hatten. Die Gréy war berühmt für ihre sonderbaren Unterrichtsmethoden, so setzte sie sich auf ihre Schüler, drückte ihnen ihr Knie ins Zwerchfell und ließ sie dabei Sprechübungen machen, bei denen diese zu ersticken drohten. Paula Wesselys Mitschüler an der Akademie waren Siegfried Breuer, der erwähnte erste Flirt, sowie ihre später ebenfalls berühmt gewordenen Kollegen Käthe Gold und Karl Paryla, für den »das außergewöhnliche Talent der Wessely vom ersten Tag an spürbar gewesen ist«.

Dass da etwas Besonderes heranwuchs, war nicht zu übersehen. Am 20. Oktober 1923 gastierte das »Gréy-Ensemble« mit dem Trauerspiel Uriel Acosta von Karl Gutzkow im Wiener Akademietheater. Neben Paula Wessely, die in einer Hosenrolle auftrat, sah man Siegfried Breuer und den künftighin bedeutenden Regisseur Leopold Lindtberg. Dieser erinnerte sich in einem Brief, den er der Wessely mehr als ein halbes Jahrhundert später schrieb, an die erste gemeinsame Arbeit*: »Wir hörten, Sie seien eine Nichte der berühmten Josephine Wessely, die unter Dingelstedt und Laube am Burgtheater wirkte. Wir stellten uns eine der rauschenden Heroinen vor, wie sie heute noch im Burgtheaterfoyer zu sehen sind … Man hatte schon ein paar Tage geprobt, als Ihre Szene an der Reihe war. Da kam ein ernstes, verschlossenes Mädchen, nicht eben groß gewachsen, aber aufrecht und mit auffallend klarem Blick. Die Sprache war hell und direkt, ein wenig landschaftlich getönt, das Timbre der Stimme überaus gewinnend. Ihren Text wusste die Kleine auf der ersten Probe perfekt auswendig, er kam überzeugend und gescheit über die Rampe, alles geschah konzentriert, doch ohne Anstrengung. Ich habe es damals sicher nicht so formuliert, aber ein Instinkt sagte mir: So soll man Theater spielen.«

Und »so« spielte sie dann auch Theater.

Es war in jenen Tagen das Schicksal der Anfängerinnen, als Stubenmädchen aufzutreten, die in den zahllosen, meist aus Frankreich importierten Boulevardstücken über die Bühne trippelten. Paula Wessely erging’s nicht anders. In ihrer ersten Rolle, noch während der Studienzeit als Elevin am Deutschen Volkstheater, war sie die Kammerzofe Josephine in Victorien Sardous Lustspiel Cyprienne. »Unter den sonstigen lebendigen Requisiten des Abends gab es ein paar sehr reizende, so zum Beispiel das spitz-graziöse Fräulein Wessely«, schrieb kein Geringerer als Alfred Polgar im Morgen vom 22. Dezember 1924.

Es folgten kleine Rollen am Volks- und am gleichfalls von ihrem Lehrer Rudolf Beer geleiteten Raimundtheater, an dem sie im Jahr darauf als Ottilie Giesecke im Weißen Rössl – damals noch ein Sprechstück – neben der Volksschauspielerin Hansi Niese auf der Bühne stand. Wer hätte gedacht, dass man das Fräulein Wessely ein paar Jahre später als »neue Hansi Niese« bezeichnen würde.

Noch konnte sie nicht zeigen, was wirklich in ihr steckte, aber immerhin fielen in den frühen Rezensionen schon Worte wie »Entdeckung«, »Überraschung«, »neue Begabung«, »diskreter Humor«, »wirkliches Talent«. Und Paula Wessely hatte vom ersten Tag an eine ungeheure Demut zum Theater. »Die Ehrfurcht vor den Künstlern war so groß, dass ich es nicht wagte, meinen Fuß ins Konversationszimmer des Deutschen Volkstheaters zu setzen. Denn dort saßen die Schauspieler, die die großen Rollen spielten, und vor ihnen hatte ich tiefen Respekt.«

Noch ehe sie nach erfolgreicher Abschlussprüfung an der Akademie in ihr erstes festes Engagement geht, ist Paula Wessely eine, für ihr jugendliches Alter, weit gereiste Künstlerin. Auf einem Gastspiel begleitet sie den großen Alexander Moissi mit Ibsens Drama Gespenster durch Ungarn, wobei der Kritiker des Pester Lloyd neben Moissi nur die Wessely erwähnt, »die den Übergang von der verhaltenen Leidenschaft zur brutalen Lebensbejahung echt und wahr zu gestalten wusste«. Begegnungen wie die mit Moissi erweisen sich als prägend für Paula Wesselys Leben, wird sie doch eine der letzten Schauspielerinnen ihrer Generation sein, die noch mit Jahrhundertgestalten wie Moissi, Bassermann, Emil Jannings, Heinrich George, Max Pallenberg, Hansi Niese oder Asta Nielsen auf einer Bühne standen.

Wieder in Wien, tritt sie in der Rolle der kleinen Pamplemousse, »einer frechen Pariser Pflanze«, in Sacha Guitrys Lustspiel Der Löwe und das Kätzchen auf, in dem der Theaterdirektor Leopold Kramer sitzt und sie vom Fleck weg nach Prag holt. Ein wahrhaft schicksalhaftes Engagement – in jeder Beziehung.

* Wilhelm Klitsch und Ferdinand Onno waren Stars des Deutschen Volkstheaters in Wien.

* Leopold Lindtbergs Brief, datiert im Oktober 1974, befindet sich in Paula Wesselys Privatnachlass.

»WAS NIMMST DU FÜR EINENKÜNSTLERNAMEN?«

Paul und Attila werden Schauspieler

Im Herbst 1926, als Paula Wessely in Prag ihr Quartier bezog, war dem dortigen Deutschen Theater einer seiner Lieblinge abhanden gekommen. Er hieß Hörbiger, war 32 Jahre alt und hatte beim Publikum richtig »abgeräumt«. Nein, nicht Attila, sondern Paul war sein Name. Dieser Paul hatte, abgesehen von Attila, noch zwei weitere Brüder: Hans Robert und Alfred, die wie ihr Vater Maschinenbau studiert hatten, Alfred war darüber hinaus auch akademischer Maler. Die beiden jüngeren hatten in Internaten die Matura abgelegt – Paul im Stiftsgymnasium von St. Paul im Lavanttal, Attila in Waidhofen an der Thaya – und waren in den Ersten Weltkrieg gezogen, nach dessen unrühmlichem Ende sie abrüsteten. Attila als Leutnant, Paul als Oberleutnant. Der Ältere fasste gleich in den ersten Nachkriegstagen den Entschluss, Schauspieler zu werden. Er absolvierte ganze sieben Stunden an der Theaterschule Otto in der Wiener Operngasse, »aber nur, weil da eine Elevin war, die mein Interesse geweckt hatte«, wie Paul in seinen Memoiren verriet. »Einen geraden Satz sprechen zu können, schien mir und meinen Klassenkollegen weniger bedeutsam als die Frage ›Was nimmst du für einen Künstlernamen?‹. Das war das Hauptthema, darüber konnten wir stundenlang diskutieren.« Paul entschied sich für das hochtrabende Pseudonym Paul di Pauli – auch um den guten Namen seines Vaters nicht mit dem Theater in Verbindung zu bringen.

Attila hatte zu diesem Zeitpunkt noch ganz andere Pläne. »Ich inskribierte an der Hochschule für Bodenkultur, weil ich in die Molkereiwirtschaft gehen wollte. Mir schwebte die Erzeugung von österreichischem Qualitätskäse nach Schweizerischem Vorbild vor.«

Kaum hatte Paul Hörbiger – dann doch unter seinem wirklichen Namen – im Juni 1919 in dem böhmischen Städtchen Reichenberg sein erstes Engagement angetreten, wollte er seinen neuen Beruf schon wieder an den Nagel hängen. »Ich hatte von der Profession des Schauspielers ganz andere Vorstellungen. Wenn man gesehen hat, wie sich ein Kainz oder ein Girardi in ihren Erfolgen sonnten, dann fühlte man sich am Stadttheater von Reichenberg als armer Schlucker. Gespielt wurde alles – Oper, Operette, Klassiker, Lustspiel, aber wir vom festen Ensemble waren zu winzigen Rollen verdammt. Die dankbaren Aufgaben fielen den Gaststars zu.«

Dass diese Gaststars – Alexander Moissi, Max Pallenberg, Rudolf Tyrolt und Paul Morgan – Anfang der zwanziger Jahre überhaupt im kleinen Reichenberg auftraten, lag daran, dass die Inflationsrate in Böhmen wesentlich geringer war als in Deutschland und Österreich. Der gute Kurswert der tschechischen Krone machte die Engagements an den deutschsprachigen Bühnen dieser Region auch für berühmte Künstler attraktiv.

Doch der von seinem neuen Beruf vorerst so enttäuschte Paul Hörbiger sollte bald seine erste Chance bekommen. Als einer der Stars erkrankte, durfte er eine Hauptrolle übernehmen, in der er auf Anhieb gefiel. Und er wurde, nachdem er sich ein paar Mal als »Einspringer« bewährt hatte, schnell ein Liebling des Publikums.

Sein Hang zum Volkstümlichen zeichnete sich damals schon ab. Paul »hasste die Klassiker« und trat lieber in einer dem Theater angeschlossenen Kleinkunstbühne auf, wo er nach der Vorstellung mit seinen Soloprogrammen glänzte. Als er eines Nachts das Wienerlied Drah ma um und drah ma auf, was liegt scho dran sang, meinte ein Kollege in Anspielung auf den hohen Alkoholkonsum an diesem Abend: »Mich würde interessieren, wie der Paul das in einer Stunde singt.«

Damit war die Geburtsstunde seiner Nummer Dasselbe Lied eine Stunde später gekommen. Er begann das Lied in nüchternem Zustand zu singen, und der Sketch endete mit einer Darbietung desselben im Vollrausch. Dazwischen lag eine Palette, die einem Komödianten seines Ranges alle Möglichkeiten bot, sich zu produzieren.

Reichenberg wurde durch die Vielfalt der Stücke und Rollen, die er spielte, zum Sprungbrett des späteren Volksschauspielers. »Ich habe hier viel gelernt und die Grundbegriffe der Schauspielkunst erfahren«, erinnerte er sich. Einer der Stars, die hier gastierten, war Hermine Medelsky vom Deutschen Theater in Prag. Ihr fiel Paul Hörbigers überragendes Talent auf, worauf sie ihn ihrem Direktor Leopold Kramer empfahl, der ihn sofort in die Metropole an der Moldau engagierte.

Sein Bruder Attila trat das Molkereistudium an der Hochschule für Bodenkultur nie wirklich an, »weil unser Vater bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs als braver Patriot sein ganzes Vermögen in Kriegsanleihen gezeichnet hatte«, erklärte er später. »Jetzt war alles weg und fürs Studium kein Geld mehr da.«

Attila war mit den Eltern mehrmals nach Reichenberg gefahren, um Paul auf der Bühne zu bewundern. »Bei ihm habe ich gesehen, wie schnell man beim Theater Geld verdienen kann. Und so wurde auch ich Schauspieler.« Das war die einzige Aussage, mit der einer der bedeutendsten Bühnenkünstler des 20. Jahrhunderts erklärt hat, warum er Schauspieler geworden war. Etwas anderes hat er dazu nie bemerkt, weder war je von »innerer Berufung« noch von »unbezwingbarem Spieldrang« die Rede. Attila Hörbiger war derlei Pathos fremd, für ihn bestand der Reiz darin, »schnell Geld zu verdienen«.

Tatsächlich gab es vorerst nichts, das ihn prädestiniert hätte, Schauspieler zu werden. »Er ging zum Theater«, schrieb Hans Weigel einmal, »wie andere ins Theater gehen und wie man weder zum noch ins Theater gehen sollte: zufällig, unüberlegt, ›nur so‹.«

Attilas Vater machte sich freilich Sorgen, nun schon den zweiten Sohn als Schauspieler in eine mehr als ungewisse Zukunft schlittern zu sehen. Ingenieur Hanns Hörbiger hatte vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs – und damit wenigstens noch vor dem Verlust seines Vermögens – eine Villa in Wien-Mauer erworben, in deren Nachbarschaft Eduard Sekler, ein am Theater in der Josefstadt engagierter Schauspieler, wohnte. Und er bat ihn nun, sich »den Buben einmal anzuschauen«. Attila Hörbigers erste Begegnung mit einem Theaterprofi fand an einem heißen Sommertag des Jahres 1919 im Schafbergbad statt, in das Sekler ihn hatte kommen lassen. Eduard Sekler erinnerte sich viele Jahre später an einen braungebrannten jungen Mann, der dem Bassin entstieg und sich ihm mit triefend nassem Haar gegenüberstellte. Hörbiger gab an, dass er den ganzen Aufwand, sprechen zu lernen, für unnötig hielt, da er »eh reden« konnte, ließ sich aber schließlich dazu überreden, mit Sekler das Gedicht Der Kunstreiter einzustudieren.

Mit diesem sprach er einem Agenten vor, der ihm prompt ein Engagement als »Edelkomparse« in Czernowitz verschaffte. Wie bei seinem großen Bruder, sollte in den Anfängen auch bei Attila die Liebe eine bestimmende Rolle spielen. Denn das Verlockende an Czernowitz war eine attraktive Soubrette namens Bertha Weingartshofer. Da er durch Paul erfahren hatte, dass es schick war, sich einen Künstlernamen zuzulegen, entschied er sich, wohl um auch seine Verbundenheit mit der Soubrette Weingartshofer zu demonstrieren, für Felix Weingart.

Der Traum vom schnellen Geld und einer Karriere in der ehemals kaiserlich-königlichen, jetzt zu Rumänien gehörenden Stadt in der Bukowina sollte nicht in Erfüllung gehen. »Eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung, der Saal war bereits zur Hälfte voll, und wir waren geschminkt und kostümiert«, erzählte Attila Hörbiger, »erschien der rumänische Stadtkommandant mit zwei Polizisten. Er salutierte und sagte zu unserem Direktor Paul Gutmann: ›Bitte um Ihre amtliche Spielerlaubnis. Sie haben doch eine Konzession?‹ «

Der Direktor hatte keine, worauf die Truppe Czernowitz innerhalb einer Stunde verlassen musste.

Der Wiener Theaterverein erbarmte sich der nun beschäftigungslosen Schauspieler und vermittelte sie an verschiedene österreichische Bühnen, wobei man Attila samt seiner Bertha ans Stadttheater von Wiener Neustadt schickte. »Der dortige Prinzipal«, erinnerte sich Hörbiger, »hatte wohl übersehen, dass ich in Czernowitz lediglich als besserer Statist mit einer Elevengage engagiert war. Aber vielleicht hatte ihm auch meine Garderobe imponiert – die Schauspieler mussten damals ihre Bühnenkleidung selbst mitbringen und ich hatte aus besseren Tagen noch Frack, Smoking, einen Anzug und schwarze Schuhe. Jedenfalls gab er mir ein Engagement als Liebhaber.«

Attila Hörbigers Debüt fand am 9. Oktober 1919 in der Operette Der fidele Geiger von Edmund Eysler statt. In der kleinen Rolle eines Musikers sah man laut Theaterzettel: Felix Weingart.

Die erste Premiere eines großen Künstlerlebens. »An Schlaf war nicht zu denken. Ich feierte bis früh um fünf, dann wanderte ich durch die leeren Gassen zum Redaktionsgebäude der Wiener Neustädter Nachrichten und ließ mir vom Nachtredakteur die noch druckfrischen Bogen der Morgenausgabe geben. Fiebernd überflog ich die Kritik und fand den Satz: ›Herr Weingart wirkte sympathisch.‹

›Wie ist das gemeint?‹, fragte ich den Redakteur einigermaßen misstrauisch.

›Na, so wie’s geschrieben steht, Sie sind ja auch wirklich ein netter Bursch.‹

Das war nun nicht jene Anerkennung, die sich ein junger Himmelstürmer erhofft hatte, aber es war immerhin etwas. Leider hatte ich nur noch dreimal Gelegenheit, sympathisch zu wirken. Nach der dritten Aufführung ließ mich Direktor Paul Sundt zu sich beordern. ›Herr Weingart‹, sagte er, ›Verzeihung, Herr Hörbiger, ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, dass Sie noch nie auf einer Bühne gestanden haben. Frei heraus: Sie sind ein blutiger Laie. Wie mir berichtet wird, sind Sie neulich ohne Text zu einer Stückprobe gekommen, weil Sie gar nicht wussten, was eine Stückprobe ist. Stimmt’s?‹