Die Macht des Menschen - Günter Hiller - E-Book

Die Macht des Menschen E-Book

Günter Hiller

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Beschreibung

Wenn man sich heute mit Manipulation beschäftigt, kommt man schnell zu dem Schluss, dass man nut evolutionäre Prozesse und Verhaltensweisen manipulieren kann. Gäbe es eine klare und eindeutige Zuordnung von Ursache und Wirkung, wären Änderungen jedweder Art ausgeschlossen und das System wäre perfekt. Perfektion und Evolution schließen sich aber gegenseitig aus. Die Frage, ob ein Prozess evolutionär oder fundamental ist, lässt sich somit dadurch beantworten, ob der Prozess manipulierbar ist oder nicht. Wir kennen eine kulturelle und biologische Evolution und wissen auch, dass Verhalten und Genetik manipulierbar sind. Wenn man wissen möchte, ob physikalische Gesetze fundamental oder evolutionär sind, muss man folglich nur herausfinden, ob und wie physikalische Prozesse manipulierbar sind. Das Ergebnis mag überraschend sein, eröffnet aber einen ganz neuen Blick auf unseren Kosmos und die Kosmologie.

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Vorwort zur 4. Auflage

Zumindest seit Darwin wissen wir, dass wir Menschen Geschöpfe der Evolution sind. Es liegt in der Natur der Evolution, dass sich alles weiterentwickelt, auch unsere eigenen Vorstellungen. Ein wesentliches Merkmal der Evolution ist das Nacheinander, dass sich alte Vorstellungen weiterentwickeln und neue Ideen und Prozesse emergent entstehen.

Jeffrey Goldstein hat Emergenz ursprünglich als das Hervortreten von neuartigen und kohärenten Strukturen, Mustern und Eigenschaften während des Prozesses der Selbstorganisation komplexer Systeme beschrieben. Emergenz und Evolution erschaffen eine historische Zeit, erzeugen eine Geschichte, eine irreversible Zeit.

Strukturen, Muster und Eigenschaften können auch verloren gehen, können gewissermaßen recycelt werden, aber was bleibt übrig, wenn Strukturen, Muster und Eigenschaften vernichtet werden? Verschwinden auch die in ihnen enthaltenen Informationen und die von ihnen erzeugte historische Zeit? Mit dieser Frage habe ich mich in meinem Buch Die recycelte Zeit beschäftigt.

Eine Antwort beeinflusst naturgemäß die anthroposophischen Fragen: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wenn Informationen recycelt werden, können auch Baupläne verschwinden. In der Biologie ist es normal, dass mit einer Art auch ihr Bauplan ausstirbt, vielleicht nicht zeitgleich, aber irgendwann geht selbst die Erinnerung an eine Art verloren.

Einen ersten Hinweis auf Emergenz findet man bereits bei Aristoteles und seiner Aussage, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Rein mathematisch sollte das Ganze die Summe seiner Teile sein, nicht mehr und nicht weniger. Wie lässt sich dann die Aussage von Aristoteles verstehen? Eine denkbare Erklärung können Symbiosen in der biologischen Evolution bieten, wie ich es in meinem Buch Symbiotic Cosmos ausgeführt habe.

Eine Form von Symbiose, der Mutualismus, lässt sich umgangssprachlich durchaus als eine Win-Win-Beziehung verstehen. Für zwei unterschiedliche, komplementäre Entitäten ist die Symbiose vorteilhaft, für jede auf ihr eigene Art und Weise und diese Symbiose generiert somit auch ein mehr, wie von Aristoteles angedeutet.

Ursprünglich bezog sich Aristoteles auf Buchstaben, Silben und Worte und Worte lassen sich durchaus auch als Symbiosen von Silben oder Buchstaben verstehen. Der Begriff Symbiose sollte folglich nicht auf biologische Prozesse beschränkt sein, man kann ihm eine viel allgemeinere Bedeutung zuweisen.

Erfolgreiche Symbiosen widersprechen in jedem Fall einem Erhaltungstheorem oder Erhaltungssatz, wie sie gerne in der Physik Anwendung finden und es stellt sich natürlich die Frage, in wie weit Erhaltungssätze angewendet werden können und dürfen. Ein ganz besonderes Augenmerk richtet sich dabei auf den Begriff der Energie.

Ich habe schon mehrfach angedeutet, dass Energie keine messbare physikalische Größe ist. Energie ist ein reiner Rechenwert und Energieerhaltung ist folglich eine Rechenvorschrift und deren Anwendung ist an Bedingungen genüpft. Eine Rechenvorschrift ist kein Naturgesetz, sie ist ein Hilfsmittel, das an ganz bestimmte Vorgaben gebunden ist.

Eine Rechenvorschrift gilt immer nur für ein bekanntes und wohl definiertes System, das ist eine Grundvoraussetzung. Man kann folglich nicht aus einer Ableitung, die diese Rechenvorschrift enthält, schlussfolgern, dass das System wohl definiert ist! Das ist bereits in der Ableitung enthalten und ist folglich ein Zirkelschluss oder catch-22.

Genau auf so einem Zirkelschluss beruht aber die Vorstellung eines (räumlich) expandierenden Universums. Man verwendet die Rechenvorschrift Energieerhaltung als Naturgesetz für das gesamte (uns unbekannte) Universum und schließt zusammen mit einer gemessenen Rotverschiebung nun auf ein wohl definiertes expandierendes Universum.

Erhaltung und Symbiose schließen sich gegenseitig aus, so wie Perfektion und Evolution. Daraus lässt sich schließen, dass eine Analogie oder Ähnlichkeit zwischen Erhaltung und Perfektion einerseits und Symbiose und Evolution andererseits besteht. Begriffe, die sich wechselseitig ausschließen, werden als komplementär bezeichnet und es ist genau diese Komplementarität auf allen Ebenen, die unsere Welt auszeichnet.

Wenn Komplementarität auf allen Ebenen vorhanden ist, dann sind vielleicht Symbiosen der Versuch, diese Komplementaritäten zu vereinen oder zu verbinden. Ich versuche zu zeigen, dass unser Kosmos selbst und alles, was ihn auszeichnet, was wir beobachten können, komplementäre Züge hat und dann sollten auch Symbiosen auf allen Ebenen nachweisbar sein.

Diese Zielsetzung habe ich in dem Buch Symbiotic Cosmos verfolgt und werde versuchen, diese für die Macht des Menschen zu erschließen. Symbiosen müssen beide Komplementaritäten berücksichtigen und Wettbewerb zeigt den Weg, um die jeweils vorteilhaften Verteilungen zu ermitteln. Evolutionärer Wettbewerb darf nicht als Ermittlung eines Siegers betrachtet werden, sondern als Abschätzung von Vorteilen (appraisal of advantages).

Evolution setzt nicht alles auf eine Karte, sondern folgt Wahrscheinlichkeiten und lässt alle Türen offen, wenn sich der mainstream auf Grund des hohen Verbrauchs und dem daraus resultierendem Mangel an verfügbaren Ressourcen selbst benachteiligt. Genau diese Selbstregulierung erkannte schon vor mehr als 500 Jahren der Schweizer Arzt und Naturphilosoph Theophrastus Bombast von Hohenheim, genannt Paracelsus: Die Dosis ist das Gift.

Diese einfache Weisheit wird sofort verständlich, wenn man sich intensiv mit Evolution beschäftigt. Wenn man Symbiosen oder Kooperationen als wichtigen Bestandteil der Evolution, eines evolutionären und emergenten Kosmos erkennt, dann versteht man auch das mehr des Aristoteles, dass unseren Kosmos wachsen lässt und für die Ordnung im Kosmos verantwortlich zeichnet, auch wenn dieses mehr so klein ist, dass es nur auf einer kosmischen Skala erkennbar wird.

Günter Hiller, im März 2020

Inhalt

Einleitung

Das Prinzip der Evolution

Komplementarität

Evolution und Manipulation

Schizophrenie

Die Ohnmacht des Menschen

Physik und Erkenntnis

Geophysik und Kosmologie

Der Irrtum der Vernunft

Ein neues Denken

Mein persönlicher Abschluss

Bücherliste

Dank

Niemand irrt für sich allein.

Er verbreitet seinen Unsinn auch in seiner Umgebung.

Seneca d.J.

1. Einleitung

In meinem vorangegangenen Buch Die recycelte Zeit habe ich bereits auf die Möglichkeit verschiedener Evolutionsformen hingewiesen. Eine evolutionäre Betrachtungsweise verändert das Bild unserer Welt radikal und in dem letzten Kapitel Nachlese habe ich bereits beschrieben, welche Möglichkeiten diese unterschiedlichen Evolutionsgeschwindigkeiten bieten könnten. Aus diesem Grund ist diese Nachlese eine willkommene Einleitung für dieses Buch und wird hier noch einmal wiederholt.

Über Jahrhunderte hat Wissenschaft den Mythos der Exaktheit erworben und gepflegt. Schon der geflügelte Satz ‚das ist wissenschaftlich erwiesen‘ verweist auf eine Eindeutigkeit, eine Bestimmtheit jenseits jeder Spekulation. Genährt wurde dieser Mythos zudem durch einen monotheistischen Glauben, der die eine Wahrheit propagiert und jeden Zweifel an dieser Wahrheit verdammt.

Aus diesem Verständnis heraus entwickelten sich Wissenschaften, allen voran die Physik. Um dieser Exaktheit, dieser Bestimmtheit zu genügen, wurde eine präzise Form der Beschreibung entwickelt, die Mathematik. Aus dem Zusammenspiel von exakten physikalischen Gesetzen und angewandter Mathematik entwickelte sich die theoretische Physik. Modelle der theoretischen Physik basieren auf zwei unterschiedlichen Annahmen, Voraussetzungen oder Standbeinen. Das eine ist die Hoffnung, dass das Ursache-Wirkung-Prinzip eindeutig ist (1), das zweite ist die Verwendung der Mathematik (2).

(1) Die Eindeutigkeit des Ursache-Wirkung-Prinzip sollte nicht nur in der typischen Richtung von der Ursache zur Wirkung gegeben sein, sondern auch umgekehrt. Nur wenn auch eine eindeutige Zuordnung von einer Wirkung zu ihrer Ursache gegeben ist, ist auch die Vergangenheit eindeutig. Dass diese Annahme nicht trivial ist, zeigt schon das Beispiel der nassen Straße, die nicht ausschließlich auf Regen zurückführbar ist. Ausnahmen bestätigen die Regel und es sind genau diese Ausnahmen, die unser Bild der Vergangenheit verzerren.

Wenn die Umkehrung des Ursache-Wirkung-Prinzips nicht eindeutig ist, kann auch die Vergangenheit nicht eindeutig sein. Man kann zwar davon ausgehen, dass es wohl nur eine Vergangenheit gegeben hat, aber man kann nicht sagen, welche. Das heißt aber nichts anderes, als dass die Vergangenheit unbestimmt ist und diese Unbestimmtheit zunimmt, je weiter wir in die Vergangenheit blicken.

(2) Das zweite Standbein ist die Verwendung der Mathematik mit der Annahme, dass die präzise Sprache der Mathematik keine Fehlinterpretationen zulässt. Aber genau da liegt ein Problem. Wegen ihrer Präzision sollte Mathematik keine Unvollständigkeit zulassen. Unvollständig ist nur das Unendlich (∞), das deshalb durch einen Grenzwert gegen Unendlich (lim ∞) ersetzt wird.

Wenn unendliche Reihen oder Folgen vorliegen, wird zwischen konvergenten und divergenten Abfolgen unterschieden. Konvergente Abfolgen können berücksichtigt werden, da sie einem eindeutigen Grenzwert zustreben, divergente Abfolgen nicht. Divergente Folgen können mathematisch nicht behandelt werden, ihr Ergebnis ist unvollständig und dafür gibt es keine Handhabe. Für die willkürliche Aussage irgend etwas ist Mathematik nicht von Menschen entwickelt worden, sie widerspricht im Grunde genommen den Maximen der Mathematik.

Mathematik lässt sich als eine Sammlung von Rechenvorschriften betrachten, ganz allgemeinen Rechenvorschriften, zu denen z.B. Funktionen, Tensoren, Operatoren oder Algorithmen zu zählen sind. Prinzipiell lässt sich auch ein Zufallsgenerator, der zufällig unter bekannten Objekten oder Vorschriften auswählt, dazu zählen, nicht aber Emergenz, die per Definition erst als etwas völlig Neues entstehen kann und folglich nicht vorhersagbar ist. Aufgabe einer Rechenvorschrift ist die Bereitstellung einer neuen überprüfbaren Aussage an Hand bereits vorhandener Aussagen. Für eine zufällige und divergente Abfolge bietet die Mathematik keinerlei Vorteile gegenüber dem normalen Sprachgebrauch. Ein mathematisches Fragezeichen (?) unterscheidet sich nicht von einem sprachlichen Fragezeichen (?).

Aber genau um so eine divergente zufällige Abfolge mit unbestimmtem Ausgang handelt es sich bei der Evolution. Mutationen und Emergenz vergrößern die Vielfalt mit unbestimmten, zufälligen, nicht vorhersagbaren Ereignissen, Entitäten oder Prozessen, sie sind geradezu ein Paradebeispiel für Divergenz. Fundamentale mathematische Modelle können folglich Evolution ohne grundlegende Änderungen am Charakter der Mathematik nicht beschreiben. Um Evolution zu verstehen, muss man Unvollständigkeit und Unendlich zulassen, aber dann wird Mathematik genauso unpräzise wie unsere Alltagssprache.

Ewig und unendlich sind zwei Begriffe, die sich unserem Vorstellungsvermögen entziehen, nicht jedoch Begriffe wie Unwissen, Zufall, Unsicherheit, Horizont oder Wahrnehmung, die man zur Erklärung von ewig und unendlich heranziehen kann. Beide Begriffe stehen synonym für jenseits unseres Wahrnehmungshorizonts und bezeichnen Etwas, über das wir nichts wissen können.

Unendlich als Synonym für jenseits der Wahrnehmung, wird vielleicht etwas verständlicher, wenn man den Kehrwert betrachtet. Nehmen wir irgendeinen sehr großen Wert X (Länge, Zeitraum...), den wir so lange vergrössern, bis wir seinen Kehrwert 1/X nicht mehr auflösen können, dann ist es egal, ob man noch einen beliebigen Wert n hinzufügt, denn dann ist auch 1/(X+n) erst recht nicht auflösbar. Mathematisch ist unendlich genau so definiert: Unendlich bleibt unendlich, egal ob etwas Endliches hinzufügt oder abzogen wird. Derart wird unendlich auf ein begrenztes Auflösungsvermögen zurückgeführt.

Wir Menschen beobachten derzeit unser Universum mit elektromagnetischen Methoden, egal ob es sich dabei um Röntgenstrahlung, Licht oder Radiowellen handelt. In allen Fällen sind Zeit und Entfernung (Raum) über die Lichtgeschwindigkeit, die Ausbreitungsgeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen im Vakuum miteinander gekoppelt. Unser Horizont ist vorgegeben durch das Auflösungsvermögen, die Granularität (Photonen) elektromagnetischer Wellen.

Die Granularität der Photonen ist viel zu grob, um damit die kleinste Struktur der Gravitation, die Gravis, auflösen zu können und genau diese Gravitation ist anscheinend verantwortlich für Zeit und Raum. (Gravis ist ein Kunstwort, um nicht mit dem von Physikern verwendeten Begriff Graviton zu kollidieren). Ein Universum ohne Gravitation ist zwar denkbar, aber nicht wahrnehmbar, da es ein zeit- und raumloses Kontinuum sein müsste. Alles, was sich jenseits unserer Wahrnehmungshorizonte (Zeit, Raum) befindet, lässt sich am besten mit unvollständig charakterisieren, es muss es geben, aber wir können keinerlei Aussagen darüber machen.

Vollständige, wohl definierte Systeme haben einen Anfang, einen endlichen Inhalt und lassen sich eindeutig mathematisch beschreiben. Unser Universum als vollständiges System zu denken ist eine unbeweisbare Annahme und eine vermutlich unzulässige Beschränkung. Wir Menschen sind ein Teil des Ganzen und es ist uns daher prinzipiell versagt, dieses Ganze zu erkennen, Wenn wir das Ganze der Einfachheit halber als unser Universum bezeichnen, dann ist es fahrlässig, dieses als vollständiges System einzuordnen, denn wir können es nur unvollständig wahrnehmen und ernsthafte Wissenschaft darf nur unsere Beobachtungen beschreiben und analysieren.

Wenn uns unser Universum zumindest unvollständig erscheint und wir davon ausgehen können, dass alles im Universum (außer vielleicht das Universum selbst) eine endliche Lebensdauer hat, dann ist das von mir formulierte Allgemeine Evolutionsprinzip mehr als nur ein akzeptabler Ansatz, auf dem alles Weitere aufbauen kann. Da dieses allgemeine Evolutionsprinzip auch die Entstehung von Ordnung, wie wir sie im Kosmos beobachten, erklären kann, steht einer größeren Akzeptanz nichts im Wege.

Meine Bücher Die recycelte Zeit und Symbiotic Cosmos zeigen Wege auf, wie sich unser Kosmos evolutionär und emergent entwickelt haben könnte. In einem komplementären System gibt es kein richtig oder falsch, sondern nur mehr oder weniger vorteilhafte Abfolgen. Dieses allgemeine Prinzip mit den von der Physik erforschten Ergebnissen in Verbindung zu bringen, ist mehr als ein Einzelner vermögen kann, setzt aber voraus, dass die Physik neu gedacht und geschrieben werden muss. Physik ist ein Teil unserer Kultur und somit auch ein unvollständiges System, das sich entwickelt und entwickeln muss. Dogmatische Sackgassen, wie beispielsweise das Urknallmodell, haben schon religiöse Züge und sollten möglichst gemieden werden.

Wenn eine kosmische Evolution extrem langsam ist, wird sie sich bei erdnahen Experimenten kaum bemerkbar machen. Wenn sich unterschiedliche Evolutionsformen (kosmische, physikalische, biologische, kulturelle) in ihren Geschwindigkeiten drastisch unterscheiden, jeweils im Millionenbereich, dann wird schnell erkennbar, dass sich eine Mathematik (als Teil der kulturellen Evolution) dramatisch schneller entwickeln kann als der Kosmos selbst und es stellt sich dann die berechtigte Frage, ob eventuell mathematische Modelle bereits die Entwicklung des Kosmos überholt haben?

Vermutlich hat die kulturelle Evolution in Form von Mathematik die physikalische Evolution, die Physik überholt, als sich die theoretische Physik entwickelte. Bis dahin war die Mathematik eine Hilfswissenschaft, die dazu diente, beobachtete physikalische Gesetzmäßigkeiten klar und deutlich zu beschreiben. Theoretische Physik in Form von angewandter Mathematik sucht dagegen nach physikalischen Äquivalenten von mathematischen Modellen. Symmetrie ist ein Beispiel für ein elaboriertes mathematisches Modell mit eigenen mathematischen Vorschriften. Symmetrie lässt sich aber tatsächlich in der Natur gar nicht wiederfinden. Symmetrien sind wahrscheinlich die höchste Form der Perfektion und Perfektion und Evolution schließen sich bekanntermaßen aus.

Evolution versucht Ordnung ins Chaos zu bringen, theoretische Physiker versuchen, den umgekehrten Weg zu beschreiben, die Erosion, die Zunahme der Entropie. Erosion ist aber ein Teil der Evolution (Recycling) und nicht umgekehrt. Erosion kann nur eine vorhandene Ordnung erodieren. Wenn man allerdings nicht erkennt oder erkennen kann, dass Evolution Ordnung erzeugt, dann bleibt nur die Möglichkeit Ordnung als Kondensation anzunehmen (Urknall) oder diese Ordnung einem Gott zuzuweisen, der das Unerklärliche repräsentiert.

Wodurch unterscheiden sich Theorien von Evolution und Entropie? Im Wesentlichen durch die Blickrichtung. Theoretische Physiker kennen die Gegenwart und versuchen die Vergangenheit zu rekonstruieren (Deduktion), Evolution kennt auch die Gegenwart, muss aber eine Zukunft gestalten (Induktion) – ohne Plan oder Vernunft, nur mit Versuch und Vorteil! Dabei entstehen immer mehr Vielfalt und Divergenz, völlig neue Strukturen, Emergenz, und für diese zukünftigen neuen Strukturen können erst nach deren Entstehung Namen und Definitionen geprägt werden. Da ist jede Sprache, auch die Mathematik hilflos. Auch die Mathematik kann nur beschreiben, was es bereits gibt! Für eine konvergente Evolution könnte man mathematische Modelle kreieren, aber den Gefallen der Konvergenz bleibt die Evolution schuldig. Auch Deduktion und Induktion sind komplementär und deshalb können deduktive Theorien niemals eine induktive Evolution erklären. Deduktion erklärt das Zusammenspiel der Vielfalt, Induktion die Entstehung von Vielfalt.

Immerhin hat bereits die biologische Evolution Gehirne hervorgebracht, die (zumindest vereinzelt) in der Lage sind, Evolution zu verstehen. Es ist spannend zu beobachten und zu analysieren, was passiert, wenn eine neue, schnellere Evolutionsform die ihr zugrunde liegende Evolutionsform überholt. Glücklicherweise haben schnellere Evolutionsformen einen stärkeren lokalen Charakter und sind somit auf kleinere Umfelder reduziert. Genauso spannend wie die Frage, in wie weit höhere Mathematik auf den Kosmos anwendbar ist, ist auch die Frage, wann unsere biologische Entwicklung (von Menschen) unserer kulturellen Entwicklung nicht mehr gewachsen ist und unsere kulturelle Entwicklung den biologischen Rahmen sprengt?

Ein Beispiel dafür könnte der Expressionismus in der Kunst sein, der etwa zur gleichen Zeit entstand wie die theoretische Physik. Bilder von Picasso oder Dali sollen gerade keine Abbildungen der Wirklichkeit sein, das kann die Fotografie inzwischen besser. Der künstlerischen Freiheit sind keine Grenzen mehr gesetzt. Das wurde sowohl von den Künstlern als auch von den Betrachtern verstanden. In der Weise hat sich wahrscheinlich auch die Mathematik zu einer Kunstwissenschaft, zu einer Kunst entwickelt, was scheinbar sowohl ihren Entwicklern als auch ihren Anwendern auf Grund der hohen Komplexität entgangen sein mag.

Hintergrund ist vermutlich der Wunsch, mathematische Modelle für den Zufall zu entwickeln. Dabei gehört der Zufall zu unseren täglichen Erfahrungen und mit einer gewissen Gelassenheit versuchen wir immer wieder, diesen Zufall zu unserem Vorteil zu nutzen, haben aber auch gelernt, mit Misserfolgen zurecht zu kommen. Wir verstehen den Zufall nicht, genauso wenig wie hochkomplexe mathematische Modelle, aber ich bin mir nicht sicher, ob aus diesem Grund beides als gleichwertig betrachtet werden darf. Natürlich lässt sich Emergenz in die Mathematik einpreisen, dann wird aber die Mathematik genauso willkürlich wie unsere Sprache. Dieser Willkür sollte die Mathematik aber gerade entgegenwirken!

Wenn unsere Wahrnehmung auf Quanten beruht, auf Quanten in Zeit und Raum, dann lässt das den Schluss zu, dass das nicht Wahrnehmbare ein Kontinuum sein muss, ein grenzenloses Kontinuum. Hätte dieses Kontinuum beobachtbare Grenzen, wäre es durch diese Grenzen quantifiziert und somit beobachtbar! Grenzenlose Zeit wird als ewig bezeichnet, grenzenloser Raum als unendlich. Ewig und unendlich sind zwar nicht wahrnehmbar, deshalb aber auch nicht auszuschließen. Das Wahrnehmbare und das nicht Wahrnehmbare sind komplementär, das eine lässt sich nicht durch das andere beschreiben, aber beide ergänzen sich und bilden zusammen das, was ich als Universum betrachte.

Wenn meine Vorstellung stimmt, dass schwarze Löcher eine Art Recyclinghöfe sind und sogenannte weiße Quellen beherbergen, dann ist eine experimentelle Überprüfung dieser These denkbar. Unter dieser Prämisse sollte der Ereignishorizont eines schwarzen Lochs nicht stetig zunehmen. Ob dafür allerdings menschliche Beobachtungszeiträume ausreichen, wage ich zu bezweifeln. Eine kosmische Zeitskala unterscheidet sich so gravierend von einer kulturellen Zeit, dass eine vernünftige und aussagekräftige Abbildung kaum möglich erscheint.

Unterschiedliche Evolutionsformen lassen sich am besten durch typische, ihnen eigene Komplementaritäten unterscheiden:

These – Antithese

kulturelle Evolution

männlich – weiblich

biologische Evolution

positiv – negativ (Ladung)

physikalische Evolution

Affinität – Trägheit

kosmische Evolution

Wie später ausgeführt, erhebt diese Einteilung keinen Anspruch auf Vollkommenheit, kann aber zu einem Verständnis unseres Universums helfend beitragen.

Der gravierende Unterschied der Evolutionsgeschwindigkeiten wirft natürlich verschiedene Fragen auf. Hat beispielsweise die kulturelle Evolution (Mathematik, theoretische Physik) bereits die kosmische Evolution überholt oder ist die kulturelle Evolution (Picasso, Dali, Kybernetik, AI, Genmanipulation) dabei, die biologische Evolution abzuhängen? Wenn wir anscheinend bereits die zukünftige biologische Evolution manipulieren können, wird es dann auch möglich sein, die zukünftige physikalische und kosmische Evolution zu manipulieren?

Da es in der Evolution maßgeblich um Vorteile geht, stellt sich somit die Frage, ob unsere Kultur Vorteile entdecken kann, die die Evolution möglicherweise übersehen hat? Dazu ist es förderlich, sich eine sehr kurze und prägnante Kulturgeschichte vor Augen zu führen. Diese Betrachtungsweise ist bewusst so stark vereinfacht oder verallgemeinert, dass sie naturgemäß zu Widerspruch bei denjenigen führt, die Vereinfachungen oder Verallgemeinerungen nicht als eine Blickrichtung einer Komplementarität sehen können.

Ähnlich wie beim Welle-Teilchen-Dualismus (des Lichts) in der Physik entsprechen in der Kultur Verallgemeinerungen dem Wellencharakter und Detailbetrachtungen dem Teilchencharakter. Beide sind komplementär, das eine lässt sich nicht durch das andere beschreiben, sind nicht gleichzeitig möglich, ergänzen sich aber zu einem Gesamtverständnis. Vereinfachungen oder Verallgemeinerungen sind also zwingend notwendig, aber immer mit dem klaren Verständnis, dass sie nur eine unvollkommene Blickrichtung berücksichtigen.