Gut genug - Günter Hiller - E-Book

Gut genug E-Book

Günter Hiller

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Beschreibung

Evolution und Perfektion schließen sich gegenseitig aus. Das ist eine Tatsache, aber kann man daraus ableiten, dass alles, was nicht perfekt ist, evolutionär ist? Wissenschaftliche Erkenntnisse weisen darauf hin, dass unsere Welt nicht perfekt ist. Es erscheint so, als ob eine Schöpfung weiterhin stattfindet. Kann man daraus jedoch schließen, dass die Schöpfung nicht stattgefunden hat? Wenn sich die Welt verändert und man Zeit als Maß der Veränderung betrachtet, was ist dann Zeit? Die Beantwortung dieser Frage ist allerdings Voraussetzung, wenn man über eine Genesis nachdenken möchte und mündet in die vergleichsweise einfache Frage, ob man Zeit überhaupt extrapolieren kann.

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Im Gedenken an meinen Freund

Dr. Peter Erlenwein

+ 23. 12. 2022

In stundenlangen Diskussionen haben wir nach Antworten gesucht, und immer neue Fragen gefunden. Diese Neugier hat uns beide beflügelt. Als wir beide erkannten, dass Leben keine endgültigen Antworten bereithalten kann, hast du das Leben verlassen. So bleibt es an mir, diese Gedanken in einem Essay zu erläutern.

Die Welt ist ein lebendiges Wesen

Paracelsus

Vorwort

Symbiosen bestimmen anscheinend unsere Welt, sowohl im Großen auf der Skala der Erde, des Kosmos und des Universums, aber auch im täglichen Umgang von uns Menschen miteinander. Nur sind wir uns oftmals dessen nicht bewusst.

Ohne ausgangsoffene Diskussionen mit Freunden und Bekannten ist eine Weiterentwicklung unserer Gedanken unmöglich. Starre Dogmen, wie sie der Monotheismus predigt, sind dabei kontraproduktiv

Dabei war das nicht immer so. Die alten Ägypter oder Griechen hatten durchaus vielfältige religiöse Vorstellungen und ihre Kulturen erscheinen uns heute moderner und aufgeschlossener als unser abendländisches Mittelalter. Offiziell war zwar das Mittelalter mit der Aufklärung abgeschlossen, aber 2000 Jahre Indoktrinierung lassen sich nicht so einfach wegwischen.

Die Herde Mensch lässt sich nicht so einfach umleiten, was einmal gelehrt und gelernt wurde, lässt sich nicht so ohne weiteres ausradieren. Es ist schwer, einen Menschen davon zu überzeugen, dass sein Handeln unvorteilhaft ist, wenn er mit diesem Handeln in der Vergangenheit erfolgreich war.

Das große Problem ist, dass Annahmen, Glauben und Überzeugungen nicht bewiesen werden können, sie können nur mehr oder weniger vorteilhaft sein. Von Paracelsus stammt der berühmte Satz: Die Dosis macht das Gift. Das trifft auch auf Annahmen, Glauben und Überzeugungen zu. Die andere Aussage von Paracelsus Die Welt ist ein lebendiges Wesen hat mich zu diesem Essay inspiriert.

Antigua, im Januar 2023

Günter Hiller

Inhalt

Einleitung

Träume

Komplementarität

Recycling

Der Irrtum des Monotheismus

Selbstreferentialität

Der Irrtum der Vernunft

Vernunft und Rationalität

Prinzipien der Evolution

Leben

Symbiose

Evolution

Intuition und Bewusstsein

Selbstlernende Systeme

Masse und Energie

Symbiose und Recycling

Epilog

Literatur

1. Einleitung

Wenn man zurückblickt und all die mehr oder weniger erfolglosen Versuche betrachtet, unsere Welt zu erklären, stellt sich natürlich die Frage, ob es nur an unserem Unvermögen liegt oder ob es sich um ein intrinsisches Problem unseres Verständnisses handelt. Jedes Mal, wenn Wissenschaftler eine Erklärung gefunden hatten, waren sie der Ansicht, dass diese Erklärung gut genug sei, solange, bis sie feststellten, dass diese Erklärung doch nicht gut genug ist.

Eigentlich kommt uns die Frage, warum wir die Welt nicht erklären können gar nicht in den Sinn. Wir sind viel zu beschäftigt mit den Fragen, wie wir die Welt erklären können, dass für die Gegenfrage kaum Platz ist. Aus evolutionärer Sicht ist das sogar absolut richtig und vorteilhaft. Wir müssen uns auf unsere Stärken konzentrieren und nicht ständig an unsere Unvollkommenheit denken.

Eine andere Betrachtungsweise von Unvollkommenheit ist Unvollständigkeit und in der langen Geschichte menschlicher Philosophien und Wissenschaften hat es tatsächlich bis zum Jahr 1931 gedauert, bis wir erkannt haben, dass für unser Vorstellungsvermögen vollständige Systeme tatsächlich unmöglich sind. Es ist kein Wunder, dass diese Erkenntnis von einem Mathematiker, Kurt Gödel, bewiesen wurde, der sich berufsmäßig viel mit Zahlen und Zahlensystemen beschäftigt. Einfach gesagt gibt es zu jeder großen Zahl n eine Zahl n+1, die größer ist.

Das ist für uns Menschen natürlich verwirrend, denn wir suchen irgendwie immer nach einem Anfang und einem Ende, so wie unser eigenes Leben mit der Geburt (Anfang) beginnt und mit dem Tod (Ende) endet. Diese Vorstellung ist praktisch in allen unseren Religionen verwurzelt und diese suchen nach Wegen, um diese Endlichkeit zu umgehen.

In der Sprache der Mathematik hat man dafür den Begriff unendlich (¥) geprägt, mit der Maßgabe, dass sich dieser nicht ändert, wenn man etwas addiert oder subtrahiert. Übersetzt heißt das, dass das, was man addiert oder subtrahiert, nicht mehr relevant oder signifikant ist. Man erkennt sofort, dass es sich hierbei um eine Vereinfachung handelt, indem man das ausblendet, was als nicht relevant eingestuft wird, ohne zu wissen, was das tatsächlich ist.

Das eröffnet aber eine ganz neue Interpretation des Begriffs unendlich. Die Unendlichkeit ist dann das, was für unser eigenes Leben nicht (mehr) signifikant ist, ohne genau definieren zu müssen, was signifikant oder unendlich ist. Es geht also nicht (mehr) um absolute Aussagen oder Begriffe, sondern allein um deren Relativität, die in so klarer Form erstmals von Albert Einstein formuliert wurde.

Historisch betrachtet, wurde immer zwischen einer belebten Natur (Biologie) und einer unbelebten Natur (Physik) unterschieden und eine Evolution daher auch nur einer belebten Natur zuerkannt. Das hat zur Folge, dass noch bis heute viele Menschen den Begriff Evolution nur für eine biologische Evolution verwenden. Aber selbst die biologische Evolution wurde erst erkennbar, als die Menschen Zeiträume überblicken konnten, die lang genug waren, um biologische Veränderungen wahrnehmen zu können.

Vorreiter dieser Erkenntnis waren Jean Baptiste de Lamarck und Alexander von Humboldt, die dann in die Evolutionstheorie von Charles Darwin Einzug hielt. Alle diese Wissenschaftler waren vornehmlich Biologen und Christen und damit der festen religiösen Überzeugung, dass Gott die Welt nach ehernen Gesetzen erschaffen hatte, nach unveränderlichen Naturgesetzen.

Es ist nur natürlich, dass sich Menschen nach einem ewigen Leben sehnen und derartigen Spekulationen stehen daher Tür und Tor offen, egal, ob es sich dabei um eine Wiedergeburt, den Himmel, das Paradies oder Nirwana handelt. Der Grundgedanke dabei ist durchaus berechtigt und faszinierend, denn letztlich kann doch all unser Mühen und Streben nicht umsonst gewesen sein. Unser Leben muss doch einen Sinn haben, auch wenn wir diesen nicht gleich verstehen können.

Möglicherweise liegt bereits in diesem letzten Satz des Rätsels Lösung. Welchen Sinn hätte denn unser Leben, wenn wir ihn sofort verstehen könnten? Ist nicht der Traum selbst viel wertvoller als die Erfüllung dieses Traums? Und wenn sich ein Traum erfüllt hat, suchen wir dann nicht gleich nach dem nächsten Traum? Was wäre, wenn die Welt selbst auf der Suche nach einem Traum ist oder gar selbst ein Traum ist? Aber was ist eigentlich ein Traum?

2. Träume

Träume sind eigentlich nichts anderes als Informationen, die wir nach eigenen Wunschvorstellungen zusammensetzen. Das setzt aber voraus, dass es zum einen unterschiedliche Informationen gibt und andererseits einen Ort, einen Informationsspeicher, an dem diese Verbindung ermöglicht wird.

Bei diesen Informationen handelt es sich natürlich nicht um einzelne Informationen, sondern um ganze Informationssequenzen, um Bildsequenzen, bei denen bereits jedes einzelne Bild aus Millionen von Pixeln besteht. Aber wir Menschen möchten gerne alles ganz genau wissen und erklären und wollen daher unbedingt den Begriff Information definieren.

An diesem Punkt scheiden sich die Geister, oder um es weniger dramatisch auszudrücken, meine persönliche Vorstellung vom main stream der Wissenschaften. Ich persönlich halte den Begriff der Information nicht für eindeutig definierbar, was ich im Verlauf dieses Essays erläutern werde. Die Wissenschaften haben sich mehr oder weniger darauf geeinigt, dass es so eine Art Urinformation gibt, das Bit, das entweder 0 oder 1 sein kann, also einen von zwei möglichen Werten annehmen kann. Typische Bit-Konfigurationen sind 0 und 1, Ja und Nein oder An und Aus und mit diesem Schema können wir die Welt ziemlich gut erklären, auch wenn uns die 0 und 1 nur als Symbole zur Verfügung stehen.

Aber auf diesem Prinzip von 0 und 1 basiert die Boolesche Algebra und letztlich die gesamte Informatik und unsere Vorstellung von der Welt. Wenn wir nur die 0 und die 1 sinnvoll erklären könnten, dann läge uns die ganze Welt wie ein offenes Buch zu Füßen. Nach diesem Prinzip ist letztlich auch die Physik aufgebaut und Ziel der Physik war es immer, diese 0 und 1 ausfindig zu machen. Bei den alten Griechen war es das Atom, das kleinste unteilbare Teilchen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Atom durch Quanten ersetzt und Quantenzahlen, die unterschiedliche Eigenschaften repräsentieren.

Auch wenn diese Quanten nicht mehr unteilbar sein mussten, so sollten sie doch zumindest eine Signifikanz besitzen. Genau auf dieser Signifikanz beruhen letztlich die Quantenphysik und alle Quantentheorien. Wenn man nicht alles erklären konnte, ließ sich das immer mit einem unzureichenden Auflösungsvermögen begründen, mit der Tatsache, dass wir nicht sehen können, was die Welt im Innersten zusammenhält (Goethe, Faust). Aber nach einem wissenschaftlichen Selbstverständnis war das nur noch eine Frage der Zeit, der Technologie und der menschlichen Genialität.

Einen ersten Dämpfer bekam diese Informationsvorstellung bereits durch den Phasenwechsel von 0 nach 1 oder von 1 nach 0. Dann waren nicht nur die Zustände (0,1) eine Information, sondern auch die jeweiligen Zustandsänderungen. Damit gibt es nicht nur Informationen des Seins (0,1), sondern auch Informationen des Werdens 0→1,1→0) und diese beiden Informationsformen sind zudem noch komplementär. Was heißt das? (Man sieht schon, dass jede Antwort neue Fragen nach sich zieht.)

Beide Informationsformen sind zwar existent, aber nicht gleichzeitig wahrnehmbar, sie schließen sich quasi gegenseitig aus. Als Merkmal des Seins lässt sich Raum betrachten, das Merkmal des Werdens ist Zeit. Raum und Zeit sind demnach komplementär und lassen sich nicht in einer einzigen Theorie vereinigen. Eine Theorie benötigt immer einen Bezug und da kann man sowohl den Raum als auch die Zeit wählen, aber nicht beide gleichzeitig! Aber Achtung: Zeit ist hier ein Maß der Veränderung und nicht das, was eine Uhr oder Stoppuhr anzeigt.

Das ist das Dilemma der Komplementarität. Komplementaritäten gehören zusammen, sie bedingen und ergänzen einander, sie sind aber nicht gleichzeitig darstellbar. Deshalb kann man auch nur von einem Komplementaritätsprinzip sprechen und nicht von einer Theorie.

Wir Menschen lieben aber Theorien, weil sie uns eine gewisse Sicherheit vorgaukeln und kaum etwas ist uns Menschen unangenehmer als Unsicherheit. Für eine scheinbare Sicherheit nehmen wir vieles in Kauf, sogar den Glauben an unbeweisbare Theorien, also Spekulationen, und je häufiger dieser Glaube bestätigt wird, umso fester wird unser Glaube daran. Das hat unsere evolutionäre Entwicklung bewirkt, die auf dem ständigen Abwägen von Vor- und Nachteilen beruht.

Um unsere Sinne und unsere Wahrnehmung zu entlasten, merken wir uns Szenarien und Abläufe, die sich häufig wiederholen. Was wir als Wissen ausgeben, ist tatsächlich nichts anderes als gesicherte Spekulationen, die sich empirisch immer und immer wieder belegen lassen. Aber diese Empirie ist nur so gut wie unsere Wahrnehmung und letztlich nur so gut wie unser Auflösungsvermögen.

An diesem Punkt kommt meine ganz persönliche Informationsvorstellung zum Tragen. Eine Information ist nur eine Information, wenn sie erstens einen Inhalt hat, zweitens empfangen wird und drittens mindestens eine Alternative existiert. Wenn alle Wände weiß wären, wäre die Aussage, die Wand ist weiß keine Information, sondern eine Tautologie. Damit die Aussage zu einer Information wird, muss es mindestens eine Alternative geben, aber nicht notwendig nur eine einzige. Wenn es nur eine einzige Alternative gibt, dann ist die Information tatsächlich auch eindeutig, aber nur dann.

An diesem Punkt ist die klassische Physik steckengeblieben, als sie sich Eindeutigkeit auf die Fahne geschrieben hat. Ich bin selbst Physiker und habe diese Auffassung gelernt, aber nie verinnerlicht. Die natürliche Folge dieser Eindeutigkeit sind eherne Naturgesetze und die Annahme, dass alle Regionen der Welt den gleichen Naturgesetzen unterworfen sind. Einstein bemerkte zwar sehr vorsichtig, dass man Kosmologie nur sinnvoll betreiben könne, wenn man davon ausgehen kann, dass die Naturgesetze immer und überall anwendbar seien. Diese Aussage kann man zwar als frommen Wunsch Einsteins zur Kenntnis nehmen, aber ob sich die Welt diesen Wunsch tatsächlich zu Herzen nimmt, sehe ich persönlich eher als fragwürdig.

Die klassische Physik basiert auf einer Eindeutigkeit von Ursache und Wirkung, dieselbe Ursache erzeugt immer die gleiche Wirkung und wenn man eine eindeutige Vergangenheit annimmt, muss auch eine Wirkung immer eine eindeutige Ursache haben. Aber uns ist allen das Beispiel der nassen Straße geläufig. Wenn es regnet ist die Straße nass, aber eine nasse Straße ist kein eindeutiger Hinweis auf Regen. In der Wissenschaft verwendet man daher häufig ein Ausschlussverfahren. Eine Schlussfolgerung wird erst dann als eindeutig akzeptiert, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschlossen werden können.

Ein kleines Zahlenbeispiel soll das untermauern: 7+7=14. Diese Gleichung erscheint auf Anhieb richtig und eindeutig, aber stimmt das tatsächlich? Wenn man die Gleichung von links nach rechts liest, 7+7Þ14, ist das auch korrekt, aber wenn man sie von rechts nach links liest, 14Þ7+7, dann ist die Gleichung zwar weiterhin richtig, aber nicht mehr eindeutig. 14 kann genauso gut auch 8+6 oder 9+5 sein, um nur zwei Beispiele zu erwähnen.

Schon bei der Betrachtung von Quantitäten verliert die Vergangenheit ihre Eindeutigkeit, aber wie wird es erst, wenn auch noch Qualitäten ins Spiel kommen, wenn die Wand nicht nur weiß oder nicht-weiß sein kann, sondern die ganze Farbpalette zur Auswahl steht? Die Boolesche Logik bringt zwar zum Ausdruck, dass man komplexe Zusammenhänge immer auf eine Reihe einfacherer Zusammenhänge zurückführen kann, aber ist diese Logik tatsächlich beliebig fortführbar, wenn selbst die Anzahl der Zusammenhänge gar nicht mehr überschaubar ist, wenn die Komplexität jeden Rahmen sprengt?

Ist es nicht im Kleinen genauso wie im Großen, nur dass man dann unendlich (¥) durch seinen Kehrwert (1/¥) substituieren muss? Inzwischen sind die meisten Wissenschaftler davon beseelt, dass sich die Verhältnisse im ganz Großen und ganz Kleinen ähneln. Unsere Fortschritte im Großen und im Kleinen entwickelten sich immer in einem ähnlichen Rahmen, um die gleiche Anzahl Zehnerpotenzen im Großen (10x) wie im Kleinen (10-x). Das sollte uns zum Staunen veranlassen, aber nicht dazu verleiten, daraus irgendwelche obskuren Symmetrien abzuleiten. Es handelt sich hierbei tatsächlich um eine Asymmetrie mit dem Bezugspunkt Mensch. Dazu noch später.

Physiker operieren gerne mit Symmetrien, weil sich damit die Anzahl der freien Parameter reduzieren lässt, aber alle empirischen Belege weisen darauf hin, dass Symmetrien eher einem vereinfachenden Wunschdenken entspringen, als der blanken Realität. Natürlich ist jede Symmetrie für unser Verstehen hilfreich, aber leider verschleiert sie auch die Wirklichkeit.

Auch das ist ein Traum. Wir vereinfachen die Welt solange, bis wir sie verstehen und vergessen darüber gerne, dass wir tatsächlich nur die Vereinfachung verstehen und nicht die Welt an sich. Wir hoffen, dass der Ausschnitt, den wir erkennen, repräsentativ ist, aber Jahrhunderte aktiver Wissenschaft haben immer wieder Erkenntnisse hervorgebracht, die das vorangegangene Denken völlig überrollten. Und doch war die Menschheit immer wieder im guten Glauben, den heiligen Gral der Erkenntnis gefunden zu haben. Träume!

Träume sind wohl ein Ausdruck der Hoffnung, der Hoffnung, dass wir den Anforderungen, die an uns gestellt sind, gerecht werden können. Aber was heißt es, den Anforderungen gerecht zu werden? Ich habe dafür in meinem Sprachgebrauch ein gut genug vorgesehen und diesen Begriff habe ich der Evolution entlehnt, so wie ich sie verstehe.

Im Englischen hat man den nicht von Darwin selbst geprägten Slogan survival of the fittest (Spencer) inzwischen auch durch das viel vernünftigere survival of the fit ersetzt und das beste Äquivalent für fit im Deutschen ist meiner Meinung nach dieses gut genug. Die wichtigste Erkenntnis, die ich bei meinen Überlegungen zur Evolution gewonnen habe, lässt sich in einem einzigen Satz zusammenfassen:

Evolution und Perfektion schließen sich gegenseitig aus!

Diese Erkenntnis, dieser eine Satz, beinhaltet so viele Facetten und hat meine Ansichten über Physik völlig auf den Kopf gestellt. Wenn unsere Welt evolutionär ist, kann es keine perfekte Physik geben. Diese Erkenntnis ist in mir aber rückwärts gereift: "Wenn es anscheinend keine perfekte Physik gibt, muss die Welt wohl evolutionär sein!"

Und plötzlich ist unser gesunder Menschenverstand genauso wichtig wie die Naturwissenschaften. Die Naturwissenschaften haben uns über die Jahrhunderte die physikalischen Gesetze und Regeln beschert und unser gesunder Menschenverstand hat uns gezeigt, dass es keine Regeln ohne Ausnahmen gibt. Regeln und Ausnahmen sind sogar komplementär, sie bedingen und ergänzen sich gegenseitig und treten nicht gleichzeitig in Erscheinung. Die gegenseitige Bedingtheit bedeutet aber auch, dass sich die Regeln überhaupt erst über die Ausnahmen definieren lassen. Regeln und Gesetze sind nichts anderes als Informationscluster, als Informationssammlungen, die ohne Alternativen völlig sinnlos wären. Eine Handlungsvorschrift macht nur Sinn, wenn auch alternative Handlungsweisen denkbar sind.

Eine Handlungsweise ist somit niemals richtig oder falsch, sondern nur mehr oder weniger vorteilhaft und diese Vorteile werden durch die jeweilige Handlung verändert (Selbstbezüglichkeit). Hier kommt wieder ganz deutlich das Prinzip der Relativität zum Tragen und dennoch wird unser Sprachgebrauch weiterhin von absoluten Begriffen wie richtig oder falsch geprägt. Dabei muss man sehr wohl zwischen Ereignissen und Handlungsweisen differenzieren, Ereignissen, die stattgefunden haben (Vergangenheit) und belegt werden können und Handlungsweisen oder Strategien, die die Zukunft betreffen. Ereignisse beruhen letztlich auf Wirkungen, auf wahrnehmbaren Wirkungen, deren Ursache oder Ursachen wir ergründen wollen. Einstein bemerkte einmal treffend: "Wenn wir wüssten, was wir tun, würden wir es nicht Forschung nennen."

Träume!

3. Komplementarität

Etwas, das uns schon prinzipiell daran hindert, zu wissen, was wir tun, ist die Komplementarität, die Komplementarität von Raum und Zeit oder von Sein und Werden. Eine wahrscheinliche Ursache dieser Komplementarität ist die Unvollständigkeit des Systems Universum, in dem wir uns befinden. Dabei ist es zunächst ziemlich belanglos, ob diese Unvollständigkeit systembedingt ist oder eine Folge unserer prinzipiell unvollständigen Wahrnehmung.

Vereinfacht ließe sich die Welt als eine Funktion von Raum und Zeit darstellen und das ist mathematisch betrachtet eine Gleichung mit zwei Unbekannten, von der wir wissen, dass sie nur lösbar wäre, wenn wir eine zweite, eine weitere allgemeingültige Beziehung zwischen Raum und Zeit zur Verfügung hätten. Genau solch eine allgemeingültige Beziehung können wir aber nicht ermitteln und wenn wir eine regionale Beziehung kreieren, die wir als Randbedingung deklarieren, dann ist diese Beziehung regional und zudem unscharf. Das entspricht dann der von Werner Heisenberg formulierten Unschärferelation, die letztlich nichts anderes ist als eine quantenphysikalische Formulierung des Komplementaritätsprinzips.

Das, was die Komplementarität für uns Menschen so rätselhaft erscheinen lässt, ist die fehlende Gleichzeitigkeit von zwei komplementären Betrachtungsweisen. Diese fehlende Gleichzeitigkeit ist jedoch keine Magie oder Laune der Natur, sondern einzig in der Endlichkeit einer Informationsgeschwindigkeit begründet.

Warum die Informationsgeschwindigkeit überhaupt endlich sein muss, wird schon bei einer ganz einfachen Überlegung deutlich. Wären Informationen unendlich schnell, wären alle Informationen gleichzeitig überall, sowohl hier wie dort als auch jetzt und später. Da aber hier und dort Merkmale des Raums sind und jetzt und später Merkmale der Zeit, wird sofort erkennbar, dass Raum und Zeit überhaupt erst bei einer endlichen Informationsgeschwindigkeit definiert sein können.

Die Tatsache, dass die Informationsgeschwindigkeit endlich sein muss, lässt sich ziemlich einfach beantworten. Dagegen ist die Frage, wie groß die Informationsgeschwindigkeit ist oder sein könnte und ob es überhaupt nur eine gibt oder gar beliebig viele, weitaus komplexer. Natürlich wäre es für Physiker sehr angenehm, wenn es nur eine einzige konstante Informationsgeschwindigkeit, wie beispielsweise die Lichtgeschwindigkeit, geben würde, aber an diesem Punkt halte ich persönlich Albert Einsteins Sichtweise schlicht für zu naiv.

Für Informationen gibt es zwei grundlegende Kriterien, zum einen müssen sie einen Inhalt haben, dürfen also nicht leer sein und zum anderen müssen sie empfangen werden. Diese zweite Bedingung ist extrem wichtig, denn eine Information kann nur eine Wirkung erzielen, kann nur etwas bewirken, wenn sie auch empfangen wird! Entscheidend für unser Verständnis ist der Umstand, dass wir keine Informationen wahrnehmen können, sondern tatsächlich nur die durch sie verursachten Wirkungen. Das wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass die gesamte Quantenphysik auf der von Max Planck postulierten Hilfsgröße h, dem später nach ihm benannten Wirkungsquantum basiert.

Infolge der daraus entstandenen Quantenhysterie wurde später praktisch alles quantifiziert und man spricht heute von Informationsquanten oder Energiequanten, obwohl diese empirisch niemals nachweisbar sind und sein werden. Träume! Natürlich müssen die Informationen oder die Energie irgendwie zum Empfänger kommen, aber die wahrnehmbare bzw. messbare Quantelung wird von der Struktur des Empfängers verursacht. Das heißt nicht, dass Informationen oder Energie nicht gequantelt sein können, es besagt nur, dass wir diese Quantelung nicht empirisch wahrnehmen können. Wir können und dürfen über derartige Quantelungen spekulieren, aber wir müssen uns bewusst sein, dass ein empirischer Nachweis unmöglich ist.

Wir haben bereits gesehen, dass Informationen einen Inhalt haben müssen und nach den uns bekannten Gesetzen der Mechanik sollte dieser Inhalt, oder besser dessen Trägheit, für die endliche Informationsgeschwindigkeit verantwortlich sein und es lässt sich vermuten, dass die Informationsgeschwindigkeit mit zunehmender Trägheit abnimmt. So ist uns der Begriff der Trägheit aus der Physik geläufig. Damit ist eine endliche Informationsgeschwindigkeit die direkte Folge der Forderung, dass Informationen einen Inhalt haben müssen. Daraus jedoch eine maximale Informationsgeschwindigkeit herzuleiten, kommt der Forderung nach einem kleinsten Inhalt gleich. Aber gibt es dafür irgendeinen empirischen Beleg?

Auch hier scheiden sich wieder die Geister. Licht ist eine elektromagnetische Strahlung und wenn man die Lichtgeschwindigkeit als größte mögliche Informationsgeschwindigkeit postuliert, dann schließt man damit aus, dass es kleinere Informationsquanten als Lichtquanten, sogenannte Photonen, geben kann. Aber dafür gibt es keine Hinweise. Natürlich ist unsere menschliche Wahrnehmung überwiegend elektromagnetisch und wie sollten wir ferne Galaxien wahrnehmen können, wenn diese nicht leuchten würden? Aber das ist kein Beleg. Im Gegenteil setzt diese Annahme voraus, dass Elektromagnetismus eine inhärente Eigenschaft des Universums ist und nicht irgendwie emergent entstehen könnte.

Diese Unterscheidung zwischen Inhärenz und Emergenz hat ganz ungewöhnliche Konsequenzen. So wie Emergenz praktisch aus dem Nichts heraus entstehen kann, kann sie aber auch vergehen, kann sie gewissermaßen auch wieder in ihre Ursubstanzen zerlegt werden, also recycelt werden. Diese Möglichkeit lässt sich allerdings für uns Menschen nur für sehr schnelllebige Prozesse verifizieren und nicht für die Prozesse, die unser eigenes Zeitfenster arg überschreiten. Allerdings ist es eindeutig eine Vereinfachung, wenn man Emergenz ausschließt oder nicht berücksichtigt.

In meinem Essay Die recycelte Zeit