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Die Suche nach der PEER GYNT: See-Abenteuer 4 von Horst Weymar Hübner Walter Renz kehrt nach einigen Jahren gezwungener Abwesenheit zurück nach Hause, um seine Frau Hanna nach Valparaiso zu holen. Zu Hause angekommen, erfährt er, dass man ihn für tot erklärt hat. Und auch seine Frau lebt nicht mehr. Aber das sind nicht die letzten bösen Überraschungen, die er erlebt ...
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Die Suche nach der PEER GYNT: See-Abenteuer 4
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Epilog
von Horst Weymar Hübner
Walter Renz kehrt nach einigen Jahren gezwungener Abwesenheit zurück nach Hause, um seine Frau Hanna nach Valparaiso zu holen. Zu Hause angekommen, erfährt er, dass man ihn für tot erklärt hat. Und auch seine Frau lebt nicht mehr.
Aber das sind nicht die letzten bösen Überraschungen, die er erlebt ...
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Alfred Bekker
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© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Natürlich war ich nach meiner Ankunft nicht sofort auf den Friedhof gegangen. Wer hätte gedacht, dass es da ein Grab von mir gab. Ich war bei Hanna gewesen. Die vertraute alte Wohnung, drei Jahre nicht gesehen; eine lange Zeit. Und es hatte sich in diesen drei Jahren - eine lächerlich kurze Zeitspanne - sehr viel verändert.
Die Platanen waren gefällt worden, und die Straße wirkte jetzt viel breiter und heller. Auch ein paar neue Häuser gab es. Hoch, wuchtig, reine Zweckbauten, die mir kalt und abstoßend vorkamen.
Aber sonst war noch alles beim alten. Der Vorgarten, der Flieder, der gerade jetzt blühte und duftete, die Tulpen, es waren sogar noch die von mir seinerzeit gesetzten Sorten. Kleiner waren sie geworden; nicht mehr ganz so füllig in der Blüte.
Und noch immer donnerte und dröhnte es von der Werft herüber. Die Straße war erfüllt von diesem Lärm. Aber so war es immer gewesen. Daran hatte sich offenbar nichts geändert.
Drei Jahre, und niemand in dem Haus, in dem ich fünf Jahre gewohnt hatte, kannte mich. Lauter neue Gesichter, neue Namen.
Auch mein eigener stand nicht mehr auf dem Schild vom ersten Stock.
Ich läutete trotzdem. Eine kleine dicke Frau machte mir auf. Ich hatte sie noch nie im Leben gesehen. Und ich fragte sie nach Hanna; nach Hanna, meiner Frau. Genau gesagt, ich fragte nach Hanna Renz.
Sie zuckte die Schultern, sie schüttelte den Kopf, sie hatte offensichtlich noch nie von Hanna Renz gehört.
Ich begriff nicht, dass es hier wenig half, dass ich Hanna beschrieb. Und dennoch tat ich es. Das Kopfschütteln blieb, das Schulterzucken auch. Dann musterte sie mich von unten bis oben, von oben bis unten, und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie in mir trotz der Tatsache, dass ich ihre Sprache redete, einen Wildfremden sah. Und dann knallte sie die Tür zu.
Ich ging zum Meldeamt, und dort erfuhr ich mehr. Da sagte man mir, dass ich tot sei. Hanna Renz war verzogen, zurück in die kleine Stadt im Hinterland, zurück zu ihren Eltern. Der Mann, sagte mir die Angestellte in der Meldestelle, ist doch verstorben.
Ich hielt die Luft an.
„ Es muss ein Irrtum sein. Dieser Mann ist doch nicht verstorben.“
Die Beamtin nickte ernsthaft. „Doch“, beteuerte sie. „Warten Sie mal!“ Sie blätterte in den Akten, und dann sagte sie fast freudig, weil sie gefunden hatte, was sie suchte: „Ja, hier hab’ ich es. Er war Seeoffizier. Er ist beim Schiffsunglück ums Leben gekommen. Vor anderthalb Jahren ist seine Leiche von Südamerika nach Deutschland überführt worden.“
„ Seine Leiche? Sagen Sie bloß noch, es gibt ein Grab von ihm.“ Es reizte mich zum Lachen. Ein Grab von mir, ich, der quietschfidel war.
Sie sah mich an, ganz ernst, fast traurig. „Zufällig kenn’ ich sein Grab“, erklärte sie mir. „Es ist gleich neben dem meines Vaters. Vater ist damals drei Tage später beerdigt worden. So lagen die ganzen Kränze alle noch auf dem frischen Grab von Walter Renz.“
„ Hören Sie: ich bin Walter Renz. Ich weiß ja nicht, wer da begraben worden ist, aber keinesfalls kann es Walter Renz gewesen sein, denn der lebt, und ich bin es!“
Sie sah mich an, als wäre ich ein Wahnsinniger. Ich konnte deutlich an ihrem Blick erkennen, dass sie mir keine Silbe glaubte.
Ich griff in die Tasche meiner abgeschabten Jacke und zog den Pass heraus, den mir der Konsul in Valparaiso ausgestellt hatte, klappte ihn auf und hielt ihn noch in der Hand. Mein Misstrauen Behörden gegenüber war groß.
„ Da sehen Sie. Walter Renz, und nicht nur der Name, sondern auch die Geburtsdaten, alles.“
Sie warf einen Blick auf den Pass, dann auf mich, dann wieder auf den Pass. Schließlich sah sie abermals auf, und ich merkte richtig, wie sich alles in ihr versteifte. Sie zweifelte nicht nur an der Richtigkeit meiner Behauptung, sie hielt mich ganz einfach für einen Schwindler. Es war nicht nötig, dass sie das erst sagte; ich sah es ihr an.
„ Ich weiß, was Sie denken“, meinte ich dazu. „Also gut, träumen Sie weiter davon, dass in Ihren Büchern ein Evangelium verkündet wird. Die sollten Sie in den Ofen werfen, so weit es mich betrifft. Nichts darin stimmt!“
„ Aber er ist ja begraben hier. Glauben Sie denn …?“
„ Hat jemand im Sarg nachgesehen? Seine Frau vielleicht?“
„ Das ist eine Voraussetzung, möchte ich annehmen. Soviel ich weiß, muss ein Toter immer in einem solchen Fall von den nächsten Angehörigen identifiziert werden.“
„ Im Normalfall vielleicht. Ich werde mich erkundigen, ob das jemand getan hat. Auf alle Fälle weiß ich ja jetzt, wo meine Frau ist. Sagen Sie mir nur noch, wo in drei Teufels Namen dieser angebliche Walter Renz begraben liegt. Wo ist dieses Grab?“
Es widerstrebte ihr fast, es mir zu sagen, aber dann murmelte sie: „Sankt Johann. Fragen Sie den Friedhofswärter. Er wird es Ihnen zeigen.“
Ich hatte noch die Türklinke in der Hand und blickte noch einmal zurück, da sah ich, wie sie zum Telefonhörer griff. Ich war sicher, dass sie jetzt ihren Vorgesetzten oder vielleicht gar die Polizei anrufen würde.
Dass es die Polizei war, merkte ich am Eingang des Friedhofs. Dort standen zwei Polizisten, und sie schienen auf mich gewartet zu haben. Ich weiß nicht, wieso sie mich sofort erkannten. Aber der eine, ein großer Dicker, trat auf mich zu, als ich den Friedhof betreten wollte, und sagte: „Augenblick mal, mein Freund!“
„ Ich kann mich nicht erinnern, mit Ihnen schon jemals Freundschaft geschlossen zu haben.“
Er ignorierte meinen Einwand und schnarrte mit kehliger Befehlsstimme: „Ihren Ausweis!“
Dazu ist die Polizei nun mal im Recht. Sie können ihn von mir verlangen, also zeigte ich ihm den Ausweis.
Er riss ihn mir aus den Fingern, blätterte in dem Pass herum und sagte: „Valparaiso ist weit. Wir können es nicht sofort nachprüfen. Aber er sieht echt aus, dieser Pass.“ Er grinste hinterhältig und fügte hinzu: „Tut mir leid. Den muss ich leider einziehen. Ich werde mich erkundigen. Dann können Sie ihn wieder abholen. So in drei, vier Tagen vielleicht.“
„ Ich brauche den Pass jetzt“, erwiderte ich. „Ich kann ihn nicht hergeben. Mein einziger Ausweis.“
„ Ich werde Ihnen eine Quittung ausstellen. Nicht hier allerdings. Auf der Wache.“
„ Ich geh’ jetzt nicht mit Ihnen auf die Wache. Ich will hier auf dem Friedhof ein Grab besuchen.“
„ Das wird keine Ewigkeit dauern“, bemerkte er und warf seinem schmächtigen Kollegen einen verständnisinnigen Blick zu. Dann sah er mich wieder an und knurrte: „Wir warten hier auf Sie.“
Sie hatten den Pass von mir, und das war die absolute Gewähr für sie, dass ich wieder zu ihnen zurückkäme.
Und dann ging ich zum Grab. Ein verrücktes, makabres Gefühl, vor dem eigenen Grab zu stehen, in dem irgendein Fremder lag. Ja liegen musste. Aber wer lag in diesem Grab?
Ich kehrte zurück zu den beiden Polizisten, die sich offensichtlich in der Zwischenzeit meinen Pass ausgiebig angesehen hatten. Wahrscheinlich hatten sie nichts Beanstandenswertes gefunden und betrachteten mich lauernd, ob ich nicht vielleicht selbst in irgendeiner Form einen Anlass böte, dass sie mehr mit mir anfangen konnten, als mich nur bis zur Wache mitzunehmen.
Ich musste erst einmal auf der Polizeiwache warten. Vielleicht gehörte es dazu, dass man auf Polizeiwachen grundsätzlich warten muss. Schließlich kam ich dran. Ein älterer Beamter blickte mich über den Rand seiner Brille hinweg an, und irgendwie kam er mir bekannt vor. Wenn er volles blondes Haar gehabt hätte... aber das hatte er nicht, da war gar nichts mehr an Haaren. Doch sonst das Gesicht...
Ich musste ihm wohl auch bekannt vorkommen. Er musterte mich sehr lange, blickte dann auf den Pass, den er in den Händen hielt, blätterte darin, sah mich wieder an und fragte plötzlich:
„ Wie war das damals mit den Zeugnissen?“
Da fiel es mir siedend heiß ein. Ich hätte jubeln können vor Begeisterung. Also war er doch der Kerl mit dem blonden Haar; der Polizist damals, als wir, zwei Freunde und ich, durch das Hoffenster in die Schule eingestiegen waren. Die Zeugnishefte hatten wir aus dem Lehrerzimmer holen wollen. Das war auch so ein aufregendes Abenteuer gewesen. Ein Dummejungenstreich, einer von vielen; und dass es nach dem Gesetz sogar eine kriminelle Handlung war, mussten wir uns anhören, als ein großer blonder Polizist uns beobachtet und dann erwischt hatte.
Ich erzählte ihm die Geschichte von damals und konnte mich eines Lächelns nicht erwehren. Mein Gott, was hatten wir Angst empfunden, als die Sache geplatzt war. Heute konnte ich darüber nur lachen. Aber er wusste es noch. Er hatte sich nach all diesen vielen Jahren daran erinnert. Mehr als zwanzig Jahre waren seitdem vergangen.
Er grinste, ließ meinen Pass achtlos auf den Schreibtisch fallen, lehnte sich in seinem Sessel zurück und sagte zu dem dicken Polizisten, der mich hereingeschleppt hatte: „Er muss es sein. Daran hätte sich ein Fremder jedenfalls nicht erinnert, und ich finde, er sieht sich auch noch ähnlich.“
„ Sie sind mir auch bekannt vorgekommen. Aber damals hatten Sie blonde Haare“, erklärte ich.
Es war der I-Punkt auf allem; als hätte er gerade noch darauf gewartet, sagte der einstmals Blonde und jetzige Glatzkopf: „Ich glaube, da brauchen wir nichts zu überprüfen. Aber zum Donnerwetter, wie ist denn das passiert? Wieso kann er tot sein? Wen hat man denn da begraben?“
„ Das ist eine lange Geschichte“, sagte ich. „Eine sehr lange Geschichte, aber ich würde jetzt ganz gern meinen Pass wiederhaben, damit ich zu meiner Frau fahren kann.“
Er wusste nicht, was mit Hanna war. Er hatte sich nur rein zufällig noch an diese alte Geschichte aus meiner Kindheit erinnert. Mehr war da nicht.
Also fuhr ich zu Hanna. Es war schon spät. Trotzdem wollte ich unbedingt los, bekam einen Zug, aber ich musste umsteigen. Kein Anschluss, auf einem zugigen kleinen Bahnhof herumsitzen bis zum frühen Morgen, dann kam der Anschlusszug. Ich fuhr in diese kleine Stadt, die mitten in der Marsch stand. Und da steht sie heute noch. Der Kirchturm, alte, schwere Kastanien und Buchen, dazwischen herausleuchtende rote Dächer. Die Zeit, wo sie ihre Häuser nur mit Reet deckten, schien endgültig vorbei zu sein. Ziegel decken ein Haus problemloser ab.
Vom Bahnhof war es ein gutes Stück bis ins Dorf, und hier schien die Zeit stehengeblieben zu sein. Viehkoppeln, beiderseits des Weges, die Schlaglöcher, ausgefahren der Weg, alles wie einst. Kinder jagten mit einem Handkarren an mir vorbei, so waren auch Hannas Brüder herumgetollt.
Mir fiel ein, dass Hannas jüngerer Bruder den Hof führte. Er würde es sicher noch jetzt tun. Was mochte Hanna bei ihm machen? Half sie ihm?
Mir fiel sehr viel ein in dieser kurzen Spanne bis zum Dorf, ich dachte daran, dass wir immer Kinder gewollt hatten, aber Hanna konnte keine bekommen. Ich dachte auch daran, dass ihr Bruder Max und ich nicht gerade die größten Freunde waren. Bei ihm war ein Seemann ein Herumtreiber, ein Zigeuner. Er hätte sich einen Schwager gewünscht mit einem Bauernhof, oder wenigstens einen, der auf einem Bauernhof bleiben würde.
Es war merkwürdig, ihn sah ich auch zuerst. Er kam gerade mit einem Pferd aus dem Tor heraus, aus diesem noch immer abgeblätterten, einstmals grünen Tor, das in den Hof führte. Es stand sperrangelweit offen, und er hielt inne mit seinem Pferd und sah mich an. Natürlich erkannte er mich sofort. Aber ich hatte das Gefühl, er sah mich nicht, sondern eine Vision, ein Phantom schlechthin, etwas, das es gar nicht gab, nicht geben durfte. Er griff sich an die Stirn, schüttelte den Kopf, als müsste er üble Gedanken loswerden. Dann rieb er sich die Augen. Aber als er sie wieder öffnete, war ich immer noch da.
Innerlich empfand ich eine diebische Freude, dass dieser stämmige Mann, der soviel auf Bodenständigkeit gab, bis ins Mark erschrocken zu sein schien.
„ Du kannst dich beruhigen, ich bin nicht tot, ich lebe. Es ist irgendein Irrtum passiert. Ich werde aufklären, was es wirklich war. Aber noch weiß ich nichts. Wie geht es Hanna? Sie hat keinen meiner Briefe beantwortet.“
Er hatte die Überraschung noch immer nicht überwunden. Im Gegenteil, mir schien, sein Erschrecken verstärkte sich noch.
„ Wo... wo kommst du her?“, krächzte er. Es schien ihn unheimliche Mühe zu kosten, das überhaupt zu fragen.
„ Du sollst nicht mit einer Frage antworten. Du sollst mir sagen, was mit Hanna ist.“ Plötzlich empfand ich Sorge um sie. Ich hatte das Gefühl, irgend etwas stimmte nicht. Er benahm sich so komisch.
„ Hanna lebt nicht mehr“, sagte er plötzlich.
„ Was sagst du?“, rief ich.
Er wiederholte es um eine Spur lauter. Aber ich hatte ja von Anfang an verstanden. Ich konnte es nur nicht fassen. Jetzt war ich der Überraschte.
„ Was ist mit Hanna los? Wieso ist sie tot? Wie konnte das passieren?“
Er verzog schmerzlich das Gesicht. „Lungenentzündung. Es ging ganz schnell. Der Doktor konnte auch nicht helfen. Er hat getan, was er konnte.“
Mir fiel dieser Doktor ein. Ein alter dicker Mann, dazu ein Säufer.
„ Alles getan! Als wenn Laurenzius je in seinem Leben alles getan hätte. Er konnte nur saufen!“
Max winkte ab. „Dr. Laurenzius ist schon lange tot. Der starb, kurz nachdem sie dich im ... also, nachdem der Sarg kam“, fuhr er schließlich fort, nachdem er gestoppt hatte. „Nein, wir haben einen jungen tüchtigen Arzt. Aber Wunder konnte er auch keine bewirken. Für Hanna war es zu spät. Es sollte wohl so sein. Sie hatte auch keine Hoffnung mehr. Du hast ihr gefehlt. Und jetzt bist du hier. Alle haben dich für tot gehalten. Wer liegt denn im Sarg? Wer ist in dem Grab?“
„ Was fragst du mich das? Ich möchte es selbst gerne wissen“, erwiderte ich. Und dann dachte ich wieder an Hanna. Sie war noch so jung gewesen. „Wann ist sie genau gestorben?“ fragte ich.
„ Es ist jetzt knapp ein Jahr her.“ Dann ist sie siebenundzwanzig gewesen, dachte ich. Ein so junger Mensch stirbt. Wie kann es nur möglich sein, dass eine so junge Frau stirbt, an Lungenentzündung, einfach so.
Ich Narr, natürlich sterben auch junge Menschen. Man kann es immer nur nicht fassen, wenn es um die eigenen nächsten Angehörigen geht.
„ Geh doch hinein, Walter. Geh hinein! Ich muss bloß das Pferd zum Schmied bringen. Ich komme gleich zurück. Leni ist drin.“
Ich schüttelte den Kopf. Was sollte ich drinnen? Ich wollte nur noch wissen, wo ihr Grab war.
Er sagte es mir, und dann ging ich zum Kirchhof.
Es war nicht schwer, das Grab zu finden. Sie hatten sie nicht in die Stadt gebracht und neben mir begraben, wo sie doch meinen mussten, dass ich dort lag. Sie hatten sie hier begraben, hier bei sich im Familiengrab; sie war noch immer eine der Ihren. Ich gehörte nicht dazu und würde auch nie dazugehören.
Als ich noch am Grab stand, kam Max noch einmal. Er hatte sich seine Schürze hochgebunden, nahm den Hut ab, als er sich neben mir aufstellte, und ich hörte ihn leise beten. Dann fragte er mit rauer Stimme: „Wo hast du nur gesteckt? Wie konnte das nur sein, dass sie dich ... Es macht mich ganz verrückt, ich meine, dass sie den Sarg mit einem Toten drin geschickt haben.“
„ Hat niemand nachgesehen, wer drin liegt?“, wollte ich wissen.
Er schüttelte den Kopf. „Sie haben gesagt, man könnte den Sarg nicht mehr aufmachen, das wäre niemandem zuzumuten. Die lange Reise von Südamerika, verstehst du nicht? Man hat es auch so gerochen, das war entsetzlich.“
Ich hatte begriffen. Nur so war es möglich gewesen, dass ein Fremder unter meinem Namen in die Erde kam. Aber wer mochte dieser Fremde sein?
„ Erzähl doch mal, was passiert ist und komm doch mit zu uns! Du kannst doch jetzt nicht einfach weglaufen. weißt du überhaupt, wohin?“