1,99 €
Dieser Mann ist ungezähmt wie das Meer vor der schottischen Küste, intensiv wie der Whisky, der in den Fässern der Destillerie heranreift, und doch sanft wie die Sommersonne in den Highlands ... und dummerweise ist er ihr neuer Boss!
Logan MacDorchard glaubt an Zahlen und Fakten, aber garantiert nicht an die Liebe auf den ersten Blick. Gefühle spielen nur eine untergeordnete Rolle in seinem Leben. Bis er mitten im Regen auf eine junge Frau trifft, die sein Herz berührt und ihn vom ersten Moment an verzaubert. Eine Frau, von der er eigentlich die Finger lassen sollte, denn er hat einen eisernen Grundsatz: Schlafe niemals mit einer Angestellten!
Joulie Berger hat ein großes Ziel vor Augen: die Leitung des Luxushotels, in dem sie seit einigen Jahren als Direktionsassistentin arbeitet. Das erscheint nun kurz vor dem Ausscheiden ihres Vorgesetzten zum Greifen nah. Da taucht überraschend der neue schottische Eigentümer des Hotels in Wien auf. Logan MacDorchard, gleichermaßen attraktiv wie unnahbar, ein erfolgreicher Investor, dem es scheinbar nur um den Profit geht. Er plant das Wiener Traditionshaus gänzlich umzukrempeln und das betrifft auch Joulies Job. Sie muss ihren neuen Boss davon überzeugen, die Richtige für die verantwortungsvolle Führungsaufgabe zu sein. Und das fällt der sonst so selbstbewussten und tatkräftigen jungen Frau ziemlich schwer, da sie in seiner Nähe an alles Mögliche denken muss, nur nicht an Marketing- und Finanzpläne. Noch dazu, wo er sich bei ihrem ersten, zufälligen Treffen alles andere als kühl verhält.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2024
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Zwei Jahre später
Über die Autorin
Leseprobe „Der Duft der wilden Distel“
„Du mit allen Sinnen“ © Mara Waldhoven
Alle Rechte vorbehalten
Mara Waldhoven Kirchwegsiedlung 26
3484 Grafenwörth
***** Deutsche Erstausgabe Dezember 2017 ***** Covergestaltung unter Verwendung eines Bildes von © Photographee.eu/fotolia.com ***** Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form sowie die Übersetzung des Werkes sind vorbehalten und bedürfen der schriftlichen Genehmigung der Autorin. Dies gilt ebenfalls für das Recht der mechanischen, elektronischen und fotografischen Vervielfältigung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Handlung und die handelnden Personen, sowie deren Namen, sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden bzw. realen Personen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.
„Ich muss zu ihr, lass mich da jetzt sofort hinein!“, tönte eine wütende Stimme aus dem Vorzimmer. „Es ist lächerlich, wenn du dich vor die Tür stellst. Ich bin das Doppelte von dir, also geh endlich zur Seite!“
Joulie Berger saß hinter ihrem Schreibtisch und versuchte den bereits seit ungefähr fünf Minuten andauernden, lautstarken Streit zwischen Chefköchin und Sekretärin zu ignorieren. Sie schwankte zwischen Ärger und Belustigung, wobei Zweiteres eindeutig überwog. Joulie hatte sich lange genug auf die Unterlagen, die sich in unterschiedlich hohen Stößen auf dem Tisch stapelten, konzentriert und brauchte nun dringend Abwechslung. Seit dem Verkauf des Hotels, in dem die Dreiunddreißigjährige seit mehr als sechs Jahren als Assistentin und Stellvertreterin des Direktors und früheren Eigentümers arbeitete, war das scheinbare Durcheinander auf ihrem Schreibtisch rasant angewachsen. Die Gemütlichkeit, die in dem alten Gemäuer an der berühmten Wiener Ringstraße vor der Neuübernahme geherrscht hatte, war vorbei und – wie Joulie befürchtete – somit leider auch ihr eigenverantwortliches Arbeiten. Sie hatte in letzter Zeit aufgrund der häufigen Abwesenheit des über sechzigjährigen Georg Webers die Geschäfte mehr oder weniger allein geführt und sein volles Vertrauen genossen. Zu Recht, sie war intelligent, für gewöhnlich in ihrem Tatendrang kaum zu bremsen und verfügte inzwischen über genug Erfahrung, um ein Haus dieser Größe selbstständig führen zu können. Auch wenn sie mit ihren blonden, schwer zu bändigenden Locken, den oft ein wenig verträumt blickenden, grünen Augen und den herzförmig geschwungenen Lippen auf den ersten Blick nicht gerade wie die erfahrene und äußerst zielstrebige stellvertretende Direktorin eines der exklusivsten Wiener Hotels wirkte. Aber das waren nur Äußerlichkeiten und spätestens nach ein paar Minuten erkannte jeder, was in der hübschen jungen Frau für Fähigkeiten steckten.
Dem neuen schottischen Eigentümer, der mehrere Luxushotels und Golfplätze auf der ganzen Welt betrieb, war das aber vermutlich ziemlich egal. In einigen Tagen würde die „schottische Invasion“ über das Haus und seine Angestellten hereinbrechen und die geplanten und angeblich notwendigen Änderungen in die Wege leiten. Joulie hatte keine Ahnung, was da jetzt genau auf sie zukam. Direktor Weber hatte seiner langjährigen rechten Hand die baldige Leitung des HotelStummerl versprochen, nun stand das aber in den Sternen. Joulie war nicht so naiv zu glauben, dass der neue Inhaber sich an Webers Wort gebunden fühlte.
Wie auch immer, nun war Zeit für eine Pause und ein bisschen Ablenkung. Und für die war, wenn die temperamentvolle Küchenchefin des Hotels in der Büroetage auftauchte, meistens gesorgt.
Theresa kochte himmlisch, sie war ein Quell kulinarischer Ideen und faszinierte die Hotelgäste mit ihren durchaus bodenständigen, aber überraschend interpretierten Kreationen immer wieder aufs Neue. Doch hatte sie einen etwas komplizierten Charakter … um es deutlich zu sagen: Theresa war stur, launisch und ihre Teamfähigkeit hielt sich in Grenzen, was in einer großen Küche unter Umständen zu ziemlichen Problemen führen konnte. Darüber hinaus war sie schnell eingeschnappt und wenn es einmal doch etwas an ihrer Kochkunst zu bemängeln gab, verfiel sie in eine tiefe, minutenlange Depression und war absolut arbeits- und entscheidungsunfähig. Und jeder, der nur ein bisschen Ahnung vom Kochen hat, weiß, was während einiger Minuten alles schiefgehen kann! Glücklicherweise hatte die Chefköchin ein Team um sich, das sie trotz ihrer Launen aus tiefstem Herzen verehrte und ihr immer wieder die Stange hielt. Theresa dankte es mit pausenlosem Gekeppel und einem ganz besonderen Schokomousse, dessen Rezept sie nicht verriet. Eine Köstlichkeit, nur für die Küchenbrigade des Hotels und enge Freunde gemacht. Mit viel Liebe, die sie nicht mit Worten, aber mit dem Kochlöffel wunderbar ausdrücken konnte!
Die Tür krachte auf und die Küchenfee, die im Moment allerdings eher einem Racheengel ähnelte, stand auch schon in Joulies Zimmer. Die Chefsekretärin Lotte verdrehte hinter Theresas Rücken genervt die Augen und stapfte zurück zu ihrem Schreibtisch.
„Joulie, das ist furchtbar, du hast ja keine Ahnung, welche Ignoranten derzeit in diesem Hotel wohnen!“ Theresa stützte ihre Hände in die Hüften und funkelte Joulie empört an. Dann marschierte sie zum Ledersofa in die Besprechungsecke und ließ sich mit einem herzhaften Seufzer hineinplumpsen.
„Du hast hoffentlich kurz Zeit für mich.“ Das war eher eine Feststellung als eine Frage und Joulie verzichtete darauf zu erwähnen, dass sie eigentlich überhaupt keine Zeit hatte. Völlig sinnlos, Theresa würde ihre Einwände wie immer ignorieren und einfach munter weiter plappern.
„Was ist passiert?“, fragte sie stattdessen und setzte sich der aufgebrachten Köchin gegenüber. Theresa begann mit den Händen in der Luft herumzuwedeln und bei genauem Hinsehen erkannte Joulie, dass sie irgendwelche Zeichen in die Luft malte.
„Kipferln! Stell dir vor, die wollen von mir Vanillekipferln!“ Ah, jetzt konnte sie diese Luftmalerei deuten. Aber warum die Aufregung?
„Was ist so schlimm daran? Sie mögen deine Vanillekipferln eben“, meinte Joulie besänftigend.
Theresa sah sie mit großen Augen schockiert an. „Joulie, wir haben Mitte Oktober! Vanillekipferln gibt es bei mir am 1. Advent und keinen einzigen Tag früher. Das ist einfach so und das wird sich nicht ändern, auch wenn ein paar durchgeknallte Amis das anders sehen und mit unseren Traditionen offenbar nichts am Hut haben!“
„Aber, wenn …“
Theresa ließ ihre Chefin und zugleich gute Freundin nicht ausreden. „Nein! Das kommt gar nicht in Frage und das wirst du ihnen sagen.“
Joulie wirkte nun langsam aber doch etwas gereizt, sie strich sich mit einer ungeduldigen Handbewegung die blonden Locken hinter die Ohren, verfing sich dabei mit ihrem Ring in einer Haarsträhne und verzog schmerzhaft das Gesicht. Während sie versuchte, die Locke zu befreien, schüttelte sie entschlossen ihren Kopf.
„Nein, das ist wirklich nicht meine Aufgabe. Ich hab genug zu tun und kann mich nicht auch noch um deine Kipferlgeschichten kümmern. Unsere amerikanischen Gäste werden es überleben, wenn sie keine bekommen“, Joulie seufzte kurz und zupfte ein paar Haare aus der Steinfassung des Ringes, „und das für dich wirklich so ein Riesenproblem ist, sie zu backen.“
Sie hatte nicht vorgehabt, den Satz spöttisch klingen zu lassen, wirklich nicht, aber Theresa fasste das offensichtlich so auf. Sie sah Joulie zutiefst gekränkt an. „Es ist kein … Riesen …problem! Du musst dir nicht gleich die Haare vor Zorn darüber ausreißen!“
Natürlich war es ein Problem, Theresa hörte sich an, als wäre sie soeben zum Kartoffelschälen abkommandiert worden! Joulies Schläfe begann beim Klang dieser eingeschnappten Stimme schmerzhaft zu pochen.
„Abgesehen davon, dass wir nun diese Schotten am Hals haben und ich mir, genauso wie alle anderen Kollegen auch, Sorgen um meinen Job mache, und ich leider nicht die erforderliche Rückendeckung meiner – wie ich dachte – guten Freundin habe, ist alles in Ordnung bei mir! Ist schon klar, du musst deine eigene Haut retten und hast keine Zeit für meine kleinen Problemchen. So ist das eben, wenn man in der Chefetage sitzt, abgehoben vom Rest der kleinen, unwichtigen Welt.“ Theresa stand auf und strich sich mit zitternden Fingern ihren Rock zurecht. Die Darbietung war filmreif.
Joulie erhob sich ebenfalls und zog die Widerstrebende in ihre Arme. „Du weißt, dass ich immer helfe, wenn ich kann, und dir besonders gerne. Aber im Moment ersticke ich in Arbeit. Der neue Eigentümer hat uns mit Anfragen und Arbeitsaufträgen eingedeckt und ich muss das alles in spätestens zwei Tagen, wenn er nach Wien kommt, fertig haben“, versuchte sie der Freundin ihre angespannte Situation zu erklären.
Theresa beruhigte sich wieder. „Ich verstehe schon. Das war sehr unfair, was ich gerade gesagt habe.“ Sie lächelte Joulie entschuldigend an. „Weißt du was? Ich backe die gewünschten Kekse, aber in einer anderen Form. Das ist doch ein guter Kompromiss, findest du nicht?“
Joulie nickte erleichtert. „Das ist eine sehr gute Idee, wie wäre es mit Vanillebusserln.“
„Nein!“ Theresa schüttelte so heftig den Kopf, dass sich ihre, schokobraunen Haare aus dem Knoten lösten. „Das klingt auch viel zu sehr nach Weihnachten, ich lass mir da etwas anderes einfallen. Ich mach das schon, keine Sorge. Und jetzt lass ich dich weiterarbeiten und unser aller Haut retten.“
Sie stand auf und verließ das Büro, nicht ohne einen kleinen Seitenhieb auf Lotte. „Ich sagte ja gleich, für mich hat sie immer Zeit!“
Joulie musste grinsen und zwinkerte der Sekretärin verschwörerisch zu. Die huschte schnell herein, als Theresa im Lift nach unten verschwunden war.
„Tut mir leid, dass ich mitgehört habe, aber ist es wirklich so schlimm? Du musst unsere Haut retten?“, fragte sie und sah sehr besorgt drein. Joulie schüttelte den Kopf und deutete ihr, sich zu setzen.
„Nein, ihr müsst euch keine Sorgen machen. Für uns wird sich nicht allzu viel ändern. Weber zieht sich ja auch nicht sofort aus der Geschäftsleitung zurück und wird sich wie immer um die Mitarbeiter kümmern“, meinte sie beruhigend. Dass die MacDorchardGroup eine vertragliche Jobgarantie für die Hotelangestellten allerdings nicht geben wollte, ließ sie vorsichtshalber unter den Tisch fallen. Das waren harte Verhandlungen gewesen und das Einzige, das Weber herausholen konnte, war die Zusage, dass er den Zeitpunkt seines Rückzugs innerhalb eines Jahres selbst wählen durfte und ein Mitspracherecht bei der Bestellung seines Nachfolgers bzw. seiner Nachfolgerin hatte. Was mehr war, als die schottische Unternehmensgruppe für gewöhnlich zugestand. So gesehen war es also ein voller Verhandlungserfolg gewesen.
Webers verbleibender Anteil an dem Hotel betrug allerdings nur lächerliche 5% und deshalb konnte Joulie sich lebhaft ausmalen, wie weit sein Einfluss auf künftige Entscheidungen wirklich ging. Sie war nun in der unangenehmen Position, um ihre Stellung kämpfen zu müssen. Was sie sich durchaus zutraute, aber leider war die MacDorchardGroup dafür bekannt, die Führungspositionen umgehend mit Leuten ihres Vertrauens zu besetzen. Joulies Qualifikationen würden mit ziemlicher Sicherheit nur eine kleine Rolle spielen. Sie seufzte und erntete einen beunruhigten Blick Lottes.
„Aber warum hat er überhaupt verkauft?“, jammerte die gepflegte ältere Dame und strich sich mit zittrigen Fingern eine silberne Strähne ihres Pagenkopfes aus dem Gesicht. „Das Hotel ist doch sein Ein und Alles.“
„Es muss einiges investiert werden, wenn das Haus konkurrenzfähig bleiben soll. Dafür hat Weber allerdings nicht die Mittel, der neue Eigentümer schon. Herr Weber möchte sich langsam zurückziehen und er hat keine Erben. Er wollte nicht, dass das Haus einer ungewissen Zukunft entgegengeht und musste daher handeln. Er kennt Allister MacDorchard von früher und hält ihn für einen fairen und umsichtigen Geschäftsmann, der sich auch bewusst ist, dass unser Hotel auf eine sehr lange Tradition zurückblickt.“
„Du kennst diesen Schotten auch noch nicht, oder?“
Joulie schüttelte den Kopf. „Nein, ich war bei den Verhandlungen nie dabei und weiß auch nur das, was der Direktor mir erzählt hat.“ Sie griff über den Tisch und drückte Lottes vor Sorge eiskalte Hand.
Die langgediente Sekretärin, die seit ihrem siebzehnten Lebensjahr in dem Hotel arbeitete, versuchte ein Lächeln. „Vermutlich wird sich gar nicht so viel für uns ändern“, murmelte sie unsicher.
„Ja, davon gehe ich aus, mach dir keine Sorgen“, meinte ihre junge Chefin aufmunternd und Lottes Gesichtszüge entspannten sich etwas.
„Wir sind gut vorbereitet und werden MacDorchard überzeugen, dass alles super läuft und daher keine großartigen Änderungen im Personalbereich notwendig sind“, sagte Joulie betont heiter. Dann warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Ich muss jetzt los, ich treffe mich mit meiner Mutter zum Mittagessen. Ich bin in spätestens zwei Stunden wieder da. Du kannst mich wie immer jederzeit am Handy erreichen, wenn du etwas brauchst.“
„Was sollte ich schon brauchen? Das Kipferlproblem von Theresa ist ja anscheinend gelöst“, erwiderte Lotte und klang schon wieder zuversichtlicher.
Nach einem Blick durchs Fenster hinaus in die trübe Regensuppe, schlüpfte Joulie in ihren Regenmantel und in die schicken, neuen Gummistiefel, die seit einigen Tagen einsatzbereit in der Ecke standen. „Anscheinend haben die Schotten ihr Wetter als Vorboten nach Wien geschickt“, murmelte sie missmutig und marschierte zum Lift.
Logan MacDorchard hatte bereits genug von dieser Stadt, noch bevor er das neuerworbene Hotel überhaupt gesehen hatte. Dass sein Mietwagen nicht wie vereinbart für ihn am Flughafen bereitstand, passte genau in das Bild, das er von Wien hatte. Altmodisch, schlecht organisiert – was als Wiener Gemütlichkeit schöngeredet wurde – und für ihn, der normalerweise zwischen Hongkong, Singapur und Dubai pendelte, erschien diese Stadt wie die letzte Einöde. Was hatte sein Vater sich nur dabei gedacht, ihn hierher zu schicken? Aber Wien schien auf Allister MacDorchard einen ganz besonderen Reiz auszuüben und er war von der Idee, hier zu investieren, nicht abzubringen gewesen. Und er hatte darauf bestanden, dass sein Sohn sich um diesen Neuerwerb kümmerte, obwohl der in erster Linie für die Investitionen im asiatischen Raum zuständig war.
„Du musst auch die kleineren Hotels in Europa schätzen lernen“, hatte Allister MacDorchard am Telefon gesagt. „Sie sind die Zukunft, nicht diese Hotelklötze, die wir in den letzten Jahren auf unserer Einkaufsliste hatten. Die Menschen wollen es wieder etwas ruhiger und kuscheliger, weg vom Massentourismus. Besonders die, die es sich leisten können, schätzen Privatsphäre und Plätze, wo sie das Gefühl haben, allein auf der Welt zu sein. Und dieses Gefühl wollen sie auch in Städten haben. Wien ist dafür wie geschaffen.
Ja! Logan hatte gerade wirklich das Gefühl allein auf der Welt zu sein, er wartete auf sein Mietauto und nippte an seinem inzwischen kalten Kaffee, der im heißen Zustand allerdings köstlich geschmeckt hatte. Wäre ihm da nicht dieses lästige und wirklich ärgerliche Geschäftstelefonat dazwischengekommen, hätte er ihn weiter genießen können. Er schob die Tasse angewidert von sich und hob die Hand, um einen neuen Kaffee zu bestellen.
„Noch einen großen Braunen?“, fragte der Kellner lächelnd, Logan sah ihn ratlos an und entschied sich dann, ohne lange zu diskutieren, zustimmend zu nicken.
„Ein großer Brauner ist ein doppelter Mokka mit Obers. Sie wollten vorhin Milch zum doppelten Espresso und deshalb dachte ich, sie möchten gleich den großen Braunen“, fuhr der Mann eifrig fort. Logan verlor langsam die Geduld, er wollte einfach seinen Kaffee, ob groß oder klein, schwarz, braun, was auch immer, war ihm ziemlich egal. Wieso musste alles hier nur so kompliziert sein?
„Oder wünschen Sie einen Einspänner mit Schlagobers?“
Das war jetzt aber wirklich zu viel! Logan spürte eine beginnende Migräne, er rieb mit Zeigefinger und Daumen seinen Nasenrücken und presste die Augen zusammen. Der Kellner verstand, dieser Gast hatte keine Lust auf eine Einführung in die Wiener Kaffeekultur. Er drehte sich mit einem milden Lächeln um und machte den gewünschten – oder nicht gewünschten – Kaffee.
„Hilft auch gut gegen Kopfweh, schön stark“, konnte er sich jedoch nicht verbeißen, als er die Tasse vor Logan hinstellte, der sah ihn nur frustriert an. Er verwünschte sich dafür, mit seinen nahezu perfekten Deutschkenntnissen geprahlt zu haben. Er sollte ab sofort nur mehr Englisch sprechen, das hielt die Menschen sicher davon ab, so aufdringlich auf ihn einzureden.
„Mister Meegdorscha!“ Der großgewachsene Schotte fühlte sich nicht gleich angesprochen, als der Typ von der Autoverleihfirma aufgeregt winkend auf ihn zulief.
„Mister Meegdorscha!“ Logan sah ihm fassungslos entgegen, wie sehr konnte man diesen Namen eigentlichen noch verunstalten? Heftig schnaufend blieb der um zwei Köpfe kleinere Mann mit dem schütteren Haar vor ihm stehen. Die Brille saß etwas schief auf seiner Nase, die war ihm offensichtlich bei seinem Dauerlauf durch das Flughafengebäude verrutscht.
„Er ist da, der Wagen ist endlich da. Bitte kommen Sie, wir fahren gemeinsam zum Parkplatz und Sie können ihn dort übernehmen.“
Na endlich! Aber Logans neugefasste Zuversicht dauerte nur kurz.
Brauchbarer Wagen, kaputtes Navy. Das durfte jetzt nicht wahr sein!
Was hatte seine Sekretärin gemault? Eine Schnapsidee in einer fremden Stadt sofort ein Auto zu mieten! Und wie so oft, hatte sie recht gehabt! Logan versuchte seinen Zorn nicht allzu deutlich zu zeigen und lauschte aufmerksam der holprig in einer Mischung aus Englisch und Deutsch vorgetragenen Wegbeschreibung.
Eine halbe Stunde später hatte er sich komplett verfahren. Baustellen, Straßensperren und ins Nichts führende Umleitungen, da nutzte ihm auch die Straßenkarte auf seinem Handy nicht mehr viel. Es war zum aus der Haut fahren! So groß war doch diese Stadt gar nicht, dass er nicht von einem Ende zum anderen finden konnte! Heute war wirklich nicht sein Tag! Kurzerhand bremste er sich bei einem Taxistand ein und bezahlte einen Fahrer dafür, ihm den Weg zum Hotel zu weisen. Endlich angekommen, er konnte sein Glück kaum fassen, ließ er den Wagen vor dem Eingang stehen, reichte dem verdutzten Hotelpagen seinen Autoschlüssel und befahl, sein Gepäck aus dem Kofferraum zu holen. Dann stapfte er mit grimmigem Gesichtsausdruck zur Rezeption. Und dieser Ausdruck gemeinsam mit seinen beeindruckenden einen Meter neunzig versetzte die Damen dort blitzartig in Alarmzustand.
„Schätzchen, pass auf dich auf und arbeite nicht zu viel!“ Madelaine Berger verabschiedete sich vor dem Restaurant mit einer herzlichen Umarmung und einem festen Wangenkuss von ihrer Tochter. Endlich hatte es aufgehört zu regnen und die schweren Tropfen waren zu einem feuchten Schleier geworden, der die beiden Frauen sanft umhüllte und den Schirm ziemlich sinnlos werden ließ.
„Junge Frauen sollten auch etwas anderes im Kopf haben als nur ihre Arbeit. Apropos, wie steht´s denn mit den Männern?“
Joulie schüttelte lachend den Kopf. „Das willst du jetzt wissen, hier auf der Straße?“
„Ich wollte dir mit meiner lästigen Fragerei nicht den Appetit verderben, aber neugierig bin ich doch. Ich sage jetzt nicht, mein Interesse ist berufsbedingt. Ich weiß ja, wie sehr du das hasst.“ Madelaine Berger war Sexualtherapeutin und das war für Joulie, obwohl sie wirklich nicht weiß Gott wie prüde war, etwas unangenehm. Aber für ihre Mutter war Sex eine der schönsten und selbstverständlichsten Dinge auf Erden und da machte sie auch kein Geheimnis daraus. Joulie wollte aber garantiert nicht mit der eigenen Mutter über ihr Sexleben reden, das war wirklich das Letzte! Nie würde sie vergessen, wie Madelaine im Gymnasium in ihrer Klasse aufgetaucht war - bewaffnet mit Kondom, Vibrator und Liebesperlen -, um begleitet vom hysterischen Gekicher der anderen Mädels und dem schockierten Luftschnappen des Klassenvorstands über die Freuden der Fortpflanzung zu referieren. Das hatte sie ihrer Mutter lange nicht verziehen und sie hatte sich danach tagelang geweigert, die Schule zu besuchen.
Madelaine seufzte und strich ihrer Tochter liebevoll über den Oberarm. „Aber mach dir nichts draus, auch du wirst einmal den Richtigen finden, vielleicht läuft er dir gerade heute, vor dem Hotel, über den Weg.“
„Mama, bitte, ich habe kein Problem mit Männern! Wenn ich wollte, könnte ich natürlich jemanden kennenlernen, aber ich habe einfach keine Zeit dafür.“
„Ja, ich weiß, aber halte trotzdem bitte deine Augen offen. Du bist dreiunddreißig und ich hör sie schon ticken … die Uhr des Lebens. Obwohl diese spezielle Uhr im Grunde niemals stehen bleibt! Die Lust ist alterslos …“, sagte Madelaine mit einem fröhlichen Zwinkern und Joulie verdrehte genervt die Augen. „Spätestens jetzt hättest du mir wirklich den Appetit verdorben. Ich muss los, lass Papa schön grüßen und vielleicht schaffe ich es in den nächsten Wochen einmal nach Hause. Wenn das mit den Schotten geregelt ist und alles hoffentlich wieder normal läuft.“
Madelaine lächelte aufmunternd. „Die sind schneller wieder weg, als du denkst. Zurück in ihr Loch Wasauchimmer mit diesem Seeungeheuer. Im Hotel läuft alles gut, du hast alles im Griff und das werden sie bald merken.“
Die beiden Frauen winkten sich kurz zu und gingen in entgegengesetzten Richtungen davon.
„Lass bitte Lotte lieb grüßen und richte ihr aus, ihr Rezept für das Dinkelbrot war phänomenal!“, rief Madelaine ihrer Tochter noch nach.
„Ja, mache ich!“ Joulie drehte sich im Gehen nochmals kurz um und fischte gleichzeitig nach ihrem Handy, das vibrierte. Sie hatte es beim Essen leise gestellt und bemerkte nun mit Schrecken, dass sie vier Anrufe verpasst hatte. Einen von der Rezeption und drei von Lotte. Na toll, was war da wieder passiert! Sie musste sofort zurückrufen. Ohne auf ihre Umgebung zu achten, drückte sie die Kurzwahltaste und knallte zeitgleich in ein plötzlich aufgetauchtes, menschliches Hindernis. Wegen der Wucht des Aufpralls ließ sie ihr Handy fallen, das begleitet von Lottes leiser werdendem „Hallo“ in einer Pfütze am Straßenrand landete.
„Oh nein, das gibt’s doch nicht! Können Sie nicht aufpassen!“, schimpfte Joulie los, obwohl sie sicherlich die Hauptschuld an dem Missgeschick trug. Aus den Augenwinkeln sah sie etwas großes Dunkles, das sich gleichzeitig mit ihr nach dem Handy bückte, und dann spürte sie auch schon den Schmerz des Zusammenpralls.
Sie griff sich an die Stirn, genauso wie ihr Kontrahent, den sie nun genauer begutachtete. Groß, sehr groß, sie musste ihren Kopf heben, um in ein wenig freundlich wirkendes Gesicht zu sehen. Er blickte mit genervt verzogenen Mundwinkeln auf sie hinunter, bückte sich dann vorsichtig nochmals und fischte mit spitzen Fingern ihr Handy aus dem Wasser. Wortlos hielt er es ihr entgegen.
„Danke“, murmelte sie widerwillig, der Typ sagte noch immer nichts, er starrte sie nur mit zusammengekniffenen Augen an.
„Ertrunken“, murmelte Joulie, das Handy gab kein Lebenszeichen mehr von sich.
„Ihnen geht es gut, haben Sie unseren … Zusammenstoß gut überstanden?“, fragte er mit dunkler Stimme und einem rauen Akzent, den Joulie nicht gleich zuordnen konnte, ihr aber ohne jede Vorwarnung einen wohligen Schauer durch den Körper schickte. Sie nickte und versuchte ein Lächeln, denn es war ja wirklich nicht seine Schuld gewesen. Und außerdem war der Kerl zusätzlich zu der sexy Stimme auch noch attraktiv, wahnsinnig attraktiv sogar! Trotz seines missmutigen Gesichtsausdrucks! Er hatte dichtes, beinahe schwarzes Haar, das durch Wind und Wetter appetitanregend unordentlich wirkte und blaue Augen, die sie jetzt interessiert musterten. Unglaublich blaue Augen! Ein tiefes und etwas düster wirkendes, geheimnisvolles Dunkelblau! Was gemeinsam mit den ausgeprägten männlichen Gesichtszüge und dem kantigen Kinn ihren Puls blitzartig in die Höhe trieb.
Der verkniffene Zug um seinen Mund hatte sich nun etwas gelöst und Joulie glaubte den Hauch eines Schmunzelns zu erkennen.
„Leider halten diese Mobiltelefone – trotz aller Versprechungen – nicht viel aus“, meinte er und fuhr sich lässig mit der Hand durchs Haar, um es in Form zu bringen. Eine kräftige Hand, natürlich! Überhaupt wirkte alles an ihm … irgendwie kräftig. Und Joulie meinte damit dieses kräftig, das ein erwartungsvolles Kribbeln im Bauch auslöste.
„Ja, das stimmt wohl.“ Joulies Pulsschlag normalisierte sich nur langsam wieder und sie steckte das Handy in ihre Manteltasche. „Es tut mir leid, dass ich sie umgerannt habe, ich hatte es eilig und das Telefonat war … wäre … dringend gewesen und ich habe nicht auf die Umgebung geachtet.“ Sie ließ ihren Blick über seinen schwarzen, teuer aussehenden Kurzmantel abwärts gleiten, der durch den schlichten, schmalen Schnitt die breiten Schultern betonte. „Bei Ihnen ist ja anscheinend alles in Ordnung.“
Er zog belustigt seine Augenbrauen in die Höhe, anscheinend war sein Unmut über den Zusammenstoß nun gänzlich verflogen. „Ja, ich denke, dass bei mir alles in Ordnung ist.“ Jetzt war es deutlich zu erkennen, das Schmunzeln. Joulies Herz machte einen Luftsprung. Dieser Mund! Wie würde ihre Freundin Hetti diese Lippen beschreiben? Kussfreudig! Ja, durchaus ….
„Gut, dann … also … ich muss jetzt los. Da ich nicht telefonieren kann, sollte ich schnellstens zurück zur Arbeit“, meinte sie und riss sich schweren Herzens von seinem Anblick los.
„Würden Sie gerne mit mir irgendwohin gehen?“
Wie war das eben? Irgendwohin gehen? Sie sah ihn anscheinend so schockiert an, dass er etwas unsicher wurde.
„Entschuldigen Sie, mein Deutsch ist nicht so gut. Ich wollte Sie einladen, auf einen Kaffee oder Tee oder was auch immer Sie bevorzugen.“
Was hätte sie dafür gegeben, jetzt mit diesem Mann wirklich irgendwohin gehen zu können, auf der Stelle! Was konnte schon Furchtbares im Hotel passiert sein?
„Ihr Deutsch ist fast perfekt, wirklich“, gurrte Joulie und konnte den Klang ihrer Stimme selbst nicht fassen. Sie hörte sich an, als hätte sie seit fast drei Jahren keinen Sex mehr gehabt (das fast hatte eine rein kosmetische Funktion, um es nicht noch dramatischer klingen zu lassen) und als ob sie das jetzt auf der Stelle unbedingt ändern wollte. Was ihrem momentanen Gemütszustand auch ziemlich nahe kam.
Joulie räusperte sich und fuhr entschlossen fort. „Ich muss aber wirklich zurück, eine Menge Arbeit wartet auf mich.“
„Die Arbeit kann doch sicher warten“, murmelte er in einem Tonfall, der zeigte, dass er üblicherweise keinen Widerspruch duldete und sehr von seiner Wirkung auf Frauen überzeugt war. Dieses Machogehabe mochte Joulie eigentlich gar nicht, was sie aber im Moment komplett verdrängte.
„Aber wenn Sie jetzt wirklich keine Zeit haben sollten, lade ich Sie heute Abend zum Essen ein“, sagte er und Joulie überhörte hartnäckig, dass diese Einladung weder als Frage noch als Bitte formuliert war.
„Heute Abend?“ Joulies Stimme klang noch immer ungewohnt rau. Er senkte leicht seinen Kopf, ein verführerisches Lächeln blitzte in seinen Augenwinkeln auf und breitete sich dann siegessicher über sein ganzes Gesicht aus. „Ja, zum Beispiel.“
Dieses Lächeln war total unfair!
„Heute Abend passt gut. Ich würde gerne mit Ihnen essen gehen“, hörte sie sich antworten.
Komplett verrückt! Sie musste wirklich komplett verrückt sein! Sie verabredete sich ernsthaft mit einem Fremden - Typ ausländischer Geschäftsmann auf der Durchreise - nach ungefähr drei Minuten zum Essen? Wer wusste schon, was der Kerl im Sinn hatte? Na ja, was wohl! Essen und dann … vermutlich … Joulie bekam trotz des kühlen Wetters beinahe einen Hitzeschlag!
„Ich freue mich“ Er schrieb seine Telefonnummer auf ein Blatt Papier, wo auch immer er das gemeinsam mit dem Stift so plötzlich herhatte.
„Da ihr Handy am Abend vermutlich noch nicht einsatzfähig sein wird, muss ich Sie bitten, mich anzurufen. Ich kenne mich in Wien nicht aus, ich bin erst heute Vormittag angekommen, also bitte ich auch um einen Vorschlag, wann und wo. Ich richte mich da selbstverständlich ganz nach Ihren Wünschen.“ Das war wohl die höflichste Einladung, die Joulie in ihrem ganzen Leben bekommen hatte. Er reichte ihr den Zettel mit seiner Nummer und seinem Vornamen.
„Ich werde mich melden, Logan“, erwiderte sie nach einem kurzen Blick auf seine schwungvolle Handschrift. Was hatte sie unlängst gelesen? Je größer die g-Schleife eines Mannes, desto … Joulie lief das Wasser im Mund zusammen.
Sie reichte ihm ihre Hand zum Abschied, er führte sie überraschenderweise an seine Lippen und hauchte doch tatsächlich einen formvollendeten Handkuss auf ihren Handrücken! Begleitet von einem tiefen Blick, der seine Vorfreude auf den gemeinsamen Abend nicht verbarg. Joulie hatte das Gefühl, nur mehr aus einem schlabbernden, knochenlosen Puddingkörper – zusammengehalten von Gänsehaut – zu bestehen. Er ließ langsam ihre Hand los und nickte ihr verabschiedend zu. Allein ließ er sie am Gehsteig zurück, mit zitternden Knien und einem Trommelherzen, das ihr aus der Brust zu springen drohte.
Was hatte ihre Mutter, die Hexe, gesagt?
Vielleicht läuft er dir gerade heute über den Weg!
Sein Tag war gerettet! Vor drei Stunden war er noch schlecht gelaunt am Flughafen herumgestanden und hatte seinen Vater verflucht, dass er ihn hierhergeschickt hatte! Und jetzt?
Sie hatte ihn verzaubert, auf den ersten Blick. Oder sollte er lieber sagen, auf den ersten Schlag? Dieses lebendige Strahlen in ihren wunderschönen, grünen Augen und die fein geschwungenen Lippen, die leichte Röte auf ihren Wangen, als er sie zum Essen eingeladen hatte! Er hatte nur mühsam widerstehen können, ihr diese eine vorwitzige Strähne aus dem Gesicht zu streichen, die sich immer wieder auf ihre Wange verirrte. Das feuchte Wetter hatte ihre Locken ein wenig zerzaust wirken lassen, aber nach einer Nacht mit ihm würde sie garantiert noch zerzauster sein! Ein schmutziges und zugleich erwartungsvolles Grinsen schlich sich in Logans Züge. Es wäre eine Lüge zu behaupten, dass er nicht mehr als ein Essen im Sinn hatte, aber alles schön der Reihe nach. Bei … er wusste nicht mal ihren Namen ... würde er sich etwas mehr anstrengen müssen als sonst, dessen war er sich bewusst. Der Reichtum und die Stellung seiner Familie ebneten ihm normalerweise den Weg bei den Frauen, auch wenn er das – natürlich! – nicht notwendig hatte. Aber für die reizende Unbekannte war er ein Niemand. Maximal ein gutaussehender, interessanter Mann, den es lohnte näher kennenzulernen. Und er war sich sicher, dass sie das wollte. Obwohl er sich – zugegeben – anfangs nicht allzu geschickt angestellt hatte. Irgendwohin gehen? Verflucht nochmal, er hatte herumgestottert wie ein Schuljunge, der um sein erstes Date bettelte! An seinem Deutsch war wirklich nichts auszusetzen, aber ein Blick in diese Augen und er hatte sich ganz wirr im Kopf gefühlt. Und er war es jetzt noch, allein beim Gedanken an sie.
Er atmete während des Gehens tief durch, um sich wieder zu beruhigen. Immerhin musste er heute Nachmittag noch den unversöhnlichen Eigentümervertreter für diesen Direktor Weber spielen.
Der Wind hatte die graue Wolkendecke während der letzten Minuten aufgerissen und ließ den blauen Himmel durchblitzen. Ein paar mutige Sonnenstrahlen kämpften sich durch und erhellten den großen Platz, auf dem er stand. Keine Ahnung, wie er hierhergekommen war, noch wo er war. Aber es fühlte sich plötzlich verdammt gut an, hier zu sein.
„Frau Berger, kommen Sie bitte!“ Die Rezeptionistin Andrea wedelte aufgeregt mit der Hand, als Joulie durch den Hoteleingang trat. Gleichzeitig blickte die junge Frau mit dem kupferrot schimmernden Ponny gehetzt um sich, als wäre ein Ungeheuer hinter ihr her.
„Was ist denn passiert?“ Joulie wurde nun etwas unruhig, dieses Hochgefühl, das ihr die Begegnung mit dem attraktiven Unbekannten beschert hatte, verflog gerade wieder.
Sie folgte Andrea in das kleine Rezeptionsbüro und griff nach dem entgegengestreckten Telefonhörer. Lottes aufgebrachte Stimme tönte ihr entgegen.
„Joulie, wo steckst du bloß! Ich konnte dich nicht erreichen und er ist heute schon da. Vor einer Stunde aufgetaucht und wir haben nicht mal die Suite frei.“
„Von wem sprichst du bitte?“
„MacDorchard, er ist schon da!“
„Was? Warum?“ Joulie schnappte erschrocken nach Luft.
„Keine Ahnung warum, im Moment ist er in der Innenstadt unterwegs, aber er hat mehr als deutlich gemacht, dass er Herrn Weber im Büro erwartet, wenn er zurückkommt. Nur kann ich den nicht auftreiben!“ Lotte klang ziemlich verzweifelt.
„Ich kann mit MacDorchard reden und versuchen, ihn noch etwas hinzuhalten.“
„Nein, er will den Boss persönlich und nicht seine Assistentin. Das hat er bestimmt gesagt, sehr bestimmt. Der Typ gibt sich nicht mit der zweiten Reihe zufrieden … tut mir leid, nichts gegen dich. Das hat Er deutlich zum Ausdruck gebracht.“
Sehr sympathisch!
„Dann wird er auf die erste Reihe eben länger warten müssen“, erwiderte Joulie spitz. So eine Frechheit! Zu früh kommen und dann noch den großen Zampano raushängen lassen! „Ich komme jetzt mal rauf ins Büro und du versuch bitte weiter, Direktor Weber zu erreichen. Wahrscheinlich hat er wieder das Handy leise gestellt und hört nichts.“
Joulie reichte Andrea, die sie mit zitternder Unterlippe ängstlich anstarrte, das Telefon und lächelte ihr aufmunternd zu.
„Haben wir tatsächlich gar nichts frei?“, fragte sie betont sanft, um die arme Kollegin nicht noch mehr aufzuregen.
Andrea schüttelte heftig ihren Kopf. „Nein, es gibt zwei Messen in Wien. Nur das Notfallzimmer ist verfügbar, das wird aber den Ansprüchen dieses Herrn nicht genügen. Er sieht übrigens ziemlich gut aus ...“ Die Wangen der Rezeptionistin färbten sich rosa und der Glanz in ihren Augen wirkte von einer Sekunde zur anderen weniger ängstlich als verträumt.
Joulie war überrascht, sie hatte ja keine Ahnung gehabt, dass Andrea auf ältere Herren stand. Allister MacDorchard war fünfundsechzig und anscheinend sehr gut erhalten, wenn die Fünfundzwanzigjährige beim Gedanken an ihn Herzchen in den Augen hatte.
„Na gut, es ist nicht unsere Schuld, dass dieser Herr zwei Tage zu früh kommt, ohne uns das vorher mitzuteilen. Da wird er sich wohl mit einem gewöhnlichen Einzelzimmer begnügen müssen. Wir können ja nicht gut die Gäste aus der großen Suite hinausschmeißen!“
Andrea nickte zögerlich. „Ich sag ihm das aber nicht“, meinte sie und ihre Unterlippe begann wieder nervös zu zittern. Joulie legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. „Das darf der Direktor höchstpersönlich übernehmen, mit mir spricht MacDorchard ja anscheinend auch nicht!“
Sie drehte sich um und eilte zu den Aufzügen. Jetzt musste sie erst einmal aus dem Regenmantel und den Gummistiefeln, nicht auszudenken, wenn sie dem schottischen Drachen auch noch in ihrem wenig eleganten Regenoutfit begegnete! Joulies Laune näherte sich dem Tiefpunkt, dieser MacDorchard war entgegen Webers Beschreibung ein eher unangenehmer Zeitgenosse.
„Ich habe den Herrn Direktor erreicht, er ist in einer halben Stunde da!“ Lotte stand bereits vor der Lifttür, als diese sich mit einem leise schleifenden Geräusch öffnete. Joulie zuckte erschrocken zusammen. „Hast du mich jetzt erschreckt!“, schimpfte sie und ging von ihrer Sekretärin begleitet ins Direktionsbüro.
„Was denkst du denn, wie es mir bei seinem plötzlichen Erscheinen ergangen ist. Ich dachte, mein letztes Stündlein hat geschlagen!“, schnaufte Lotte und nahm Joulie naserümpfend den feuchten Mantel ab, um ihn auf den Haken zu hängen.
„Bedrohlich, das ist das einzige Wort, das mir bei dem einfällt. Einschüchternd, bedrohlich und ziemlich beeindruckend!“
Joulie warf Lotte einen amüsierten Blick zu. „Ich dachte, der ist eher der höflich zurückhaltende Typ, zumindest nach Webers Beschreibung. Dann erzählt mir Andrea, er ist ausgesprochen attraktiv und du findest ihn bedrohlich. Mädels, der Typ ist über sechzig, ich hab ihn mir eher wie einen gemütlichen Opa vorgestellt! Was ist nur los mit den schottischen Männern?“
Lotte sah sie überrascht an, dann schmunzelte sie verstehend. „Ich vergaß vielleicht zu erwähnen, dass nicht der Vater bei uns ist, sondern der Sohnemann. Mr. Highlander persönlich. Und Andrea hat recht, er ist gutaussehend, wenn man diesen männlich dominanten Typ mag!“
Joulie ließ sich mit offenem Mund auf ihren Sessel plumpsen. „Ach nein, der Sohn? Ich hoffe, du hast das Herrn Weber gesagt, der ist ja auf seinen alten Bekannten Allister eingestellt. Aber warum wussten wir nichts davon, auch von der verfrühten Ankunft?“
Lotte zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, MacDorchard hat mich mehr oder weniger beschuldigt, die Nachricht verschlampt zu haben. Ich habe alles durchsucht, aber nichts gefunden. Da hat wohl eher die andere Seite geschlampt!“
„Ach, bevor ich es vergesse. Mein Handy ist kaputt. Ich brauche dringend ein anderes.“
„Ich kümmere mich sofort darum“, bot ihre Assistentin an und nahm das Telefon an sich.
Joulie kramte in den Unterlagen über die MacDorchardGroup, sie musste unbedingt versuchen, etwas mehr über den Sohn herauszufinden. Besser, man kannte die gegnerische Seite und besonders die möglichen Schwachstellen. Und da dieser Kerl ziemlich unangenehm sein dürfte, war es noch wichtiger sich genau zu informieren. Das hatte sie bis jetzt leider verabsäumt, da Allister immer Webers Verhandlungspartner gewesen war.
„Wann kommt er wieder?“
„Er bummelt ein wenig durch Wien, obwohl ich mir den beim besten Willen nicht beim Bummeln vorstellen kann. Ich tippe mal eher darauf, er hetzt durch unsere arme Stadt und hinterlässt Blut und Tränen!“, beantwortete Lotte die dahingemurmelte Frage. Joulie warf ihr einen tadelnden Blick zu.
„Na, jetzt übertreib mal nicht, auch mit ihm werden wir fertig!“
„Mhm, sicher, vielleicht sollten wir Theresa mit ihren Kochkünsten auf ihn loslassen. Die essen doch dieses ekelige Zeugs dort oben, diese Innereien. Vielleicht stimmt ihn ja ein köstliches Abendessen etwas milder?“
„Nichts mit schottischen Innereien, er war die letzten Jahre in Asien unterwegs, ist für das dortige Geschäft verantwortlich. 36 Jahre alt, einziger Sohn und Erbe, Logan Mac …“ Joulie wurde blass, sie warf ihrer Sekretärin einen unruhigen Blick zu. „Wie sieht er aus?“
„Groß, sehr groß, kräftig gebaut, breite Schultern.“ Lottes Augen bekamen plötzlich einen für sie völlig untypischen träumerischen Glanz. „Der Typ Mann, von dem du …“
Joulie fiel ihr ungeduldig ins Wort: „Haarfarbe, Augenfarbe?“
„Dunkle Haare und natürlich habe ich ihm nicht aufdringlich in die Augen gestarrt. Er spricht aber sehr gut Deutsch, wenn dir das weiterhilft. Warum willst du das so genau wissen?“ Lotte musterte Joulie neugierig, die gerade etwas konfus wirkte und ihre Frage nicht gehört zu haben schien.
Logan! Logan MacDorchard! Joulie war sich ziemlich sicher, dass an dem Tag kein zweiter sehr großer, beeindruckender Logan mit rauem Akzent in der Wiener Innenstadt unterwegs war.
„Geht es dir nicht gut?“, erklang Lottes mütterlich besorgte Stimme.
„Nein, alles gut, das Essen mit meiner Mutter war nur wie immer etwas hektisch. Sie lässt dich übrigens lieb grüßen.“ Joulie bemühte sich um ein fröhliches Lächeln. „Ich habe jetzt noch einiges zu erledigen. Sag mir bitte sofort Bescheid, wenn unser Direktor oder dieser Logan MacDorchard eintrifft.“
Lotte nickte, warf noch einen letzten, prüfenden Blick auf ihre Vorgesetzte und schloss dann leise die Türe hinter sich.
In Joulies Kopf ging es gerade rund. Sie hatte den neuen Eigentümer des Hotels, ihren Oberboss sozusagen, umgerannt! Unter all den Männern, die um diese Zeit in der Wiener Innenstadt unterwegs waren, knallte sie ausgerechnet mit Logan MacDorchard zusammen. Bei der Erinnerung daran bekam sie stechende Kopfschmerzen.
Kein Abendessen! Unter keinen Umständen! Geschäftliches und Privates wurde in Joulies Leben strikt getrennt und sie konnte nur hoffen, dass MacDorchard das genauso sah. Sonst konnte das furchtbar unangenehm werden!
Aber schade, irgendwie …
„Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich nun gerne meine Assistentin zu der Besprechung holen.“ Georg Weber sah sein Gegenüber aufmerksam an. Die beiden Männer waren sich nicht unsympathisch, doch waren sie gerade dabei, die Grenzen abzustecken. Der ehemalige Besitzer des Hotel Stummerl versuchte für die Hotelangestellten, die für ihn wie eine Familie waren, das Beste herauszuholen und besonders Joulie Berger verdiente eine Chance. Logan MacDorchard erwiderte wortlos seinen Blick, er schien Für und Wider in Gedanken sorgfältig abzuwägen.
„Wir sollten dieses Gespräch unter vier Augen weiterführen“, sagte er schließlich. „Ich halte nichts davon, die zweite und dritte Ebene gleich miteinzubeziehen. Es gehören erste, grundlegende Entscheidungen getroffen, zwischen uns beiden. Wenn der weitere Fahrplan festgelegt ist, die Richtung, in die die anstehenden Änderungen gehen werden, ist noch immer genug Zeit, das mit weiteren Personen zu diskutieren. Wie sagt man so schön: Zu viele Köche verderben den Brei.“
Weber lächelte den Jüngeren nachsichtig an und unterstrich damit seine länger andauernde Berufserfahrung. „Ich verstehe Ihre Bedenken, aber meine Assistentin hat dieses Haus in den letzten Jahren beinahe eigenverantwortlich geführt. Ich war leider oft – krankheitshalber – verhindert und konnte ihr voll und ganz vertrauen. Sie kennt manche Bereiche bereits besser als ich, das muss ich leider gestehen. Und ich wünsche mir sehr, dass sie die Leitung übertragen bekommt, auch wenn dieses Haus in ihre Unternehmensgruppe eingegliedert wird. Und ihr Wissen wäre für ihre Entscheidungen sicher von unschätzbarem Wert.“
Logan wollte etwas sagen, doch der ehemalige Hotelbesitzer sprach unbeirrt weiter. „Joulie Berger ist eine fähige, umsichtige und inzwischen im Hotelfach sehr erfahrene Person, die dieser Aufgabe mehr als gewachsen ist und mich noch nie enttäuscht hat. Ich vertraue ihr voll und ganz. Ich verstehe natürlich, dass Sie die Schlüsselpositionen sehr schnell mit Leuten Ihres Vertrauens besetzen möchten, aber ich bitte in diesem Fall doch etwas zu bedenken: Sie kennt die Stadt, das Haus, die Menschen und deren Besonderheiten. Wir sind nicht Singapur oder Dubai, Wien ist komplett anders. Ich bin überzeugt, nach ein paar Tagen werden Sie meine Meinung teilen.“
Logan saß mit leicht vorgebeugtem Oberkörper da und ergriff nun entschlossen das Wort. Es war an der Zeit klarzustellen, dass der alte Mann nicht mehr allzu viel zu entscheiden hatte. „Ich werde Ihnen nichts versprechen. Und der Vorwurf, dass wir die Führungskräfte sofort austauschen, stimmt so nicht. Leider mussten wir jedoch oft feststellen, dass viele – durchaus fähige Leute – die Aufgaben in einem internationalen, großen Unternehmen unterschätzt haben. Es ist ein Unterschied, ob man ein eigenständiges, kleines Hotel leitet oder die Verantwortung für ein Haus innerhalb einer Unternehmensgruppe wie der MacDorchardGroup übernimmt und an gewisse Vorgaben gebunden ist.“
Er stockte, als die Tür aufging und Lotte ein Tablett mit Kaffee und Wasser hereinbrachte. Als sie wieder verschwunden war, sprach er weiter. „Wenn Sie wirklich darauf bestehen, Frau Berger zu diesem Termin zu holen, werde ich mich nicht dagegenstellen, aber nur um des guten Klimas willen. Die Entscheidung, ob sie die Leitung nach ihrem Rückzug bekommt, werde ich nicht so bald treffen. Ich will Ihnen da nichts vormachen, kann aber zusagen, dass ich Ihrer Assistentin eine faire Chance gebe, wie allen anderen Mitarbeitern auch. Und dem haben Sie bei den Verhandlungen auch ausdrücklich zugestimmt, wir haben von Anfang an klare Worte gefunden und keine Jobgarantien eingeräumt.“
„Ich lasse Frau Berger rufen.“ Weber beendete kurzerhand die Diskussion.
Logan fragte sich ernsthaft, ob der Hoteldirektor etwas mit seiner Assistentin hatte, oder ob es einfach nur Sympathie und wirkliche Überzeugung waren, die ihn so für Joulie Berger kämpfen ließen. Für ersteres hatte er absolut kein Verständnis und das wäre ein Grund für Logan, diese Dame nach Webers Ausscheiden ziemlich schnell aus dem Hotel zu entfernen. Er trennte Privat- und Geschäftsleben entschieden und erwartete das auch von allen Angestellten. Eine Führungskraft, die sich die Karriereleiter hochgevögelt hatte, konnte er absolut nicht gebrauchen. Da war er kompromisslos.
Logan nahm einen Schluck Kaffee und hätte beinahe vor Verzückung die Augen verdreht, der war einfach unglaublich! Köstlich!
Weber beobachtete ihn lächelnd und strich dabei beinahe zärtlich über seinen sorgfältig gestutzten Bart. „Schmeckt der Kaffee?