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Ein liebevoller Kurzroman über freche Engel, süße Bengel und die Wunder der Liebe zur Weihnachtszeit.
Wenn Weihnachtsengel dich unter ihre Fittiche nehmen, kann es eigentlich nur gut werden … außer es handelt sich bei den himmlischen Helfern um Auszubildende, denen es noch etwas an Routine fehlt ...
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Warnung!
Wolkenhof 24/12
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
„Engel, Bengel, Weihnachtswunder“ © Mara Waldhoven
Alle Rechte vorbehalten
***** Mara Waldhoven Kirchwegsiedlung 26
3484 Grafenwörth
***** Deutsche Erstausgabe November 2021 ***** Cover Design: Rebecca Wild, Sturmmöwen
Bildmaterial:
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***** Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form sowie die Übersetzung des Werkes sind vorbehalten und bedürfen der schriftlichen Genehmigung der Autorin. Dies gilt ebenfalls für das Recht der mechanischen, elektronischen und fotografischen Vervielfältigung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Handlung und die handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden bzw. realen Personen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt. Das idyllische Kramptal existiert in der Form auch nur im Kopf der Autorin, auch wenn es im Waldviertel viele wunderschöne Orte gibt, die sie inspiriert haben und mehr als einen Besuch wert sind.
Ich möchte an dieser Stelle eine deutliche Warnung aussprechen: Dieser Roman ist nichts für Weihnachts- und Romantikmuffel. Wenn Sie Weihnachten nicht mindestens genauso lieben wie die Autorin, ist es besser, dieses Buch zur Seite zu legen. Sie könnten bleibende Schäden wie den Glauben an die wahre, unendliche Liebe und die Sucht nach auffälliger Weihnachtsdekoration davontragen. Beim Genuss dieser Geschichte ist der Leser der bildhaften Beschreibung von Weihnachtsschmankerln und Glühwein ausgesetzt. Vorsicht, Sie könnten dadurch einen Zuckerschock erleiden.
Ich würde Ihnen ebenfalls dringend dazu raten, den Kopf eingezogen zu halten, es fliegen Sternschnuppen kreuz und quer auf der Suche nach zu erfüllenden Wünschen. Besondere Vorsicht ist vor den fehlgeleiteten Sternchen in Bodennähe geboten!
Schreckt Sie das alles nicht ab, haben Sie keine Angst vor Weihnachtswundern und versetzt Sie auch der Gedanke nicht in Panik, dass in der Adventzeit Ihre geheimsten Träume und Wünsche wahr werden könnten, dann bitte lesen Sie weiter und haben viel Spaß dabei. Das würde die Autorin sehr freuen!
„Ich bin sooo gespannt, welche Aufgabe auf uns zukommt.“ Selina war schon ganz kribbelig vor Aufregung. Das Engelmädchen mit den langen Haaren, die in einem wunderschönen Kupferton leuchteten, konnte nicht mehr ruhig sitzen. Ihre Füße, die in kuscheligen, roten Pantoffeln steckten, wischten immer wieder über die sternenförmig ausgelegten Planken des altertümlich wirkenden Holzbodens. Vor und zurück und immer schneller. Das verursachte ein scharrendes, zunehmend nervtötendes Geräusch, das dem zweiten Jungengel im Raum nicht gerade dabei half, ruhig zu bleiben. Max hatte im Gegensatz zu Selina seine Anspannung bis jetzt gut verbergen können. Zu Lebzeiten war er ziemlich cool gewesen und das wollte er jetzt nicht ändern. Wo stand geschrieben, dass ein Weihnachtsengel in Ausbildung nicht cool sein durfte?
„Und mir ist kalt“, wisperte es neben ihm. Ein tiefer Seufzer folgte. „Sehr, sehr kalt.“
„Du bist ein Engel, Selina, dir kann gar nicht kalt sein“, stellte Max trocken fest.
„Wer sagt das?“
„Das ist einfach so!“
„Ach!“ Selina knallte ihre glücklicherweise bereits leere Kakaotasse auf das Tischen mit den zierlichen, goldfarbenen Einlegearbeiten, das zwischen ihnen stand, und hüpfte von ihrem Sessel hoch. Sie stellte sich mit in die Hüften gestemmten Armen vor Max hin und blickte streng auf ihn hinunter. Der konnte sich kaum das Grinsen verbeißen. Süß war sie schon, wenn sie den Racheengel spielte.
„Wenn das mit uns beiden etwas werden soll auf Dauer, kannst du dir die besserwisserische Art bitte sparen. Das mag ich gar nicht“, erklärte Selina entschlossen. Dabei schlugen die Flügel auf ihrem Rücken vor Aufregung so wild, dass sie wieder einmal Federn ließ. Die wirbelten durch die Luft und ein paar von ihnen landeten auf Max` Schoß, der sie gleich wegwischte. Ohne Erfolg, immer wieder schwebten sie zu ihm zurück, als würde er sie magnetisch anziehen.
Das war auch so etwas, das ihn an seiner Partnerin oder Gefährtin, wie das so altmodisch hier oben bezeichnet wurde, nervte. Selina hatte ihren Engelsschmuck absolut nicht im Griff. Andauernd verlor sie vor Aufregung Federn und leider war sie sehr oft aufgeregt. Sie weinte auch schnell und unerwartete los, um gleich darauf wieder fröhlich lachend durch die Gegend zu hüpfen. Das fand Max sehr anstrengend. Auf der Erde hatte er diese überemotionalen Frauen immer erfolgreich gemieden und nun war er gerade mit so einem Exemplar verbunden. Dank eines betrunkenen Busfahrers.
„Das muss nix mit uns werden … auf Dauer“, knurrte er, „ich will dich ja nicht heiraten.“
„Musst du aber, also nicht heiraten natürlich, aber wir sind nun mal hier oben durch unseren gemeinsamen Unfall aneinandergebunden. Schicksal, Bestimmung, wie auch immer du es nennen willst. Du wirst mich in dieser Ewigkeit nicht mehr los“, erwiderte Selina schnippisch. „Wir sind Partner, Max, Weihnachtsengel-Partner, und das werden wir auch bleiben.“ Ihrem Gesichtsausdruck nach fand Selina diese Aussicht auch nicht sehr berauschend. Aber es war nun mal nicht zu ändern. Durch einen Verkehrsunfall, der sie zeitgleich in den Himmel befördert hatte, waren sie dazu verurteilt, die Ewigkeit miteinander zu verbringen. Und da das Unglück sich am dritten Weihnachtstag des Vorjahres ereignet hatte, mussten sie dies als Weihnachtsengel tun.
„Und ich dachte, ich bin im Himmel und nicht in der Hölle“, konnte Max sich nicht verbeißen und erntete dafür einen empörten Boxhieb auf seinen Oberarm. Und ein paar Federchen, die vor seinem Gesicht herumtanzten und seine Nase reizten. Er musste nießen.
„Du bist so ein D….“ Selina verstummte gerade noch rechtzeitig. Die Tür hatte sich lautlos geöffnet und Apolonia, die Professorin für integrative Emotionaltendenzen und gleichzeitig ihr Begleitengel in der Eingewöhnungs- und Studienphase, die nun hoffentlich bald offiziell abgeschlossen war, stand im Zimmer.
„Müsst ihr denn immer streiten?“, tadelte die Engeldame, die mit der dunkel umrandeten Brille und dem festen, grauen Haarknoten auf ihrem Hinterkopf sehr streng und unnachgiebig wirkte. „Was soll ich nur mit euch anfangen? Ich musste gestern beim großen Engelskreis förmlich darum betteln, dass ihr diesen Abschlussauftrag bekommt. Die Kollegen finden nicht, dass ihr mit eurem kindischen Benehmen schon so weit seid, eine eigenverantwortliche Aufgabe übernehmen zu können. Und ihr wisst, was das heißt.“
Selina setzte sich brav wieder hin und sah beunruhigt zu ihrem Gefährten hinüber.
Max saß aufrecht und stocksteif neben ihr, er hatte einen gewaltigen Respekt vor der großgewachsenen Professorin mit dem stechenden Blick und dem Wahnsinnsgehör. Nichts schien ihr zu entgehen, immer tauchte sie gerade dann auf, wenn man sie am wenigsten gebrauchen konnte. Und das nahezu lautlos, ohne jede Vorwarnung. Streitereien waren hier oben gar nicht gerne gesehen und sich gegenseitig Schimpfwörter an den Kopf zu werfen, ging schon überhaupt nicht. Und jedes Mal erwischte Apolonia Selina und Max dabei.
Nach einigen Verwarnungen drohte als allerletzte Konsequenz der Studienausschluss. Was dummerweise bedeutete, dass man zurück in die Warteposition musste und irgendein Bürokrat darüber entschied, ob man eine zweite Chance bekam oder in eine andere, weniger angenehme Abteilung versetzt wurde. Und die Beamten im Jenseits ließen sich sehr gerne sehr lange Zeit mit dieser Entscheidung.
„Wir werden uns bemühen“, wisperte Selina und Max nickte eifrig dazu.
Ein sanftes, kaum wahrnehmbares Lächeln erschien auf Apolonias Lippen. Sie tat zwar gerne streng, aber die beiden Frischlinge oder Jungvögel – wie die Auszubildenden mit einem liebevollen Augenzwinkern von ihren Lehrern und Begleitern genannt wurden - hatten sich trotz oder gerade wegen ihrer vorlauten Art sehr schnell in das Herz des erfahrenen Weihnachtsengels geschlichen. Apolonia war überzeugt davon, dass die beiden ihre Abschlussaufgabe gut meistern würden. Und so schwer war sie ja auch nicht.
„Nun, dann will ich euch mal nicht länger auf die Folter spannen und erzählen, worum es geht.“ Sie ließ sich auf den freien Sessel vor dem Kamin nieder und genoss einen kurzen Moment lang das wärmende Feuer in ihrem Rücken, bevor sie endlich das Geheimnis lüftete.
„Flooora!“ Die durchdringende Stimme der Schlösslherrin Paula Schneidheer hallte durch das Stiegenhaus bis hinauf in die Turm-Suite, die das gesamte oberste Stockwerk einnahm. Ihre Nichte und zugleich rechte Hand bei der Leitung des kleinen, aber sehr feinen Hotels war gerade damit beschäftigt, ein letztes Mal die gemütlich eingerichteten Räume, die auf den wichtigsten Gast des Jahres warteten, zu kontrollieren. Dr. Dogmann besuchte seit mehreren Jahren regelmäßig zu Beginn der Adventzeit das Romantikhotel Krampnerschlössl und es war ein offenes Geheimnis, dass die trotz des Hotelnamens eher unromantisch veranlagte Paula eine kleine Schwäche für den eleganten Wiener Witwer entwickelt hatte.
Flora strich mit den Fingerspitzen nochmals über die seidenmatt glänzende Bettdecke und warf einen letzten, prüfenden Rundumblick in den Raum. Alles war so, wie es sein sollte. Das Feuerholz im Kamin war schön aufgestapelt und der übliche Willkommensgruß in Form von kleinen, selbstgebackenen Waldviertler Schmankerln und einem guten regionalen Weißwein wartete auf den Stammgast.
„Flooora, der Fabi ist da!“, tönte wieder die Stimme ihrer Tante herauf. Diesmal noch lauter und ungeduldiger. Fabian, kurz Fabi genannt, war Floras zehnjähriger Sohn, der jeden Donnerstag ungefähr um diese Uhrzeit aus dem Fußballtraining kam und hoffte, in der Hotelküche etwas Essbares abstauben zu können. Die Köchin Mirabell, Floras beste Freundin, war eine richtige Künstlerin am Herd und hätte in jeder Sterneküche anheuern können. Aber sie fühlte sich im Schlössl wohl und dachte gar nicht daran wegzugehen, auch wenn sie immer wieder ernst gemeinte Angebote bekam. Sie war eine treue Seele, der die Arbeit hier großen Spaß machte.
„Ich komme!“, rief Flora, schloss die Tür hinter sich und lief die Treppen hinunter. Natürlich gab es einen Lift, aber den benutzte die junge Frau nicht gerne. Das tägliche Stufensteigen gehörte zu ihrem Fitnessprogramm, wenn die Arbeit nichts anderes zuließ.
„Flora, zefix jetzt!“
Flora flog förmlich die Stiegen hinunter und als sie endlich ihrem Sohn gegenüberstand, wusste sie, warum Tante Paula so aufgeregt geklungen hatte.
Seine linke Wange und sein Kinn waren zerkratzt und blutig und er hielt sich mit leidendem Gesicht den Arm. Die Trainingshose war verdreckt und eingerissen und das linke Knie aufgeschlagen. Der Anorak wies ebenfalls einige schmutzige Stellen auf, schien aber sonst in Ordnung zu sein. Vermutlich hatte der dicke Stoff Schlimmeres verhindert.
„Ist das beim Training passiert? Wieso hat mich keiner angerufen, ich hätte dich holen können! Die dürfen dich doch nicht so mit dem Fahrrad nachhause schicken“, regte sich Flora auf und nahm ihren Buben vorsichtig in die Arme. Der ließ sich das sogar gefallen, obwohl er vor ein paar Wochen beschlossen hatte, ab sofort zu cool zum Knuddeln zu sein.
Fabi kam ein leiser Schluchzer aus und er ließ sich mit hängendem Kopf in das Direktionsbüro hinter der Rezeption führen.
„Ich bin am Heimweg mit dem Rad gestürzt. Hab mich erschreckt, weil da so ein Depp auf meiner Seite um die Kurve geschossen ist, und da bin ich in den Graben gefahren. Die Lenkstange ist verbogen und die Kette rausgesprungen und ich musste es die ganze Strecke schieben“, jammerte er.
„Du meine Güte!“, seufzte Mirabell kopfschüttelnd, während sie vorsichtig Dreck und Blut von seinem Gesicht tupfte, das im sauberen Zustand dann glücklicherweise gar nicht mehr so wild aussah. „Das war sicher der Bub von den Drauners, der ist eine Gefahr für uns alle, wenn er im Auto sitzt. Dem gehört der Führerschein abgenommen, bevor noch mehr passiert!“ Die Köchin hatte ihr Urteil gefällt. Es konnte nur Adi Drauner gewesen sein, der verhaltensauffällige, jüngste Spross vom Autohändler, ein nach Strich und Faden von den Eltern verwöhnter Nachzügler. Er saß sozusagen an der Quelle und nutzt das auch schamlos aus.
Flora ging vor ihrem Sohn in die Hocke. „Weißt du, wer es war? Ist er wenigstens stehengeblieben und hat dir geholfen?“ Natürlich wusste sie die Antwort auf diese naive Frage, wäre der oder die Fahrer*in stehengeblieben, hätte Fabi wohl in diesem Zustand sein Fahrrad nicht allein ins Hotel schieben müssen.
Der Bub zog lautstark die Rotzglocke auf und versuchte mit Hilfe seiner Mutter den Anorak auszuziehen. Was aber mit dem schmerzenden Arm gar nicht so einfach war.
„Nein, das war so ein dunkler Sportwagen, so eine flache Flunder. Ich bin ziemlich sicher, dass das der Typ vom Berg war, der fährt so einen. Ich hab ihn schon öfters damit gesehen. Ein voll geiler Wagen, das war sicher der! Und ich schwör, ich hab das Licht am Rad schon angehabt, weils ein bisserl diesig war. Ich kann echt nix dafür!“
„Und er hat nicht bemerkt, dass du im Graben gelandet bist?“, fragte Mirabell. „Sicher, dass es nicht doch der Adi war?“ Sie wollte nicht glauben, dass es noch einen zweiten Straßenrowdy in dem beschaulichen Tal gab. Aber es stimmte schon, dass die schwarz glänzende Angeberkarre des unbeliebten Neuzugangs schon öfters unangenehm aufgefallen war. Der Wagen fuhr immer nur durch das Dorf durch, laut und gefühlsmäßig viel zu schnell und ohne einen Zwischenstopp in einem der kleinen Geschäfte oder Lokale zu machen. Seit wenigen Wochen lebte der Mann, dessen Gesicht hinter den getönten Scheiben nicht zu erkennen war, zurückgezogen im Kramptal am höchsten Hügel der Gegend und mied den Kontakt mit den Einheimischen wie der Teufel das Weihwasser. Was natürlich Nährboden für die wildesten Gerüchte bot. Einzig der Bürgermeister hatte ihn schon mal persönlich getroffen, erzählte aber nichts Genaueres über ihn. Nicht einmal den Namen wollte er preisgeben, weil der feine Herr angeblich seine Ruhe haben wollte! Was sehr, sehr verdächtig war, denn einer, der nichts verbrochen hatte, musste sich doch nicht verstecken!
„Nein, das war nicht der Adi. Der Wagen ist mir entgegengekommen, sehr schnell, und es hat auch so komisch geblendet. Da hab ich verrissen und war schon im Graben.“
„Es hat geblendet?“ Flora sah prüfend beim Fenster hinaus. Ihr zeigte sich ein für diese Jahreszeit üblicher trüber Tag mit hochnebelartigen Wolken. „Die Autoscheinwerfer?“
Fabi schüttelte den Kopf. „Nein, eher so komische, bunte Sternschnuppen und Blitze.“
Die drei besorgten Frauen warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Gehirnerschütterung und Schock. Eindeutig. Der Bub redete wirres Zeug.
„Wir fahren ins Spital, vielleicht ist der Arm ja gebrochen“, entschied Flora und in Gedanken nahm sie sich ganz fest vor: „Und dann besuche ich diesen feinen Herrn vom Berg und trete ihm ordentlich in den werten Hintern.“
Sie war auf 180! Ein Kind in den Graben zu drängen und dann einfach zu flüchten, musste Konsequenzen haben! Dem würde sie die Hölle heiß machen!
Vor der Hölle hatten Selina und Max auch gerade ziemlich Angst, auch wenn es die gar nicht so gab, wie sie unter den Menschen immer wieder gern beschrieben wurde. In Wahrheit handelte es sich dabei um ein labyrinthähnliches Archiv im hintersten Wolkenwinkel. Es war staubig und düster und die Arbeiten, die zu verrichten waren, die langweiligsten im gesamten Dies- und Jenseits. Wer dorthin versetzt wurde, war wirklich nicht zu beneiden. Eine Ewigkeit unter staubigen, alten Akten, die katalogisiert und immer wieder neu geschlichtet werden mussten, und das ganz ohne technische Hilfsmittel … schlimmer konnte es nicht kommen!
Die beiden Frischlinge hatten gleich mal den Anfang ihrer Prüfaufgabe verbockt. Es hatte eigentlich sehr einfach geklungen: Flora und Frederic verkuppeln. Zwei von der Liebe und vom Leben enttäuschte Menschen, die füreinander bestimmt waren, sich aber ohne fremde Hilfe niemals begegnen würden. Zwar lebten sie seit kurzer Zeit im gleichen Tal, aber ihre Wege kreuzten sich nicht. Wenn nicht höhere Mächte mitmischten, würde das nichts werden.
Besonders Frederic war ein schwieriger Fall. Er hatte sich für eine länger andauernde, vorweihnachtliche Auszeit aus dem gutgehenden Familienunternehmen zurückgezogen und war in sein neu erworbenes und modernisiertes Wochenendhaus geflüchtet. Hier, in dieser stillen Ecke des Waldviertels, wollte er endlich versuchen, ohne familiäre und freundschaftliche, gutgemeinte Zurufe mit der Vergangenheit abzuschließen. Es tat immer noch weh, an seine verstorbene Frau zu denken und die Schuldgefühle quälten ihn nach wie vor Tag für Tag und Nacht für Nacht. Und der unbeschreibliche Schmerz, sein Kind niemals in den Armen gehalten zu haben. Ein Kind, von dem er nicht einmal wusste, ob es eine Tochter oder ein Sohn geworden wäre.
Apolonia hatte gefunden, dass dieser Auftrag - für erfahrene Weihnachtsengel reine Routine - genau der richtige für die beiden Streithähne Selina und Max war, um als Team besser zusammenzuwachsen und so in Zukunft ihre Aufgaben gut erfüllen zu können.
„Wieso, hast du den Jungen so heftig in den Straßengraben gestoßen? Ein kleiner Schubs hätte doch gereicht“, schimpfte Max, „und dann blendest du Frederic auch noch! Was da hätte passieren können!“ Er konnte es noch immer nicht fassen, dass es dermaßen schiefgelaufen war. Sie wollten Fabi leicht zu Sturz bringen, sodass er vom vorbeifahrenden Frederic gefunden und zu seiner Mutter gebracht werden konnte. Denkste! Der arme Bub war dank Selina kopfüber im Graben gelandet, hatte sein Rad geschrottet und Verletzungen davongetragen. Frederic hatte ihn aufgrund der dämlichen Blendaktion nicht gesehen und war flott an der Unfallstelle vorbeigerauscht.
Selina trug Max‘ Meinung nach die alleinige Schuld an dem Desaster. Frauen! Immer verloren sie gleich die Nerven und drehten durch. „Was sollte überhaupt dieser Lichterregen? Die Blitze und Sterne sind ja sogar aus deinem Hintern geschossen!“
„Dann mach es das nächste Mal selbst“, biss Selina ihn an. Sie drehte den Kopf weg, weil sie nicht wollte, dass er die Tränen in ihren Augen sehen konnte. Es war ihr furchtbar peinlich, dass das Leuchtfeuer so übertrieben aus allen möglichen Körperöffnungen gekommen war. Sie konnte mit den himmlischen Kräften einfach noch nicht richtig umgehen.
„Ja, wäre wohl besser, wenn ich in Zukunft allein arbeite. Nur leider müssen wir das gemeinsam durchziehen, wenn wir die beiden Süßen nicht verkuppeln, geht’s mit uns vielleicht ab ins Archiv. Und ich habe überhaupt keine Lust darauf, für alle Ewigkeit verstaubte Akten herumzuschieben. Nur weil du so patschert bist“, knurrte Max und brachte Selina damit endgültig zum Weinen. Sie saß wie ein Häufchen Elend auf einem liegenden Baum und ließ vor Aufregung wieder Federn. Etwas hilflos beobachtete er, wie ihre Schultern zuckten und plötzlich, ohne es zu wollen, setzte er sich und legte den Arm um sie.
„Wir machen das schon“, brummte er und brachte Selina dazu, noch lauter zu schluchzen. „Jetzt hör halt auf, du Heulsuse, deine Jammerei macht mich ganz nervös.“
Sein Schimpfen klang liebevoller als beabsichtigt.
„Es tut mir leid, ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist. Ich wollte es gut machen und war wohl etwas zu heftig“, nuschelte Selina und Max lachte leise. „Ja, ein bisschen. Und dein leuchtender Engelspfurz war auch nicht von schlechten Eltern.“
Selina musste unter Tränen kichern. „Engelspfurz, wie das klingt, lass das mal lieber nicht Apolonia hören.“
Max holte sie enger an sich heran. „Der arme Fabi stürzte kopfüber in den Straßengraben. Glücklicherweise hat er sich nichts Schlimmes getan.