Von jetzt an nur du - Mara Waldhoven - E-Book

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Mara Waldhoven

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Beschreibung

Elena berührte etwas in ihm, das für andere Frauen unerreichbar war. In ihrer Nähe spürte er, dass sein Herz nicht nur für die Musik schlug.

Die Bestsellerautorin Elena Rosensteeg ist entsetzt, als ihr der Verlag einen vollkommen verrückt erscheinenden Plan unterbreitet. Sie soll mit Mike Morrest, dem ehemaligen Frontman einer erfolgreichen amerikanischen Band eine Affäre vortäuschen, um den Start seiner Solokarriere in Europa zu erleichtern. Mikes Manager hofft, dass der gute Ruf der Schriftstellerin und alleinerziehenden Mutter das angekratzte Image seines heißblütigen Schützlings etwas aufpoliert. Partys, Alkohol und Frauen scheinen den Singer-Songwriter mehr zu interessieren als sein neues Album.
Für Elena ist dieser Plan jedoch vollkommen inakzeptabel, denn Mike war ihre erste große Liebe. Er hat sie vor langer Zeit ohne ein Wort des Abschieds verlassen, um in Amerika seinen Traum von einer Karriere als Musiker zu verwirklichen. Sie will ihn auf keinen Fall wiedersehen und sich schon gar nicht mit ihm in der Öffentlichkeit zeigen. Mike sieht die Sache naturgemäß anders. Der Womanizer mit der sexy Stimme versucht dort anzuknüpfen, wo sie vor zwölf Jahren endeten ... und muss bald erkennen, dass Elena nicht mehr das naive, süße Mädchen ist, das sich so leicht um den Finger wickeln lässt.


Eine intensive und turbulente Liebesgeschichte mit erotischen Szenen.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Mara Waldhoven

Von jetzt an nur du

Inhaltsverzeichnis

IMPRESSUM

Zwölf Jahre davor …

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Epilog

Danke,

Über die Autorin

Leseprobe: Hexenküsse schmecken besser

Leseprobe: Kein braves Mädchen

IMPRESSUM

„Von jetzt an nur du“ © Mara Waldhoven

Alle Rechte vorbehalten

[email protected]

***** Mara Waldhoven

Kirchwegsiedlung 26

3484 Grafenwörth

Deutsche Erstausgabe: Juni 2017 mit gleichem Titel

Korrektorat, Lektorat: Brigitte Düll

Überarbeitete Neuveröffentlichung Februar 2021

***** Cover Design: Rebecca Wild, sturmmöwen.at

Bildmaterial:

50556395 (depositphotos)

20590403 (depositphotos)

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1552511609 (shutterstock) ***** Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form sowie die Übersetzung des Werkes sind vorbehalten und bedürfen der schriftlichen Genehmigung der Autorin. Dies gilt ebenfalls für das Recht der mechanischen, elektronischen und fotografischen Vervielfältigung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Dies gilt für beide Ausgaben.

Die Handlung und die handelnden Personen, sowie deren Namen, sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden bzw. realen Personen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt. Ebenso ist der Hauptort der Handlung, das beschauliche Dörfchen Mottenschlag samt Einwohner, nur ein Phantasiegebilde der Autorin.

„Wenn Liebe einmal gekeimt hat, treibt sie Wurzeln, die nicht mehr aufhören zu wachsen.“ (Antoine de Saint-Exupéry)

Zwölf Jahre davor …

Lena hatte langsam genug von der Party. Ihr dröhnte der Schädel von der viel zu lauten hämmernden Musik, die von den nackten Steinwänden des alten Gebäudes widerhallte und die mit Alkohol und Schweiß getränkte Luft trieb ihr Tränen in die brennenden Augen. Noch dazu musste sie die letzten zwei Stunden hauptsächlich damit zubringen, die lästigen und mehr als plumpen Annäherungsversuche des betrunkenen Stürmers der örtlichen Fußballmannschaft abzuwehren. Nik hatte drei Tore geschossen, sein Selbstbewusstsein war daher bis ins unerträgliche aufgebläht und er war sich sicher, bei Lena den vierten Treffer des Tages zu landen. Die hatte aber nicht vor, ihr Tor in dieser Nacht noch aufzugeben und flüchtete in einem unbeachteten Moment nach draußen. Ihre Freundinnen schienen schon seit einer Weile wie vom Erdboden verschluckt und sie beschloss, sich allein auf den kurzen Heimweg zu machen.

Vor dem Haus erwartete sie eine drückend schwüle Sommernacht und das unregelmäßige, helle Aufblitzen am Horizont deutete auf ein nahendes Gewitter hin. Es roch nach Regen und kein Lüftchen regte sich. Die Blätter hingen schwer von den Bäumen und außer dem fernen Grollen des Himmels hüllte sich die Natur in abwartendes Schweigen.

Da fiel ihr Blick auf Mike, er hockte mit seiner Gitarre auf den Schenkeln auf einem Mauervorsprung und starrte selbstvergessen in die Dunkelheit. Der hatte ihr gerade noch gefehlt! Ein Angeber und Träumer, der von sich glaubte, mit seiner – zugegeben – außergewöhnlichen Stimme und der Gitarre alle Mädels rumzukriegen. Er ließ nichts anbrennen, aber das schien die meisten Mädchen unverständlicherweise nicht zu stören. Wenn er einen Raum betrat, begannen sie wie auf Kommando zu kichern, verheißungsvoll mit den Augen zu klimpern und die Röcke rutschten auf wundersame Weise etwas höher und die Ausschnitte tiefer.

Er sah aber auch wirklich gut aus, mit seinen herausfordernd funkelnden graublauen Augen und den immer leicht zerzaust wirkenden hellbraunen Haaren, die dazu einluden, mit den Fingern darin zu wühlen. Und er hatte einen Blick, der ein Mädchenherz wie mit einem Lasso einfangen konnte. Lena behauptete voller Stolz, dagegen vollkommen immun zu sein!

Sie versuchte, leise am knirschenden Kiesweg hinter ihm vorbeizugehen, sie wollte einfach nur schnell nach Hause, ohne von ihm angequatscht zu werden. Für heute hatte sie wirklich genug an männlicher, testosterongesteuerter Aufdringlichkeit.

„Du gehst schon, keinen Spaß mehr auf der Party?“

Er hatte sie dummerweise entdeckt und sah ihr neugierig nach. Lena stöhnte innerlich auf und blieb unwillig stehen. Vielleicht sollte sie einfach weitergehen und so tun, als ob sie ihn nicht gehört hätte. Sie spürte seinen bohrenden Blick in ihrem Rücken und drehte sich dann doch langsam zu ihm um.

„Hab genug für heute“, erklärte sie knapp und möglichst unfreundlich. Er sollte bloß nicht glauben, dass sie irgendein Interesse an ihm hatte!

Ohne sie aus den Augen zu lassen, stellte er seine Gitarre ab.

„Setz dich zu mir, es ist angenehm hier draußen.“ Er streckte Lena, unbeeindruckt von ihrer schlechten Laune, die Hand entgegen, um ihr auf das Mäuerchen zu helfen.

Was genau hatte er an „hab genug“ nicht verstanden?

Sie kam trotzdem langsam näher, ignorierte jedoch seine Hand und setzte sich mit einem ordentlichen Sicherheitsabstand neben ihn. Er zog angesichts ihres abweisenden Verhaltens belustigt seine Augenbrauen in die Höhe und legte leise seufzend den Kopf in den Nacken. Eine Weile war es still zwischen ihnen.

„Und es gibt hier keine besoffenen Fußballspieler“, murmelte er dann plötzlich in die Dunkelheit.

Sie warf ihm einen erstaunten Blick zu. Es wunderte sie, dass ihm ihr Ärger mit dem aufdringlichen Nik überhaupt aufgefallen war. Wo er doch den ganzen Abend über von einer Traube kichernder Mädels umgeben war, die ihm wie ein Mückenschwarm überallhin folgten.

„War ja nicht zu übersehen, dass er dich nervt“, brummte Mike und blinzelte sie von der Seite her verschwörerisch an.

„War das so offensichtlich?“ Lena musste gegen ihren Willen lächeln.

„Alle haben es mitbekommen, nur er selbst nicht.“ Mike lachte leise, es war ein unglaubliches Lachen, tief und samtig. Ein Lachen, das ihr ein heftiges Kribbeln durch den Körper jagte, bis in die Zehenspitzen. Lena atmete ein bisschen schneller und hatte Mühe, weiterhin so unbeeindruckt wie nur möglich zu wirken.

„Ein Gewitter kommt, ich mag das“, sagte er und deutete in die Ferne. „Da könnte ich stundenlang sitzen und zusehen, wie es rundherum blitzt und donnert.“

Sie blickte ihn angenehm überrascht an und nickte zustimmend.

„Ich mag diese Stimmung auch, besonders diese feuchte Stille.“

Am liebsten hätte sie diese Worte sofort wieder zurückgenommen, feuchte Stille! Was redete sie bloß!

Er grinste und stupste sie spielerisch in die Seite. „Du bist ja richtig poetisch. Könnte ich aber auch zweideutig auffassen.“

Elena beobachtete konzentriert das grelle Aufblitzen in der Ferne.

„Da hast du wohl etwas zu viel Phantasie, wenn du das zweideutig findest“, murmelte sie dann betont gelangweilt.

„Ich muss doch meinem schlechten Ruf gerecht werden“, sagte er heiter, schnappte sich seine Gitarre und begann scheinbar planlos an den Saiten zu zupfen.

„Ich bin ein böser Junge, immer auf der Jagd, breche Mädchenherzen, weil ich das so mag“, sang er und ließ sie dabei nicht aus den Augen. Was sie nicht sehen, aber intensiver als ihr lieb war fühlen konnte. Dann stellte er die Gitarre wieder ab und sah sie ohne jeden Spott an.

„Und wie ist es mit deinem Herzen?“, fragte er und seine Stimme ähnelte dem lässigen Schnurren eines zufriedenen Katers.

Lena spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg.

„Hat dir schon einmal jemand das Herz gebrochen, Elena?“

Zum ersten Mal seit dem Tod ihrer Eltern nannte sie jemand bei ihrem vollen Namen. Mit einer Stimme, die so erregend besonders war, dass ein zarter Schauer beginnend vom Haaransatz über ihren Rücken abwärts rieselte und eine wärmende Spur auf ihrer Haut hinterließ. Es fühlte sich gut an … als erwachte der Teil von ihr, der damals mit ihren Eltern gestorben war, endlich wieder zum Leben.

Sie löste ihren Blick vom Horizont und sah ihn an. Langsam schüttelte sie ihren Kopf. Seine Augen hingen an ihren Lippen und einen Moment lang schien es, als wollte er sich vorbeugen, um sie zu küssen. Er hielt jedoch inne und strich ihr bloß eine Locke aus der Stirn.

„Dann ist es ja gut“, murmelte er und sprang lässig von der Mauer.

„Ich gehe jetzt besser wieder hinein, ich glaube, da erwartet noch jemand ein Geburtstagsständchen von mir.“

Er ließ Elena mit aufgeregt klopfendem Herzen zurück. Sie schwor sich, ihm in Zukunft noch entschlossener aus dem Weg zu gehen.

*** ***

Kapitel 1

„Ihr seid ja verrückt, ich werde dieses Theater sicher nicht mitmachen!“

Mike stellte das mit dreißig Jahre altem Scotch Whisky gefüllte Glas etwas zu heftig auf den Tisch. Der Krach ließ die beiden anderen Anwesenden im Raum kurz zusammenzucken. Er beobachtete mit zusammengekniffenen Augen wie die unruhig umherschwappende, karamellfarbene Flüssigkeit langsam wieder zur Ruhe kam und warf dann einen ärgerlichen Blick auf seinen Bruder und zugleich Manager. Der fiel ihm gemeinsam mit seiner Frau Laura nun schon den ganzen Abend gehörig auf die Nerven. Mike sah zwar ein, dass sie mit der soeben geäußerten Kritik recht hatten, aber das, was die beiden ihm nun vorschlugen, war wirklich zu dämlich, um es ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

In letzter Zeit stand der Singer-Songwriter ein bisschen neben sich. Zugegeben, ein bisschen weit neben sich. Seit er vor zwei Jahren die Band verlassen hatte, um seine eigenen Wege zu gehen, lief alles nicht mehr so rund. Die Fans konnten ihm nur schwer verzeihen, dass er den erfolgreichen HotDipers so undankbar den Rücken gekehrt hatte, und deshalb war auch der Verkauf seiner ersten Solosingle äußerst schleppend angelaufen. Aus Frust darüber hatte er einige Male gewaltig über den Durst getrunken und dabei war ihm leider einmal dieser lästige Reporter mit seinen dummen Fragen in die Quere gekommen. Sie hatten sich geprügelt und das blaue Auge des Journalisten sorgte für keine guten Schlagzeilen. Glücklicherweise hatte sein Bruder schlimmere Konsequenzen verhindern können.

Das Bild in den Zeitungen von dem halbnackten Mädchen, das er aus seinem Hotelzimmer geworfen hatte, weil sie ihm furchtbar auf den Geist gegangen war, trug auch nicht gerade zur steigenden Beliebtheit bei.

Und dann hatte ihn noch als Draufgabe diese hartnäckige Kehlkopfentzündung heimgesucht. Wäre Mike ein gläubiger Mensch, hätte er das sicher als Strafe Gottes für seine begangenen Verfehlungen angesehen. Aber so sah er die Krankheit nur als ein äußerst lästiges Ärgernis an, das seine Stimme für einen längeren Zeitraum komplett lahmgelegt hatte.

Ein bekannter Footballspieler hatte sich in einer Bar deswegen über ihn lustig gemacht und die darauffolgende Schlägerei, bei der er – natürlich – den Kürzeren gezogen hatte, endete für Mike mit einem Krankenhausaufenthalt. Er war so besoffen gewesen, dass er sich allen Ernstes mit hundertdreißig Kilogramm Muskelmasse angelegt hatte. Seine Nase war seitdem ein bisschen schief, was den Gesichtszügen des Musikers etwas mehr Spannung verlieh. Laut einer seiner zahlreichen Bettgenossinnen, die ihm das Nichtstun der letzten Monate versüßten, wirkte er nun erst so richtig sexy!

Das mit der Stimme passierte vielen Sängern, es stellte sich immer nur die Frage, wie damit umgehen? Mike Morrest hatte es falsch angepackt. Keine neuen Songs, nur mehr schlechte Schlagzeilen, das wurde mit der Zeit langweilig. Und auch sein langjähriger Freund Brandon, ein wahrhaft göttlicher Gitarrenspieler, der Mikes Solosingle mit ihm gemeinsam aufgenommen und seine Eskapaden mit bewundernswerter Ruhe hingenommen hatte, wurde langsam ungeduldig. Brandon war eine Auszeit wegen der Geburt seiner Drillinge zwar ganz recht gewesen, aber nun war der bärtige Gitarrist, der etwas Wikingerhaftes an sich hatte, wieder mehr als bereit für die schon seit längerem geplanten, gemeinsamen Projekte.

„Mike, versteh doch, wir haben jetzt lange genug gewartet. Vergiss die kreischenden Mädels, die alles cool finden was du tust und jedes Lied kaufen, egal wie es klingt, nur um dein Gesicht auf dem Cover zu sehen. Es ist an der Zeit wieder hart zu arbeiten und endlich diese besondere Musik zu machen, weswegen du die Band verlassen hast. Deine Fans sind erwachsen geworden und möchten wirklich gute Songs hören und“, seine Schwägerin Laura zwinkerte ihm verschwörerisch zu, „natürlich hätten viele deiner weiblichen Anhänger nichts gegen ein kleines Abenteuer einzuwenden. Aber alles mit Maß und Ziel, du hast da vielleicht in den letzten Jahren etwas übertrieben.“ Laura versuchte es höflich auszudrücken.

Dafür erntete sie einen zustimmenden Blick ihres Mannes Peter, der mit seiner etwas bieder wirkenden Frisur und der strengen, dunkel umrahmten Brille das genaue Gegenteil seines um fünf Jahre jüngeren, draufgängerischen Bruders war.

Mike hatte hellbraunes, lässig zerzaustes Haar, das meist so wirkte, als wäre er gerade aus dem Bett gekrochen, blaugraue Augen, in deren Ecken immer ein spöttisches Funkeln lauerte und eine Stimme mit leicht angekratzter Tiefenwärme, die vielen Frauen einen wohligen Schauer über den Rücken rieseln ließ. Ein paar Falten hatten sich als Zeichen der kräfteraubenden, intensiv gelebten Jahre um die Augen gesetzt und ließen ihn an einem schlechten Morgen eine Spur älter als dreiunddreißig aussehen. Der entschlossene Zug um den Mund zeigte, dass er meist bekam, was er wollte. Aber genau das wirkte, gemeinsam mit den sinnlich geschwungenen Lippen, auf viele Frauen einfach unwiderstehlich.

„Wir sollten endlich die Lieder aufnehmen, die du letzten Sommer geschrieben hast“, schlug Peter mutig vor. Wie erwartet schüttelte Mike sofort seinen Kopf.

„Die sind furchtbar schlecht, die taugen gar nichts.“

„Nein, die sind gut. Brandon meint das auch.“

„Ist mir egal, was Brandon meint, mich überzeugen sie nicht.“

Mike nahm nun doch einen Schluck und legte gleich darauf den Kopf leise stöhnend in den Nacken, diese Diskussion bereitete ihm ziehende Kopfschmerzen, aber er wusste, sie hatten recht. Und er wusste auch, dass diese Lieder sensationell werden konnten, das Richtige für das geplante Album. Aber Mikes Selbstsicherheit hatte einen Knacks abgekommen, auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte. Die Unbekümmertheit und sein – wie böse Zungen behaupteten –übersteigertes Selbstbewusstsein waren ihm etwas abhandengekommen.

Über ein Jahr keine Auftritte, und nun hockten sie um ihn herum und verlangten eine Entscheidung.

Er hasste es, unter Druck gesetzt zu werden!

„Wir versuchen es einfach, und mach dir bloß keine Sorgen wegen der Stimme, die Fans werden sie lieben. Sie ist zwar ein bisschen kratziger als früher, aber dadurch sehr besonders.“ Peter versuchte ein aufmunterndes Lächeln, das ihm jedoch sichtlich schwerfiel.

Laura nickte zustimmend. „Wir Frauen stehen auf diesen rotzigen Unterton, das ist sexy.“

Sie gab Mike einen Kuss auf die stoppelige Wange. „Und rasier dich endlich wieder mal, du siehst ja bald aus wie Brandon“, mahnte sie mit einem gespielt strengen Blick.

Sie hatte recht, wie meistens. Mike strich sich frustriert mit der Hand über das vernachlässigte, raue Kinn.

„Okay, aber was soll ich bitte mit Elena?“, seufzte er und kehrte damit wieder zum Kern dieses nervigen Gespräches zurück.

Elena! Man hätte sie als seine Jugendliebe bezeichnen können, würde Mike nicht auf alles, was ihn in Verbindung mit tieferen Gefühlen brachte, ziemlich gereizt reagieren. Er hatte Elena zwar sehr gemocht, aber so gerne, dass er wegen ihr auf seinen großen Traum verzichtet hatte, auch wieder nicht. So war er damals einfach ohne ein Wort des Abschieds gegangen, um die Sache nicht komplizierter als notwendig zu gestalten. Gemeinsam mit seinem Bruder war er hinaus in die weite Welt zu Geld und Ruhm gezogen und zu Frauen, die nach den Konzerten unverbindlich für seine Entspannung sorgten und nicht gleich auszuckten, wenn er mal einer anderen zu lange auf den Hintern guckte.

„Es wäre nicht schlecht den Schwerpunkt auf Europa zu legen, der Markt ist da noch nicht so übersättigt wie in Amerika und – was ein großer Vorteil ist – du bist in Österreich geboren. Das bringt dir sicher genug Sympathie und erleichtert dir den Start. Du stellst deine Songs erst mal in Österreich und Deutschland vor, vielleicht Schweiz, England wäre wichtig …“

„Ich weiß, welche Länder es in Europa gibt“, unterbrach Mike seine Schwägerin ungeduldig. Die ließ sich jedoch von seiner miesen Laune nicht aus dem Konzept bringen.

„… und wir haben währenddessen genug Zeit dein Album fertigzustellen, um es noch vor Weihnachten auf den Markt zu bringen. Du wirst – vielleicht gemeinsam mit Brandon – die Single und zwei von den Songs, die seit Sommer bei dir herumliegen, vor ausgewählten Musikjournalisten präsentieren und ihnen den Mund auf mehr wässrig machen.“

Sie sah ihn mit leuchtenden Augen enthusiastisch an. Normalerweise wirkte Lauras enorme Begeisterungsfähigkeit mitreißend auf Mike, heute aber fand er sie nur unerträglich lästig.

Er stöhnte genervt und klopfte mit den Fingern ungeduldig auf die Tischplatte.

„Ja, schon gut, ich habs kapiert. Aber das war nicht meine Frage. Warum brauche ich Elena dazu?“

„Ein bisschen Herzschmerz zieht immer. Eine vergangene, wiederauflebende leidenschaftliche Affäre, du zeigst dich mit ihr in der Öffentlichkeit und stehst in den Klatschspalten. Aber du weißt ja, wie das abläuft“, erklärte Laura eifrig.

Mike schnaubte missmutig, so eine Schnapsidee! Er wollte in Ruhe an seinen Liedern arbeiten und nicht mit einer Frau herumziehen müssen, die vermutlich nicht mal mehr annähernd so reizvoll war, wie das Mädchen in seiner Erinnerung. Er wollte nicht zurück ins Rampenlicht, um alle Welt wieder an seinem Leben teilhaben zu lassen. Die Zeit, als er mit der Band herumgereist war, lag ihm immer noch etwas im Magen.

Er hatte in diesen Jahren mehr erlebt als andere in fünf Jahrzehnten, viel zu wenig geschlafen und leider zu oft nicht gewusst, wann er genug getankt hatte. Er hatte reihenweise und ohne Skrupel Herzen gebrochen und war deswegen sogar einmal mit dem Tod bedroht worden. Journalisten und irre Fans hatten sich an seine Fersen geheftet, waren aus Büschen hervorgesprungen und aus stinkenden Mistkübeln gekrochen, um ihm nahe zu sein. Und diese ekeligen gebrauchten Unterhöschen, die sie ihm auf die Bühne geschmissen hatten ... Warum, um alles in der Welt, dachten Frauen, dass er das geil fand?

Zugegeben, die erste Zeit hatte er es genossen, er hatte viel verdient und konnte genau das Leben führen, das er sich immer erträumt hatte. Doch dann entschied er sich aufgrund „schöpferischer Differenzen“ die Gruppe zu verlassen. Und nach dem Erscheinen seiner ersten Solosingle, deren Verkauf sich zog wie Kaugummi, wurde ihm plötzlich alles zu viel. Er weigerte sich jedoch beharrlich, das vielverwendete Wort Burnout in den Mund zu nehmen. Obwohl das aus Marketinggründen besser gewesen wäre, wie Peter immer wieder betonte. Nein, Mike sah es realistisch: Schuld waren Alkohol, Schlägereien und, vermutlich als Folge des körperlichen Raubbaues, schlussendlich die Kehlkopfentzündung! Die hatte ihm den Rest gegeben. Und nun stand er – wie sein brüderliches Management es so klangvoll ausdrückte – am Anfang seiner zweiten Karriere und sie wollten ihn mit Elena zusammenspannen. Mit der Frau, die er ohne ein Wort verlassen hatte, vor zwölf Jahren! Nicht gerade die beste Voraussetzung für eine angenehme, künftige Zusammenarbeit!

Lauras beharrliche Stimme holte ihn wieder aus seinen Gedanken.

„Lena Rosensteeg hat einen Roman geschrieben, der sich schon ziemlich lange auf den Bestsellerlisten hält. Sie wäre ideal, um dein Image etwas aufzupolieren und du sorgst im Gegenzug dafür, dass ihres interessanter wird. Sie sieht gut aus, hat eine sechsjährige Tochter und ein – bis jetzt – skandalfreies Leben, lebt bei ihrer Tante und deren Mann. Keine spannenden Beziehungen, die es bis in die Zeitungen geschafft hätten. Ihre Leser warten sicher schon darauf, endlich einmal etwas Aufregendes über sie zu hören. Diese Sauberfrauen sind ja auf Dauer langweilig, noch dazu wo man aus den teilweise ziemlich heißen Szenen in ihrem Buch auf anderes schließen könnte!“

Interesse flackerte in Mikes Blick auf und Laura schien nun wieder seine ganze Aufmerksamkeit zu besitzen.

„Ihr neuer Roman kommt bald auf den Markt und da käme dem Verlag ein kleiner Skandal gerade recht.“

„Das ist es, was ihr wollt? Einen Skandal? Ich dachte, ich soll endlich erwachsen werden!“ Mike trank das Glas in einem Zug leer und blickte auf die Uhr. Fast zwei Uhr morgens, Zeit fürs Bett. Er fuhr sich mit den kräftigen Fingern durchs Haar und presste müde die Augenlider zusammen. Morgen, eigentlich heute, flog er gemeinsam mit seinem Bruder nach Wien, um dann in dieses Provinznest namens Mottenschlag, das zufällig für ein paar Jahre seines Lebens sein Zuhause gewesen war, weiterzureisen und dort für unbestimmte Zeit die Zelte aufzuschlagen.

Ob er nun wollte oder nicht, sie hatten ihn vor vollendete Tatsachen gestellt und daran war wohl nichts mehr zu rütteln.

Kapitel 2

Elena lief bereits fünf Kilometer und bog in einen der Güterwege ein, die Wald, Wiesen und Weingärten durchschnitten, um die zwischen den Hügeln verstreut liegenden Dörfer als Schleichwege miteinander zu verbinden.

Die Dämmerung war nun doch schneller hereingebrochen als erwartet, Elena störte das jedoch nicht. Sie war nicht sehr ängstlich, im Gegenteil, sie liebte die Stille, die sich in diesen Stunden gemeinsam mit der Finsternis über die Landschaft senkte. Die blonde junge Frau ließ den Blick entspannt nach vorne schweifen und bemerkte plötzlich einen Läufer, der ihr auf einem der schmalen Trampelpfade, die den Wald wie ein Spinnennetz durchzogen, flott entgegenkam. Er trug eine dunkle Jacke und war trotz der ungewöhnlich milden Temperaturen dieser Tage mit übergezogener Kapuze und einem Schal unterwegs, der die untere Hälfte seines Gesichtes bedeckte. Irgendetwas an dieser Gestalt beunruhigte sie, ein leise warnendes Gefühl breitete sich vom Bauch her aus und ihre Augen begannen die Umgebung instinktiv nach anderen Menschen abzusuchen. Es war niemand zu sehen. Sie lief schneller und bog in einen Seitenweg ein, der zum Parkplatz eines großen Hotels führte. Vielleicht kamen ihr hier ein paar Spaziergänger entgegen. Gleichzeitig schimpfte sie sich verrückt, seit wann war sie so ein Angsthase, dass sie vor einem vermutlich harmlosen Läufer die Flucht ergriff?

Da war er schon hinter ihr, der weiche Waldboden hatte seine näherkommenden Schritte verschluckt und sie spürte seine Anwesenheit, bevor sie ihn hören konnte. Elena wurde von kräftigen Händen gepackt und zu Boden gedrückt. Sie wand sich verzweifelt in seinen Armen, wollte nicht hilflos unter ihrem Angreifer auf dem Bauch zum Liegen kommen. Elena nahm all ihre Kraft und ihren Mut zusammen und wehrte sich heftig, das schien den Mann zu überraschen. Kurz ließ er locker und sie konnte sich umdrehen ... Sie blickte in Augen, die dunkel und seltsam glanzlos aus einem ungepflegten Gesicht hervorstachen. Ein unangenehmer, süßlicher Geruch stieg ihr in die Nase und löste einen vorübergehenden Brechreiz aus, den sie entschlossen ignorierte. Sie durfte jetzt keine Schwäche zulassen und versuchte weiter, sich aus seiner erneut fester werdenden Umklammerung zu befreien. Sie trat und schlug und zog, bekam seine Jacke zu fassen und spürte einen Knopf in ihrer Hand. Und dann, völlig unerwartet, ließ der Mann von ihr ab und flüchtete ins Dickicht.

Mike lief viel zu schnell, sein Atem ging heftig und unregelmäßig und das T-Shirt unter der Laufjacke, die ihm nun zu warm wurde, war bereits nach den wenigen hinter ihm liegenden Kilometern nassgeschwitzt. Er versuchte auf diese Weise den Zorn über seinen Bruder, der ihm in den frühen Morgenstunden bei seiner Rückkehr ins Hotel aufgelauert war, loszuwerden.

Mike wollte sich am Vorabend nur ein wenig in Wien umsehen, es musste sich doch in den letzten Jahren einiges getan haben. Und er hatte wirklich ein paar vielversprechende Bars und Clubs entdeckt, die durchaus mit den angesagten Lokalen in Amerika mithalten konnten. Irgendwann landete er in genau dem Kellerlokal, in dem er vor Jahren seine erste Chance bekommen hatte, gegen Geld vor Publikum zu spielen. Es hatte sich nichts verändert, das Licht war noch immer so düster, die Spiegel fleckig und die Bänke durchgesessen. An der Wand in der Toilette entdeckte er seinen vor vielen Jahren dahingeschmierten Spruch, mit dem er sich in ziemlich angetrunkenem Zustand nach seinem allerersten Auftritt verewigt hatte.

Rundherum war offensichtlich schon einmal frisch gemalt worden, aber seine Wörter standen noch immer da, er war so richtig stolz! Nicht unbedingt auf den Wortlaut, aber darauf, dass der Besitzer des Lokals seine eingravierte Hinterlassenschaft offenbar hütete wie einen Schatz.

Nach dem ersten Whisky – der allerdings nicht der erste Drink des Abends war – stand der dann auch vor ihm. Brown, seinen richtigen Namen kannte keiner, schien äußerlich kaum gealtert. Er hatte immer schon versoffen und verschlafen ausgesehen. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er Mike ins Gesicht.

„Warum, verdammt nochmal, hast du dich so lange nicht blicken lassen, du untreue Seele?“ Die feste Umarmung des inzwischen beinahe Siebzigjährigen drohte dem Sänger alle Knochen im Leib zu brechen.

Nach dem zweiten Whisky erzählte Mike in groben Zügen von seinem Leben in Amerika, nach dem dritten Glas standen Tränen in Browns Augen und er rief laut in den Raum: „Hey, Leute, das ist mein Junge. Den hab ich entdeckt! Mike Morrest! Er ist wieder da!“ Brown deutete aufmunternd auf die Bühne und die Musiker, die sich gerade für ihren Gig vorbereiteten, winkten Mike einladend zu sich. Irgendwoher wurde ihm eine Gitarre gereicht und das, was nun folgte, war einfach unglaublich. Mike hatte keine Ahnung, wann er das letzte Mal so unbändige Freude daran gehabt hatte, auf der Bühne zu stehen. Es war berauschend und er fühlte endlich wieder diesen unstillbaren Hunger in sich, die Gier nach Publikum, nach seinem Publikum! Dass er diesen Kick gerade hier, in seiner alten Heimat, erlebte, war unfassbar. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet!

Um sechs Uhr morgens war er vor dem Hotel aus dem Taxi gestiegen, der Fahrer hatte ihn in seinem betrunkenen Zustand ordentlich abgezockt und nur gegen Bezahlung des doppelten Fahrpreises von Wien in diese Einöde gebracht. Mike hatte das natürlich mitbekommen, aber es war ihm egal gewesen.

Das Hochgefühl war ihm dann jedoch schnell vergangen, denn er wurde im Zimmer von seinem fuchsteufelswilden Bruder erwartet. Der interessierte sich überhaupt nicht dafür, dass Mike soeben eine seiner ganz persönlichen Nacht der Nächte erlebt hatte.

„Das war das letzte Mal, dass du abhaust, dir die ganze Nacht um die Ohren schlägst und dann nach Hause getorkelt kommst. Verstanden? Wir sind hier, um hart zu arbeiten, was hast du daran nicht kapiert?“, hatte Peter ihn niedergemacht.

„Ich war bei Brown.“ Mike hatte sich nur halbherzig zur Wehr gesetzt, zu mehr war er nicht mehr in der Lage.

„Das ist mir egal, du gehst jetzt schlafen und ab sofort ist Schluss mit lustig!“

Mike hatte ausgeschlafen und dann war er an einem neuen Lied gesessen. Nun versuchte er seinen jetzt im nüchternen Zustand erst so richtig brodelnden Zorn auf seinen wichtigtuerischen Bruder, dem er den restlichen Tag aus dem Weg gegangen war, auszuschwitzen.

Bei einer Weggabelung blieb er stehen, um sich zu orientieren. Er war kreuz und quer, in Gedanken versunken, durch den Wald gelaufen und war sich in der Dämmerung nicht mehr sicher, in welcher Richtung sein Hotel lag. Da bemerkte er die beiden Streithähne ein paar Meter weiter, er kniff angestrengt die Augen zusammen und beobachtete kurz das Geschehen. Streit war wohl etwas zu milde ausgedrückt. Die Frau wollte offensichtlich gerade den dunkel gekleideten Typen loswerden, der ihr bei näherem Hinsehen eindeutig an die Wäsche wollte. Na toll! Das hatte ihm gerade noch gefehlt, von wegen ruhiges Waldviertel …

Elenas Beine versagten, sie sank zitternd zu Boden und schloss die Augen. Ihr Brustkorb schmerzte und zog sich krampfartig zusammen, jeder Atemzug glich einem aussichtslosen Kampf. Sie hatte das Gefühl zu ersticken und versuchte verzweifelt wieder Luft in ihre Lunge zu bekommen. Ihr Herz klopfte laut und kräftig und jagte das Blut viel zu schnell durch ihren Körper. Da hörte sie eilige Schritte, jemand kniete sich neben sie und drückte ihre Schulter. Sanft, was sie aber in ihrer Angst nicht registrierte.

„Nein, nicht“, stammelte sie und versuchte in erneut aufsteigender Panik die Hand abzuschütteln. Elena war sich sicher, dass der Angreifer zurückgekehrt war, um das, was er vorgehabt hatte, doch noch zu beenden. Und obwohl sie sich nie für die Schwächste gehalten hatte, glaubte sie in diesem Moment nicht mehr ihn aufhalten zu können.

„Elena, alles gut.“

Der Schock ließ sie nun vollends durchdrehen und Stimmen aus ihrer Vergangenheit hören. Das konnte doch unmöglich sein!

„Komm her zu mir, keine Angst. Alles ist gut.“

Wie sehr sie diesen samtigen, leicht angerauten Klang seiner Stimme vermisst hatte, der schon damals, vor 12 Jahren, so besonders war und jeden Anflug von Zweifel oder Gegenwehr in ihr erstickt hatte. Ein Wort von ihm, so sanft dahingeschnurrt, und sie war zerflossen. Und es funktionierte noch immer, sie ließ sich an seine Brust ziehen, war butterweich in seinen Armen und fühlte sich beschützt. Nur für einen ganz kurzen Moment wollte sie sich diese Schwäche erlauben. Auch wenn es unmöglich real sein konnte, nur eine Einbildung, in die sich ihr panisches Unterbewusstsein flüchtete. Sie wollte einfach nur dasitzen und festgehalten werden. Zur Ruhe kommen.

Nach einer Weile, als er spürte, dass ihr Atem ruhiger wurde, lockerte sich sein Griff und ließ es zu, dass sie ein wenig von ihm abrückte und ihm mit großen, verwunderten Augen ins Gesicht blickte.

„Mike“, flüsterte sie und in diesem einen Wort lag ihr gesamtes Gefühlschaos.

„Komm, steh auf. Der Boden ist kühl und feucht“, sagte er leise, erhob sich und half ihr auf die Beine.

Sie fühlte sich dummerweise so schwach, dass sie ohne seine Hilfe wieder weggesackt wäre. Sie atmete ein paar Mal konzentriert durch, bewegte ihre Zehen in den Laufschuhen und dann endlich gehorchten ihre Beine wieder und die Lebensgeister kehrten zurück.

„Ich schaffe das schon.“ Sie schob Mike von sich und während sie sich den Schmutz von der Hose klopfte, warf sie ihm nochmals einen ungläubigen Blick zu, den er mit einem leichten Lächeln erwiderte. Seltsamerweise schien er nicht so überrascht, sie hier zu treffen wie umgekehrt.

„Geht’s wieder, tut dir etwas weh?“, fragte Mike besorgt. „Soll ich dich zur Polizei begleiten?“

Sie schüttelte den Kopf und ging los. „Nein, alles gut. Ich gehe jetzt besser nach Hause.“ So entschlossen, wie sie tat, war sie aber überhaupt nicht. Elena hatte Angst, sie wollte nicht allein durch den Wald nachhause marschieren … aber mit Mike?

„Nicht allein“, sagte der bestimmt und folgte ihr. Dank seiner langen Beine war er schnell wieder an ihrer Seite.

„Hast du eine Ahnung, wer das war?“, fragte er.

Sie sagte nichts darauf, sie hatte keine Lust mit ihm zu sprechen. Sie wollte einfach nur ihre Ruhe haben und alles vergessen, was gerade passiert war. Inklusive Mikes Auftauchen. Sie fühlte in diesem Moment seltsamerweise auch keine Dankbarkeit dafür, dass er sie vermutlich vor Schlimmerem gerettet hatte, sie fühlte nur Zorn, dass er sich erlaubte, plötzlich wieder hier zu erscheinen. In ihrem Leben, in ihrem Dorf, einfach so aus heiterem Himmel! Sie ging immer schneller, aber Mike blieb entschlossen an ihrer Seite.

Kapitel 3

„Lena ist jetzt schon lange weg, findest du nicht?“ Elenas Tante und Besitzerin des Kaffeehauses in der „Villa Rosensteeg“ stand vor der Anrichte und ließ Staubzucker über die frisch gebackenen Topfengolatschen rieseln.

Das Lokal war im Erdgeschoß des stattlichen Herrenhauses untergebracht, das wachend am Dorfrand von Mottenschlag stand und bereits seit Jahrhunderten die gräfliche Familie Rosensteeg beherbergte. Gräfin Traude nannten die älteren Dorfbewohner die korpulente und immer geschäftig wirkende Hausherrin, auch wenn es in Österreich eigentlich keine Adelstitel mehr gab. Diese respektvolle Anrede ließen sie sich jedoch nicht nehmen. Für die jüngeren Dorfbewohner, die das eher lächerlich fanden, es aber nie laut gesagt hätten, war sie einfach Tante Traude. Die Tante Traude, die für jedes Problem eine Lösung parat hatte, und sei es nur der Genuss einer ihrer herrlichen Kuchen, der das Leben gleich viel süßer machte!

Ihr Mann Stratos Cheristos, ein großgewachsener Grieche, den es vor Jahren ins Waldviertel verschlagen hatte und der binnen kürzester Zeit dem eher herben Charme der resoluten Gräfin erlegen und dann für immer geblieben war, blickte auf und warf einen Blick auf die altertümliche Uhr, die über dem Eingang der Stube hing. Ein Ungetüm, das seit Jahrzehnten im ganzen Haus auf der Suche nach dem geeigneten Platz umherwanderte. Niemand hatte bisher den Mut gefunden, das wertvolle Erbstück, das keinem so richtig gefiel, endgültig auf den Dachboden oder in den Keller zu verbannen.

„Sie wird schon kommen, manchmal muss sie einfach auslaufen nach der Arbeit.“

„Auslaufen tut ein kaputtes Milchpackerl.“ Traude blickte ihn gereizt an, manchmal trieb sie der Mann mit seinen Wortkreationen in den Wahnsinn. „Wenn schon, dann läuft sie sich aus. Und warum macht sie das immer ohne Handy? Stell dir vor, sie fällt und bricht sich etwas!“ Sie griff nach den Tellern und deckte lautstark den Tisch fürs Abendessen.

Das Kaffeehaus war wie immer um diese Jahreszeit geschlossen. Die Familie hatte sich jedoch angewöhnt, auch allein in dem gemütlichen Raum zusammenzusitzen.

Vor den Fenstern der Stube war es nun finster geworden. Der Duft von Lasagne zog durchs Haus und Stratos bemerkte, wie hungrig er war. Noch einmal sah er auf die Uhr, und als er gerade ebenfalls begann sich Sorgen zu machen, ging die Tür auf und Elena trat gemeinsam mit einem ihm gänzlich unbekannten, jüngeren Mann ein.

Die blonden Locken hingen wirr und verschwitzt in Elenas Stirn und ihre sonst in lebhaften Grüntönen leuchtenden Augen stachen unnatürlich dunkel aus dem blassen und verstört wirkenden Gesicht hervor. Sie blickte sich leicht verwirrt um und stolperte dann auf ihre Tante zu, die sie mit erschrockener Miene und ohne ein Wort zu sagen fest an sich drückte. In der vertrauten Umgebung öffneten sich nun die Schleusen und die junge Frau begann hemmungslos zu schluchzen.

Stratos musterte aufmerksam den großgewachsenen Kerl, der bei näherem Hinsehen ebenfalls ein wenig mitgenommen wirkte, und deutete ihm, sich zu setzen. Der Grieche nahm wortlos eine Flasche aus der Vitrine, denn er war der Meinung, mit einem guten Schluck Metaxa war beinahe alles zu richten.

„Was ist passiert?“, fragte er, während er zwei Gläser füllte. „Und darf ich fragen, wer Sie sind?“

Mike nahm dankbar einen ersten Schluck, doch bevor er antworten konnte, fuhr Traude, die ihn natürlich sofort erkannt hatte, mit scharfen Worten dazwischen.

„Das ist unser dorfeigenes Aushängeschild! Der Träumer, der vor Jahren auszog, um reich und berühmt zu werden, ohne sich darum zu scheren, wie es anderen nach seiner Flucht über den Ozean ging“, sagte sie so schnell, dass Stratos Mühe hatte, ihren ärgerlich dahingespuckten Worten zu folgen. „Seit wann warst du nicht mehr daheim? Nicht einmal zum Begräbnis eures Vaters bist du aufgetaucht! Dass du überhaupt wiederkommst, wundert mich wirklich!“

Da Elena noch nicht ansprechbar war, bekam Mike die ganze Aufregung der Hausherrin ab.

Ein wehleidiges Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Ist schon gut, Traude, ich weiß, was ihr alle von mir haltet.“ Er prostete dem Griechen zu, der ihn aufmunternd anlächelte. Stratos fand ihn, trotz der offensichtlichen Abneigung seiner Frau, nicht unsympathisch. Und normalerweise konnte er sich auf sein Bauchgefühl und seine Menschenkenntnis gut verlassen. Außerdem schien es im Moment größere Probleme zu geben als das fluchtartige Verschwinden dieses jungen Mannes vor ewigen Zeiten.

Traude strich Elena, die noch immer leise vor sich hin schluchzte und kein Wort sagte, sanft über die Wange und warf einen letzten, strafenden Blick auf den so überraschend Heimgekehrten.

Mike wäre am liebsten einfach aufgestanden und gegangen. Er hatte überhaupt keine Lust darauf, sich diese Vorwürfe länger anzuhören und außerdem fand er, ein bisschen Dankbarkeit ihm gegenüber hätte nicht geschadet. Schließlich hatte er der alten Dame ihre Nichte gesund wiedergebracht. Wer weiß, was passiert wäre, wenn er nicht eingegriffen hätte. Aber davon schienen beide Damen der Villa Rosensteeg nicht viel zu halten, auch Elena hatte noch kein Wort in diese Richtung fallen gelassen. Genauer gesagt hatte sie überhaupt nicht mehr mit ihm gesprochen und ihn den ganzen Heimweg über ignoriert.

„Ich möchte jetzt endlich wissen, was genau los ist, nachher kannst du unseren Gast noch immer fertigmachen“, unterbrach Stratos die Stille und griff nach der Flasche, um nachzuschenken. Er blickte Mike fragend an. Der schüttelte ablehnend den Kopf und beobachtete Elena aus den Augenwinkeln. Sie war von ihrer Tante auf die gepolsterte Sitzbank verfrachtet worden und saß jetzt dort wie ein Häuflein Elend.

Er hatte sie draußen im Wald sofort wiedererkannt. Die in allen Blondtönen schimmernden Locken reichten ihr nur mehr bis knapp über die Schultern. Früher hatte sie ihre Frisur viel länger getragen und er hatte es geliebt, sie in den Armen zu halten und ihre seidige, nach Apfel duftende Mähne auf seiner Haut zu spüren. Das ausdrucksstarke Gesicht, geprägt von den vollen, weich geschwungenen Lippen und einer sanft gebogenen Nase, wirkte auf ihn unverändert anziehend. Und obwohl sie im Moment doch ziemlich verheult aussah, war das ein Anblick, von dem er seine Augen nur schwer lösen konnte! Die paar nicht nennenswerten Fältchen, die sich nach dem gerade erlittenen Schrecken tiefer um Augen und Mund eingegraben hatten, waren Zeichen des vergangenen Lebens ohne ihn und er fragte sich für einen kurzen Augenblick, was er wohl versäumt hatte. Schnell verdrängte er diese Gedanken wieder, etwas oder jemandem nachzutrauern war nicht sein Ding und er würde jetzt garantiert nicht damit anfangen.

„Wir müssen Andi benachrichtigen“, stellte Traude fest, nachdem ihre Nichte, unterbrochen von leisen Seufzern und Schluchzern, alles erzählt hatte und warf Mike einen aufmerksamen Blick zu. „Er ist zur Polizei gegangen und arbeitet nun bei uns auf der Dienststelle“, klärte sie ihn auf.

Mike drehte das leere Glas nachdenklich zwischen seinen Fingern. Andreas! Na, der würde erst eine Freude haben, ihn wiederzusehen. Die beiden hatten sich schon in der Schule nicht ausstehen können. Außerdem war Andreas immer schon in Elena verliebt gewesen und hatte sich andauernd als ihr Beschützer aufgespielt.

Vor seinem Abgang in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das auch die Heimat seiner früh verstorbenen Mutter gewesen war, hatte Mike sich mit ihm noch eine Abschiedsprügelei geliefert. Eine richtige Dorffestgeschichte. Mike und Elena hatten sich nicht zum ersten Mal gestritten, ziemlich heftig sogar. Angeblich hatte Mike die Tochter des Feuerwehrkommandanten zu lange angesehen, was wohl auch stimmte! Elena war sauer und Andreas hatte doch wirklich geglaubt, ihr beistehen zu müssen. Als Dank dafür hatte er ein blaues Auge davongetragen. Mike war kräftig gebaut und sicher um zehn Zentimeter größer und wenn er eines nicht leiden konnte, dann sich selbst überschätzende Schwächlinge, die sich an sein Mädchen ranschmeißen wollten. Selbst wenn er in Gedanken bereits plante, sie zu verlassen.

Kurze Zeit danach war Mike gegangen. Es war an der Zeit gewesen, diesem Leben den Rücken zu kehren. Auch Elena. Insgeheim hatte er immer schon gewusst, dass er nicht in diesem Waldviertler Dorf, dem Geburtsort seines Vaters, alt werden wollte. Sein Bruder, der nicht nur fest an sein Talent glaubte, sondern auch ziemlich geldgierig war, begleitete ihn. Das war nun eine halbe Ewigkeit her!

Kapitel 4

„Und du hast den Angreifer nicht erkannt?“ Der junge Revierinspektor war nicht mehr in Uniform, da er eigentlich schon Dienstschluss hatte. Er saß Elena in der Stube gegenüber und nahm ihre eiskalten, kraftlos auf der Tischplatte liegenden Hände in seine. Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung, wer das gewesen sein könnte.“

„Ist dir irgendetwas an ihm aufgefallen? Eine Tätowierung, eine Narbe, etwas, an dem man ihn erkennen könnte?“

„Er trug eine schwarze Kapuzenjacke und …“, sie langte in die rückwärtige Tasche ihrer Laufhose und beförderte einen Knopf zu Tage, „den habe ich ihm abgerissen.“

Sie hielt Andreas das Beweisstück unter die Nase, der nickte anerkennend und griff mit spitzen Fingern danach.

„Sehr gut Lena, das ist sehr gut. Gibst du mir bitte etwas, wo ich ihn hineintun kann“, wandte er sich an Traude, die ihm daraufhin ein schmales Papiersäckchen reichte. „Vielleicht findet man darauf ja wichtige Spuren.“

Andreas steckte den Knopf ein und Mike verbiss sich die spöttische Bemerkung, dass man jetzt garantiert keine wichtigen Spuren mehr darauf finden konnte. Nachdem alle Welt den Knopf angegriffen hatte.

„Und er roch süßlich, ein komischer Geruch. Aber das ist wirklich alles, mehr weiß ich nicht“, versuchte Elena sich weiter zu erinnern.

„Gras“, schoss Mike durch den Kopf, aber auch das behielt er für sich. Dem ehemaligen Nebenbuhler war zuzutrauen, ihm aus einer vermeintlichen Erfahrung mit Drogen einen Strick zu drehen.

„Und du?“, wandte Andreas sich da auch schon unfreundlich an Elenas Retter, der lässig an die Wand gelehnt dastand und die „Beweisaufnahme“ mit unergründlichem Blick beobachtete. „Wo bist du eigentlich so plötzlich hergekommen?“ In der Stimme des Polizisten lag ein lauernder Unterton. Er mochte den Gleichaltrigen nicht, er hatte ihn nie gemocht und konnte das nur schwer verbergen. Auch jetzt, nach all den Jahren, nicht.

Traude, die gerade zum zehnten Mal die bereits blitzsaubere Kuchenvitrine wischte, sah bei dem feindseligen Tonfall beunruhigt auf. Ihre Hände mussten irgendetwas tun, sie war nervös. Normalerweise war sie nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen, aber diese schrecklichen Vorkommnisse gingen ihr natürlich sehr an die Nieren.

„Ich war laufen und habe Elena mit diesem Typen gesehen. Der Kerl hat mich bemerkt und ist abgehauen“, erwiderte Mike für Andreas‘ Geschmack etwas zu cool.

„Was bist du nur für ein Held, allein deine Anwesenheit schlägt die bösen Jungs in die Flucht!“, meinte er spöttisch.

Der Angesprochene schob sich lässig eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn. „Ja, glücklicherweise“, sagte er nur.

„Du wohnst im Kloster?“ Andreas ließ Elenas Hände los und stand auf. Er wollte größer wirken.

„Genau.“ Der Musiker nickte salopp und in seinen Augen saß dieses herablassende Grinsen, das Andreas immer schon zur Weißglut getrieben hatte. „Schönes Hotel, sehr zu empfehlen.“

„Das Kloster“, so wurde das unweit vom Dorf liegende Wellness-Hotel von den Ortsansässigen genannt. Ein teuer modernisiertes, aber in seinen Grundmauern unverändertes, ehemaliges Klostergebäude inmitten einer weitläufigen, an englische Schlossgärten erinnernden, Parkanlage.

Die so unterschiedlichen jungen Männer standen sich nun lauernd gegenüber. Mike, breitschultrig, mit einem kräftigen, jedoch nicht bulligen Körperbau und einem selbstsicheren Lächeln auf den Lippen, und der Polizist, der neben ihm wirkte wie ein sommersprossiger Schulbub mit leicht vorhängenden Schultern und einem kindisch trotzigen Zug um den Mund.

„Möchte jemand einen Kaffee?“, versuchte Traude die beiden von ihrer gegenseitigen Abneigung abzulenken.

„Oder Metaxa?“ Stratos war für etwas Kräftigeres.

Die Streithähne schüttelten gleichzeitig den Kopf und Mike setzte sich Elena gegenüber auf die Bank, dort wo Andreas vorhin gesessen hatte. Sie schien ihn nicht wahrzunehmen und fuhr weiter damit fort, mit ihrer Fingerspitze konzentriert das Muster auf der Tischdecke nachzuzeichnen.

„Ich bin erst kurz wieder da. Leider hatte ich noch keine Zeit dafür, eine Höflichkeitsrunde im Dorf zu drehen“, nahm er mit beherrschter Stimme den Gesprächsfaden wieder auf.

„Was machst du eigentlich hier? Urlaub in good old Austria, Auszeit vom anstrengenden Leben als Superstar? Obwohl, wenn man den Gerüchten glauben darf, hast du ja einen langen Urlaub hinter dir.“ Andreas konnte nicht aufhören zu sticheln. Er warf einen kurzen Blick auf Elena, als wollte er sie um Erlaubnis fragen, wie weit er gehen durfte. „Oder war das eher eine Entzugsgeschichte?“ Der Revierinspektor war sich bewusst, dass er soeben eine absolut unprofessionelle Show ablieferte, er konnte jedoch nicht anders.

Mike sah ihn gelassen an, so leicht konnte ihn der Dorfpolizist nicht aus der Ruhe bringen, da war er schon anderes gewöhnt. Er streckte entspannt seine langen Beine aus.

„Ja, so könnte man es wohl auch nennen. Entzug vom Luxusleben, um zu sich selbst zu finden. Ich habe ein paar neue Lieder geschrieben, aber die werden dir wahrscheinlich nicht gefallen.“ Er lehnte sich zurück und strich sich mit beiden Händen durchs Haar, ohne den anderen aus den Augen zu lassen. Langsam schien Mike Gefallen an der Unterhaltung zu finden, er liebte es zu provozieren. „Sie sind sehr anspruchsvoll und ...“

Das Tapsen kleiner Füße unterbrach ihn, er sprach nicht weiter und sein Blick fiel erstaunt auf das Mädchen, das plötzlich durch die Tür hereingelaufen kam.

„Hallo Hanna, wars schön bei Vicky?“ Traude strich ihrer Großnichte über das zu einem festen Zopf gebundene hellblonde Haar. Die nickte und lief zu ihrer Mutter.

„Vickys Mama konnte nicht reinkommen, aber liebe Grüße“, verkündete sie und dann schien ihr aufzufallen, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie legte die Stirn in Falten und musterte Elena mit kindlich besorgter Miene. „Geht’s dir nicht gut, Mama?“

„Hallo Mäuschen, ich fühle mich nicht so gut. Ich werde wohl krank, mir tut der Kopf ein bisschen weh.“

„Was machen die alle da?“ Hanna deutete auf Andreas und Mike, der ihr zuzwinkerte. Sein Charme war jedoch verschwendet, Mäuschen guckte ihn nur streng an. Sehr streng. Diesen Blick hatte die Kleine eindeutig von ihrer Mutter geerbt, die das bereits in jungen Jahren perfekt beherrscht hatte: Menschen - besonders die Männchen unter ihnen, die ihr an die Wäsche wollten - mit eiskaltem Blick in die Flucht zu schlagen. Bei ihm hatte sie es anfangs auch probiert, allerdings erfolglos. Mike verbiss sich ein Grinsen.

„Wir müssen noch etwas Wichtiges besprechen“, erklärte Elena und warf Stratos einen hilfesuchenden Blick zu. Der verstand sofort und versuchte Hanna abzulenken.

„Möchtest du zu Josefine mitkommen? Ich bringe ihr die versprochene Lasagne vorbei.“

Die Kleine nickte begeistert und folgte dem großgewachsenen Griechen im Hopserschritt hinaus, nicht ohne nochmals einen kritischen Blick auf den frechen Fremden, der ihrer Mutter gegenübersaß, zu werfen.

„Hauptsache, du findest deine Lieder anspruchsvoll. Von dir selbst überzeugt warst du ja schon immer“, ätzte Andreas in die folgende Stille.

Mike löste seinen Blick von der Tür, durch die das blonde Mädchen mit Stratos verschwunden war, und blickte ihn betont desinteressiert an.

„Wie du meinst“, murmelte er gleichgültig und stand auf. Plötzlich hatte er es eilig zu verschwinden. „Ich bin müde und werde ins Hotel gehen. Andi, du weißt ja, wo du mich findest, falls du noch etwas brauchst.“

Beim Klang seines Spitznamens, der eigentlich guten Freunden und der Familie vorbehalten war, zuckte Andreas aufgebracht zusammen und sein empörter Blick folgte Mike zur Tür.

Der legte im Vorbeigehen kurz die Hand auf Elenas Schulter, sie schien diese Berührung gar nicht zu bemerken und reagierte nicht darauf. Tante Traude jedoch hielt ihn sanft am Arm zurück und sah ihn versöhnlich an. „Danke Mike, ich bin froh, dass du rechtzeitig gekommen bist. Das wollte ich noch sagen. Wenn du möchtest, kannst du auf Stratos warten. Er fährt dich sicher gerne zurück ins Hotel.“

Mike konnte der alten Dame ansehen, wie schwer ihr diese versöhnlichen Worte fielen, und das frustrierte ihn dummerweise. Aber was hatte er erwartet? Den Preis für Mottenschlags beliebtesten Sohn würde er in diesem Leben nicht mehr gewinnen!

„Ich gehe zu Fuß zurück, ist ja nicht weit“, sagte er nur und trat hinaus in die Dunkelheit.

Kapitel 5

Elena parkte ihren treuen, aber etwas langweiligen Mittelklassewagen zwischen einem silbernen Maserati und einem feuerroten Porsche. Arme Leute stiegen in diesem Hotel definitiv nicht ab. Obwohl die letzten Monate für Mike nicht so perfekt gelaufen waren, schien er kein Problem damit zu haben, seinen aufwendigen Lebensstil weiter zu finanzieren.

Die Erfolgsgeschichte des Waldviertler Burschen, der in Amerika Leadsänger einer erfolgreichen Band geworden war, hatte eine Zeit lang ziemlich hohe Wellen geschlagen. Zu Elenas Glück wurden die HotDipers in Europa dann aber doch nie so gefeiert wie in den Vereinigten Staaten und Australien und ihr blieb es dadurch erspart, ihn ständig hören oder sehen zu müssen.

Mike hatte ihr vor langer Zeit sehr viel bedeutet und dass er sie so einfach – ohne ein Wort – verlassen hatte, war furchtbar und unbegreiflich für die damals überromantisch veranlagte Neunzehnjährige gewesen. Aber Elena hatte es überwunden und langsam war er zu einer Erinnerung an ein Leben geworden, das sie nie geführt zu haben schien. Ein Gefühl, das ihr immer unwirklicher vorkam.

Und nun war Mike Morrest wieder da – im Nachhinein gesehen zum denkbar besten Zeitpunkt – und sie stand auf Wunsch ihrer Tante ausgesprochen unwillig vor der Luxusherberge, um sich zu bedanken. Traude war ihr den ganzen Vormittag über mit ihrer gewohnt unnachgiebigen Art in den Ohren gelegen.

„Wir haben dich zu einem höflichen Menschen erzogen und auch wenn du – verständlicherweise – keine Lust hast, ihn zu sehen, wirst du mit ihm sprechen und dich deutlich bei ihm für sein Eingreifen bedanken!“

Tante Traude duldete keine Widerrede und natürlich hatte sie recht. Wenn Mike nicht aufgetaucht wäre, hätte Schlimmeres passieren können. Also war zumindest ein einfaches Dankeschön mehr als angebracht. Sie würde es schnell hinter sich bringen und ihm dann für den Rest seines Aufenthaltes, wie lange der auch immer sein würde, aus dem Weg gehen.

Der Rezeptionist lächelte ihr freundlich entgegen, er kannte sie von einer Lesung, die sie vor einigen Monaten hier abgehalten hatte.

„Schön, Sie zu sehen, Frau Rosensteeg. Wir warten schon sehnsüchtig auf ein neues Buch, besonders meine Frau. Sie hat sich über das signierte Exemplar, das Sie ihr freundlicherweise geschickt haben, sehr gefreut.“

„Ein bisschen wird es damit noch dauern“, erwiderte Elena mit einem kleinen, stolzen Lächeln. Sie freute sich immer sehr, wenn sie über ihre Bücher reden konnte. „Wenn ich fertig bin, sind Sie einer der Ersten, der es erfährt.“ Sie zwinkerte dem älteren Herrn mit dem gepflegten, grauen Schnauzbart charmant zu.

„Was führt sie denn heute zu uns, Frau Rosensteeg?“

Der Rezeptionist erinnerte sich wieder an seine Aufgabe im Hotel und sah sie dienstbeflissen an.

„Ich bin mit Mike Morrest verabredet, leider habe ich die Zimmernummer vergessen“, seufzte Elena entschuldigend und verdrehte scheinbar betrübt über ihre Vergesslichkeit die Augen.

„Suite vierhundertzehn. Soll ich anrufen und Sie anmelden?“

Elena schüttelte eilig den Kopf.

„Nein danke, er erwartet mich!“

Diese kleine Notlüge war notwendig, denn sie wollte den Überraschungsmoment nutzen. So fühlte sie sich sicherer, wenn sie ihm das erste Mal nach so langer Zeit gegenübertreten musste. Gestern Abend zählte nicht, da hatte sie andere Sorgen gehabt und war nicht ganz bei sich gewesen.

Elena ging zum Aufzug, um in den vierten Stock zu fahren. Sie klopfte, im Zimmer rührte sich nichts. Sie klopfte nochmals lauter.

„Moment noch, bin gleich da!“, hörte sie Mikes Stimme und ihr Herz machte einen Hopser vorwärts. „Reiß dich zusammen!“, schimpfte sie mit sich selbst.

Die Tür öffnete sich mit einem Ruck und Mike stand vor ihr, ein Handtuch locker um die Hüften geschlungen und das Haar noch feucht vom Duschen. Überrascht starrte er sie an und seine Hand griff nach dem eher knappen, blauen Frotteestoff, um ihn am Rutschen zu hindern.

„Du bist es“, stellte er gedehnt fest und klang etwas enttäuscht dabei. Was Elena doch ziemlich wurmte … Und noch ärgerlicher war, dass sie ihre Augen kaum von dem überraschenden Anblick seines nackten Oberkörpers losbekam.

Wow! Noch immer!

„Wen hast du erwartet, so, in diesem Outfit? Das Zimmermädchen?“, spottete sie und versuchte damit, ihre Verlegenheit bei seinem appetitlichen Anblick zu überspielen.

„Meinen Bruder, der wollte kurz vorbeikommen. Und das Zimmermädchen heißt Gerda, ist knapp vor der Pensionierung und richtig süß.“

Kurz blitzte ein spitzbübisches Lächeln in seinen Augenwinkeln auf, das kannte sie noch von früher. Leider hatte es nach all den Jahren noch immer den gleichen Effekt: Elena wurde unruhig und ihr wurde warm. Wärmer als erlaubt. Widerstrebend trat sie ein, als er ihr einladend weit die Tür öffnete und sie mit einer übertrieben lässigen Armbewegung in seine Suite winkte.

„Ich zieh mir nur schnell etwas an, bin gleich wieder da.“ Mike schlenderte ohne jede Eile durch den Raum in Richtung Schlafzimmer und Elena kam dadurch in den vollen Genuss seiner muskulösen Rückenansicht.

„Setz dich und nimm dir etwas zu trinken, fühl dich ganz wie zu Hause“, forderte er sie auf und drehte sich unerwartet um … und ertappte sie prompt dabei, wie sie ihm auf den nur notdürftig bedeckten Hintern starrte. Er zog provokant die Augenbrauen in die Höhe und lächelte wissend. Sie war knapp davor, aufzustehen und zu gehen.

Kurze Zeit später war Mike wieder da, bekleidet mit Jeans und einem schmal geschnittenen, weißen T-Shirt, das leider so gar nicht seine Muskeln verbergen konnte. Elenas Augen gingen erneut auf Wanderschaft, während er ihr den Rücken zukehrte, um sich um die Getränke zu kümmern.

„Energydrink, Vitamine oder Wasser?“ Er schenkte sich selbst ein Glas Orangensaft ein und nach einem fragenden Blick ein zweites für Elena. Er kam mit beiden Gläsern auf sie zu und deutete ihr, sich mit ihm gemeinsam auf die Couch zu setzen. Sie tat es äußerst widerstrebend, denn im Stehen hätte sie sich sicherer gefühlt, als hier neben ihm auf diesem kuscheligen Sofa zu sitzen. Und dummerweise spukte noch immer Mikes nackter Oberkörper in ihrem Kopf herum. Es war ja nicht so, dass sie in den letzten Jahren keine halbnackten Männer gesehen hätte! Aber eben nicht solche …

Sie starrte angestrengt beim gegenüberliegenden Fenster hinaus und der Anblick der sanft dahinfließenden, im letzten Winterschlaf liegenden Landschaft ließ sie glücklicherweise etwas zur Ruhe kommen.

Mike lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf.

„Wie geht es dir?“, fragte er leise.

Sie sah weiter zum Fenster hinaus und mit der rechten Hand zwirbelte sie eine Haarsträhne zwischen den Fingern. Das war ein untrügliches Zeichen ihrer Unruhe und er kannte es noch von früher. Wie seltsam, dass er sich nach so langer Zeit noch an jede einzelne, für sie typische Geste erinnern konnte, wo er doch meist am nächsten Morgen die Namen seiner Betthäschen nicht mehr wusste …

„Es geht mir gut, halbwegs. Aber ich bin hart im Nehmen.“ Ihre Stimme klang ein wenig zittrig. „Ich bin hier, um mich bei dir für deine Hilfe zu bedanken.“

Sie streckte ihren Rücken durch, setzte sich aufrecht hin und sah ihn endlich direkt an.

„Das war reines Glück, dass ich gerade dort war. Es tut mir nur leid, dass wir uns nicht früher begegnet sind. Dann wäre der verfluchte Kerl vermutlich erst gar nicht in deine Nähe gekommen“, sagte er mit Zorn in der Stimme.

„Hauptsache, du bist da.“ Elena bekam schon wieder rote Wangen. „Ich meine, du warst da. Also, Hauptsache, dass du da warst.“ Jetzt kam sie ordentlich ins Stottern.

„Ich weiß schon, eigentlich könnte ich dort sein, wo der Pfeffer wächst. Aber gestern wars okay.“ Mike lächelte mit den Augen, was er sehr gut konnte und die Hitze in ihrem Gesicht nicht gerade abkühlte.

Elena schüttelte heftig den Kopf. „Ich hab das nicht so gemeint, ich bin nur irgendwie total durcheinander. Ich hätte einfach nicht erwartet dich wiederzusehen und dann … dann stehst du so plötzlich vor mir!“, brach es aus ihr heraus. Verdammt, das Wiedersehen ging ihr viel zu nah! Es übertönte sogar den Schock über den Überfall gestern, sie musste sich zusammenreißen!

Mike sagte nichts mehr, er saß still da, den Kopf in die Hände gestützt. Er rang mit sich, ob er ihr beichten sollte, warum er eigentlich in Mottenschlag war. Dass sie, Lena Rosensteeg, der Hauptgrund für seinen Besuch war. Er war sich ihrem Benehmen nach sicher, dass sie noch nichts von dem Plan, den sein Bruder mit ihrem Verlag ausgeheckt hatte, wusste. Mike fühlte sich gerade wie der letzte Arsch, auch wenn es eigentlich die Aufgabe von Elenas Verleger gewesen wäre, sie zu informieren. Er seufzte leise und wandte sich ihr zu.

„Elena, ich …“, er stockte, er konnte es nicht. Im Grunde war er furchtbar feige und überließ die Drecksarbeit lieber Peter. Das war schon immer so gewesen. Und da sich Elenas hitziges Temperament in den letzten Jahren vermutlich nicht geändert hatte, war es wohl besser, den Mund zu halten. Sie war garantiert nicht begeistert von dieser Kooperation. Er war nicht nur ein Arsch, er war ein feiger Arsch!

„Ich bin etwas müde, hab wenig geschlafen die letzten Nächte.“ Das klang beinahe wie ein Rauswurf. Elena warf Mike einen kurzen Blick aus zusammengekniffenen Augen zu und erhob sich.

„Ja, ich lass dich schon in Ruhe“, sagte sie und es klang etwas patzig.

Der Sänger sprang ebenfalls auf die Beine. „Nein, so habe ich das nicht gemeint, ich würde mich freuen … also, vielleicht treffen wir uns ja noch ... bald, in den nächsten Tagen. Ich bin noch eine Weile hier.“ Was stammelte er da bloß herum? Er redete sich gerade um Kopf um Kragen, denn wenn Elena draufkam, was Sache war und dass er es ihr bewusst verheimlicht hatte, würde sie so richtig explodieren!

„Ja, vielleicht. Ich muss jetzt sowieso dringend wieder los, ich habe einen Termin mit meiner Lektorin.“

Während er noch mit sich rang, war sie schon fast bei der Tür und er folgte ihr langsam. Beide hoben kurz den Arm, unsicher, ob sie sich zum Abschied die Hand schütteln sollten oder vielleicht sogar umarmen, wie es alte Bekannte manchmal tun. Sie ließen es dann aber in stillem Einverständnis bleiben und nickten einander nur kurz zu.

Elena lehnte nach dem Treffen mit geschlossenen Augen an der Aufzugwand, hoffentlich hatte Mike nicht gemerkt, wie sehr ihr das Wiedersehen zu schaffen machte. Alle Erinnerungen, die sie sorgfältig weggeschlossen hatte, waren wieder aufgetaucht und bereit, ihr erneut das Leben schwer zu machen. Mike hatte sich natürlich verändert, sein Gesicht wirkte etwas kantiger als vor zwölf Jahren und der entschlossene, in seiner Jugend leicht trotzige und nun beinahe unversöhnlich wirkende Zug um seinen Mund hatte sich noch verstärkt. Die leicht schiefe Nase, deren Anblick neu für Elena war, stand jedoch seltsamerweise im kompletten Widerspruch dazu. Sie schummelte etwas Lausbubenhaftes in seine Züge und milderte so deren Härte. Sie hatte sich beherrschen müssen, um nicht mit ihrer Hand über sein Gesicht zu streichen, zu spüren, wie es sich jetzt, so lange Zeit danach, anfühlte. Das dichte, schwer zu bändigende Haar trug er noch immer eine Spur zu lang und sie musste daran denken, wie schön es war ihre Finger darin zu vergraben …

Zwölf Jahre … und plötzlich schmerzte es wieder, als wäre es gestern gewesen.

*** ***

Eine von Elenas Freundinnen ging mit dem Tormann des FC Mottenschlag. Das war der Grund, warum auch Elena regelmäßig bei den Heimmatches der Mannschaft am Fußballplatz auftauchte. Und das war wiederum der einzige Grund, warum Mike diesen Samstag ebenfalls dort saß. Eigentlich hatte er mit dieser Sportart nichts am Hut, aber er bekam Elena seit jener Nacht einfach nicht aus seinem Kopf. Mike hatte – für ihn selbst komplett unverständlich – gezögert, sie zu küssen. Und das ärgerte ihn jetzt. Maßlos! Normalerweise holte er sich das was er wollte, und zwar sofort! Aber dieses scheinbare Desinteresse an ihm und diese ausdauernd zur Schau gestellte Unnahbarkeit – die er unglaublich sexy fand, weil er ahnte, dass da gewaltig etwas dahinter brodelte – hatten ihn davon abgehalten. Und gleichzeitig angestachelt.

Es war nun zwei Wochen her und langsam wurde der Zwang in ihrer Nähe zu sein unerträglich, für ihn und auch für seine Freunde. Offiziell wussten die von nichts, aber sie waren weder dumm noch blind. Doch hüteten sie sich, irgendeine blöde Bemerkung in seiner Gegenwart zu machen. Nun hockten sie zu viert am Spielfeldrand und feuerten ihre – zugegebenermaßen spielerisch wirklich eindeutig überlegene – Mannschaft an. Immer wieder flog Mikes Blick in Elenas Richtung, die schien das jedoch gar nicht zu bemerken.

Elenas Freundinnen aber waren entzückt über den Neuzugang bei den Zuschauern.

„Was macht er hier?“, fragte Jojo und stupste Elena aufgeregt an.

Die warf nur einen kurzen, möglichst gelangweilten Blick in die angegebene Richtung und zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Keine Ahnung, vielleicht gibt er ein Pausenständchen.“

Jojo lachte übertrieben laut.

„Mike hat im Moment keine Freundin, vielleicht hat er ja jemanden im Auge“, überlegte Julia, die ebenfalls zum inneren Kreis der Mädelsrunde gehörte, und versuchte möglichst unauffällig mit Hilfe ihres kleinen Taschenspiegels die Lippen nachzuziehen.

„Wann hatte der überhaupt schon eine richtige Freundin? Oder zählt ein Two-Night-Stand auch schon dazu?“, lästerte Jojo und sah Julia dann mit gerunzelter Stirn an. „Du kommst total schief, du siehst wie ein Clown aus!“, sagte sie und reichte der anderen ein Taschentuch. Die wischte daraufhin hektisch in ihrem Gesicht herum.

Elena fand ihre Freundinnen ziemlich peinlich, aber das Unmöglichste war, dass ihr eigenes Herz bis zum Hals klopfte vor Aufregung, und das, obwohl er ziemlich weit weg, am anderen Ende der Zuschauertribüne, saß. Es wurde langsam verdammt mühsam, die Uninteressierte zu spielen.

„Mike, wäre es nicht einfacher, du würdest da hinübermarschieren und sie fragen, ob sie heute mit dir ausgeht?“, fragte Leo, Mikes bester Freund.

Der sah ihn mürrisch an. „Was redest du für einen Schwachsinn? Ich bin hier, weil ihr mir immer in den Ohren damit liegt, wie gut unsere Mannschaft ist.“

„Dann solltest du dich vielleicht auf das Match konzentrieren und nicht andauernd zu Lena hinüberstarren“, grinste Leo und schob die schulterlangen, blonden Haare hinters Ohr.

„Ich bin ja nicht blöd, du schleichst seit Wochen in ihrer Nähe herum, ohne mit ihr zu reden. Hey, Junge, so kenne ich dich ja gar nicht. Langsam mache ich mir Sorgen“, spöttelte er und wich flink dem Schlag des Größeren aus.

„Musst du nicht, da ist nichts. Das bildest du dir nur ein“, brummte Mike unwillig.

Leo lachte schadenfroh. „Ach komm, jedem passiert das mal und sie ist ja wirklich süß. Aber eines ist auch klar, da gibt es leichtere Ziele. Ich hoffe nur, du beißt dir an ihr nicht dein Zahnpastalächeln aus.“

„Vergiss es einfach, okay?“ Mike wurde grantig, denn dass sein Interesse für Elena so offensichtlich war, hatte er nicht geahnt. Wie blöd war er eigentlich? Er war zwanzig und kein Sechzehnjähriger mehr, der zum ersten Mal einem Mädchen an die Wäsche wollte.

„Ich glaube, du brauchst meine Hilfe“, grinste Leo. „Wow, das hätte ich mir nicht gedacht, Mike Supersexy braucht tatsächlich meine Hilfe, um ein Mädchen aufzureißen!“ Er klopfte sich lachend auf die Schenkel.