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Eigentlich ist Lilli gar nicht der Typ für spontane, heiße One-Night-Stands. Die Buchillustratorin, die ihr hitziges Temperament im Alltag nicht immer so gut im Griff hat, verbindet Sex mit tiefen Gefühlen und die stellen sich bei ihr üblicherweise nicht bereits nach ein paar Stunden ein. Doch dann trifft sie unter ziemlich turbulenten Umständen auf den attraktiven Anwalt Nik, eine unwiderstehliche Mischung aus seriös, lausbubenhaft und verboten sexy. Er sieht die Sache komplett anders, Nik sucht nicht die wahre Liebe, er mag es unkompliziert und ohne jede Verpflichtung. Lillis Vorsätze geraten ins Wanken, nur eine einzige heiße Nacht kann doch nicht schaden ...
Doch das Schicksal will auch seinen Spaß haben und bringt die beiden durch einen unglaublichen Zufall wieder zusammen. Ignorieren funktioniert da leider überhaupt nicht, schon gar nicht, wenn der Körper überreagiert und das Hirn beschließt, sich komplett herauszuhalten. Und auch das Herz macht, was es will...
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5 Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
Über die Autorin
Mara Waldhoven Kirchwegsiedlung 26
3484 Grafenwörth
***** Deutsche Erstausgabe September 2017 ***** Covergestaltung: Mara Waldhoven unter Verwendung von © Vladimir Wrangel/fotolia.com ***** Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form sowie die Übersetzung des Werkes sind vorbehalten und bedürfen der schriftlichen Genehmigung der Autorin. Dies gilt ebenfalls für das Recht der mechanischen, elektronischen und fotografischen Vervielfältigung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Handlung und die handelnden Personen, sowie deren Namen, sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden bzw. realen Personen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt
***
„Ich glaub das jetzt nicht!“ Lilli sprang mit einem empörten Aufschrei von ihrem Sessel hoch und starrte mit zusammengekniffenen Augen über die Straße. Ihrer Freundin Kathi, die bis jetzt entspannt die ersten wärmenden Strahlen der Märzsonne genossen hatte, fiel vor Schreck beinahe das Glas Wein aus der Hand. Lilli packte sie bei den Schultern und schüttelte sie aufgeregt.
„Da ist Benedikt, mit dieser Brünetten aus seinem Büro. Mir hat er erklärt, er geht mit ein paar Kollegen auf ein Bier!“, zischte sie aufgebracht. Kathis Blick folgte ihrem Zeigefinger und wirklich, der dunkelhaarige, großgewachsene Mann auf der gegenüberliegenden Straßenseite war Lillis Freund. Ziemlich sicher lag die Betonung ab sofort auf war – er küsste die Frau gerade, und das ziemlich innig.
„Den kauf ich mir!“, rief Lilli und hechtete, ohne zu schauen, über die Straße. Das Auto, das sich mit etwas überhöhter Geschwindigkeit näherte, kam mit quietschenden Reifen zum Stehen.
„Tickst du noch richtig, du Tussi!“, schrie der Fahrer aufgebracht beim offenen Fenster hinaus und deutete den Stinkefinger. Manieren hatte der! Lilli schlug zornig mit der flachen Hand auf das Autodach. „Das ist eine Dreißigerzone, du Depp! Also brems dich ein!“
„Du kannst mich mal!“, rief der Mann wutentbrannt und kurz schien es, als würde er aus dem Auto springen, um dieser lebensmüden Irren, die beinahe auf seiner Kühlerhaube gelandet wäre, gehörig die Meinung zu sagen. Er überlegte es sich jedoch anders, stieg aufs Gas und brauste davon.
Lilli wedelte ihm aufgeregt mit den Armen hinterher. „Du mich nicht, nicht in hundert Jahren! Und wenn du der einzige Typ auf der Welt wärst, fick dich selbst!“
Kathi vergrub ihr Gesicht in den Händen und betete, dass hier keiner war, der sie kannte. Sie wusste über das aufbrausende Temperament ihrer Freundin natürlich Bescheid, aber das, was die jetzt gerade abzog, wurde langsam so richtig peinlich. Sie blinzelte vorsichtig durch ihre Finger hindurch und sah, wie Lilli über die nun freie Straße auf den erstarrt dastehenden Benedikt zumarschierte. Der bekam es offensichtlich gerade ziemlich mit der Angst zu tun. Genauso wie die junge Frau neben ihm, die sich ziemlich fluchtartig verabschiedete und verständlicherweise kein Bedürfnis hatte, ihre Nebenbuhlerin, Vorgängerin, oder was auch immer, so unverhofft kennenzulernen. Benedikt musste der fuchsteufelswilden Lilli alleine gegenübertreten und seinem Gesichtsausdruck nach hatte er ziemlich die Hosen voll. Kathi lief ihrer Freundin eilig hinterher, bevor die noch ein Blutbad anrichten konnte.
„Das ist doch unglaublich! Wird da jetzt unten ein Film gedreht oder was soll dieser Krach?“ Die Chefsekretärin der Rechtsanwaltskanzlei Johran stapfte ungehalten zum Fenster, um es zu schließen. Der Lärm war nicht auszuhalten, wie sollte man da in Ruhe arbeiten!
„Was ist los, Marie?“ Niklas Johran, der Juniorchef der Kanzlei, kam gerade aus dem Besprechungszimmer, das glücklicherweise auf der ruhigen Innenseite des Gebäudes lag. Er ließ einen Stapel Akten auf den Schreibtisch seiner Sekretärin fallen und trat neben sie. Neugierig blickte er auf die Straße hinunter.
„Da schreit so eine Verrückte herum“, erwiderte Marie empört.
„Was fällt dir ein, hier mit der rumzumachen? Hältst du mich für ganz blöd? Mir sagst du, du bist mit Kollegen unterwegs!“, tönte es gerade zu ihnen hinauf. „Und dann schmust du sie auch noch auf offener Straße ab, gegenüber einem meiner Lieblingslokale, am helllichten Tag, damit ich dich auch wirklich erwische? Wie dämlich bist du eigentlich!“
Jedes Wort war zu verstehen, die Gute schrie ihren vermutlich baldigen Ex ziemlich nieder. Nik konnte nicht umhin, dieses Stimmvolumen zu bewundern, war aber auch froh, dass das furchteinflößende Geschrei nicht ihm galt. Er beglückwünschte sich wieder einmal zu seinem Entschluss, sich niemals auf längere Beziehungen einzulassen. So etwas wie dem bedauernswerten Kerl da unten konnte ihm nicht passieren. Denn Nik schmuste aus Prinzip herum, mit wem und wann und wo er wollte, und daraus machte er bei einer neuen Eroberung auch kein Geheimnis.
„Das hört sich nach einer möglichen neuen Mandantin an“, grinste der auf Scheidungen spezialisierte Anwalt etwas schadenfroh und beugte sich weiter hinaus, um besser sehen zu können.
„Also, so wie die sich gerade aufführt, sollten wir sie lieber nicht in die Kanzlei lassen. Total hysterisch“, meinte Marie entrüstet und setzte sich wieder an ihren Schreibtisch um weiterzuarbeiten.
Nik war neugierig, er wollte unbedingt wissen, wie diese ausgesprochen temperamentvolle Frau eigentlich aussah. Er konnte aber von oben nur einen Blick auf einen fest zusammengedrehten Haarknoten und eine schlanke Figur in einem hellen Trenchcoat erhaschen. Ein Stück entfernt stand eine Blondine, die das Ganze interessiert beobachtete. Über ihre Rolle in diesem Spiel war sich Nik nicht ganz im Klaren.
Langsam glättete sich die Stimmung etwas, der dunkelhaarige Mann redete bemüht ruhig auf die Frau ein, die mit in die Seiten gestemmten Armen wie ein Racheengel drohend vor ihm stand. Sie keppelte etwas zurück, das man leider hier oben nicht verstehen konnte, und der Typ dampfte schließlich – nach einigem Hin und Her - kopfschüttelnd ab.
„Und wenn du nicht kommst, schmeiß ich deine Sachen beim Fenster raus!“, schrie sie ihm dann noch aufgebracht hinterher.
Okay, sie war anscheinend nicht zu erweichen gewesen. Das wars wohl. Vermutlich war er ohne sie sowieso besser dran!
Nik wollte schon wieder seinen Kopf zurückziehen - beinahe bedauerte er, dass dieses Theater vorbei war -, als der Racheengel plötzlich die Augen hob und zu ihm hochblickte. Er fühlte sich ertappt, wie ein Voyeur, der hinter dem Busch hockte und Liebespärchen beobachtete.
„Na, hat‘s Spaß gemacht, du Spanner?“, rief sie zu ihm hinauf.
Nik war kurz sprachlos, dann musste er herzlich lachen. Einfach unglaublich!
„Liliana, tesoro mio!“ Roberto, der Lokalbesitzer, kam Lilli Almuth, die soeben das Restaurant betreten hatte und sich suchend umblickte, mit einem breiten Lächeln im Gesicht entgegen. Er manövrierte seinen wohlgenährten Bauch, der zeigte, dass er selbst die italienische Küche über alles liebte, flott durch die vollbesetzten Tische und begrüßte sie mit drei festen Schmatzern auf die Wange. Von diesen gehauchten, höflichen Küsschen, die nach nichts schmeckten – wie er immer lachend erklärte – hielt der Italiener nicht viel.
„Deine Mama ist schon sehr ungeduldig!“ Er schob die hübsche, junge Frau mit den vom Wind etwas zerzausten, kupferfarbenen Locken eilig zu einem der hinteren Nischentische. Eine gepflegte, ältere Dame mit hochgestecktem, dunkelblondem Haar blickte ihr bereits sehr ungehalten entgegen.
„Na endlich, Lilli, kannst du nicht einmal pünktlich sein? Der Prosecco wird ja ganz warm und ich bin am Verhungern.“ Celia Almuth schenkte Roberto ein charmantes Lächeln, als er mit einer schwungvollen Bewegung ihr Glas auffüllte und auch ihrer Tochter einschenkte. Die Flasche neigte sich schon dem Ende zu, Lilli sah ihre Mutter tadelnd an.
„Warst du das? So spät bin ich nun auch wieder nicht, dass du fast eine ganze Flasche Prosecco hinunterkippst.“
„Roberto hat ein Gläschen mit mir getrunken“, Celia zwinkerte dem Lokalbesitzer verschwörerisch zu, „und so meine Wartezeit etwas angenehmer gestaltet. Ich war das nicht allein!“
Der um einige Jahre jüngere Italiener hauchte hingebungsvolle kleine Küsse auf Celias Handrücken.
„Ach, mio grande amore, du weißt, ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass du mich eines Tages erhören wirst. Ich könnte dein ganzes Leben angenehm gestalten, würdest du es mir nur erlauben.“
„Roberto, du bist einfach zu sehr Mann für mich, da könnte ich nicht mehr mithalten. Ich könnte außerdem deine Mama sein … oder wohl eher deine große Schwester.“ Celia kicherte und Lilli verdrehte die Augen. Dieses andauernde Geplänkel zwischen den beiden war anstrengend und sie hatte den Verdacht, dass da bereits die zweite Flasche vor ihrer Mutter auf dem Tisch stand.
„Ähm, entschuldigt, wenn ich unterbreche, aber ich hätte langsam Hunger. Könnt ihr mit dem Gesülze später weitermachen, biiiiiitte!“, jammerte Lilli und schlug Roberto strafend mit der Speisekarte auf den Arm.
„Natürlich, wo sind nur meine Manieren. Ich vergesse mich immer, wenn du und deine wunderschöne Mama das Lokal betreten“, entschuldigte er sich und ratterte mit ernster, geschäftsmäßiger Miene die Empfehlungen des Tages herunter. Dann verabschiedete er sich mit einigen schnell dahingehauchten Luftküsschen, die er höflicherweise zwischen beiden Damen gleichmäßig aufteilte, und eilte davon, um sich neuankommenden Gästen zu widmen.
„Lilli, heute gibt es etwas zu feiern, also bitte, stoß endlich an mit mir.“ Celia strahlte ihre Tochter an, der jetzt erst dieses seltsame Leuchten in den Augen ihrer Mutter auffiel, das garantiert nichts mit dem italienischen Heißsporn zu tun hatte. Sie griff nach dem gefüllten Glas und nahm einen vorsichtigen Schluck. Sie war neugierig und auch etwas beunruhigt. So ausgelassen hatte Lilli ihre Mutter schon lange nicht mehr erlebt. Genau genommen seit Jahren nicht, aber nun, da die langwierige und unangenehme Scheidung von Lillis umtriebigen Vater endlich durch war, schien sie richtig aufzublühen.
„Was ist passiert?“, fragte sie vorsichtig.
„Eigentlich wollte ich bis nach dem Essen warten, wenn du etwas im Magen hast. Mit vollem Bauch bist du immer viel friedlicher als hungrig, das war schon als kleines Mädchen so. Wenn ich dir etwas Unangenehmes sagen wollte – obwohl es eigentlich nichts Unangenehmes ist – also, wenn …“
„Mama!“ Lilli stellte das Glas ab und legte ihre Hand auf die ihrer Mutter.
„Was ist los, raus damit. So schlimm kann es nicht sein, du wirkst irgendwie sehr …“, sie überlegte einen Moment, und als sie das richtige Wort gefunden hatte, schien sie selbst darüber erstaunt zu sein, „… glücklich, überglücklich!“
„Ja, Schatz, das bin ich auch. Ich weiß gar nicht, wann ich mich das letzte Mal so gut gefühlt habe.“ Celias Stimme wurde leise und sie bekam einen verträumten Ausdruck in den Augen.
Lilli begann nervös zu werden, ziemlich nervös. Irgendetwas war da im Busch!
„Liliane, ich habe mich verliebt, so richtig verliebt. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass mir das noch einmal in meinem Leben passiert.“ Celias Wangen überzogen sich mit einem mädchenhaften, rosafarbenen Schimmer und das ließ sie viel jünger als einundsechzig aussehen.
„In wen denn, um Himmels willen!“
Lillis Stimme klang etwas schrill und sie wusste sofort, dass das die falsche Reaktion war, und versuchte schnell die Situation zu retten.
„Ich wollte natürlich sagen, das ist schön! Es kommt nur etwas überraschend. Aber natürlich freue ich mich für dich!“ Sie trank das Glas in einem Zug leer und schon war Roberto aufgetaucht um nachzuschenken. Der musste irgendwo in der Nähe gelauert haben!
„Ich habe den Mann während der Scheidung kennengelernt und es hat sofort gefunkt. Gefunkt? Sagt man das noch so? Eingeschlagen oder Schmetterlinge im Bauch?“
„Du siehst mir eher nach einem Einschlag aus.“ Lilli musste lachen. Dann runzelte sie die Stirn. „Während der Scheidung? Wen könntest du während der Scheidung …“ Sie war nicht dumm und kapierte normalerweise ziemlich schnell. Und so war es auch diesmal.
„Du ahnst es schon, es ist Kurt Johran“, flüsterte Celia. Sie blickte nun etwas ängstlich in das Gesicht ihrer Tochter, das sich gerade dunkel umwölkte.
„Du hast etwas mit deinem Scheidungsanwalt angefangen?“, fragte Lilli gefährlich leise und warf einen konsternierten Blick zu Roberto, der unweit von ihnen stand und sie aufmerksam beobachtete.
„Und er weiß es?“ Lilli war schockiert.
Celia zog überrascht eine Augenbraue hoch. „Natürlich weiß er es, was redest du!“
„Nein, ich rede von Roberto, er weiß es, alle wissen es, nur ich nicht?“
„Warum Roberto?“, stotterte Celia verwirrt, zuckte dann aber entschuldigend mit den Mundwinkeln. „Wir waren essen hier, rein geschäftlich natürlich, vielleicht ahnte er etwas!“ Sie zupfte unruhig an der Serviette. „Es weiß natürlich sonst niemand! Wir wollten und mussten warten bis wir uns ganz sicher waren und diese … lästige Sache … endlich erledigt war! Jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um es euch zu sagen und …“
„Euch?“, fuhr Lilli ihrer Mutter ins Wort.
„Dir und Kurts Söhnen. Niklas und Maximilian, sie hatten bis jetzt auch keine Ahnung. Niklas habe ich zwar kurz kennengelernt, er unterstützte Kurt bei dem Prozess, aber er wusste auch nichts von unserer … mmhh … Freundschaft.“
„Freundschaft?“ Lilli warf einen provozierenden Blick über den Tisch und die Ältere wurde etwas blass um die Nasenspitze.
„Liebesbeziehung, Affäre, wie auch immer du es nennen willst. Lilli, bitte, schau nicht so schockiert. Es kam für uns beide überraschend, es ist einfach passiert! Völlig ungeplant und zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt, zugegeben.“ Celia kicherte verschmitzt. „Ich möchte aber betonen, dass es keine vorübergehende, unwichtige Affäre ist.“ Ihr Gesichtsausdruck änderte sich von keck zu eindringlich.
„Das muss ich erst mal verdauen, weiß es Papa?“
„Nein! Es geht ihn genau genommen auch gar nichts an. Und offiziell sind Kurt und ich auch noch kein Paar!“
„Vermutlich auch besser so, denn sollte ein Scheidungsanwalt nicht besser die Finger von seiner Mandantin lassen?“, fragte Lilli schnippisch und schlug dann mit der flachen Hand auf den Tisch. „Mama, ich glaub das einfach nicht!“, rief sie etwas zu laut.
Roberto tauchte auf. „Grappa, mia piccola, brauchst du einen Grappa?“
„Nein! Ich brauche keinen Grappa!“, pfauchte Lilli und scheuchte ihn ungehalten weg.
„Liliane, bitte, schrei nicht so. Das ist mir unangenehm“, versuchte Celia ihre aufgebrachte Tochter zu beruhigen.
„Weißt du, was mir unangenehm ist? Dass meine Mutter anscheinend während dem Scheidungsverfahren mit ihrem Anwalt ins Bett gehüpft ist.“
Das war Celia nun zuviel. „Mäßige deinen Ton, ich bin deine Mutter! Und dein Vater ist übrigens andauernd mit irgendjemandem ins Bett gehüpft und bei mir stört es dich? Du benimmst dich jetzt ziemlich engstirnig!“
Lilli beruhigte sich etwas. „Entschuldige, ich bin nur etwas durch den Wind“, murmelte sie leise. „Hast du eigentlich einmal an das Risiko gedacht?“
Ihre Mutter zog belustigt die perfekt gezupften Augenbrauen in die Höhe. „Ach Schätzchen, aus dem Alter, ungewollt schwanger zu werden, bin ich schon lange draußen.“
„Hahaha! Ich meine, dass du vermutlich viel schlechter ausgestiegen wärst, wenn Papa das erfahren hätte!“
Ihre Mutter zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Wir waren sehr diskret und ich kann mich doch sicher darauf verlassen, dass du ihm nicht erzählst, wann es begonnen hat.“
„Natürlich. Ich habe mit Papa das letzte Mal vor vier Monaten telefoniert. Du weißt genau, dass unser Verhältnis nicht sehr gut ist.“
Celia nickte ein wenig betrübt. Sie fand es trotz allem schade, dass sich Vater und Tochter wegen der Scheidung endgültig entzweit hatten. Schuld war aber Peter Almuth selbst, er war so dumm gewesen und hatte sich mit seiner Sprechstundenhilfe erwischen lassen. Von seiner Tochter! Das hatte das Fass zum Überlaufen gebracht!
Dieser Fehler hatte ihn das Haus in Döbling und die Maisonette in der Wiener Innenstadt – die jetzt Lilli bewohnte – gekostet. Kurt Johran und sein Sohn waren richtige Profis, die Celia Almuth noch dazu eine mehr als großzügige, monatliche Unterstützung erkämpft hatten. So gesehen hatten sich die mehr als dreißig Ehejahre wieder gelohnt, trotz all der Lügen und Enttäuschungen.
„Es ist mir ernst mit Kurt, sehr ernst. Ich habe in ihm den Mann gefunden, der mir das geben kann, wonach ich jahrelang vergeblich gesucht habe. Manchmal findet man eben die wahre Liebe genau dort, wo man sie nicht vermuten würde! Und ich möchte, dass du ihn kennenlernst. Ich liebe ihn wirklich!“
Lilli schossen Tränen in die Augen, ihre Mutter strahlte und war glücklich und sie führte sich auf wie eine Irre.
„Es tut mir leid. Ich freue mich ehrlich für dich. Und ich freue mich darauf, Kurt besser kennenzulernen. Ich bin sicher, er ist ein toller Mann.“ Sie suchte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch.
„Schätzchen, das ist nun wirklich kein Grund zum Weinen.“ Celia lächelte milde, bei ihrer Tochter saßen die Tränen immer ein wenig locker. „Kurt ist wunderbar. Du wirst ihn mögen, auch seine Söhne. Ich kenne, wie gesagt, nur den älteren flüchtig, aber von den Erzählungen her sind beide sehr nett. Du wirst das morgen beim Abendessen feststellen.“
„Morgen schon?“ Lilli putzte sich die Nase. So eilig hatte sie es nun auch wieder nicht mit dem Kennenlernen.
Ihre Mutter schlug zufrieden die Speisekarte auf. „Wir bestellen jetzt erst einmal und dann erzähle ich dir alles, was du wissen musst.“
***
„Papa, was bist du nur für ein wilder Hund!“ Maximilian Johran starrte seinen Vater mit großen Augen überrascht an, der lächelte tapfer.
„Das ist jetzt zwar nicht die Bezeichnung, die ich gewählt hätte, aber gut, wenn du das so sehen willst ...“ Der ältere Herr mit den scharf geschnittenen Gesichtszügen und den noch immer dichten, dunklen Haaren warf einen kurzen Blick auf seinen erstgeborenen Sohn Niklas. Der sagte gar nichts. Er war sich nicht einmal sicher, ob Nik ihn wirklich gehört hatte. Nik war selten stumm und hatte für gewöhnlich zu allem etwas zu sagen. Und wenn ihm nichts Sinnvolles einfiel, brummte er. Das Brummen hatte er von seiner Mutter geerbt, es war einer dieser Laute, die alles ausdrücken konnten und daher die Gesprächspartner furchtbar verunsicherten. Was im Gerichtssaal eine wunderbare Sache war, privat jedoch eher lästig. Doch Nik sagte nichts und er brummte auch nicht. Er aß ungerührt sein Steak weiter und nahm bedächtig einen Schluck Rotwein. Nachdem er das Besteck auf die Seite gelegt und sich mit der Serviette den Mund getupft hatte, hob er endlich den Blick.
„Willst du sie heiraten?“, fragte er ruhig.
Diese Frage stellten normalerweise Väter ihren Söhnen, nicht umgekehrt. „Wenn ja, sollten wir einen wasserdichten Ehevertrag aufsetzen.“
Auch diese Feststellung hätte von ihm, Kurt Johran, stammen können. Deshalb konnte er seinem Sohn nicht einmal böse sein. Max jedoch war empört, er warf seinem um sechs Jahre älteren Bruder einen bitterbösen Blick zu. „Nik, gehts noch, was fällt dir ein?“
„Nein, lass nur, er hat vollkommen recht“, sagte Kurt beschwichtigend. „Wir werden das zu gegebener Zeit besprechen. Niklas, ich zähle dann auf deine Hilfe. Aber diese Frage stellt sich noch nicht.“
„Seit wann geht das genau?“, fragte Nik weiter. Sein Vater erwiderte seinen Blick offen, er log seine Söhne niemals an. Er verschwieg Dinge, aber er log nicht.
„Lange genug, um zu wissen, dass es die richtige Entscheidung ist“, antwortete er knapp.
„Du weißt, dass das für unsere Kanzlei mehr als peinlich wäre, wenn der Boss etwas mit einer Mandantin anfängt, während die Scheidung läuft. Immerhin war das ein für die Öffentlichkeit nicht gerade uninteressanter Scheidungsfall. Der Exmann ist ein bekannter Schönheitschirurg und wenn durchsickert, dass du während des Verfahrens eine Affäre mit seiner Frau angefangen hast …“
„Keine Sorge. Nicht einmal ihre Tochter wusste es. Und die Scheidung ist ja nun schon eine Weile durch“, unterbrach Kurt seinen Sohn ungeduldig.
„Sie hat eine Tochter?“ Das war Max‘ Startschuss wieder an dem Gespräch teilzunehmen. Er gluckste fröhlich und beugte sich verschwörerisch über den Tisch in Richtung seines Bruders.
„Niky, wir bekommen ein Schwesterchen“, spöttelte er, der Angesprochene warf ihm einen gereizten Blick zu. Er hasste es, Niky genannt zu werden.
„Na, wie mich das freut!“, murrte er. Er wusste natürlich von der Tochter, immerhin hatte er gemeinsam mit seinem Vater an den Akten gesessen. Und nun war ihm auch klar, warum dem gerade dieser Fall so wichtig gewesen war!
„Wie alt ist denn die Kleine?“, fragte Max und zwinkerte fröhlich.
„Einunddreißig“, antwortete Nik trocken.
„Oh, das ist aber schon ein großes Mädchen!“ Max schlug sich lachend auf die Schenkel und erntete einen strafenden Blick seines Vaters.
„Maximilian, jetzt reicht es. Heb dir deine gute Laune für morgen auf, das wird unser erstes gemeinsames Essen vielleicht etwas angenehmer gestalten als mit diesem Brummbär gegenüber von dir.“
Nik legte stöhnend den Kopf in den Nacken. „Es tut mir leid, aber du hast mir jahrelang gepredigt‚ fang dir nichts mit einer Mandantin an. Und das fällt mir bei den heißen, frustrierten, ungevögelten Geräten, die da teilweise in unsere Kanzlei marschieren, manchmal wirklich ziemlich schwer …“, er ignorierte den schockierten Blick seines Vaters und das herzhafte Lachen seines jüngeren Bruders, „… und dann wirst du, gerade du, plötzlich weich und machst mit einer dieser Damen rum.“
Kurt Johran sagte nichts, es war einer der seltenen Momente, wo er schlichtweg keine Antwort wusste. Nik hatte recht, aber es hatte ihn erwischt. Und nur weil er bereits seine Sturm- und Drangzeit um einige Jährchen überschritten hatte, hieß das noch lange nicht, dass er gegen diese überwältigenden und plötzlichen Gefühle immun war!
„Ich habe nicht rumgemacht und ich bin bei weitem nicht der wilde Hund, den dein Bruder in mir sehen will. Ich bin dreiundsechzig Jahre alt und hatte – bis auf einige unwichtige Affären – nach eurer Mutter keine Frau in meinem Leben, die mir wirklich etwas bedeutet hat. Ich habe nach ihrem Tod sehr lange getrauert, aber nun, nach zwanzig Jahren, habe ich mich wieder verliebt. Das hast du zu akzeptieren, Niklas.“
Sein Ältester und er starrten sich entschlossen ins Gesicht, keiner senkte den Blick.
„Dass dein Bruder eine ausgesprochen romantische Ader hat und daher kein Problem mit meiner neuen Beziehung haben wird, ist uns ja wohl beiden klar. Es wäre nett, wenn auch du dich damit anfreunden könntest.“
„Ich habe kein Problem mit einer neuen Beziehung. Ich habe ein Problem damit, dass du ihren Exmann ziemlich abgezockt hast und ich neige auch zu der Auffassung, dass die gute Dame etwas geldgierig sein könnte und ihr das nicht genug war“, erwiderte Nik bissig. So respektlos verhielt er sich selten, doch nahm sein Vater das seltsamerweise ziemlich gelassen. „Das ist vermutlich dein berufsbedingtes Misstrauen“, sagte er nur und ließ sich von Paul, dem Butler, der wie gewohnt keine Miene verzog, nachschenken.
„Damit bin ich bis jetzt gut gefahren und du auch.“
„Das stimmt allerdings. Schaffst du es morgen trotzdem, dich den Damen gegenüber höflich zu benehmen?“, fragte Kurt mit hochgezogenen Augenbrauen.
Sein Sohn nickte unwillig.
Lilli war alles andere als begeistert, heute den neuen Mann an der Seite ihrer Mutter samt „Nachwuchs“ kennenlernen zu müssen. Celia nervte sie den ganzen Tag schon mit diversen Arbeitsaufträgen:
„Du musst dir die Haare ordentlich machen, du hast so wunderschöne Locken, wenn du sie etwas bändigst! Zieh etwas Hübsches an, wir wollen doch einen guten Eindruck machen! Aber bloß nichts Aufreizendes! Und, bitte, hole die Profiteroles ab, die ich bei Roberto bestellt habe. Kurt liebt die! Du kommst doch mit dem Auto? Du musst pünktlich sein, Kurt ist immer überpünktlich. Eine Berufskrankheit, wie er sagt. Besser, du kommst etwas früher zu mir, mit der Nachspeise! Vergiss, um Himmels willen, die Profiteroles nicht! Und mach dir die Haare ordentlich …“
Spätestens in diesem Moment klinkte Lilli sich geistig aus! Die Illustratorin musste schließlich nicht nur die doppelt und dreifach formulierten Aufträge ihrer aufgeregten Frau Mama erfüllen, sondern auch noch ein Cover für ein Kinderbuch fertigstellen. Und ihre Buchhaltung schrie auch schon verzweifelt nach Erledigung!
Der Tag verging wie im Flug. Sie hatte weder Lust noch Zeit, sich um ihre Locken zu kümmern und mit dem „früher kommen“ würde es definitiv auch nicht klappen. Lilli seufzte. Sie beendete ihre Arbeit am Laptop und ging zum Schrank.
„Zieh dir etwas Hübsches an, aber nichts Aufreizendes!“
Als hätte sie etwas Aufreizendes im Kasten! Ihr Blick marschierte die Reihe mit den Kleidern und Röcken ab, vor und wieder zurück. Sie würde sich bei dieser für Mai außergewöhnlichen Hitze garantiert in keinen adretten Hosenanzug schmeißen, nur um den vermutlich exklusiven Ansprüchen der Herren Anwälte zu genügen.
Lilli entschied sich für ein leichtes, in Grün- und Blautönen gehaltenes Sommerkleid mit engem Oberteil und weit schwingendem Rock. Sie mochte das Kleid und es stand ihr ausgesprochen gut. Darin fühlte sie sich hübsch, aber nicht zu auffällig. Sie begutachtete im Spiegel prüfend ihr Dekolleté, dann zwinkerte sie ihrem Spiegelbild verschmitzt zu. Das bisschen Ausschnitt würden die Herren schon aushalten.
Schnell eilte sie hinunter in die Tiefgarage zu ihrem Mini Cooper und brauste los in Richtung Döbling. Es war halb sechs. Um sechs Uhr würden die Gäste ihrer Mutter eintreffen, das konnte bei dem täglichen Abendverkehr etwas knapp werden.
***
„Nik, Sie haben die Blumen vergessen. Ich habe sie auf Ihren Schreibtisch gestellt, genau vor Ihre Nase!“ Die Stimme seiner Assistentin Marie tönte vorwurfsvoll durch die Freisprechanlage seines Wagens.
Verdammt! Sein Vater würde ihn umbringen. „Max wird Celia einen Blumenstrauß mitbringen und du der Tochter des Hauses, ich will, dass beide Damen etwas bekommen“, seine Worte hatten unmissverständlich geklungen. Und obwohl sich Nik mit seinen immerhin schon fünfunddreißig Jahren sehr unabhängig fühlte, gab es Wünsche seines Vaters, die er natürlich erfüllte. Und selbstverständlich gebot es die Höflichkeit, mit einem Blumenstrauß aufzutauchen. Aber er hatte einen wirklich nervenaufreibenden Tag hinter sich und die Blumen hatte er sofort nach seiner Rückkehr ins Büro auf den Besprechungstisch in der Fensternische gestellt. Der Anblick des auffälligen Grünzeugs hatte ihn gestört und außerdem dufteten die Lilien furchtbar stark.
Das war wieder typisch für die aufmerksame Marie: Lilien für Liliane!
Aber den, wie er fand, aufdringlichen Geruch hätte er unmöglich den restlichen Nachmittag so nah bei sich ausgehalten! Und wie hieß es so schön: Aus den Augen, aus dem Sinn!
„Verdammt!“, wiederholte er so laut, dass seine Sekretärin ihn hören konnte.
„Zum Zurückkommen ist es zu spät“, sagte sie wichtigtuerisch, das wusste Nik selbst auch. „Wissen Sie, ob es hier irgendwo einen Blumenladen gibt, in dem ich noch schnell einen neuen Strauß besorgen könnte?“, fragte Nik und begann selbst die Straße nach einem derartigen Geschäft abzusuchen.
„Wo sind Sie denn genau?“
„Ich fahre gerade die Billrothstraße hinauf und dann in Richtung Friedhof.“
„Sie könnten es ja bei der Friedhofsgärtnerei probieren.“
Bildete er sich das ein, oder klang Maries Stimme etwas schnippisch. Was vielleicht damit zusammenhing, dass er sie ziemlich unfreundlich, während einer ihrer mehr als verdienten Kaffeepausen, aufgescheucht hatte, um diese dämlichen Blumen zu besorgen!
„Sehr witzig!“, knurrte er und plötzlich fiel sein Blick auf ein kleines Geschäft mit Blumenarrangements vor der Tür. Die Verkäuferin war offensichtlich gerade dabei zu schließen, sie räumte die Ware ins Innere des Geschäfts.
„Habe soeben etwas gefunden!“ Er beendete das Telefonat, machte eine Vollbremsung und einen Haken nach links, um sich eilig im Rückwärtsgang neben diesen roten Mini Cooper zu zwicken, der seiner Meinung nach nicht so viel Platz benötigte, wie er sich genommen hatte. Retourgang deshalb, weil er sonst die Autotür nicht weit genug aufgebracht hätte. So stand sein Wagen mit diesem leuchtend roten Minidings ziemlich knapp Beifahrertür an Beifahrertür. Als er ausstieg, erklang nochmals der Klingelton seines Handys. Wieder seine Sekretärin.
„Was denn!“, biss er ins Telefon und blieb kurz stehen, um sich mit einer Hand seine Krawatte zu lockern. Er hielt es kaum mehr aus vor Hitze.
Plötzlich tauchte eine leuchtende, kupferfarbene Lockenmähne vor ihm auf und die dazugehörende, ausgesprochen attraktive, junge Frau starrte stirnrunzelnd auf den kleinen vierrädrigen Nachbarn seines schnittigen Sportcoupès. In ihren Händen balancierte sie ein eingewickeltes, undefinierbares Paket, das sie nun auf dem Dach des Mini Coopers abstellte. Während er versuchte, sich von ihrem Anblick nicht allzu sehr ablenken zu lassen, erzählte seine Sekretärin irgendetwas von einem überraschenden Frühstückstermin am nächsten Tag um acht Uhr.
Die offensichtliche Besitzerin des Wagens stellte sich ihm in den Weg und blitzte ihn wütend an. Grüne Augen - Wow! - und was für ein Grün! Sein Blick wanderte unbewusst weiter abwärts. Hing kurz an zornig verkniffenen Lippen, die unter normalen Umständen einen Mann sicher unheimlich glücklich machen konnten, und landete dort, wo seine Augen definitiv nichts verloren hatten. Obwohl Nik wirklich nicht der Typ Mann war, der einer Frau sofort ungeniert auf den Busen starrte, konnte er nicht anders.
Lilli war fassungslos, der Kerl war wirklich das Letzte! Er stand großkotzig vor ihr, wirkte entsetzlich genervt, wie er an seiner Krawatte zog und zerrte, und blickte ihr während des Telefonats eindeutig interessiert auf die Brust. Wieso nur hatten Männer ihre Augen nicht besser unter Kontrolle? Ihre Hand schoss vor und ohne zu überlegen schob sie ihren Zeigefinger unter sein frisch rasiertes Kinn, um seinen Kopf ein wenig anzuheben.
Du starrst mir nicht dorthin!
Ihm fiel - im wahrsten Sinne des Wortes - die Kinnlade runter und er sah ihr fassungslos ins Gesicht.
Na, geht doch!
Sie deutete mit zwei Fingern zu ihren Augen.
„Hier spielt die Musik!“, pfauchte sie wütend. Er blinzelte verwirrt.
„Marie, ich melde mich später wieder“, stotterte er ins Telefon und ließ es langsam sinken.
Die Gute tickte ja nicht richtig! Sicher war es sehr unhöflich dorthin zu sehen, wo er gerade hingeguckt hatte, aber deshalb musste sie ihn noch lange nicht anfassen!
„Haben Sie ein Problem? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragte er gefährlich leise, nachdem er sich wieder in Griff hatte. Sie blickte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen hochmütig an.
„Abgesehen davon, dass ich Sie wegen sexueller Belästigung anzeigen könnte – was ich aber nicht tue, da ich es zu eilig habe, um mich damit zu beschäftigen –, haben Sie mich soeben eingeparkt.“
„Abgesehen davon, dass Sie das mit der sexuellen Belästigung vergessen können, da Sie mich angegrapscht haben und nicht umgekehrt – ich war in mein Telefonat vertieft –, habe ich niemanden eingeparkt.“
So nicht meine Süße, du bist heute definitiv an den Falschen geraten!
Nik warf einen demonstrativen Blick auf die Fahrertüre. „Genug Platz zum Einsteigen.“
Und da legte sie auch schon los: „Ich hatte aber eigentlich vor, die Beifahrertüre zu öffnen, um meine Sachen zu verstauen, was nun leider nicht möglich ist, da Sie Ihre Angeberkarre hier so verkehrswidrig abgestellt haben, was Ihnen aber offensichtlich total egal ist, da Sie einer von diesen Menschen zu sein scheinen, denen prinzipiell alles….“
Sie musste nicht einmal Luft holen, während sie schimpfte. Ohne Pause schoss sie ihre verbalen Giftpfeile auf ihn ab. Und plötzlich hatte er beim Klang dieser aufgebrachten Stimme ein höchst seltsames Déjà-vu, das er allerdings nicht zuordnen konnte.
„Halt, stopp, Auszeit!“, fiel Nik ihr entschlossen ins Wort, er hatte jetzt genug. Sie funkelte ihn empört an, war aber seltsamerweise ruhig.
„Meine … Angeberkarre … steht hier sehr gut und das wird sie auch weiterhin tun. Ich schlage Ihnen also vor, genauso in ihren Wagen einzusteigen, wie es jeder normale Fahrer tun würde: Faaaahrerseite!!! Tut mir leid, aber ich kann sonst nichts mehr für Sie tun. Ich habe es eilig, wirklich sehr eilig“, knurrte er und hatte die Frechheit sich an ihr vorbeizuquetschen – peinlich darauf bedacht, sie ja nicht zu berühren - und ohne einen weiteren Blick im Blumengeschäft zu verschwinden.
Lilli wollte ihm etwas ausgesprochen Unfreundliches nachrufen, ließ es aber dann doch bleiben. Die Klügere gibt nach!
Das Handy läutete, ihre Mutter, eh klar! Sie hatte gerade erst wieder die Profiteroles vom Dach ihres Wagens geholt und versuchte diese nun auf einem Arm zu balancieren, während sie das Gespräch entgegennahm.
„Wo steckst du, es ist schon nach sechs? Hast du die Nachspeise?“ Ihre Mutter sprach seltsam gedämpft, vermutlich waren die Gäste schon da. Na toll! Lästig, diese Pünktlichkeit!
„Ich bin schon unterwegs, hab alles dabei. Komme in fünf Minuten“, hechelte sie ins Telefon.
„Lilli, Schatz, wieso kommst du nicht einmal pünktlich“, jammerte Celia. Lilli schnaufte, sie versucht sich mit vorgestreckter Unterlippe eine Locke von der Nase zu blasen.
„Wenn du lange meckerst, komme ich gar nicht!“
Plötzlich hatte sie das Gefühl, alles kam ins Rutschen. Profiteroles am Arm, Handy am Ohr, der Handtaschenriemen machte sich ebenfalls selbstständig und glitt über die Schulter abwärts.
„Mama, ich muss jetzt auflegen!“, krächzte Lilli und versuchte mit seltsamen Verrenkungen erst einmal die Tasche daran zu hindern, sich schwer an ihren Arm zu hängen und – noch schlimmer – die Profiteroles mit hinunterzureißen.
Plötzlich waren da zwei Hände, die ihr entschlossen die verpackte Schüssel abnahmen. Sie drehte sich verdutzt zur Seite und neben ihr stand, diesmal etwas entspannter als vorhin, der Typ mit dem frisch rasierten Kinn und grinste sie frech an.
„Bei Ihnen kommt ja einiges ins Rutschen“, meinte er und sein staubtrockener Tonfall stand im totalen Gegensatz zu dem spöttischen Funkeln in seinen dunkelgrauen Augen.
„Das ist deshalb, weil ich nicht in mein Auto kann!“, murrte sie vorwurfsvoll.
Er zuckte ungerührt mit den Schultern.
„Ich bin schon weg, dann haben Sie freie Bahn. Und nicht gleich wieder loskeppeln!“
Er stellte die Schüssel wieder auf das Autodach und marschierte scheinbar bestens gelaunt zu der Fahrerseite seines Cabrios. Angeberkarre! Cabrio! Helle Ledersitze! Auf der Rückbank lag nun ein in buntes Seidenpapier gewickelter Blumenstrauß gewaltigen Ausmaßes. Deshalb hatte er es so eilig gehabt, hatte wohl ein spannendes Date. Und um schon mal in die richtige Stimmung zu kommen, hatte er mal kurz auf ihre Brust gestarrt.
„Was ist das eigentlich?“ Seine Stimme drang nur schwer durch ihre wirklich miese Laune durch. Er saß in seinem Wagen und blickte neugierig auf die Profiteroles, die schleunigst aus der Wärme sollten.
„Profiteroles, auch wenn Sie das eigentlich nichts angeht!“, fuhr Lilli ihn an.
„Mmmhhh.“ Ihr aggressiver Tonfall schien ihn nicht mehr sonderlich zu beeindrucken, er ließ ein genüssliches Brummen hören. Ein Laut, der eine Frau dazu brachte, selbst zu einer Profiterole werden zu wollen, um von ihm als Dessert … Lilli!!! Sie schüttelte über sich selbst empört den Kopf und starrte ihn umso kampflustiger an!
Er warf ihr noch einen letzten, seltsamerweise bedauernden Blick zu und fuhr los.
Bedauernd deshalb, weil diese aufregende, temperamentvolle junge Frau seiner Ansicht nach irgendwie nicht ganz richtig im Kopf zu sein schien!
Weit kam er allerdings nicht.
„Nik, Papa ist schon nahe am Ausrasten, wo steckst du bloß?“
Jetzt machte auch noch sein kleiner Bruder Stress. Nik hatte sein Auto in einer Bushaltestelle stehen und raufte sich gedanklich die Haare. Soeben hatte ihn ein ziemlich verzweifelter, um nicht zu sagen panischer, Anruf einer Mandantin erreicht. Es war einer der spektakulärsten Fälle, die die Kanzlei derzeit zu bearbeiten hatte, und äußerst medienwirksam. Bekannter Boxer verprügelte seine Frau, und das leider nicht zum ersten Mal. Nicht nur Alkohol, auch Drogen waren im Spiel. Unschöne Sache. Und nun schien er während eines Streits am Telefon endgültig die Nerven verloren zu haben und war angeblich auf dem Weg zu ihr. Was sollte er tun? Sich todesmutig dem Verrückten in den Weg stellen? Er war nicht Lorenas Bodyguard, er war ihr Anwalt, und das hatte er der ängstlichen Frau unmissverständlich klarzumachen versucht.
Die Polizei war vermutlich auch bald da. Es war nur die Frage, wer früher bei ihr eintreffen würde: Der gewalttätige und hoffentlich baldige Exmann oder die Polizeistreife.
Sie hatte geheult am Telefon und Nik war nicht aus Stein. Er würde wohl zu ihr fahren, sicherheitshalber. Sie war im Moment die wichtigste Mandantin der Kanzlei und er konnte sie nicht so einfach hängen lassen.