DUST 4: Sieg und Niederlage - Martin Kay - E-Book

DUST 4: Sieg und Niederlage E-Book

Martin Kay

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Beschreibung

Simon McLaird hat unter schwerer Folter die Koordinaten der Erde und Cloudgardens verraten. Der Bewahrer des Scardeenischen Rates sammelt eine gewaltige Angriffsflotte, um die Bedrohung durch die Allianz von Cloudgarden im Handstreich aus dem Universum zu tilgen. Währenddessen plant Sherilyn Stone die Befreiung Ken Dras und Prinzessin Tanyas aus den Händen Helen Dryers ...

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Seitenzahl: 289

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Inhalt

Band 10 Sieg und Niederlage

Prolog

Band 11 Rückkehr zur Erde

Band 12 Der Preis des Lebens

Epilog

Martin Kay

DUST 4 – Sieg und Niederlage

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Juli 2017 Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild: Dirk Berger Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-498-6 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-527-3 Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

Band 10 Sieg und Niederlage

Schmerz!

Der Mann sackte endgültig auf die Knie, als ihn ein erneuter Fußtritt traf. Ein mit Metall beschlagener Stiefel bohrte sich in seine Magengrube. Explosionsartig breitete sich der Schmerz sternförmig in seinem Körper aus, raubte ihm den Atem. Der Mann krümmte sich auf dem kalten Stahlboden zusammen, nahm automatisch eine Schutz suchende Embryonalstellung ein. Faustschläge in sein Gesicht hatten die Brauen aufplatzen lassen. Warmes, über seine Augen fließendes Blut nahm ihm die Sicht. Er konnte seine Peiniger nur noch als schwache Schemen hinter einem roten Schleier wahrnehmen.

Wo bin ich hier? Erstaunlich, dass sein gemartertes Hirn überhaupt noch in der Lage war, Gedanken zu produzieren. Zeit und Raum hatten für ihn an Bedeutung verloren. Nur noch Schmerz war relevant. Schmerz, der wie ein Flächenbrand in jedem Teil seines geschundenen Körpers wütete.

Er musste husten, spuckte dabei Blut und Speichel auf den Boden.

Langsam ebbte der Schmerz in seiner Magengegend ab. Da wurde er von zwei kräftigen Händen unter den Schultern gepackt, hochgerissen und mit brachialer Gewalt gegen eine der stählernen Wände seines Gefängnisses geschleudert. Er brüllte auf, rutschte an der Wand herab und blieb in verkrümmter Haltung liegen.

Gefängnis?, flackerte es in dem schwindenden Bewusstsein kurz auf, dann war der Gedanke schon wieder entschwunden.

Das Letzte, was Simon McLaird hörte, waren sich entfernende Schritte und das Zischen eines schließenden Schotts. Dann schwanden ihm die Sinne …

Φ

»Noch Kaffee … Sherilyn?«

Major Stone schreckte aus ihren trüben Gedanken hoch und blickte verwirrt erst Corporal Linda O’Ryan und dann die leere Metalltasse in ihrer rechten Hand an.

»Ja, bitte«, murmelte sie leise, während der Corporal die Tasse bereits mit dem letzten Rest aus der Kanne auffüllte. Linda warf einen prüfenden Blick in die Kanne und setzte sich dann in Richtung der kleinen Küchenzeile ihres Quartiers in Bewegung, um Nachschub zu holen.

»Ich habe genug Kaffee für heute!«, rief Sherilyn Stone ihr hinterher. »Meinetwegen musst du keinen neuen kochen.«

Corporal O’Ryan drehte auf dem Absatz herum, stellte die leere Kanne auf den kleinen Tisch und ließ sich wieder in den Sitz gegenüber Sherilyn fallen. Mit einem Lächeln auf den Lippen beobachtete sie, wie ihre Freundin kurz an dem starken, schwarzen Gebräu nippte und das Gesicht verzog, bevor sie die noch fast volle Tasse ebenfalls auf den Tisch abstellte. Sherilyn lehnte sich in ihrem Sitz zurück. Dabei gab sie ein leises Seufzen von sich.

Linda schüttelte den Kopf, als sie sich erneut aus den Polstern erhob und einen Blick aus dem Sichtfenster des Zimmers warf. Die beiden Frauen befanden sich im Quartier des Corporals auf der Devil’s Eye, einem der einhundertvier gewaltigen Stadtschiffe, die in fest definierten Positionen in der Atmosphäre des Gasriesen Cloudgarden schwebten. Linda und Sherilyn hatten eine lange Unterhaltung, ein ausführliches Gespräch zwischen zwei Frauen hinter sich, in dem es nur um ein Thema ging: Simon McLaird!

»Wie und wann wirst du es ihm endlich beibringen?«, hakte Linda O’Ryan nach und knüpfte dabei an das unterbrochene Gespräch an, ohne den Blick von dem atemberaubenden Panorama zu lösen, das das Sichtfenster ihr bot. Sie stand in ihren Freiwachen oft an dieser Stelle und sog den majestätischen Anblick des gigantischen Planeten in sich auf. Es war ihre Art, sich von dem oft stressigen Dienst an Bord des Stadtschiffes zu erholen.

Sherilyn Stone schälte sich nun ebenfalls aus ihrem Sitz und gesellte sich zu Linda. »Das ist ja genau das Problem. Ich fürchte, er liebt mich wirklich. Und wenn ich ihm sage, dass er für mich nicht mehr als eine … eine Affäre, ein Verhältnis war, dann würde ihn das tief treffen.«

Linda löste den Blick von der Wolkensphäre Cloudgardens und sah ihre Freundin lange und nachdenklich an. »Sherilyn«, begann sie dann, merklich nach den richtigen Worten suchend, »wie ich das sehe, liebt Simon dich. Und du bist sicher, dass du seine Gefühle nicht teilst?«

Sherilyn starrte durch Linda O’Ryan hindurch. Die Worte der anderen Frau verankerten sich in ihrem Bewusstsein. Obwohl sie sich selbst als einen harten Brocken bezeichnen würde, war ihr Gefühlsleben durch Simon McLaird arg ins Wanken geraten. Im Augenblick fehlte ihr die Stabilität im privaten Bereich und das machte ihre Arbeit als kommandierender Offizier nicht unbedingt leichter.

Die beiden Frauen starrten sich eine Zeit lang an, dann begann es um Sherilyns Mundwinkel zu zucken. Linda runzelte die Stirn. Anscheinend befürchtete sie, ihre Freundin würde jetzt in Tränen ausbrechen, obwohl sie so eine Gefühlsregung noch nicht bei ihr beobachtet hatte. Stattdessen schlich sich ein amüsiertes Lächeln in Sherilyns Gesicht und weitete sich zu einem befreiten Lachen aus, als sie den irritierten Gesichtsausdruck des Corporals sah. Nachdem sie sich wieder gefangen hatten, umarmte sie ihre überraschte Freundin kurz, aber stürmisch.

»Was bin ich froh, dass uns niemand zugehört hat. Da draußen«, Sherilyn deutete mit dem Kinn zum Sichtfenster, »bedroht das Scardeenische Reich den Fortbestand der Menschheit und wir haben nichts Wichtigeres zu tun, als uns gefrustet über Männer zu unterhalten.«

Erneut sah Linda dem Major tief in die Augen, bevor sie in einem ernsten Tonfall zu einer Erwiderung ansetzte. »Genau das ist es, was uns zu Menschen macht, Sherilyn. Für uns ist nicht nur ein Volk, ein Planet oder ein ganzes Sternenreich wichtig. Nein, wir kümmern und sorgen uns noch um den Einzelnen. Wie hat das Captain Kirk aus STAR TREK so schön ausgedrückt? Das Wohl eines Einzelnen wiegt manchmal schwerer als das Wohl vieler. Oder so ähnlich …«

»Ich wusste nicht, dass du Trekkie bist«, lachte Sherilyn. »Aber ja … irgendwo hast du recht.«

Sie klopfte Linda freundschaftlich auf die Schulter und wandte sich zum Gehen. Am Türschott verharrte sich jedoch und drehte sich nochmals zu Linda um. »Ich werde mir die Sache durch den Kopf gehen lassen, Lin. Du hast recht, ich kann Simon nicht weiter vormachen, dass er meine große Liebe ist. Danke für deinen Rat.«

»Dafür sind Freunde doch da.« Sie blickte Sherilyn hinterher, selbst dann noch, als der Major längst gegangen und sich das Schott automatisch geschlossen hatte.

Φ

»Du bist also einer von denen, ja?« Die Frage verlangte keine Antwort, denn diese wusste Harry Thorne längst. Er starrte durch das Halbdunkel zu Jeremiah Hurley hinüber. Der junge Mann, den er zu seinen NSA-Zeiten noch für einen minderjährigen Schüler gehalten hatte, saß ihm gegenüber mit dem Rücken gegen die von Ranken überwucherte Wand gelehnt. Thorne war sicher, dass Hurley etwas verbarg, nicht nur vor ihm, sondern auch vor den eigenen Leuten. Bisher war ihm nicht zu entlocken gewesen, warum er überhaupt mit Simon McLaird in Kontakt getreten war und die Drahusem zur Erde gelotst hatte.

»Sieht ganz so aus«, sagte Jeremiah. »Bei meinen Leuten werde ich übrigens Jem genannt, aber mir wäre es lieber, wenn wir bei Jeremiah blieben.«

Thorne machte eine wegwerfende Handbewegung. »Eigentlich ist mir das scheißegal, wie ich dich anrede, verstehst du?«

Jeremiah grinste. »Jeremiah reicht. Und was Ihre Erkenntnis über meine wahre Identität angeht: Sie werden auch bald einer von uns sein.«

Thorne seufzte. Er hatte befürchtet, dass das Gespräch in diese Richtung verlaufen würde, auch wenn er sich innerlich dagegen sträubte, darüber zu reden. So, wie er Jeremiah verstanden hatte, gab es keine Möglichkeit der Umkehr mehr. Was immer ihm die Leute Marshal Ians gespritzt hatten, es wirkte bereits in seinem Körper und veränderte ihn langsam, aber sicher zu etwas, das bald so aussehen würde wie Paul Gossett. Unwillkürlich wanderte Thornes Blick zu dem monströsen Etwas unweit Jeremiahs. In einem Geflecht aus Ranken und Efeu eingebettet war mit Mühe und Not noch der Körper des Ex-CIA-Agenten Gossetts zu erkennen. Der Umwandlungsprozess war bereits weit fortgeschritten. Soweit Thorne die Sache verstanden hatte, wurde Gossett nicht direkt zu jemandem wie Ian oder Jeremiah, sondern er reifte vielmehr in das Kollektiv der Aliens hinein.

»Hör mal, Kleiner«, sagte Thorne und löste sich von dem schrecklichen Anblick. »Du hast nicht zufällig irgendwo eine Zigarette versteckt, ehe die dich hierher brachten?«

»Der Schmacht nach Nikotin wird Ihnen schon bald vergehen, glauben Sie mir.«

Thorne biss die Zähne aufeinander. Warum sollte er auch ausgerechnet in so einer verfahrenen Situation wie dieser ein wenig Glück haben? Sein Blick irrte abermals zu Gossetts Gestalt. Eine wirre Idee keimte in seinen Gedanken auf. »Du sagtest … Gossett wird einer von euch, aber er agiert nicht selbstständig, so wie Ian, Liz und eure anderen Leute, sondern er dient der Summe eurer Intelligenz …«

»Seins«, verbesserte Jeremiah. »Der Summe unseres Seins – dem Naulokahr.«

»Wie auch immer. Was wird aus mir? Werde ich so wie Gossett? Oder besteht die Chance, dass ich der bleibe, der ich bin.«

»Die Hoffnung stirbt zuletzt, nicht wahr?«, fragte Jeremiah und grinste breit. »Glauben Sie mir, Mister Thorne, Sie werden nie wieder der sein, der sie jetzt noch sein mögen. Sie sind es nicht einmal mehr, nur haben Sie es noch nicht begriffen. Aber um Ihre Frage zu beantworten, ob Sie wie Gossett ins Naulokahr übergehen oder eine individuelle Person bleiben, das liegt im Ermessen des Admirals.«

»Ah ja«, machte Thorne. »Und wo ist dieser Admiral?«

Ein leises Surren ertönte. Grünes Licht drang in den abgedunkelten Raum und umfloss die Gestalt an der Türschwelle wie einen leuchtenden Mantel. Thorne ahnte, wer sie besuchte. Das letzte Mal hatte er Marshal Ian in Washington D. C. getroffen, kurz bevor dessen Leute ihn betäubten und hierher schafften – wo immer auch hier sein mochte. Ian betrat in Begleitung seiner Adjutantin Marshal Liz den Raum. Er trug nicht mehr das legere Flanellhemd und die verwaschenen Jeans, die Thorne sonst immer an ihm gesehen hatte, sondern eine Uniform, in der sich helle und dunkle Grüntöne abwechselten. Selbst Stiefel und Handschuhe leuchteten grünlich im gespenstischen Schein des Lichts. Am Oberkörper trug er – ebenso wie Liz – eine Art Harnisch. Vermutlich etwas Ähnliches wie einen Körperpanzer. Sowohl Ians blonde als auch Liz braune Haare waren von grünlichen Strähnen durchzogen. Das Rosa ihrer Lippen war ebenfalls einem Grün gewichen. Langsam dämmerte in Thorne etwas, als er seinen Blick über die Ranken und Lianen schweifen ließ, die sich durch den gesamten Raum zogen. Als er den Gedanken greifen wollte, wurde er jäh durch Marshal Ian unterbrochen.

»Ihnen scheint es ja prächtig zu gehen«, eröffnete der hochgewachsene Mann, dem Thorne über Jahre hinweg vertraut hatte.

»Mir würde es noch besser gehen, wenn ich Ihre Visage nicht mehr sehen müsste. Übrigens, Sie sehen richtig schmuck in dem Kostüm aus, Ian – zum anderen Ufer übergelaufen?«

Ian verzog nicht einmal die Mundwinkel. »Harry, Harry, Humor liegt Ihnen nicht, das sollten Sie selbst am besten wissen.«

»Ja, schon gut.« Thorne hätte sich am liebsten auf den anderen gestürzt und jede Antwort auf alle Fragen, die ihm gerade in den Sinn kamen, aus ihm herausgeprügelt. »Also was wollen Sie von mir, Ian? Sie haben mich doch nicht zu einem Kaffeekränzchen in Ihren Wintergarten entführt.«

Ian trat näher an ihn heran. Wie beiläufig legte Marshal Liz im Hintergrund ihre Hand auf den Waffengriff an ihrer Seite. Fast hätte Harry Thorne aufgelacht. Er fühlte sich nicht mal in der Lage, alleine zu gehen. Für Ian stellte er im Moment alles andere als eine Bedrohung dar.

»Also wer ist dieser Admiral? In was verwandelt ihr mich? Werde ich so enden wie Gossett?«

»Immer noch ganz der NSA-Agent?«, fragte Ian zurück. »Der Admiral ist hier an Bord.«

»An Bord?«

Der Marshal ignorierte die Frage und machte noch einen Schritt auf Thorne zu. Er brauchte nur den Arm auszustrecken, um den anderen zu berühren, wenn er es gewollt hätte. »Wir haben uns noch nicht entschieden, was wir danach mit Ihnen anfangen, Harry.«

»Danach? Hey, kommen Sie, Ian, wir haben mehrere Jahre zusammengearbeitet. Auch wenn sie mich verarscht haben, können Sie mir jetzt wenigstens ein bisschen entgegenkommen, oder? Also was zum Teufel wollen Sie?«

Ian grinste und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie haben im letzten Jahr umfassende Informationen über Shadow Command zusammengetragen. Als wir beide noch zusammengearbeitet haben, waren wir uns einig, dass keine Ihrer Regierungsorganisationen uns gefährlich werden könnte, keiner außer Shadow Command.«

»Ja und?«

»Ich werde mir zuerst Ihr Wissen holen«, sagte Ian mit einem plötzlichen Funkeln im Blick. »Und danach hole ich mir Shadow Command.«

Harry Thornes Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Er musterte den anderen und erkannte, dass er einmal mehr dabei war, den Feinden seiner Welt alles in die Hände zu spielen. Thorne war im Interesse seines Landes an einem Austausch an Informationen und Technologien interessiert gewesen, nicht ahnend, dass Ian die ganze Zeit über keinen Gedanken an irdische Interessen verschwendete. Und mit seiner Gefangennahme verriet er vermutlich nun die einzige Gruppierung, die den Aliens etwas entgegenzusetzen hatte.

Oh ja, ich hab eine gottverdammte Menge über Shadow Command herausgefunden, dachte er. Nicht über die Splittergruppe um Major Sherilyn Stone, die sich in die Tiefen des Weltraumes abgesetzt hatte und von der er keine Hilfe erhoffte, sondern von all den anderen Stützpunkten und Mitgliedern, rund um den Globus verteilt.

Und darüber hinaus …

Ehe Thorne den Gedanken beendet hatte, griff etwas in seinen Geist ein. Er spürte kurz Ians Präsenz, fremde Gedanken und einen schier unerträglichen Sog, der scheinbar alles, was er wusste, aus ihm heraussaugte. Thorne verdrehte die Augen und sank in sich zusammen. Er schwebte am Rande der Bewusstlosigkeit, driftete jedoch nicht in das Reich der Dunkelheit ab. Anscheinend hielt Ian ihn irgendwie davon ab.

Als der Marshal von ihm abließ, keuchte der Ex-NSA-Agent und erbrach sich. Er fühlte sich mehr als nur ausgelaugt, fast als hätte man ihm jede Information, die irgendwann in seinem Gehirn abgelegt worden war, gewaltsam aus den Erinnerungsspeichern gerissen und dann sorglos, ohne auf Ordnung zu achten, wieder zurückgelegt. In seinen Gedanken herrschte ein heilloses Durcheinander. Er registrierte nur am Rande, dass Ian und Liz sich wieder zurückzogen. Sie gingen mit seinem Wissen, mit dem er einmal mehr die Erde verraten hatte.

Φ

Nachdenklich lenkte Sherilyn Stone ihre Schritte durch die langen Gänge des Stadtschiffs in Richtung ihres Quartiers. Das Gespräch mit Linda hatte ihr etwas von der Last genommen, die auf ihre Seele drückte. Auf jeden Fall würde sie versuchen, die Ratschläge der Freundin in Bezug auf Simon McLaird zu befolgen. Sie musste ihre Beziehung beenden, ehe es zu einer nicht wiedergutzumachenden Katastrophe kam.

Sherilyn hob den linken Arm, an dem sie ihren Kommunikator trug, und nahm Kontakt mit der Kommandobrücke der Devil’s Eye auf. Auf dem kleinen Bildschirm erschien das fragende Gesicht eines Aspekts, deren Halskette sie als NAT-2 Beta auswies.

»Wie kann ich Ihnen helfen, Major?«

»Stellen Sie bitte fest, wo sich Lieutenant McLaird zurzeit aufhält.« Sherilyn Stone sah, wie Natasha ihren Blick nach links richtete, anscheinend einige Eingaben an ihrem Terminal machte und dann wieder in die Kamera blickte.

»Laut den Logbucheinträgen ist Lieutenant McLaird vorgestern zusammen mit NAT-3 mit seiner Privatjacht Solaria zu einem Trainingsflug gestartet, Ma’am.«

»Ein Trainingsflug?« Sherilyn legte nachdenklich die Stirn in Falten. »Seitdem irgendwelche Nachrichten von der Solaria?«

NAT-2 Beta warf einen weiteren Blick neben die Kamera und schüttelte dann den Kopf. »Seitdem die Solaria Cloudgarden verlassen hat, gab es keinen Funkkontakt mehr.«

»Geben Sie mir bitte sofort Bescheid, wenn sich McLaird meldet.« Sherilyn Stone wartete die Antwort des Aspekts gar nicht erst ab, sondern unterbrach die Verbindung. Im gleichen Augenblick erreichte sie den Gang, der zu ihrer Unterkunft führte. Die beiden Aspekte, die laut Sicherheitsprotokoll vor ihrem Quartier Wache hielten, nahmen sofort Haltung an und ließen die Tür aufgleiten, als der Major sich näherte. Sherilyn verzichtete auf den üblichen militärischen Gruß, nickte den beiden Natashas nur kurz zu und wollte ihre Unterkunft betreten. Das Summen des Armbandkommunikators ließ sie innehalten. Schnell hob sie den Arm und betätigte die Empfangstaste.

»Major Stone! Hier spricht Lieutenant Preston«, meldete sich ein junger Offizier. Dem ID-Code links oben im Monitor zeigte Sherilyn, dass der Mann sie aus der Funkzentrale von Landedeck 13 aus anrief – eine der größeren Landebuchten, die sogar Schiffe der Zerstörer-Klasse aufnehmen konnten. »Die Executor ist von ihrer Mission auf Mazoni zurück. Sie landet in Hangar 13, Dockbucht 47.«

»Danke. Geben Sie der Executor Bescheid, dass ich Prinzessin Tanya und Schwertträger Ken Dra in fünfzehn Minuten in meinem Büro erwarte. Major Stone, Ende.«

Als Sherilyn Stone kurz darauf ihr Büro betrat, saß bereits Lieutenant Sean Harris in einem der bequemen Sessel vor ihrem Schreibtisch. Harris hatten zusammen mit Natasha-6 Omega, die er mittlerweile offiziell Angel nannte, die Evakuierung der Nullsphäre geleitet.

»Tag, Lieutenant.«

Harris nickte knapp. »Major.«

Sherilyn umrundete den Schreibtisch und ließ sich in ihren Sitz fallen. Harris hatte sich in seiner lockeren Art nicht einmal die Mühe gemacht aufzustehen.

»Also schön, wie viele?«, fragte Sherilyn und faltete die Hände über der Schreibtischplatte ineinander.

»Wir haben einhundertfünfzig evakuiert. Zusätzlich zu unserem bisherigen Potenzial verfügen wir jetzt über eine Schlagkraft von neunhundert Schiffen der Zerstörer-Klasse. Verdammt, wenn wir das nur hätten eher absehen können, dann hätten wir weiß Gott mehr Schiffe retten können.«

»Ich weiß, Harris. Aber es hilft nichts, dem nachzutrauern, oder?«

Der Lieutenant hob die Schultern. In diesem Moment trat ein Unteroffizier in das Büro des Majors und salutierte kurz vor den beiden Vorgesetzten.

»Was ist passiert, Sergeant? Wo sind Prinzessin Tanya und Schwertträger Ken Dra?«

Der Neuankömmling trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Er wich dem durchdringenden Blicken der beiden aus. Man sah ihm deutlich an, dass er nach den richtigen Worten für seinen Bericht suchte, doch dann rettete er sich in eine nichtssagende Ausflucht. »Wir hatten Probleme …«

»Probleme? Welcher Art?«, fasste Sean Harris sofort nach und schwang in dem Besucherstuhl vor Stones Schreibtisch gänzlich herum.

»Nun … wir sind befehlsgemäß zum Planeten Mazoni geflogen. Prinzessin Tanya hat mit den dort noch lebenden Amazonen gesprochen. Sie konnte die Streitigkeiten unter den unterschiedlichen Lagern schlichten und die Amazonenkönigin Lasaria davon überzeugen, sich der Allianz anzuschließen. Wir hatten gerade alle noch auf dem Planeten befindlichen Amazonen mit Fähren an Bord der Executor gebracht, da griffen uns überraschend die Scardeener an. Der Schwertträger wollte ein direktes Gefecht vermeiden und gab den Befehl zum Abdrehen und Rückflug nach Cloudgarden. Ken Dra, Prinzessin Tanya, Kardina, Königin Lasaria und Sergeant Jones sowie Corporal Lucas blieben bei der Raumjacht der Prinzessin und wehrten die Bodentruppen der Scardeener ab …«

Der Sergeant wankte sichtlich bei seinem Bericht. Man merkte ihm an, dass ihm die Gedanken, Kameraden auf Mazoni zurückgelassen zu haben, schwer zu schaffen machten.

Sherilyn Stone und Harris hatten mit unbewegter Miene zugehört. Der Major stieß einen tiefen Seufzer aus und drehte sich in ihrem Sitz zum Fenster hin, das direkt hinter ihrem Schreibtisch einen atemberaubenden Anblick in den wolkigen Himmel Cloudgardens bot. Eine Weile herrschte Stille im Büro. Sherilyn spürte förmlich die Nervosität des Sergeants und sie wusste auch, dass Lieutenant Harris jeden Moment mit einem überschwänglichen Rettungsplan aufwarten konnte. Schließlich schwang Sherilyn den Sitz wieder herum und starrte den Sergeant an.

»Wie viele Schiffe haben die Executor angegriffen?«

»Unsere Raumortung hat ein scardeenisches Schlachtschiff ausgemacht. Wir wissen aber nicht, ob nach unserer Flucht noch andere über Mazoni aufgetaucht sind.«

Sherilyn Stone schien für einen kurzen Augenblick zu überlegen. Dann nahm sie Kontakt mit der Kommandobrücke der Devil’s Eye auf und ließ eine Verbindung zu Shadestar herstellen, dem militärischen Raumhafen auf der Oberfläche Cloudgardens. Wenige Sekunden später tauchte auf dem in ihrem Schreibtisch integrierten Monitor das Gesicht einer jungen Frau mit schulterlangem, blond gelocktem Haar auf.

»Wachbüro, Second Lieutenant Karen Wyman hier. Was kann ich für Sie tun, Major?«

Es ist irgendwie beruhigend, außer den Aspekten auch noch andere Menschen zu sehen. Sherilyn musste bei dem Gedanken schmunzeln, was bei der Frau auf dem Monitor ein Stirnrunzeln hervorrief.

»Geben sie Alpha-Alarm für Shadestar und die Stadtschiffe. Außerdem sollen sofort zwanzig Zerstörer einsatzbereit in den Orbit aufsteigen und dort auf mich warten. Ich stoße mit der Huntress in einer halben Stunde zu dem Verband hinzu. Zielkoordinaten: Mazoni.«

Major Stone wartete die Bestätigung ihrer Befehle ab, dann schaltete sie den Monitor aus, entließ den Sergeant und wandte sich Lieutenant Harris zu. »Kann ich mit Ihnen rechnen, Harris?«

Er blickte seine Vorgesetzte müde an. Wie lange er während der Evakuierung der Nullsphäre kein Auge zugetan hatte, wusste sie nicht. Dennoch erwiderte er: »Wenn Sie mir und Angel danach eine Woche Landurlaub gewähren, bin ich dabei, Major.«

Sherilyn lachte auf und schüttelte gleichzeitig den Kopf. »Landurlaub? Wo wollen Sie den verbringen? Unten auf der Piste?«

Harris’ niedergeschlagener Ausdruck wich einem spitzbübischen Grinsen. »Cloudgarden im Schnee, fünf Uhr morgens, eine frische Loipe. Sie wissen gar nicht, was Sie verpassen, Ma’am.«

Sherilyn grinste ebenfalls, wurde dann jedoch übergangslos ernst. »Es ist zwar unüblich, einen Lieutenant-Dienstgrad ein Schiff befehligen zu lassen, aber ich mache in Ihrem Fall eine Ausnahme, Harris, da wir nicht genügend Kapitäne haben.«

»Keinen, um es genau zu nehmen«, sagte Harris. »Da wir ohnehin mehr mit Schiffen zu tun haben, sollten wir unsere Rangordnung vielleicht der Navy statt der Army anpassen. Oder glauben Sie immer noch, dass der lange Arm Shadow Commands bis hierher reicht und man uns früher oder später für unsere Taten verantwortlich machen wird?«

»Ich weiß es nicht«, gestand Sherilyn. »Ich habe im vergangenen Jahr weder etwas von diesem ominösen neuen General noch von unserer Agentin Hannigan gehört. Die Sache mit den Navy-Dienstgraden halte ich für sinnvoll. Was wäre ich dann eigentlich?«

»Nur Commander, Ma’am.« Harris Grinsen wurde breiter. »Die befehligen in der Navy gerade mal U-Boote. Sollen wir die Zerstörer als U-Boote des Weltraums klassifizieren?«

Sherilyn Stone stand auf. Es wurde Zeit zu handeln, statt weiter herumzuwitzeln. »Wir reden später darüber, Lieutenant. Sie übernehmen das Kommando über den Zerstörer Starrider und schließen sich unserem Verband an.«

»Aye, Commander … äh, sorry, ich meinte natürlich Major.«

»Verschwinden Sie endlich!«, lachte Sherilyn.

Φ

Mehr taumelnd als gehend erreichte Ken Dra den offen stehenden Eingang zum kleinen Gemeinschaftsraum der Raumjacht. Kurz zuvor war der Schwertträger am Boden der kleinen Luftschleuse aus einer nur Sekunden währenden Bewusstlosigkeit erwacht und besaß offensichtliche Orientierungsschwierigkeiten. Helen Dryers Tritt in seine Genitalien hatte ihn schwerer getroffen, als er sich selbst eingestehen wollte.

Auf dem Weg rekapitulierte er für sich, was geschehen war. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war ihre Flucht vor den scardeenischen Bodentruppen auf Cloudgarden gewesen. Unter Schmerzen hatte er sich bis zur Luftschleuse von Tanyas Raumjacht geschleppt.

Tanya!

Verbittert sah er noch einmal das Unglück vor sich. Die Amazonenprinzessin war mit Helen Dryers Schwert geblendet worden und hatte ein Auge verloren. Zuvor war Kardina unter einem Schwertstreich der Verräterin zu Boden gegangen.

Der Schwertträger stand schwer atmend im Türrahmen und kämpfte gegen eine erneut aufkeimende Welle von Übelkeit an. Der Schleier vor seinen Augen lichtete sich langsam und er konnte einen Blick in den Aufenthaltsraum werfen. Verschwommen sah er die Amazonenkönigin Lasaria, die sich über einen Körper beugte, der auf eine der provisorischen Ruhepritschen gebettet war. Mit flinken Fingern legte Lasaria der regungslos daliegenden Tanya einen Verband um den Kopf, der auch eine komplette Gesichtshälfte der Amazone bedeckte. Ken schaute zur zweiten Pritsche hinüber, auf der ebenfalls ein Frauenkörper lag. Mit Entsetzen erkannte der Schwertträger die Kriegerin Kardina, um deren schlanke Taille ein dicker, blutgetränkter Verband lag. Als Ken Dras Blick auf die Brust der Amazone fiel, die sich in unregelmäßigen, aber tiefen Atemzügen hob und senkte, atmete auch er erleichtert auf. Die Frauen schienen zwar angeschlagen zu sein, aber wenigstens hatten sie es alle zurück an Bord der Jacht geschafft.

»Wie geht es Euch, Ken?«

Der Schwertträger zuckte bei der Erwähnung seines Namens zusammen und sah wieder zu Lasaria, die ihn mit einem besorgten Gesichtsausdruck musterte.

»Es geht so. Um mich braucht Ihr Euch nicht zu kümmern, Hoheit. Was ist passiert?«

»Ihr erinnert Euch nicht mehr, Schwertträger?«, fragte die Königin. »Wir gerieten in einen Hinterhalt scardeenischer Bodentruppen. Ich habe Tanya und Kardina zusammen mit Sergeant Jones an Bord der Jacht gebracht, ehe wir starteten.«

»So langsam … erinnere ich mich wieder. Wie geht es Tanya und Kardina?«

Die Königin hielt in ihrer Arbeit inne. Ein Schatten schien sich auf ihre edlen Gesichtszüge zu legen. Die Anstrengungen des Kampfes hatten sich als feine Falten in ihr Gesicht eingegraben und in ihren Augen standen Müdigkeit und Verzweiflung.

»So makaber es sich auch anhört, aber Tanya hat noch Glück gehabt. Das Schwert dieser Bewahrerin hat nur ihr Auge geblendet. Es ist aufgeplatzt und ausgelaufen, aber die Klinge ist nicht bis zum Gehirn vorgedrungen – und vielleicht auch nicht bis zum Sehnerv, aber das werden die Ärzte entscheiden. Das Einzige, was ich tun konnte, war, die Wunde zu reinigen und keimfrei abzudecken.« Lasarias Stimme klang schleppend. »Kardinas Bauchwunde ist nicht tief. Sie hat viel Blut verloren, aber soweit ich das beurteilen kann, sind keine inneren Organe verletzt worden. Trotzdem gehören die beiden so schnell wie möglich in ärztliche Behandlung, sonst kann ich für nichts garantieren.«

Ken Dra nickte stumm, worauf sich Lasaria wieder der Pflege ihrer Kriegerinnen widmete. Der Schwerträger gab sich einen Ruck und stieß sich von dem Türrahmen ab. Mit wenigen Schritten durchmaß er den schmalen Gang, der direkt in die Kommandozentrale der Raumjacht führte. Die Wände waren von der Explosion der Vernichtungskugel von Helen Dryers Schwert geschwärzt.

Vor den Steuerelementen in der Zentrale saß Sergeant Ben Jones und starrte angespannt auf das Display der Raumortung, während er seine beiden Bartzöpfe zwirbelte, die ihm den Spitznamen Kinnteufel eingebracht hatten.

Ken ließ sich in den Sitz des Kommandanten gleiten. »Wie sieht es aus?«

»Eine ehrliche Einschätzung oder eine beschönigende?«, fragte Jones zurück, ohne von den Instrumenten aufzublicken.

»Eine ehrliche.«

»Wir stecken in Schwierigkeiten.«

Ken runzelte die Stirn. Er hatte nicht erwartet, dass sie so einfach davonkamen, wenn im Orbit Mazonis ein Schlachtschiff kreiste.

»Und wie klingt das, wenn Sie das beschönigen?«

»Wir stecken in Schwierigkeiten«, sagte Jones noch einmal.

Auf dem Sichtschirm vor dem Pilotenpult herrschte tiefschwarze Nacht. Die Executor war längst auf dem Rückflug nach Cloudgarden und konnte ihnen nicht helfen. Ken hoffte, dass die Jacht die Planetengravitation Mazonis schnell hinter sich ließen, um in den Hyperraum springen zu können. Pures Wunschdenken! Die Scardeener waren vorbereitet, und als hätte dieser Gedanke bereits ausgereicht, seine Befürchtungen wahr werden zu lassen, drang ein Warnton aus der Ortungskonsole.

»Mist!«, fluchte Sergeant Jones und stellte endlich das Zwirbeln seiner Kinnbartzöpfe ein. Ken Dra beugte sich vor, um einen Blick auf das Display der Raumortung zu werfen, das einen Schwarm kleiner grüner Punkte anzeigte, der sich mit großer Geschwindigkeit im nahen Raum durch den Orbit des Planeten bewegte.

»Jäger«, knurrte Jones resigniert. »Wir stecken in bösen Schwierigkeiten. Sie haben uns bereits entdeckt!«

Die grünen Punkte vollzogen auf dem Display eine Wende und kamen direkt auf die Position der Raumjacht zu. Jones schaltete die Außenkameras mit höchstem Vergrößerungsfaktor auf einen zweiten Monitor direkt neben der Raumortung. Stromlinienförmige Objekte erschienen auf dem Bildschirm wie ein Schwarm angriffslustiger Hornissen. Sie näherten sich mit hoher Geschwindigkeit – dann löste sich die Phalanx auf und begann, die Jacht einzukreisen.

»Hyperantrieb?«, fragte Jones.

Ken schüttelte den Kopf. »Zu riskant. Die Masse Mazonis würde uns durch die Raumkrümmung ins Zentrum des Planeten ziehen. Wir sind noch zu nah am Gravitationsfeld.«

»Dann haben die uns gleich!«

»Ich weiß, Sergeant.« Ken betätigte die interne Kommunikation und gab Königin Lasaria eine knappe Einschätzung der Situation. Gleichzeitig riet er ihr, sich und die beiden Verletzten anzuschnallen. Er selbst legte ebenfalls die Haltegurte des Konturensitzes an. Dabei glaubte er kaum, dass ihn diese Maßnahme vor Schaden bewahrte, wenn der Feind tatsächlich das Feuer eröffnete.

Einer der Abfangjäger rauschte mit hoher Geschwindigkeit so dicht am Bug der Raumjacht vorbei, dass es Ken so vorkam, als müsse er nur den Arm ausstrecken, um den glänzenden Rumpf des kleinen Schiffes zu berühren. Ein lautes Knacken in den Lautsprechern der Kommunikationsanlage ließ Sergeant Jones zusammenzucken.

»Jagdgeschwader Sirius vom scardeenischen Schlachtschiff Magiruna. Hier spricht der Geschwaderführer! Drehen Sie auf Kurs drei-drei-sieben bei. Drosseln Sie Ihre Triebwerke auf Landeanfluggeschwindigkeit und bereiten Sie sich darauf vor, geentert zu werden.«

Sergeant Jones’ Kopf ruckte zu Ken Dra herum. Sein Gesicht hatte einen verbissenen Ausdruck angenommen. »Kämpfen?«, fragte er mit tonloser Stimme, während seine Hände mit einem leichten Zittern über den Kontrollen der Verteidigungseinrichtungen der Jacht schwebten.

Ken Dra schien in Gedanken versunken zu sein. Er hatte das Kinn auf seine Hände gestützt, hielt die Augen geschlossen und wirkte, als würde er beten. Als er die Augen öffnete, schüttelte er leicht den Kopf. »Das wäre aussichtslos. Sobald wir nur den Anschein von Widerstand leisten, zerlegen die uns in Atome. Im Augenblick ist es für uns alle besser, das zu tun, was die Scardeener von uns verlangen.« Insgeheim dachte Ken dabei auch an die beiden verletzten Amazonen. Im Gefecht sanken ihre Überlebenschancen auf ein Minimum. Sie brauchten dringend ärztliche Versorgung, die man ihnen an Bord des scardeenischen Schlachtschiffes gewähren konnte.

Die Anspannung fiel sichtlich von Jones ab. Er nickte zustimmend und begann, die notwendigen Befehle in die Tastatur einzugeben, um den Weisungen des Geschwaderführers Folge zu leisten. Die Raumjacht verringerte ihre Geschwindigkeit und wurde von zehn Jägern in die Mitte genommen. Die Leitmaschine schwenkte auf einen orbitalen Kurs ein, der die Jacht und ihre Eskorte nach kurzer Zeit auf die andere Seite Mazonis führte, wo die Magiruna scheinbar bewegungslos im All schwebte.

Als der stählerne Leib des Schlachtschiffs den Sichtbereich der Aussichtsfenster vollständig ausfüllte, bildete sich dicht vor ihnen eine hell erleuchtete Öffnung. Kurz darauf schwenkte der Leitjäger nach links weg, während Jones aus seiner Erstarrung erwachte und die Raumjacht mit sicherer Hand in den offenen Hangar steuerte. Ken Dra nutzte die Zeit, um den Scardeenern über Funk mitzuteilen, dass Verwundete an Bord waren. Kaum hatte Sergeant Jones die Fähre im Inneren des riesigen Raumdecks auf ihren Landestützen abgesetzt, glitten die gewaltigen Hangartore aus meterdickem Stahl wieder hinter ihnen zu. Das Energiefeld, das bei geöffneten Schotten dafür sorgte, dass keine Luft und Wärme den Hangar verließ, erlosch. Über die Achterkamera konnten Ken Dra und Jones einen letzten Blick in den Weltraum und auf den Planeten Mazoni werfen, ehe die Tore sich endgültig schlossen.

Ken Dra ließ den Verschluss seiner Haltegurte aufspringen, während Jones die Triebwerke der Fähre herunterfuhr und alle Systeme des Schiffes, bis auf die Lebenserhaltung, deaktivierte. Der Schwerträger schälte sich aus seinem Sitz und ging in den Aufenthaltsraum. Gemeinsam mit Lasaria begab er sich zur Luftschleuse und wartete auf Jones, bevor sie das Schott öffneten. Mit einem leisen Summen fuhr eine Rampe aus dem Leib der Jacht.

Ken Dra setzte einen Fuß auf die Gangway und blickte direkt in die Mündung von vierzig Lasergewehren, die auf den Ausstieg des Raumers gerichtet waren. Hinter den Gewehrläufen standen scardeenische Legionäre in voller Kampfmontur. Am fernen Ende des Hangars erkannte Ken Sanitätspersonal, das mit Tragen und Nothilfekoffern auf ihren Einsatz wartete. Erleichtert hob der Schwertträger seine rechte Hand und winkte den Soldaten mit einem ironischen Lächeln zu.

»Ah, eine Ehrengarde nur für uns? Das wäre aber nicht nötig gewesen«, versuchte er, die angespannte Atmosphäre zu entschärfen, was er aber gleich darauf bereute, als sich ein glühender Energiestrahl dicht neben seinen Kopf in das Metall der Jacht bohrte und die Hülle zum Kochen brachte. Beißender Qualm drang Ken Dra in Augen und Mund.

»Ich glaube nicht, dass Sie in der Position sind, dumme Witze zu machen!«, rief ihnen der Legionär zu, aus dessen Waffe der Schuss gekommen war. Die Rangabzeichen auf seiner Brust wiesen ihn als kommandierenden Offizier des kleinen Trupps aus. »Benehmen Sie sich wie anständige Gefangene und steigen Sie mit erhobenen Händen aus.«

Ken Dra verschränkte die Arme über seinem Kopf und ging, dicht gefolgt von Jones und der Amazonenkönigin, mit langsamen Schritten die kleine Rampe hinab.

»Im Schiff sind noch zwei verwundete Frauen«, rief Lasaria dem Commander der Legionäre zu. Sofort kam Bewegung in die Sanitäter, doch die Männer wurden durch einen scharfen Ruf des Anführers zurückgehalten. Seine rechte Hand zuckte nach oben, er spreizte gut sichtbar drei Finger ab, mit denen er in Richtung der offenen Luke zeigte. Sofort lösten sich sechs Legionäre aus dem Verbund und rannten auf die Gangway zu. Mit angelegten Waffen überwanden die Soldaten den kleinen Höhenunterschied zur Luke und verschwanden in geduckter Haltung im Inneren der rochenförmigen Jacht. Es dauerte nur wenige Minuten, da meldete einer der Soldaten über Helmfunk, dass das Schiff gesichert sei. Der Commander nickte den abwartenden Sanitätern zu. Die Männer und Frauen nahmen ihre Tragen erneut auf und folgten den Soldaten in das Schiff. Etliche Augenblicke später traten sie wieder durch die Schleuse ins Freie. Auf ihren Tragen lagen die verletzten Amazonen. Die beiden Frauen schienen immer noch ohne Bewusstsein zu sein. Als die Sanitäter Kardina und Tanya von den Tragen auf bereitstehende Antigravliegen umbetteten, war ein schmerzhaftes Stöhnen aus Kardinas Mund zu hören. Offenbar ließen die verabreichten Schmerzmittel langsam in ihrer Wirkung nach. Die einen Meter über dem Boden schwebenden Antigravliegen vor sich herschiebend, eilten die Sanitätssoldaten in Richtung des am nächsten liegenden Schotts davon.

Ken Dra schaute stumm hinterher. Als sein Blick die neben ihm stehende Amazonenkönigin streifte, meinte er das Schimmern von Feuchtigkeit in ihren Augen zu erkennen.

»Legen Sie Ihre Waffen ab!«

Die befehlsgewohnte Stimme des scardeenischen Commanders lenkte die Aufmerksamkeit der Gefährten wieder auf die Soldaten, deren Gewehrläufe noch immer drohend auf die kleine Gruppe gerichtet waren.

»Dafür müsste ich aber die Hände absenken«, bemerkte Ken Dra mit ruhiger Stimme, wobei ein müdes Lächeln um seine Mundwinkel lag. »Und ich möchte nicht von einem Ihrer Männer ein drittes Nasenloch verpasst bekommen.«

Einen Moment starrte der Commander den Schwertträger fassungslos an. Anscheinend war er nicht gewohnt, dass ein Gefangener ihn verhöhnte. Dann schlich sich ebenfalls ein Lächeln in sein Gesicht, als er sagte: »Lassen Sie das ruhig meine Sorge sein. Wenn einer meiner Männer Ihnen ein Leid zufügt, wird er hart bestraft, und zwar mit fünf Liegestützen in voller Montur.«

Das Hohngelächter der Soldaten hallte durch den Hangar. Ken beschloss, den Commander nicht weiter zu reizen, und nickte seinen Gefährten zu. Mit spitzen Fingern zog Sergeant Jones seinen Handlaser aus dem Holster. Es gab einen lauten Schlag, als er die Waffe zu Boden fallen ließ. Lasaria löste mit wenigen Griffen ihren Schwertgurt, an dem ihre Klinge und ebenfalls eine Laserpistole befestigt waren, und ließ ihre Waffen etwas vorsichtiger zu Boden gleiten. Ken Dra hingegen blieb achselzuckend stehen, denn offensichtlich schien er keine für die Soldaten erkennbare Waffe am Körper zu tragen.

»Halt!«