Elfenwolf - Tanja Rast - E-Book

Elfenwolf E-Book

Tanja Rast

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Beschreibung

Der Magie verfallen – das ist eine Gay-Fantasy-Reihe um Krieger und Magier, Priester und Diebe. Jeder Roman erzählt die Romanze zweier gegensätzlicher junger Männer – zwischen Gefahren, Abenteuern und großen Gefühlen. Als der Heiler Tiver nachts aus dem Bett gerufen wird, hat er keine Ahnung, in was er schlaftrunken hineinstolpert. Wenige Stunden später findet er sich in einem Käfig mit kranken Elfensklaven wieder und muss doch erkennen, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist. Denn unerwartete Rettung tritt in Gestalt des Elfenkriegers und vormaligen Arenasklavens Karrikan auf. Wortkarg, vernarbt und den Kopf voller revolutionärer Ideen entspricht Karrikan keinesfalls den Idealen des sanftmütigen Heilers – doch Tiver verliert sein Herz, während rings um ihn und Karrikan ein Sturm entfesselt wird, der das ganze Reich in den Abgrund stürzen kann.

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Der Magie verfallen XI

 

 

Elfenwolf

 

 

 

 

Tanja Rast

 

 

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

 

Impressum:

Impressum: Tanja Rast, Haßmoorer Weg 1, 24796 Bredenbek

www.tanja-rast.de

 

Cover: Sylvia Ludwig, www.cover-fuer-dich.de

 

Motive für Cover:

Foggy mystic forest: Tom Tom / shutterstock.com

Stylized portrait of a tribal warrior: CURAphotography / shutterstock.com

 

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Menschen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis
1 Ein unmoralisches Angebot
2 Ein wandelndes Unwetter
3 Feuer und Flamme
4 Funkenflug und Aschedunst
5 Eines Heilers Herz
6 Sommersprossenzauber
7 Kleine Wölfe
8 Frieden aus Glas
9 Mordbrennerei
9 Finster Tann
9 Von Herzen und einem Heim

 

Die Autorin
Eine kleine Bitte
Danksagung
Lesefutter
Lesefutter

1.

Ein unmoralisches Angebot

 

Ein gesundes Kind, eine junge Mutter, die nicht nur überleben, sondern auch noch weitere Kinder zur Welt bringen können würde, ein Bauer, der vor lauter Erleichterung nur noch stammeln konnte und eine alte, erfahrene Hebamme – das waren die Zutaten eines späten Abends, der Tiver erschöpft in die kleine Wohnung neben seinen Behandlungsräumen zurückkehren ließ. Die bauchige Tasche mit seiner gesamten Notausrüstung hatte er gleich an der Haustür gelassen, und nun trat er sich die Schuhe von den Füßen und stieg die Treppe zur winzigen Badestube hinauf. Während er sich die allerletzten Blutreste von Händen und Armen wusch, schweiften seine Gedanken wieder zum Bett in der Schlafkammer des Bauern, zu der Hebamme, die sofort nach ihrem Eintreffen ihre Schülerin zu Tiver geschickt hatte. Nur noch eine Schnittgeburt hatte die werdende Mutter und ihr ungeborenes Kind retten können. Nervenaufreibend und selbst für Tiver alles andere als alltäglich, mochte er auch dreimal der beste Heiler im Umkreis von vierzig Meilen oder mehr sein.

Er überlegte, ob er noch etwas essen wollte, doch der Gedanke an das mittlerweile kalte Abendessen, das er bei seinem überstürzten Aufbruch im Gefolge der Schülerin zurückgelassen hatte, lockte ihn gar nicht mehr. Lieber eine heiße Milch mit Honig, dann noch ein wenig im Sessel nahe dem Ofen lesen, bis die Anspannung sich legte, die derzeit noch die Erschöpfung im Schach hielt.

Er stützte sich auf dem Waschbeckenrand auf. Es war knapp gewesen. Wie immer, wenn er einen Kranken im letzten Augenblick dem Herrn der Dunklen Reiche vorenthalten hatte, fühlte Tiver sich ausgelaugt und schwankend zwischen triumphierendem Jubel und dem dringenden Bedürfnis, sich die Decke über den Kopf zu ziehen und nie wieder einem Menschen auf der Schwelle zur anderen Welt in die Augen zu sehen, niemals wieder die Verzweiflung der Angehörigen und das hoffnungsvolle Starren und die damit verbundene Verantwortung ertragen zu müssen.

Heiße Milch, eine sehr gute Idee. Er trocknete sich ab, warf das schmutzige Hemd in einen Korb und streifte sich ein frisches über, bevor er gähnte. Hundemüde. Die Milch würde ihn beruhigen, und dann konnte er …

Unten klopfte jemand an die Tür. Tiver stöhnte. Bitte, nicht mehr jetzt. Es musste kurz vor Mitternacht sein. Auch Heiler benötigten Schlaf. Aber gehorsam schlüpfte er in trockene Schuhe und eilte die Treppe nach unten, während er im Geiste einige der Kranken durchging, die er in den letzten Tagen behandelt hatte, von denen einer einen Rückfall erlitten haben mochte. Niemand machte sich mitten in der Nacht auf, um den Heiler aus dem Bett zu klopfen, wenn es nicht dringend war.

Tiver zerrte den Riegel von der Tür zurück und öffnete die Pforte. Zu seiner ehrlichen Verblüffung blickte er in drei ihm vollkommen fremde Gesichter. Bartschatten, dicke Friesmäntel, nicht eben saubere Männer, deren Körpergerüche Tiver an jenen Bettler erinnerten, dem er vor einem Jahr einen erfrorenen Fuß hatte abnehmen müssen. Ein Glücksfall für den Mann, der jetzt in der Burg über der Stadt in der Küche arbeiten durfte.

Mühsam hielt Tiver sich davon ab, die Nase zu rümpfen. Es gab viele Menschen, die es nicht so gut und behaglich hatten wie er, und er empfand es als anmaßend und überheblich, auf sie hinabzusehen.

»Guten Abend, Herr. Wir wurden hierher verwiesen, weil wir einen guten Heiler suchen – dringend benötigen.«

»Natürlich. Was erwartet mich? Ich muss das wissen, damit ich die nötigen Materialien einpacken kann.«

Eine schmutzige Hand wurde ausgestreckt, und Tiver rechnete felsenfest mit ein paar Kupfermünzen, die ihm im Austausch für seine Hilfe angeboten wurden. Alles, was diese drei besaßen. Er hatte Mühe, seine Überraschung zu verbergen, als er drei Silbermünzen sah – nicht die kleinen, sondern die alten, großen Scheiben mit dem Konterfei eines lange toten Königs.

»Wir lagern außerhalb der Stadt, wir wagten nicht, den Verletzten weiter zu fahren. Er ist in eine Wolfsfalle getreten.«

»Ich verstehe«, antwortete Tiver. Das konnte von einer hässlichen Fleischwunde und zerfetzten Adern und Muskeln bis zu zertrümmerten Knochen alles umfassen. Er erbarmte sich der hingereckten Hand, die die Münzen erleichtert an ihn abgab. »Ich ziehe mir einen Mantel an und hole meine Tasche.«

»Danke, Heiler. Wir haben einen Wagen hier, du wirst nicht laufen müssen.«

Mit einem Nicken zog Tiver sich zurück, ließ die Haustür aber offen. Wahrscheinlich ein Handelszug, dachte er, warf sich den gefütterten Mantel über die Schultern und trug die Tasche in den Behandlungsraum, um Arzneien aufzufüllen und das schlanke Lederetui einzupacken, in dem sich die scheußlicheren Werkzeuge verbargen. Säge, Messer, Aderpresse. Er schloss die Tasche und kehrte zu den Männern auf den Stufen seines Hauses zurück. Nur noch einer stand dort, derjenige, der gesprochen und die Münzen übergeben hatte. Die beiden anderen hatten sich schon zu einem Ponywagen mit Verdeck zurückgezogen.

Tiver schloss sich dem Sprecher an und kletterte in das Vehikel. Es würde eng werden, aber das Verdeck schützte vor dem herbstlichen Nieselregen, und obwohl Tiver sich vor Ungeziefer fürchtete, bedeutete Nähe auch Wärme und Windschutz. Immerhin schienen ihm die drei Männer trotz ihres abgerissenen Äußeren respektvoll und höflich. Und er hoffte darauf, war sich sogar beinahe sicher, dass sie ihm den Fußmarsch zurück nach Hause ersparen würden, sobald er den Verletzten versorgt hatte.

Die Ponys zogen an, und der kleine Wagen rollte durch die regenfeuchten Straßen, passierte das Stadttor, das eigens für das Gefährt geöffnet wurde.

»Was für eine Nacht«, sagte der Wächter, der sich tief unter seine Kapuze duckte und Tiver freundlich begrüßt hatte.

»Das Schicksal von Heilern und Wächtern, mein Freund«, antwortete Tiver, was den Mann am Tor leise lachen ließ. Ein Nicken, eine winkende Hand, und der Wagen rollte aus dem Lichterhof des Torkastells auf die breite Straße und in Dunkelheit.

»Wie weit ist es?«, fragte Tiver.

»Keine halbe Stunde, Herr. Tut mir leid, dass wir dich um diese späte Zeit noch bemühen müssen.«

»Der Herr der Dunklen Reiche kümmert sich nicht um die Tageszeit«, gab Tiver zurück und lächelte beruhigend.

Der Wagen rumpelte weiter, das Klopfen der Ponyhufe auf dem Straßenpflaster wirkte in seiner Gleichmäßigkeit ebenso einschläfernd wie das feine Rieseln des Regens, der nun an Kraft gewann. Tiver lehnte sich an die Seitenwand des Wagens und schloss die Augen. Schlaf würde er nicht finden, aber ein wenig Ruhe war besser als gar nichts. Seine Augen brannten vor Müdigkeit, und bei Erreichen des Verletzten musste er seine Sinne beisammenhaben.

 

Offenkundig war er doch eingenickt, denn er schreckte ein wenig benommen hoch, als jemand ihn an der Schulter rüttelte.

»Wir sind da«, sagte eine fremde Stimme.

Tiver nickte und rappelte sich auf. Er packte die Henkel der Tasche und stieg vom Wagen, steif am ganzen Körper. Flammenschein empfing ihn, und die Wärme tat gut. Ein großes Lagerfeuer, das im Halbkreis Wagen umstanden, die meisten mit Planen versehen. Händler, sagte Tiver sich erneut und erleichtert, dass der Kranke nach der Behandlung auf den Komfort eines Wagens bauen durfte. Tiver zog den Mantelkragen hoch und folgte einem Mann zu einem dieser Wagen.

Er hörte jemanden niesen, dann ein leises Husten. Als er den Kopf wandte, sah er – ein wenig weiter vom Feuer entfernt – eine zweite Wagenreihe, die die erste schützend umgab. Keine Planen, sondern Gitterstäbe. Tiver blieb stehen und starrte erschrocken.

»Hier entlang, Herr«, sagte der Mann, der ihm das Silber übergehen hatte, an seiner Seite.

Tiver gab sich einen Ruck, obwohl er noch einmal ein leises, helles Husten vernahm, das aus einem der Käfigwagen kam. Es überlief ihn eiskalt vor Ekel, als er langsam Zwei und Zwei zusammenzählte.

Er fühlte sich vorwärtsgeschoben und stolperte Stufen hinauf in einen Wagen, der nach Fieberschweiß und Blut roch. Er wusste nun ganz bestimmt, dass er nicht zu einer Händlerkarawane gerufen worden war. Zumindest zu keiner, die er so bezeichnen würde. Wie auch immer die Leute hier sich betitelten. Während sein Blick über den großen Mann auf einem weichen Lager flog, ging Tiver im Geiste die Unterhaltung vor seiner Tür noch einmal Wort für Wort durch. Er war nicht getäuscht worden, lautete die ernüchternde Wahrheit, das hatte er ganz alleine erledigt. Niemand hatte von Händlern gesprochen.

Die Zähne fest zusammengebissen stellte Tiver die Tasche auf einen flachen Tisch, klappte den Verschluss auf und beugte sich über den Kranken. Ein unförmiger Verband verhüllte das verletzte Bein. Was auch der Beruf dieses Mannes war, er benötigte Hilfe – und Tiver hatte das Silber schon angenommen. Vielleicht hätte er genauer nachfragen sollen, schalt er sich im Stillen, aber selbst mit der Wahrheit konfrontiert, wäre er wohl trotzdem in den Ponywagen geklettert. Mit der Macht, einen Kranken retten zu können und Gutes zu tun, kam Verantwortung. Diese bedeutete, keinen Hilfsbedürftigen abzuweisen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und auch jemanden zu versorgen, dem Tiver nur mit Abneigung begegnen konnte.

Er löste die Leinenstreifen und legte eine verkrustete Wunde bloß, die nie im Leben von einem Wolfeisen verursacht worden war. Dieser tiefe Schnitt rührte sehr viel wahrscheinlicher von einem Schwert oder einer Axt her. Tiver begann, die klaffenden Wundränder zu säubern. Ein Schwerthieb, befand er. Und das passte nicht zu dem, was er draußen gesehen hatte. Zu den Gefangenen in den Käfigwagen.

Elfen wehrten sich nicht. Sie flohen und verbargen sich, weil das ihr einziger und bester Schutz war.

Vielleicht rührte die Wunde eher von einem Streit zwischen konkurrierenden Elfenjägern, die versucht hatten, sich gegenseitig die Beute abzujagen.

Tiver reinigte die Wunde, schnitt lose, weiße Hautfetzen behutsam ab, trug Salben auf und fertigte einen neuen, sauberen Verband. All das unter den Augen von mehr als zehn anderen Sklavenjägern. Der Wagen war voll, aber immerhin besaßen die Leute genug Verstand, Tiver ausreichend Platz einzuräumen, sodass er ungehindert arbeiten konnte.

Die Silbermünzen wollte er gleich am nächsten Morgen in die Tempelkasse werfen. Da kam dieses Blutgeld wenigstens den Bedürftigen zugute, und ein klein wenig reinigte Tiver solcherart sein Gewissen.

Endlich war der Verletzte versorgt, und Tiver erhob sich, suchte in seiner Tasche die Arzneien, die er abmaß und in Tiegel und kleine Papiertüten füllte.

»Wer wird den Kranken pflegen? Ich bestehe darauf, dass meine Anweisungen exakt befolgt werden.«

Ein großer Mann drängte sich nach vorne, und Tiver – der den meisten seiner Geschlechtsgenossen nur bis zur Schulter reichte – musste den Kopf in den Nacken legen, um in das Gesicht aufblicken zu können. Blitzblaue Augen und ein gepflegter blonder Bart, das lange Haar in einem strengen Zopf gebändigt, sauberer als die drei, die Tiver im Ponywagen hierhergebracht hatten.

»Ich werde darauf achten, dass alles seine Richtigkeit hat. Aber ich würde dir gerne ein Angebot machen, Heiler. Jemanden wie dich können wir gebrauchen, weißt du?« Er sprach das vor versammelter Mannschaft aus, und das übte zusätzlichen Druck auf Tiver aus, was dieser übel nahm.

»Danke, aber ich habe meinen festen Platz …«, begann Tiver, sich irgendwie aus dieser Lage zu winden. Die Heimkehr mittels Kutsche sah er schon schwinden, und obwohl er gerne stolz auf jede weitere Hilfeleistung verzichtet hätte, hatte er keine Ahnung, wo er genau war. Leider war er ja unterwegs eingeschlafen, statt auf den Weg zu achten.

»Schlecht bezahlt, möchte ich wetten. Reichtum bekommst du wohl kaum hinterhergetragen. Aber hier bettelt Geld darum, verdient zu werden. Habe ich dich nicht großzügig für die Hilfe hier entlohnt? Reise mit uns nach Donan Hald, und deine Bezahlung wird das Vielfache von dem sein, was du sonst in einem Jahr zusammenkratzt.«

»Nein, wirklich …«

»Falls du Frau und Kinder hast, werden sie sich freuen, glaub mir. Jede Frau hat einen Mann gern, der Reichtum heimbringt.«

Tiver hatte im Augenblick nicht einmal einen festen Geliebten, aber das würde er diesem Riesen bestimmt nicht auf die Nase binden, obwohl es ein netter Tiefschlag gegen dessen Argumente bedeuten würde.

Mit einem Mal trat der große Kerl verdammt nahe an Tivers Seite und legte einen Arm um dessen Schultern, dem dieser in der Enge zwischen Bett und Tisch nicht ausweichen konnte. Ein Geruch nach exotischem Obst und Pfeifenrauch hüllte ihn ein. Alles war zu nah.

»Zehn Silber am Tag, Heiler, wenn du dafür sorgst, dass die Püppchen heil und munter in Donan Hald ankommen. Dort bringen sie gutes Geld, wie du bestimmt weißt.«

Püppchen, die verächtliche Bezeichnung für Elfen, und jetzt erhärtete sich Tivers Befürchtung, was da draußen in den Gitterwagen kauerte, und erfüllte ihn mit Abscheu vor diesen Menschen. Elfenjäger, die die schwer erreichbaren Wälder am Gebirgssaum durchstöberten und die Nachkommen von Geflüchteten fingen. Weil Elfen keine Rechte besaßen – außer dem einen, sich für einen Sklavenhalter zu Tode zu schuften.

Und obwohl er das Husten und Niesen vernommen hatte und alles in ihm danach schrie, den Gefangenen Erleichterung zu verschaffen, wusste Tiver doch unumstößlich, dass er sich niemals mit Jägern zusammentun durfte. Das widersprach allem, was er als wertvoll erachtete. Verzweifelt suchte er nach einer Lösung dieses Dilemmas.

Er schaffte es, ein freundliches Lächeln auf sein Gesicht zu zwingen, und wiederholte fest: »Ich habe meinen Platz – und mein Auskommen.«

»Na, da kann man nichts machen«, sagte der Große und gab Tiver endlich frei.

Dieser gab sich Mühe, nicht zu offensichtlich aufzuatmen. Jetzt, da die erzwungene, allzu vertrauliche Nähe wegfiel, konnte er auch prompt viel besser denken. »Ich mache einen Gegenvorschlag, weil mir die Kranken leidtun: Ich versorge die Elfen und gebe ihnen die notwendigen Arzneien. Das mache ich unentgeltlich, da ich stets meiner Berufung folge.«

»Das klingt gut.« Der Mann nickte bedächtig.

Wenigstens versuchte er nicht wieder, Tiver auf die Pelle zur rücken, um vermeintliche Vernunft zu predigen oder ihm Geld aufzudrängen.

Tiver ging hastig die abgefüllten Arzneien durch. Dann wurde ihm sein Mantel gereicht, Tiver raffte die Tasche an sich und schlängelte sich an den vielen Zuschauern seiner Heilkunst und den Zeugen des Gesprächs und seines kleinen Siegs vorbei zum Ausstieg. Dort wartete der große Mann schon auf ihn. Leider sah Tiver keinen Ponywagen und seufzte lautlos, er hatte es ja geahnt. Und das bei Regen, Herbstwetter und matschigen Straßen und einer viel zu schweren Tasche. Wundervoll!

Wieder hörte er das leise Husten und fühlte sich erbärmlich, dass er den Elfen nicht wirklich helfen konnte. Ein wenig Arznei, aber an ihrem Schicksal konnte er nichts ändern.

Das hielt genauso lange an, bis der Große Tiver unvermittelt mit einem Griff wie dem eines Schraubstocks am Oberarm packte und mit sich zerrte. Der Übergriff erfolgte aus heiterem Himmel. Tiver strauchelte, wurde wieder auf die Beine gerissen, und was immer er als Protest äußerte, fiel offenkundig auf taube Ohren.

»Ich hab es im Guten mit dir versucht. Aber du gehörst ja zu den Irren, die meinen, die Püppchen sollen friedlich im Wald leben und Harfe spielen«, grollte der blonde Riese.

»Gib mich auf der Stelle frei!«, fauchte Tiver und wusste, wie erbärmlich das klingen musste.

Jemand riss ihm die Tasche aus der Hand. Weiter ging es an den Planwagen vorbei, fort aus dem Lichtkreis des Feuers. Tiver versuchte sich an Gegenwehr und fühlte sich gleich darauf gebeutelt, dass er sich fast die Zungenspitze abbiss. Zum Lohn kam noch ein zweiter Mann herbei und packte ihn am anderen Oberarm, umschloss das Handgelenk obendrein mit festem Griff und half dem Blonden dabei, Tiver weiterzuziehen. Obwohl er versuchte, sich gegen den Zug zu stemmen, waren diese Bemühungen doch fruchtlos. Tiver trat zur Seite, traf ein Wadenbein, und der Griff verstärkte sich nur noch mehr.

Ein dunkler Schatten überholte die Dreiergruppe des Widerstands und dessen Niederschlagung und stocherte mit einem Stock durch die Gitter. »Husch! Nach hinten in die Ecke, sonst setzt es was!«

Im Dunklen sah Tiver eine wellenartige Fluchtbewegung im Käfigwagen, hörte ein leises Schluchzen, wieder Niesen und Husten. Der Kerl mit dem Stock entriegelte die Gittertür, und die beiden links und rechts von Tiver hoben ihn einfach an, über drei Metallstufen hinauf und stießen ihn in den regenfeuchten Käfig.

Hinter ihm wurde die Tür mit einem Knall zugeschlagen und verriegelt. Möglichst würdevoll rappelte Tiver sich auf und fühlte Druck wie von einem Stahlband um seinen Brustkorb. Es war eine Sache, gegen die Sklaverei zu sein und die Misshandlung von Elfen als abscheulich zu empfinden – eine ganz andere Sache hingegen war es, zusammen mit mehreren Elfen in einem Käfig eingesperrt zu sein. Sie hatten ja keinerlei Grund, in einem Menschen auch nur ein Fünkchen Gutes zu sehen.

Die Tasche plumpste neben Tiver auf den Bohlenboden. »Wir haben nur deine Messerchen entfernt. Sieh zu, was du für die kleinen Rotznasen machen kannst«, sagte der Blonde, und Tiver hörte das fette Grinsen in der Stimme.

»Ich protestiere! Das kannst du nicht machen!«

»Oh, wir haben es schon getan. Sieh zu, dass die Ware lebendig zum Markt kommt. Ich stehe zu meinen Wort: Sind wir in Donan Hald und du hast deine Aufgabe zufriedenstellend erfüllt, lasse ich dich mit einer fetten Börse wieder laufen. Nimmst du vorher Vernunft an, wirst du wie einer meiner eigenen Männer mit uns reisen. Bleibst du aber störrisch und auf deinem hohen Ross, wirst du bis dahin mit den Püppchen fahren. Ich wünsche eine gute Nacht.«

»Lass mich umgehend …«

Aber die Männer gingen einfach fort. Sie lachten sogar, und Tiver stand mit vor Zorn erhitztem Gesicht am Gitter, in das er die Finger gekrallt hatte.

Wieder ein Niesen hinter ihm. Mit einem Schauder drehte er sich langsam halb um und versuchte, im kaum vorhandenen Licht der Feuerstelle etwas auszumachen. Er sah nur dunkle Schemen, die sich furchtsam in einer Ecke zusammendrängten – so weit wie möglich von ihm entfernt. Die Elfen hatten noch mehr Angst vor ihm, als er gedacht hätte, vor ihnen zu haben.

Er zwang sich zu einem tiefen Durchatmen. Seine Instrumente waren ihm genommen worden, hatte der Anführer der Jäger gesagt. Selbst wenn Tiver Lanzetten oder ähnliches zur Verfügung gehabt hätte, so war er im Knacken von Schlössern doch gänzlich unbewandert und wäre selbst mit solchen Hilfsmitteln unfähig, den Käfig zu verlassen.

Ein leises Husten erklang, und das gab den Anstoß. Er kam hier nicht raus, und die Elfen hatten noch nicht angegriffen, um den einsamen Menschen in ihrer Mitte alleine durch ihre Zahl niederzuringen und zu erwürgen. So scheu sie sich in ihrer begrenzten Freiheit auch verhielten, wo Flucht ihnen immer als die bessere Alternative erschien, hätte es hier ganz anders ausgehen können. Doch sie schienen trotz ihrer Überzahl vor Angst zu vergehen. Mindestens einer von ihnen war krank. Kein Wunder! Zorn wallte in Tiver auf. Eingesperrt wie Tiere in einem Käfig ohne den geringsten Schutz gegen den Dauerregen.

Er räusperte sich. »Bitte fürchtet mich nicht. Mein Name ist Tiver. Ich bin Heiler.« Und sitze genauso in der Tinte wie ihr. Nein, das war nicht wahr. Er kam ja angeblich am Ende der Reise wieder frei, während diese Unglücklichen auf dem Markt verkauft werden würden, um den Rest ihres Lebens Eigentum, nur Sachen zu sein und schwer arbeiten zu müssen.

Vollkommen überfordert strich Tiver regennasses Haar aus seiner Stirn, leckte sich über die Lippen und suchte einen neuen Einstieg. »Mindestens einer von euch ist krank. Ich wurde hier eingesperrt, um zu helfen. Bitte, ich will euch nichts Böses. Darf ich näherkommen?« Er machte einen Schritt vorwärts, und die Elfen drückten sich noch fester in die Ecke. Aber der erste Schritt war getan, und Tiver ging langsam weiter. Allmählich konnte er unterschiedliche Körper in der Masse ausmachen. Wie klein! Ja, er wusste theoretisch, dass Elfen kleiner als Menschen waren, nicht umsonst gab es das Schmähwort Püppchen. Aber so klein und zart? Er machte ein helles Gesichtsoval aus, und kaum bemerkte der Elf, dass Tiver ihn ansah, als das Köpfchen abgewandt und gegen eine benachbarte Schulter gedrückt wurde.

»Wirklich, ich tue euch nichts«, flüsterte er entsetzt über die Wirkung, die er hatte.

Behutsam streckte Tiver eine Hand aus und legte sie auf einen zitternden, dünnen Arm. Er streichelte über die feuchte Haut und hoffte, dass er irgendwann wirklich als harmlos angesehen werden würde.

Ausgerechnet der Besitzer dieses Arms hustete nun wieder.

»Ich habe Arznei, damit es dir besser geht«, sagte Tiver leise. »Bitte hab keine Angst vor mir.«

Er konnte den bebenden Elf ja schlecht packen und zur Tasche ziehen!

Aber endlich hob der Elf den Kopf und starrte Tiver aus großen, leicht mandelförmigen Augen an. Ein neuerlicher Hustenkrampf, und Tiver hörte, wie weh das tun musste.

»Komm, trau dich. Ich habe Sirup, der dir hilft.« Einer Eingebung folgend fragte er: »Würdest du mir deinen Namen verraten?«

Eine helle Stimme, die keinem Erwachsenen gehören konnte, antwortete ihm leise und heiser, offenbar durch diese so selbstverständliche und für Elfen seitens eines Menschen vollkommen neuartige Frage überrumpelt: »Remina.«

Und diese Stimme erklärte, warum die Elfen so viel kleiner waren, als Tiver erwartet hatte. Fassungslos starrte er und brachte hervor: »Aber ihr seid ja noch Kinder!«

»Kannst du Kindern nicht helfen?«, fragte die Kleine.

Tiver hörte alarmiert, wie tränenerstickt die helle Stimme klang. »Doch, doch natürlich. Und ich will helfen … aber … aber …« Er brach ab, weil die ganze Ungeheuerlichkeit ihn überwältigte und ihm schlichtweg die Worte fehlten.

Remina schniefte und nieste gleich darauf. Seinen Ausbruch ließ sie unkommentiert. Kein Wunder, sagte Tiver sich. Für Aufsässigkeit gab es gewiss Schläge, oder die Essensration wurde gestrichen. Er ließ den Blick über die Kinderschar fliegen. »Gut. Nein, nicht gut, ich weiß. Wer hat noch Schnupfen und Husten?«

Schmale Hände hoben sich schüchtern.

 

Derjenige, der an den Gitterstäben entlang ging und dabei eine Metallstange über diese knattern ließ, fand sich wahrscheinlich sehr witzig. Tiver saß erschrocken senkrecht. Dass er ungeschützt auf Bohlen überhaupt eingeschlafen war, verwunderte ihn ebenso wie die sieben kleinen Elfen, die sich wärmesuchend an ihn gekuschelt hatten in der Nacht.

»Frühstück«, behauptete der Kerl mit der Eisenstange und schob Holzschüsseln unter dem Gitter hindurch.

Tiver fröstelte und raffte Würde und Mantel gleichermaßen um sich. Nur aufstehen wagte er nicht, weil die Kinder sich an ihn drängten. Noch eine Schüssel fand ihren Weg in den Käfig, und Tiver gab sich einen Ruck, jetzt nicht feige zu schweigen. Er war Heiler, und in der Rolle hatte er jetzt zu handeln.

»Die Kinder brauchen Weidenrindentee, Wolldecken und ein Dach über dem Kopf.«

»Die werden die paar Tage ja wohl noch durchstehen.«

»Nein, das werden sie nicht. Ich wurde mit Gewalt in diesen Käfig geschafft, damit die Kleinen gesund bleiben. Nun, sie sind schon krank, weil sie dem Regen und der Kälte schutzlos preisgegeben sind. Ihr fordert von mir, für ihr Überleben zu garantieren. Das ist auch mein Ziel – wenngleich meine Gründe anständiger sind als eure. Wolldecken, Weidenrindentee, eine Plane auf diesem verdammten Käfig. Sag das deinem Anführer.« Er saß ganz aufrecht und kämpfte darum, kriegerisch und entschlossen dreinzublicken.

»Ich seh mal, was ich tun kann. Wir haben nicht gerade Berge von Decken dabei.«

»Das solltet ihr aber!«, gab Tiver zurück. Nur nicht einschüchtern und abwimmeln lassen.

Die kleine Remina sah mit der Andeutung eines Lächelns zu ihm auf. Ihr schlanker Körper fühlte sich viel zu warm an. Das Kind hatte Fieber, und es war nur eine Frage der Zeit, bis auch die anderen zu glühen begannen.

Ein Junge verteilte die Schüsseln, und auch Tiver bekam eine Portion. Salzig, zerkochtes Gemüse, graues Fleisch. Besser als nichts, und die Suppe war zumindest heiß.

Die Ochsen und Ponys wurden eingespannt, und nun konnte Tiver einen weiteren Gitterwagen erblicken, in dem drei erwachsene Elfen kauerten und vollkommen trostlos dreinblickten. Ein blonder Mann, dessen beinahe zarter Körper trotz der nach vorne gezogenen Schultern Tivers Sinn für Schönheit vollkommen ansprach, saß in einer Ecke und wirkte auf Tiver wie das Sinnbild der Grausamkeit der Sklaverei. Der Mann wurde auf eine Stufe mit einem Ochsen oder einer Kleidertruhe gestellt.

Der Wagenzug setzte sich in Bewegung, und tatsächlich kam der Scherzkeks mit der Metallstange zu Tivers kleiner Elfenschar und stopfte Wolldecken unter den Gitterstangen hindurch.

»Immer zwei oder drei unter eine Decke, dann wärmt ihr euch gegenseitig«, wies Tiver seine Schützlinge an.

Sie hatten so tapfer den Hustensirup geschluckt und bei ihm geschlafen. Immer noch Niesen und Husten in der Nacht, natürlich, aber ihm erschien es so, als würden die Kinder ein wenig Hoffnung schöpfen. Nun rückten sie in ihren Decken dicht an ihn heran, und so wurde auch er ein wenig gewärmt.

Fieberhaft überlegte er, wie er selbst den Jägern entkommen konnte. Seine Entführung konnte er beim Stadtrat anzeigen. Sklavenjagd mochte nicht verboten sein – noch nicht, wie Tiver hoffte –, aber gut angesehen waren die Jäger nicht, und nun hatten sie Hand an einen Menschen gelegt und diesen verschleppt. Einfach weil ihnen ihr Profit über alles ging. Das war eine ganz andere Sache, und Tiver fühlte das dringende Bedürfnis, diesen Schuften in jeder Hinsicht das Handwerk zu legen. Vielleicht konnte er die Kinder dann auch befreien, während der große Anführer sich vor dem Rat zu verantworten hatte. Die Frage blieb nur, wie Tiver aus diesem Käfig kommen sollte.

Sein Blick flackerte zu dem blonden Elfen im anderen Käfig. Nein, die drei dort schienen vollkommen niedergeschlagen, von denen war wohl keine Hilfe zu erwarten. Außerdem waren sie ebenso eingesperrt wie er.

Gedankenverloren zog Tiver seine Tasche zu sich und spähte hinein, während sich ganz schüchtern eine Idee zu regen begann. Gewagt – vielleicht. Konnte gelingen. Er fühlte Aufregung und Hoffnung in seiner Magengrube brodeln. Die Kinder waren elend und krank genug, dass sie überzeugen konnten. Er selbst war das schwächste Glied der Kette. Zu sehr der Wahrheit verhaftet, als dass er hoffen konnte, glaubwürdig lügen zu können.

Tiver biss die Zähne fest aufeinander. Dann lernte er das nun eben ganz schnell! Er musste, damit er den Elfenjägern entkommen konnte. Die Hände, mit denen er den Hustensirup und dann ein Papierpäckchen mit zerstoßener Awinwurzel aus der Tasche holte, zitterten auch nur wenig. Er kramte tiefer und fand das Seifenstückchen, das in eine Seitentasche gerutscht war.

Die Kinder sahen ihm still zu, als er von der Seife mit dem Löffelstiel Flocken abhobelte und diese in einer kleinen Tüte auffing.

»Das wird widerlich schmecken«, flüsterte Tiver, wobei er immer wieder um sich spähte, ob der Blonde oder einer seiner Spießgesellen in der Nähe war, um die Worte zu belauschen. »Ihr müsst es im Mund behalten und aushusten, wenn einer der Jäger nach uns sieht.« Bei diesen Worten kippte er reichlich Awinwurzel und ein wenig Hustensirup in die Tüte und knetete die leuchtend rote Masse eilig durch. Das Papier und seine Finger verfärbten sich ebenfalls rot. Was würde er jetzt für einen Mörser geben!

»Warum?«, fragte eines der Kinder leise.

»Es gibt eine Krankheit, die sehr ansteckend ist und fast immer tödlich verläuft. Sie fängt mit Husten und Schnupfen an und wird dann sehr schnell sehr schlimm.« Er gab sich Mühe, alles einfach zu formulieren. Die Tüte enthielt nun roten, schaumigen Matsch, der vielleicht dank des Sirups halbwegs erträglich schmecken würde. »Ein Kennzeichen ist schaumiger, roter Auswurf beim Husten. Die Leute hier haben gestern Abend gesehen, dass ich mein Handwerk verstehe. Wenn ich ihnen sage, dass ihr diese Krankheit habt, werden sie mir wahrscheinlich glauben. Sie werden meinem Wort bestimmt vertrauen, wenn ihr ringsum Blutschaum aushustet. Ich werde auch husten und mir die Seite halten, dann glauben sie, dass ihr mich angesteckt habt.«

»Und dann?«, wisperte Remina.

»Dann hoffe ich, dass sie uns laufen lassen, bevor wir sie und die anderen Gefangenen anstecken.«

»Warum willst du uns helfen?«

Unerschütterlich ehrlich antwortete Tiver: »Weil das auch meine einzige Möglichkeit ist, ihnen zu entkommen. Und außerdem ist es unrecht, was sie euch antun.«

»Und die drei im anderen Wagen?«

»Denen kann ich jetzt nicht helfen. Aber ich werde zu einem Stadtrat gehen und Anzeige erstatten, weil die Kerle mich verschleppt haben. Das wird nicht gut aufgenommen werden. Möglicherweise hilft ihnen das, vielleicht aber auch nicht. Ich weiß es nicht. Aber wenn ich hier nicht wegkomme, kann ich gar nichts tun.«

Er drehte Pillen aus dem roten Brei.

---ENDE DER LESEPROBE---