EVA STURM ermittelt - Bundle XI - Moa Graven - E-Book

EVA STURM ermittelt - Bundle XI E-Book

Moa Graven

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Beschreibung

Gehen Sie wieder mit EVA STURM auf Verbrecherjagd. In diesem Sammelband enthalten sind die Fälle 30 und 31 mit den Titeln Wenn Männer weinen und Scherenschnitte. Dieses Mal gerät Eva Sturm in eine sehr gefährliche Lage, die sie zu außergewöhnlichen Ermittlungsmethoden zwingt. EVA STURM - Ein ganzes Frauenleben in spannenden Ostfrieslandkrimis erzählt!

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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WENN MÄNNER WEINEN
Zum Inhalt
Ein sonniger Tag auf Langeoog
Einige Wochen zuvor
Der unendliche Schmerz
Einige Wochen zuvor
Besuch im Krankenhaus
Das Boot
Sabine Klein
Der Umzug
Erste Spuren
In Tannenhausen
In Wittmund
In Tannenhausen
Der Bruder
In Osnabrück
Sabine Klein
In Bremen
Die Dienststelle in Leer
Eva
Geschwisterliebe
Die Entscheidung
Es wird ernst
Das Team
Mein Brief an Sie, liebe Leserin und lieber Leser,
Pasta à la Moa
LESEPROBE
SCHERENSCHNITTE
Zum Inhalt
Das Team
In der Dienststelle Aurich
Im Sommer dieses Jahres
In Emden
Im Keller
In Tannenhausen
Im Dienst
Die Nachbarn
Die Schüler
Facebook Freunde
Aufruhr
Das Ende
Die schlimme Nachricht
In der Gerichtsmedizin
Routine und Schmerz
Das Trauerhaus
In Tannenhausen
Die Befragung
Walter K.
Der alte Fall
Im Trauerhaus
Serienkiller
Evas Besuch
In der Dienststelle
Einsatz
Ein Plan muss her
Wendungen
Die Toten
Erster Frost
Einige Zeit später
Mein Brief an Sie, liebe Leserin und lieber Leser,
Grünkohl in seiner vegetarischen Variante!
Zur Autorin
Die Reihe mit Eva Sturm auf Langeoog
Die Krimi-Reihen von Moa Graven im Überblick
LESEPROBE
Vielen Dank für Ihr Interesse an meinen Krimis!

Wortzähler: 99000

 

 

 

 

 

 

 

EVA STURM

Sammelband XI

 

 

von

 

Moa Graven

 

 

 

 

 

 

Moa Graven

 

 

 

 

 

 

 

EVA STURM

Sammelband XI

 

Mit den Fällen 30 – 31

 

EVA STURM Wenn Männer weinen

EVA STURM Scherenschnitte

 

Ostfrieslandkrimis

von Moa Graven

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Moa Graven ist Ostfriesin und schreibt seit 2013 Krimis. Erst mit fünfzig hat sie die Leidenschaft für das subtile Verbrechen auch für sich entdeckt, als sie einen Fortsetzungskrimi für ein Monatsmagazin schrieb. Seit 2017 lebt die Autorin vom Schreiben und eröffnete ein Krimihaus in Rhauderfehn, wo man sie auch besuchen kann.

WENN MÄNNER WEINEN

 

Impressum

Eva Sturm – Wenn Männer weinen - Aus der Reihe Eva Sturm ermittelt Band 30

Ostfrieslandkrimi von Moa Graven

Alle Rechte am Werk liegen bei der Autorin

Erschienen im Criminal-kick-Verlag Ostfriesland

Das Krimihaus – 3. Südwieke 128a - Rhauderfehn

Mai 2024 (Einzelband)

ISBN  9798867362416 (Taschenbuchausgabe)

Umschlaggestaltung: Moa Graven

Zum Inhalt

EVA STURM Wenn Männer weinen - Eva Sturm ermittelt in ihrem 30. Fall

Eva genießt das Leben mit Lombard. Endlich sind sie in einer echten Beziehung angekommen, wo sie sich fallen lassen kann. Und dann passiert etwas Unvorhergesehenes, dass sie komplett aus der Bahn wirft und ihr ganzes bisheriges Leben noch einmal auf den Kopf stellt. Wieder steht Eva ganz am Anfang, wie es scheint. Hat sie die Kraft, das durchzuhalten?

 

Zur Person Eva Sturm

Eva Sturm ist bereits Ende vierzig, als sie von Braunschweig von ihrem Chef nach Langeoog versetzt wird. Sie selber fühlt sich abgeschoben und weiß nicht so recht, was sie auf so einer kleinen Insel machen soll. Sie ist ledig, war auch noch nie verheiratet, hat keine Kinder und lebt eher für sich und freundet sich nur mit Jürgen von der Touristinfo an, weil dieser nicht lockerlässt. Er hat vom ersten Tag an ein Auge auf sie geworfen. Doch Eva hat noch andere Sorgen. Sie plagen die Geister der Vergangenheit. Sie wurde als kleines Kind von ihrer Mutter weggegeben und wuchs in Pflegefamilien auf. Das hat sie geprägt. Deshalb findet sie nur schlecht Vertrauen zu anderen. Ihre Fälle löst sie auf ihre ganz eigene Art. Ziemlich unkonventionell und überhaupt nicht nach Polizeilehrbuch!

 

Das Leben ist ein ewiges Rauschen.

Mal mit hohen, mal mit tiefen Tönen.

 

Moa Graven

Liebe Leserin, lieber Leser,

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Und beachten Sie bitte auch, dass Sie ab sofort das Krimihaus Ostfriesland für Ihren Urlaub buchen können.

 

Und nun wünsche ich Ihnen viel Vergnügen mit

EVA STURM Wenn Männer weinen

 

Herzlichst

Moa Graven aus dem Krimihaus

Ein sonniger Tag auf Langeoog

Der Frühling hatte eine ganze besondere Macht. Er konnte Menschen in lächelnde Wesen verwandeln, die all die schlimmen Erinnerungen vergaßen.

So ging es auch Eva und Lombard, als sie auf seinem Boot vor Langeoog lagen und die Sonne in vollen Zügen genossen.

Vergessen schienen die dunklen und schmerzhaften Wochen und Monate bis hierhin. Ihre Beziehung war durch die schlimmen Ereignisse im letzten Jahr sogar noch gefestigt worden. Sie trug ihm nichts mehr nach und er trug sie wieder bedingungslos auf Händen, als wäre nie etwas gewesen.

Und dabei hatte Eva lange mit sich gehadert, ob sie ihm jemals wieder würde vertrauen können. Wollte sie überhaupt noch mit ihm zusammen sein. Diese Frage zermürbte sie in der kalten Jahreszeit. Doch nun schienen alle Ketten gesprengt. Sie hatte erkannt, wie wertvoll es war, einen Menschen zu treffen, dem man sich hingeben konnte. Das war etwas ganz Besonderes, das man nicht wegen ein paar persönlichen Verletzungen aufgeben sollte. Dafür waren sie sich schon viel zu nahe gekommen. Hatten Dinge gemeinsam erlebt, die sie zusammenschweißten. Sie verließen sich aufeinander und vertrauten sich einander an. Und ja, auch vor dem Alleinsein schauderte es Eva ein wenig, wenn sie darüber nachdachte, dass er sie eines Tages verlassen könnte. Nur zu gut konnte sie dann verstehen, warum er um sie kämpfte.

„Was möchtest du heute zu Abend essen?“, fragte er nun und Eva lief ein wohliger Schauer über den Rücken.

„Ach“, sagte sie, „das überlasse ich ganz dir.“ Sie zwinkerte ihm zu.

„Also, ich hatte an gedünsteten Brokkoli mit einer feinen Käsesoße gedacht. Dazu vielleicht ein wenig leicht angebratenes Geflügel in Panade aus Weißwein und Mehl.“

„Klingt gut“, sagte sie.

„Möchtest du noch etwas Champagner?“, fragte er, weil sein Glas leer war.

„Gerne“, erwiderte sie und reichte ihm ihr Glas.

Ja, dachte sie, als sie ihm nachsah, wie er nach unten ins Boot ging, ich habe Glück. Man macht sich so etwas viel zu selten bewusst. Und es hatte Zeiten gegeben, da hätte sie gar nicht um Glück gebeten oder darauf gehofft. So etwas passte nicht in ihr Weltbild. Glück war etwas, das andere hatten. Und dann war es ihr passiert, als sie Robert wiedergetroffen hatte. Mittlerweile konnte sie mit einem Lächeln im Gesicht an ihn zurückdenken. Er war die Liebe ihres Lebens gewesen. Und Lombard wusste das. Nicht jeder Mann wäre damit zurechtgekommen, die Nummer zwei zu sein. Doch er war intelligent genug, zu verstehen, dass jedem Menschen ein Leben passierte, wie er immer sagte. Man selbst hatte die Fäden zwar in der Hand, doch es gelang einem nicht jedes Mal, an den Richtigen zu ziehen. Er war dankbar für den Tag, als sie sich getroffen hatten. Alles andere war für ihn nicht so wichtig, als dass er sich darüber in Grübeleien oder gar Eifersucht hätte manövrieren lassen. Auch er hatte ja einmal eine andere Frau geliebt. So war das eben im reiferen Alter.

Lombard kam mit den Gläsern zurück und reichte ihr eines. Sie stießen noch einmal auf den schönen Tag an.

Der warme Wind streichelte über Evas Gesicht und irgendwann fiel sie in einen leichten Schlaf.

 

Während Lombard dann später mit den Vorbereitungen für das Abendessen beschäftigt war, fuhr Eva mit dem Fahrrad noch einmal zur Dienststelle, um nach dem Rechten zu sehen. Sie öffnete ihr Mailpostfach, wo einige interne Informationen eingegangen waren. Nichts grundlegend Wichtiges, dachte sie und überflog diese, um sie danach zu löschen. Eben nur Beamtenroutine, die wie von selbst erledigt war. Vielleicht haben wir Glück, dachte sie, und uns bleibt dieses ganze Wochenende ohne Unterbrechungen durch eine neue Ermittlung. Sie wünschte es sich wirklich sehr. Einfach mal wieder so richtig zur Ruhe kommen. Immer öfter sehnte sie sich danach, auch einmal etwas anderes zu machen, als Verdächtige und Zeugen zu befragen. Und am Montag würde Lombard wieder zurück nach Bremen fahren, um sich um seine Praxis zu kümmern. Sein Kollege hatte zwar alles gut im Griff und war eine große Stütze gewesen, als Lombard so lange ausgefallen war. Doch Eva hatte gespürt, dass Lombard eine Aufgabe im Leben fehlte. So einfach war es dann eben doch nicht, alles hinter sich zu lassen und nur noch auf dem Boot übers Meer zu fahren. Dafür waren sie beide noch nicht alt genug. Ihr ging es ja ähnlich.

Sie fuhr anschließend noch zu ihrer Wohnung, um die Kleidung zu wechseln und die Waschmaschine anzustellen. In ihrem Postkasten hatte sich einiges angesammelt, vieles sah nach Werbung aus. Nur ein weißer Umschlag weckte ihr Interesse, weil er mit feiner Handschrift beschrieben war. Nanu, dachte Eva, wer schickt mir denn noch Briefe. Dann klingelte ihr Telefon und lenkte sie ab. Sie legte die gesamte Post auf den Küchentisch und ging ran. Es war Bittner, der ihr mitteilte, dass eine Scheibe in der Küche durch einen abgebrochenen Ast eines Baumes beschädigt worden war. Sie versprach, es der Versicherung zu melden. Dann sah sie auf die Uhr. Nun wurde es aber höchste Zeit, dass sie wieder zum Boot kam. Sie freute sich auf den schönen Abend mit Lombard und summte leise vor sich hin, als sie zum Hafen zurückradelte.

 

Lombard hatte den Tisch bereits unter Deck mit Tellern und Besteck sowie schönen Gläsern hergerichtet. Und es roch nach einer Mischung aus Wein und Käse, als sie zu ihm ging, sich vorsichtig von hinten an ihn heranschlich und die Arme um ihn legte. Sie suchte seine Nähe, musste ihn spüren.

„Eva“, sagte er, als er sich zu ihr umdrehte und sie in den Arm nahm, „es dauert höchstens noch zehn Minuten.“

Sie küssten sich.

„Jetzt muss ich aber weitermachen“, mahnte er dann, „sonst brennt mir noch etwas an.“

„Schon gut“, lachte sie und setzte sich an den Tisch. Sie nahm ihr Glas Weißwein und trank einen Schluck. „Und ich kann dir wirklich bei gar nichts helfen?“, fragte sie ihn.

„Nein“, sagte er, ohne sich umzusehen, „alles gut.“

Eva musste an die Zeit mit Jürgen zurückdenken, als sie hier auf die Insel gekommen war. Mit ihm hatte es überwiegend Pizza gegeben. Was überhaupt nicht schlimm oder schlechter war, sondern einfach nur anders. Sie kannte nur wenige Männer, die kochten. Und wenn sie die Zeitung las, dann schien dieses Phänomen auch auf immer mehr Frauen überzugreifen. Tiefkühlkost und Schnellgerichte, die man nur mit heißem Wasser übergoss, waren in vielen Haushalten an der Tagesordnung, weil Kochen ja so wahnsinnig viel Zeit in Anspruch nahm. Doch das gemeinsame Essen der selbst zubereiteten Menüs war so viel mehr, als nur essen. Aber das sah man wohl nur so, wenn man älter wurde.

Lombard stellte eine Schale mit Gemüse auf den Tisch und riss sie aus ihren Gedanken damit. Dann folgten noch Reis und das Hähnchen. Schließlich setzte er sich mit rotem Gesicht mit an den Tisch und griff nach seinem Weinglas.

„Auf einen schönen Abend“, sagte er und prostete ihr zu.

„Auf dich“, sagte sie, „den besten Küchenchef, den ich kenne.“

„Naja“, wehrte er ab, „eigentlich ist das hier“, er zeigte über den Tisch, „es ist doch nur normales Essen.“

„Aber mit Liebe gekocht“, neckte sie ihn, „jedenfalls nehme ich das an.“

„Natürlich“, bestätigte er. „Ich wünsche dir einen guten Appetit.“

Sie begannen zu essen und dabei erzählte er ihr wieder von seinem Boot. Die Investition in das neue Bad bei der letzten Überholung auf der Werft hatte sich wirklich gelohnt, meinte er. Und beim nächsten Mal, da könnte man über neue Möbel im Essbereich nachdenken. Das fand Eva zwar überflüssig, aber sie wollte seinen Enthusiasmus nicht mit ihrem Pragmatismus durchkreuzen und unterstützte ihn deshalb bei all dem, worüber er sich freute. Früher, dachte sie versonnen, da hätte ich mich eingemischt, hätte ihm widersprochen, dass das nur Geldverschwendung wäre, wo doch die jetzigen Möbel kaum benutzt erschienen und von guter Qualität waren. Aber jetzt, nach der furchtbaren Angst und der langen Ungewissheit um ihn, da hatte sie gelernt, eine gewisse Gleichmütigkeit an den Tag zu legen, wenn er etwas sagte. Eine andere Meinung als ihre bedeutete ja nicht immer gleich eine Kampfansage an sie. Ich war so unfertig, bevor ich Robert und Lombard getroffen habe, dachte sie, als er ihr noch einmal etwas auf den Teller legte. So voller Selbstzweifel und Unsicherheiten, die mich viele Dinge falsch betrachten ließen und zu Entscheidungen führten, die nicht unbedingt immer die besten waren.

Auf den Weißwein folgte für den süßen Nachtisch ein dunkler Rotwein, der sich wunderbar mit der weichen Schokoladenmasse im Mund vermengte und zu einer Explosion am Gaumen führte, wie Lombard ihr erklärte, während sie ihre Zunge im Mund hin und herschob, damit er sah, wie sehr sie seinen Ausführungen vertraute.

Dann räumten sie zusammen ab. Eva stand an der Anrichte und nahm ihm das Geschirr ab, dass er ihr reichte, um es dann direkt in die Geschirrspülmaschine zu tun. Gleich würden sie zusammensitzen und reden, lachen und träumen. Eva freute sich schon auf einen entspannten Abend.

Dann gab es ein Geräusch, das nur Lombard wahrnahm. Eva war noch mit dem Besteck beschäftigt, während Lombard nun wie angewurzelt in Schockstarre stand. Jemand kam vorsichtig die Stufen nach unten. Ein Fremder. Ganz in schwarz gekleidet mit einer Skimaske über dem Kopf. Er trug Handschuhe. Es fiel ein Schuss und Eva schrie auf. Lombard warf sich vor sie, um sie schützen. Doch dafür schien es nun zu spät. Das Blut lief über ihre weiße Bluse. Ein weiterer Schuss traf Lombard direkt in den Rücken und er sackte zu Boden.

Eva zitterte am ganzen Körper und der Schmerz in ihrer Schulter, er war wirklich höllisch. Doch was war mit ihrem Mann. Was war hier eigentlich los. Sie fuhr mit einer ungelenken Bewegung herum.

„Lombard“, rief sie aus. Sie kümmerte sich nicht um den Mann, der es jetzt sehr eilig hatte, wieder vom Boot zu kommen. „Bitte, sag doch was.“ Tränen liefen über ihr Gesicht. Was war das eben gewesen. Jemand hatte auf sie beide geschossen. Sollten sie sterben. Sie angelte mit ihrer freien Hand nach dem Telefon und rief einen Krankenwagen und erklärte, dass sie und ihr Partner eben einem Angriff mit Waffengewalt ausgesetzt gewesen waren. Ihr ginge es mit einer Schulterverletzung soweit ganz gut, aber ihr Partner wäre im Rücken von einer Kugel getroffen worden, bewusstlos und schwer verletzt.

Einige Wochen zuvor

Oh, wie er dieses Wetter verabscheute. Es war nasskalt, die Straßen matschig oder gefroren. Wann war dieser Winter nur endlich vorbei. Vorsichtig lenkte er seinen Wagen über die Auricher Straße, die zu dieser Zeit sehr gut befahren war. Feierabendverkehr eben. Günter Klein war ein ruhiger und besonnener Fahrer, der sich weder die Vorfahrt einfach nahm, noch zu waghalsigen Überholmanövern neigte. Was brachte es einem denn, wenn man zehn Minuten eher am Ziel war, dafür aber mit den Nerven am Ende. So war er einfach nicht.

Endlich hatte er die Wagenschlangen hinter sich gelassen und fuhr Richtung Plaggenburg, wo er und seine Frau sich vor einigen Jahren ein Haus gekauft hatten, um eine Familie zu gründen. Günter brauchte einen Moment, um sich an die Dunkelheit, die jetzt vor ihm lag, zu gewöhnen. Es hatte zu allem Überfluss auch noch angefangen, zu schneien. Oder regnete es. Vielleicht ist es Schneeregen, dachte er verärgert. Das hätte ihm noch gefehlt. Dann wären die Straßen morgen früh spiegelglatt, wenn er zur Arbeit fuhr. Also müsste er wohl mindestens eine halbe Stunde früher aufstehen, um eher loszufahren. Im Sommer fuhr er diesen Weg zur Arbeit auch gerne mit dem Fahrrad. Darauf freute er sich jetzt schon wieder, auch wenn die Scheibenwischer quietschten, um ihm nun die Sicht freizuhalten.

Sein Handy, das auf dem Beifahrersitz lag, klingelte. Eigentlich war er jemand, der während der Fahrt prinzipiell nicht telefonierte. So wichtig konnte gar nichts sein, dass er dafür eine Strafe riskierte. Das Klingeln hörte auf und so kümmerte es ihn auch nicht weiter, wer ihn da erreichen wollte. Vielleicht ein Kunde, der einen Termin verschieben wollte. Der sollte es ruhig morgen früh wieder versuchen, denn jetzt hatte er Feierabend. Er wollte Musik hören und schaltete das Radio ein. Was da lief, gefiel ihm nicht und so kurbelte er an dem Knopf neben sich an der Konsole herum. Dabei fiel etwas in den Fußraum, von dem er nicht wusste, was es war. Und wieder klingelte das Telefon auf dem Beifahrersitz. Verdammt nochmal, schimpfte Günter innerlich. Dann dachte er, dass es ja auch Sabine, seine Frau sein könnte. Vielleicht wollte sie ihn bitten, etwas für das Abendessen mitzubringen. In dem Fall sollte er wohl lieber rangehen, auch wenn er damit seine selbst aufgestellten Regeln brach. Das Radio dudelte weiter, während er nach dem Handy griff. Es waren vielleicht zwei oder drei Sekunden, in denen er dem Verkehr nicht so viel Aufmerksamkeit wie nötig schenkte. Und dann krachte es plötzlich und er trat reflexhaft die Bremse durch. Der Motor stotterte nach dieser Aktion und der Wagen ging aus. Günter hielt den Atem an. Hatte er ein Reh angefahren. Das kam hier über Land öfter vor, doch ihm war es bisher noch nicht passiert. Hoffentlich hatte der Wagen nicht so viel abbekommen. Er stand nun halb auf der Fahrbahn und halb auf dem Grünstreifen. Die Scheibenwischer quietschten weiter, als sei nichts geschehen. Ich muss jetzt aussteigen, dachte Günter grimmig. Das half nichts. Er hoffte, dass das Reh tot war. Sein Kollege hatte mal einen ähnlichen Unfall gehabt und dann den Jäger rufen müssen, damit er das Tier von seinen Qualen erlöste.

„Hallo!“ Da war eine Stimme, die aus seinem Handy kam. Darüber war er völlig hinweggekommen durch den Unfall, dass er ja das Gespräch angenommen, aber nichts gesagt hatte. „Alles in Ordnung bei Ihnen?“

Günter sah auf das Display. Es war eine ihm unbekannte Nummer. Also drückte er das Gespräch einfach wieder weg.

Jetzt war alles still um ihn herum. Und es war genügend Zeit vergangen, dass es durchaus möglich sein könnte, dass das Tier, zwar verletzt, aber dennoch in der Lage gewesen war, weiter zu fliehen. Also griff Günter auf den Rücksitz, wo seine Winterjacke lag. Ohne würde er nicht nach draußen gehen. Nicht mal, um nur nachzusehen, was passiert war. Seine Frau nannte ihn immer eine Frostbeule, weil er Kälte gegenüber so empfindlich war und auch die Heizung im Haus viel zu hoch aufdrehte ihrer Meinung nach. Das war schon von jeher ein Streitpunkt zwischen ihnen gewesen, weil sie, auf dem Land auf einem Hof aufgewachsen, es nicht gewöhnt war, wenn die Räume so überhitzt wurden.

Günter legte sich noch im Wagen seinen Schal um, dann machte er die Fahrertür auf. Das Licht aus dem Innenraum schien nun auf die Straße. Günter stieg aus und zog sich noch währenddessen seine Jacke über den linken Arm. Dann, als er draußen stand, schob er auch seinen rechten Arm in die Jacke und zog sie vor seinem Bauch zusammen. Es war wirklich verdammt kalt. Der Schneeregen fiel auf sein Haar und benetzte auch seine Brillengläser. Vor dem Wagen war nichts zu sehen, stellte er fest. Also war das Tier wohl tatsächlich verletzt und in Panik weitergerannt. Dann drehte er sich um, um sich zu vergewissern, dass es nicht auf der Fahrbahn weiter hinten lag. Und dann stockte ihm der Atem. Da lag etwas im Halbdunkel auf der Straße. Das Chrom des Lenkers spiegelte das Licht aus dem Innenraum seines Wagens wider. Er hatte jemanden angefahren. Im ersten Moment dieser Erkenntnis konnte Günter sich kaum bewegen. Es war kein großes Fahrrad, es gehörte eindeutig einem Kind. Und das Kind lag auf dem Asphalt und rührte sich nicht mehr. Sein kleiner Körper steckte in einer dunklen vielleicht blauen Jacke mit roten Bändern und war bereits an vielen Stellen vom Schneeregen weiß bedeckt.

Oh mein Gott, dachte Günter, was mache ich denn jetzt. Was ist, wenn der Junge tot ist. Dann muss ich ins Gefängnis. Das wird Sabine nicht überleben, dass ich ein Kind angefahren habe. Dass es tot ist. Tausend Gedanken schwirrten durch seinen Kopf. Die zwei Fehlgeburten, die seine Frau in den letzten zwei Jahren erlitten hatte. Nun hatte sie Angst, wieder schwanger zu werden. Und dann das. Er musste ihr beichten, dass er ein Kind, dass sie sich so sehr wünschte, auf dem Gewissen hatte. Das würde ihr den Rest geben. Nein, das durfte sie niemals erfahren.

Günter sah sich um. Es war niemand zu sehen. Keine Scheinwerfer, die sich näherten. Es hatte niemand gesehen, was geschehen war. Und wenn es keine Zeugen gab, wer sollte dann jemals darauf kommen, dass es ausgerechnet ihm passiert war. Er konnte jetzt einfach in den Wagen steigen und weiterfahren. Dann würde alles wieder gut werden. Er wusste, dass es falsch war und völlig irrational, was er nun tat. Doch er stieg in den Wagen, startete und fuhr los.

 

In einem kleinen roten Klinkerbau saß an diesem Abend eine Mutter in der Küche und sah besorgt zur Uhr. Eigentlich hätte Thomas schon längst zu Hause sein sollen. Ihr Blick ging zum Fenster, an dem der zu Regen geschmolzene Schnee herunter perlte. Vielleicht sollte ich ihm einfach mit dem Wagen entgegenfahren, dachte sie, hier herumzusitzen, das macht mich nur verrückt. Also ging sie auf den Flur und zog ihre Winterboots an, ihre Jacke und schlang sich auch einen Schal um den Hals. Dann griff sie zum Wagenschlüssel und verließ das Haus.

Sie mochte nicht so gerne in der Dunkelheit unterwegs sein, schon gar nicht, bei dem nasskalten Wetter. Wieso hatte sie Thomas denn nicht davon abgehalten, mit dem Fahrrad zu seinem Freund zu fahren. Sie hätte ihn besser mit dem Wagen hingebracht. Aber der Junge hatte unbedingt mit dem Fahrrad, dass er zu Weihnachten bekommen hatte, fahren wollen. Sie hatte nachgegeben. Das tat ihr nun leid.

Sie fuhr durch die schmalen Straßen und sah die hell erleuchteten Häuser, in denen die anderen nun am Abendbrottisch zusammensaßen. Sie mochte es, in fremde Fenster zu sehen und andere dabei zu beobachten, wie sie einander anlächelten. Einige der Bewohner kannte sie, weil sie ihre Kinder in die Kita brachten, wo Regina arbeitete.

Dann erreichte sie die Esenser Straße und bog nach rechts ab. Schon von weitem sah sie das Blaulicht eines Krankenwagens und sah sich in ihrer Meinung bestätigt, dass man bei solchem Wetter einfach besser Zuhause blieb. Sie suchte die Straße nach einer Möglichkeit ab, wo sie ausweichen und dem Rettungswagen Platz machen konnte, wenn er sie erreichte. Doch dann erkannte sie, dass er gar nicht fuhr, sondern an der Straße stand. Und da war auch noch ein Polizeiwagen. Die Straße war abgesperrt. Es musste wohl etwas passiert sein. Ein Unfall vielleicht, denn es standen zwei weitere Wagen am Seitenrand. Da würde sie nun wohl nicht weiterkommen, um Thomas zu finden. Sie war sich sicher, dass er ihr bis hierher nicht begegnet war. Na, dem würde sie was erzählen, wenn er nach Hause kam. So lange sollte er gar nicht bei seinem Freund bleiben.

Hinter ihr tauchte ein Wagen auf, so dass Regina, obwohl sie eigentlich hatte wenden wollen, weiterfuhr. Und so erreichte sie, ohne, dass sie es gewollt hatte, die Unfallstelle. Die hinteren Türen des Krankenwagens standen offen. Man kümmerte sich offenbar um einen Verletzten. Regina war bestimmt keine Voyeurin, die Spaß daran hatte, sich das Elend anderer anzusehen. Doch als ihr Wagen stand, da konnte sie ihren Blick nicht mehr abwenden. Ihr Herz pochte wild bis zum Hals. Sie hatte das Gefühl, ihr Blut durch ihren Körper rauschen zu hören. Da im Krankenwagen, da lag ein Kind auf der Bahre und die Pfleger drückten seinen Körper, legten ihm etwas aufs Gesicht, eine Maske, aus der bestimmt Sauerstoff kam. Das alles sah Regina wie in einem Film an sich vorbeilaufen. Denn sie war nicht fähig, sich zu bewegen, sie saß wie erstarrt. Sie kannte die Jacke, die der Junge trug. Blau mit roten Bändern. Auch diese hatte Thomas zu Weihnachten geschenkt bekommen.

 

„Hallo Schatz“, rief Sabine, als sie hörte, wie Günter ins Haus kam. „Ich habe uns etwas gekocht, ich hoffe, du hast Hunger.“

Günter erwiderte nichts, als er im Flur seine Jacke auszog und die Schuhe abstreifte.

„Alles in Ordnung?“

Sabine war auf den Flur gekommen, weil er ihren Gruß nicht wie sonst erwidert hatte.

„Ja, alles gut“, sagte Günter, „es war nur eine sehr anstrengende Fahrt bei dem Sauwetter da draußen.“

Sie stand nun vor ihm und er küsste sie auf den Mund.

„Na, dann komm“, sagte sie, „bevor das Essen kalt wird. Machst du uns noch einen schönen Rotwein dazu auf, während ich uns etwas auf die Teller gebe?“

Sie strahlte ihn an. In diesem Moment, da fühlte Günter sich wie ein Verbrecher. Und wenn man es genau nahm, dann war er ja auch einer. Das Einzige, was ihn jetzt nicht die Fassung verlieren ließ, war der Gedanke, dass schon irgendjemand an dem Jungen vorbeifahren würde und dann natürlich anhielt, um ihm zu helfen.

„Ja, das mache ich“, sagte er nun, als er den dunklen Moment hinter sich gelassen hatte.

 

Jemand klopfte an ihre Seitenscheibe, doch Regina nahm das überhaupt nicht wahr. Dann wurde die Fahrertür geöffnet.

„Sie können hier nicht so stehenbleiben“, sagte ein Polizist und beugte sich herunter, um ihr ins Gesicht zu sehen. „Geht es Ihnen gut?“, fragte er, als er ihren Blick sah.

„Ist er tot?“ Regina umklammerte das Lenkrad fest mit beiden Händen, so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.

Dem Polizisten wurde nun klar, dass sie ganz bestimmt keine Frau war, die rein zufällig hier vorbeikam. Ihre ganze Haltung war starr und voller Angst.

„Würden Sie bitte aussteigen“, bat er sie.

„Nein“, erwiderte Regina mit erstickter Stimme, „ich will nicht, dass er tot ist.“ Sie seufzte auf und wiegte nun ihren Körper vor und wieder zurück. Immer wieder.

Der Polizist griff nach ihrer Schulter. Instinktiv wurde ihm klar, dass sie die Mutter sein musste.

„Sie kennen den Jungen?“, fragte er nach.

„Das ist Thomas“, sagte sie, „er war bei seinem Freund. Ich habe mir Sorgen gemacht, weil es schon so spät geworden war. Ich wollte ihm entgegenfahren.“

Verdammt, dachte der Polizist. Wie brachte man es einer Mutter bei, dass der Sohn auf dem kalten Asphalt so schwer verletzt und einfach zurückgelassen worden war. Ein älteres Ehepaar, dass aus der anderen Richtung gekommen war, um nach Aurich zu fahren, hatte den Jungen auf der anderen Fahrbahnseite liegen sehen. Zunächst hatten sie gar nicht gewusst, was es war, was da in ihrem Scheinwerferlicht aufblinkte. Dann hatten sie das Fahrrad erkannt, dann den Jungen, der mit verdrehtem Körper danebenlag. Sie hätten sofort angehalten und nach ihm gesehen. Die Frau hatte dann einen Krankenwagen gerufen.

„Kommen Sie bitte“, sagte der Polizist nun, der wusste, dass es sehr schlecht um den Jungen stand. Er war außerstande, ihr große Hoffnungen zu machen.

Regina hörte an seiner Stimme, dass das Leben ihres Kindes am seidenen Faden hing. Aber er war nicht tot. Das gab ihr die Kraft, seiner Aufforderung nun zu folgen. Wie in Trance stieg sie aus dem Wagen, ließ sich von ihm bis hin zu dem Krankenwagen führen. Und als sie hineinsah, da kam es einfach so aus ihr heraus.

„Thomas“, schrie sie, „mein Junge. Du darfst nicht sterben.“

Der Polizist erkannte am Blick des Notarztes, dass es dafür nun wohl schon zu spät war.

„Es tut mir leid“, sagte der Notarzt, der alles versucht hatte, um Thomas zu retten.

In diesem Moment sackten Regina die Knie weg. Der Polizist fing sie im letzten Moment auf und gemeinsam mit dem Notarzt zog man sie in den Krankenwagen hinein und setzte sie auf einen Hocker neben dem Krankenbett.

Regina klammerte sich an die kleine Hand, die sie immer wieder zärtlich küsste, während sie weinte.

Der unendliche Schmerz

Die Rettungskräfte waren schnell am Einsatzort eingetroffen und kümmerten sich um Lombard, indem sie ihn vorsichtig auf eine Trage legten und zum Helikopter trugen. Dort erhielt er eine erste Notversorgung mit Sauerstoff und einer Kanüle, über die ihm Wasser in den Kreislauf gegeben wurde. Er war noch nicht wieder zu Bewusstsein gekommen. Eva konnte selbständig einsteigen und bald darauf hoben sie ab, um Richtung Oldenburg zu einer Spezialklinik zu fliegen.

Eva saß mit versteinertem Gesicht neben Lombard und hielt seine Hand. Währenddessen legte man auch ihr einen vorläufigen Verband an der Schulter an. Sie hatte wirklich Glück gehabt, hatte man ihr gesagt. Es war ein glatter Durchschuss und es wären keine wichtigen Arterien dabei verletzt worden.

Glück nennt ihr das, dachte sie und sah wieder zu dem Mann, den sie liebte. Wie er dalag und sich nicht regte. Noch war völlig unklar, ob er überhaupt durchkam. Sie mochte nicht einmal daran denken. Sie wehrte sich nicht länger und weinte das erste Mal wieder bittere Tränen.

Nachdem sie später gelandet waren, eilte man mit Lombard sofort auf die Intensivstation, um ihn weiter zu untersuchen.

Eva wurde auf eine normale Station gebracht, weil ihre Verletzungen nicht lebensbedrohlich waren. Man gab ihr Krankenhauskleidung und brachte sie auf ein Einzelzimmer. Noch immer erschien es ihr wie ein böser Traum. Jemand hatte versucht, sie beide zu töten. Ob es mit der Entführung von Lombard zusammenhing. Wollte man wieder versuchen, Geld aus ihm herausholen. Aber dann wäre es dumm, sie beide umzubringen. Sie hatte der erste Schuss getroffen, erinnerte sie sich nun an den Ablauf der Ereignisse zurück. Was war, wenn Lombard nur zufällig getroffen worden war, obwohl sie das eigentliche Ziel des Angriffs war. Gab es jemanden in ihrem Umfeld, der sie gerne tot gesehen hätte. Aber weshalb.

Sie saß auf der Bettkante und starrte ins Dunkel. Sie hatte die Fenster wieder aufgezogen und das Licht ausgemacht. Irgendjemand da draußen wollte sie tot sehen. Ein Gefühl, das neu für sie war. Wie war es überhaupt möglich, dass sie jemanden dermaßen verärgert hatte, dass er so weit ging. Vielleicht ein Täter, den sie hinter Gitter gebracht hatte. Aber auch das war eher unwahrscheinlich, weil es sich bei den meisten um Mörder handelte, die nicht so schnell wieder rauskamen. So lange war sie noch nicht hier in Ostfriesland. Und wenn es jemand ist, den ich früher in Braunschweig geschnappt habe, dachte sie nun. Der Hass dieses Menschen musste groß sein, wenn er ihr ganz bis hierher auf Langeoog folgte. Und dann musste er sie auch beobachtet haben, woher sonst sollte er wissen, dass sie bei Lombard auf dem Schiff war. Ein kalter Schauer lief ihr bei dem Gedanken über den Rücken, dass jemand jeden Schritt, den sie tat, beobachtete. Das würde ihr fortan die Spontaneität rauben, wenn sie unterwegs war. Von nun an lauerte überall Augen, die sie verfolgten.

Auf der anderen Seite könnte es auch Zufall gewesen sein, dass zunächst sie getroffen worden war. So gut war die Sicht für den Täter sicher nicht sofort gewesen, als er unter Deck kam. Sie hatten den Raum ja nicht ausgeleuchtet gehabt mit hellem Licht, sondern nur das gedimmte Licht an der Küchenzeile war angeschaltet gewesen und eine dazu eine Kerze auf dem Tisch, der alles noch festlicher erscheinen lassen hatte. Bevor der Täter kam. Vielleicht hatte er einfach nur geschossen, egal, wen es traf. Denn er wollte sie sowieso beide töten. Ob es sich vielleicht einfach um einen wahnsinnigen Attentäter handelte. Dann würde man niemals erfahren, wer er war.

Sie dachte wieder an Lombard. Der behandelnde Arzt hatte ihr versprochen, ihr Bescheid zu sagen, wenn man Näheres über seinen Zustand wusste. Die Minuten vergingen zäh und fühlten sich an wie Stunden, wenn sie auf ihre Uhr sah. Immer wieder hörte sie Geräusche auf dem Flur. Eilige Schritte, das Schieben eines Bettes, das Öffnen des Fahrstuhls, der gar nicht weit von ihrem Zimmer entfernt war. Dieses Ping, wenn die Tür aufging. Es brannte sich in ihr Hirn. Sie saß wie in Trance einfach nur da. Erst, als sie mit ihrer Hand über den verletzten Arm fuhr, weil er schmerzte, spürte sie, dass sie völlig ausgekühlt war. Deshalb kroch sie nun unter die Bettdecke und zog sie sich bis zum Hals hoch. Doch an schlafen war nicht zu denken. Die Sorge um Lombard fraß sich immer weiter in ihr Herz.

 

Es war schnell klar gewesen, dass eine Notoperation notwendig war, wollte man das Leben des Mannes retten. Sein Gesicht war blass und es hingen Schläuche aus seinem Mund heraus. Es gab niemanden, den sie vorher fragen oder informieren mussten, denn die Frau, die mit dem Mann eingeliefert worden war, war nicht seine Ehefrau. Lombards Leben hing wortwörtlich am seidenen Faden, als man ihn in Narkose versetzte, ihn vorsichtig umdrehte und seinen Rücken aufschnitt. Die Kugel musste gefunden werden, desto schneller, desto besser. Der Chefarzt und sein Team arbeiteten geräuschlos und gelangten so immer weiter vor, bis sie die Kugel endlich lokalisieren konnten. Ein erster Erfolg, um sein Leben zu retten. Er hatte sehr viel Blut verloren. Doch das war nicht das größte Problem. Die Kugel hatte direkt die Wirbelsäule getroffen und war dort in etwa halber Höhe in einer Bandscheibe steckengeblieben. Deshalb konnte man sie auch nicht einfach entfernen. Das erforderte Präzision und großes Fingerspitzengefühl, um sie so zu greifen mit dem filigranen Werkzeug, dass keine weiteren Verletzungen an der Wirbelsäule oder gar am Rückenmark entstanden. Und diese Gefahr konnte der Chefarzt, so sehr er sich auch bemühte, nicht ohne weiteres abwenden. Doch er wollte es einfach schaffen, so ging es ihm bei jedem Patienten. Und hier handelte es sich obendrein auch noch um einen Kollegen, was ihn noch mehr antrieb. Immer wieder tupfte eine Schwester über seine Stirn, weil sich unter der Anspannung kleine Schweißperlen auf seiner Stirn sammelten.

Es war schon weit nach Mitternacht, als man Lombard schließlich stabilisieren konnte und die Kugel entfernt war. Die Chancen, dass er keine bleibenden Schäden davontragen würden, lagen fünfzig zu fünfzig. Der Chefarzt hätte sich wirklich mehr erhofft. Man brachte Lombard auf ein Zimmer der Intensivstation, um ihn weiter unter Beobachtung zu haben, wenn er wieder zu sich kam.

 

Eva war eingeschlafen, was sicher auch an der Wärme gelegen hatte, die sie unter der Bettdecke umgeben hatte. Als das Licht im Zimmer aufflammte, war sie allerdings sofort wieder hellwach.

„Wie geht es ihm?“, stieß sie angstvoll aus, als der Chefarzt sich über ihr Bett beugte.

„Eigentlich wollte ich Sie nicht wecken“, sagte er, „aber die Schwester hat mir gesagt, dass Sie darauf bestanden haben, informiert zu werden. Egal, wie spät es auch werden würde.“

„Das stimmt“, sagte Eva und setzte sich weiter im Bett auf. Sie war auf alles gefasst. Und sein Gesicht sah nicht so aus, als würde sie mit dem Schlimmsten rechnen müssen, was sie sich vorstellen konnte.

„Wir konnten die Kugel entfernen“, fuhr der Chefarzt fort, „das war schon ein wichtiger erster Schritt.“ Er hatte sich wieder gerade hingestellt und legte nun die Arme in den Rücken.

„Aber?“, sagte Eva, denn sie ahnte, dass es nicht nur gute Nachrichten gab.

„Wir wissen nicht, inwieweit sich die Verletzungen, die durch die Kugel eingetreten sind, auf die weitere Genesung auswirken werden“, gab er unumwunden zu.

„Was heißt das?“

„Nun, die Kugel hat die Wirbelsäule verletzt. Zum Glück ist das Rückenmark nicht betroffen, so dass wir gute Chancen sehen, dass die Verletzung wieder völlig verheilen wird.“

Eva verstand, was er damit sagte. Doch sie wagte nicht, es auszusprechen. Sie könnte es sich niemals verzeihen, wenn Lombard wegen ihr nie wieder würde laufen können.

„Wann kann ich zu ihm?“, fragte sie und schluckte hart.

„Morgen früh nach der Visite. Es wird sowieso noch eine Weile dauern, bis er aus der Narkose erwacht. Er braucht nun sehr viel Ruhe.“

„Verstehe. Morgen früh ist gut. Danke, Doktor, dass Sie es mir gleich gesagt haben. Ich weiß, wie eingespannt Sie sind.“

„Oh“, sagte er und lächelte nun sogar, „man hat mir gesagt, dass Sie Polizistin sind. Da macht man lieber, was gesagt wird.“

Auch Eva huschte nun ein Lächeln übers Gesicht. Lombard lebte noch. Das war im Moment das Wichtigste für sie. Alles andere würden sie zusammen schaffen.

Einige Wochen zuvor

„Du bist heute so still“, stellte Sabine fest, als sie mit Günter am Abendbrottisch saß. „War etwas bei der Arbeit?“

„Wie?“, fragte er nach, weil er ihr gar nicht zugehört hatte.

„Ich habe dich gefragt, ob etwas bei der Arbeit war, weil du so still bist“, wiederholte sie. Sie wusste, was er für einen stressigen Job bei der Bank hatte.

„Ach so, ja, tut mir leid. Das letzte Kundengespräch war wirklich sehr aufreibend“, entschuldigte er sich für seine Unachtsamkeit. Sabine gab sich immer so viel Mühe mit dem Essen, wenn er nach Hause kam. Doch im Moment wusste er einfach nichts zu sagen. Es hätte ja schon etwas gegeben in der Art, du hör mal, mir ist vorhin etwas ganz Blödes passiert. Ich habe einen Jungen auf seinem Fahrrad angefahren. Hinterher lag er auf der Straße und regte sich nicht mehr. Aber weil ich keine unnötigen Scherereien wollte, bin ich einfach weitergefahren. Diese Gedanken waberten wie ein diffuser Alptraum in seinem Kopf herum. Später oder zumindest gleich morgen früh musste er sich um seinen Wagen kümmern und nachsehen, ob daran Spuren des Vorfalls zurückgeblieben waren. Denn egal, ob der Junge starb oder überlebte, man würde nach dem Fahrerflüchtigen suchen.

„Ich habe heute mit Monika telefoniert“, sagte Sabine jetzt, weil er weiterhin so still blieb. „Sie möchte bald mal wieder etwas mit mir unternehmen, Kino oder so.“ Sie verschwieg, dass sie bei ihr angerufen hatte, weil ihr langweilig gewesen war. Gerade in der dunklen Jahreszeit, wenn sie nicht nach draußen in den Garten konnte, machten ihr die einsamen Stunden hier alleine im Haus wirklich zu schaffen. Monika war eine Arbeitskollegin aus dem Friseursalon, in dem sie arbeitete. Doch seit Wochen war Sabine wegen einer Entzündung der Handflächen krankgeschrieben. All das kam jetzt zusammen, die ständige trübe Stimmung draußen und dann die Einsamkeit. In der Nachbarschaft gab es nur ältere Leute, mit denen sie wenig gemein hatte. Und da die Häuser doch recht weitläufig auseinanderstanden, gab es auch keine weiteren Kontakte, wie sie sich bestimmt zufällig in engeren Siedlungen vor der Haustür ergaben. Es war Günter gewesen, der so abgeschieden hatte leben wollen. Sie hatte nur zugestimmt, weil sie davon ausging, dass sie bald eine kleine Rasselbande von Kindern würde hüten müssen. Da war es schön, so auf dem Land aufzuwachsen. Doch nach den letzten Fehlgeburten sah es nicht so aus, als ob aus diesem Traum noch etwas werden würde.

„Wie geht es ihr denn?“, riss Günter sie aus ihren Gedanken.

„Wem?“

„Na, Monika.“

„Ach so, ja, ganz gut. Sie sagt, dass man mich bei der Arbeit vermisst. Einige meiner Kundinnen tun sich schwer damit, sich die Haare von anderen machen zu lassen.“

„Na, das spricht doch für dich, oder?“ Günter wandte sich ihr nun direkt zu, damit sie merkte, wie sehr ihn das, was sie bewegte, interessierte. „Wie sieht es denn mit deinen Händen aus, wird die Entzündung langsam besser?“

Sie hob ihre Hände in die Höhe. „Sieht eigentlich ganz gut aus, oder? Der Arzt meinte, ich kann vielleicht in vierzehn Tagen schon wieder arbeiten.“

Er sah die roten Stellen, die teilweise blutig gekratzt waren. Trotzdem verzichtete er nun darauf, so, wie sonst immer, zu erwähnen, dass es vielleicht besser wäre, wenn sie eine Umschulung machte, wo ihre Haut nicht so strapaziert würde. Da könnte er bestimmt etwas in seiner Bank organisieren, weil man ihn dort sehr schätzte. Es gab mehrere kleinere Zweigstellen, in denen er sich Sabine am Schalter sehr gut vorstellen konnte.

„Das tut sicher ganz schön weh“, sagte er aber nur.

„Naja, es geht. Ich habe ja eine gute Salbe, die den Juckreiz lindert.“

So klang das Abendbrot aus und Sabine räumte den Tisch ab, während Günter vorgab, noch etwas aus der Garage holen zu wollen. Sie dachte sich nichts dabei.

Mit der Taschenlampe auf seinem Handy schlich Günter kurz darauf um seinen Wagen herum und leuchtete vor allem den linken Kotflügel besonders ab. Da gab es schon ein paar Kratzer. Allerdings konnte er nicht sagen, ob sie wirklich neu waren. Doch die Gefahr, dass der abgekratzte Lack sich dann am Fahrrad des Jungen wiederfand, war einfach zu groß. Also beschloss er, gleich am nächsten Tag in die Werkstatt zu fahren, um die Stellen ausbessern zu lassen. Sonst war am Wagen nichts zu sehen.

 

Es war dann zwei Tage später am Samstag, wo beide gerne lange ausschliefen, als ein großer Bericht in der Zeitung stand. Ein neunjähriger Junge aus Sandhorst war in den späten Abendstunden am Donnerstag dieser Woche auf der Esenser Landstraße mutmaßlich von einem Pkw angefahren worden. Es handele sich um Thomas Grebe, der noch auf dem Weg ins Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen wäre.

„Oh mein Gott“, stieß Sabine aus und stellte ihre Kaffeetasse ab.

„Was ist denn?“, fragte Günter, der sich den Sportteil immer zuerst vornahm.

„Man hat einen Jungen angefahren, ganz hier in der Nähe. Er war erst neun Jahre alt. Der Fahrer des Wagens hat ihn einfach da liegen lassen.“

„Steht das da?“, fragte Günter.

Sabine ließ die Zeitung sinken und sah ihn an. „Was muss das für ein herzloser Mensch gewesen sein. Der Junge könnte noch leben, wenn er schneller ärztlich behandelt worden wäre.“ Tränen standen in ihren Augen.

Günter war klar, was in ihr vorging. Sie, die sich so sehr ein Kind wünschte, konnte natürlich nicht verstehen, dass man einen kleinen Jungen einfach hilflos auf der Straße liegen ließ. Was würde sie tun, wenn sie wüsste, dass ich es war, der einfach weggefahren ist, fragte er sich. Vermutlich würde sie direkt zum Messer greifen, mit dem sie eben noch ihr Brötchen beschmiert hatte.

„Das mag man sich ja gar nicht vorstellen“, stimmte er ihr nun zu, „was der arme Junge da mitgemacht haben muss. Aber steht da auch, wieso er so spät mit dem Fahrrad noch unterwegs gewesen ist?“

Sie stutzte kurz. Hatte sie ihm etwas von einem Fahrrad vorgelesen. Nein, eher nicht. Trotzdem überflog sie noch einmal den Artikel, um ihm zu antworten.

„Er war bei einem Freund in der Nachbarschaft zum Spielen“, sagte sie dann und musterte Günters Gesicht.

„Also“, sagte er, „wenn das unser Junge wäre, dem würden wir es nicht erlauben, in der Dunkelheit noch mit dem Fahrrad unterwegs zu sein.“

„Nein, vermutlich nicht“, entgegnete sie und zog die Zeitung wieder höher.

Auch Günter las nun weiter in seinem Sportteil.

Besuch im Krankenhaus

Noch bevor Eva am Morgen ihr Frühstück beendet hatte, bekam sie Besuch von Levke Schüür von der Polizei in Wittmund. Es war klar, dass man herausfinden musste, wer auf Eva und ihren Partner geschossen hatte.

„He, Eva, wie geht es dir?“, fragte Levke, nachdem sie nach kurzem Klopfen ins Zimmer gekommen war.

„Levke“, sagte Eva, „schön dich zu sehen.“

„Du bist an der Schulter verletzt?“ Schnell war Levke bei ihr am Bett und sah sie teilnahmsvoll an.

„Ach, das ist halb so wild“, wehrte Eva ab.

Typisch, dachte Levke, da spielt sie wieder die Unverwüstliche. Doch in ihrem Blick sah sie große Angst und auch Trauer. Wenn auf einen geschossen wurde, dann ließ das niemanden kalt. Nicht einmal Eva.

„Lombard hat es schlimmer getroffen, habe ich gehört“, sagte Levke dann, weil sie wusste, wie ungern Eva über sich selber sprach.

Eva seufzte auf. „Er wurde gestern Abend noch stundenlang operiert. Erst gleich nach der Visite kann ich zu ihm. Da war überall Blut.“ Sie sah zum Fenster, weil sich wieder Tränen in ihren Augen sammelten. „Der Arzt war gestern Abend noch bei mir, er meinte, soweit sieht es ganz gut aus.“

Levke konnte nicht anders. Es nahm sie persönlich sehr mit, dass man auf ihre beste Kollegin geschossen hatte. Sie kam ums Bett herum und nahm Eva einfach in den Arm. Sie spürte ein leichtes Zittern, das von Eva kam.

„Es tut mir so leid“, sagte Levke, „ich hoffe, dass mit Lombard wieder alles gut wird. Ihr habt schon so viel durchgemacht im letzten Jahr.“

„Danke“, sagte Eva und schob Levke leicht aber bestimmt wieder von sich. „Es wird schon wieder. Du weißt ja, Unkraut vergeht nicht.“

Levke zog sich zurück. Hatte sie etwa erwartet, dass Eva in ihren Armen weinen würde, fragte sie sich ernüchtert. Was hatte sie sich nur dabei gedacht.

„Wir haben bisher keine Zeugen gefunden, die jemanden bei eurem Boot haben herumschleichen sehen“, sagte Levke nun im Dienstton. „Wenn er selber ein Boot dort liegen hatte und damit verschwunden ist, dann sieht es wirklich düster aus für unsere Ermittlungen.“

„Ich weiß“, erwiderte Eva.

„Klar ist aber auch, dass das kein Zufall gewesen ist“, fuhr Levke fort, „jemand wollte euch beide umbringen, das sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.“

„Das mache ich ja gar nicht“, meinte Eva nachdenklich. „Ich habe mir auch schon den Kopf darüber zerbrochen, was dahinterstecken könnte. Vielleicht die Entführer von Lombard oder jemand, den ich mal hinter Gitter gebracht habe. Auf mich wurde zuerst geschossen. Erst, als Lombard sich schützend hinter mich stellte, da bekam er eine Kugel in den Rücken ab.“

Levke lehnte nun auf der Bettkante. „Also denkst du, dass der Angriff vielleicht nur dir gegolten hat?“

Eva zog die Schultern hoch und verzog das Gesicht, weil die verletzte Seite nun höllisch schmerzte bei der plötzlichen Bewegung. „Ich weiß es einfach nicht“, sagte sie, „da müsste man wohl alle Fälle durchgehen und überprüfen, wer in letzter Zeit herausgekommen ist. Aber auf der anderen Seite bringe ich in der Regel Mörder zur Strecke, die sitzen eigentlich länger ein.“

„Also kein Fall, den du gelöst hast, seitdem du auf Langeoog bist“, konstatierte Levke folgerichtig.

Eva nickte. „Da muss man wohl weit in die Vergangenheit gucken ... sag mal, bist du mir böse, wenn ich jetzt zu Lombard möchte?“

Levke schüttelte mit dem Kopf und sah Eva mit nachdenklichem Blick an. „Es wird alles gut werden“, sagte sie, „da bin ich mir ganz sicher.“

„Ja, ich hoffe es“, seufzte Eva und kam von der Bettkante hoch. „Sobald es mir wieder etwas besser geht und man mich hier rauslässt, dann werde ich dir bei den Ermittlungen natürlich helfen.“

„Werde du erst mal wieder ganz gesund.“ Levke wusste, dass sie hier gegen Wände sprach. Bestimmt kam Eva schon in ein oder zwei Tagen in die Dienststelle in Wittmund spaziert. „Du hast den Angreifer nicht gesehen, oder“, sagte sie dann noch, bevor sie ging.

„Nein“, erwiderte Eva, „das ging alle viel zu schnell. Aber ich werde Lombard gleich fragen, ob er den Täter beschreiben kann.“

„Ist gut.“

Levke verließ das Krankenzimmer und Eva ging ins Bad. Ich sehe schauderhaft aus, dachte sie, als sie in den Spiegel sah. Sie schlug sich eiskaltes Wasser ins Gesicht, doch der trübe Blick ließ sich dadurch nicht vertreiben. Jemand hatte sie umbringen wollen. Das würde ihr noch sehr lange zu schaffen machen.

 

Eva hielt den Atem an, als sie das Krankenzimmer von Lombard betreten hatte. Die vielen Lichter neben seinem Bett, die Schläuche und Klemmen. Und unter all dem er, der Mann, den sie liebte und der so hilflos in seinem Bett lag, dass es ihr Herz zerriss.

„Eva“, stöhnte er auf, „Gott sei Dank geht es dir gut.“

Sie zitterte leicht, als sie weiter auf sein Bett zuging.

„Aber wie geht es dir?“, fragte sie mit halber Stimme. Sie beugte sich zu ihm herab und küsste ihn auf die Stirn. Sein Gesicht war grau und schmal. Bestimmt hatte er viele Medikamente in seinem Körper, die ihn ruhigstellten. Vermutlich spürte er keinen Schmerz.

„Unkraut vergeht nicht“, versuchte sie, aufheiternd zu sagen. Es gelang ihr nur kläglich, dabei ihre Tränen zu unterdrücken. „Ich verstehe gar nicht, was überhaupt passiert ist, es ging alles so schnell. Jemand hat auf uns geschossen.“

Er nickte sachte. „Ich habe ihn gesehen, aber ich konnte dich nicht beschützen, das tut mir leid.“

„Dir muss nichts leidtun“, wehrte sie ab, „aber ich verspreche dir, dem, der das gemacht hat, dem wird es auf alle Fälle noch leidtun.“

Er lächelte matt. „Du bist unverbesserlich, Eva. Was ist mit deiner Schulter?“

„Ach, nur halb so wild“, sagte sie, auch wenn diese im Moment wieder höllisch schmerzte. Sie nahm nicht so gerne Schmerzmittel, das rächte sich nun. „Viel wichtiger ist, dass du wieder ganz gesund wirst. Man hat dich gestern Abend noch sehr lange operiert.“

„Ich weiß, der Kollege hat schon mit mir darüber gesprochen. Man hat mir eine Kugel aus dem Rücken entfernen müssen. Sie hat die Wirbelsäule marginal verletzt, da habe ich wohl Glück gehabt.“

Sie nahm seine Hand in ihre Hände und küsste sie. „Das ist alles, was zählt, dass wir beide wieder gesund werden. Versprich mir das.“

„Aber sicher“, sagte er, „wie du schon sagtest, Unkraut vergeht nicht.“

Beide konnten im Moment nicht darüber sprechen, was dieser Angriff wirklich mit ihnen gemacht hatte. Ein Mordversuch, von dem im Moment niemand sagen konnte, warum überhaupt. Die Leichtigkeit, mit der sie immer ihre Zeit auf dem Boot verbracht hatten, die würde nun endgültig vorbei sein. Jemand hatte da etwas zerstört, dass man Grundvertrauen in die eigene Sicherheit nannte. Sowas konnte man nicht wieder reparieren.

„Du musst jetzt schlafen“, sagte sie, weil ihm immer wieder die Augen zufielen. „Ich komme heute Nachmittag noch einmal zu dir.“

„Ja ... Eva, ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch.“

Sie deckte ihn zu und wartete, bis er eingeschlafen war. Das Blinken der roten und grünen Lampen an dem Überwachungsmonitor machte auch sie ein wenig schläfrig, so dass sie die Augen schloss. Sie fiel in einen oberflächlichen Schlaf ohne quälende Träume, so wie sie die in der letzten Nacht erlebt hatte. Sie war schweißgebadet aufgewacht und hatte im ersten Moment gar nicht gewusst, wo wie war.

 

Zwei Tage später war Eva dann wieder soweit stabilisiert, dass sie aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte. Das tat sie nun mit gemischten Gefühlen, weil sie Lombard nur ungern allein zurücklassen wollte. Sie hatte mit dem Arzt gesprochen. Im Moment sah es so aus, dass Lombard seine Beine nicht mehr spüren konnte. Das hatte Eva einen gewaltigen Schock versetzt. Der Arzt hatte sie beruhigt, dass es derzeit noch keinen Grund zur Sorge gäbe. Nach so einer schweren Operation sei es nicht unüblich, wenn sich der Körper erst einmal wieder ganz erholen müsste, um alle Funktionen wieder zu erreichen. Gerade, wenn es um die Wirbelsäule ging, waren solche Taubheitserscheinungen als Nebenwirkungen bekannt. Eva hatte sich damit zufriedengeben müssen, auch wenn sie gerne noch weitergehende Fragen gestellt hätte. Aber vermutlich hatte der Mediziner recht, es brauchte einfach seine Zeit. Vielleicht in ein oder zwei Wochen würde man schon viel weiter sein, war er sich sicher.

Eva packte die wenigen Sachen, die Levke ihr gebracht hatte, zusammen und sah nicht mehr zurück auf ihr Krankenbett. Sie musste jetzt alle Kraft dafür aufwenden, den Täter zu finden, der auf sie geschossen hatte.

Draußen auf dem Parkplatz wartete ein Wagen der Polizei Wittmund auf sie, um sie zunächst zur Dienststelle und dann zum Fähranleger nach Bensersiel zu bringen.

 

Levke hatte einen Kaffee gekocht und nun saßen die beiden Frauen zusammen im Büro.

„Was wirst du jetzt machen?“, fragte Levke.

Eva zog die Brauen hoch. „Gleich werde ich erst einmal rüber auf die Insel fahren, um ein paar Sachen zu erledigen. Papierkram gehört ja leider auch immer dazu, wenn etwas passiert. Morgen früh könnte ich wieder rüberkommen.“

„Klar, eine gute Idee“, sagte Levke, obwohl sie nicht davon überzeugt war. Eva sah nicht gut aus. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen und noch immer war ihr Blick irgendwie abwesend. Sie sollte sich lieber noch eine Weile ausruhen. Doch wer Eva kannte, der wusste, dass man mit solchen Vorschlägen auf Granit biss bei ihr. „Konnte Lombard sich denn an etwas erinnern“, fragte sie vorsichtig.

„Du meinst, was den Täter betrifft ... nein, leider nichts, was einen weiterbringen würde. Eine große dunkle Gestalt, das ist eigentlich alles, was er gesehen hat. Der Angreifer trug eine Maske, also so eine schwarze Maske, wo man nur noch die Augen sieht. Im Grunde hat Lombard nur reagieren können, als mich der erste Schuss in die Schulter getroffen hatte. Er wandte sich zu mir, um mich zu schützen. Danach hat ihn dann eine Kugel in den Rücken getroffen. Er ging zu Boden und ...“, Eva stockte, „und dann drehte ich mich zu ihm um und sah das ganze Blut, das sich immer mehr ausbreitete ... ich“, sie schluchzte, „ich dachte in dem Moment, es ist ...“.

„Schon gut“, sagte Levke in beruhigendem Tonfall, „quäl dich jetzt nicht weiter damit.“

„Oh“, lachte Eva auf, „es geht mir eigentlich nichts anderes mehr im Kopf herum, verstehst du. Jemand wollte mich und Lombard töten.“

„Ich verstehe, dass dich das sehr belasten muss, Eva. Wäre es da nicht vielleicht doch besser, wenn du zunächst einmal ein wenig mehr an dich denkst und mit jemandem darüber sprichst.“ Nun hatte sie es doch getan.

„Du meinst einen Seelenklempner“, sagte Eva lakonisch, „dafür ist im Moment wohl keine Zeit. Erst will ich wissen, wer uns das angetan hat.“

„Verstehe, dann sehen wir uns also morgen Vormittag, nehme ich an.“

„Ja, ich denke, so gegen elf Uhr könnte ich hier sein.“

Sie tranken mehr oder weniger schweigend ihren Kaffee zu Ende, bevor Eva sich dann auf den Weg machte, um zur Insel rüber zu fahren.

 

Die Fähre war voller Menschen, die fröhlich lachten und sich gegenseitig Dinge zeigten, die sie in der Natur um sich herum entdeckten. Doch all das perlte an Eva mehr oder weniger ab. Sie saß oben auf dem Deck, eingeengt zwischen einer älteren Frau und deren Kindern und Enkeln, wie es schien. Sonst wäre sie in solchen Momenten aufgestanden, um sich lieber an die Reling zu stellen. Doch nun ließ sie all die Gespräche und unfreiwilligen Berührungen der anderen, wenn sie sich unterhielten, einfach über sich ergehen. Ihr fehlte die Kraft, um sich zu wehren, so schien es ihr. Nur die ältere Frau nahm Rücksicht auf ihren Arm, der in einer Schlinge hing. Aber sie sprach Eva darauf nicht an, weil sie ahnte, dass da jemand etwas ganz Furchtbares erlebt haben musste.

Eva hörte das Meer rauschen, roch das Salz und spürte die Sonne auf ihrem Gesicht. Dinge, die sie sonst in gute Stimmung versetzt hatten, versagten jetzt ihren Dienst. Alles wirkte eintönig auf sie, denn in ihrem Kopf, da arbeitete es wieder, spulten sich Bilder ab und wiederholt spürte sie den brennenden Schmerz in ihrer Schulter, als die Kugel sie getroffen hatte. Vielleicht hat Levke doch recht, dachte sie, ich sollte alles erst einmal verarbeiten, bevor ich wieder in den Dienst gehe. Und krankgeschrieben war sie ja auch. Und was war, dachte sie nun, wenn ich nie wieder arbeiten kann. Sie war jetzt Mitte fünfzig. Wenn sie wirklich ein Trauma entwickelte, das sie derart belastete, dass sie dienstunfähig wurde, dann wäre der Übergang in die Pension sicher kein Problem. Wie oft hatte sie sich schon danach gesehnt, mehr Zeit für sich zu haben. Bis sie dann ein neuer Fall wieder eingespannt hatte und das Privatleben wieder zur Nebensache wurde. Habe ich überhaupt ein Privatleben, fragte sie sich, als sie in freundliche Gesichter sah, die sie nicht kannte. All die Menschen hier um mich herum, sie sind glücklich, weil sie Zeit miteinander verbringen können, die schönste Zeit des Jahres, wie man sagte. Was ist, wenn meine schönste Zeit längst vorbei ist. Lombard konnte querschnittgelähmt sein. Genau das war es, was ihr auch den ganzen Tag im Kopf herumgegangen war. Der Arzt hatte es zwar vermieden, dieses Wort überhaupt nur anzusprechen und nur von Taubheitsgefühlen geredet. Doch war das nicht auch ein Zeichen dafür, dass er nie wieder würde laufen können. Wie sollte es dann mit ihnen beiden weitergehen. Sie in Pension, er im Rollstuhl. Zwei Menschen, die sich schicksalhaft aneinanderklammerten, weil sie alles waren, was ihnen nach dem Angriff geblieben war. Zwei verletzte Seelen auf der Suche nach Erlösung.

Es wurde unruhiger auf der Fähre, weil sie Langeoog erreicht hatten. Eva blieb so lange sitzen, bis sie dann die Letzte war, die von Bord ging. Mit gesenktem Blick ging sie Richtung Inselbahn. Sie schaffte es einfach nicht, zum Hafen zu sehen, wo das Boot von Lombard lag. Es kroch ein dumpfes Gefühl ihren Nacken empor, dass der Attentäter sie auch weiterhin im Visier hatte. Wer sagte ihr denn, dass es nur bei dem einen Anschlag bleiben würde. Lombard schien im Krankenhaus erst einmal in Sicherheit zu sein. Aber stimmte das wirklich. Bilder von actionreichen amerikanischen Filmen geisterten durch ihren Kopf, wo die Täter sich auch gerne in Krankenhäuser schlichen, um der Flüssigkeit, die sich Tröpfchen für Tröpfchen in die Adern des Patienten schlängelten, eine Substanz hinzufügten, die tödlich war.

Dann saß sie endlich in der Inselbahn. Die Landschaft, die zu neuem Leben erblühte, zog an ihr vorbei. Fast teilnahmslos nahm sie die ersten bunten Farben des Jahres auf. Wo war nur die Freude geblieben. Vielleicht hatte Levke ja doch recht mit ihrer Anmerkung, dass das Gespräch mit einem Therapeuten nach so einer Erfahrung im Grunde unumgänglich war. Das hatte nichts mit Schwäche zu tun, sondern eher mit Stärke, wenn man sich eingestand, dass man jemanden brauchte, der einem die Angst wieder nahm.

Beim Bahnhof angekommen stiegen alle Fahrgäste aus und verteilten sich sternenförmig über den ganzen Platz und machten sich auf den Weg zu ihren Unterkünften. Eva indes ging, sich hin und wieder umsehend, direkt zu ihrer Wohnung. Nicht in die Dienststelle, das konnte warten. Schließlich war sie krankgeschrieben und alles, was an Meldungen einging, sammelte sich im Moment sowieso bei Levke in Wittmund.

An der Wohnung angekommen noch ein letzter Blick nach links und nach rechts, dann schloss Eva auf und ging hinein. Und wenn er hier ist, dachte sie als Erstes, als sie die Tür wieder hinter sich schloss. Ihr Blick fiel auf einen Regenschirm, der in der Ecke neben der Tür an der Wand lehnte. Automatisch griff sie danach und ging dann weiter bis zur Küche. Sie sah hinein. Dann in die anderen Zimmer. Es schien niemand hier zu sein. Im Schlafzimmer dachte sie für einen kurzen Moment daran, auch den Schrank zu öffnen, für alle Fälle. Doch dann machte sie es nicht, aus Angst davor, paranoid zu werden. Aber ihre Waffe, die in der Schublade des Nachtschranks lag, die nahm sie mit, als sie in die Küche ging. Zuvor hatte sie noch die getragenen Sachen, die sie in ihrem Rucksack bei sich hatte, in die Waschmaschine getan. Dann sah sie die Dusche und sie konnte nicht widerstehen. Alles, was geschehen war, müsste man einfach abwaschen können, dachte sie, als das warme Wasser über ihren Rücken lief. Doch so funktionierte das leider nicht.

Nun saß sie mit tropfenden Haaren in ihrem Jogginganzug am Küchentisch und hörte auf jedes noch so banale Geräusch. Hin und wieder ein Wassertropfen, der ins Spülbecken platschte. Stimmen von draußen, Spaziergänger, die sicher zum Strand gingen oder in ein Café. Der Motor eines Elektrowagens. Es schien ihr, als wären alle Geräusche verstärkt worden. Und schließlich hörte sie auch den Puls an ihrem Hals, da hatte sie dann genug von der Ruhe. Sie stellte das Radio an und hörte die Nachrichten. Währenddessen begann sie damit, die viele Post, die sich angesammelt hatte, durchzusehen. Zuletzt stieß sie auch wieder auf den handgeschriebenen Brief, den sie seinerzeit nicht geöffnet hatte. Sie schob ihren Finger hinein und riss den Umschlag vorsichtig an der Kante auf. Ein weißes Blatt mit feiner Handschrift beschrieben kam zum Vorschein. Eindeutig von einer Frau, dachte Eva. Und so war es dann auch, als der Text damit begann, dass sie sich dafür entschuldigte, Eva zu belästigen, doch sie wüsste sich einfach keinen anderen Rat mehr. Sie hätte den Verdacht, dass ihr Mann etwas ganz Furchtbares getan hätte. Und es gäbe niemanden, mit dem sie darüber sprechen könnte, nicht einmal mit ihm. Oder gerade nicht mit ihm, denn sie wüsste nicht, wie er darauf reagieren würde. Es war an einem kalten Abend im Januar gewesen, als er später als erwartet von der Arbeit nach Hause gekommen wäre. Er hätte sich anders verhalten als sonst, das wäre das gewesen, was ihr zunächst aufgefallen war. So ruhig war er sonst nicht. Als sie nachgefragt hätte, da schob er es auf schwierige Kunden bei der Arbeit. Doch auch für den Rest des Abends und die kommenden Tage war er nicht mehr derselbe gewesen. Und dann hätte sie in der Zeitung von dem Unfall gelesen. Ein Junge war in der Dunkelheit an dem Tag angefahren worden von einem Wagen, dessen Fahrer sich einfach davongestohlen hatte. Und das alles geschah an dem Tag, als ihr Mann verspätet nach Hause gekommen war, so verändert. Daran erinnerte sie sich. Und die Angst, dass er es gewesen sein könnte, die ließ sie nun einfach nicht mehr los.