Soko Norddeich 117 - Die schrägste Ermittlertruppe in Ostfriesland Band III - Moa Graven - E-Book

Soko Norddeich 117 - Die schrägste Ermittlertruppe in Ostfriesland Band III E-Book

Moa Graven

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Beschreibung

Die Soko Norddeich 117 schlägt wieder zu! In diesem Doppelband lesen Sie die Fälle "Faule Hunde und ein Wolf im Schafspelz" und "Der Pfannkuchenmord". Wieder haben Thekla, Agneta, Okko, Siggi und Herbert alle Hände voll zu tun, um die umtriebigen Mörder in Ostfriesland zu fassen. Auch Oma Gerda mischt kräftig mit, so dass am Ende wie immer alles gut wird und sie zusammen ihren geliebten Ostfriesentee trinken können.

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Impressum
Faule Hunde und ein Wolf im Schafspelz – Zum Inhalt
Mahlzeit
In der Fleischerei
Tot ist tot
In der Dienststelle
Mariechen
Der Geruch nach Tod
Bei Oma Gerda
Dorftratsch
Agneta
Die Lessings
Herbert und Mariechen
In der Dienststelle
Gertrud Werts
Die Nadel im Heuhaufen
Beim Italiener
In Leer
Okko und Gertrud
Der fremde Gast
Die dritte Frau
Mariechen und die ganze Wahrheit
Bei Oma Gerda
Der Pfannkuchenmord – Zum Inhalt
Pfannkuchen
Große Trauer
Die schlechte Nachricht
In der Dienststelle
In der Autowerkstatt
Greta Grotgether
Das Kaninchen
Siggis Mission
Bei Gerda
Greta und die Männer
In der Dienststelle
Sibylle und Siggi
Eins und eins ergibt zwei
Der entscheidende Hinweis
Sibylle
Der nächste Tag
Mein Brief an Sie, liebe Leserin und lieber Leser,
Zur Autorin
Die Reihe Soko Norddeich 117
Die weiteren Krimi-Reihen von Moa Graven im Überblick
Meine Autobiografie
Leseprobe aus dem aktuellen Fall mit der Langeooger Ermittlerin EVA STURM „Spuren in dunkler Nacht“

 

 

Soko Norddeich 117 Sammelband III

 

Faule Hunde

und ein Wolf im Schafspelz

 

Der Pfannkuchenmord

 

Ostfrieslandkrimi von

Moa Graven

Moa Graven ist Ostfriesin und schreibt seit 2013 Krimis. Erst mit fünfzig hat sie die Leidenschaft für das subtile Verbrechen auch für sich entdeckt, als sie einen Fortsetzungskrimi für ein Monatsmagazin schrieb. Seit 2017 lebt die Autorin vom Schreiben und eröffnete ein Krimihaus in Rhauderfehn, wo man sie auch besuchen kann. Mit über 80 Krimis, die sie über 600.000 Mal im Eigenverlag verkaufte, gehört sie zu den erfolgreichsten Krimiautorinnen in Deutschland.

Impressum

Sammelband mit den Krimis Faule Hunde und ein Wolf im Schafspelz – Der Pfannkuchenmord – Soko Norddeich 117

Ostfrieslandkrimi von Moa Graven

Alle Rechte am Werk liegen bei der Autorin

Erschienen im Criminal-kick-Verlag Ostfriesland

Das Krimihaus – 3. Südwieke 128a – 26817 Rhauderfehn

Juni 2021

Covergestaltung: Moa Graven

Faule Hunde und ein Wolf im Schafspelz – Zum Inhalt

 

Faule Hunde und ein Wolf im Schafspelz ist der fünfte Band aus der Krimireihe mit der Soko Norddeich 117 von Moa Graven

 

Ausgerechnet am heiligen Sonntag wird der Metzger Alfred Grube erschlagen mit einem Fleischhammer in seinem Betrieb aufgefunden. Ein großer Schock für die Soko Norddeich 117, die gerade bei Oma Gerda einen fetten Braten von Grube verputzt. Und ganz besonders für Agneta, weil sie Vegetarierin ist und auf keinen Fall zu so einem Tatort gehen kann. Zunächst klinkt sie sich sogar aus dem Fall aus. Thekla, Okko, Siggi und Herbert ermitteln im Umfeld von Grube. Hatte er Schulden? Hat er seine Frau Mariechen betrogen? Sie suchen nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen. Und befördern dabei so manche unangenehme Wahrheit ans Licht.

 

Dieses Buch

widme ich

meinen Hühnern.

 

Moa Graven

Mahlzeit

 

Grüne Bohnen mit Speck. Das war seit geraumer Zeit das Lieblingsgericht von Okko. Und so richtig im Fett schwimmen mussten sie, wenn sie in der Pfanne aufgewärmt wurden. Dann schmeckten sie sogar noch besser, hatte er Oma Gerda verraten, die es liebte, ihn kulinarisch zu verwöhnen.

Und so waberte auch an diesem Wochenende im März wieder einmal der Geruch grüner Bohnen durch Oma Gerdas Haus und hing unheilvoll unter der Decke. Denn Agneta konnte den Geruch nach Bohnen so langsam nicht mehr ertragen. Jedenfalls nicht, wenn er sich mit Speck vermischte. Und damit es keinen Streit am versammelten Tisch gab, kochte Gerda für Agneta immer einen Extratopf ohne Speck oder sonstiges Fleisch. Und es musste immer der Deckel drauf sein, damit ihre Bohnen nicht mit den Fettspritzern aus der Pfanne für Okko und die anderen aneinandergerieten. Sie hatte geschworen, sonst keinen Bissen anzurühren.

Thekla hielt sich aus den Querelen um die Bohnen heraus und verschwand während des Garprozesses immer gerne in ihrem Zimmer. Wie durch ein Wunder ging es ihren Augen besser und sie hatte wieder die Freude am Lesen entdeckt. Und so schmökerte sie nun in einem Band von Karl May, den sie in Gerdas Wohnzimmerschrank entdeckt hatte. Er hatte Gerdas Ehemann gehört, der ihn schon seit seiner Jugend verwahrte. Der Einband war ein wenig abgegriffen, weil sicher schon oft darin gelesen worden war. Damals hatten die Leute nicht das Geld gehabt, ständig etwas neues zu kaufen. Und auch Thekla hatte in ihrer Jugend nicht jeden Wunsch erfüllt bekommen. Jetzt, im Rückblick, fand sie es sogar gut. Die Kinder heutzutage wussten viele Dinge nicht mehr zu schätzen, weil sie ständig und überall verfügbar waren. Aber das war ja nicht ihre Schuld. Sie wurden in eine Zeit des Überflusses hineingeboren, der sich so langsam aber sicher an der Natur rächte.

Ach, dachte Thekla zufrieden und setzte ihre Lesebrille ab und legte das Buch zur Seite. Sie fühlte sich mit ihrer Art zu leben sehr im Reinen. Hier im Haus von Gerda war sie endlich Zuhause angekommen. Was wohl aus dem Haus werden würde, wenn Gerda einmal nicht mehr war? Das Thema sprach sie natürlich nie an, doch sie sah es in Gerdas Augen, dass diese sich ebenso darüber Gedanken machte. Und irgendwie hatte Thekla das Gefühl, dass Gerda ihr und Agneta das Haus vermachen würde. Es gab zwar noch Kinder, doch die hatten alle ihr eigenes Leben und kamen nur noch selten nach Norddeich. Wie dem auch sei, irgendwie würde es schon eine Lösung geben, dass sie nicht aus diesem wunderschönen Haus ausziehen musste. Sie hätte kein Problem damit gehabt, den Erben eine Miete zu zahlen.

Es klopfte an die Tür und sie kehrte zurück aus ihren Überlegungen.

„Ja“, sagte sie und Agneta kam herein.

„Was machst du gerade?“ Sie seufzte und setzte sich zu Thekla aufs Sofa.

„Lesen. Wieso?“

„Ach, Okko geht mir sowas von auf die Nerven. Das ganze Haus stinkt schon wieder nach Bohnen.“ Sie verdrehte die Augen.

„Verstehe. Glaub mir, das ist mir nicht entgangen. Sicher ist es jetzt aber das letzte Mal, dass Gerda die Bohnen für ihn kocht. Schließlich haben wir nächste Woche Frühlingsanfang.“

„Pah, da wäre ich mir nicht so sicher. Gerda liebt es, wenn Okko sich den Wanst vollhaut mit dem Speckzeug. Sie kocht das alleine für den dankbaren Blick bis in den Spätsommer hinein.“

„Tja, und dann fängt die Saison schon wieder an.“

„Hör bloß auf, das ganze Jahr Bohnen und ich wandere aus.“

„Na, soweit wird es nicht kommen.“ Thekla kam vom Sofa hoch und streckte ihre Glieder. „Ich werde mal mit Gerda darüber sprechen.“

„Oh, dann sag aber bloß nicht, dass ich mich beschwert habe ...“.

„Über dein Verhältnis zu Speck ist hier jeder im Bilde, glaube mir.“

Sie hörten eine Stimme aus dem Flur im Erdgeschoss.

„Bäh, das Essen ist fertig“, sagte Agneta angewidert. „Ich schwöre dir, das ist das letzte Mal, dass ich mir das Gesabbere von Okko ansehe.“

Thekla lachte und die beiden gingen nach unten zu den anderen.

Auch Siggi, der an diesem Sonntag Dienst hatte, saß bereits am Tisch, was Agnetas Laune sichtlich hob. Sie setzte sich zu ihm und augenblicklich tuschelten die beiden.

„Herbert ist gerade vorgefahren“, sagte Gerda mit Blick aus dem Fenster, „dann können wir jetzt essen.“ Sie hievte den großen schwarzen Emailletopf vom Ofen und brachte ihn auf den Tisch. Thekla kümmerte sich um die Kartoffeln und die Extra-Pfanne für Agneta.

Dann waren alle versammelt und ließen es sich schmecken.

In der Fleischerei

 

Weniger gemütlich ging es zur selben Zeit in der Nordseestraße in Norden zu. Alfred Grube wuchtete gerade ein viertel Rind auf die abgewetzte Bank, um es zu zerteilen. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. So weit war es schon gekommen, dass er sonntags in seine Fleischerei musste, um die Kundenwünsche zu erfüllen. Niemand nahm mehr Rücksicht darauf, dass auch er einen Ruhetag brauchte. Bereits am gestrigen Abend war er hier gewesen, um das Rindvieh aus dem Kühlhaus zu holen, damit es am Sonntag bearbeitbar war.

Ganz sicher war es der Gesellschaft, die sich viele saftige Steaks wünschte, nicht erst in letzter Sekunde eingefallen, dass sie mitten in der Woche mit Freunden feiern wollten, hatte seine Frau Mariechen geschimpft. Doch immer rief man ihn in letzter Sekunde an. Er hasste das. Dabei hatte er es sich gestern bereits zu den Abendnachrichten auf dem Sofa mit einem Bierchen gemütlich gemacht, als das Telefon klingelte. Mariechen, seine Frau hatte noch abgewunken und geraten, nicht ranzugehen. Aber es konnte ja auch was mit den Kindern sein. Also nahm sie für ihn ab und gab ihm den Hörer. Und kurz darauf fuhr er zähneknirschend zu seinem Laden.

 

Der Tisch färbte sich dunkel vom Blut, während Grube immer weiter an dem Tier herumsäbelte. Eigentlich mochte er seine Arbeit, doch jetzt war er voller Zorn und stach zu, dass es selbst für bekennende Fleischesser eine unappetitliche Angelegenheit wäre, ihm dabei zuzusehen. Wie oft hatte er sich schon vorgestellt, wenn er so fuhrwerkte, dass es einer seiner Kunden wäre, der ihm dort willenlos auf dem Tisch ausgeliefert war. Und so einen Moment musste er eben auch wohl wieder gehabt haben, als das Blut zur Seite spritzte.

Er wischte sich mit dem Hemdsärmel über die Stirn. Erledigt. Er musste jetzt nur noch die Teile sauber verpacken und in die Kühlung bringen. Der Kunde würde nie etwas von seinem Massaker erfahren.

Grube musste nach einer weiteren Viertelstunde nur noch den Tisch wieder reinigen, dann bliebe ihm noch der restliche Sonntag, um sich auszuruhen. Er beeilte sich, als es nur noch Kleinigkeiten waren, bis plötzlich wie aus heiterem Himmel eine Fontäne aus Blut an seinem Kopf vorbeizischte. Ein roter Schwall ergoss sich auf seine Hand, die gerade damit beschäftigt gewesen war, mit einem feuchten Tuch über die Platte zu wischen. Ungläubig sah Grube seinen Fingern dabei zu, wie sie in dem Lappen walkten. Bis er endlich verstand, dass er nichts mehr verstand. Dass ihm schwindelig wurde. Seine Augen sich schlossen und nur mit Mühe wieder zu öffnen waren. Dann taumelte er, stieß gegen einen Schrank, wankte und nach einem letzten Wimpernschlag ging er wie eines seiner Rinder leblos zu Boden.

 

Mariechen liebte diesen Moment, wenn das Fett im Topf erhitzt gierig auf die Zwiebeln wartete, die sie zuvor in kleine Würfelchen geschnitten hatte. Dann dieser Augenblick, wo das Gemüse sich mit dem Fett verband. Dieser Geruch, sie liebte ihn. Ja, sie kochte gerne. Und heute würde es Rinderrouladen geben. Alfred liebte sie über alles und sie wollte ihm, wo er sich doch am gestrigen Abend so geärgert hatte, eine Freude machen.

Sie wusste, dass ihm die Arbeit im eigenen Betrieb mit zunehmendem Alter immer schwerer von der Hand ging. Doch bis zum Ruhestand waren es noch ein paar Jahre und die Kinder zeigten keinerlei Interesse an dem elterlichen Betrieb, der es ihnen ermöglicht hatte, in entfernte Städte zu ziehen und zu studieren. Hin und wieder regte Alfred sich darüber auf und nannte seinen Nachwuchs undankbar. Nun, Mariechen liebte ihre zwei Söhne und die eine Tochter über alles und sie hörte es nicht gerne. Doch in manchen stillen Stunden, in denen sie alleine vor dem Nachmittagsprogramm vor dem Fernseher saß, da gab sie ihm in gewissen Punkten recht. Es wäre schön gewesen, wenn Johann, der Älteste, in die Fußstapfen seines Vaters getreten wäre. Doch stattdessen quälte er sich in der Physik den ganzen Tag mit irgendwelchen Problemen herum, die sich sowieso nicht lösen ließen und mit der Realität hier in Norden nichts zu tun hatten.

Es war nicht leichter geworden, selbständig zu sein, wenn man davon leben wollte. Sie wusste, dass es Alfred das Herz brechen würde, wenn er die Fleischerei eines Tages schloss, weil er keinen Nachfolger fand. Bestimmt würden sie das historische Gebäude verkaufen müssen, das schon in dritter Generation in der Familie Grube geführt wurde.

Als die Zwiebeln glasig glänzend in der Pfanne schwammen, legte Mariechen die vorbereiteten Rouladen hinein und ließ sie von allen Seiten kurz anbraten. Dann schloss sie den Deckel und reduzierte die Hitze ein wenig und sah zur Uhr. Nun blieben ihr noch zwei Stunden, um die Kartoffeln zu schälen und den Rotkohl zu kochen. Also war vorher noch genügend Zeit, um sich noch einen Ostfriesentee zu machen.

Dieser gehörte für sie zum Kochen, das sie leidenschaftlich tat, schon immer dazu. Ihre Schwiegermutter hatte das nie verstanden, doch sie lebte zum Glück schon lange nicht mehr. Sie war eine boshafte Frau gewesen, die jede Gelegenheit nutzte, um Mariechens Fähigkeiten als Hausfrau und Mutter in Frage zu stellen. Von der Eignung, einen eigenen Familienbetrieb zu führen, einmal ganz abgesehen.

Doch daran wollte sie jetzt nicht länger denken. Deshalb wusch sie ihre Hände ab und setzte Wasser für den Tee auf. Bis sie wieder in die Küche musste, vertrieb sie sich die Zeit mit einer Serie im Fernsehen. Heutzutage konnte man sich ja alles ansehen, wann man wollte. Früher, da hatte sie an manchen Tagen ihre Zeit nach den Soaps eingeteilt, wenn es gerade so richtig spannend wurde.

Drei Stunden später sah sie zum wiederholten Mal nervös zur Uhr. Die Kartoffeln standen auf dem Herd, die Rouladen schickten einen betörenden Duft durchs Haus. Doch von Alfred war immer noch nichts zu sehen.

Mariechen kannte so ein Verhalten von ihrem Mann nicht. Gerade, wenn es sein Lieblingsgericht gab, dann war er immer überpünktlich. Es war nicht ihre Art, hinter ihm her zu telefonieren. Wenn er im Stress war, regte ihn das sicher auf. Doch heute war ja Sonntag. Und er kümmerte sich nur um eine Sonderbestellung. Deshalb griff sie dann doch zum Telefon und wählte die Nummer der Schlachterei. Nur das Freizeichen. Sie legte wieder auf. Noch zehn Minuten, nahm sie sich vor. So lange würde sie noch warten.

Doch auch diese Frist verstrich, ohne, dass der dunkelblaue Wagen in die Auffahrt einbog. In Mariechen kroch eine Vorahnung hervor. Es musste etwas passiert sein. Alfred hatte das Alter, um auch wie so viele ihrer Bekannten einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden. Da musste man sich nichts vormachen, wenn man in die Jahre kam. Vielleicht hatte sie schon viel zu lange gezögert. Doch nun machte sie sich auf den Weg zu ihrem Kleinwagen und fuhr direkt zu ihrem Betrieb, der nur wenige Kilometer entfernt lag.

 

Alfreds Wagen stand vor der Tür. Also war er noch da drinnen. Mit gemischten Gefühlen stieg Mariechen aus und zog den Kragen ihres Mantels höher.

„Alfred!“, rief sie schon, als sie die Tür noch in der Hand hatte. „Bist du da?“

Es kam keine Antwort. Stattdessen stieg ihr ein Geruch nach Blut in die Nase. Das war sie als Ehefrau eines Schlachtermeisters nun wirklich gewöhnt. Doch es schwang etwas anderes mit. Der Tod. Die Angst. Und dann die Stille hier überall. Wenn er da war, warum antwortete er dann nicht einfach?

„Alfred!“, rief sie noch einmal und ihre Stimme brach.

Mariechen ging weiter bis zum Kühlraum. Die Tür stand offen. Das war alles andere als normal. Ihr Herz machte einen Aussetzer, bevor sie einen Blick hineinwarf. Nur halbe Schweine und Rinderteile. Sie bückte sich. Dann atmete sie auf. Alfred lag hier nirgendwo. Sie schloss die Tür und ging weiter.

Im nächsten Raum wurde der Geruch nach Blut so intensiv, dass es ihr fast übel wurde davon. Und dann sah sie, warum das so war.

Da lag er. Alfred. Ihr Ehemann. Eine große Lache seines Blutes hatte sich wie ein Kranz um sein Haupt gelegt. Er lag auf dem Bauch. Er bewegte sich nicht mehr. Ein großes Loch klaffte in seinem Schädel und gleich daneben lag ein blutverschmierter Fleischhammer.

„Alfred!“, schrie sie jetzt und ging in die Knie. Er fühlte sich ganz steif an und sie zuckte zurück. Sie erhob sich und taumelte rückwärts, bis sie an einen Tisch stieß. „Ich muss Hilfe holen“, murmelte sie, „Alfred, es wird alles wieder gut.“ Sie wusste, dass es nicht so war. Doch es war wohl der Schock.

Im Laden atmete sie ein paar Mal tief durch, bevor sie dann den Notruf wählte.

Tot ist tot

 

Nur widerwillig hatte Okko seinen Platz an Oma Gerdas Tisch verlassen, als der Anruf einging, dass man dem hiesigen Schlachter den Schädel eingeschlagen hatte.

„Und das am heiligen Sonntag“, war es Gerda so rausgerutscht. Später tat es ihr leid. Es gab eben keine Tage, an denen es sich besonders praktisch starb. „Tot ist tot“, sagte sie, „Sonntag oder nicht.“

„Und wer übernimmt den Laden?“, war das Nächste, was Okko dazu einfiel. „Ich mein ja nur ...“, schob er nach, als er Agnetas bösen Blick erhaschte. Ganz deutlich schwang Verachtung darin mit. Gleich nach dem Ekel, den sie beim Wort Fleisch empfand.

Thekla hielt sich nicht lange mit den anderen auf und stieg schon bald zu Herbert in den Wagen. Siggi war in die Dienststelle gefahren, um dort schon mal die Fakten zu Alfred Grube zu sammeln. Und vielleicht meldete sich ja auch ein Zeuge. Oder womöglich der Täter, hatte Okko geflachst und war dann doch mit den anderen zum Tatort gefahren.

 

Es war da nicht mehr dran zu rütteln und die Todesursache lag klar auf der Hand. Der eingeschlagene Schädel, das viele Blut und die Tatwaffe gleich auf dem Präsentierteller. Der Fleischhammer.

„Wie originell“, meinte Okko und rieb sich übers Kinn, wo noch ein Rest vom Fett hing, das ihm aus dem Mundwinkel gelaufen sein musste. Er schleckte den Finger ab. „Ich meine, einen Schlachter mit einem Fleischhammer zu erschlagen. Da kommen doch gleich Bilder. Oder bei euch nicht?“

Thekla und Herbert sahen ihn zweifelnd an. „Du willst doch wohl nicht sagen, dass jemand wie Agneta hier am Werk war?“, fragte sie.

Aus Rücksicht auf ihre Abneigung gegen Fleisch und tote Tiere im Allgemeinen hatte man sie zu Hause bei Oma Gerda gelassen. Allerdings konnte Thekla noch immer nicht nachvollziehen, warum ihr tote Menschen nichts ausmachten. Wenn sie nicht gerade in einem Schlachtbetrieb herumlagen, so wie Alfred Grube.

„Nicht unbedingt Agneta, die würde keinen Fuß hier reinsetzen“, antwortete Okko allen Ernstes. „Aber eben jemand, der so wie sie gestrickt ist.“

„Ich verstehe schon, was du meinst“, erwiderte Thekla. Auch ihr war der Geruch nach Tod und Blut so langsam in den Magen gekrochen. „Wir sollten uns jetzt erst einmal mit der Ehefrau unterhalten, schlage ich vor.“

Man hatte ihnen gesagt, dass Mariechen Grube von den herbeigeeilten Sanitätern ein Beruhigungsmittel verabreicht worden war und man sie nach Hause gefahren hatte.

Herbert, der sich im gesamten Gebäudekomplex umgesehen hatte und gerade aus dem Kühlhaus kam, machte ein mürrisches Gesicht.

„Hast du was entdeckt?“, fragte Thekla.

„Wie man’s nimmt“, erwiderte er, „aber wenn man mal durch so ein Kühlhaus geschlendert ist, dann kann man Agneta beinahe verstehen. Die armen Viecher. Hängen da kopfüber an einem Haken.“

„Was hast du erwartet?“, fragte Okko zurück, der diese Kritik so nicht stehenlassen konnte. „Eine Schlachterei ist kein Ponyhof. Natürlich sterben hier Tiere. Aber dafür haben wir hinterher eine schöne Mahlzeit auf dem Tisch. Das haben doch die Wilden früher auch schon gemacht, nur über offenem Feuer.“

„Das fehlte mir noch“, seufzte Thekla und verdrehte die Augen. „Können wir jetzt bitte langsam wieder das Thema wechseln und nach dem Mörder suchen?“ Sie deutete mit spitzen Fingern auf die Leiche auf dem kalten Steinboden. „Wir sind uns sicher alle einig, dass niemand, auch nicht Alfred Grube, so ein Ende verdient hat.“

Okko räusperte sich und zog seine Hose hoch.

„Wo fangen wir an?“, fragte Herbert und tat so, als müsste er sich Staub von der Schulter wedeln.

„Die Ehefrau“, bestimmte Thekla. „Ich denke, es ist am besten, wenn ich zunächst alleine mit ihr spreche, so von Frau zu Frau.“

Herbert nickte und Okko sah sich schon die Reste bei Oma Gerda verzehren. Thekla nahm den Wagen und die Männer ließen sich später von einem Streifenwagen zur Dienststelle fahren.

 

Thekla hatte es noch nie als besonders leicht empfunden, mit Hinterbliebenen von Mordopfern zu sprechen. Doch gerade in der direkten Zeit nach dem Verbrechen kamen oft Wahrheiten ans Tageslicht, die später nach gewisser Bedenkzeit, gerne unter den Teppich gekehrt wurden.

Sie musste dreimal klingeln, bevor Mariechen Grube etwas schlaftrunken die Tür öffnete.

„Soko Norddeich“, stellte Thekla sich vor, „wäre es möglich, dass wir beide uns kurz unterhalten?“

Mariechen blinzelte gegen die Nachmittagssonne. Dann nickte sie matt.

„Kommen Sie“, murmelte sie, als sie vorausging, „ich hätte auch noch Rouladen da. Die isst jetzt ja niemand mehr.“

Ja, dachte Thekla, als sie die kleine schmale Frau von hinten sah. Ein furchtbares Schicksal, wenn man so einsam seine letzten Jahre verbringen musste. Nicht mehr lange, dann hätten die Grubes sich eine schöne Zeit nach einem arbeitsreichen Leben gemacht. Jetzt war alles vorbei.

„Ich mach mal einen Tee“, sagte Mariechen, als sie in die Wohnstube gegangen waren und Thekla sich auf einen flaschengrünen Sessel setzte.

„Das ist nett“, erwiderte sie. Die Zeit, in der Mariechen in der nebenan liegenden Küche hantierte, nutzte sie, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Überall war es sauber und ordentlich. Und doch wirkte dieses Haus in gewisser Weise verstaubt. Hier war die Zeit vor ungefähr zwanzig Jahren stehengeblieben, was die Einrichtung betraf. Waren die Grubes so sparsam? Oder war Grube einfach nur geizig? Oder lief das Geschäft doch schlechter als vermutet? Im Moment war alles wichtig. Denn wenn die Grubes in finanziellen Schwierigkeiten steckten, dann wäre das sicher ein schönes Mordmotiv, wenn sie Kredite von Finanzhaien nicht pünktlich zurückzahlten. Es gab sie auch in Norddeich, die mafiösen Strukturen. Doch niemand wagte sich so recht daran. Nicht einmal Stindt ihr Chef. Und das wollte schon was heißen.

Mariechen kam mit Tassen zurück, als Thekla gerade einer Porzellanpuppe, die auf dem Sofarand saß, unter den Rock schaute. Etwas irritiert blieb sie stehen.

„Wertarbeit“, sagte Thekla schnell, „das sieht man sofort. Eine Freundin von mir, die sammelt auch solche Puppen.“

„Ach ja?“ Mariechen stellte die Tassen auf den Tisch und verschwand wieder. Kurz darauf kamen auch ein Stövchen, Kandis und Sahne dazu. Und beim dritten Anlauf stand schließlich Ostfriesentee auf dem kleinen Feuer und zog vor sich hin.

„Es war sicher schlimm, als Sie ihren Mann Alfred so gefunden haben“, nahm Thekla das Gespräch auf.

Mariechen nickte. Ihre blasse Haut zog Falten, als sie die Brauen hob. „Es hätte so ein schöner Sonntag werden können. Ich hab doch extra Rouladen für ihn gemacht. Die mochte er doch so gerne.“ Sie griff nach einem Papiertaschentuch und schnäuzte sich.

Thekla gönnte ihr einen Moment der Besinnung und schenkte für beide Tee ein. „Der wird Ihnen sicher guttun“, sagte sie mit mitfühlender Stimme.

„Danke“, erwiderte Mariechen mit einem Seufzer. „Es ist schön, dass ich in dieser schweren Stunde jetzt nicht alleine hier sitze.“

„Sie haben Kinder, nicht wahr?“

„Ja. Aber die wohnen schon lange nicht mehr in dieser Gegend. Es war ihnen hier alles zu provinziell. Und dann noch die Schlachterei. Für junge Menschen von heute ist das wohl keine Perspektive mehr.“

„Sie sollten sie später anrufen“, meinte Thekla. „Denken Sie, dass der Tod Ihres Mannes auch etwas damit zu tun hat, dass er einen Schlachtbetrieb führte?“, kam sie endlich zu dem Thema, das ihr so auf der Seele brannte. Warum hatte ein rechtschaffener Mann wie Alfred Grube so brutal sterben müssen?

„Wie meinen Sie das?“, fragte Mariechen und machte große Augen. „Sie denken, dass jemand etwas gegen ihn hatte, weil er Fleisch verkaufte? Etwas, das doch jeder gerne auf dem Teller hat, oder etwa nicht?“

Thekla musste sofort an Agneta denken. Es würde wohl darauf hinauslaufen, dass sie aus dem kompletten Ermittlungsprozess herausgehalten werden musste. Wäre sie jetzt hier, dann würde es sicher ein Gezeter geben.

„Sie haben recht“, stimmte sie zu. „Und gerade in einer Landschlachterei, da läuft es noch so, wie es sein sollte.“

„Eben. Mein Alfred hat niemandem etwas zuleide getan. Er war ein guter Mann, auf den ich mich immer verlassen konnte. Ich weiß nicht, wie es ohne ihn jetzt weitergehen soll.“

Sicher läuft es darauf hinaus, dass die Schlachterei verkauft wird, dachte Thekla bei sich. Sie suchte nach einem Weg, wie sie auf die finanzielle Lage des Betriebes zu sprechen kommen konnte, ohne, dass Mariechen sich persönlich beleidigt fühlte.

„Es lief sicher gut im Geschäft“, wagte sie sich vor. „Wie Sie schon sagten, alle wollen Fleisch auf dem Tisch.“

„Wir konnten uns nicht beklagen“, antwortete Mariechen. „Noch ein paar Jahre, dann hätten wir uns zur Ruhe gesetzt und das Haus hier ist ja auch schon abbezahlt. Es hätte alles so schön werden können ...“. Sie seufzte auf und schnäuzte sich erneut.

„Hatten Sie bestimmte Pläne? Ich meine, für den Ruhestand?“

„Pläne? Nun ja, nichts Besonderes. Einfach noch die schöne Zeit genießen, wo man keine Verpflichtungen mehr hat. Doch jetzt bin ich alleine. Ach, ich weiß nicht, wie das weitergehen soll. Vielleicht haben Sie recht, ich sollte jetzt meine Kinder anrufen.“

Thekla hatte den Eindruck, als wenn sie dieses Thema lieber noch weiter hinausgezögert hätte. Wie stand es also wirklich um die familiären Bindungen? Waren die Kinder gar nicht nur wegen des Betriebes aus Ostfriesland geflohen, sondern es gab noch ganz andere Gründe dafür?

„Mariechen“, sagte sie mit gesenkter Stimme, „ich muss Sie das leider fragen. Gab es Menschen, die man als Feinde Ihres Mannes hätte bezeichnen können?“

Mariechen stutzte einen Augenblick. Dann griff sie zu ihrer Teetasse, die sie eben erneut gefüllt hatte. „Feinde?“, wiederholte sie. „Wir sind doch hier in Ostfriesland.“

Sollte das jetzt die Antwort gewesen sein?, fragte sich Thekla. Wenig erbaulich. Deshalb hakte sie nach. „Menschen eben, die etwas gegen Ihren Mann Alfred gehabt haben. Oder gegen den Betrieb.“

„Die Schlachterei?“

Thekla nickte. „Es gibt eben auch Menschen, die Fleisch ablehnen.“

„Ach die.“ Mariechen machte eine wegwischende Handbewegung. „Das muss man sich auch leisten können, so eine Einstellung. Wir jedenfalls waren damals froh, dass es etwas zu essen gab.“

„Die Gruppe der Vegetarier ist zwar noch verhältnismäßig klein, aber sie steigt stetig an. Auch hier in Norddeich gibt es eine Gruppe, die sich für ein fleischfreies Leben einsetzt. Wussten Sie das?“

„Pah. Fleischfreies Leben“, äffte Mariechen mit verstellter Stimme nach. „Das ist nicht realistisch. Wovon soll der Mensch denn sonst leben als von Fleisch?“

Da hätte Agneta jetzt trefflich antworten können, dachte Thekla. Doch es ging hier ja gar nicht um Sinnfragen, sondern darum, wer Alfred Grube den verdammten Schädel eingeschlagen hatte. Und so langsam wurde ihr das Herumgeeiere mit Mariechen wirklich ein wenig lästig. Sie wollte Antworten. Fakten, mit denen sie arbeiten konnte.

„Mariechen“, sagte sie mit fester Stimme, „es ist in der Regel so, dass so ein Verbrechen, wie es an Ihrem Mann verübt worden ist, sehr persönliche Gründe hat. Entweder, weil Geld im Spiel ist oder Hass.“ Sie hatte es härter ausgesprochen, als gewollt.

Mariechen schrak zurück und wurde noch blasser. „Sie denken doch wohl nicht, dass es jemand auch auf mich abgesehen haben könnte?“

Nein, daran hatte Thekla eigentlich nicht gedacht.

„Davon gehe ich nicht aus“, sagte sie deshalb. „Der Täter hat bewusst die Fleischerei ausgesucht, um Ihren Mann zu töten. Da bin ich mir ziemlich sicher. Es hat also etwas mit dem Geschäft zu tun. Deshalb frage ich Sie jetzt auch nach den Büchern.“

Mariechen zählte eins und eins zusammen. „Sie wollen also wissen, wie es um die Fleischerei stand, ich verstehe. Aber ich kann Sie beruhigen, wir hatten keine Schulden. Wir mussten kein Geld bei Kredithaien aufnehmen. Es ist alles sauer verdientes Geld, das wir in all den Jahren in den Betrieb und in dieses Haus hier gesteckt haben, damit wir eines Tages mit gutem Gewissen in den Ruhestand gehen können, ohne unsere Kinder zu belasten. Aber bitte, prüfen Sie es ruhig nach. Wir haben keine Geheimnisse. Ich werde beim Steuerberater Bescheid geben, dass man Ihnen die Unterlagen zukommen lässt.“

Thekla hatte aufmerksam zugehört und nun hatte sie den Eindruck, dass sie gehen sollte. „Rufen Sie ihre Kinder an“, sagte sie, „bestimmt werden Sie herkommen, um ihren Vater zu begraben und Ihnen beizustehen.“

Mariechen nickte und brachte Thekla zur Tür.

In der Dienststelle

 

Es waren alle um den Tisch in Theklas Büro versammelt, als sie ebenfalls dort eintraf. Selbst Agneta war gekommen. Auch wenn sie ein sauertöpfisches Gesicht zog, als sie die Fotos vom Tatort gesehen hatte.

„Wie war’s?“, fragte Okko.

„Hm“, machte Thekla und setzte sich auf den letzten freien Stuhl. „Sie ist natürlich geschockt. Aber hilfreich war das alles nicht, was ich erfahren habe.“

„Was hast du erwartet?“, mischte sich Herbert ein. „Dass sie dir die Adresse des Täters in deinen Block diktiert?“ Er legte einen Fuß auf ihren Schreibtisch und Sand bröckelte auf ihre Unterlagen. Doch sie sagte dazu nichts.

„Sie wird jetzt die Kinder anrufen“, fuhr sie unbeirrt fort, „zwei Söhne und eine Tochter. Und keiner hat Interesse an dem Betrieb. Das ist doch seltsam, oder?“ Sie warf die Frage in die Runde.

„Meine Meinung dazu kennt ihr ja“, sagte Agneta mit piepsiger Stimme.

„Sicher.“ Thekla nickte ergeben. Vielleicht stimmte es wirklich, was viele behaupteten, dass es mit Vegetariern immer nur Ärger gab. Sobald einer von diesen Typen auftauchte, fingen die sinnlosen Diskussionen an. Dabei gehörte Fleisch doch einfach zum Alltag dazu.

„Hat sie etwas dazu gesagt, warum die Kinder den Betrieb ablehnen?“, fragte Okko, der das natürlich auch nicht im Geringsten nachvollziehen konnte.

„Angeblich war es ihnen hier zu provinziell“, zitierte Thekla mit einer entsprechenden Handbewegung. „Das Leben auf dem Land ist eben nicht für jeden was. Sie sind in die Großstädte abgewandert, so, wie es viele junge Leute wohl machen. Studium und Geld verdienen. Und davon möglichst viel.“

„Wie lief der Laden denn?“, fragte Siggi, „hat sie dazu etwas gesagt?“

„Oh“, meinte Thekla, „wohl ziemlich gut, wenn es stimmt, was sie sagt. Offensichtlich hatten sie und ihr Mann ausgesorgt und sehnten den Ruhestand bereits herbei. Aber sie wird uns die Bücher zukommen lassen, dann haben wir es ja schwarz auf weiß.“

„Du glaubst ihr also nicht?“, fragte Herbert interessiert. Nun lag auch sein zweiter Fuß auf Theklas Kladde und es rieselte vor sich hin.

„Warum sollte ich ihr denn glauben?“, fragte Thekla ungehalten.

„Wieso bist du denn so aggressiv?“, jammerte Agneta.

„Ich bin nicht aggressiv“, wehrte Thekla ab. „Aber wenn Herbert nicht sofort seine Dreckklumpen von meinem Schreibtisch nimmt, dann ...“.

Herbert zuckte mit den Schultern. „Das kann man sicher auch netter sagen.“ Er zog seine Beine vom Tisch und lehnte sich jetzt mit beiden Armen auf.

„Und den Dreck kannst du auch gleich wegmachen“, zischte Thekla und zeigte auf das Malheur auf ihrer Mappe.

Herbert folgte dem Hinweis ihres Zeigefingers mit den Augen. „Ach das“, meinte er und wedelte mit seiner Hand darüber. „Man kann sich aber auch anstellen.“

Thekla lief dunkelrot an. Doch bevor sie ausplatzte, wurde sie von Siggi, der keinen Streit mochte, am Arm gepackt. „Lass doch gut sein“, jammerte er und klang wie ein kleiner verängstigter Junge. „Er hat das ja nicht absichtlich getan.“

Thekla sah ihn an. In seinem Blick lagen viele Verletzungen, die er in den Kinderjahren und auch später erfahren hatte. „Du hast recht“, sagte sie und hätte ihn am liebsten in den Arm genommen. „Es ist alles halb so schlimm.“

Okko saß da mit offenem Mund. Agneta wusste, was da gerade abging, weil sie es war, die Siggi am besten kannte. Nur ihr vertraute er sich vollends an. Und Herbert nahm die Kladde und schüttelte sie jetzt demonstrativ durch die Luft wedelnd aus. Es ging eben jeder anders mit Emotionen um. Aber plötzlich kehrte wieder Ruhe ein. Ein Gewitter hatte sich genauso schnell verzogen, wie es aufgekommen war. Endlich konnten sie wieder sachlich miteinander über den Fall sprechen.

„So“, nahm Thekla den Faden wieder auf. „Ich schlage vor, dass du, Agneta, jetzt als Erstes zu Oma Gerda rübergehst, um sie über alles zu informieren. Sicher sitzt sie schon auf heißen Kohlen.“

Agneta verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und machte sich sofort auf den Weg.

Als die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte, fuhr Thekla fort.

„Wir haben es mit einem ungewöhnlich brutalen Verbrechen zu tun. Grausam und blutig. Das liegt natürlich zum einen an dem Beruf des Opfers. Auf der anderen Seite gibt es in Fällen wie diesen immer eine ganze Reihe von Verdächtigen mit unterschiedlichster Motivlage.“

Sie ließ ihren Blick über die Gesichter der anderen wandern. Sie hatten ihr sehr aufmerksam zugehört, selbst Okko, der sonst immer gerne einen witzigen Beitrag zu den Ermittlungen leistete. Doch in diesem Fall war nichts mehr witzig. Irgendwie.

„Herbert“, sagte Thekla nun, „lass mich doch bitte mal an meinen PC, damit ich alles, was wir jetzt zusammentragen, erfassen kann.“

Ohne Widerworte überließ ihr er den angewärmten Stuhl und sie machte sich an die Arbeit.

„Geld“, sagte sie und tippte drauflos. „Kredite, die nicht zurückgezahlt werden können.“

„Aber du sagtest doch, seine Frau ...“, hielt Okko gleich dagegen.

„Frauen sagen viel, wenn der Tag lang ist“, meinte Thekla vielsagend über ihre Lesebrille hinweg blickend. „Also weiter. Geld. Was noch? Vorschläge?“

„Die Kinder“, meinte Herbert, „sie könnten ein Motiv wegen des zu erwartenden Erbes haben.“

„Aber nicht, solange Frau Grube lebt“, meinte Thekla nachdenklich. „Sie selber hat vorhin befürchtet, dass sie auch ein Opfer werden könnte, wenn es ums Geschäft geht.“ Sie hackte wieder auf ihrer Tastatur herum und alle warteten, bis sie soweit war.

„Eifersucht?“ Siggi hatte das Thema in den Raum geworfen.

„Hm“, machte Thekla, „sicher könnte er sich eine junge Fleischereifachverkäuferin angelacht haben. Aber ob Mariechen überhaupt etwas davon mitbekommen hätte? Ich meine, schlafen so alte Paare denn überhaupt noch miteinander?“

Keiner in der Runde konnte das mit Sicherheit beantworten. Und selbst Okko, der als Einziger noch eine Ehefrau aufzuweisen hatte, blieb auffallend einsilbig, als ihn Theklas Blicke trafen.

„Na gut“, sagte sie und wandte sich wieder ihrem Bildschirm zu. „Ich denke, man sollte Eifersucht sicher mit aufnehmen. Aber ich werde mal ein dickes Fragezeichen dahintersetzen. Irgendwie ist Mariechen nicht der Typ, der solche Probleme mit einem Fleischhammer lösen würde.“

„Ist das nicht ein bisschen voreingenommen?“, wandte Herbert ein. „Wir alle wissen, dass Menschen wirklich zu allem fähig sind, wenn man sie nur an den richtigen Stellen reizt.“

„Okay okay“, gab Thekla nach, „dann wird aus dem Fragezeichen jetzt ein in Klammern gesetztes. Besser?“

„Hm.“ Herbert verzog den Mund. „Wir wollen uns jetzt sicher nicht vorstellen, dass sie einen Liebhaber hatte, oder?“

„Ich kenn die Frau nicht“, sagte Okko allen Ernstes.

„Wir haken das Thema Eifersucht jetzt erst mal ab“, schloss Thekla die Diskussion. „Also, ich habe Geldsorgen, bereitwillige Erben. Was noch? Was ist mit Tierrechtlern und Vegetariern?“ Sofort tippte sie los, ohne auf eine Bestätigung zu warten. „Ich meine, das Thema ist doch heutzutage in aller Munde. Viele Menschen können es einfach nicht mehr ab, dass Tiere gegessen werden.“

„Och“, machte Okko.

„Ja, deine Meinung zu dem Thema kennen wir. Und Agneta ist ja nicht hier, deshalb können wir offen darüber sprechen. Ich finde, der Fleischhammer im Kopf sah schon nach verdammt viel Wut, wenn nicht sogar Hass aus. Findet ihr nicht?“ Sie hielt ein Foto des Opfers in die Höhe. Die klaffende Wunde mit dem blutigen Werkzeug.

„Eine Liebesbekundung war das jedenfalls nicht“, meinte Herbert trocken.

„Eben.“ Thekla legte das Foto wieder zur Seite. „Da hat jemand eine große Wut auf Grube gehabt. Und wir müssen herausfinden, wer das war.“

„Und wie er gegebenenfalls davon profitierte, wenn Grube ein Loch im Kopf hat“, fügte Okko hinzu. Und dabei machte er ein todernstes Gesicht.

„Also haben wir jetzt jede Menge zu tun“, sagte Thekla. „Ich schlage vor, wir kümmern uns erst einmal um den Background der Grubes. Okko, deine Frau hat doch sicher auch dort eingekauft.“

„Sicher. Wenn es Fleisch gab, dann direkt von dort“, antwortete er.

„Dann sprich doch bitte mit ihr. Also keine Befragung. Du weißt schon ...“.

„Gerüchteküche“, sagte er und lächelte. „Da weiß meine Frau sicher einiges. Aber ob sie auch etwas über Grube weiß, kann ich nicht versprechen.“

„Egal. Am besten, du machst dich gleich auf den Weg. Wir treffen uns heute Abend bei Gerda zum Abendbrot, um die ersten Ergebnisse zusammenzutragen.“

Okko machte sich auf den Weg.

„Herbert“, fuhr Thekla fort, „wir beide werden noch einmal in die Schlachterei gehen. Jetzt, wo die Spurensicherung weg ist, da können wir noch einmal alles in Ruhe inspizieren.“

„Und ich?“, fragte Siggi, der spürte, dass er wieder einmal das fünfte Rad am Wagen zu sein schien.

„Du gehst noch einmal zu Mariechen Grube. Ich denke, mit deiner zugewandten besonderen Art bekommst du mehr aus ihr heraus als ich. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, mein von Frau zu Frau Ding. Im besten Fall bekommst du auch aus ihr heraus, wie es wirklich um ihre Beziehung stand.“

Damit machte sie Siggi ein großes Kompliment und er willigte sofort ein.

„Dann wollen wir mal“, sagte Herbert und griff nach seiner Jacke.

Mariechen

 

Nein, sie hatte ihre Kinder nicht angerufen, als die Ermittlerin gegangen war. Und nun wachte sie mit ihrer Puppe im Arm liegend auf dem Sofa wieder auf, als es an der Tür klingelte.

Sie brauchte einen Moment, um zu sich zu kommen. Das Beruhigungsmittel war dann doch wohl eher ein Schlafmittel gewesen. Benommen sah sie ihre Puppe an und setzte diese auf die Lehne und rückte deren Kleid zurecht.

---ENDE DER LESEPROBE---