Kommissar Guntram Ostfrieslandkrimis: Sammelband 7 - Moa Graven - E-Book

Kommissar Guntram Ostfrieslandkrimis: Sammelband 7 E-Book

Moa Graven

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Beschreibung

Kommissar Guntram Sammelband 7 mit den Ostfrieslandkrimis "Das Schweigen des Rotkehlchens" und "Tod nach Zahlen". Ermittlerreihe aus Ostfriesland von Moa Graven Das Schweigen des Rotkehlchens Der neue Fall für Kommissar Guntram und Katrin Birgner in Ostfriesland! Kommissar Guntram ist wieder Vater geworden. Ganz anders als früher geht er nun mit seinem Sohn Hendrik um und kümmert sich auch ums Windeln wechseln. In diese Idylle hinein ereilt ihn eine Mordermittlung, die viele Fragen aufwirft. Erst beim Blick ganz weit hinein in das Gefüge von gesellschaftlichen Verstrickungen gelingt ihm schließlich mit seiner neuen Kollegin die Lösung des Falles. Und immer wieder sucht er auch den Rat seiner Frau Katrin, die sich erst einmal ganz um die Familie kümmern möchte. Tod nach Zahlen 10 Jahre Kommissar Guntram - Moa Graven startete 2013 mit dieser Krimireihe ihren Erfolg als Krimiautorin! Kommissar Guntram sitzt wieder alleine in seiner Dienststelle und bläst Trübsal. Die junge Kollegin, die ihn eine Weile unterstützte, ist schon wieder weg. Er erhält einen Anruf, dass man eine tote Frau in ihrem Haus in der Mozartstraße in Leer gefunden hat. Sie wurde mit nur einem Schuss in die Stirn praktisch hingerichtet. Er nimmt die Ermittlungen auf und stochert im Milieu des Finanzamtes herum, bei dem sie gearbeitet hat. Dann gibt es gute Nachrichten, gleich zwei Bewerber wollen sich nach Leer versetzen lassen.

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Impressum
Das Schweigen des Rotkehlchens
Der Baum und der Vogel
Zum Inhalt
Die neue Chance
Die neue Kollegin
Eine Woche später
Christian Groen
Feierabend
Levke
Der Wellensittich
In der Dienststelle
Helene Groen
In Sorge
Die Erpressung
Im Vogelhaus
Sabine Grüßing
Der Mord
Einige Monate später
Mein Brief an Sie, liebe Leserin und lieber Leser,
Tod nach Zahlen
Vorwort
Zum Inhalt
Das Dilemma
Die Tote in Leer
Im Büro
In Rhauderfehn
Ermittlungen
Peter
In Rhauderfehn
Das Vorstellungsgespräch
Wochenende
Volle Kraft voraus
Die Verdächtige
Ein geheimes Treffen
In der Dienststelle
Die Liste
Wilhelmine Klar
In der Dienststelle
Eine Überraschung
Der Steuerberater
Razzia
Zuhause
Geständnisse
Feierabend
Familienurlaub
Mein Brief an Sie, liebe Leserin und lieber Leser,
Rezept Weiße Bohnensuppe
Zur Autorin
Die Kommissar Guntram Krimi-Reihe im Überblick
Die weiteren Krimi-Reihen von Moa Graven im Überblick
LESEPROBE aus meinem Frieslandkrimi „Sauerkraut und Seidenstrümpfe“
Vielen Dank für Ihr Interesse an meinen Krimis!

Kommissar Guntram Sammelband 7

Ostfrieslandkrimis von Moa Graven

 

 

Das Schweigen des Rotkehlchens

 

Tod nach Zahlen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Kommissar Guntram Sammelband 7 mit den Fällen „Das Schweigen des Rotkehlchens“ und „Tod nach Zahlen“

Ostfrieslandkrimi von Moa Graven

Alle Rechte am Werk liegen bei der Autorin

Erschienen im Criminal-kick-Verlag Ostfriesland

Das Krimihaus – 3. Südwieke 128a – 26817 Rhauderfehn

Juni 2023

Covergestaltung: Moa Graven

 

Das Schweigen des Rotkehlchens

 

Ostfrieslandkrimi von Moa Graven

Moa Graven ist Ostfriesin und schreibt seit 2013 Krimis. Erst mit fünfzig hat sie die Leidenschaft für das subtile Verbrechen auch für sich entdeckt, als sie einen Fortsetzungskrimi für ein Monatsmagazin schrieb. Seit 2017 lebt die Autorin vom Schreiben und eröffnete ein Krimihaus in Rhauderfehn, wo man sie auch besuchen kann.

Der Baum und der Vogel

Ich kann mich eigentlich gar nicht erinnern, welcher Wunsch zuerst da war, als ich ein kleines Mädchen war. Wollte ich zuerst der Baum sein oder der Vogel? Am Ende ist es vielleicht gar nicht wichtig, in welcher Reihenfolge es war. Ich weiß nur noch, dass ich schon sehr früh damit begann, Bäume zu fotografieren. Sie faszinierten mich wegen ihrer Größe, der Zugehörigkeit zur Natur. Sie wussten, wo ihr Platz war. Sie zeichnete Beständigkeit aus. Sie waren verwurzelt. Und dann die Rinde, verknorpelt von den vielen Jahren. Manchmal wurden Namen darin eingeritzt, weil ein Baum eben für die Ewigkeit hielt. So hoffte es der eine oder andere sicher auch für seine Liebe.

Beim Vogel ist alles ganz anders. Aber schon immer wollte ich sein wie er. Ich wollte fliegen. Hoch oben über allem, was unten auf der Erde loswar. Unzählige Male lag ich im Garten auf einer Decke und sah in den Himmel. Ein paar Flügelschläge, dann das dahingleiten in den Wolken. Ich habe Vögel immer darum beneidet, dass sie einfach abheben und woanders hinfliegen konnten. Ich sah ihnen nach, bis sie am Horizont verschwanden.

Die Liebe zu den Bäumen und Vögeln ist bis heute geblieben. Und hinzu kam die Sorge um sie, weil sie durch den Raubbau, den wir Menschen an der Natur, der Erde, betreiben, in ihrer Existenz bedroht sind.

Es tut mir wirklich in der Seele weh, wenn ich sehe, wie große alte Kastien, Eichen oder Buchen gefällt werden.

Und dann die vielen Vogelarten, die vom Aussterben bedroht sind.

 

Umso mehr genieße ich bei aller Sorge um die Vögel die Momente in meinem Garten. Dort tummeln sich Spatzen, Meisen, Rotkohlchen, Stare, Spechte und noch viele andere mehr. Mein Mann sagt immer scherzhaft, dass es in unserer Straße nur ein Haus gibt, über dem die Vögel kreisen. Nämlich bei mir. Es ist sicher auch kein Wunder, weil ich das ganze Jahr über füttere, und das nicht nur an einer Stelle. Die Tiere danken es mir mit ihrer Vielfalt und dem bunten Treiben zwischen hohen Bäumen und Blättern, bevor sie sich wieder erheben, die Flügel spreizen und in die Lüfte schwingen. Und immer noch bin ich diejenige, die ihnen bewundernd und mit dem Wunsch, mit ihnen davonzufliegen, nachsieht.

 

Deshalb kommt es wohl nicht von Ungefähr, dass in diesem aktuellen Fall mit Kommissar Guntram das Rotkehlchen einen ganz besonderen Auftritt erhält. Ich wünsche Ihnen spannende Unterhaltung beim Lesen.

 

Herzlichst

Ihre Moa Graven aus dem Krimihaus

Dieses Buch widme ich der Freiheit.

Der Gedanken, der Herzen und der Macht,

Dinge, verändern zu können.

Moa Graven

Zum Inhalt

„Das Schweigen des Rotkehlchens“ ist der siebzehnte Band aus der Ermittlerreihe mit Kommissar Guntram

 

Kommissar Guntram ist wieder Vater geworden. Ganz anders als früher geht er nun mit seinem Sohn Hendrik um und kümmert sich auch ums Windeln wechseln. In diese Idylle hinein ereilt ihn eine Mordermittlung, die viele Fragen aufwirft. Erst beim Blick ganz weit hinein in das Gefüge von gesellschaftlichen Verstrickungen gelingt ihm schließlich mit seiner neuen Kollegin die Lösung des Falles. Und immer wieder sucht er auch den Rat seiner Frau Katrin, die sich erst einmal ganz um die Familie kümmern möchte.

Die neue Chance

Manchmal, wenn er alleine hinten im Garten saß, dann konnte er es noch immer nicht glauben. Es fühlte sich an wie eine neue Chance. Er hatte einen Sohn. Hendrik. Darauf hatten er und Katrin sich schnell einigen können. Die Geburt war problemlos verlaufen. Ja, er war glücklich. Als sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, da hatten sie mit Champagner gefeiert. Sarah bekam Limonade. Sie war ganz vernarrt in ihren kleinen Bruder. Genauso wie Whisky, der dem Baby gerne übers ganz Gesicht schleckte, wenn niemand hinsah.

Guntram musste schmunzeln. Whisky lag zwischen hohem Gebüsch auf dem Rücken und schnarchte. Wo Rocky, der kleine Mischlingshund, den sie im letzten Fall vom Haus gegenüber aufgenommen hatten, gerade steckte, das wusste er nicht. Eine Katze lag auf dem Gartentisch und ließ sich die Sonne auf den Pelz scheinen. Meine kleine Familie, dachte Guntram.

Es gab nur einen Wermutstropfen. Nachdem Hendrik geboren worden war, sollten natürlich auch Tina und Peter ihren neuen Bruder kennen lernen. Tina kam. Doch sein erwachsener Sohn hatte kein Interesse an dem Familienkram, ließ er über seine Schwester ausrichten. Guntram wurde das Gefühl nicht los, ihn für immer verloren zu haben. Das tat weh, ganz tief drinnen.

Er bemerkte ein Rotkehlchen, das auf dem Ast eines alten Apfelbaumes saß und ihn ebenso anzusehen schien. Er wurde das Gefühl nicht los, dass der Vogel sich Gedanken über ihn machte, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben. Das war natürlich verrückt. Aber wenn man sich, so wie er, immer öfter in den Garten setzte, dann lernte man auch die Tiere um sich herum besser, ja fast persönlicher, kennen. Mittlerweile kannte er sich sogar mit der Vogelwelt hier im Garten aus. Auch, weil Sarah natürlich immer nachfragte, was für ein Vogel es sei, der da gerade in den Baum geflogen war. Und dann wurde er abgelenkt, weil er hörte, dass Katrin mit jemandem vor der Haustür sprach. Deshalb erhob er sich, um nachzusehen, was da los war. Als er allerdings ins Haus kam, war auch Katrin schon wieder in der Küche und spülte einen Salat unter dem Wasserhahn ab.

„War jemand da?“, fragte er neugierig.

Sie stellte das Wasser ab und drehte sich zu ihm um. „Ja“, bestätigte sie, „eine Nachbarin. Sie hat uns eine Karte und eine kleine Aufmerksamkeit zur Geburt von Hendrik gebracht.“

„Hm“, machte Guntram, weil er ahnte, dass da noch ein Aber käme, das ihm jetzt schon nicht schmeckte.

„Deshalb dachte ich …“, fuhr Katrin fort.

„Nein“, sagte Guntram und wischte mit der Hand durch die Luft, „sowas mache ich nicht mit.“

„Was meinst du?“

„Na, die Nachbarn einladen. So bin ich einfach nicht. Es ist ja nett, dass sie etwas vorbeigebracht haben. Aber eigentlich ist unser Sohn unsere Privatsache.“

Sie hatte ja gewusst, dass er so reagieren würde. Der alte Brummbär. Sie schmunzelte. „Ist ja schon gut“, sagte sie, „ich habe sie ja auch noch gar nicht eingeladen.“

„Gott sei Dank.“ Er setzte sich an den Küchentisch und atmete erleichtert aus.

„Aber wir leben auf dem Land, vergiss das nicht. Und es ist doch wirklich sehr nett, dass sie uns etwas geschenkt haben. In Leer wäre das sicher nicht passiert.“

„Klar ist das nett“, raunte er, „aber wer hat sie eigentlich darum gebeten.“

„Jochen, also wirklich“, tadelte sie ihn mit einem Lächeln. „Versuch doch einfach mal, die Dinge auch positiv zu sehen.“

„Es fällt mir schwer“, erwiderte er, „vor allem vor dem Hintergrund, dass nicht mal mein erwachsener Sohn kommt. Warum sollte ich mich dann mit den Nachbarn hier herumplagen.“ Er schmollte und sah zum Fenster.

Das war es also, dachte Katrin. Er tat ihr leid. Sie wusste, wie sehr er darunter litt, dass Peter sich vollkommen von ihm abkapselte. So etwas konnte sie sich mit Sarah gar nicht vorstellen, dass sie sie eines Tages nie wiedersehen würde. Und genauso wäre es auch mit Hendrik. Wie auf Kommando kam ein quäkendes Geräusch aus dem Babyfon, das auf dem Küchentisch stand.

„Ich geh hin“, sagte Guntram und stand schnell auf.

„Ist gut“, sagte sie und kümmerte sich um das Fläschchen.

Hendrik hörte augenblicklich auf zu weinen, als Guntram in sein Bettchen sah.

„Du bist ein Wunder“, murmelte Guntram und ihm standen Tränen in den Augen. Ganz vorsichtig zog er seinen Sohn aus dem Bett und drückte ihn an sich. Der Kleine musste neu gewickelt werden, so viel stand fest. Auch das hatte Guntram gelernt. Früher, bei Tina und Peter, da hätte er nicht gewusst, wie sowas geht.

Als Hendrik wieder angenehm und sauber duftete, trug Guntram ihn nach unten zu Katrin in die Küche. Sie gab ihm die warme Milch für den Jungen und er setzte sich mit dem Baby in den Sessel vor dem sonnigen Fenster.

Er ist der beste Vater, den sich ein Kind wünschen kann, dachte Katrin, als sie den beiden zusah. Doch auch etwas anderes ging ihr durch den Kopf. Wenn Hendrik erwachsen war, war Guntram ein alter Mann mit fast siebzig. War es gut für einen Jungen oder eher negativ. Doch es war müßig, darüber nachzudenken. Die Dinge waren jetzt so, wie sie waren. Deshalb bereitete sie den Salat weiter zu, den es zum Mittagessen geben sollte.

Nach einer Weile machte Hendrik das gewünschte Bäuerchen und Guntram schlug vor, ihn wieder in sein Bettchen zu legen.

„Nein“, widersprach Katrin, „ich könnte noch einen kleinen Spaziergang mit dem Kinderwagen mit ihm machen. Bis wir essen, dauert es ja noch ein bisschen.“

„Eine gute Idee“, sagte er, „ich gehe in den Garten und warte, bis Sarah zurück ist.“ Das Mädchen war am Vormittag mit dem Fahrrad zu einem befreundeten Jungen aus der Nachbarschaft gefahren.

„Okay, so machen wir das.“ Katrin nahm Hendrik und zog ihm etwas über. Dann machte sie sich auf den Weg.

 

Es war ein herrlicher Tag und Katrin genoss die warme Sonne, als sie mit dem Kinderwagen an der 3. Südwieke entlangging. Hin und wieder traf sie auf Spaziergänger mit ihren Hunden und unterhielt sich kurz. Seit sie nur noch zuhause war, hatte sich ihr Leben sehr verändert. Sie mochte es, über Belanglosigkeiten zu plaudern, das Wetter oder wie es dem Nachwuchs oder dem Hund ging. Ja, sie war glücklich in dieser Einfachheit des Seins.

„Was ist denn da passiert?“, sagte sie nun zu einer Frau, die mit einem Schäferhund an der Leine neben ihr stand. Einige Häuser weiter stand ein Krankenwagen vor der Tür sowie auch der Wagen eines Notarztes.

„Keine Ahnung“, erwiderte die Frau mit dem Hund und Katrin sah ihr an, dass es sie brennend interessierte. „Da wohnt doch Helene Groen, oder?“

Das hätte Katrin nicht beantworten können, doch der Name sagte ihr etwas. Sie erinnerte sich an die nette Frau, die vorhin bei ihr gewesen war und ein Geschenk zur Geburt von Hendrik vorbeigebracht hatte.

„Helene Groen war heute Morgen bei mir“, sagte Katrin, „hoffentlich ist ihr nichts passiert.“

Dann sahen sie, wie der Notarzt aus dem Haus kam. Er stieg in seinen Wagen und telefonierte. Und dann schoben zwei Sanitäter eine leere Trage zum Rettungswagen. Das sieht nicht gut aus, dachte Katrin bei sich. Ihr war in dem Moment klar, dass jede Hilfe zu spät kam. Auch die Frau mit dem Schäferhund machte sich ihren Reim darauf, sah die Sache aber im Moment noch positiver.

„War wohl falscher Alarm“, meinte sie und klang fast erleichtert.

„Hm“, machte Katrin. „Das wäre ja wirklich schön.“

„So, ich gehe dann mal weiter“, erwiderte die Frau, „gleich ist ja schon wieder Mittagszeit. Schönen Tag noch.“

„Ja, für Sie auch.“ Mit gemischten Gefühlen ging Katrin weiter in Richtung des Hauses, vor dem jetzt der Rettungswagen und der Notarzt losfuhren.

Als sie auf Höhe des Hauseingangs ankam, stand die Tür noch offen. Helene Groen stand im Flur. Offensichtlich weinte sie.

„Frau Groen, alles in Ordnung?“, rief Katrin, weil sie sich, da die Frau vorhin noch bei ihr gewesen war, persönlich betroffen fühlte. Sonst würde sie so etwas gar nicht machen. „Ich habe hier eben noch einen Krankenwagen gesehen, deshalb dachte ich, es ist vielleicht etwas passiert.“ Sie sah in den Kinderwagen. Hendrik schlief selig und bekam von alldem nichts mit.

Helene Groen hatte gehört, dass man nach ihr gerufen hatte. Sie wandte sich zur Tür und sah eine Frau mit Kinderwagen an der Straße stehen. Sie erkannte sie und ging nach draußen.

„Ist etwas passiert?“, fragte Katrin noch einmal nach, doch sie wusste es schon, denn Helene Groen hatte ganz rotgeweinte Augen.

„Mein Achim“, schluchzte sie.

Alles klar, dachte Katrin. Sie war unschlüssig, was sie jetzt tun sollte. Fast tat es ihr leid, dass sie nicht einfach umgekehrt war. Jochen und Sarah warteten sicher schon auf sie, damit sie essen konnten. Doch da sie nun einmal die Initiative ergriffen hatte, musste sie Helene Groen nun auch beistehen.

„Was ist denn passiert?“, fragte sie.

„Er ist tot“, jammerte Helene Groen. „Wäre ich heute Morgen doch nur zuhause geblieben.“

Auch das noch, dachte Katrin. Nun fühlte sie sich doppelt betroffen.

„Als ich nach Hause kam“, fuhr Helene Groen nun fort, „da hat er sich nicht mehr bewegt. Ich wusste sofort, dass etwas nicht stimmte und habe den Notruf gewählt.“

Katrin sah noch einmal in den Kinderwagen. Hendrik schien noch zufrieden mit sich und der Welt. „Kann ich etwas für Sie tun?“, fragte sie.

„Nein“, jammerte Helene Groen, „aber vielen Dank, dass Sie fragen. Ich muss jetzt abwarten, hat der Notarzt gesagt. Da kommt noch jemand von der Polizei, hat er gesagt. Aber das ist nur Formsache.“

Katrin wusste, dass das in solchen Fällen üblich war, dass auch die Polizei hinzugezogen wurde, wenn die Todesursache uneindeutig war. Wahrscheinlich hatte man sogar Jochen informiert, doch er konnte im Moment nicht weg, weil sie ja hier war und er Sarah nicht alleine zu Hause lassen konnte.

„Hören Sie, Frau Groen“, sagte Katrin deshalb, „ich nehme an, dass mein Mann gleich zu Ihnen kommen wird. Deshalb werde ich jetzt mit dem Baby nach Hause gehen, und mich um unsere Tochter kümmern. Okay?“

Helene Groen sah sie an, während sie über das Gesagte nachdachte. Dann nickte sie. „Natürlich, ist gut.“

„Gehen Sie bitte wieder ins Haus zurück und warten dort“, bat Katrin, „es wird sicher nicht lange dauern, bis mein Mann hier ist.“

„Danke“, sagte Helene Groen und ging zum Haus zurück.

Katrin kehrte um und schob den Kinderwagen wieder in die andere Richtung.

 

„Da bist du ja endlich wieder“, wurde sie von Guntram begrüßt. Er hatte mit Sarah bereits den Tisch gedeckt.

„Hat man dich angerufen?“, fragte sie.

Er stutzte. „Wer sollte mich anrufen?“

„Hm.“ Sie hielt Hendrik im Arm und schaukelte ihn sachte. „Ein paar Häuser weiter ist ein Mann verstorben“, erklärte sie, „genau genommen der Ehemann der Frau, die heute Morgen bei uns war und das Geschenk für Hendrik gebracht hat.“

„Aha“, machte Guntram, dem die Wichtigkeit dieser Nachricht im Moment noch nicht einleuchtete. Er hatte Hunger. Und im nächsten Moment klingelte das Telefon. Missmutig nahm er ab. „Ja?“ Er hörte eine Weile zu. Sagte dann, „ja, ist gut. Ich geh gleich rüber.“ Dann war das Gespräch vorbei. „Du hattest recht“, sagte er zu Katrin und warf einen trübseligen Blick auf die gefüllte Salatschüssel.

„Wir warten mit dem Essen auf dich“, sagte sie, „bestimmt dauert es nicht lange. Es ist ja nur eine Formsache, die erledigt werden muss.“

„Na, dann will ich mich mal beeilen.“ Er küsste sie zum Abschied und strich Hendrik über die Stirn.

„Und ich?“, fragte Sarah.

„Du bist auch mein Schatz“, sagte Guntram und beugte sich zu der Kleinen herunter und küsste sie auf die Wange. „Bis gleich“, sagte er hoffnungsvoll noch einmal, als er sich Katrin zuwandte. Dann machte er sich auf den Weg.

 

Helene Groen öffnete Guntram bereits nach dem ersten Klingeln die Tür und bat ihn, nachdem er sich vorgestellt hatte, hereinzukommen.

„Mein Beileid“, sagte er, als er hinter ihr her in die Küche ging. Er überlegte, ob es nun passend wäre, sich auch für das Geschenk, das sie am Vormittag zu ihm ins Haus gebracht hatte, zu bedanken. Schließlich ließ er es bleiben, weil es ihm unpassend vorkam.

„Möchten Sie auch einen Kaffee?“, fragte sie, als er sich an den Küchentisch setzte. „Ich habe gerade frischen gemacht.“

„Sicher, gerne“, sagte er anstandshalber, obwohl ihm Kaffee, den er auf leeren Magen trank, eigentlich nie gut bekam. Das würde sich am Nachmittag wieder mit Sodbrennen rächen.

Sie holte einen Becher aus dem Schrank und schenkte ihm ein. „Milch und Zucker nehmen Sie bitte selber.“ Sie wies auf den Tisch.

„Es ist ja so, dass ich nur der formhalber hier bin“, fuhr Guntram fort, „was genau können Sie mir denn zu dem Tod Ihres Mannes sagen?“ Er führte seinen Becher zum Mund, nippte aber nur am Kaffee.

Sie machte ein betretenes Gesicht. „Es ist alles meine Schuld“, sagte sie dann, „wäre ich nur zuhause geblieben, dann wäre das alles nicht passiert. Ihre Frau hat Ihnen ja sicher schon gesagt, dass ich bei Ihnen war. Ich meine, heute Vormittag, als das mit Achim ... passiert ist.“

„Ja“, bestätigte er, „sie hat es mir gesagt. Vielen Dank auch für das Geschenk für unseren Sohn. Das hat uns sehr gefreut.“

„Nachbarn müssen doch zusammenhalten“, sagte sie, was ihn etwas irritierte. Erwartete sie jetzt etwa von ihm, dass er die ganze Bagage zu sich nach Hause einlud. Das konnte sie vergessen. Als er auf ihre Aussage nicht reagierte, fuhr sie fort. „Es war so gegen kurz vor zehn, als ich das Haus verlassen habe. Da war Achim ...“, sie schluckte kurz ein paar Tränen herunter, „also Achim hat da noch Fern gesehen. Irgendeine Sportsendung. Das machte er ja jeden Sonntag.“

„Und wann kamen Sie zurück nach Hause?“

„Hm, das dürfte so gegen kurz vor halb zwölf gewesen sein“, meinte sie nach einer kurzen Phase des Nachdenkens.

Dann war sie anderthalb Stunden bei uns, überlegte Guntram. Doch das konnte nicht stimmen. Katrin machte vieles, aber sie plapperte nicht über eine Stunde mit einer wildfremden Frau an der Tür herum. Ob eine Schwangerschaft eine Frau derart verändern konnte. Bisher war ihm nichts in der Art aufgefallen an ihr.

„Ich war zuerst bei Ihnen zuhause“, klärte Helene Groen dann ungefragt auf, „anschließend habe ich noch mit einer anderen Nachbarin eine Tasse Tee getrunken, so auf dem Sprung, könnte man sagen, weil ich sie draußen in ihrem Vorgarten angetroffen hatte. Das Wetter ist heute ja sehr schön. Sie lud mich ein und ich ging mit nach hinten auf die Terrasse. Sie lebt alleine, wissen Sie“, versuchte sie, ihren Schlendrian gegenüber ihrem Mann, der auf ihre Hilfe angewiesen war, zu entschuldigen.

„Dann kamen Sie also gegen kurz nach halb zwölf wieder hier an“, sagte Guntram.

Sie nickte. „So ungefähr kommt das hin. Ich kann es wirklich nicht genau auf die Minute sagen, weil ich gar nicht auf die Uhr gesehen habe.“

„Wie fanden Sie Ihren Mann vor?“

„Naja“, sie schluckte wieder und ihr Blick ging zur Tür. „Achim saß ja immer noch nebenan. Er wirkte irgendwie tot. Vielleicht ist es dumm, wenn ich das sage, aber es überkam mich gleich ein ungutes Gefühl. Denn als ich vorher die Tür aufgeschlossen, hatte, da lief noch immer der Fernseher, das hatte mich gleich gewundert, weil ja die Sportsendung längst vorbei sein musste. Es lief irgendeine Unterhaltungssendung, das hätte ihm gar nicht ähnlichgesehen. Also ging ich schon mit gemischten Gefühlen ins Wohnzimmer und sprach Achim an ... aber er antwortete nicht. Ich machte zunächst den Fernseher aus, weil ich hoffte, dass er vielleicht nur eingeschlafen sein könnte. Doch dann ... dann sah ich, dass etwas nicht stimmte.“

„Was genau sahen Sie?“

„Naja, seine Arme. Einer hing herunter. So würde doch keiner schlafen.“

„Wo saß Ihr Mann? Auf dem Sofa oder in einem Sessel?“

„In seinem Rollstuhl“, erwiderte sie, „das hatte ich noch gar nicht erwähnt. Achim saß im Rollstuhl. Schon seit über fünf Jahren. Er hatte einen schweren Motorradunfall. Es war ein Wunder, dass er überhaupt überlebt hat, sagten die Ärzte damals.“

Das änderte natürlich einiges, dachte Guntram. Ein schwer angeschlagener Mann, der einen plötzlichen Tod erleidet. Klang nach einer klaren Sache und er konnte wieder nach Hause gehen, Salat und Auflauf essen und sich anschließend im Garten in die Sonne legen. Ja, mittlerweile genoss er die freien Sonntage sehr.

„Verstehe“, sagte er, „Sie sagten, Ihr Mann hat den Motorradunfall nur knapp überlebt gehabt. In welcher Form war er denn danach körperlich eingeschränkt? Ich meine, außer der Tatsache, dass er nicht mehr gehen konnte.“

„Oh, wo soll ich da anfangen“, klagte sie, „dieser Unfall, er hatte wirklich alles verändert. Nicht zuletzt auch mein Leben, wissen Sie. Eigentlich bin ich ja Krankenschwester, aber für Achim habe ich meinen Job an den Nagel gehängt, weil ich mich um ihn kümmern wollte. Er war ja den ganzen Tag über auf Hilfe angewiesen, weil er kaum noch etwas alleine machen konnte. Ihm fehlte oft einfach die Kraft. Aber in eine Einrichtung hätte ich Achim niemals abgeschoben. Das wollten wir beide nicht.“

„Er brauchte also bei allen Dingen, die er verrichtete, Ihre Unterstützung“, rekapitulierte Guntram für sich, „das war bestimmt nicht leicht für Sie.“

„Nein, das war es ganz sicher nicht. Aber was tut man nicht alles für den Menschen, den man liebt.“

Einiges, dachte Guntram.

„Mussten Sie ihn auch füttern?“, hakte er nach.

Sie nickte. „An manchen Tagen schon. Aber das hat mir wirklich nie etwas ausgemacht. Ich war ja für ihn da. Tag und Nacht. Und dann kamen da ja auch noch die ganzen anderen Sachen hinzu. Er hatte Schwierigkeiten mit der Atmung, weil man ihm einen Teil der Lunge wegnehmen musste.“

„Ein wirklich schweres Schicksal“, sagte Guntram und meinte es aufrichtig. Er wusste nicht, ob Katrin für ihn dasselbe täte. Er jedenfalls war sich sicher, dass er für sie alles tun würde, was nötig war. Wirklich alles. Was nun ja schon darin gegipfelt war, dass er ein Menschenleben auf dem Gewissen hatte, was er in keiner Weise bereute. Sie hatten nie wieder darüber gesprochen, dass Sarahs Vater nicht mehr lebte. Er existierte für sie beide einfach nicht mehr. Und wenn das Mädchen hin und wieder das Thema anschnitt, dann antworteten sie ausweichend. Wie das einmal enden sollte, wenn sie erwachsener wurde, stand in den Sternen. Aber die Wahrheit, die durfte Sarah niemals erfahren.

Helene Groen seufzte auf. „Möchten Sie Achim sehen?“

„Sicher“, sagte er, sie kam ihm mit dem Angebot zuvor. Und dann mache ich mich wirklich vom Acker, dachte er, als sie ihn zum Wohnzimmer führte.

Achim Groen hing praktisch in den Seilen. Die Arme seitlich herunterbaumelnd, den Kopf in den Nacken gelegt. Nein, es sah wirklich nicht so aus, als schliefe er nur. Guntram ging einmal um den Toten im Rollstuhl herum. „Man hat Ihnen sicher auch gesagt, dass Ihr Mann auch noch in die Gerichtsmedizin gebracht wird. Aber auch das ist dann nur eine Formsache, machen Sie sich darüber bitte keine Gedanken.“

„In die Gerichtsmedizin?“, fragte sie, „das hat man mir nicht gesagt.“

„Ja, das gehört leider auch zum üblichen Verfahren. Ihr Mann war alleine zuhause und verstarb. Oder wohnt noch jemand hier im Haus?“

Sie schüttelte mit dem Kopf. „Nein, unser Sohn Christian ist schon vor einigen Jahren ausgezogen. Er ist allerdings in Rhauderfehn geblieben.“

„Er kommt sicher hin und wieder vorbei, nehme ich an.“

„Sicher. Aber eben selten. Haben Sie auch erwachsene Kinder?“

Das geht sie eigentlich nichts an, dachte Guntram. Und über Peter wollte er nun ganz sicher nicht mit ihr sprechen. „Meine Tochter heißt Tina“, sagte er diplomatisch, „sie wollte auch mal Polizistin werden, doch sie hatte einen Autounfall. Danach musste sie sich umorientieren.“

„Ach, das ist vermutlich auch besser. Polizisten leben doch viel zu gefährlich, gerade als Frau.“

Er hatte keine Lust mehr, sie nach den Statistiken zu fragen, die belegten, dass Frauen im Dienst öfter als Männer attackiert wurden.

„Ich geh dann mal“, sagte er. „Wenn Sie etwas brauchen, können Sie gerne bei meiner Frau vorbeikommen, denke ich.“

„Danke“, erwiderte sie, „das ist nett.“

Sie brachte ihn zur Tür.

 

Katrin hatte sich im Garten auf eine Liege gelegt und war wohl eingenickt. Neben ihr lag Sarah und auf ihrem Bauch Hendrik. Er war kurz davor, sein Handy zu ziehen und ein Foto zu machen, als Whisky aus dem Gebüsch geprescht kam und ihn freudig begrüßte. Das weckte die drei auf.

„Oh“, sagte Katrin, „waren wir eingeschlafen?“

„Dabei war ich gar nicht so lange weg“, schmunzelte er. „Aber jetzt hab ich Kohldampf. Ihr habt hoffentlich nicht alles aufgegessen.“

„Nein, wir haben wir versprochen gewartet“, entgegnete Katrin und lächelte.

Er nahm ihr Hendrik ab und sie half Sarah, die noch leicht verschlafen dreinblickte, auf die Beine.

„Wie lief es denn?“, fragte Katrin, als sie schließlich am Tisch saßen, während Hendrik in seiner Babywiege daneben schlief. Auch Whisky und Rocky hatten sich dazugesellt, in der Hoffnung, dass etwas vom Tisch fiel.

„Ach“, meinte Guntram, „die Frau hat es wirklich nicht leicht gehabt.“ Er schilderte kurz, was sie ihm zu dem Unfall und den Folgen erzählt hatte. „Sie macht sich Vorwürfe, weil sie nicht zuhause war, als es passierte.“

„Verständlich“, meinte Katrin. „Aber selbst, wenn sie ihren Mann gepflegt hat, muss sie doch auch mal vor die Tür gehen können.“

„Sicher. Sie hat, nachdem sie hier war, auch noch bei einer anderen Nachbarin Tee getrunken, hat sie gesagt. Aber nicht lange.“

„Hat sie noch jemanden im Haus?“

Guntram schüttelte mit dem Kopf. „Nein, der Sohn ist ausgezogen. Er ist erwachsen. Er wohnt aber noch in Rhauderfehn und sieht ab und zu vorbei. Wahrscheinlich hat sie ihn schon angerufen.“

Sie wechselten dann das Thema und räumten gemeinsam ab. Katrin setzte einen Kaffee an, den sie dann mit ihren Kindern im Garten genossen. So klang später am Abend, als die Kinder schon schliefen, bei einem Glas Rotwein ein doch überwiegend schöner Sonntag aus.

Die neue Kollegin

Guntram bemühte sich am Montagmorgen, pünktlich in der Dienststelle zu sein. Schließlich sollte heute die neue Kollegin anfangen. Endlich. Es hatte sich lange niemand auf die freien Stellen in Leer beworben. Nun lag seine ganze Hoffnung auf einer jungen Nachwuchspolizistin aus Wittmund. Er war ja schon froh, dass überhaupt jemand kam.

„Es war ein schöner Abend gestern“, sagte Katrin, als sie gemeinsam beim Frühstück saßen. Sarah schlief noch, weil Ferien waren. Und auch Hendrik war nach seinem Fläschchen wieder selig eingeschlafen.

„Ja, das stimmt“, bestätigte Guntram. „Heute kommt übrigens die neue Kollegin.“

„Richtig, ich erinnere mich. Das wird auch langsam Zeit.“

„Naja, im Moment liegt ja nichts weiter an“, erwiderte er.

„Umso besser eigentlich“, meinte Katrin, „dann kannst du ihr in Ruhe zeigen, wie es in Leer so läuft.“

Eigentlich bin ich kein Babysitter, dachte Guntram bei sich. Trotzdem nickte er zustimmend zu dem, was seine Frau gesagt hatte. Natürlich verstand er, dass sie jetzt erst einmal bei Hendrik bleiben wollte. Dieses Mal wollte sie ganz Mutter sein, hatte sie gesagt. Das war ja auch richtig. Trotzdem fehlte sie ihm bei der Arbeit. Doch sie sprach immer seltener von ihrer gemeinsamen Zeit, wo sie Verbrechen aufgeklärt hatten. Es schien so, als interessiere es sie gar nicht mehr sonderlich. Als Sarah noch klein war, da hatte sie darauf bestanden, auch weiterhin im Job zu bleiben. So konnten sich Dinge ändern.

„Ich denke, ich mache mich mal auf den Weg“, sagte er nun und erhob sich vom Stuhl. „Bis später.“ Er drückte ihr noch einen Kuss auf den Mund und machte sich auf den Weg.

Katrin saß nun alleine in der Küche. Sie genoss die ungewöhnliche Ruhe, die es nur noch selten im Haus gab. Irgendetwas war ja immer. Sei es, dass Hendrik weinte, Sarah lachte oder die Hunde durchs Haus tobten. Sie hatte sich nur schweren Herzen von der Kinderfrau, die sich so lange um Sarah gekümmert hatte, getrennt. Doch sie wollte ihr Leben jetzt endlich mal alleine bewältigen. Mit allem, was dazu gehörte. Als sie das erste Mal alle Fenster im Haus geputzt hatte, was sonst auch die Kinderfrau mit übernommen hatte, da bedauerte sie ihren Entschluss das erste Mal. Mutter sein, war das eine. Sie liebte die Zweisamkeit mit ihren Kindern und auch, dass sie endlich einmal wirklich Zeit für sie hatte. Aber der Haushalt mit putzen, kochen und waschen war etwas ganz anderes. Wenn sie damit beschäftigt war, befiel sie immer das Gefühl, etwas im Leben zu verpassen, weil sie sich mit Dingen beschäftigte, die niemand honorierte. Fürs Bodenschrubben gab es eben kein Lächeln eines Kindes zum Dank. Und Guntram dachte ganz sicher nicht darüber nach, wie sie sich hier im Haus abmühte. Sie nahm sich vor, noch etwas darüber nachzudenken, doch eigentlich lief alles darauf hinaus, dass sie die Kinderfrau doch wieder zurückholte. Diese hatte an ihrem letzten Tag gesagt, dass Katrin sie jederzeit anrufen könnte. Sie würde keine andere Stelle annehmen, weil sie sich hier so wohlgefühlt habe. Fast, als sei es auch ihr Zuhause. Das hatte Katrin sehr rührend gefunden.

 

Als Guntram ins Büro kam, saß schon jemand an Katrins Schreibtisch. Etwas irritiert stand er im Türrahmen und wusste nichts zu sagen.

„Hallo“, sagte die junge Frau und stand auf, um auf ihn zuzugehen, „ich bin Levke Schüür, die neue Kollegin. Man sagte mir, ich sollte hier im Büro auf Sie warten. Ich hoffe, das ist in Ordnung.“

Guntram schluckte. „Ja sicher“, presste er hervor und legte seine Hand in ihre Dargebotene zur Begrüßung. „Jochen Guntram. In der Regel duzen wir uns hier, wenn das kein Problem für Sie ist.“

„Nein“, sagte sie und lächelte, „Levke reicht völlig.“

„Die meisten nennen mich einfach nur Guntram“, raunte er und ging zu seinem Schreibtisch. Die ganze Situation hier gefiel ihm einfach nicht. Warum konnte nicht alles so bleiben, wie es war.

Auch Levke setzte sich wieder an den Schreibtisch. Sie fragte sich, ob hier wirklich alles anders werden würde als mit dem alten Sturkopp in Wittmund. Wesentlich jünger war dieser Guntram ja auch nicht. Und anscheinend war er ein echter Miesepeter. Das konnte ja heiter werden.

„Gibt es im Moment denn einen aktuellen Fall?“, fragte sie.

„Hm“, machte Guntram, während er auf seinen Monitor starrte. „Im Moment wohl eher nicht.“

„Ich hab zuletzt mit Kollegen zusammengearbeitet, die Sie ... ähm, die du auch kennst, habe ich gehört.“

„Ach ja?“ Interessiert sah er auf und zu ihr rüber.

„Ja, mit Eva Sturm in Wittmund und zuletzt mit Jan Krömer auf Norderney.“

Bei der Erwähnung von Jan zuckte er kurz zusammen. Schließlich wäre bald mal was aus ihm und Katrin geworden. „Tatsächlich?“, fragte er, weil er wusste, dass die junge Frau mehr darüber erzählen wollte.

Und so war es dann auch. Levke schilderte die Ermittlungen mit den ihrer Meinung nach ganz besonderen Kollegen in höchst lobenden Tönen. Guntram fragte sich, wie sie wohl über ihn spräche, wäre ihre Zeit hier in Leer vorüber. Denn irgendwie ging er davon aus, dass sie es mit ihm nicht lange aushielte. Sie passten nicht zusammen, er hatte es vom ersten Augenblick an gewusst, als er durch die Tür gekommen war.

„Da kannst du ja wirklich stolz auf dich sein, dass du an der Lösung der Fälle mitgewirkt hast“, meinte er dann milder klingend, weil er an Tina hatte denken müssen, während sie erzählte. Was wäre, wenn seine Tochter auf so einen Unhold wie ihn gestoßen wäre. Diese Levke, sie konnte ja wirklich nichts dafür, dass er sich mit der Gesamtsituation in der Dienststelle nicht anfreunden konnte. Fakt war, dass die Arbeit erledigt werden musste. Dafür wurde er bezahlt.

„Das bin ich auch“, strahlte sie übers ganze Gesicht. „Ich habe gehört, dass deine Frau auch als Polizistin arbeitet.“

Das konnte sie nur von Krömer erfahren haben. „Ja, das ist richtig. Sie ist zurzeit in Elternzeit, wir haben vor kurzem einen Sohn bekommen. Hendrik.“

„Na, dann herzliche Gratulation dazu“, meinte Levke gut gelaunt. Ein bisschen alt ist er dafür eigentlich schon, dachte sie bei sich.

„Danke.“ Guntram wusste irgendwie nicht so recht, was er nun mit Levke machen sollte. Wäre er alleine gewesen, hätte er die Füße auf den Tisch gelegt und ein Nickerchen gemacht. „Wir könnten gleich mal einen Spaziergang durch die Innenstadt machen“, schlug er vor, „dann lernst du deinen neuen Wirkungskreis ein wenig kennen.“

„Das kling doch super“, erwiderte sie und verglich die Ermittlertypen Krömer und Guntram miteinander. Mit Jan war sie nie spazieren gegangen. Guntram wirkte wie ein Großvatertyp auf sie. Es lagen einfach Welten zwischen den beiden.

„Ich les mir nur noch die jüngsten Meldungen im Intranet durch“, sagte er, um wenigstens ein paar Minuten zu haben, wo er sich nicht unterhalten musste.

 

Der sogenannte Spaziergang ließ ihn dann doch in Erinnerungen schwelgen. Auch, weil es ihn an die schönen Momente mit Katrin zurückerinnerte, als sie noch kein Paar gewesen waren. Ja, er hatte sie schon immer geliebt, gestand er sich im Stillen ein. Sie war die Frau seines Lebens.

„Eine Tote in einer Umkleidekabine?“, fragte Levke nun, als sie bei Loftis ankamen und er ihr von dem Mord, der sich dort ereignet hatte, erzählte.

„Ja, und es war ein ziemlich tragischer Fall“, erwiderte er und schilderte ihr, wie unglücklich und eher zufällig das junge Mädchen zu Tode gekommen war.

„Was es alles gibt“, meinte Levke. Für sie war das eben nur ein Fall unter vielen.

Sie schlenderten die Mühlenstraße weiter in Richtung Altstadt entlang und kehrten schließlich in das Café ein, auf das sie direkt zusteuerten. Levke setzte sich an einen Tisch mit Blick auf die Mühlenstraße, weil Guntram vorgeschlagen hatte, sie zu Kaffee und Kuchen einzuladen. Also ging er zum Tresen.

Leer gefiel Levke sehr. Die vielen Geschäfte, Cafés und Restaurants boten sicher gerade jungen Menschen viel an Abwechslung. Aber trotzdem würde sie noch nicht umziehen, um näher an ihrem Einsatzort zu wohnen. Mindestens ein halbes Jahr Bedenkzeit wollte sie sich nehmen, ob sie sich wirklich sicher war, hierzubleiben.

Guntram kam mit einem Tablett an den Tisch und stellte alles ab. Dann setzte er sich zu ihr und beide sahen den vorbeischlendernden Passanten mit ihren Einkaufstaschen nach.

„Es gibt hier viele Touristen“, sagte er, „eigentlich sind sie es wohl eher, die die Stadt beleben.“

„Ist ja auch kein Wunder, Leer ist eine schöne Stadt.“

„Warte nur, bis du gleich die Altstadt gesehen hast“, sagte er, „dort steht übrigens auch das älteste Haus von Leer.“

„Ist ja wirklich interessant“, sagte sie und stach mit einer Gabel in ihren Käsekuchen.

Im nächsten Moment hörten sie lautes Geschrei, eine Frau rief um Hilfe. Sofort galt ihrer beider Aufmerksamkeit den Vorkommnissen auf der Straße.

„Da ist sie“, sagte Levke, die als Erste gesehen hatte, wer da rief.

„Haltet den Dieb!“, rief die Frau, die nun direkt vor dem Café vorbeirannte, „er hat meine Tasche gestohlen.“

„Ich seh mal nach, was da los ist“, sagte Levke und war auf schon auf dem Weg nach draußen.

Guntram beobachtete, wie sie die Frau stoppte und diese ganz aufgeregt gestikulierte und in Richtung Heisfelder Straße zeigte. Levke sah sich suchend um, dann sprintete sie im nächsten Moment los. Alle Achtung, dachte Guntram. Einsatzfreudig war sie auf jeden Fall. Er trank derweil in Ruhe seinen Kaffee weiter und genoss die Himbeertorte. Die bestohlene Frau stand nun vor dem Café und schüttelte mit dem Kopf. Dann, kurz darauf, kam Levke mit einem jungen Mann im Schlepptau zurück. Sie hielt eine Tasche in der Linken und mit der Rechten, da hatte sie dem Dieb die Arme auf den Rücken gedreht und schob ihn vor sich her.

Mein lieber Scholli, dachte Guntram. Der Kuchen war auf und der restliche Kaffee war kalt geworden. Es wurde Zeit, dass er seiner Kollegin zur Seite stand.

„Na, wen haben wir denn da“, sagte er, als er nach draußen kam.

Levke hatte der Frau die Tasche bereits übergeben und diese prüfte, ob etwas fehlte.

„Sollen wir ihn mit aufs Revier nehmen?“, fragte Levke.

„Ich denke schon“, sagte Guntram, „warte, ich rufe einen Kollegen von der Streife.“ Er zog sein Handy hervor und telefonierte.

„Ich danke Ihnen vielmals“, sagte die Frau nun an Levke gewandt, „ohne Sie wären alle meine Papiere weg gewesen. Außerdem war ich gerade bei der Bank.“

„Das ist doch selbstverständlich“, erwiderte Levke und festigte noch einmal den Griff um die Handgelenke des jungen Mannes, der nun beschämt zu Boden sah. Sie schätzte ihn auf höchstens sechzehn Jahre.

„Kann ich denn jetzt gehen? Oder brauchen Sie mich noch als Zeugin?“, fragte die Frau.

„Wenn Sie eine Anzeige erstatten möchten“, mischte sich Guntram ein, „dann ist es leider unerlässlich, dass Sie uns begleiten.“

Die Frau sah auf Ihre Armbanduhr. „Eigentlich bin ich schon ziemlich spät dran. Meine Enkelin kommt gleich aus der Schule.“ Sie runzelte die Stirn und sah von einem zum anderen. „Eigentlich kann ich auf eine Anzeige verzichten, wenn das in Ordnung ist.“

„Ihre Entscheidung“, meinte Guntram, „wir nehmen uns den jungen Mann sowieso gleich vor.“

„Na gut, dann gehe ich jetzt“, sagte die Frau leicht zögerlich.

„Machen Sie sich keine Gedanken und kümmern Sie sich ruhig um Ihre Enkelin“, meinte Levke und nickte ihr aufmunternd zu. „Wie mein Kollege schon sagte, wir knöpfen uns den Dieb noch vor.“

„Na dann“, erwiderte die Frau. Dann ging sie in Richtung Mühlenstraße davon.

Im nächsten Moment kam auch schon ein Streifenwagen die Heisfelder Straße hochgefahren.

„Das klappt ja heute wie am Schnürchen“, meinte Guntram zufrieden.

Kurz darauf saß der Dieb auf der Rückbank, Levke hatte vorne im Wagen Platz genommen. Guntram wollte zu Fuß zur Dienststelle zurücklaufen. Wegen der Bewegung hatte er gesagt.

 

Später stellte sich dann heraus, dass der Dieb bereits achtzehn war und mit seiner Mutter, einer Alkoholikerin, von Hartz IV lebte. Mehr schlecht als recht, da das meiste Geld eben für den Schnaps draufging, wie er sagte. Er selber suche schon seit langem eine Lehrstelle, doch da sei nichts zu machen, da seine Zeugnisse so schlecht seien.

„Das ist alles schlimm, aber einer Frau die Tasche zu stehlen rechtfertigt das noch lange nicht“, brummte Guntram, „du weißt, dass wir dich einbuchten könnten, wenn wir wollten. Der Welpenschutz greift nämlich nicht mehr bei dir.“

„Ich weiß“, erwiderte der Dieb mit reumütigem Blick. „Es war ja auch das erste Mal, dass ich sowas gemacht habe. Ich wollte meiner Mutter etwas zum Geburtstag schenken.“

„Schenke ihr am besten einen Sohn, der sein Leben meistert“, gab Guntram ihm noch mit auf den Weg, als er ihn aus der Dienststelle entließ.

„Der kommt bestimmt auf die schiefe Bahn“, meinte Levke, als sie wieder mit Guntram alleine war.

„Da ist er doch schon hineingeboren worden“, raunte er. „Aber ändern werden wir das nicht, das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche. Warte man ab, ein paar Jahre später, dann fährt er wegen schweren Raubüberfalls oder etwas Ähnlichem ein.“

„Wahrscheinlich hast du recht“, meinte Levke.

Den Rest des Tages verbrachten sie dann damit, dass er das Gebiet umriss, für das sie mit ihm zuständig sein würde. Außerdem zeigte er ihr mit vor stolz geschwollener Brust dann doch noch ein paar Fotos von Hendrik, Katrin und Sarah, die er auf dem Handy hatte.

 

Am Abend überraschte Katrin ihn mit einer neuen Nachricht. „Sie fängt am nächsten Montag wieder bei uns an“, sagte sie und meinte damit die Kinderfrau.

„Willst du denn jetzt schon wieder arbeiten gehen?“, fragte er erstaunt.

„Nein, noch nicht“, sagte Katrin, „aber irgendwann eben schon. Ich möchte nicht, dass dann wieder jemand anderes ins Haus kommt, verstehst du.“

„Sicher. Mir soll es recht sein. Sie passte ja sehr gut zu uns.“

„Finde ich auch. Und wie war dein Tag?“

„Du meinst die neue Kollegin? Sie heißt Levke Schüür und sie hat bereits ihre erste Festnahme vorgenommen.“

„Wow“, sagte Katrin anerkennend, „sie will es wohl wissen.“

„Ist zu befürchten“, grummelte Guntram und erzählte dann die ganze Geschichte von dem Handtaschendieb.

„Das Leben ist ungerecht“, meinte Katrin, weil ihr der junge Mann auch leidtat, als sie erfuhr, in welchen Verhältnissen er lebte. „Da hat er doch gar keine Chance, etwas aus sich zu machen.“

„Vielleicht hast du recht“, sagte Guntram und dachte wieder an Peter. „Manchmal sind es wohl einfach die Umstände, die uns zu verkorksten Menschen machen.“

Sie erwiderte daraufhin nichts mehr, weil sie ahnte, in welche Richtung das schon wieder bei ihm ging. Vielleicht, so dachte sie bei sich, sollte ich einfach mal mit seinem Sohn reden. Irgendwie konnten Dinge doch auch wieder gut werden.

Eine Woche später

Guntram fand es immer wieder erstaunlich, wie schnell man sich doch an Menschen gewöhnen konnte. Er mochte Levke. Sie war bodenständig, offen und ehrlich. Sie passte tatsächlich gut ins Team. Für das kommende Wochenende, so überlegte er gerade, als er am Schreibtisch saß und sie dabei beobachtete, wie sie im Internet recherchierte, da könnte ich sie mal zum Essen einladen. Dann kann sie auch Katrin kennen lernen. Sein Hintergedanke dabei war natürlich, dass ihm auch die Meinung seiner Frau wichtig war.

Das Klingeln seines Telefons riss ihn aus seinen Gedanken, die ihn schläfrig gemacht hatten.

„Ja?“

„He, Jochen, hier ist Piepwitz“, klang es in sein Ohr.

„Oh, wie schön, von dir zu hören. Was gibt es denn?“

„Einen möglichen Mord, würde ich sagen.“

„Ach ja? Man hat uns doch noch gar nicht informiert“, wunderte sich Guntram.

„Das will ich glauben. Es geht um den Mann, der kürzlich unter dem Hinweis auf eine nicht eindeutig geklärte Todesursache bei mir abgeliefert wurde.“

Guntram dachte kurz nach, dann schaltete er. „Du meinst den querschnittgelähmten Mann, nehme ich an.“

„Exakt.“

„Und warum rufst du jetzt an?“

„Na, was denkst du wohl?“

„Es war also kein natürlicher Tod?“

„Das müsst ihr herausfinden.“

„Hm. Du machst es ja wirklich spannend.“

„Oh, das will ich meinen. Hast du Lust, nach Oldenburg zu kommen? Ich möchte dir etwas zeigen.“

Guntram gähnte und sah auf die Uhr. Es war erst kurz nach zwei. „Klar“, sagte er dann, „bis gleich.“

Sie legten auf.

„Gibt’s was Interessantes?“, fragte Levke, die das Gespräch mit halbem Ohr mitgehört hatte.

„Mal gucken“, erwiderte Guntram, „wir fahren jetzt nach Oldenburg in die Gerichtsmedizin. Piepwitz, also unser Kollege, mit dem wir immer zusammenarbeiten, scheint da auf etwas gestoßen zu sein.“ Er stand auf und zog sich seine Jacke über.

 

Nach einer kurzen Vorstellung, damit Piepwitz und Levke sich kennen lernten, standen die drei dann vor dem Tisch, auf dem Achim Groen lag. Guntram erzählte, dass die Witwe, Helene Groen, bereits zweimal bei ihm angerufen hatte, weil sie wissen wollte, wann sie ihren Mann nun endlich würdevoll bestatten dürfte.

„Also“, meinte Piepwitz, „wenn ihr mich fragt, dann dürfte das noch ein Weilchen dauern.“ Er schob seine Brille zurecht, weil es ihm schwerfiel, sich an die neuen Gleitsichtgläser zu gewöhnen. Bisher hatte er sich immer mit zwei Brillen beholfen, doch in der Ferne fiel es ihm immer schwerer, etwas zu erkennen. Gerade, wenn er Auto fuhr. Meistens hatte er dann nur die Lesebrille dabei, was ihn dazu veranlasst hatte, es mal mit einer Gleitsichtbrille zu probieren. Doch so richtig hatte er sich noch nicht damit anfreunden können.

„Was genau hast du denn jetzt für uns?“ Guntram wurde langsam ungeduldig. Er wollte nicht, dass Levke dachte, er ließe sich an der Nase herumführen.

„Wart’s ab“, machte Piepwitz es ein letztes Mal spannend, bevor er auf den Brustkorb der Leiche tippte. „Das Geheimnis liegt hier drinnen verborgen.“

„Das Herz?“, fragte Guntram.

„Fast richtig“, erwiderte der Gerichtsmediziner verschmitzt.

„Also die Lunge“, meinte Levke.

„Exakt“, bestätigte Piepwitz. „Und zwar habe ich da etwas entdeckt, das euch sehr stutzig machen sollte.“ Er ging nun zu der beleuchteten Wand, an der ein Röntgenbild einer Lunge hing.

Eins zu null für Levke, dachte Guntram, als er es sah. Sie hatte sich eben ein Gesamtbild verschafft, als sie in den Raum kamen und entsprechend die richtigen Schlüsse gezogen, als Piepwitz auf die Brust getippt hatte. Sie war wirklich gut. Sie war eben noch jung und aufmerksam.

„Das hier ist eine Aufnahme der Lunge des Opfers“, erklärte Piepwitz und tippte mit der Fingerspitze auf eine bestimmte Stelle. „Und hier, da habe ich etwas entdeckt, was man auch leicht hätte übersehen können.“

Angeber, dachte Guntram fast ein wenig beleidigt. Er fühlte sich hier momentan eindeutig in der Defensive. Erst Levke und jetzt auch noch Piepwitz, die ihm deutlich machten, dass er alt wurde.

„Und was war es?“, fragte er übel gelaunt, „wir haben wirklich nicht den ganzen Tag Zeit, hier herum zu quatschen.“

„Spielverderber“, grinste Piepwitz, „nun gönn mir doch meinen kleinen Auftritt. Sonst habe ich es hier ja nur mit Toten zu tun.“

„Okay, ich bin ganz Ohr“, spielte Guntram mit, „und der Applaus von meiner Seite aus ist dir sicher.“ Wir sollten nötig mal wieder ein Bier zusammen trinken gehen, dachte er. Das hatten sie schon seit ewigen Zeiten nicht mehr gemacht. Genau genommen seit dem Tag, als er erfahren hatte, dass er und Katrin schwanger waren. Denn seitdem hatte er keinen Tropfen mehr angerührt.

„Es sind immer die kleinen Details“, meinte Piepwitz nun und wurde ernster, „das wisst ihr ja. Als ich die Lunge untersucht habe, da habe ich einen Federkiel entdeckt, ganz winzig nur, aber immerhin.“

Guntram zog die Stirn kraus. „Aha“, sagte er dann. Im Moment wusste er damit irgendwie nichts anzufangen.

„Hab ich mir gedacht, dass ich da etwas weiter ausholen muss“, genoss Piepwitz seinen ganz persönlichen Durchmarsch, „es gibt Menschen, die allergisch auf alles, was mit Vögeln zu tun hat, reagieren. Besonders auf die Federn, den Staub, den die Tiere verursachen und so weiter.“

„Davon habe ich schon gehört“, sagte Levke eifrig, „mein Onkel reagiert auch allergisch auf Federbetten, deshalb musste alles im Haus meiner Tante ...“.

„Schon gut“, sagte Guntram, „was genau willst du uns denn jetzt damit sagen?“, fragte er an Piepwitz gewandt.

„Im Moment ist es nur eine blanke Theorie von mir, aber dieser plötzliche Herzstillstand beim Opfer, er könnte auch durch eine allergische Reaktion auf ebendiesen Vogel, dem die Feder gehört hat, ausgelöst worden sein.“

„Hm“, machte Guntram und rieb sich übers Kinn. „Von einem Vogel im Haus der Witwe ist mir aber nichts aufgefallen.“

„Wäre ja auch fatal, wenn sie einen Vogel hätte, wenn ihr Mann darauf allergisch reagiert“, entgegnete Piepwitz.

„Eben“, meinte Guntram, „vielleicht ist es dann doch ein bisschen weit hergeholt.“

„Naja“, sagte Piepwitz und wandte sich jetzt seinem Schreibtisch zu. Er hob einen kleinen Plastikbeutel in die Höhe und hielt ihn unter das Licht der Lampe, die auf dem Tisch stand. „Wie ihr seht, es ist wirklich nur eine winzige Feder aus dem Unterkleid.“

„Und von welchem Vogel stammt sie?“, fragte Guntram, „kann man das feststellen?“

„Man kann“, triumphierte Piepwitz. „Es ist die Feder eines Wellensittichs.“

„Sonderbar“, murmelte Guntram, „ich bin mir ziemlich sicher, dass ich da keinen Vogel im Haus gesehen habe.“

„Warst du denn in jedem Zimmer?“, fragte Levke.

„Nein, natürlich nicht, das stimmt schon. Aber was genau bedeutet es denn jetzt für uns?“, richtete er sich wieder an Piepwitz. „Denkst du, dass man Achim Groen ermordet haben könnte?“

Piepwitz zog die Schultern hoch. „Das kann ich nicht sagen“, gab er zu, „meine Aufgabe ist es, euch meine Erkenntnisse mitzuteilen. Was ihr dann daraus macht, ist euer Ding.“

„Okay“, sagte Guntram, dem der Gedanke, nun endlich wieder an einem echten Fall zu arbeiten, immer mehr gefiel. „Gesetzt den Fall, du hast recht und dieser Achim Groen war Allergiker. Was genau ist dann passiert, als er mit dem Vogel in Kontakt geriet?“

„Er dürfte einen anaphylaktischen Schock erlitten haben im schlimmsten Fall“, meinte Piepwitz. „Es gibt Menschen, die an der Reaktion nach dem Kontakt mit einem Allergen ersticken.“

„Und? Ist er erstickt?“

„Sagen wir es mal so“, meinte Piepwitz, „sein Herz blieb stehen. Das könnte schon eine Folge der Atemnot gewesen sein, die bei einem anaphylaktischen Schock auftreten kann.“

„Kannst du denn jetzt noch feststellen, ob er Allergiker war? Ich meine, er ist ja tot.“

„War er“, spielte Piepwitz nun seine letzte Trumpfkarte aus. „Das habe ich bereits im Labor testen lassen.“

„Dann haben wir jetzt also einen Fall“, stellte Levke fest.

„Sieht ganz so aus“, erwiderte Guntram. „Wir sollten der Witwe noch einmal einen Besuch abstatten, denke ich.“

 

Sie hatten während der Rückfahrt ihre Scherze darüber gemacht, wie man jemanden unverfänglich fragte, ob er einen Vogel hat. Doch nun, wo sie vor dem Haus von Helene Groen ausstiegen, setzten sie ihre ernsten Minen wieder auf.

„Herr Guntram?“, sagte Helene Groen, als sie den Ermittler erkannte, „kann ich meinen Achim nun endlich beerdigen.“

„So schnell leider nicht“, gab er zu und stellte Levke als seine neue Kollegin vor. „Dürften wir vielleicht kurz reinkommen. Es dauert auch nicht lange.“ Irgendwie fühlte er sich ein wenig gehemmt, weil Helene Groen zum einen eine Nachbarin und dann auch noch näher Bekannte von Katrin war.

„Naja, ich hab ja sonst im Moment nichts zu tun“, sagte sie und ließ die beiden herein und führte sie in die Küche. „Bitte, setzen Sie sich doch.“

Dieses Mal bietet sie uns keinen Kaffee an, registrierte Guntram. Sie war es nun, die eine Distanz zu ihm aufzubauen schien. Sie setzte sich mit an den Tisch und sah die Ermittler eher unbeteiligt wirkend an.

„Es geht um die Frage“, begann Guntram und räusperte sich kurz, „wäre es möglich, dass Ihr Mann mit einem Wellensittich in Kontakt gekommen sein könnte?“

Sie machte große Augen. „Ein Wellensittich?“, wiederholte sie, „nein, wie kommen Sie denn darauf. Wir haben keinen Vogel im Haus. Schon alleine deshalb, weil Achim dagegen allergisch gewesen ist. Auf alle Federn, wissen Sie. Wir mussten deshalb auch die Betten tauschen vor einigen Jahren, als der Arzt endlich herausgefunden hatte, warum Achim ständig unter tränenden Augen und Niesattacken litt.“

Allergisch, dachte Guntram. Aber wieso kam dann eine Feder aus dem Kleid eines Wellensittichs in seine Lunge. Und plötzlich erklärte es sich auch, wieso er erstickt oder an einem plötzlichen Herztod gestorben war. Aber wieso ein Wellensittich. Das machte alles überhaupt keinen Sinn, wenn es hier im Haus keinen Vogel gab weit und breit.

„Untersuchungen haben ergeben“, sagte er nun, „dass sich in der Lunge Ihres Mannes die Feder eines Wellensittichs befunden hat.“

Helene Groen schüttelte heftig mit dem Kopf. „Das ist unmöglich. Wie ich schon sagte, wie haben keinen Vogel im Haus.“

„Tja, aber irgendwie muss die Feder ja in die Lunge Ihres Mannes gekommen sein“, meinte Guntram lakonisch. Er sah sich in der Küche um. Hier war wirklich alles penibel sauber, stellte er fest. Wahrscheinlich war das nötig, wenn jemand allergisch gegen Federn oder Staub war. Und trotzdem musste Achim Groen mit einem Vogel in Kontakt gekommen sein, bevor er starb. „Sie sagten bei unserem letzten Gespräch, dass Sie einen erwachsenen Sohn hätten“, fuhr er fort.

„Das ist richtig. Christian. Aber wie gesagt, er wohnt nicht mehr im Haus.“

„Das erwähnten Sie“, bestätigte Guntram. „Hat er vielleicht einen Wellensittich?“

„Christian? Nicht, dass ich davon wüsste“, sagte sie.

Schade, dachte Guntram, denn das wäre eine Möglichkeit gewesen, wie eine kleine Feder ins Haus gelangt sein könnte. Der Sohn hätte diese Feder irgendwie an seiner Jacke oder Pullover gehabt haben können. Das wäre eine wirklich logische Erklärung gewesen. Auch wenn er es immer noch sehr bezweifelte, dass dieser Zufall dann den Tod von Achim Groen zur Folge gehabt haben könnte.

„Wann war Ihr Sohn zuletzt hier im Haus?“

„Gestern“, antwortete sie, „er sieht jetzt, wo Achim tot ist, jeden Tag nach mir.“

„Verstehe. Und bevor Ihr Mann verstarb, wann war er da das letzte Mal hier gewesen?“

Sie grübelte kurz. „Das kann ich gar nicht sagen. Er hat uns nicht regelmäßig besucht, er hat ja sein eigenes Leben.“

„Könnten Sie mir vielleicht die Adresse und Telefonnummer Ihres Sohnes geben.“

„Von Christian? Was wollen Sie denn von ihm?“

„Nur Routinefragen“, antwortete Guntram ausweichend, „das müssen wir so machen.“

„Von mir aus ...“. Sie stand auf und kramte in einer Schublade herum und zog schließlich einen kleinen weißen Block und einen gelben Kugelschreiber mit roter Werbeaufschrift hervor. Sie notierte etwas und reichte Guntram den Zettel.

„Danke“, sagte er und schob das Blatt in seine Jackentasche. „Wir werden uns jetzt wieder auf den Weg machen, denke ich ...“. Er warf Levke einen Blick zu.

„Eine Frage hätte ich noch“, entgegnete sie nun, da sie die ganze Zeit geschwiegen und aufmerksam zugehört hatte. Sowohl Guntram und auch Helene Groen sahen erstaunt zu ihr herüber. „Sie sagten, dass Ihr Mann allergisch auf Vögel reagiert hat, richtig?“

„Ja, das stimmt“, bestätigte sie.

„Dann müssten Sie doch auch ein Gegenmittel für den Fall, dass Ihr Mann einen anaphylaktischen Schock erlitten hätte, im Haus haben“, sagte Levke.

„Auch das ist richtig“, antwortete Helene Groen.

„Könnten Sie uns das Mittel einmal zeigen?“

Helene Groen sah von einem zum anderen. „Wozu soll das gut sein?“, fragte sie. Als niemand etwas erwiderte, erhob sie sich vom Stuhl. „Von mir aus, ich hole es.“

„Guter Punkt“, sagte Guntram anerkennend zu Levke, obwohl er nicht genau wusste, was das jetzt beweisen sollte.

Helen Groen kam mit einer weißen Sprühflasche zurück. „Das kann man direkt in den Mund geben“, sagte sie.

„Die Flasche ist noch versiegelt“, stellte Levke fest.

„Ja, wir haben das nie gebraucht“, antwortete die Witwe. „Vielleicht sollte ich es nun wegwerfen.“

„Ich würde es gerne mitnehmen“, meinte Levke, „wenn das in Ordnung ist.“

„Sicher“, sagte Helene Groen und reichte ihr die Flasche.

Nun erhob sich auch Guntram. „Dann gehen wir jetzt“, sagte er, „und wegen der Beerdigung, Sie bekommen Bescheid von uns, wenn Ihr Mann freigegeben ist.“

Helene Groen brachte die beiden zur Tür.

„Wir könnten bei mir noch einen Kaffee trinken“, schlug Guntram vor, als er mit Levke im Wagen saß, „dann kannst du Katrin und den Rest meiner Familie kennen lernen.“

„Das wäre nett“, meinte Levke.

Guntram startete den Wagen und fuhr das kurze Stück die 3. Südwieke entlang, bis er wieder auf seine eigene Auffahrt fuhr.

 

Katrin war gerade in der Küche, um ein Fläschchen für Hendrik zu erwärmen, als sie Guntrams Wagen sah. Dann stieg auch eine junge Frau aus auf der Beifahrerseite. Das ist bestimmt die neue Kollegin, dachte sie und ging mit dem Fläschchen ins Kinderzimmer.

Guntram und Levke stiegen aus.

„Ihr wohnt hier sehr schön“, sagte sie anerkennend. „Ein wirklich großer Garten.“

„Das ist noch gar nichts“, meinte Guntram und schlug die Wagentür zu, „hinterm Haus geht es noch viel weiter.“

Sie gingen Richtung Tür, als von hinten Whisky und Rocky aus dem Garten geprescht kamen. Übermütig sprangen die Hunde an Guntram hoch, als hätten sie ihn eine Ewigkeit nicht gesehen. Und dann war Levke dran. Sie hatte sich nach unten gebeugt und kraulte über Rockys Kopf.

„Ein wirklich süßer Kerl“, sagte sie, „ich wollte als Kind auch immer einen Hund haben, aber meine Eltern haben das nicht erlaubt.“

Rabeneltern, dachte Guntram, weil er mittlerweile wusste, wie wichtig es war, dass Kinder mit Haustieren aufwuchsen. Auch so ein Punkt, wo er selber früher kläglich versagt hatte. Tina hatte sich immer einen Hund gewünscht als Kind.

„Komm“, meinte er, „wir sollten jetzt ins Haus gehen. Bestimmt hat Katrin uns schon gehört.“

Er schloss auf und ging, gefolgt von den Hunden und Levke, ins Haus.

„Katrin“, rief er, „ich habe Besuch mitgebracht.“

„Ich bin oben bei Hendrik“, rief sie zurück, „du könntest einen Kaffee ansetzen.“

„Klar, mach ich.“ Er ging in die Küche und bot Levke an, am Tisch Platz zu nehmen.

Während er an der Maschine hantierte, sah Levke sich um. Auf dem Boden lag Spielzeug, das eindeutig einem Mädchen gehörte. Auf den Fensterbänken standen einige Blumentöpfe mit bemitleidenswerten Grünpflanzen, umrahmt von einer dicken Staubschicht. Nicht, dass es ihr etwas ausgemacht hätte. Im Gegenteil. So, wie es eben bei Helene Groen ausgesehen hatte, so steril und ordentlich, das hatte ihr gar nicht gefallen, sondern eher an zuhause erinnert. Aber hier im Haus von Guntram, da wurde wirklich gelebt.

Katrin kam mit Hendrik auf dem Arm in die Küche.

„Levke Schüür“, sagte Levke und reichte ihr die Hand.

„Katrin Birgner“, erwiderte sie, „nenn mich aber bitte einfach Katrin.“

„Levke.“

Guntram stellte Tassen auf den Tisch.

„Na, kleiner Mann, bist du satt geworden.“ Er strich Hendrik über den kleinen runden Bauch.

„Ganz sicher“, sagte Katrin und küsste ihren Sohn auf den Kopf.

„Wo ist Sarah eigentlich?“

„Sie ist hinten im Garten bei den Katzen“, erwiderte Katrin. Dann setzte sie sich zu Levke an den Tisch. „Wie läuft es denn bei euch so?“

„Dramatische Entwicklungen, sag ich nur“, stöhnte Guntram, „offensichtlich war der Tod von Achim Groen doch nicht so harmlos, wie wir uns das vorgestellt haben.“

Er schilderte ihr, was sich in Oldenburg bei Piepwitz ergeben hatte und dass sie auch bereits bei Helene Groen wegen des möglichen Vogels im Haus vorstellig geworden waren.

„Das ist ja wirklich eine sehr interessante Wendung“, meinte Katrin nachdenklich. „Wenn die Feder bis in seine Lunge vorgedrungen ist, dann muss der Kontakt mit dem Vogel wirklich sehr intensiv gewesen sein.“

„Tja“, machte Guntram, „aber wo steckt das blöde Vieh.“

Der Kaffee war durchgelaufen und er schenkte für alle ein.

„Vielleicht ist der Sohn gar kein schlechter Ansatz“ meinte Katrin.

„Du bist doch immer hier an der Wieke unterwegs“, sagte Guntram, „kannst du dich nicht mal umhören, wer hier einen Vogel im Haus hat.“

„Sicher, das kann ich machen. Ich wollte sowieso gleich noch einmal einen Spaziergang mit Hendrik und Sarah unternehmen.“

„Aber bitte unauffällig“, bat Guntram, „nicht, dass unsere lieben Nachbarn hellhörig werden, weil wir hier in der direkten Nähe nach einem Mörder suchen.“

„Jochen, ich mach den Job schon ein paar Jahre, wie du weißt“, neckte sie ihn.

„Hm“, brummte er, „na gut, dann bist du jetzt auf dem neuesten Stand. Ich versuche mal, den Sohn zu erreichen“, sagte er zu Levke gewandt, „dann könnten wir noch bei ihm vorbeifahren, bevor es wieder nach Leer geht.“

Er zog sein Handy und den Zettel von Helene Groen aus der Jackentasche. Doch am anderen Ende nahm niemand ab, als er es klingeln ließ.

„Dann eben ein anderes Mal“, sagte er. „Katrin, ich denke, wir gehen dann mal wieder los in die Dienststelle.“

„Und was wollt ihr da machen?“

„Weiß ich auch nicht ... vielleicht beschäftige ich mich mal intensiver mit Wellensittichen.“ Er lachte. Dann küsste er Katrin und seinen Sohn, bevor er mit Levke das Haus verließ.

Christian Groen

Er hatte zusammen mit seiner Mutter auf das Handy gestarrt, als es klingelte. Die Nummer auf dem Display kannte er nicht.

„Das ist bestimmt dieser Guntram“, hatte Helene Groen geflüstert, „nimm lieber nicht ab.“ Sie hatte ihrem Sohn Christian bereits davon erzählt, dass die Polizei ihn bezüglich eines Vogels befragen wollte.

„Aber wie sieht das denn aus“, meinte Christian, „ich habe doch nichts zu verbergen. Desto eher ich mit der Polizei spreche, umso besser.“

„Verstehst du denn nicht“, sagte sie eindringlich, „man wird dich verdächtigen, weil ich ja gar nicht zuhause war, als dein Vater starb.“

„Mama, wieso sollte ich Papa denn umgebracht haben?“

„Du kennst die Polizei nicht“, murmelte sie, „sie brauchen einen Verdächtigen. Du solltest Hansi besser verschwinden lassen.“

Christian erkannte seine Mutter nicht wieder. „Aber du glaubst doch wohl nicht, dass ich Papa etwas angetan habe.“

„Nein“, erwiderte sie, „ich glaube das sicher nicht. Aber die Polizei wird es denken, wenn sie den Vogel bei dir finden. Verstehst du denn nicht, dass ich es nur gut mit dir meine.“

„Aber ich will Hansi nicht weggeben“, protestierte Christian.

„Du könntest ihn doch zu deiner Freundin bringen, bis Gras über die Sache gewachsen ist“, schlug seine Mutter vor.

„Daniela mag keine Vögel.“

„Scheint ja sehr vernünftig zu sein, das Mädchen.“

Christian wollte sich nicht mit seiner Mutter streiten, deshalb gab er kleinbei und versprach, sich etwas für Hansi zu überlegen. Sie tranken zusammen Tee und aßen dazu Rosinenbrot. So, wie es auch sein Vater immer gerne gemacht hatte.

Feierabend