F*ck you, Mr. Rich - Jona Dreyer - E-Book

F*ck you, Mr. Rich E-Book

Jona Dreyer

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Beschreibung

»Ich kann ihn jetzt schon nicht leiden.« Als sich seine Schwester in einer Fernsehsendung einen reichen Typen angelt, will Joel am liebsten vor Scham im Boden versinken. Aber als besagter Mr. Rich dann auch noch mit gegeltem Haar und Zahnpastagrinsen beim Familienbarbecue auftaucht, beschließt Joel, diesem Lackaffen das Leben zur Hölle zu machen. Und nichts eignet sich dafür besser, als ein Männer-Campingwochenende in den Wäldern Oregons! Carson braucht eine Frau. Aus verschiedenen Gründen. Dummerweise bringt ausgerechnet der heiße, langhaarige Rocker-Bruder seiner Auserwählten all seine Pläne, sich zu vermarkten und Publicity zu bekommen, durcheinander. Leider ist Joel unwiderstehlich und das Campingwochenende droht, Carsons ganzes Leben in eine Katastrophe zu stürzen ...

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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F*ck you, Mister Rich

Gay Romance

© Urheberrecht 2022 Jona Dreyer

 

Impressum:

Tschök & Tschök GbR

Alexander-Lincke-Straße 2c

08412 Werdau

 

Text: Jona Dreyer

Coverdesign: Jona Dreyer

Coverbilder: depositphotos.com

Lektorat/Korrektorat: Kristina Arnold, Kelly Krause, Shannon O’Neall & Sandra Schmitt

 

Kurzbeschreibung:

»Ich kann ihn jetzt schon nicht leiden.«

Als sich seine Schwester in einer Fernsehsendung einen reichen Typen angelt, will Joel am liebsten vor Scham im Boden versinken. Aber als besagter Mr. Rich dann auch noch mit gegeltem Haar und Zahnpastagrinsen beim Familienbarbecue auftaucht, beschließt Joel, diesem Lackaffen das Leben zur Hölle zu machen. Und nichts eignet sich dafür besser, als ein Männer-Campingwochenende in den Wäldern Oregons!

Carson braucht eine Frau. Aus verschiedenen Gründen. Dummerweise bringt ausgerechnet der heiße, langhaarige Rocker-Bruder seiner Auserwählten all seine Pläne, sich zu vermarkten und Publicity zu bekommen, durcheinander. Leider ist Joel unwiderstehlich und das Campingwochenende droht, Carsons ganzes Leben in eine Katastrophe zu stürzen ...

Über die Autorin

»Fantasie ist wie ein Buffet. Man muss sich nicht entscheiden – man kann von allem nehmen, was einem schmeckt.«

Getreu diesem Motto ist Jona Dreyer in vielen Bereichen von Drama über Fantasy bis Humor zu Hause. Alle ihre Geschichten haben jedoch eine Gemeinsamkeit: Die Hauptfiguren sind schwul, bi, pan oder trans. Das macht sie zu einer der vielseitigsten Autorinnen des queeren Genres.

VORWORT

Die Grundzüge dieser Geschichte hatte ich schon sehr lange im Kopf. Dezente sechs Jahre. Aber, um mal aus dem Autoren-Nähkästchen zu plaudern: Manche Ideen müssen reifen. Einige sogar ziemlich lange, bis der Funke überspringt.

Den Ausschlag, diese Geschichte nun endlich zu schreiben, hat eine Doku-Serie gegeben, die ich vor einiger Zeit gesehen habe. Welche das ist, verrate ich im Nachwort – aber vielleicht erkennt ihr beim Lesen der Geschichte sogar schon selbst, welches Thema ich hier unter anderem verarbeitet habe.

 

Ich wünsche euch viel Spaß bei der Lektüre!

PROLOG

Joel

»Möchtest du diesen Blumenstrauß, Cecily?«

»Jaaa!«, kreischt die Frau im roten Minikleid. »O! Mein! Gott! Jaaa!«

Das ist jedes Mal wieder die Stelle, an der ich die Augen zukneifen muss, weil das Fremdschämen zu wehtut. Trotzdem werde ich wieder und wieder mit diesem Video gefoltert. Womit hab ich das verdient?

»Sieht deine Schwester nicht hinreißend aus?«, fragt meine Stiefmutter, selbst ganz hingerissen, und macht den Eindruck, als würde sie am liebsten heulend vor Ergriffenheit durch das Wohnzimmer springen.

»Hmm«, brumme ich nur. Die Frage, ob meine Schwester nicht hinreißend aussieht, hat sie mir im Leben vermutlich schon häufiger gestellt, als die Frage, wie es mir geht. Es ist ja ganz und gar nicht so, dass meine Schwester hässlich wäre, aber ... nun ja.

Der Grund, warum ich mir dieses Video in Endlosschleife ansehen muss: Meine Schwester hat traurigerweise die Sendung Become Mrs. Rich gewonnen, eine dieser Shows, in denen windige Single-Millionäre eine hübsche und möglichst hohle Frau als Armpiece suchen. Cissy war also die perfekte Kandidatin und musste das Ding quasi gewinnen. Meine Eltern können nicht genug von ihrem Moment des Triumphs bekommen und sehen sich die Aufzeichnung deshalb immer und immer wieder an. Mir macht das Ganze eher Sorgen: Einem millionenschweren Typen, der im Fernsehen nach einer Frau sucht, ist einfach nicht zu trauen. Warum macht man so was? Der wird doch jeden Tag dutzende Weiber haben, die auf seine Yacht wollen, ist denn da keine dabei, die man hübsch anziehen und dekorativ in die Ecke stellen kann, wenn es das ist, wonach er sucht? Fishy, fishy. Abgesehen davon, dass ich das ganze Konzept dieser Sendungen total rückständig finde. Da faseln alle was von Emanzipation, aber dann prügeln sie sich am Ende doch um den reichen Typen, weil Mrs. Rich zu sein anscheinend doch erstrebenswerter ist als Richterin am Supreme Court oder was weiß ich. Eigentlich ist mir das auch egal. Nur leider musste es ausgerechnet meine Schwester sein, die von Mr. Rich auserkoren wurde! Wenn der sie verarscht, die merkt das gar nicht, denn sie ist leider nicht die, äh, reflektierteste Person. Und meine Eltern feiern diesen Blödsinn auch noch. Und erwarten, dass ich mitfeiere. Vor allem heute, wo sich uns der reiche Dödel persönlich vorstellen will.

Dad hat schon den Grill angeheizt, weil er glaubt, den geföhnten Geldsack, der wahrscheinlich nur Kaviar und Champagner gewohnt ist, mit seinen furztrockenen Burgern beeindrucken zu können. Das ist alles so peinlich! Ich will hier weg, und zwar schnell. Meine Stiefmutter scheint meine Gedankengänge zu ahnen, denn sie wirft mir einen vernichtenden Blick zu.

»Du wirst dich gefälligst zusammenreißen, ja?«, fordert sie. »Wir wollen einen guten Eindruck bei Mr. Reed hinterlassen!«

»Warum habt ihr mich dann überhaupt eingeladen? Ihr wisst doch, wie ich so bin.«

»Weil du eben auch zur Familie gehörst.« Sie klingt, als würde sie das bedauern, was sie garantiert auch tut.

»Und was verstehst du unter zusammenreißen?«, hake ich nach. »Füße vom Tisch und nicht rülpsen?«

»Halt am besten einfach deine Klappe!«

Fragend schaue ich Dad an. Der zuckt wie üblich nur mit den Schultern. »Tu, was deine Mutter sagt.«

Den Einwurf, dass Priscilla überhaupt nicht meine Mutter ist, lasse ich stecken. Auf diese Grundsatzdiskussion hat jetzt, glaub ich, keiner Bock. Ich am wenigsten.

»Manchmal könnte ich ja fast glauben, dass du dich gar nicht für mich freust«, bemerkt Cissy beleidigt und zieht einen Schmollmund.

»No shit, Sherlock«, erwidere ich. »Nee, also Freude ist gerade echt nicht so die Emotion, die mir zu der ganzen Chose einfällt. Ich mach mir Sorgen und mir ist der ganze Kram außerdem ultrapeinlich.«

»Lass ihn«, sagt meine Stiefmutter und winkt ab. »Er ist nur eifersüchtig, weil er es zu nichts gebracht hat.«

»Von einem Schmierlappen in einer Fernsehsendung als dekoratives Beiwerk auserwählt zu werden, ist aber auch nicht gerade das, was ich unter eszu etwas gebracht haben verstehe.«

Viel lieber, als diesem Barbecue des Grauens beizuwohnen, würde ich gerade auf meinem Bike sitzen und eine schöne Tour machen, immer der Abendsonne entgegen, so, wie ich es liebe. Ich hätte ein paar Ausreden erfinden sollen, zum Beispiel, dass mein Goldhamster zufällig genau heute eingeschult wird. Aber was tut man nicht alles für die Familie? Ich hab das Gefühl, ich bin hier die einzige Stimme der Vernunft. Ausgerechnet ich, der Typ mit den Tattoos und dem Motorrad! Vielleicht kann ich den komischen Vogel gleich vergraulen, wenn es Dads Burger und Priscillas schrille Stimme nicht schon von alleine schaffen. Dann werden sie zwar eine Weile sauer auf mich sein, aber auch das vergeht wieder.

»Ich glaub, er kommt!«, quietscht Cissy aufgeregt und springt vor dem Fenster auf und ab. Sie trägt ein dunkelrotes Kleid, das so kurz ist, dass Dad ihr noch bis vor Kurzem verboten hätte, damit rauszugehen, obwohl sie schon dreiundzwanzig ist. Jetzt scheint es aber auf einmal okay zu sein, hat damit ja einen reichen Typen an Land gezogen. »Es ist Carson! Er kommt in einem schicken Bentley. Mit Fahrer! Und jetzt steigt er aus!« Sie fächelt sich aufgeregt Luft zu und tritt von einem Bein aufs andere, als müsste sie mal pieseln.

Jetzt ist der letzte Moment, in dem ich noch flüchten und dem ganzen Drama entkommen könnte. Ich will das nicht mit ansehen müssen, ehrlich. Aber mir bleibt wohl nichts anderes übrig. Ich bin ja hier die Stimme der Vernunft.

KAPITEL 1

Joel

»Guten Tag zusammen!«

Ein Lächeln wie aus der Zahnpastawerbung. Haare wie Ken, nur in dunkel. Und ein Anzug, der wahrscheinlich so teuer ist wie zwei meiner Monatsmieten. Ich kann ihn jetzt schon nicht leiden.

»Wie schön, Sie endlich kennenzulernen, Mr. Reed!«, ruft Priscilla ekstatisch aus und macht den Eindruck, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen, was eventuell auch an ihrer penetranten Parfumwolke liegen könnte.

»Oh, bitte nennt mich doch Carson«, bietet Mr. Colgate großzügig an und sein Lächeln wirkt wie festgefroren. Absolut unecht. Merkt das denn keiner?

Nach dem Händeschütteln mit meinem Dad und einem merkwürdig steifen Küsschen-Küsschen mit meiner Schwester, bin ich an der Reihe.

»Ähm ...« Er stockt.

»Was ist los?«, frage ich und halte ihm die Hand hin. »Text vergessen? Gehirn eingefroren?«

»Joel!«, kreischt Cissy wütend.

»Entschuldigung.« Er schüttelt meine Hand mit einem schlaffen Händedruck. »Joel also?«

»Richtig. Cissys Bruder.«

»Halbbruder«, korrigiert Priscilla. Klar, der Typ soll ja nicht denken, ihre wertvolle Tochter hätte großartig was mit mir gemeinsam.

»Darauf legt sie Wert«, raune ich diesem Carson zu und ziehe eine Grimasse.

»Verstehe.« Er wirkt verwirrt. Irgendwas hat ihn aus dem Konzept gebracht. Haben die ihm etwa gar nicht gesagt, dass ich auch da sein werde?

»Lasst uns raus in den Garten gehen«, schlägt Dad vor und unterbricht die peinliche Stille. »Der Grill heizt schon.«

Cissy hakt sich bei Carson unter und stöckelt mit ihm und meinen Eltern hinaus. Ich bilde die Nachhut. Das ist alles noch absurder, als ich es mir vorgestellt hatte.

»Oh, bevor ich es vergesse«, verkündet Carson plötzlich, »ich habe selbstverständlich Gastgeschenke für euch mitgebracht. Ich Dussel habe sie nur im Auto liegen lassen. Wenn ihr mich kurz entschuldigt, dann gehe ich sie holen.«

Er macht sich aus dem Staub und ich frage mich ernsthaft, ob er überhaupt wiederkommt oder ob das so eine Nummer à la »Ich bin mal Zigaretten holen« ist. Muss sein armer Chauffeur etwa die ganze Zeit vor der Tür warten? Quasi als Fluchtwagen?

»Sieht er nicht gut aus?«, fragt Cissy mit leuchtenden Augen.

»Ja, er ist wirklich sehr attraktiv«, pflichtet Priscilla bei. »Attraktiv und wohlhabend. Du hast den Jackpot geknackt, meine Süße.«

»Hm, das ist ja auch die Hauptsache«, murre ich. »Innere Werte sind ja eher was für Loser.«

»Wenn du nur wenigstens versuchen würdest, deinen Neid zu verbergen, Joel!«

»Pff. Kannst du mal mit diesem Neidgefasel aufhören, Priscilla? Was soll ich denn mit so einem Typen?«

»Ich–«

Sie verstummt, weil Carson mit einem selbstgefälligen Grinsen und drei Geschenkpaketen zurückkehrt. »Hier, bitteschön. Das hier ist für dich, Cecily, meine Teuerste.«

Er nennt Cissy bei ihrem amtlichen Namen Cecily und meine Teuerste? Im Ernst?

»Und hier, für dich, Priscilla.«

»Oh, vielen Dank!« Meine Stiefmutter fächelt sich Luft zu, ehe sie das Geschenk entgegennimmt.

»Und das hier ist für dich, Don.« Er reicht meinem Vater sein Geschenk.

»Und ich krieg nur ’nen feuchten Händedruck oder was?«, hake ich nach.

»Ähm ...« Carson wirkt unbehaglich. Das gefällt mir. »Ich wusste nicht, dass du ... also, ich wusste nicht, dass es dich gibt.«

»Ah, wurde ich mal wieder verschwiegen.« Ich werfe einen düsteren Blick in Richtung meiner Familie, die mich gar nicht beachtet, sondern ihre teuren Klunker und Uhren auspackt. »Ich wünschte, sie wären dann auch konsequent genug gewesen, mich nicht zu diesem Barbecue hier zu nötigen.«

»Wieso?«

»Na, seh ich etwa aus, als hätte ich hier drauf Lust?«

»O Darling, diese Kette ist so traumhaft!«, kreischt Cissy und fällt Carson um den Hals. »Und die Ohrringe dazu! Sie werden so gut zu meinem neuen, lila Kleid aussehen, das du mir gekauft hast!«

»Nur das Beste für dich«, erwidert Carson und gibt ihr ein verkrampftes Küsschen. Das stinkt doch zum Himmel!

»Dieses Perlenarmband ist genau so etwas, was ich mir immer gewünscht habe«, erklärt auch Priscilla pathetisch. »Schon viele, viele Jahre. Mein Mann ist da nur ... weniger aufmerksam.«

Hallo? Dad kann sich so einen Scheiß schlicht nicht leisten, du blöde Kuh. Zum Glück hat er ihre Sticheleien wohl gar nicht mitbekommen, denn er ist zu beschäftigt mit seiner Uhr.

»Tolles Ding«, murmelt er. »Wirklich, wirklich toll. Viele Funktionen. Bis wie viel Meter ist die wasserdicht?«

»Bis zweihundert Meter.«

»Wow! Großartig.«

Ja, total sinnvoll, wo Dad gar nicht tauchen geht. Da kommt die Uhr höchstens mal unter den Wasserhahn.

Carson wendet sich wieder an mich und wirkt immer noch zerknirscht. »Ich werde noch etwas für dich–«

»Nicht nötig«, unterbreche ich ihn. »Im Gegensatz zu allen anderen hier bin ich nicht bestechlich.«

»Das ist keine–«

»Ja, ja.« Ich winke ab. Mir machst du nichts vor, Richie Rich. »Ich brauch nichts, ehrlich. Bin wunschlos glücklich. Und jetzt muss ich mal für kleine Halbbrüder.«

Ich verziehe mich ins Haus. Brauche dringend eine Pause von diesem Schmierentheater. Merkt denn keiner, dass hier was faul ist? Zwischen diesem Typen und meiner Schwester gibt es praktisch null Chemie. Warum zur Hölle hat er sie ausgesucht? Was soll das? Sucht er eine, die er einfach nach seinem Willen formen kann? Cissy würde alles tun, um einen reichen Typen in jeder erdenklichen Hinsicht bei der Stange zu halten. Das ist leider der schlechte Einfluss meiner Stiefmutter, die sich scheinbar immer noch ärgert, dass sie nur meinen Dad abgekriegt hat. Der sich ständig für sie zum Affen macht.

Ich muss mich echt zwingen, wieder raus in den Garten zu gehen. Inzwischen liegen die Burger auf dem Grill, Cissy und Priscilla kauen Mr. Rich ein Ohr ab und ich drücke mich bei den Hecken herum, um alles zu beobachten und dabei möglichst in Ruhe gelassen zu werden. Ich habe das Gefühl, Priscilla und Cissy reden besonders laut, damit auch ja alle Nachbarn mitbekommen, dass ein reicher Mann aus dem Fernsehen bei uns zu Gast ist.

Irgendwann wird es mir doch zu langweilig und ich spaziere zu unserem Gast hinüber, denn ich habe eine Frage. »Sag mal, warum kommst du eigentlich hierher, anstatt uns auf eine deiner Yachten einzuladen? Du hast doch ’ne Yacht, oder?«

»Joel!«, ermahnt mich Priscilla zum hundertsten Mal an diesem Tag. »Reiß dich endlich zusammen!«

»Was?« Ich hebe unschuldig die Hände. »Also wenn er Cissy abschießt, nur weil ich ihm ein paar Fragen stelle, dann war er eh nie an ihr interessiert und verdient sie sowieso nicht.«

»Ich lade euch gern mal auf meine Yacht ein«, erklärt Carson und macht eine beschwichtigende Geste nebst einem eingebildeten Zahnpastagrinsen. »Ich wollte nur nicht den Eindruck erwecken, ich sei mir zu fein, um hierherzukommen.«

Ehe ich etwas antworten kann – und ehrlich, mir lag eine garstige Erwiderung auf der Zunge –, ruft Dad das große Burgeressen auf.

Alle stürmen zum Grill, als ob es da was Leckeres gäbe. Ich weiß, dass es nicht so ist, und lasse mir Zeit. Meinen Höflichkeitsburger werde ich mit einer Gallone Bier runterspülen müssen. Bis dahin amüsiere ich mich köstlich, wie Mr. Rich sich erwartungsfreudig den ersten Burger auftischen lässt. Vielleicht weiß der Kerl einen guten Burger tatsächlich zu schätzen, aber den wird er hier nicht bekommen. Vielleicht schaffen es ja die Dinger, ihn zu vergraulen. Den ersten Bissen muss ich unbedingt beobachten. Gleich ist es so weit ... gleich ... uh, diese Miene! Diese Enttäuschung in seinen Augen. Herrlich! Er dreht sich zur Hecke und ich würde mich nicht wundern, wenn er den Bissen heimlich ausspuckt.

»Na?«, rufe ich, als ich grinsend zu ihm hinüberspaziere. Kumpelhaft lege ich ihm einen Arm um die Schultern. »Lecker, nicht wahr?« Gemein sein: kann ich.

»Ja ... sehr lecker«, erwidert er tapfer und wenn er nicht der wäre, der er ist, hätte ich Mitleid mit ihm.

Ich senke meinen Mund ganz nahe an sein Ohr. »Lügner«, raune ich ihm zu. »Es schmeckt beschissen. Furztrocken und versalzen und wir alle wissen das.« Ich klopfe ihm auf den Rücken, er hüstelt leise und ich wende mich ab. Muss mir jetzt leider auch meinen Burger holen.

Wie immer würge ich das Ding mit zwei großen Bissen hinunter und spüle mit einer kompletten Dose Bier nach. Darf ich jetzt rülpsen, damit sich alle über meine schlechten Manieren aufregen können? Wenigstens die Dose zerknittern und versuchen, den Abfalleimer zu treffen? Ups, daneben.

»Ich geh mal vors Haus, eine rauchen«, verkünde ich der Runde. Ich brauch schon wieder eine Pause.

Carson, der sich gerade wieder von Priscilla und Cissy bewundern lässt, blickt auf. »Ich komme mit!«

»Was, du rauchst?«, entfährt es mir.

»Gelegentlich, ja.«

»Du musst dazu nicht mit ihm vors Haus gehen«, verkündet meine Stiefmutter honigsüß. »Du kannst gern auch hier rauchen.«

»Na so was«, bemerke ich lautstark, »ich hab hier im Garten immer striktes Rauchverbot. Aber ich hab eben auch keine Millionen auf dem Konto.«

»Schon gut.« Carson winkt ab. »Ich gehe mit Joel vors Haus. Ich denke, wir könnten vielleicht sowieso mal ein Gespräch unter Männern führen? Ich habe den Eindruck, dass ich, nun ja, einen falschen Eindruck auf ihn mache.«

»Kein Scheiß, Mann.« Was will der? »Komm halt mit.«

Er folgt mir durchs Haus hinaus auf die Veranda. Ich hab die Veranda an Sommerabenden wie heute immer gemocht, hab gern auf der Schaukel gesessen, vor mich hingeträumt und meine Ruhe vor den anderen gehabt. Die bekomme ich heute offensichtlich nicht.

»Okay, Klartext«, sagt Carson plötzlich und das schleimige Grinsen weicht aus seinem Gesicht. »Was hast du gegen mich?«

»Nichts. Wenn ich was Wirksames gegen dich hätte, dann hätte ich es schon längst eingesetzt.«

»Oh, ha, ha, ha.« Er stemmt die Hände in die Hüften. »Ehrlich, was ist dein Problem? Was habe ich dir getan? Denkst du, ich merke nicht, dass du mich vergraulen möchtest?«

»Beruhig dich, Mann.« Ich halte ihm die Zigarettenschachtel hin, damit er sich eine schnorren kann. »Ich hab dich einfach durchschaut, okay?«

»Durchschaut?« Er steckt sich die Kippe in den Mund und ich gebe ihm Feuer.

»Jupp. Du tust hier gönnerhaft und bescheiden, aber ich kenne Leute wie dich. In Wahrheit schaut ihr auf Familien wie meine herab.«

»Du bist ziemlich voreingenommen«, erwidert er und bläst Zigarettenrauch aus. »Vielleicht war ich ja auch nicht schon immer reich.«

»Oh, bitte erzähl mir jetzt keine weinselige Geschichte davon, dass du ja aus ganz armen Verhältnissen stammst und dich hochgearbeitet hast. Das behaupten viele, aber wenn man genauer hinsieht, waren sie dann doch ziemlich privilegiert und haben einen dicken Batzen geerbt. Hör zu, Mann.« Ich lehne mich gegen das Geländer und überkreuze meine Beine. »Ich liebe meine Schwester, aber leider ist sie nicht die Hellste und wird jedes Kaspertheater mitmachen, um an ihren reichen Prinzen zu kommen. Ich hab keinen Bock, dass sie von einem Typen wie dir deswegen ausgenutzt wird. Sie merkt nicht, wenn sie verarscht wird. Ich schon.«

»Und wenn sie mich verarscht, das ist okay?«, versetzt Carson und hebt eine Braue.

»Dazu ist sie gar nicht in der Lage. Ich denke, du weißt sehr genau, dass dein Aussehen und dein Geld dich für sie zum absoluten Traumprinzen machen, egal, ob du ein Arschloch bist oder nicht. Sie spielt da mit offenen Karten, anders kann sie gar nicht.«

»Jedenfalls sind Cecily und ich uns einig und wollen uns jetzt näher kennenlernen. Kein Grund, gleich die Schrotflinte zu laden.«

»Cecily.« Ich lasse ein Schnauben los. »Du bist der einzige Mensch auf der Welt, der sie so nennt. Alle anderen nennen sie Cissy. Das zeigt, wie wenig nahe ihr euch bisher auf den wirklich wichtigen Ebenen gekommen seid.«

»Ich wusste das nicht mit ihrem Spitznamen.«

»Sag ich ja! Ich frag mich ernsthaft, worüber ihr euch bisher unterhalten habt. Wahrscheinlich nur über Geld und den nächsten Urlaub in Dubai oder auf den Bahamas.«

Er widerspricht mir nicht, sondern raucht schweigend seine Zigarette. »Was kann ich tun, um dir zu beweisen, dass ich es ernst meine?«, fragt er dann doch.

»Hm.« Mir kommt da ein Gedanke. »Ich will dich erst selbst kennenlernen und dich quasi auf Herz und Nieren prüfen, bevor ich dich ruhigen Gewissens auf meine Schwester loslassen kann.«

»Und wie stellst du dir das vor?«, erkundigt er sich mit merklicher Skepsis.

Ich grinse. Meine Idee nimmt Gestalt an. »Männerwochenende.«

»Oh, das klingt gar nicht nach einer schlechten Idee. Wir könnten golfen gehen. Ich bin Mitglied in einem tollen Resort in Florida.«

»Golfen?« Mich schüttelt es. »Hast du Lack gesoffen, oder was? Bin ich ein reicher Rentner oder was? Nein, wenn ich Männerwochenende sage, dann meine ich genau das. Wir gehen Campen. In der Wildnis.«

»In der Wildnis?«, fragt er entsetzt. Man kann die Sorgen, die er sich um seine Designerkleidung macht, regelrecht in seinen Augen sehen.

»Wir haben hier in Oregon die schönsten Wälder. Wilde Natur, keine Menschen, kein Bullshit. Man kann fischen gehen und abends am Lagerfeuer grillen. Die ideale Umgebung, um sich ohne irgendwelchen Schwachsinn drumherum kennenzulernen. Wenn du das mitmachst und dich an dem Wochenende nicht als Arschloch entpuppst, dann geb ich dir grünes Licht. Deal?«

Ich halte ihm die Hand hin. Er überlegt noch. Wirkt immer noch sehr skeptisch, regelrecht verängstigt. So gefällt er mir schon viel besser!

»Deal«, sagt er schließlich und schlägt ein.

KAPITEL 2

Carson

Das war der schlimmste Abend meines Lebens. Und jetzt sitze ich in der Klemme.

»Waren Sie schon mal campen, Fernando?«, frage ich meinen Chauffeur.

»Natürlich«, erwidert er. »Sie nicht?«

»Doch, als Kind. Und es war schrecklich und ich habe das meiste davon verdrängt. Ich habe jetzt dummerweise einem Campingwochenende zugesagt. Was muss ich beachten?«

»Auf jeden Fall sollten Sie Kleidung tragen, die Sie gegen Mückenstiche schützt und auch etwas Warmes für die Nacht mitnehmen. Außerdem ...«

Fernandos Stimme wird immer leiser in meinem Kopf, denn ich denke an Sex. Sex auf zwei Beinen. Böse-Biker-Buben-Sex auf zwei Beinen. Verdammt! Dieser Abend ist überhaupt nicht nach Plan verlaufen. Wieso hat mir Cecily – ach nein, Cissy – ihren gottgleichen, aber leider sehr bösartigen Bruder verschwiegen? Sollte ich ihn ursprünglich gar nicht erst kennenlernen? Ich wünschte, es wäre so! Dann würden meine Gedanken jetzt nicht ununterbrochen um diese tätowierten Muskeln kreisen. Um diese langen, dunklen Haare. Und um diese strammen Beine in der engen Hose ...

»... Campingkocher ist auch Gold wert. Mit wem wollen Sie denn campen gehen, Sir? Familiencamping mit der Familie Ihrer neuen Freundin?«

»Hm?« Ich komme wieder in der Realität an, in der Fernando mir immer noch aufzählt, was ich im Wald so brauche. »Ja, äh ... mit Teilen davon.« Ich räuspere mich.

Der Hubschrauberlandeplatz kommt in Sicht und ich bin erleichtert. Ich möchte wirklich so schnell wie möglich in meine kalifornische Heimat zurückkehren, mich ins Badezimmer einschließen und nachdenken. Auf die Art, auf die man eben allein im Badezimmer nachdenkt. Mit Hand und Hosenhirn. Gott!

Vielleicht wäre es am klügsten, die Sache mit Cissy gleich zu beenden, denn ich habe das Gefühl, dass ihr Bruder sich an uns heften wird wie Pattex. Aber dann wäre diese ganze, dumme Sendung umsonst gewesen. Ich brauche endlich eine Frau, und ja, auch ein bisschen schnelle Publicity. Cissy und ich haben bereits Anfragen für Werbedeals. Ich kann sie jetzt nicht in den Wind schießen, nur weil sie einen heißen, tätowierten Bruder hat, der dummerweise sofort durchschaut hat, dass es mir nicht in erster Linie um leidenschaftliche Gefühle geht. Aber seiner Schwester doch auch nicht! Außerdem mag ich Cissy durchaus. Sie ist nett und freut sich einfach über alles, was ich ihr schenke, solange es glitzert und funkelt. Wie eine kleine Elster. Vielleicht entwickelt sich da doch noch mehr. Es gibt durchaus funktionierende Beziehungen auf der Basis von Vernunft und gleichen Interessen anstatt großer Romantik. Und nur, weil ich hier und da mal einen Mann heiß finde, bin ich ja nicht gleich schwul. Das sind nur Phasen und ich finde auch Frauen attraktiv. Ich habe schon mit mehr Frauen geschlafen als mit Männern! Und Cissy ist hübsch, passt mit ihrer Modelfigur und den langen, dunklen Haaren genau in mein Beuteschema.

Lange, dunkle Haare ...

Verdammt noch mal! Wie soll ich dieses Campingwochenende überstehen? Ich muss es absagen. Andererseits wird mich dieser Kerl dann erst recht nicht in Ruhe lassen. Ich muss dieses Wochenende überstehen, um meinen Frieden mit ihm zu haben. Lieber zwei, drei Tage Horror, als schlimmstenfalls den Rest meines Lebens. Die neue Ich-stehe-auf-Männer-Phase, die er in mir ausgelöst hat, geht auch wieder vorbei. Ich schaffe das!

»Wir wären da, Sir.«

»Danke, Fernando.«

Ich steige aus und gehe hinüber zum bereits wartenden Helikopter, während mein Chauffeur den Mietwagen parkt. Dann heben wir ab in Richtung Heimat. Gott sei Dank.

*

Ich habe nachgedacht und fühle mich gleich besser. Nachdenken heißt in dem Fall, dass ich mir unter der Dusche einen runtergeholt und dabei an Cissys Bruder gedacht habe. Vielleicht ist es damit jetzt auch schon erledigt! Für einen Moment haben meine Hormone einfach verrückt gespielt und ich musste ein bisschen Dampf ablassen.

Jetzt kann ich mich vollkommen rational der Vorbereitung des Campingwochenendes widmen. Wir haben das übernächste Wochenende vereinbart, da ich am kommenden geschäftlich eingebunden bin. Genug Zeit außerdem, um etwas Abstand zu gewinnen und mein Gehirn herunterzukühlen.

Also, ich brauche eine Ausrüstung! Leider kann ich mich nicht mehr an alles erinnern, was Fernando aufgezählt hat, aber auf jeden Fall hat er etwas von Kleidung gesagt, die gegen Mückenstiche schützt. Allein der Gedanke an diese fiesen Biester bereitet mir schon äußerst unangenehme Gefühle! Da werde ich doch gleich mal durch ein paar Outdoor-Shopseiten scrollen.

Suchmaschine geöffnet und Joel Tremblay eingetippt. Was? Moment! Ich wollte nach Campingausrüstung suchen, nicht nach ... oh, er hat ein Instagram-Profil. Ich schaue nur mal kurz! Gut, nicht viel Interessantes. Hauptsächlich Fotos von Landschaften und seinem Motorrad. Ich hatte schon befürchtet, Oben-ohne-Bilder von ihm vorzufinden. Okay, da unten ist eins. Ich werde es nicht anklicken. Warum machen meine Finger eigentlich genau das Gegenteil von dem, was mein Hirn ihnen befiehlt?

Und wieso macht dieser Kerl ein sexy Selfie, wenn er gerade aus dem Wasser kommt, sodass man die Tropfen auf seiner braunen Haut perlen sieht? Was soll das? Wen will er damit anlocken? Ich weine gleich. Nein, ich kann auf gar keinen Fall zu diesem Campingwochenende gehen. Allein, wenn ich mir vorstelle, dass ich in Joels Gegenwart versehentlich einen Ständer bekomme! Das geht gar nicht. Ich muss ihm absagen.

Also nehme ich mein Handy zur Hand und schicke ihm eine Nachricht:

›Du, das mit dem Männerwochenende ist doch nicht so mein Ding.‹

Offenbar sitzt er gerade am Handy, denn es zeigt mir an, dass er schon an einer Antwort tippt. Ich habe das Bedürfnis, in eine Tüte zu atmen.

Tz!

›Wir sind erwachsene Menschen und können das selbst entscheiden.‹

›Nur über meine Leiche. An meiner Schwester schraubst du nur dann herum, wenn ich es dir erlaube.‹

›Sonst was?‹

›Gibt’s mächtig Ärger. Glaub mir, da kann dich auch dein Geld nicht retten.‹

Ich schlucke trocken. Droht er mir da etwa? So, wie er aussieht, könnte er Mitglied in einer Motorradgang sein. Und die sind ja dafür bekannt, sehr skrupellos zu sein und sich auch von Leibwächtern nicht beeindrucken zu lassen. Hetzt er dann seine Jungs auf mich? Was ist das für ein Typ, dass er auf seine Schwester aufpassen muss? Leben wir im vorletzten Jahrhundert? Wie archaisch.

Langsam werde ich wirklich wütend. Vielleicht hat seine Stiefmutter ja recht und er ist wirklich nur eifersüchtig. Ja, so wird es sein! Und er versteckt das hinter geheuchelter Fürsorge für seine Schwester! Beinahe wäre ich darauf reingefallen und hätte mich einschüchtern lassen. Soll er sein albernes Männerwochenende haben, ich werde ihm schon eine ordentliche Ansage machen. Wenn er denkt, er kann mich mit so einem albernen Kram kleinkriegen, dann hat er sich ordentlich geschnitten! Was bildet der sich überhaupt ein, mir so die Pistole auf die Brust zu setzen? Auf einmal finde ich ihn auch gar nicht mehr so attraktiv. Gut!

KAPITEL 3

Joel

Also pünktlich ist der Kerl schon mal nicht. Ganze zwei Minuten hat er sich verspätet. Nicht, dass es mich sonst stört, wenn jemand mal ein paar Minuten zu spät kommt, aber Mr. Rich werde ich es genüsslich unter die Nase reiben. Dieses Wochenende wird er so schnell nicht vergessen! Wenn er überhaupt das ganze Wochenende durchhält.

Ich hab mich ja durchaus kurz gefragt, ob ich vielleicht ein bisschen übertreibe, aber ich finde gar nicht, dass ich das tue.

Der Kerl hat seine Millionen mit einer Investmentfirma gemacht, die er mit zwei anderen Typen betrieben hat. Diese Firma ist vor gut einem Jahr pleite gegangen, was bedeutet, dass viele Anleger ihr Geld verloren haben, während es dieser Carson und seine Kumpels dreckig lachend in ihre Taschen geschaufelt haben. Jetzt ist er Ende dreißig und führt ein Jetset-Leben, während die verprellten Anleger vielleicht die Ersparnisse ihres ganzen Lebens für immer verloren haben. Wie ich so was hasse! Mal ehrlich, gibt es überhaupt Millionäre oder Milliardäre, deren Vermögen, mal von Lottogewinnen abgesehen, nicht irgendwie auf Kosten anderer Menschen angehäuft wurde? Diese Leute sind doch nicht stinkreich, weil sie so besonders klug und edel sind, sondern besonders skrupellos.

Ah, sieh an, da kommt er ja. Lässt sich wieder vorfahren wie Graf Koks. Er kann froh sein, dass das hier ein friedliches Örtchen ist, anderswo hätten sie seinem dicken Schlitten wahrscheinlich längst die Reifen zerschossen und ihn überfallen. In den Wald fahren wir zum Glück auf meine Art.

»Hallo!«, ruft er und steigt aus.

Er hat sich wie ein echter Camping-Daddy angezogen. Kariertes Hemd, Zip-Off-Hose und Wanderschuhe. Ich geh krachen. Vermutlich hat er im Internet herumgegoogelt – oder jemanden dazu beauftragt –, was man beim Campen so anzieht und dann einfach alles bestellt. Aber hey, das gibt zumindest einen Pluspunkt für die Bemühungen. Ich hatte nämlich schon die Befürchtung, er taucht hier in einem weißen Designerhemd und Chanel-Schläppchen auf.

»Du bist drei Minuten zu spät.« He, he, he.

Er schaut auf seine klobige Angeber-Uhr. »Nach meiner Uhr bin ich genau pünktlich. Und die geht nach der Atomuhr.«

»Ja, ja.« Ich verdrehe die Augen. »Schnall dir die Atomuhr doch gleich um den Arm, leisten kannst du’s dir ja vermutlich.«

»Atomuhren sind große–«

»Halt die Klappe.«

Sein Lohnsklave kommt mit dem Gepäck, einem großen, prall gefüllten Wanderrucksack und zusätzlich noch einer Reisetasche.

»Dir ist schon klar, dass wir nur für drei Tage in den Wald fahren, oder?« Ich hebe eine Braue. »Was hast du da alles mit?«

»Ausrüstung. Kleidung für alle Wetterlagen, ausreichend Hygieneartikel, Unterhaltungselektronik, einen Erste-Hilfe-Kasten ...«

»Kerl, wir fahren nicht in ein Kriegsgebiet. Wir gehen nur campen und so viel Gepäck kann ich dann auch nicht hinten an der Maschine festmachen. Den Rucksack kannst du mitnehmen, die Tasche schickst du deinem Chauffeur wieder mit.«

»Nein!«, ruft Carson protestierend. »Da ist mein Insulin drin!«

»Du bist Diabetiker?« Jetzt bin ich aber überrascht.

»Typ 1. Schon seit meiner Kindheit.«

»Oh, okay. Dein Insulin nimmst du selbstverständlich mit. Pack’s in deinen Rucksack.«

»Da ist kein Platz mehr.«

Ich stoße ein langes Schnaufen aus. Am Ende strapaziert der meine Geduld noch mehr als ich seine. »Dann hol irgendwelchen sinnlosen Kram aus dem Rucksack raus. Klopapier hab ich mit, Erste Hilfe ebenfalls und Unterhaltungselektronik brauchen wir nicht. Wir fahren nicht in den Wald, um gemeinsam zu netflixen, sondern um uns kennenzulernen. Klaro?«

»Na schön.« Grummelnd packt er sein Tablet, Premium-Toilettenpapier, einen Sanikasten und noch mehr Kram aus. Plötzlich ist sein Rucksack dann auch halb leer. »Mein Handy behalte ich aber! Ich gehe ja nicht in den Knast.«

»Behalte es, Empfang hast du dort, wo wir hingehen, eh keinen.«

Missmutig verabschiedet er sich von seinem Chauffeur, der auch – zurecht – den Eindruck macht, als würde er mir keinen Meter weit trauen und als wollte er sich meine Gesichtszüge ganz genau einprägen, um später bei der Polizei eine ordentliche Täterbeschreibung abgeben zu können.

Als er endlich fort ist, bedeute ich Carson mit einem Wink, mir zu meinem Motorrad zu folgen. Ich reiche ihm einen Helm. »Steig auf.«

»Was?«, fragt er entsetzt. »Wir fahren mit diesem Ding in den Wald?«

»Hast du Renée etwa gerade Ding genannt?« Ich runzle die Stirn.

»Renée?«

»Mein Motorrad.«

»Dein Motorrad hat einen Namen?«

»Selbstverständlich! Das ist die schöne Renée.« Liebevoll streiche ich über ihren blank polierten Tank. »Ich hab sie selbst gebaut.«

»Ist das dein Beruf?«

»Ja, unter anderem. Jetzt komm, setz deinen Helm auf und steig auf!«

»Na schön ...« Er schultert seinen Rucksack und tut, wie ihm geheißen. »Wo soll ich mich hier festhalten?«, fragt er, die Stimme vom Helm gedämpft.

»An mir.« Ich sehe seinen skeptischen Blick. »Keine Angst, ich hab keine Flöhe und bin frisch entwurmt.«

Ich setze meinen Helm auf, steige auf die Maschine und warte, bis Carson mit merklichem Widerwillen seine Arme um meine Taille legt. Dann fahren wir los. Unser Ziel ist der Tillamook State Forest, genauer gesagt der Jones Creek Camp Ground. Dieses Gebiet kenne ich wie meine Westentasche, denn hier nehme ich mir regelmäßig meine Auszeiten. Meine Männerwochenenden mit mir allein. Ich wette, Mister Rich hat Angst, dass ich ihn abmurkse und im Wald verschwinden lasse! Dabei bin ich eigentlich ein äußerst friedlicher Mensch. Das darf er nur nicht wissen.

Irgendwie ist es seltsam, ihn wie ein Klammeräffchen an mir hängen zu haben. Wann hatte ich zuletzt jemanden hinter mir auf dem Motorrad? Das muss vor knapp drei Monaten gewesen sein, als ich den Kleinen da aus dem Nachtclub mitgenommen habe. Am Ende war der leider zu betrunken, um mit mir zu vögeln. Ich vögle nicht mit Betrunkenen, die sind nicht hundertprozentig zurechnungsfähig und das geht gegen meinen moralischen Kompass. Ob Mr. Rich meine Schwester schon gevögelt hat? Hoffentlich nicht! Der soll ja seine schmierigen Griffel von ihr lassen! Ich will keinen Schwager haben, der Leute um ihr Geld betrügt. Und ich werd ihn bei Gelegenheit auf diese Sache ansprechen, darauf kann er Gift nehmen! Da entkommt er mir nicht.

Wir erreichen den Beginn des Jones Creek Camp Ground nach eineinhalb Stunden Fahrtzeit. Ich bezahle die Gebühren und wir fahren weiter hinein in den Wald. Unterwegs treffen wir auf einen Camping-Van, ansonsten ist nicht viel los. Ich hoffe, mein Lieblingsplatz ist nicht belegt. Dort hat man viel Privatsphäre zwischen den Bäumen und eine schöne Aussicht auf den Fluss, und der Weg dorthin wird irgendwann zu schmal, als dass Camping-Vans ihn entlangfahren könnten. Die Chancen stehen also gut.

Carson scheint es gut zu gehen, denn er hängt immer noch an mir dran. Vielleicht ist er auch vor lauter Angst schon zu Stein erstarrt, wer weiß? Ich werde es beim Absteigen gleich merken. Auf jeden Fall wurden meine Gebete erhört und mein Lieblingsort in diesen Wäldern ist frei. Niemand sonst ist in der Nähe. Bingo!

»Da wären wir.« Ich stelle den Motor ab und ziehe den Helm vom Kopf.

Mr. Rich springt von der Maschine, als stünde sie in Flammen. Dabei bin ich extra nicht wie ein Henker gefahren, damit er mir nicht schon auf dem Hinweg kollabiert, bevor ich überhaupt mit ihm sprechen kann. Ich will nämlich alles wissen. Seine wahren Motive und wie er wirklich zu meiner Schwester steht. Warum er in so einer scheiß Sendung mitmachen musste, um eine Frau zu finden.

»Unter diesen Helmen schwitzt man ja irre!«, beschwert er sich.

»Ja, deine Frisur sieht jetzt auch reichlich beschissen aus. Aber lieber platte Haare als Hirn am Baum kleben.«

Er schüttelt seine aus dem Gesicht gekämmte Schleimfrisur auf und schaut ziemlich eingeschnappt aus der Wäsche. »Was hast du da vorn bezahlt? Ich übernehme das.«

»Nichts da, ich will keine Almosen. Ich bin nicht käuflich. Ich hab dieses Männerwochenende vorgeschlagen, also komm ich auch dafür auf. Es beeindruckt mich null, wenn du mit Kohle um dich wirfst, also lass es.«

»Sicher? Letztens wolltest du noch auf meine Yacht.«

»Das war ’n Spruch, Mann. Na los, wir bauen jetzt das Zelt auf.«

Er schluckt. »Haben wir nur eins?«

»Natürlich haben wir nur eins. Wozu brauchst du noch eins? Als Ankleidezimmer?«

»Nein, aber ist das nicht ein bisschen ... intim?«

»Sag mal ...« Ich schüttle den Kopf. »Du bist echt merkwürdig. Hast du noch nie mit jemandem im selben Zimmer geschlafen?«

»Doch«, gibt er zu und kratzt sich am Hinterkopf.

»Na komm, jetzt hilf mir schon.«

Gemeinsam holen wir das Zelt aus seiner Tasche und beginnen mit dem Aufbau. Mr. Rich stellt sich ziemlich dusselig an und man merkt, dass er es gewohnt ist, dass alles für ihn gemacht wird.

»Ich kann’s auch alleine machen«, schlage ich zur Güte vor.

»Nein, ich will helfen, auch wenn ich nicht viel Ahnung von Zelten habe.«

»Na gut. Dann steck mal die Heringe in den Boden. Die Seile richtig spannen und dann bis zum Anschlag versenken.«

Er schaut mich ziemlich seltsam an, macht dann aber, was ich ihm sage.

»Okay«, verkünde ich, als wir fertig sind, »passt doch. Jetzt noch die Schlafsäcke reinlegen und wir haben unseren Schlafplatz für das Wochenende. Nachher bereite ich alles für das Lagerfeuer vor. Die Feuerstelle, die ich hier letztes Mal errichtet habe, ist noch in Ordnung.« Ich zeige auf den Steinkreis am Boden.

»Wir werden ja nicht versehentlich einen Waldbrand auslösen, oder?«

Ich rolle mit den Augen. »Nein. Darum mache ich das Feuer und nicht du. Wenn du eine Kippe rauchst, mach sie anschließend in das Einweckglas, das ich mitgebracht hab. Ich stell’s dir gleich hin. Nicht die Kippen auf den Boden schnipsen. Der Wald ist zwar gerade nicht supertrocken, aber man weiß ja nie und außerdem ist es eklig und eine Sünde, Zigarettenstummel und Müll im Wald herumliegen zu lassen.«

»Bist du Umweltschützer?«

»Nein, ich hab einfach nur ein funktionierendes Hirn.

---ENDE DER LESEPROBE---